Einen Moment wusste Penelope nicht, ob sie sich freuen sollte oder nicht. Natürlich war sie neugierig, natürlich wollte sie dem Ganzen auf den Grund gehen. Aber sie wollte nicht, dass Anthi sich deshalb Sorgen machte. Und sie wollte sich auch nicht in Gefahr begeben. Aber bestimmt wäre es auch nicht gut, den Gymnasiarchos so offensichtlich zu versetzen.
“Was meinst du mit Vorsichtsmaßnahmen, Anthi? Ich meine, es ist ja im Museion, es sollte eigentlich schon sicher sein. Und mit einer Waffe kann ich nicht umgehen, wie du weißt. Was schwebt dir also vor?“
Beiträge von Penelope Bantotakis
-
-
“Ja, du hast recht. Ich hab auch nicht so ganz verstanden, was der Gymnasiarchos damit wollte. Ich meine, ich wäre schon neugierig, was es damit nun auf sich hat. Es muss ja wichtig sein, sonst hätte er nicht so ein Geheimnis daraus gemacht. Aber wenn du es für gefährlich hältst, werde ich natürlich nicht hingehen.“
Vielleicht war sie da wirklich zu gutgläubig dem Gymnasiarchos gegenüber. Ein wenig mehr misstrauen war vielleicht wirklich nicht unangebracht. Auch wenn sie neugierig wäre. Aber sie wollte da mit Anthi keinesfalls streiten, und sicher hatte er recht mit seiner Vorsicht. -
Penelope hätte ihm wirklich, wirklich gerne den Zettel gegeben, aber der lag im Museion noch bei den Blumen. Also versuchte sie, sich an alles zu erinnern, was darauf stand.
“Nun, da stand: Komme zum Rosengarten kurz vor Sonnenuntergang eine Woche vor Ende des Mechir. Ein Meister wird sprechen. Deine wahren Freunde werden anwesend sein. Komme allein. … Ja, ich glaube, so müsste es passen. So oder so ähnlich auf jeden Fall.“
Jetzt, wenn sie so darüber nachdachte, klang das wirklich ein wenig nach einer Verschwörung. Vielleicht sollte sie besser einfach gar nicht hingehen. Wenn Ánthimos es unheimlich fand, war da bestimmt etwas dran. Sie war da vielleicht einfach nur zu naiv rangegangen, obwohl sie sonst doch eigentlich sehr vorsichtig war. -
Es wäre wirklich am einfachsten gewesen, sie hätte ihm den Zettel von Anfang an gezeigt, dann hätten sie nicht gestritten und sie müsse es nicht jetzt hier so umständlich erklären.
“Nun, du weißt doch, wie der Keryke sich ausdrückt. Es war ein wenig kryptisch verfasst. Ich habe es nicht ganz verstanden, worum genau es bei dem Treffen dann gehen wird. Nur, dass ein „Meister“ kommen und zu seinen „Freunden“ sprechen würde. Mehr stand da auch gar nicht. Und ich hab dir deshalb den Zettel nicht gleich gezeigt, weil es für den Gymnasiarchos wohl ein wichtiges Geheimnis war. Es tut mir leid, ich war so dumm…“
Sie kuschelte sich wieder ein wenig mehr an ihn. Sie hoffte, er war da nicht mehr böse deswegen. Im Moment klang er schon wieder leicht grummelnd. -
War sie sich ganz sicher? Eigentlich nicht. Sie verstand ja nicht einmal wirklich, was das auf dem Zettel da sein sollte. In ihrer Vorstellung war das ein Treffen von gelehrten, immerhin fand es auch im Rosengarten beim Museion statt. Da konnte es eigentlich weniger eine Intrige sein. Aber ganz sicher war sie nicht.
“Du weißt, ich würde mich nie von irgendjemandem wegnehmen lassen. Ich liebe dich, und nur dich.“ Sanft beugte sich Penelope über ihn und gab ihm einen Kuss. Er brauchte sich da keine Sorgen machen. Man müsste sie schon mit vorgehaltenem Schwert von ihm wegzerren, um sie ihm zu nehmen, anders wäre das niemals möglich.
“Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht genau. Auf dem Zettel war eine Einladung zu einem Gelehrtentreffen im Museion. Also, mit mehreren Gelehrten, nicht mit ihm selber.“ Das glaubte sie zumindest aufrichtig. Auf ein Tete-a-tete würde sie sich auch nicht einlassen, und dann hätte sie niemals überlegt, dahin zu gehen, oder es gar für sich behalten. Das wäre etwas gewesen, das Ànthimos als ihr Ehemann hätte erfahren müssen.
“Aber wenn du nicht willst, dass ich dahin gehe, werde ich es auch nicht tun.“ So groß war ihre Neugierde nun wieder nicht, dass sie dafür ihren Mann hintergehen würde. -
So, nun Augen zu und durch, bevor die Worte ihr doch aus Angst nicht über die Lippen kamen.
“Also, das mit dem Zettel… du hast recht, ich hätte ihn dir einfach zeigen sollen. Wenn du ihn immer noch sehen willst, dann zeig ich ihn dir. Wirklich. Ich möchte nicht, dass das irgendwann zwischen uns steht, wegen so einem dummen, kleinen Stück Papyrus.“
Penelope war nicht sicher, ob sie das Thema wirklich wieder hatte anschneiden sollen, oder ob es besser gewesen wäre, es einfach totzuschweigen. Sie wollte nicht, dass er nochmal deshalb böse werden würde, auch wenn sie das nicht glaubte. Aber ein klein wenig Angst hatte sie halt doch davor. -
Ein Lächeln huschte kurz über Pelos Gesicht bei seinen Worten. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, an was er wieder dachte, und sie war ja auch nicht gänzlich abgeneigt. Nach dem Streit gestern, diese Zärtlichkeit zwischen ihnen beiden, das war einfach herrlich gewesen. Daran würde sie natürlich gerne anknüpfen. Aber im Moment ging ihr dafür eigentlich auch zu viel durch den Kopf.
“Lass uns einfach noch ein bisschen schmusen.“ Sie wollte jetzt nicht schon aufstehen, aber er hatte recht, sie mussten gleich aufstehen. Sonst würden sie beide sich gehörig verspäten. Aber in Stimmung war Penelope nicht ganz, dafür war sie zu sehr in Gedanken im Moment. Also schmiegte sie sich nur einen Moment an ihn, genoss das Gefühl seiner warmen Haut auf ihrer, und überlegte, wie sie es am besten anfangen sollte. Sie wollte wirklich noch einmal mit ihm reden über die Sache. Also fing sie ganz schüchtern an.
“Anthi? Also, ich wollte dir noch was sagen, wegen gestern…“ -
Verschlafen genoss Penelope die Zärtlichkeit und das schöne, kribbelnde Gefühl an ihrem Rücken. Seine Hand kitzelte ganz leicht, aber es war dieses schöne kitzeln, von dem man nicht genug bekommen konnte. Sie reckte sich ein wenig, räkelte sich wie ihre Katze Tigris es beim Aufwachen auch tat, seiner Hand entgegen. Ein leises, wohliges “hmmmmm“ entrang sich ihr, und ein Zittern ging durch ihren Körper, als sich jeder Muskel beim strecken leicht anspannte.
Verschlafen blinzelte Penelope, dachte aber gar nicht daran, sich jetzt umzudrehen oder gar aufzustehen. Dafür taten die Berührungen viel zu gut, es war viel zu schön. Sie streckte nur ihren Kopf ein wenig, machte den Nacken damit ganz lang, und genoss seine Berührung. So könnte sie ruhig den Rest ihres Lebens jeden tag geweckt werden…
Doch dann wurde sie mit einem Mal wacher, als die Erinnerung an den Streit wiederkam. Ihr schlechtes Gewissen kam wieder, wenn auch nicht ganz so schlimm wie gestern vor ihrer Versöhnung. Aber doch konnte sie nicht aufhören, darüber nachzudenken, was passiert war und was sie hätte besser machen sollen. Und das vertrieb leider die sonstigen, schönen Gedanken, und je wacher sie dabei wurde, umso weniger kribbelte auch ihre Haut.
