Beiträge von Penelope Bantotakis

    :D Wurde er etwa verlegen? Penelope lächelte ihn einen Moment verschmitzt an, als sie es merkte, und zog sich danach noch ein wenig näher an ihn. Es war ein schönes Gefühl, ihren Arm bei seinem starken, ihre Schulter an seinem – naja, Oberarm. Er war doch ein gutes Stück größer als sie. Aber auch das war schön. Sie fühlte sich richtig sicher und beschützt.
    "Ja, die Rhomäer. Die sind ein Thema für sich. Also, ich bin durchaus dankbar, dass die zwei Legionen vor den Toren die Stadt vor Überfällen schützen, und der Basileus scheint auch ein ganz vernünftiger Mann zu sein. Mit einigen Wachen kann man sogar sich gut unterhalten. Aber die anderen… naja."
    Sie dachte dabei vor allem an die Patroullien, die ab und an durch Rhakotis zogen und jeden, sei er nun schuldig oder unschuldig, erst einmal einsperrten oder schlugen und im Dreck liegen ließen. Ihr als Frau passierte so etwas zwar normalerweise nicht, und es hatte auch noch nie jemand Hand an sie gelegt. Aber seit sie in dem Armenviertel wohnte, hatte sie einige Dinge gesehen, die sie lieber nicht gesehen hätte. Und wenn sie an den ein oder anderen Blick dachte, die ihr so mancher Trupp zugeworfen hatte, so dass sie schnell um einige Häuserecken verschwunden war, jagte es ihr selbst jetzt einen kalten Schauer über den Rücken. Sie hoffte, Ánthimos hatte es nicht bemerkt oder interpretierte es nicht falsch.


    "Ähm, wir sind dann… da."
    Irgendwie war sie traurig, schon angekommen zu sein, und sie ließ seinen Arm auch noch nicht gleich los. Wenn sie durch den Eingang schreiten würden, würde sie ihn selbstverständlich loslassen, aber noch war es ja nicht so weit. Und irgendetwas ließ sie noch zögern, ihm das Gebäude zu erklären und zu zeigen. Hier davor mit ihm zu stehen war im Moment einfach schöner.

    "Ein Bild auf der Kithara? Ich kann’s ja mal versuchen."
    Sie sah Ánthimos kurz lächelnd an, und das Glühen auf ihren Wangen wurde noch einmal stärker, weshalb sie sich wieder der Straße widmete. Sie hatte wirklich vor, sich für ihn eine Melodie auszudenken, ein Bild. Aber im Moment ging es nicht wirklich. In ihrem Kopf entstand eine Melodie, ein paar schöne Takte, und sobald sie zu Ánthimos dann schaute, war es wieder weg und sie konnte es sich nicht merken.
    "Du machst mich mit deinen Komplimenten ganz verlegen. Bist du zu allen Mädchen so charmant?" neckte sie ihn ein wenig.

    "Mich? Meinst du denn, ich bin als Modell geeignet?", fragte sie verlegen.
    Weil sie merkte, dass sie tatsächlich rot wurde, sah sie schnell in die Ferne. Das Gymnasion war nicht mehr weit, gleich kamen sie zur Hauptstraße, von da war es nur noch ein Katzensprung.
    "Wünsche? Wenn ich ehrlich bin, versteh ich nicht viel von Malereien. Aber ich liebe Musik, wenn du mir also etwas Musikalisches malen willst, freue ich mich natürlich."
    Wie auch immer man Musik malen konnte. Aber sie war sicher, Ánthimos ließ sich etwas einfallen.


    Sie bogen auf die Hauptstraße ein, die zu dieser Tageszeit gut besucht war. Penelope kam dichter zu Ánthimos, trotz ihrer zartrosa Wangen, und hakte sich bei ihm ein, um ihn nicht zu verlieren. Sie sah einmal kurz zu ihm hoch, ob es in Ordnung war, und deutete dann mit ihrer Nase in Richtung der Straße.
    "Da vorne ist die Agora und das Gymnasion. Deshalb ist hier auch so viel los. Man kann schon die Mauer sehen, die da vorne. Der Eingang ist nach links die Straße etwas hinein."

