Beiträge von Penelope Bantotakis

    “Da stellt er wenigstens keinen Blödsinn an“, kommentierte die Hebamme die Nachricht knapp. Ehemänner waren bei Geburten schrecklich unbrauchbar. Die stellten sich zumeist schlimmer an als Jungfrauen. Am besten war es, man schickte sie mit etwas Geld in der Tasche spazieren. Wenn sie dann von ihrer Tavernentour zurückkamen, konnten sie meist das Neugeborene sich kurz anschauen und der Frau entweder danken, dass sie einen Erben geboren hatte, oder aber zur Kenntnis zu nehmen, dass sie eine Tochter nun hatten. Einige wenige schafften es sogar, sich über ein hübsches und gesundes Töchterlein zu freuen.
    “Als erstes bringen wir sie mal ins Zimmer und bereiten dort alles vor. Gesänge, Weihrauch zur Geistervertreibung und so weiter, wenn wir schon soviel Zeit haben. Und dann müssen wir schauen, ob wir alles da haben. Vor allem Tücher werden wir brauchen, was der Haushalt hergibt. Penelope hat schmale Hüften, noch immer…“
    “Ich bin übrigens da und kann mithören. Und du hilfst mir so nicht gerade…“, maulte die werdende Mutter, die sich etwas bei dem Gespräch übergangen fühlte.
    “Weiß ich doch, Schatz. Mach dir mal keine Gedanken. Mir ist noch keine Frau bei der Geburt gestorben, und du wirst mir nicht den Anfang machen. Und trotzdem brauchen wir Tücher oder Stroh oder etwas vergleichbares.“
    Immerhin wollten sie ja nicht das Zimmer total einsauen. Irgendwer musste das ja auch wieder putzen, und in den Familien, in denen Inhapy meistens war, war das die junge Mutter meist selbst. Daher lieber im vornherein etwas mehr Arbeit, um sie später zu entlasten.
    “Aber dann lass uns jetzt erstmal hochgehen und schauen, was da ist und was noch fehlt. Und du konzentrierst dich jetzt erstmal nur darauf, wann die nächste Wehe kommt, und probierst das mit dem Atmen dann gleich aus. Weißt doch noch, hecheln wie ein Hund, und schnaufen wie ein Schmiedebalg.“
    Inhapy ließ auch keine weiteren Widerworte zu und führte das kleine Frauengrüppchen in das Schlafzimmer

    Sim-Off:

    Auch hier Entschuldigung, aber wirklich, wirklich viel zu tun grad



    Penelope lächelte. Ihr gefiel Nikolaos Antwort, denn sie war nicht so starr wie die Meinung vieler ihrer Kollegen, die glühende Verfechter der einen oder der anderen Theorie waren und die jeweils andere nicht gelten lassen mochten. Doch Nikolaos bewies selbst mit dieser eigentlich belanglosen Antwort sein diplomatischen Geschick und gab beiden Recht. Penelope, die selbst diese Balance und Harmonie als goldenen Mittelweg für sich gefunden hatte und von jeder Lehre das nahm, was passen mochte, war daher sehr davon angetan.
    “Eine interessante Antwort. Vielleicht stimmt es ja, was im Osten gesagt wird, und die erste Sprache, die gesprochen wurde, war Musik, und wir erinnern uns an die Zeit vor unserer Geburt, wenn wir sie hören.“
    Penelope wusste nicht mehr genau, wo sie das gehört hatte, aber es hatte ihr gefallen. Irgendwie schien es zu treffen. So wie Mathematik eine allgemeine Sprache war, war Musik als ihr Teilbereich auch eine, die jeder verstehen konnte, unabhängig von seiner sonstigen, geistigen Leistung.


    “Aber verschieben wir diese Diskussion vielleicht auf später. Immerhin wolltest du auch lernen, zu spielen. Nimm das Plektron, so wie ich.“
    Sie zeigte ihr eigenes, wie sie es zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, damit Nikolaos es einfach nachahmen konnte.
    “Beginnen wir mit dem anzupfen der einzelnen Seiten. Erstmal nur eine Tonleiter, von Néte nach Hypáte. Immer einzeln.“
    Penelope spielte vor. Auf ihrer zwölfseitigen Harmonia konnte sie auch seine Skala problemlos spielen, und von der Untersten (Néte) zur Obersten (Hypáte) Saite zu spielen war nun wirklich keine schwere Aufgabe.
    Nachdem Nikolaos Sicherheit im Anschlagen der Töne gefunden hatte, probierte sie mit ihm eine kleine Melodie.
    “Gut. Dann wollen wir das Streichen probieren. Je nach der Richtung, in die du streichst, ändert sich die Klangfarbe. Der letzte Ton bleibt besonders im Gedächtnis, also spiel mehr nach unten zu den hohen Tönen, wenn du fröhlich spielen willst, und mehr zu dir, wenn es betrübter wirken soll. Du musst nicht immer alle Saiten nehmen, nur Start und Ende tragen den Laut“, erklärte Penelope und gab ihm auch hier eine Probe von dem, was sie meinte.



    Sim-Off:

    Mal zum Anhören, wie so eine Kithara dann klingt, HIER ein schönes Klangbeispiel

    Sim-Off:

    Sorry für die lange Wartezeit, hab grad viel um die Ohren


    Aber die konnten doch nicht einfach…! Fragte sie denn hier niemand, ob sie überhaupt mit irgendwas davon einverstanden war? Erst ging Anthi einfach los, und dann auch noch Emi! Die konnten das doch nicht einfach so machen!
    “Garten, wie…? Ähm, nein, nein, lieber nicht.“
    Von dort war es ein ganzes Stück bis in ihr Zimmer, und wenn es weiterhin so schnell ging, wollte sie nicht riskieren, das Kind noch auf der Treppe zu bekommen. Nein, dazu brauchte man einen abgeschlossenen Raum, damit die Geister draußen blieben und nur die guten Dämonen im Raum die Geburt überwachten. Auch wenn dieses Haus kein richtiges Gynaikon hatte, so würde ihr Schlafzimmer wohl denselben Zweck erfüllen und alle Männer und bösen Geister fernhalten.
    Da fiel Penelope noch etwas anderes ein.
    “Oh, ich muss Bendis noch einmal opfern, bevor es losgeht…“ Bendis-Artimis, die Göttin der Jagd, der Geburt und des Mondes, Schützerin der Frauen bei der Geburt, die bei Mensch und Tier für Vermehrung sorgte, der sollte gedacht werden.
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    “Du musst gar nichts“, kam da eine befehlsgewohnte, ägyptische Stimme vom Eingang aus her, während Inhapy mit ihrer Tochter Hatnofer im Schlepp eintrat und kurz skeptisch die Szene musterte. Sie musterte die ihr fremde Frau kurz, erkannte sie als Ägypterin und sah kurz einmal fragend zu Penelope. Allerdings beließ sie es bei dem einen kurzen Blick, jetzt gab es wahrlich wichtigeres.
    “Also ist es heute endlich so weit? Geht es dir gut, fühlst du dich kräftig? Wann war die letzte Wehe, und die davor?“
    Inhapy hielt sich gar nicht erst mit einer Vorstellungsrunde auf, sondern kam gleich zum wesentlichen. Ihre ruhige Art wirkte, als könne sie gar nichts erschüttern, als sie ganz ruhig Penelope einmal kurz über den freien Oberarm strich und auf Antwort wartete.


    Ich… ja, mir geht es soweit gut. Aber es ist noch so viel unerledigtes liegen geblieben, was ich noch vorher hätte machen sollen. Und die Küche… da hat es angefangen, vor etwas über einer Stunde. Da hab ich alles stehen lassen. Und das Opfer…“
    “Ach, Paperlapapp“, schnitt Inhapy Penelope das Wort ab. “Schauen wir uns lieber mal das Zimmer an und machen dort alles bereit. Hier unten schaffen die das schon.
    Willst du bei der Geburt helfen? Warst du schon bei einer dabei und weißt, was zu tun ist?“
    fragte Inhapy schließlich noch Kiya. Sie musste einordnen können, wer gleich wo war und auf wen sie zählen konnte (oder wen sie herumkommandieren konnte, je nachdem).

    In ihrem Redefluss wollte Penelope schon der Sklavin antworten, dass sie sehr wohl schon mit Kindern zu tun hatte. Welche Frau hatte das denn nicht? Außer vielleicht bei den Rhomäern, die ihre Kinder wohl bevorzugt Ammen und Sklaven zum Großziehen anvertrauten. Die sehr feinen griechischen Damen waren da auch nicht viel anders, aber Penelope hatte lange Jahre in Rhakotis gelebt. Da gab es genug Kinder, mit denen man Umgang hatte und mit denen man klarkommen musste. Nicht zuletzt die Rasselbande von Inhapy.
    Aber nach der Wehe war das alles vergessen, auch der ganze Ärger. So langsam aber sicher wurde es real, und es ging doch schneller, als Penelope gedacht hätte. Sie dachte, sie hätte mehr Zeit, um noch alles zu richten, und am meisten machte sie nervös, dass Inhapy noch nicht da war. Die Ägypterin würde doch hoffentlich kommen? Was, wenn nicht? Wussten dann die anderen hier, was alles zu tun war?
    “Ich glaube, ich möchte lieber herumlaufen.“
    Sie wollte sich lieber nicht hinsetzen. Es gab ja auch noch so viel zu tun! Da konnte sie sich doch nicht einfach hinsetzen. Außerdem hatte Penelope Angst, dass sie dann nicht wieder hochkam mit dem Bauch und den Wehen obendrein.
    Sie ließ sich von Kiya stützen und machte ein paar noch recht wackelige Schritte, nachdem Anthi sich mit einem kleinen Kuss in die Küche verabschiedet hatte.


    Oh, die Küche!


    Das hatte Pelo jetzt schon beinahe wieder vergessen. “Oh, ich hab noch gar nichts gekocht. Das muss ich noch machen, bevor es nicht mehr geht.“
    Und schon machte Penelope Anstalten, wieder in Richtung Küche zu watscheln, um dort für die Familie noch zu kochen. Vorher konnte sie doch kein Kind bekommen!

    Er hatte eine Sklavin gekauft. Schon wieder. Eine hübsche Sklavin. Schon wieder. Ohne sie vorher zu fragen. Schon wieder! Wäre er grade nicht sowieso schon so blass um die Nasenspitze gewesen, hätte Penelope ihn wohl gewürgt dafür. So aber fasste sie sich nur an den Kopf und massierte kurz die Schläfen. Sie hatte jetzt wichtigeres zu tun, als sich aufzuregen. Sie musste noch alles bereitstellen, und gekocht hatte sie auch noch gar nichts. Was, wenn sie da jetzt nicht mehr dazu kam? Völlig verrückt eigentlich, dieser Gedanke, aber just in diesem Moment machte sich Penelope ernsthaft Sorgen darum, dass ihr da die Geburt nun dazwischenkam. Sie konnte jetzt kein Kind bekommen, das musste erst noch geregelt werden!
    Nachdem sie das so beschlossen hatte, fühlte sie sich besser. Gut genug, um ihrem Mann noch einmal ins Gewissen zu reden – auch wenn das vor seinen Verwandten nicht unbedingt nett war. Aber sie bekam ein Kind, da nahm sie sich das heute heraus. Außerdem blieb es ja in der Familie.
    “Das hast du bei Eilean auch gesagt. Und jetzt? Jetzt ist sie krank und wärst du nicht Arzt, würden wir uns an der Behandlung dumm und dämlich zahlen. Und ich hab dir doch schon gesagt, dass ich keine Hilfe brauche. Du musst endlich aufhören, mich zu behandeln, als wäre ich ein rohes Ei.“


    Günstig…. Schnäppchen… Kindermädchen. Erst schleppte er Eilean an, damit sie nicht mehr kochen musste, und nun ein Kindermädchen… Penelope begann, auf und ab zu laufen. Wo blieb nur Inhapy? Die würde ihrem Mann schon ordentlich den Kopf waschen.