Noch ein wenig schläfrig drehte sich Penelope also doch zu ihrem Mann herum. Kurz schaute sie ihn einfach nur verliebt an, ehe er wortlos einen Kuss erhielt. Sie war ja so froh, dass sie ihn noch hatte. -
“Dann freut es mich, dich kennen zu lernen, Marcus Achilleos. Ánthimos hat mir schon viel von dir erzählt.“
Freudig lächelnd begrüßte Penelope den Mann. Er hatte wirklich lustige Sachen an, ganz, wie ihr Mann schon gesagt hatte. Dieses Land musste wirklich seltsam sein, wenn sich dann alle so anzogen. Die mussten doch schwitzen wie verrückt! Da Penelope noch nie aus Alexandria heraus gekommen war, kam ihr gar nicht in den Sinn, dass es in dem Land so kalt sein könnte, dass man so viele Lagen dunkler Kleidung brauchen könnte. Hier war es immer sehr warm, wobei es jetzt in der Zeit der Demeter mit den Temperaturen ging. In der Zeit von Kore, wenn die Hitze mittags so stark war, dass die Luft flimmerte, sah das hier schon ganz anders war.
Und dann kam der erste Bewohner dieses Hauses dazu. Ein Mann in voller Rüstung mit dem roten Umhang der rhomäischen Legionen. Penelope konnte es nicht verhindern, dass sie sich einen kurzen Augenblick lang versteifte. Zwar war es nicht sichtbar, aber Ánthimos hatte es bestimmt bemerkt. Und wenn Marcus ein sehr aufmerksamer Beobachter war, hatte er vielleicht auch das kurze Flackern ihrer Augen bemerkt, als sie den Iunier ansah.
Es war nicht wirklich, dass Penelope die römischen Legionäre hasste oder wirklich Angst vor ihnen hatte. Aber sie hatte zu lange in Rhakotis gelebt und zu viel gesehen, um nicht eine ganz ordentliche Portion Respekt vor ihnen zu haben. Sie hatte daher auch nichts gegen die Rhomäer an sich, aber sie vermied sie doch, wo sie nicht unbedingt mit ihnen zusammentreffen musste. Und in Alexandria gab es zum Glück genug Griechen, die das möglich machten. Selbst im Museion hatte sie noch nicht allzu viele Rhomäer angetroffen. Und so konnte sie diese kleine Schrecksekunde hier einfach nicht vollständig überspielen, auch wenn der Iunier wohl nichts bemerkt haben dürfte.
Diesmal ließ sie aber wirklich den Männern den Vortritt, ihn zu begrüßen und sie vorzustellen. -
“Ich versprech es dir. Alles.“
In diesem Moment hätte ihm Penelope wirklich alles versprochen, egal, was er auch verlangt hätte. Sie wollte nur bei ihm sein und sich nicht mehr streiten, und sie wollte ihn nicht verlieren. Und sie machte sich schreckliche Vorwürfe, ihn in solche Sorgen versetzt zu haben. Was sie selbst vorhin alles durchgemacht hatte, war dabei vollkommen vergessen. Sie konnte ihm noch nicht einmal ansatzweise einen Vorwurf machen über seine Reaktion vorhin, obwohl sie dazu durchaus Gründe hätte. Aber für sie war sie allein Schuld an der Situation, und daher war ganz selbstverständlich, dass sie ihm alles gewähren würde, was er wollte, solange sie sich nur wieder vertrugen.
“Ich will nur mit dir wieder nach Hause. In unser Zuhause.“ -
Erleichtert atmete Penelope durch und sank dabei noch ein wenig mehr in Anthis Armen zusammen. Sie schmiegte sich einfach nur an ihn und war so froh, dass er ihr nicht böse deswegen war. Sie hätte es sich niemals verziehen, ihn wegen so einer dummen Sache zu verlieren. Sie küsste ihn, erst zärtlich, dann leidenschaftlich. Dann brach sie aber noch mal ab und schaute zu Boden, wischte sich mit den Händen die Tränen aus dem Gesicht und anschließend auch ihm vom Chiton – wobei letzteres eher sinnlos war.
“Ich bin ganz verheult, tut mir leid“, meinte sie kleinlaut, musste dann aber lächeln und küsste ihn noch einmal, diesmal sanfter. Sie war einfach nur glücklich, dass er sie trotzdem wiederhaben wollte. Denn das wäre ihre größte Angst gewesen, dass sie ihn wirklich verlieren könnte.