    "Ja, die meisten nehmen das an."
    Das Thema ihres Großvaters war ihr ebenso wie die Frage nach ihrem Zuhause ein wenig unangenehm. Zuzugeben, dass er blind war und wann immer er konnte soviel Wein in sich kippte, wie er fand und alles Geld, das Penelope nicht gut genug versteckte, sofort an der nächsten Ecke für ein Krümelchen Opium eintauschte, war schwer. Noch viel mehr, da sie ihren Großvater ja trotz allem noch liebte und verehrte.


    Da kam ihr der Themenwechsel gerade recht.
    "Oh, ich hätte wohl gerne ein Bild von dir. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass jemand darüber lachen würde. Würdest du mir denn eines zeichnen?"
    Ein wenig neckisch schaute sie zu ihm hinüber und das warme Gefühl am Ende ihrer Ohren kam wieder.

    Er fand ihre Hände schön? Wie aus Reflex fuhr sie sich mit den Daumen jeweils über Zeige- und Mittelfinger ihrer Hände, natürlich unauffällig. Die Saiten einer Kithara und auch einer Lyra waren straff gespannt, und wenn man ohne Plektron spielte, holte man sich beim Zupfen das eine oder andere Mal auch blutige Finger. So waren die Fingerspitzen ihrer rechten Hand nicht mehr ganz so geschmeidig und weich wie die ihrer linken. Man fühlte es zwar nur im direkten Vergleich, aber dass sie nicht die Hände eines adeligen Mädchens hatte, war nicht zu verheimlichen.
    Daher verunsicherte das Kompliment sie ein wenig, und auch seine Worte danach brachten sie ein wenig in Verlegenheit. Es war wirklich lieb von ihm, so etwas zu sagen und ihr so Mut zuzusprechen. Von ihrem Großvater bekam sie immer nur zu hören, dass die panhellenischen Spiele im Allgemeinen und die pythischen im Besonderen nichts für Frauen waren und sie sich solche Träumereien aus dem Kopf schlagen sollte. Aber meistens sagte er das im Rausch, und dann war er immer gemein, also wusste sie nicht, wie ernst er es meinte.
    Ánthimos Zuversicht hingegen berührte sie irgendwie. Er war wirklich niedlich. Verstohlen warf sie ihm noch einmal einen Blick zu, als sie aber sah, dass er gerade auch schaute, fühlte sie sich ertappt und rettete sich in ein schüchternes Lächeln. Normalerweise war sie nicht so zurückhaltend und unsicher. Sie konnte vor dreihundert Menschen fehlerfrei eine schwierige Melodie spielen, ohne dabei auch nur aus der Ruhe zu kommen. Aber das war etwas, das sie kannte, und das mit Ánthimos hier kannte sie nicht. Sie hoffte, er hielt sie nicht für einfältig.
    "Nun, du trägst schon das Instrument eines berühmten Künstlers, der Lorbeer errungen hat. Harmonia gehört meinem Großvater, ich darf sie nur mitnehmen, wenn ich Arbeit suche oder etwas Geld verdienen will."

    Oh, da hatte sie ja gar nicht dran gedacht. Jetzt war es ihr irgendwie peinlich, so vergessen dahergeredet zu haben. Sie hätte ja fast genauso gut sagen können „komm, ich möchte dich nackt sehen“. Was er jetzt nur von ihr denken musste? Penelope schloss kurz die Augen, um sich nichts anmerken zu lassen und sich zu sammeln. Besser, sie überging das einfach, als wäre nichts gewesen.
    "Ja, nachts kommen die merkwürdigsten Gestalten heraus, wie wohl in jeder großen Stadt. Die Stadtwache tut zwar ihr möglichstes, aber sie können eben auch nicht überall sein. Aber wenn ich mir dich so ansehe, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich ein Beutelschneider freiwillig mit dir anlegen würde."
    Penelope lachte bei der Vorstellung. Ánthimos war groß und stark, wäre sie ein Dieb, würde sie sich leichtere Opfer suchen. Wenn er einen Dieb erwischte, konnte er ihn unangespitzt in den Boden rammen. Irgendwie gab es ihr ein sicheres Gefühl, mit ihm hier so entlangzuschlendern.
    "Wie lange ich schon spiele? Nun… meine Mutter hat wieder geheiratet, da war ich vier. Vorher waren wir schon bei Großvater eingezogen, aber das war nur ein halbes Jahr…" Es war mehr lautes Denken als wirkliches Erzählen. Penelope konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie ihre Mutter ausgesehen hatte, so lange war es schon her. In ihrer Erinnerung spielte sie schon immer Kithara. "Ich kann nicht älter als fünf gewesen sein, als der Unterricht richtig anfing. Ich weiß es aber nicht mehr genau, ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, wie es ohne Musik war. Und nächsten Monat werde ich siebzehn, also sind es jetzt schon bestimmt 12 Jahre, die ich übe. Ich hoffe ja, dass ich eines Tages gut genug bin, um nach Delphi zu fahren. Aber als Frau ist das… sehr schwer."
    Ja, das wäre ein Traum, eines Tages selbst den Lorbeerkranz in Delphi zu erhalten. Aber als Frau war es so gut wie unmöglich, daran teilzunehmen. Zunächst bräuchte sie einen Förderer, der ihre Reise zahlte, und dort für ihre Sicherheit bürgte. Und sie musste so gut sein, dass ihr Ruf schon so weit reichte, dass sie einfach daran teilnehmen musste. Es gab ohnehin wenig Musikerinnen in dieser Männerdomäne.
    "Und wie alt bist du?"

