Am letzten Abend vor der Hochzeit war Penelope wieder zurück in dieses Haus gekommen. Sie war seit Monaten nicht mehr hier gewesen, und daher hatte sie Angst, als sie eintrat. Inhapy hatte sich um Philolaos gekümmert, aber dennoch hatte Penelope riesige Angst. Vor allem das erste Zusammentreffen mit ihrem Großvater hatte ihr furchtbare Angst gemacht.
Aber als sie dann in die Türe getreten war und sich dem alten Mann zu erkennen gab, war nichts von seiner gewalttätigen Art zu spüren gewesen. Nein, er hatte geweint. Penelope hatte ihren Großvater noch nie weinen sehen, zumindest nicht so. Er hatte sie umarmt und gehalten, er hatte sie vermisst. Gut, dass Inhapy auch da war, denn Penelope wusste gar nicht, wie sie damit umgehen sollte, und wäre allein völlig überfordert gewesen.
Philolaos sah anders aus. Irgendwie älter. Es waren drei Monate gewesen, aber er sah aus, als wären es drei Jahre gewesen, oder noch mehr. Sie hatte ihren Großvater nie so kraftlos gesehen, so mager und schwach. So… alt. Aber scheinbar war er klar, und das war mehr, als Penelope von früher sagen konnte. Den ganzen Abend hatten sie geredet, lange und viel geredet. Zwar hatten sie tunlichst Themen vermieden, die die Vergangenheit zu sehr berührten, aber sie hatten geredet.
Eigentlich hätte das Fest in diesem Haus stattfinden müssen. Normalerweise hätte dann der Brautzug von hier aus in das Haus im Brucheion gehen müssen, nachdem das Fest soweit gediegen war. Aber das wollte Penelope auf keinen Fall. Sie wollte ihrem Großvater das nicht antun, dass die Hälfte aller Pyrtanen der Stadt sehen musste, wie er nun lebte. Außerdem zog er ja auch gleich mit wieder in sein altes Haus, und es hatte ihm ja auch einmal gehört. Also war es wohl nicht so schlimm, wenn sie gleich dort auch feierten und der Brautzug eher rituell einfach einmal um den Block ging. Penelope glaubte nicht, dass das irgendwelche negativen Auswirkungen hatte. Musste ja nicht jeder wissen, wie sie die letzten Jahre gelebt hatte, ehe sie Anthi getroffen hatte.
Ànthimos… wie sie so am Morgen dastand und sich vorstellte, ihn gleich zu heiraten, wurde ihr ganz schummerig. Sie hatte nicht wirklich Angst, sie freute sich wahnsinnig. Aber vor den ganzen Gästen, vor dem fest und dem ganzen drumherum, davor hatte Penelope ganz gehörig Angst.
Inhapy hatte sie noch am Vorabend in ein Bad aus Eselsmilch gesteckt. Damit sie heute besonders schön sei, hatte sie gemeint. Penelope hatte versucht, ihr zu erklären, dass sie heute auch noch mal ein rituelles Bad nehmen würde, aber davon ließ die Ägypterin sich nicht abhalten. Sie murmelte dabei beständig irgendwas vor sich her, und Penelope hatte einfach aufgegeben, sich zu widersetzen und ließ es über sich ergehen.
Und nun stand sie da, am nächsten Tag, in einem neuen Chiton, in ihrem Zimmer, und war schon ganz nervös. Hatte sie auch nichts vergessen? War ihre Kleidung denn einer Braut angemessen? Sie hatte einen reinweißen Chiton an, der mit roten Fäden abgesetzt war. Ein Blumenmuster, das sich am Hals und an ihren Seiten hinab nach unten schlängelte, war das aufwendigste daran. Sie hoffte, es war gut genug. Sie hatte gehört, Römerinnen webten sich dafür eigens eine eigene Tunika. Ihre Haare hatte Inhapy hochgesteckt, sie selbst hatte dafür zu zittrige Finger gehabt. Die Frisur sah so ungewohnt aus, wenn sie sich im Wasser ihrer Waschschüssel so betrachtete. Sonst flocht sie ihre Haare nicht so kunstvoll.
“Oh, ihr Götter, lasst mich diesen Tag heute nur gut überstehen“, betete sie still vor sich hin. Unten wartete schon ihr Großvater mit Inhapy, ihrem Mann und den Kindern, dass sie herunterkäme. Aber noch war sie nicht ganz soweit.