    “Ich nehme an, kochen kann sie auch noch?“
    Noch eines der Sachen, die sie bei Eilean geärgert hatten. Als ob sie dabei Hilfe so dringend nötig gehabt hätte! Dabei hatte es doch allen immer geschmeckt? Zumindest hatte niemand etwas anderes gesagt. Oder trauten die sich nur nicht? War sie so furchtbar erschreckend?
    Penelopes Gedanken rasten, als ein stechender Schmerz ihr wieder in den Bauch fuhr und alles vorher gesagte vergessen machte. Penelope hielt sich schützend den Bauch, der sich so verkrampfte und beugte sich leicht in Schonhaltung nach vorne. Da sie nichts sonst hatte, an dem sie sich festhalten konnte, krallte sie sich etwas unsanft kurz in Anthis Schulter. Es dauerte einige Augenblicke, bis die Wehe vorüber war.
    “Das war doch jetzt grade mal eine Stunde…?“ meinte sie etwas atemlos und hörbar kleinlaut, als es vorüber war und sie ihren Mann wieder los ließ.


    Jetzt war sie blasser als gewöhnlich.

    Hilfe, die benahmen sich ja alle seltsam. Jetzt, nachdem diese erste Wehe vorbei war, fühlte sich Penelope so normal wie immer. Abgesehen davon, dass sie dank des Bauches wohl noch immer leichter rollte als lief und sich fühlte wie ein gestrandeter Wal, ging es ihr prima. Aber die Nervosität um sie herum machte sie nun nervös. Die waren ja alle wie die aufgescheuchten Hühner!
    Ganz ruhig trat Penelope einen Schritt zurück, weil ihr diese Fürsorge zuviel war, und hob beschwichtigend die Hände. “Ja, ich denke, dass ich eben eine Wehe hatte, und hab zur Sicherheit nach Inhapy rufen lassen. Wenn ich recht habe, und es nicht nur falscher Alarm war“ was ja durchaus öfter mal vorkam kurz vor der wirklichen Geburt, besonders bei nervösen Müttern, “geht es wohl los. Aber mir geht es gut, es ist alles in Ordnung, ich fühle mich kräftig genug.“
    Hoffentlich waren die jetzt alle beruhigt. Die machten ihr ja fast mehr Angst als alles, was Inhapy ihr über die letzten Monate über den Ablauf der Geburt erzählt hatte. Als wäre sie die erste Frau, die ein Kind bekam. Sie war schon froh, wenn die Ägypterin kommen würde. Mit ihrer Ruhe und Souveränität, bei der man einfach gehorchte und sich nicht Gedanken machte, fühlte sich Penelope im Moment am besten aufgehoben. Auch wenn sie ihre Familie wirklich schätzte und Ánthimos liebte, sie wollte jetzt nicht noch mehr wie ein rohes Ei behandelt werden wie in den ganzen Wochen davor.
    “Aber noch wird es einige Stunden dauern. Daher, Gemahl, bitte?“
    Sie deutete mit einer offenen Geste in Kiyas Richtung. Sie wollte wissen, wer da in ihrem Perystilon stand.

    Aus der Küche herkommend durchquerte Penelope das Triclinum, um ins Perystilon zu gelangen. Es dauerte eine Weile, sie wollte sich nicht so schnell bewegen und mit dem großen Bauch war Eile auch etwas, das nicht möglich war.
    So war Timos bereits da und unterhielt sich mit Anthi. Die Frau, die neben Emilia stand, sah Penelope im ersten Augenblick gar nicht.
    “Ach, Anthi, gut dass du da bist. Ich war gerade bei der Nachbarin, damit sie einen Jungen zu Inha… oh.. chaire?“
    Die Begrüßung der fremden frau fiel sehr zaghaft und verwirrt aus. Penelope hatte sie erst sehr spät überhaupt bemerkt und konnte die Frau auch gar nicht zuordnen. Wen hatte ihr Mann da schon wieder angeschleppt? Oder war etwas passiert und das Ding brauchte Timos in seiner Funktion als Strategos? Penelope konnte sich keinen Reim darauf machen, aber sie hoffte, dass sie sich schnell zurückziehen konnte vor dem Besuch. Sie musste noch in ihrem Schlafzimmer ein wenig vorbereiten, damit alles bereit war. Ihr Haus besaß ja kein eigenes Gynaikeion, in das sie sich hätte zurückziehen können. Aber so würde es auch gehen. Musste Anthimos halt heute Nacht im Gästezimmer nächtigen.

    Den ganzen Tag hatte Penelope schon diese Unruhe verspürt. Wie die letzte Woche schon war sie nicht zum Museion in ihre Räumlichkeiten gewatschelt, sondern zuhause geblieben. Ihr Bauch war eine große Behinderung für sie, auch wenn sie das niemals zugeben würde. Er schränkte ihre Bewegungsfähigkeit zunehmend ein und ließ sie ächzen wie ein altes Weib, wenn sie etwas aufheben musste oder eine längere Strecke zurückzulegen hatte. Daher war sie die letzte Zeit lieber daheim geblieben und hatte sich ihre Arbeit mit nach Hause genommen, so gut sie eben konnte.
    Doch heute hatte sie keine Ruhe gehabt, um Musik zu machen. Etwas hielt sie ständig auf den Beinen, so dass sie schließlich beschlossen hatte, diese immense Energie in ihr in etwas nützliches umzuwandeln: Putzen. Oder besser gesagt, sie schrubbte die Küche, wie diese wohl in ihrer Existenz bislang noch nie gescheuert worden war. Der gute Kupferkessel glänzte wie neu, sämtliche Holzutensilien sahen aus, als wären sie fein abgeschliffen worden, der Boden war feinst säuberlich gefegt und jedes Staubkorn in jeder Nische harrte seiner Entfernung, als es anfing.
    Anfangs fühlte es sich an, wie ein leichtes Ziehen in der Leiste, doch sehr schnell schwoll das Gefühl an, als würde ihr eine heiße Nadel in den Unterleib gestochen. Penelope keuchte und hielt sich am Tisch fest, während sie fast in die Knie ging. Es dauerte ein paar Augenblicke, in denen ihr Unterleib sich zusammenzuziehen schien, und dann ließ es plötzlich wieder nach, als wäre nie etwas gewesen.
    Penelope blieb noch einen Augenblick lang in Schutzhaltung, ehe sie sicher war, dass es vorüber war. Sie atmete kurz ruhig durch und überlegte. Sie wusste, was das bedeutete, und es war ja auch schon lange an der Zeit. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis es richtig anfing. Je nachdem, wie schnell ihr Körper alles einleitete nach diesem Startsignal, würde sie wohl am Abend gebären.
    Da sie in der Küche war, ging sie durch den Hof und das dort befindliche Tor aus dem Oikos und hinüber zur Nachbarin, wo sie anklopfte. Sie musste nicht lange warten, bis geöffnet wurde, und die Griechin, die sie schon gut kannte, schickte selbstverständlich einen Jungen los, um Inhapy zu holen. Penelope bedankte sich für die Freundlichkeit und ging dann wieder zurück ins Haus.
    Kaum wieder durch das Hintertor eingetreten hörte sie auch schon ihren Mann brüllen. Gut, er war da, er sollte es auch gleich erfahren. Sie verließ also die Küche, um ins Atrium zu gehen.