    Penelope zupfte kurz am Tragegurt herum, wobei es sich nicht vermeiden ließ, Ánthimos zu berühren. Aber schließlich musste sie den Sitz doch prüfen. Aber die Kithara würde nicht herunterfallen, außer, Ànthimos fiel die Schulter ab.
    "Ja, das schaut gut aus."


    Also spazierten sie beide los in Richtung des Herzens von Alexandria. Die Agora und das Gymnasion lagen an der Meson Pedion einander gegenüber, das Museion nur ein Stück weiter. Da war näher dann ein sehr relativer Begriff, es lag alles fast am selben Fleck.
    "Es ist alles nicht weit voneinander entfernt. Ich würde sagen, wir fangen beim Gymnasion an. Dann kannst du mir ja vielleicht ein bisschen von deinem Können demonstrieren, nachdem du von meinem schon eine Kostprobe erhalten hast."


    Seine Frage nach ihrer Wohnung war Penelope ein bisschen unangenehm. Sie schämte sich, in diesem ärmlichen Haus zu wohnen. Es war zwar in einem der besseren Abschnitte von Rhakotis, sofern man da von besseren und schlechteren sprechen konnte, aber nichts desto trotz schrie es geradezu ihre Armut und den Verfall ihres Großvaters heraus. Deswegen wurde sie auch etwas weniger fröhlich.
    "Das geht schon, so weit ist es nicht. Nur muss ich vor Einbruch der Dunkelheit zuhause sein, oder du musst mich begleiten. Nachts ist es allein nicht überall sicher als Frau."

    Ihr Großvater würde sie eigenhändig erschlagen, wenn sie die Kithara verlieren würde. So blind konnte er nicht sein, dass Penelope ihm dann entgehen könnte, das wusste sie. Und einem Fremden die Kithara einfach so zu geben, der damit auch einfach auf und davon könnte, war ein großes Risiko. Philolaos hätte die Kithara wahrscheinlich nicht einmal dem Strategos höchst persönlich zur Aufbewahrung anvertraut, und er war jedes Mal fuchsteufelswild, wenn Penelope Harmonia mitnahm, um ein paar Münzen zu verdienen. Vor allem, da sie durch Rhakotis damit laufen musste, was für eine Frau ohne Begleitung auch am Tag nicht ungefährlich sein konnte.
    Daher zögerte sie kurz bei seinem Angebot und musterte Ánthimos einen Augenblick lang. Immerhin kannte sie ihn kaum. Aber sie glaubte nicht, dass er sie in einer dunklen Gasse erschlagen würde, und die Kithara war so auffällig, dass alles andere dazu geführt hätte, dass er sie nicht würde verkaufen können. Das war das einzig Gute an wertvollen Instrumenten. Also nahm sie den Gurt vorsichtig von der Schulter und reichte ihn weiter.
    "Danke, das ist sehr nett."