“Ich mach’s wieder gut. Ich versprech es“, brachte sie kurz hervor, ehe sie ihn weiter küsste. -
“Ich…schuld. …leid…bitte…alles…meine Schuld…. Ich hätte… Zettel… sollen. Bitte… nicht mehr böse…“
Das war in etwa das, was man als verständliche Worte zwischen dem Schluchzen bei Penelope ausmachen konnte. Sie hatte so ein furchtbar schlechtes Gewissen ihm gegenüber. Jetzt hatte er sich ihretwegen auch noch Sorgen gemacht! Da hätte sie aber auch dran denken müssen, dass er sich wohl Sorgen machen würde, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit noch nicht zuhause war! Sie hoffte nur, er konnte ihr verzeihen. Sie würde ihm alles, alles versprechen, wenn er ihr nur verzeihen würde. -
Sie spielte und spielte im Licht der Fackeln, und immer wieder flossen still Tränen über ihre Wangen. Aber dennoch spielte Penelope einfach immer weiter. Sie brauchte die Hilfe des Gottes so sehr, denn diese Sache war einfach zu groß für so ein kleines, menschliches Nichts wie sie. Und wenn sie auch sonst nichts zu geben hatte, die Musik konnte sie dem Gott schenken. Und so spielte sie eine ganze Weile, während der Gott stumm zusah, bis ihr schließlich die Knie weh taten, und dennoch spielte sie einfach ruhig weiter. Eine Melodie floss in die nächste hinüber, ohne wirklichen Anfang und ohne wirkliches Ende. Aber irgendwann waren die Tränen doch zu viel und sie bekam nicht mehr genügend Luft, um vernünftig weiterzuspielen. Und sie wollte den Gott nicht mit schiefen oder halben Tönen beleidigen. Also ließ sie die Melodie verklingen und setzte die Flöte ab, um sich kurz die Augen zu wischen und sich zu beruhigen.
Sie saß einen Moment nur da, als sie sich beobachtet fühlte. Beim Spielen blendete sie immer ihre Umgebung aus, aber jetzt, als sie geendet hatte, fühlte sie sich beobachtet. Sie sah zum Eingang, und sah Ánthimos. Auch, wenn sie nur seinen dunklen Umriss erkennen konnte, wusste sie, dass er es war. Selbst, wenn sie von ihm nicht mehr gesehen hätte als den Hauch eines Schattens hätte sie ihn noch erkannt.
“Danke“, flüsterte sie kurz der Statue zu und stand auf. Ihre Knie waren taub und ihre Schritte wackelig, aber dennoch lief sie flink wie eine Gazelle in die Arme ihres Mannes. Die Flöte fiel auf halben Weg klappernd auf den Boden, weil sie sie losgelassen hatte, um ihn zu umarmen.
Schluchzend und weinend umarmte Penelope einfach Ánthimos und vergrub dabei ihr Gesicht an seiner Brust. Sie war ja so dankbar, dass Pan ihn hierher geführt hatte. Sie wollte einfach alles wieder gut machen, aber im Moment konnte sie nur weinen und brachte kaum das “Es tut mir leid“ zusammenhängend und verständlich heraus. Sie wollte nur, dass er nicht mehr böse auf sie war. -
Es war schon eine Weile her, dass Penelope das letzte mal hier im Paneion gewesen war. Und sie erinnerte sich nicht mehr daran, wann sie das letzte Mal nachts hier gewesen sein mochte. Fackeln erhellten die Wege, und im Park unter dem Paneion war sogar ein Artist, der mit brennenden Fackeln jonglierte. Einige Menschen standen dabei, beobachteten das Schauspiel, schlenderten durch den Tierpark. Aber Penelope zog es nicht in ihre Gesellschaft.
Unsicheren Schrittes ging sie an ihnen vorbei und weiter. Ihr Weg führte sie hinauf, zum Heiligtum. Der Weg war anstrengend, aber es kümmerte sie nicht. Sie brauchte dringend Pans Hilfe. Sie wusste doch nicht, was sie machen sollte, sie wollte doch nie mit Ánthimos streiten. Der Gott hatte sie beide zusammengebracht, er würde sicher eine Antwort wissen. Diesmal hatte sie ihm keinen Weihrauch allerdings, den sie ihm opfern konnte, keine Blumen und nichtmal einen Opferkuchen. Sie hatte nur eine kleine Syrinx dabei, die an einem langen Lederband an ihrer Seite hing. Es war das einfachste aller Instrumente, das unscheinbarste. Jeder Schäfer auf den Feldern spielte sie, und die meisten davon besser als Penelope. Und doch hatte sie sie heute mitgenommen, für Pan, damit er ihr helfen würde.
