Beiträge von Lycidas

    Zitat

    Original von Caius Petronius Maecenas
    Ich habe keine Ahnung, bin damals aus Alexandria geflohen weil ich Angst vor dem Palastschiff Projekt hatte. Lycidas verblieb bei einem sehr reichen Gastwirt namens Cleonymos.


    :wink:
    Lycidas' Schicksal war es, immer an vollkommen größenwahnsinnige Herren zu geraten. Von einem Claudier, der die Quellen des Nils finden wollte, zu Aristoxenus, der dem Kaiser ein Palastschiff bauen wollte, bis zu dem „Gastwirt“/Gangsterboss Cleonymus. Lycidas war eine Weile das Prunkstück in dessen Kunstsammlung, bis Cleonymus dann versuchte, nicht nur die alexandrinische sondern auch die römische Unterwelt zu beherrschen... was nicht gut ausging.
    Als lebensuntüchtiger Virtuose ist Lycidas leider auf sich alleine gestellt in Rom zugrunde gegangen. Ich fürchte, er ist in einer zugigen Dachkammer an der Schwindsucht verstorben.
    Aber es ist schön, dass noch jemand an ihn denkt. :D
    Viel Spaß wünsche ich dir, Maecenas/Messala beim Wiedereinsteig hier!

    Neun Saiten sind es. Die sich zwischen den geschwungenen Armen der Lyra spannen. Neun Saiten, in denen eine Welt liegt. Kostbare Intarsienarbeiten schmücken das Instrument. Orpheus ist dargestellt. Die Bestien der Wildnis bezähmend. Doch das samtighelle Holz trägt Kratzer. Abstoßungen und Kerben. Pockennarben auf der Lyra Antlitz. Spuren der Fährnisse, welche ihr junger Besitzer erleiden mußte. Mit seinem Patronus kam er nach Italia. Doch seit Schwarzbarts Verschwinden ist er seines Herren beraubt. Ist der junge Lyder gestrandet. An den Gestaden des Tibers, im Labyrinth der Ewigen Stadt. Fristet er kärglich sein Dasein.


    Freiheit wird überschätzt. Unendlich überschätzt. Alle Freiheit der Welt gäbe der Haltlose für einen guten Herrn. Welcher ihn beschützt. Eine warme Kammer ihm schenkt. Ihm den Raum gibt, sich seiner Kunst zu wimen. Sie ist ein sublimes Gespinst. Sie flieht das Grobe. Und auch Lycidas ist ein zartes Geschöpf. Es ist kalt im Winter in Rom. Eisig hoch droben in der winzigen Insulastube, welche er sich mit einem polternden Arbeiter teilt. Ein Husten hat sich in des Lyders Brust eingenistet, und will nicht weichen.


    Zögernd hat sich der Künstler auf dem Rande einer Kline niedergelassen. Die Beine an den Knöcheln überkreuzt. Die Lyra auf den Knien. Den Kopf halb geneigt. Fahlgoldene Strähnen umrahmen die blasse Stirn. Im Dämmerblau der Augen liegt ein Glanz von Fieberhitze.
    Lycidas wartet auf seinen Auftritt. Ein Vermittler hat ihn hier her gebracht. Ein korpulenter Gesell. Immer zwinkernd. Saftig lachend. Bisweilen verschafft er Lycidas Engagements. Von deren Entlohung nur ein Bruchteil den Künstler erreicht. Fadenscheinig ist sein Chiton, und oft schon geflickt.


    Wie das bunte Gewimmel farbenfroher Fische. Die sich munter zwischen Korallen tummeln. Sind die Vergnügungen der Römer um ihn herum für den stillen Lyder. Er hat seinen Hunger gestillt. Mäßig getrunken. Brot und Fleisch in seine Serviette eingeschlagen. Um sie später mitzunehmen.
    Erst das Spiel der Worträtsel lässt ihn aus seinem Kokon herausreichen. Scheu. Doch Lycidas hofft auf eine Belohnung. Als die Herrschaften Callista und Cethegus ihre Orgien feierten. Gab es bei solcherlei Spielen stets Preise. Auch als sie längst hoch verschuldet waren. Und dieses Saturnalienfest dünkt Lycidas ebenso heillos verschwenderisch. Wie die verklungenen Festivitäten am Lacus Mareotis.