    Es war ein bisschen komisch, mit Ánthimos zu spazieren. Sie hatte schon lange kein ernstzunehmendes Rendezvous gehabt – auch wenn das hier keines war, kam es einem doch schon ziemlich nahe. Die meisten Kerle waren ungehobelte Idioten, deren eindeutige Angebote sie eher anwiderten. Früher, als sie selbst noch hier im Brucheion gewohnt hatte, war das natürlich anders gewesen. Aber da war sie noch zu jung gewesen, um die wirklich schönen Seiten davon auszukosten.
    Also lief sie auch etwas unsicher neben Ánthimos her und wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Er war ja richtig süß, wie er sich so gab und wie er lächelte. Aber sie wusste nicht so recht, was er von ihr erwartete oder welches Bild er von ihr hatte.
    "Die Agora, das Gymnasion und das Museion liegen alle in dieser Richtung. Wohin willst du zuerst?"

    Penelope war ein klein wenig überrascht. Nicht von dem Spaziergang, sondern von der Einladung zum Essen. Es schien eine Ewigkeit her, dass sie zu irgendetwas eingeladen worden war. Und so brauchte sie einen Moment, in dem sie Ánthimos perplex anschaute, bis sie ihm antwortete.
    "Ja, gerne. Das heißt, wenn deine Brüder einverstanden sind. Ich möchte dich hier ja nicht entführen. Ich muss dann nur Harmonia kurz richtig einpacken."
    Die Kithara konnte sie nicht so einfach da lassen. Die musste auf jeden Fall mit, aber das dauerte ja nur einen Moment. Und wenn sie am Abend wieder hierher kommen würden, konnte sie dann auch Lyros noch fragen, ob er sie einstellen würde. Und natürlich freute sie sich auf die Gelegenheit, Ánthimos etwas besser kennen zu lernen.

    "Faustkampf? Bei dem schönen Gesicht?"
    Die Aussage war Penelope rausgerutscht, und so war sie froh, dass der Bogen sie sogleich ablenkte und die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zog. Aber es stimmte ja, was sie sagte. Sie mochte Ánthimos Erscheinung, und ihn sich mit aufgeschlagener Lippe und Nasenbruch vorzustellen, war nicht unbedingt das, was ihr Herz erfreute. Und die meisten Faustkämpfer, vor allen bei der Olympiade, verließen den Platz mit gebrochenen Knochen oder ausgeschlagenen Zähnen. Noch unerbittlicher war nur Pankration, das nur durch Aufgabe eines Gegners beendet wurde. Oder dessen Tod. Aber vermutlich gehörte so etwas einfach bei einem richtigen Mann dazu.


    Der Bogen war ein wunderschönes Stück. Penelope bewunderte die schönen Schnitzereien auf seiner Oberfläche. In Kunstfertigkeit stand dieser ihrer Harmonia sicher in nichts nach. Da sie selber es nicht leiden mochte, wenn jemand anderes ungefragt ihre Kithara anfassen wollte, berührte auch sie den Bogen nicht. Kaum ein Handwerker konnte es leiden, wenn jemand anderes sein Werkzeug berührte.


    "Herakles, oder? Ein wirklich schönes Stück. Auch wenn es nur eine Saite hat." Penelope erwiderte sein Zwinkern mit einem neckischen Grinsen.


    "Beim Gymnasion ist auch das Arbeitszimmer des Gymnasiarchos. Vor einiger Zeit hat der Mal einen Schreiber gesucht. Ich weiß nicht, ob er schon einen gefunden hat. Aber da kannst du auch Lyros fragen, das Gasthaus hier gehört nämlich dem Gymnasiarchos.
    Die neue Pyrtanie hat auch eben erst begonnen, vielleicht sucht der eine oder andere noch einen Schreiber passend zu seinem neuen Posten.
    Und zum revanchieren fällt uns dann schon was ein.
    "
    Wenn das alles bis nach Sonnenuntergang dauerte, brauchte sie beispielsweise eine Eskorte nach Hause. Nachts als Frau allein durch Rhakotis zu laufen, noch dazu mit einer teuren Kithara auf dem Rücken, das war nicht unbedingt eine gute Idee.

    Eine preisgünstige Bleibe und eine gut bezahlte Arbeit. Wer suchte die nicht in Alexandria? Allerdings sahen die drei hier trotz des Reisestaubes gepflegt aus und wenn Ánthimos Mutter es sich damals hatte leisten können, von Memphis nach Alexandria zu reisen, nur um Philolaos zu hören, musste sie zumindest früher einmal Geld besessen haben. Das ließ auf eine einigermaßen gute Bildung hoffen. Und damit ging es den dreien vermutlich besser als den Meisten derer, die hier in Alexandria nach Arbeit suchten und nichts vorzuweisen hatten.