    Penelope lächelte leicht zurück. Auch wenn Hermes der Sage nach auf dem Berg Kybele die Lyra und damit die Musik erfunden und dem Apoll nur zum Geschenk gemacht hatte, wollte sie Nikolaos nicht unterbrechen. Er hatte einen sehr philosophischen Ansatz gewählt, und so etwas gefiel Penelope. Sie hatte durchaus etwas übrig für Theorie, wenn sie auch eher praktisch veranlagt war und Dinge gerne in messbare Größen packte.
    “Nun, vielleicht stimmt ja auch, was die Inder sagen, und alle Götter sind letzten Endes nur Aspekte eines einzigen, göttlichen Gedankens, oder wie die Ägypter sagen, des männlichen und weiblichen Prinzips. Oder Teil der zwei Prinzipien des Plato.
    Aber du hast recht, das führt wahrscheinlich sehr weit, dort ein Anfang oder ein Ende zu finden, ist dieses Gebiet doch reine Theorie. Und letztendlich wissen die Wahrheit wohl nur die Götter, wenn überhaupt.“

    Sollte die Musik tatsächlich älter und dem Kosmos direkt entsprungen sein, so wussten es wohl nicht einmal die Unsterblichen. Denn diese waren jünger und nicht allwissend.
    “Wo wir gerade bei Platon sind. Für ihn verkörperte die Musik das Fundament, auf dem wir unsere Staaten gründen. ’Nirgends wird an den Gesetzen der Musik gerüttelt, ohne daß auch die höchsten Gesetze des Staates ins Wanken geraten.’“, zitierte Penelope den großen Philosophen. “Und gleichzeitig forderte er, dass die Musik nicht nur empirisch zu erfahren sei. Der Gedanke Musik muss berechenbar sein, um sich von der Empirie zu lösen. Scharf verurteilte er deswegen die Phytagoäer, die aufgrund der Unmessbarkeit der Töne sich eben nur auf ihr Gehör verlassen. Nun, Nikolaos, sag offen, was denkst du? Sollte man versuchen, Musik ohne Empirie erfahrbar zu machen, oder geht dann ihre Seele verloren? Die Phytagoräer meinen ja auch, dass die Musik unsere Seelen beruhigt und ihnen den Schmerz zu nehmen vermag durch bloßes Lauschen.“
    Penelope wollte ihm nicht einfach nur vorkauen, welche theoretischen Ansätze es gab. Sie wollte seine Meinung hören, was er glaubte, welcher Richtung zu folgen er geneigt war. Seinem Vortrag vor Monaten im Rosengarten nach zu urteilen, war er Platon wohl nicht abgeneigt. Allerdings wollte sie da nicht vorschnell etwas annehmen.

    Penelope nickte leicht. Erfreulich, dass Nikolaos schon doch so viel Wissen mitbrachte, so musste sie nicht ganz von vorne beginnen. Überhaupt diskutierte sie lieber und fand Wahrheiten in der gegensätzlichen Konversation, als nur auswendig eine Lehre herunterzubeten – oder eben vorgebetet zu bekommen.
    “Göttliche Eingebung? Nun, da würde sich die Frage stellen, welchem Gott man diese Erkenntnis dann zuschreiben müsste. So man davon ausgeht, dass ihm diese Erkenntnis an jener Schmiede gekommen ist, müsste man dann dem Hephaistos diese Erkenntnis zuschreiben? Diesem Gott wohnt zweifelsohne große Kunst inne, doch für Musik?
    Dafür wäre doch wohl eher Apoll zuständig, als Gott der schönen Künste und der Musik. Oder doch eher Hermes Trismegistos, den die Ägypter Thot nennen? Immerhin der Erfinder der Musik, ebenso wie der Zahlen.“

    Penelope schaute leicht lächelnd zu Nikolaos hinüber. Er hatte recht, sie war zu empirisch, um solch eine Erkenntnis gänzlich nur auf die Götter zurückzuführen. Natürlich ehrte sie diese in jeder ihnen gebührenden Form, doch wusste sie selbst, welch schwierigen Weg man für Erkenntnisse teils beschreiten musste. Empirische Vorgehensweisen waren ihr daher lieber, als etwas auf göttliche Eingebung zurückzuführen.
    “In Bezug auf die Messbarkeit finde ich die Vorgehensweise mit dem Monochord. Auch wenn man sich hierbei nur auf das eigene Gehör verlassen kann, inwieweit ein Ton nun höher als der andere ist, so sind die Längen der Saite doch genau bemessbar. Und es hilft beim Verständnis des Spiels mit verkürzten Saiten, wenn man höhere Töne benötigt, als ein Instrument durch seine ursprüngliche Bespannung zu spielen in der Lage ist.“
    Das wäre doch eine herrliche Erfindung, Töne wirklich mathematisch bemessbar zu machen, sie mit Zahlen nach phytagoäischem Vorbild genau zu beziffern und ihnen so gänzlich exakte Werte zuordnen zu können, sie im Vornherein berechenbar zu machen und Harmonie nicht aus dem Gehör heraus nur zu erfahren, sondern direkt zu berechnen. Aber so etwas war wohl Träumerei, denn wie konnte man etwas unsichtbares wohl so genau bemessen?