Als sie endlich oben angekommen war, stand der Mond halb über dem Tempel und verfärbte so alles leicht blau. Lediglich die Fackeln direkt am Schrein bildeten einen goldigroten Kontrast und tauchten die Statue des bocksbeinigen Gottes in Unheimliches Licht. Unten im Park wurde getanzt und gelacht, und leise klangen diese Laute bis hier hoch. Penelope stand eine weile am Rand des Berges und schaute hinunter zu dem Treiben, zu den Fackeln und den lachenden und tanzenden Menschen. Alle schienen sie so fröhlich, und ihr erschien es richtig Unrecht, so betrübt zum Tempel des fröhlichen Gottes gekommen zu sein.
Sie setzte sich leise auf eine Steinbank und blickte hinauf zum Himmel. Die Sterne leuchteten hell heute Nacht, so dass man mit Leichtigkeit die einzelnen Sternbilder erkennen konnte, so man sie kannte. Auch sie sahen fröhlich aus, und Penelope fühlte sich noch ein wenig schuldiger.
Warum hatte sie ihm nicht einfach den dummen Zettel gegeben? War es ihr wirklich so wichtig, vertrauenswürdig und integer zu sein, dass sie es nicht einmal ihrem Mann sagen konnte? Was wäre schon dabei gewesen? Nungut, sie hätte das Vertrauen von Nikolaos damit missbraucht, aber der war ja auch nicht mit ihr verlobt. Von dem erwartete sie ja kein Kind. Was kümmerte es sie also, ob er ihr vertraute oder nicht?
Aber so war sie nun einmal. Anständig, zu jedem. Ohne böse Intrigen und ohne selbstgerechte Ambitionen. Aber warum musste sie das auch sein, wenn es zwischen ihr und Ánthimos stand?
Penelope hob die Panflöte an ihre Lippen und blies einmal sachte über die Rohre. Die Töne klangen sanft und doch verspielt, aber irgendwie nicht fröhlich. Sie sah hinüber zum Tempel.
“Es tut mir leid, dass ich dir kein fröhliches Lied spielen kann wie die Menschen da unten. Aber wenn du mir dennoch hilfst, großer Pan… ich spiele, für dich, wenn du willst, die ganze Nacht. Aber bitte, bitte zeig mir einen Weg, wie ich mich mit ihm wieder vertragen kann. Bitte, großer Pan, bitte hilf mir. Ich weiß doch nicht, was ich machen soll.“
Und wieder hob sie die Syrinx an die Lippen und spielte die alten, traurigen Hirtenmelodien, die schon so alt waren wie die Zeit und wohl immer gespielt werden würden, ohne dass auch nur jemals jemand eine Note dazu aufschreiben würde. -
Penelope war von alexandrinischer Mode ja so einiges gewohnt, aber das, was der Neuankömmling trug, war doch… anders. Ihm musste ja furchtbar heiß sein in dem vielen schwarzen Stoff, und sie wollte sich gar nicht erst ausmalen, wie er aussehen würde, wenn er das alles wieder auszog. Die meisten schwarzen Stoffe färbten fürchterlich auf die Haut ab. Vor allem, wenn man viel schwitzte. Deshalb trugen die meisten Arbeiter auch ungefärbte Stoffe – abgesehen davon, dass gefärbte teuer waren.
Das weder ihr Mann in spe noch ihr Schwager in spe sie vorstellten, verunsicherte Penelope ein wenig. Sie war es nicht gewohnt, sich in Gesellschaft von Männern selbst vorzustellen. Aber der Mann, den die beiden einfach nur Marcus nannten, überbrückte den unsicheren Moment, indem er sie offenbar erkannte. Ein wenig verwundert war Penelope schon. Sie war ja schließlich alles andere als berühmt, selbst wenn sie jetzt am Museion arbeitete. Sie kannte das von ihrem Großvater, den in seiner Glanzzeit jeder auf der Straße erkannt hatte. Aber sie hatte bislang noch nichts berühmtes vollbracht und war daher ein wenig erstaunt, dass er sie trotzdem erkannte. Sie konnte ja nicht wissen, dass das Marcus Achilleos war, der mit ihrem Mann im Gymnasion ein wenig trainiert hatte. Die ungefährlicheren Sachen, von denen man keine blauen Augen bekam.