    "Gerne helf ich euch. Ich kann euch nachher gerne ein wenig herumführen. Auf der Agora ist ein Anschlagbrett, da stehen manchmal Arbeitsplätze ausgeschrieben. Und ansonsten kann ich euch auch gerne alle wichtigen Gebäude zeigen."


    Einen Arbeitsplatz konnte sie selbstverständlich nicht so einfach aus der Tasche schütteln. Wenn sie das könnte, würde sie selbst nicht suchen müssen. Und abgesehen davon kannte sie die drei ja gar nicht und hatte keine Ahnung, was sie denn als Arbeit suchten und wo ihre Begabungen lagen. Als Zeichner hatte man es manchmal noch schwerer als als Musiker. Wenig Leute ließen im Vorbeigehen einige Münzen für einen fallen, nur um ein Bild anzuschauen. Bei Musik war das anders.
    Auch Penelope bemerkte die Rhomäerin, die den Raum betrat. Einen Rhomäer erkannte man in Alexandria sofort. Sie hatte zwar nichts gegen sie – und das, obwohl sie nun schon über ein Jahr in Rhakotis wohnte – aber sie hatte im Gegensatz zu Thimótheos Hemmungen, solche Leute anzusprechen. Er winkte ihr aber genauso fröhlich herüber, wie es Ánthimos vorhin mit ihr gemacht hatte.
    Aber Penelope widmete sich lieber wieder ihrem Gesprächspartner, als auf die Reaktion der Rhomäerin zu achten. Ánthimos schien ein überaus netter Kerl zu sein. Dazu sah er noch ziemlich gut aus, und dass er davon sprach, dass er gerne zeichnete und Musik hörte, zeigte seine musische Ader, die Penelope bei allen Menschen immer sehr schätzte. Aber er sagte, er mache das "neben dem Sport". Dass er sportlich war, konnte man unschwer an seinen Muskeln sehen. Aber so, wie er es sagte, war der Sport ihm wohl wichtig.


    "Ich könnte euch auch nachher mal am Gymnasion vorbeiführen, wenn du magst. Welchen Sport trainierst du?"


    Während sie sprach, zog Penelope langsam wieder Harmonia aus und wickelte sie vorsichtig in das Tuch ein. Es schien nicht so, als solle sie noch mehr jetzt spielen, und die Kithara im sicheren Tuch verstaut war es bequemer für sie, sich mit Ànthimos zu unterhalten.

    Penelope versuchte, das Kompliment so bescheiden wie möglich aufzunehmen. Allerdings konnten ihre Augen kaum verhehlen, wie sehr es ihr schmeichelte. Auch sie ließ erstmals einen längeren Blick über Ánthimos gleiten. Er sah sehr kräftig aus und hatte ein ehrliches Gesicht. Auch seine Stimme war angenehm, wenn auch nicht die eines Sängers. Alles in allem fand sie ihn durchaus anziehend.
    Seine Frage allerdings war nicht ganz so einfach für sie zu beantworten. Schließlich hatte sie nicht vor, ihm gleich ihre ganze Lebensgeschichte auf die Nase zu binden, schon gar nicht, wo sie sich erst seit fünf Minuten kannten und erst recht nicht in einem Gasthaus. Aber vermutlich kannte er Philolaos sowieso nicht, oder hielt ihn wie die meisten für verstorben.
    "Nunja, diesbezüglich hat es durchaus Vorteile, die Enkelin von Philolaos, dem Kitharisten, zu sein. Und ich hatte gehofft, dass Lyros mich hier vielleicht ein paar Mal spielen lässt, oder mich fest einstellt. Leider konnte ich noch niemanden überzeugen, mir als Kitharist Arbeit zu geben."
    Andere Angebote hatte sie eine Menge bekommen, vor allem in den Schenken für die weniger betuchte Gesellschaft. Sie musterte die drei noch einmal. "Ihr seid nicht aus der Gegend, oder?" fragte sie gut gelaunt.