    Auch wenn alle sie zur Zeit behandelten wie ein rohes Ei, ließ Penelope es sich nicht nehmen, in der Küche zu stehen und zu kochen. Zwar machte Eilean sehr viel und wirbelte herum wie eine Biene, aber dennoch kochte Penelope das Essen für ihre Familie. Und wehe dem Bantotaken, der ihr da widersprechen hätte wollen! Sie war bewaffnet mit einer Teigwalze, und sie würde sie einsetzen! Und ihr Bauch würde sie da nicht im mindesten daran hindern, eher im Gegenteil!
    So also war Penelope in der Küche mit kochen beschäftigt, während die meisten sich schon im Triclinum warteten. Erst, als wirklich fast alles erledigt war und nur noch das Anrichten anstand und die letzten Handgriffe, ging Penelope aus dem Raum ebenfalls ins Esszimmer. Das auftragen durften die Sklaven allein machen, da bestand sie nicht darauf. So watschelte sie also im typischen Hochschwangerengang ins Triclinum, begrüßte alle mit einem stillen Lächeln und ging dann schnell zu ihrem Korbsessel. Sie selbst legte sich nie auf eine Kline, als Frau machte man das schließlich nicht. Zumindest nicht so, wie sie es gelernt hatte, ihr Großvater würde ihr was heißen. Auch wenn der alte Mann wie immer gar nicht am Essen teilnahm sondern sich in seinem Zimmer verkrochen hatte und dort allein essen würde. Er grollte wohl noch immer, dass er hier kein Opium bekam, und das, obwohl Ánthimos als Iatros ihm leicht auch hochwertiges Opium hätte beschaffen können.
    Mit einem hörbaren Ächzen ließ sie sich in dem Sessel nieder. Sie hoffte, das Kind kam bald. Inhapy meinte zwar, das dauere noch mindestens zwei bis drei Wochen, aber ihr kam es wie eine Ewigkeit vor. Und so sehr, wie ihr Bauch in den letzten vier Wochen angewachsen war, machte sie sich schon sorgen, sie würde platzen! Wie sollte ein kleines Kind soviel Platz einnehmen wollen? Vielleicht bekam sie ja doch einen Elefanten und trug deshalb auch schon so lange. So langsam zehrte die Schwangerschaft an Penelopes Nerven. Aber das schlimmste war, dass das Kind ihr auf die Blase drückte und sie im Museion bald jede Stunde austreten musste. So konnte das auf keinen Fall weitergehen.
    Als sie also schließlich endlich bequem in ihrem Sessel saß, blickte sie auf und sah in die Runde. Die Familie wuchs, ohne Zweifel.

    Selbst für Penelope war es schwer, genau herauszuhören, wie die Töne hätten sein sollen. Ursprünglich war ihre Tonhöhe wohl genau berechnet gewesen, ihre Beschaffenheit und die Dicke der Saiten genau bestimmt, um eben jene Töne hervorzubringen. Aber nun waren einige Seiten locker, andere von der langen Anspannung im Instrument etwas dünner geworden, und das galt es auszugleichen.
    Sie glaubte, dass dieses Instrument dereinst auf die phrygische Skala gestimmt worden war, also entschloss sie sich, dasselbe wieder zu tun.
    “Darf ich?“, bat sie Nikolaos um des Instrument, und nachdem er es ihr übergeben hatte, machte sie sich mit geschickten Fingern und einigem an Kraft daran, zu lose Saiten über dem schmalen Steg zwischen den beiden Hörnern des Instrumentes zu spannen, während sie andere vorsichtig lockerte. Sie hatte sich nicht erst an einer Saite bei dieser Art von Arbeit geschnitten, aber heute schienen die Götter es gut mit ihr zu meinen, und mit etwas Hilfe von feinen Werkzeugen aus Bein und Holz waren die Seiten bald wieder auf eine Tonleiter gestimmt, die abwärts von d’ bis d ging.
    “Gut, unsere Skalen setzen sich zusammen durch eine genaue Abfolge der verschiedenen Tonschrittarten. Ein Tetrachord umfasst eine perfekte Quarte, also zweieinhalb Ganztöne, eine Skala eine Quarte und eine Quinte, also noch einmal dreieinhalb Töne, insgesamt 6 Volltöne zusammengesetzt aus 8 Noten.“
    Penelope erklärte ruhig und sachlich, während sie die Töne einzeln noch einmal anschlug, um sie mittels Gehör auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Die phrygische Skala war nicht ganz so einfach zu verstehen wie die dorische (von e’ nach e), da hierbei der Halbtonschritt nicht am Ende lag, sondern in der Mitte des Tetrachordes. Allerdings wollte Penelope nicht den Charakter des Instrumentes völlig verändern und beließ es bei der etwas komplizierteren Skala.
    “Nun, Nikolaos, du sagtest, du hast schon einmal Unterricht erhalten. Kannst du mir sagen, wer diese Gesetzmäßigkeit berechnet hat und damit die mathematischen Grundlagen unserer Musik erschaffen hat? Und wodurch er auf diese Idee kam?“
    Wenn er bereits Unterricht erhalten hatte, fand Penelope diese Frage nicht besonders schwer. Pytagoras war schließlich weithin berühmt und galt allenorten als Begründer der Musiktheorie.