“Chaire“, entgegnete sie also etwas schüchtern, aber mit einem freundlichen Lächeln. Ihn gleich mit seinem Namen anzusprechen war ihr dann doch ein wenig arg vertraulich, und sie war immer noch von dem Haus leicht verunsichert, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ. Äußerlich stand sie immer noch gerade und erhaben an der Seite ihres Mannes, wie eine der Marmorstatuen, höchstens mit einem etwas schüchternerem Blick. -
Wie ein verschreckter Hase stand Penelope regungslos da, als Ánthimos sprach. Zu lange hatte sie da bei ihrem Großvater gelebt und immer wieder Prügel bezogen, als dass sie anders auf die Wut und Kälte in seiner Stimme reagieren könnte. Auf einmal wirkte er so viel größer und kräftiger, als Penelope ihren Mann sonst sah. Sie wollte das gar nicht, aber diese Reflexe hatten sich einfach zu tief in ihre Seele gegraben, und auch die schönen Monate, die sie mit Anthi nun schon verbringen durfte, machten das Leben und die Erfahrungen davor nicht ungeschehen.
Und so rührte sie sich erst, als er zur Türe schon fast hinaus war.
“Anthi? Ánthimos? Ánthimos, warte bitte! Ich bitte dich! Ánthimos?“
Aber er kam nicht wieder, und sie wollte nicht den ganzen Gang ihm hinterher schreien. Er war auch schon aus ihrem Sichtfeld verschwunden.
Zitternd ging Penelope wieder in ihren Raum zurück und setzte sich erstmal auf den Stuhl. Ihr Blick fiel auf die Blumen, dann auf den Zettel. In einem Moment war alles noch so wundervoll gewesen, und im nächsten schon so fürchterlich. Kurz vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und schluchzte ein paar Mal. Aber nur kurz, denn sie musste sich hier drinnen beherrschen. Sie durfte hier nicht losheulen, das hier war ein Tempel der Musen und der Apollo, und es könnte ein Schüler hereinkommen. Sie war jetzt Philologos, da konnte sie sich nicht einsperren und weinen.
Aber dennoch wusste sie nicht, was sie jetzt tun sollte. Sie wusste, Ánthimos würde ihr nie etwas tun, das wusste sie einfach. Aber sie hatte trotzdem schreckliche Angst davor, er könne doch so wütend sein, wenn sie nach Hause käme. Das saß zu tief in ihr, diese Furcht, als dass diese sich einfach so wegwischen ließ. Ihre Hände hielten vorsichtig ihren Bauch, als wolle sie das Leben darin allein vor den Gedanken beschützen.
Zu Inhapy gehen und sie um Rat fragen ging auch nicht. Wenn Inhapy das erfuhr, würde sie fuchsteufelswild werden und wahrscheinlich zu Ánthimos marschieren und ihn zur Rede stellen. Und dabei wollte ihr Mann doch grade von ihr lernen, wie man ägyptische Medizin herstellte. Das konnte sie nicht riskieren, ihrem Mann das kaputtzumachen, nur weil sie feige war. Aber was konnte sie sonst tun?Penelope saß lange einfach da. weitere Schüler kamen heute nicht. Sie schaute immer wieder auf die Blumen und auf den Zettel. Sie wußte einfach nicht, was sie machen sollte. Nach Hause konnte sie nicht, wenn Ánthimos wütend auf sie war. Aber wo sollte sie sonst hingehen? Hier bleiben konnte sie ja auch nicht.