    Zitat

    Original von Marcus Artorius Rufinus
    "Was ich euch zeig, bin ich nich selbst,
    ich zeig, der Proteus nahen sich Taus..nde mir,
    je..em nur ganz g..nau das, wassa liebt."


    Lycidas Hand geht zu dem Tisch neben der Kline. Dort steht ein silbernes Serviertablett. Er legt die Reste darauf beiseite. Fährt mit einem Zipfel seines Himation einmal darüber. Sieht sein Ebenbild in der blanken Fläche kaum verzerrt wiedergespiegelt. Eine aufsteigende Tonfolge von fragendem Klang spielt er auf der Lyra. Die Aufmerksamkeit so auf sich gezogen. Hebt er schüchtern jenen Spiegel. Zu dem heiteren Urheber des Rätsels blickend.




    Das Publikum ist Lycidas eine Last. Immerzu schwatzen sie. Kommen und gehen. Klirren mit dem Geschirr. Husten. Scharren mit den Füßen. Lieber möchte er in der Stille spielen. Für sanfte Tiere. Wie Orpheus. Oder für die ruhige See. Doch Lycidas erträgt das Lärmen. Gehüllt in seinen Kokon. Spielt er auf der Lyra. Leistet seine Pflicht. Bezahlt für den Schutz, den die Mauern des Kapeleion ihm bieten. Festes segensreiches Mauerwerk. Jedoch. Sein Vertrauen ist erschüttert. Seitdem die beiden Räuberinnen hier eindrangen. Ihn verschleppten. Ungestraft.
    An seinem Argonautenlied liebt Lycidas besonders das Ende. Der Wahn der Medeia. Anschwellend schmeichelt sich dieses Thema in die Herzen der geneigten Zuhörer. Kapriziös doch lieblich. Es verführt. Schwingt sich sodann immer höher. Weist die ersten Brüche auf. Kalkulierte Einsprengsel von Dysharmonie. Kehrt zurück zu anrührender Schönheit. Um unvermittelt der Raserei zu verfallen. Raserei der Klänge. Verrat. Zu enden in holdem Schmerz.


    Der letzte Dreiklang verweht. Lycidas kehrt zurück. Aus der Entrückung, in die sein Spiel ihn versetzte. Er nimmt wahr, dass man von ihm spricht. Am Tische Schwarzbarts. Seines Schutzherrn. Scheu huscht des Lyders Blick über die dort versammelten Personen. Die zwei römischen Offiziere. Sein Spiel scheint Gefallen gefunden zu haben. Das ist gut. Schwarzbart wird zufrieden sein.
    Lycidas Blick begegnet dem des älteren Soldaten. Der die prunkvolle Rüstung trägt. Der ihn betrachtet. Wohlgefällig. Derlei Blicke sind Lycidas unheimlich. Stets.
    Schnell schlägt er die Augen nieder. Umgreift die Lyra auf seinen Knien. Überkreuzt auf anmutige Weise die Beine an den Knöcheln und schlägt das nächste Lied an. Etwas leichtes und natürliches. Es ist inspiriert von den Stimmen der exotischen Singvögel, die die Herrin Callista einst auf der Insel der Morgenröte hielt. Als Lycidas noch ein Knabe war. Was war das für ein Singen jeden Morgen. Wie traurig war Lycidas, als die Herrin sich dann den Reptilien zuwandte. Und die Vögel den Schlangen, ihren neuen Lieblingen, zum Fraße gab. Aber an ihre Stimmen. An die erinnert er sich noch gut.

    Wär‘ ich Musik, wär‘ ich Klang! Könnt‘ ich geben
    gänzlich mein Sein....