    Penelope musste innerlich den Kopf schütteln, auch wenn sie nach Außen hin lächelte. Warum nur alle hier im Haus ihr andauernd sagten, sie brauche Ruhe und solle sich schonen. Sie war weder krank noch gebrechlich. Auf dem Markt oder den Feldern arbeiteten die Frauen ja auch bis direkt zur Geburt, nicht erst ein Kind war nicht zuhause zur Welt gekommen. Nungut, es war ihr erstes Kind, sie hatte immer noch schmale Hüften und würde es da schwer haben, außerdem hatte sie Bildung und ihr Mann war nicht arm, so dass sie nicht so arbeiten musste. Aber nichts desto trotz war sie weder schwächlich noch sonst eingeschränkt. Dass die Männer da nicht mit sich reden ließen, damit hatte sie sich ja schon so halb abgefunden, aber dass nun Timos’ Freundin aus Memphis so anfing, war schon beinahe lustig.
    Und dann ging alles sehr schnell, plötzlich wurde Timos ganz rigoros und wirbelte los, um das Abendessen zu organisieren. Und für sie einen Saft? Nungut, wenn es ihn glücklich machte, warum nicht. Manchmal glaubte Penelope, ihr wachsender Bauch machte den Männern Angst. Es war etwas, was sie nicht beeinflussen konnten, ein kleines Wunder. Die Macht der Göttinnen Hera, Isis und Artemis, die sie nicht beeinflussen und nicht kontrollieren konnten. Daher suchten sie sich kleine Dinge, um ihr zu helfen, um ihr gutes zu tun. Denn die konnten sie kontrollieren und das nahm ihnen die Unsicherheit. So zumindest ihre Theorie.
    Während Timos also losging, Saft zu holen und das Essen anrichten zu lassen – was eigentlich Penelope machen wollte, aber vor dem Gast wollte sie Timos nicht widersprechen und reinreden – wandte sich die junge Griechin an die Frau aus Memphis.
    “Dafür musst du mir nicht danken. Timótheos sagte zwar nicht, dass du so lange zu bleiben gedenkst, aber wir können eine Freundin der Familie ja nicht in einem Gasthaus wohnen lassen. Noch dazu eine unverheiratete Frau. Die Gasthäuser hier sind zwar sehr gut, hab ich mir sagen lassen, aber es ist doch immer besser, wenn man bei Freunden unterkommt. Bis du eine eigene Wohnung gefunden hast, die dir ansprechend erscheint, bist du uns selbstverständlich gerne willkommen.“
    Penelope setzte sich etwas anders auf der Kline hin. Ihr waren richtige Stühle, an denen man sich anlehnen konnte, eigentlich lieber, das entlastete mehr den Rücken. Und sie wollte nicht wie ein Mann auf einer Kline liegen. Das gehörte sich einfach nicht, und sie hatte es anders gelernt. Eine Frau hatte Bescheidenheit und Würde zu zeigen, nicht Dekadenz.
    Timos kam wieder und brachte wie versprochen den Saft. “Danke, Thimótheos.“ Vor Gästen wollte sie die Abkürzung nicht verwenden, wusste sie doch nicht, wie vertraut die beiden miteinander waren oder welche Pläne Timos noch hatte. Lieber etwas zu förmlichals zu lasch.

    Eigentlich wollte sich Penelope nur kurz hinlegen, um den schwerer werdenden Körper auszuruhen. Sie war es nicht gewohnt, soviel Gewicht mit sich herumzutragen. Jetzt war es nicht mehr lange hin bis zur Geburt. Inhapy schätzte, es wären noch sechs bis acht Wochen. Und Penelope fühlte sich langsam wie ein aufgehender Hefeteig. Also hatte sie sich mittags nur kurz hingelegt, denn immerhin hatte Timos Besuch angekündigt. Doch dann war sie richtig eingeschlafen, so dass sie nicht mitbekommen hatte, wie der frischgebackene Hausherr seine Bekannte bereits ins Triclinum geführt hatte.
    Als sie aufgewacht war, hatte sie den Stand der Sonne gesehen. Gerne wäre sie aufgesprungen, allerdings ging auch das nicht mehr ganz so schnell. Sie war zwar nicht fett, dazu war ihre gesamte Gestalt doch zu schmal, aber der Schwangerenbauch behinderte allzu akrobatische Bewegungen doch gekonnt.


    So betrat sie mit einiger Verspätung, dafür leise und gefasst wie immer, das Triclinum. Sie bekam noch die Aussagen des Gastes mit und musste leicht lächeln. Veträumte Vorstellungen, als ob es etwas ändern würde an der Schwangerschaft. Es brachte Unglück, sich zu viele Gedanken darum zu machen, dem ungeborenen Kind gar einen Namen zu geben. Was einen Namen hatte, konnte Opfer von bösen Zaubern werden. Solange es keinen Namen und keine fassbare Gestalt hatte, war es sicherer für das ungeborene Leben. Es gab so vieles, was passieren konnte. Viele Frauen verloren ein Drittel ihrer Kinder vor oder bei der Geburt, und von denen, die lebendig geboren wurden, überlebte auch nur jedes zweite bis ins Erwachsenenalter. Die Götter liebten die Kinder, deshalb holten sie so viele davon zu sich. Daher dachte Penelope lieber nicht zu sehr daran und steigerte sich nicht in die Freude, um nicht die Götter eifersüchtig zu machen oder die Dämonen zu wecken, ihr das Kind zu nehmen.
    “Nun, die Ägypter haben eine Methode. Meine Hebamme meint, das Kind wird ein Mädchen.“
    Penelope betrat den Raum richtig, um den gast zu begrüßen. Automatisch wanderte eine Hand leicht schützend auf ihren Bauch, auch wenn von der Frau keine Gefahr ausgehen zu schien. Aber Penelope war bei fremden Menschen ja immer etwas vorsichtig. Ihre Zeit in Rhakotis hatte sie da einfach zu sehr geprägt, als dass sie das wohl jemals wieder würde vollständig ablegen können.
    “Chaire. Wie ich sehe, hat dich Timótheos schon begrüßt. Ich bin Penelope. Verzeih bitte, dass ich dich nicht gleich richtig empfangen habe. Die Schwangerschaft macht mich sehr schläfrig in letzter Zeit.“
    Inhapy hatte es ihr erklärt, dass ihr Körper schon Kräfte tankte für die bevorstehende Geburt. Demnach würde das die nächsten Wochen noch schlimmer werden. Penelope hoffte, dass sie dennoch am Wettkampf im Gymnasion teilnehmen würde können. Sie wollte gern ihr Talent mit der Kithara aller Welt beweisen, auch wenn es ein delphischer Loorber sein würde, den es zu gewinnen gab.
    “Timótheos meinte, du wirst für einige Zeit unser Gast sein. Ich habe dir ein Zimmer herrichten lassen.“
    Sie stockte kurz in der Rede, als das Kind in ihrem Bauch sich bewegte. Kurz lächelte sie entschuldigend. “Es tritt.“

    Penelope deutete mit ihrer Hand stumm in den hintersten Teil des Gartens unter die überdachte Balustrade. Im Halbdunkel verborgen stand der kleine Hausalter aus Stein einfach da, geschützt vor der brennenden ägyptischen Sonne und derm Regen der nassen Jahreszeit, aber dennoch so frei, dass die göttlichen Zeichen an ihm erkennbar sein würden. Er stand sozusagen an der Schwelle zwischen dem „Drinnen“ und dem „Draußen“, so wie er ja auch als Kommunikationsmittel zwischen den Sterblichen und den Göttern diente, indem man die höheren Mächte mit Opfern beschwichtigte und sich bestenfalls gewogen machte.
    “Der Altar ist aber keiner bestimmten Hausgottheit geweiht, vielmehr der Vielzahl an Geistern und Mächten, die diese Stadt und dieses Haus beschützen.
    Am Hafen direkt ist allerdings das Poseidoneion. Ein schöner, großer Tempel für den Herrn der Rösser und Wellen, dort wirst du ihm sicher angemessen opfern können. Die Tempel und Kulte in dieser Stadt sind ein wenig verstreut, wenn du einen bestimmten Tempel suchst, bin ich mir aber sicher, dass deine Cousins dich sehr gerne herumführen werden. Ich selber werde dir da leider nicht so hilfreich derzeit sein können. Wenn ich zuviel herumlaufe, bekomme ich Wasser in den Füßen.“

