Callista sah auch durch das verschwommene rot des Schleiers, wie sich seine Finger auf sie zubewegten. Lag es an dem dicken, mit einigen Löchern versehenen Schleier oder zitterten seine Hände etwas. Die Braut konnte es nicht beurteilen, denn es ging alles viel zu schnell und im nächsten Augenblick hatte er den Schleier schon zurück geschlagen. Jetzt konnte sie wieder alles richtig sehen. Und jeder konnte sie sehen. Wahrscheinlich lagen jetzt alle Blicke auf ihr, allein der Gedanke machte sie nervös. Ob sie alles richtig machte? Ob Balbus Stolz war auf sie? Ob Marsus sich freute? Quatsch, natürlich freute er sich. Wie sonst hätte er ihr solche Dinge sagen können. Er liebte sie! Liebte sie wirklich. Er lächelte sie an und dann spürte sie plötzlich seine Hände an ihrer Hüfte, wie er sie langsam in seine Richtung zog. Unwillkürlich folgte sie seiner Handbewegung und trat dichter, obwohl seine Berührung sie stocken ließ. Er hatte sie schon einmal so berührt, beim Fest nach der Hochzeit von Lando und Elfleda, noch bevor sie nach ihrer Gesangsdarbietung einfach den Rücktritt in die Casa angetreten hatte. Das war noch gar nicht lange her und auch damals hatte sie sich total verkrampft. Genau wie jetzt. Doch war es früher mehr Unwohlsein, war es jetzt die Aufregung. Was wurde von ihr erwartet? Was sollte sie tun? Sollte sie was sagen?
Allerdings kam Callista weder dazu was zu sagen oder zu tun, denn Witjon übernahm die Führung und beugte sich zu ihr, schloss die Augen und küsste sie. Es war der allererste Kuss, den sie erhielt und sie stand erst mal überrascht und stocksteif da. Eigentlich fühlte es sich gar nicht schlecht an, nur seltsam und entgegen ihres Ehemannes ließ sie die Augen offen. Sie konnte das Beben in seinem Körper spüren, seine Hingabe und auch etwas von der Leidenschaft, die er dann schließlich ausbremste und von ihr abließ. Genau so und doch ganz anders hatte sich Callista das vorgestellt, vielleicht wurde es noch anders, wenn sie erst alleine waren? Sie atmete tief durch, erst jetzt bemerkend, dass sie den Atem angehalten hatte und lächelte fröhlich. Sie konnte alles durchstehen, wenn sie nur lächelte, das gab ihr Halt und bald schon waren sie umringt von Gratulanten, die jeden weiteren Gedanken an die Küsserei sowieso unterbanden. Sie Rothaarige hoffte inständig, dass keiner ihr Zögern bemerkt hatte, es war ja nicht so, dass sie Witjon nicht attraktiv fand oder sich zu ihm hingezogen fühlte. Es war eher so, dass es sie schlicht weg überforderte. Sie war noch nie besonders gut darin gewesen Körpernähe zuzulassen und brauchte immer lange, bis sie sich daran gewöhnte. Besonders, da es etwas ganz Neues und aufregendes war, einen Mann so nah zu spüren.
Aber Witjon jedenfalls strahlte, er grinste übers ganze Gesicht und sah überaus zufrieden und glücklich aus. Daher lächelte auch Callista und bedankte sich artig mit einem leise gesprochenen "Danke". Jetzt gehörte sie zu ihm und in seine Sippe. Es war offiziell!
Nachdem ihre Anverwandtschaft gratuliert hatte, kamen Lando und Elfleda als nächstes dran und das duccische Familienoberhaupt kam ihr immer noch reserviert vor. Seine Frau dagegen umarmte sie herzlich und sprach sogar auf Latein mit ihr. Darüber freute sich Callista mehr und ließ sich gerne von der jungen Frau drücken. "Danke Elfleda" sagte sie fröhlich und lächelte in die Runde, ganz vergessend, dass sie das eigentlich schon auf germanisch sagen konnte. Es wurde noch mehr gesagt, auf germanisch diesmal, aber das verstand Callista noch nicht. Wobei sie sich fest vorgenommen hatte es so schnell wie möglich zu lernen. Immer wieder, wenn er nicht gerade jemanden umarmte, griff Witjon nach ihrer Hand und Callista ließ das gerne geschehen. Das war ihr schon vorher aufgefallen, vor allem bei der letzten Feier, dass er sie gerne um sich hatte und sie berührte. Und jedes Mal bekam sie wieder Herzklopfen.
Es traten noch zwei Männer zu ihnen, die sie nicht kannte und noch nie gesehen hatte. Die langen Haare sagten aber mehr als deutlich wo diese beiden einzuordnen waren und schon allein vom Alter her tippte Callista darauf, dass es Vater und Sohn waren. Der jüngere von beiden gratulierte sehr stürmisch und herzlich und obwohl das Callista noch immer etwas … zu überschwenglich … vorkam, freute sie sich. Die Germanen unterschieden sich in diesem Punkt sehr von den Römern, die sehr viel ruhiger waren. Und weniger umarmten. Soviel hatte sie schon gelernt. Ortwini war schneller verschwunden, als sie gucken konnte, sonst hätte sie seinen kleinen Kommentar vielleicht noch beantwortet, allerdings gab es noch genügend andere, die gratulieren wollten. Wo war denn Thalna? Und Crista? Die musste doch hier auch irgendwo sein.
Vorher allerdings gab es noch eine kleine Gruppe von Menschen, die Witjon ganz besonders wichtig waren. Da war Arbjon, den Callista sofort erkannte, der mit drei Frauen auf sie zukam. Das eine war Witjons Mutter, soviel hatte die Braut schon herausgefunden, das andere waren seine Schwestern. Eine davon war hochschwanger und es war das erste Mal, dass sich die Gelegenheit bot sich mit ihnen bekannt zu machen. Es wunderte sie, dass Ildrun Latein sprach und nahm es als höfliche Geste an, die wahrscheinlich nur ihr galt. Damit sie verstand, was die Mutter dem Sohn sagte. Wie nett. Dann wurde auch sie gedrückt und geherzt und erwiderte es augenblicklich, Witjons Mutter machte es einfach sie zu mögen und ihre rührselige Art ließen Callista schmunzeln. "Vielen Dank. Das ist wirklich sehr lieb gesagt, ich fühle mich sehr geehrt." Ihre Stimme klang zwar leise, aber fest und sie blickte kurz zu allen drei Frauen und ihr Blick blieb einen Moment am dicken Bauch der einen hängen. Bald wäre sie vielleicht auch so kugelrund.