Schließlich fiel ihr nur ein Ort ein, wo sie hingehen konnte. Zum Paneion. Der Gott hatte schon so oft seine schützende Hand über das liebende Paar gehalten. Er hatte ihnen sogar ein Kind geschenkt, davon war Penelope überzeugt. Vielleicht würde ihr eine Lösung einfallen, wenn sie bei seinem Heiligtum war. Es musste einfach. Also ging sie dorthin, als die Sonne schon unterging. -
“Und reicht es nicht, dass ich ihn zurückweise und dir sage, dass es unwichtig ist? Wenn es etwas wäre, was unehrenhaft wäre und du als mein Mann wissen solltest, würde ich es dir sagen. Aber so ist es nicht, und er hat es mir im Vertrauen zu lesen gegeben! Ánthimos, willst du wirklich eine Frau, die das, was man ihr im Vertrauen sagt, gleich weitererzählt?“
Ging es hier denn wirklich um den Zettel oder nur darum, dass es der von Nikolaos war? Penelope war sich da nicht so ganz sicher. -
Einen Moment lang verschlug es Penelope die Sprache. Er glaubte, sie habe sich mit dem Gymnasiarchos auf ein Stelldichein verabredet? Sie schaute einen Augenblick lang verdattert, dann senkte sie den Kopf und drehte sich leicht seitlich weg. Das tat weh.
“Vielleicht solltest du denken, dass ich für dich alles aufgegeben habe und zu dir in die Wohnung gezogen bin. Dass ich dein Kind unter dem Herzen trage. Und alles, obwohl wir nicht verheiratet sind. Vielleicht solltest du denken, dass das alles deshalb so ist, weil ich dich liebe, und dir daher auch treu bin. Vielleicht sowas.“
Sie hatte das alles sehr ruhig und leise gesprochen, ohne ein Anzeichen von Zorn in der Stimme. Sie war auch nicht zornig, sie war zutiefst gekränkt, dass er ihr sowas auch nur zutraute. -
Bei dem Tonfall seiner Worte zuckte Penelope leicht zusammen. Warum war er denn jetzt so wütend auf sie? Hatte sie ihm dazu einen Grund gegeben? Er konnte doch wohl nicht allen ernstes sauer sein, weil sie von Nikolaos einen Zettel gelesen hatte? Sie hatte ihm schließlich gerade bewiesen, dass sie keiner seiner Avancen nachgab und Anthi treu war!
“Ja, richtig, nichts wichtiges. Warum bist du denn nun wütend auf mich?“ -
Schwer beeindruckt hatte Penelope das Haus betreten. Schon allein hier eingeladen zu sein war eine unerwartete Freude, aber den ganzen Reichtum zu betrachten war doch beeindruckend. Sie erinnerte sich noch gut an das Haus, das ihr Großvater eins im Brucheion besessen hatte. Das war auch sehr prachtvoll gewesen, denn Philolaos war damals alles andere als arm gewesen. Aber an diese Ausmaße kam es bei weitem nicht heran. Das Haus war riesig! Und jede Ecke zeugte davon, dass es den Bewohnern gut zu gehen schien.
Penelope fühlte sich ein klein wenig deplaziert. Natürlich, sie war nun eine Philologe, sie lehrte am Museion, sie verdiente gutes Geld. Aber in ihrem Kopf war sie immer noch nur die Schülerin ihres Großvaters, das Mädchen, dass er gnädigerweise aufgenommen hatte und dem er hundert Mal gesagt hatte, sie sei doch zu nichts nütze. Und jetzt hier im feinsten viertel der Stadt in einem so schönen Haus fühlte sie sich ein wenig auf dem Präsentierteller.
Aber dennoch mühte sie sich um eine tadellose Haltung. Das hatte sie lange genug gelernt bei ihren Auftritten, das war ihr eingetrichtert worden, bis sie es wie im Schlaf konnte. Sie stand gerade und ruhig und hatte sich bei Ánthimos leicht eingehakt. Ihr Blick fiel auf ihren Mann. Er hatte sich auch herausgeputzt und fein gemacht. Nur leider zerstörte sein Veilchen ein klein wenig den Gesamteindruck. Was musste er sich auch prügeln? Nungut, Trainieren, aber trotzdem.
“Ja, es scheint so. Weißt du, wer noch alles kommt?“
Penelope wäre es persönlich lieber gewesen, sie hätten sich leicht verspätet. Zum einen verspäteten Künstler sich, das gehörte dazu, und zum anderen hatte man dann nicht gleich die volle Aufmerksamkeit, solange man nicht der letzte war, der kam. Jetzt hier zu stehen und zu warten war ein wenig seltsam, vor allem, da sie nicht wusste, was sie so erwartete. Das machte sie nervös, aber sie konnte es gut überspielen.