    Jetzt im letzten Drittel der Schwangerschaft fingen die körperlichen Veränderungen an, anstrengend zu werden. Penelope war froh, wenn sie sich nachher einfach ausruhen konnte. Doch in diesem Moment wurde ihr bewußt, dass das wohl noch ein wenig länger dauern könnte, immerhin hatten sie einen Gast, der ja schließlich auch noch bewirtet werden musste.
    “Aber sag, hast du schon etwas gegessen? So eine lange Fahrt macht sicherlich hungrig.“

    Das Fest ging seinen Lauf, und das Brautpaar hielt mal hier, mal dort, um sich mit allen Gästen zu unterhalten. So langsam wurde der Mittag zum Abend, und es wurde Zeit für den nächsten Teil der Zeremonie: Der Brautumzug.
    Üblicherweise wurde der vom Haus des Brautvaters zum Haus des Ehemannes geführt. Dort gab es ein neues fest für die verbleibenden Gäste, während das Brautpaar sich zurückzog und den Einstand in die Ehe übte. Üblicherweise.
    Allerdings war hier die Sachlage etwas anders, denn Penelope wohnte ja schon bei Ánthimos und musste ihren Hausstand mit Aussteuer nicht erst zu ihm bringen. Daher hatten sie sich zu einem eher provisorischen Umzug entschieden. Vor dem Haus stand ein Wagen, vollgepackt mit Penelopes Mitgift. Ein kleines Eselchen war davorgespannt, so üppig war das Sortiment an Stoff, Töpfen, Amphoren, Kleidung und Gerätschaften ja nicht.
    Sie würden nur einen kleinen Umzug um den Häuserblock machen, um wieder zum Haus zurückzukehren. Formal würde zwar das eine fest beendet und ein neues begonnen werden für die Gäste, die noch feiern wollten, aber de facto wäre es dasselbe Fest.


    Als die Zeit sich also dem Abend näherte, rief Philolaos, wie es seine Pflicht war, das Ende des Festes aus und forderte alle Gäste auf, sich dem Umzug der Braut in ihr neues Heim anzuschließen. Die Musikantinnen packten ihre Instrumente und spielten eine fröhliche, lustige kleine Melodie, die zum tanzen verleitete, und schlossen sich dem Brautpaar an, dass die Gäste nach draußen zu besagtem Wagen führte.
    Penelope blieb direkt an Anthis Seite, hinter ihnen kam der Wagen, der klappernd über das Pflaster des Brucheion rollte, dahinter dann die restlichen Gäste der Hochzeit. Der Weg war nur kurz und eher symbolisch, der Übergang der Braut von ihrem Leben als Kind zu ihrem Leben als Ehefrau und Mutter. Nach kurzer Zeit war man also wieder am Haus angelangt, wo die Gäste nun selbst entscheiden konnten, ob sie noch weiter feiern wollten oder in aller Ruhe nach Hause gehen, während sich das Brautpaar mit den letzten strahlen der untergehenden Sonne ebenfalls zurückzog.

    Penelope folgte sowohl ihren Worten als auch denen ihres Mannes mit unbewegter Miene. Ihr leichtes Lächeln blieb höflich, wenn auch nicht unbedingt herzlich, und Anthis kleine, beschwichtigende Geste wirkte auf sie alles andere als beschwichtigend. Ein klein wenig spannten sich ihre Muskeln in der Rückengegend an, was der ohnehin schon dort befindlichen Verspannung alles andere als gut tat. Penelope fühlte sich, als würde sie demnächst in der Mitte auseinanderbrechen wie ein Zweig, aber dennoch war sie ruhig und gefasst und verriet mit keiner Miene, dass sie müde oder auch nur annähernd angeschlagen war. Wobei sie sich sicher war, dass alle drei mit ihrem leichten Schwips wohl unauffällige Anzeichen ohnehin übersehen hätten.
    “Ja, ich lehre am Museion die Musik.“
    Musikerin war jede kleine Flötenspielerin auf der Straße. Musikerin waren auch die Dirnen in den Gasthäusern, die für Zerstreuung auf einer Lyra herumklampften und das göttliche Instrument damit folterten. Musikerin war jedes Sklavenmädchen mit schöner Stimme und nicht allzu unbegabten Fingern. Penelope war von einem Meister unterrichtet worden und konnte mehr als nur Melodien nachspielen und Leute ablenken.
    “Im Gefolge des großen Apoll zu dienen ist für mich eine große Ehre.“ Da die Brüder ihr die Frage nicht beantworten konnten, sollte dieser Hinweis für Emilia wahrscheinlich offensichtlich genug sein, sollte sie wirklich Anhängerin des Dionysos sein. Dass dieser und Apoll nicht gegensätzlicher hätten sein können war wohl weithin bekannt, und damit wäre dann auch klar, dass Penelope hier im Haus keine dionysischen Orgien dulden würde. Selbst wenn sie nicht Dienerin des Apoll wäre, würde sie das nicht.