    Das ließ sich Penelope natürlich nicht zweimal sagen. Sie schenkte Ánthimos ein dankbares Lächeln, wenn dieser vermutlich auch nicht wusste, wofür er das nun bekam. Vorsichtig löste Penelope die Lederschnur, die den Stoff festhielt, und schlug den Stoff bedacht auf.
    Harmonia war immer wieder ein Anblick für sich. Die Kithara war aus dunkelrotem Holz gefertigt und so lange poliert worden, bis sie fast schwarzrot glänzte. Die beiden Hörner waren leicht gebogen und hielten einen dünnen Steg aus hellem Holz, der die Saiten hielt. V-förmig verliefen diese nach unten über den fast runden Klangkörper zu dem ebenfalls aus hellem Holz gefertigten Saitenhalter. Aber das eigentlich beeindruckendste an dem Instrument war die Rückseite. Eine dünne Schicht des Holzes war eingeritzt worden und Elfenbein war so eingelassen worden, dass dort weiß auf dunkelrot alle neun Musen zu sehen waren.
    Philolaos hatte diese Kithara geschenkt bekommen, als er vor über zwanzig Jahren, noch vor Penelopes Geburt, bei den pythischen Spielen einen Lorbeerkranz gewonnen hatte. Damals musste er in Alexandria wie ein Gott gefeiert worden sein, aber dieser Ruhm war schon lange, lange vorbei.
    Das dicke Band, das vorhin die Kithara auf ihrem Rücken gehalten hatte, legte sich Penelope wieder um die Schulter. Eigentlich war dieser Tragegurt dazu da, dass man im Stehen bequem spielen konnte. Aber Penelope wollte gar nicht aufstehen, sollte ihr Spiel doch eher wie ein zufälliges Stück und nicht wie ein geplanter Auftritt aussehen. Sie legte den Gurt nur aus der Macht der Gewohnheit heraus an. Mit dem Stuhl rückte sie ein wenig vom Tisch weg, um Platz zu haben, und damit der Klang sich besser entfalten konnte.
    Ihre linke Hand ruhte hinter den Saiten, weit oben, um diese zu verkürzen oder Töne zu stoppen. Ihre Rechte fuhr einmal fast zärtlich über alle zwölf Saiten und entlockte diesen leise singende Klänge. So leise diese waren, so große Macht hatten sie, denn irgendwie schien alles gedämpfter. Das Klappern der Becher, die Geräusche der Küche, alles schien auf die Melodie zu warten, die diese kleine Tonfolge versprochen hatte.
    Ohne Plektron fing Penelope an, eine Melodie zu spielen. Es war die, mit der ihr Großvater damals bei den Spielen seinen Lorbeer errungen hatte und die sie über tausend Mal geübt hatte, bis sie sie schließlich perfekt beherrschte. Aber sie spielte sie weicher, sanfter, fließender. Ein Ton schien in den nächsten hinüberzuschweben, so dass zwei, drei in perfekter Harmonie durch den Raum schwangen. Die Melodie war leicht und fröhlich, an manchen Stellen sehnsüchtig, fließend wie Regen an einem Frühlingsmorgen. Penelope war ganz in ihr Spiel vertieft und nahm kaum etwas außerhalb dieser Klänge wahr. Erst, als der letzte Ton verklang, hob sie wieder den Kopf und lächelte selig ihre drei Tischgenossen an.

    So kostbar war das Tuch eigentlich auch wieder nicht. Wobei, im Vergleich zu dem Rest, den Penelope so trug und auch dem, was die drei anhatten, war es wohl kostbar zu nennen. Einen Moment stutzte sie, dann strahlte sie.


    Ich bin Penelope, und das ist Harmonia.“


    Vorsichtig ließ sie das Bündel auf einen Stuhl ab. Ganz leise klangen die Seiten durch den Stoff, als Penelope sie berührte, um den sicheren Stand des Bündels zu überprüfen. Erst dann setzte sie sich und schmunzelte noch mehr, wohl wissend, dass sie mit dem einen Wort wohl kaum erklärt hatte, was nun in dem Bündel war.


    Es ist die beste Kithara, die je gebaut wurde.


    Das war zwar eine Übertreibung, aber eine angebrachte. Harmonia hatte ihren Namen verdient, Penelope kannte keine Kithara, die halb so klar und rein klang wie diese.


    Soll ich euch etwas vorspielen?