    Allerdings wollte Penelope nicht ganz kaltherzig erscheinen. Immerhin war es die Cousine ihres Mannes und Timos könnte auch böse auf sie sein, wenn sie zu reserviert wäre. Irgendwie war das ja auch sein Haus als Familienoberhaupt, auch wenn es sich für Penelope noch wie das Haus von Philolaos, dem größten Kitharisten dieser Zeit, anfühlte. Aber sie wollte es sich nicht mit ihrer ganzen Familie verderben, nur weil sie ein wenig Schmerzen im Rücken und geschwollene Fußknöchel und alles in allem einen einfach sehr langen Tag hatte. Also lächelte sie etwas mehr und forcierte das weitere Gespräch.
    “Dann bist du den weiten Weg aus Griechenland ganz allein gereist? Mit dem Schiff im Winter, da war die Überfahrt sicher sehr unangenehm. Ich habe mir sagen lassen, dass das Meer im Norden im Winter gerne von Poseidon aufgewühlt wird. Wir sollten ihm danken, dass er dich an einem Stück zu uns geführt hat, wo diese Familie dem großen Gott doch schon auf so vielfältige Art und Weise zu Dank verpflichtet ist.“

    Offenbar hatten sie mir dem Feiern schon gut angefangen. Zwar war ihr Mann den Göttern sei dank nicht so beschwippst, wie sie schon befürchtet hatte, dennoch war sie froh, dass er sie nur auf die Wange geküsst hatte. Sie ließ sich von ihm in die Richtung des Gastes leicht schieben, bedachte ihn aber dafür mit einem ihrer gefährlicheren Blicke. Sie war zwar schüchtern, aber sie war verdammtnocheins die Herrin des Hauses! Wie sah das denn aus, wenn er sie in der Gegend herumschob, als müsse er sie selbst vor Gästen beschützen, weil sie sich sonst gar nicht vortraute?
    Auch wenn Emilia sie recht überschwänglich – und wohl auch ein wenig weinselig – begrüßte, blieb Penelope ruhig und etwas ernst. Für eine richtige Begrüßung blieb nicht einmal Zeit, denn ihr Gast flitzte auch schon los. Der feine unterschied zwischen „mein Zimmer“ und „das Gästezimmer“ ließ Penelope noch einmal kurz fragend und noch immer schweigend zu ihrem Mann blicken. Normalerweise meldeten Gäste sich an, auch wenn man bei der Familien immer mal Überraschungen erwarten durfte, vor allem bei dieser. Aber längerfristige Gäste, die ein Zimmer haben, das man mit „mein“ betitelte, machten das ganz gewiss. Aber er hatte ihr nichts gesagt.
    Auch Timos kam auf sie freudestrahlend zu, zeigte ihr sein Armband und bot ihr Platz und etwas zu trinken an. Sie musste wohl wirklich etwas angespannt und erschöpft wirken. Aber so fühlte sie sich ja auch. Sie nahm Platz – allerdings auf einer der eigens für den Garten gedachten Steinbänke im Schatten, nicht auf den Clinen. Auch wenn sowas auf Gäste sicher einen wohlhabenden und schon dekadenten Eindruck machte, sie hatte nicht vor, die Brüder darin noch zu bestärken. Von der Sonne blassten die Stoffbezüge schneller aus, und ein Regen wäre ganz katastrophal für die Polsterung. Sowas sollten sich die beiden gar nicht erst angewöhnen. Die Steinbänke hier im Garten waren nicht unbequem und auch für Gäste sehr gut geeignet. Auch wenn sie beide nun noble Pyrtanen dieser Stadt waren, mussten sie auf dem Boden bleiben. Penelope wusste nur zu gut, was es bedeutete, wenn ein Mann in Gedanken abhob und wie Ikarus der Sonne zu nahe kam. Ihr Großvater war damit auch sehr tief abgestürzt, und diesen Weg wollte sie nicht ein zweites Mal gehen. Diese Jahre in Rhakotis hatten sie da Bescheidenheit und Vorsicht gelehrt.
    “Nein, danke, ich möchte nichts trinken. Ich muss wohl vergessen haben, dass eure Cousine uns besuchen kommt. Sonst hätte ich das Gästezimmer besser hergerichtet.“
    Sie warf einen Blick auf das Armband. Es war hübsch, nicht zu protzig. Ein nettes Geschenk. Auch wenn zu Timos Gold fast besser gepasst hätte, war er doch sonst eine Person, die auch viel auf die äußere Erscheinung gab und auch gern mal protzte. Wobei man das von fast jedem Griechen dieser Stadt sagen konnte. Selbst ihr Mann bildete da keine Ausnahme, auch wenn es sich bei ihm weniger in schillernder Kleidung und teurer Kosmetik und Schmuck, als vielmehr durch seine Aufenthalte im Gymnasion zeigte.
    “Wirklich sehr hübsch. Ein Hoplon. Und Weinranken? Ist eure Cousine Anhängerin der Mänaden?“
    Wenn sie eine Anhängerin des Götterkultes um Dionysos war, wüsste Penelope nämlich wirklich gerne darüber bescheid. Sie selbst fühlte sich dem Gott nicht verbunden, und mit diesen Frauen konnte es viel Ärger geben. Zwar war auch die Mutter des göttlichen Alexanders, die große Olympias Anhängerin dieses Kultes, aber das hieß ja nicht, dass Penelope die Lärmenden und Zerreisserinnen auch mögen musste.
    Doch noch ehe sie eine Antwort von den Brüdern erhalten konnte, war Emilia auch schon wieder zurück und schenkte ihr Haarspangen aus Holz. Auch diese hatten wieder die Weinrankenblätter auf sich. Penelope war sich jetzt schon sicher, dass sie diese Spangen niemals tragen würde.
    “Danke, sie sind wunderschön“, log sie eiskalt und freundlich lächelnd. Ein Gastgeschenk abzuweisen wäre mehr als nur unhöflich, noch dazu wenn es jemand aus der Familie war. Die Familienehre ging schließlich über persönliches Pietätsempfinden und Sympathien. Auch wenn sie hoffte, in vertraulichem Kreis mit ihrem Mann noch ein paar Worte diesbezüglich dann wechseln zu können.
    “Du musst mir verzeihen, wenn ich dich als Gast nicht begrüßen konnte, wie es sich gehört.“ Immerhin fielen Hausgäste und deren Bewirtung in das Refugium der Frauen des Hauses. “Mir muss wohl entfallen sein, dass du uns besuchen wolltest. Die Schwangerschaft scheint wohl nicht nur meinen Magen in ein Durcheinander zu stürzen.“ Und ihren Rücken zu verspannen und ihre Füße sich wie zwei große Bleiklumpen fühlen zu lassen. Penelope war froh, wenn sie sich hinlegen konnte. Und dabei war ihr Bauch bislang nur eine sanfte Wölbung, so wirklich wachsen würde das Kind erst in den kommenden beiden Monaten vor der Geburt.