    Wenn die drei jetzt ja sagten, konnte Lyros später unmöglich nein sagen. Sie brauchte nur eine einzige Chance, vorspielen zu dürfen. Penelope wusste, dass sie gut war. Ein ganzes Leben der ständigen Übung und ein strenger Lehrmeister schufen Perfektion. Aber dennoch klang ihr Vorschlag ganz beiläufig und freudig.

    Penelope fragte sich, ob sie etwas auf der Nase hatte oder ob ihr Chiton falsch gebunden war. Der jüngste der drei Männer grinste so fröhlich einen Moment zu ihr herüber, dass sie ein wenig verwirrt war. Aber nach außen hin ließ sie sich nichts anmerken. Sie hatte schon vor gröhlendem, vor schweigendem, vor missmutigem, vor betrunkenem, vor in Gesprächen vertieftem Publikum gespielt, grinsendes Publikum brachte sie da auch nicht mehr aus der Ruhe. Zwar spielte sie im Moment nicht, aber sie hoffte ja, dass das sich bald ändern würde.
    Allerdings war der größte der drei Fremden etwas schneller als Lyros. Sie glaubte zwar, dass der Wirt sie gesehen hatte, aber der konnte sich nun kaum zwischen seine Gäste drängen. Wobei, Lyros konnte schon, er war ein sehr herzlicher Mann nach allem, was man so hörte. Bevor sie es herausfand, schaute sie sicherheitshalber noch einmal fragend zu dem Großen hinüber, und als sie sicher war, dass er wirklich sie meinte, ging sie zu den drei Männern an den Tisch.


    "Chairete", begrüßte sie sie, vielleicht etwas zaghaft. Neugierig wartete sie darauf, was nun passieren würde.


    Harmonia indes wurde ziemlich schwer auf dem Rücken und rutschte leicht, so dass Penelope den Gurt kurz auf der Schulter richtete. Das würde ihr gerade noch fehlen, dass die wertvolle Kithara herunterfiel.

    Leise wie ein Schatten trat Penelope in die Schankstube des Gasthauses. Harmonia auf ihrem Rücken war von feinem Stoff umwickelt, der kostbarer war als ihr Chiton. So viel hatte sie weggegeben und verkauft, nur Harmonia war noch in ihrer ganzen Pracht erhalten.
    Eigentlich mochte Penelope Gasthäuser nicht besonders. Die, die eine vornehmere Klientel hatten, wollten meistens keine Frau als Kitharist oder hatten ohnehin schon einen, und in den einfachen Schänken gab es immer wieder Männer, die nicht akzeptieren wollten, dass sie nur musikalische Zerstreuung anbot. Also musste sie mit dem Wirt alles Geld teilen, damit er ihr diese Kerle vom Leib hielt. Aber zuhause waren die verbliebenen Vorräte knapp geworden, und alle Menschen mussten essen. Auch Penelope.
    Sie stellte sich so hin, dass Lyros sie sehen musste. Vor zehn Jahren hätte man ihren Großvater noch angefleht, hier zu spielen. Vor fünf Jahren hätte sie bewundernde Blicke vom ganzen Raum geerntet, einfach weil sie die Enkelin vom großartigen Philolaos war. Sie hätte nicht einmal spielen brauchen, der Name hätte ausgereicht. Aber zwei Jahre früher hätte sie schon mit Nachdruck betonen müssen, welch großer Kitharist Philolaos war, und seit einem Jahr schien er ganz vergessen zu sein. Kein Wunder, in Rhakotis war die Lebenserwartung nicht besonders hoch, und man vergaß nur zu gerne alle, die dort wohnten.
    Sie hoffte, dass er sie spielen ließ und ihr nicht mehr als die Hälfte von allem, was sie verdiente, abnahm. Hier hatte sie noch nie gespielt, aber sie hoffte, sie hatte Glück. Sie hatte nur gutes von diesem Gasthaus gehört, was auf viele Gäste mit gut gefüllten Geldbeuteln hoffen ließ. Und vielleicht durfte sie ja auch ein wenig altes Brot mit nach Hause nehmen. Sie schaute ruhig zu Lyros hinüber, der sich grade mit seinen Gästen unterhielt. Drei junge Männer, deren Kleidung etwas staubig und abgetragen schien. Penelope hoffte, dass sie trotzdem vielleicht eine Münze für sie übrig hatten.