    Lycidas spielt. Leise traumklare Kadenzen schweben zwischen den illuminierten Zweigen. Unaufdringliches Klangweben.
    Längst ist seine Lyra von kundiger Hand repariert. Sind neue Saiten aufgezogen. Doch Lycidas weiß um den verborgen verbliebenen Makel. Die kaum spürbare Unebenheit in der Intarsienarbeit. Das minutiös Unstetige des höchsten Tones. Ein gewöhnlicher Hörer wird dessen nicht gewahr werden. Dass das Instrument nicht länger perfekt ist. Dem sublimen Künstler jedoch ist es schmerzlich bewußt.
    Auf einer halbkreisförmigen Rasenbank hat er sich niedergelassen. Ein Rosenstrauch neigt sich über ihn. Scheint das güldene Haupt mit tiefroten Blüten bekränzen zu wollen. Lycidas hat ein Bein angewinkelt. Der weiße Chiton bauscht sich im Abendwind. Wasserblau funkeln die Juwelen seines Halsreifes, als er den Kopf neigt. Versunken in sein Spiel. Schmale Finger vollführen voll Anmut ihren Tanz auf den Saiten. Und eine seidige Strähne schmiegt sich an die helle, wie durchscheinende Schläfe. In ferne Weiten geht der Blick.
    Inmitten der Festgesellschaft. Zugleich sehr fern. Von all diesen Menschen. Seeanemonen. Fremder als Fremd. Wogende bunte Seeanemonen. Plätschernder Wellengang sind ihre Worte. Brandung. Manche aber sind Quallen. Gallertige Untiere. Deren Blicke sind Lycidas unangenehm. Er lässt es nicht spüren. Lieblich vage bleibt sein Lächeln.


    Da die Soldaten eingetroffen sind. Spielt Lycidas nun ein anderes Lied. Um ihnen zu schmeicheln. Ein Heldenlied. Aus seiner Feder. Von Iasons Fahrt und Fährnissen handelt es, von Eroberermut und der Sehnsucht zu erfahren was hinter dem Horizont liegt. Von ruhmvollen Kämpfen und großen Taten. Dinge, die Lycidas allesamt sehr fremd sind. Doch würde er über wirkliche Dinge musizieren, über Alltägliches gar – worin läge dann die Kunst?!
    Selbstverständlich ist es ein Lied ohne Worte. Plumpe Worte. Allein die Klänge der Lyra schwingen sich empor. Klar, und immerzu durchwebt von leiser Wehmut, dringen sie an die Ohren der Zuhörer.

    Es war ein Fehler. Sich zu gestatten, eine wie auch immer geartete Erwartung zu hegen. Auf einen, wie auch immer gearteten Herrn zu vertrauen. Bitterste Enttäuschung verspürt der junge Lyder. Als offenbar wird, dass Schwarzbart die Verbrecherinnen nicht zu bestrafen gedenkt. Sondern zu benutzen. Dass es keine Hinrichtung geben wird. Verloren sinkt des Sklaven Blick zu Boden. Vergeltung ist sein Begehr! Doch Lycidas ist zu zage, sie einzufordern. Eine weitere Demütigung. Nichts weiter. Sinkt auf den Grunde seiner zarten vergifteten Seele.
    Geschmeidig erhebt er sich. Auf den Befehl hin. Die verwundete Lyra im Arm. Neigt das Haupt vor dem Herrn. Und entfernt sich leisen Schrittes.

    Das "Eigentum" kauert zu Füßen des Herrn. Lycidas ist gezeichnet von den Entbehrungen der Gefangenschaft. Was mußte der junge Künstler nicht alles erleiden. Der Schrecken, des nächtens mit vorgehaltenem Dolch aus vertrauter Umgebung gerissen zu werden. Die Dunkelheit in dem grausigen Kellerloch, in dem die Räuberinnen ihn gefangen hielten. In dem man nicht einmal ein Bad nehmen konnte. Der Schmutz! Noch nie in seinem Leben war Lycidas so schmutzig. Das goldene Haar ist strähnig und wirr. Der Chiton fleckig. Und die Virtuosenfinger von schwarzen Trauerrändern unter den Nägeln entstellt. Widerwärtig.
    Jene Finger sind fest geschlossen um die Lyra. Das erste, was Lycidas nach der Befreiung aus der Hand der Verbrecherinnen wieder an sich genommen hat. Doch auch an dem kostbaren Instrument ist die unsanfte Behandlung nicht ohne Spuren vorübergegangen. Der Rahmen trägt tiefe Kratzer. Eine Saite ist gerissen. Lycidas ist schlechte Behandlung seiner eigenen Person gewöhnt. Derlei trägt er mit Gleichmut. Doch die Beschädigung seiner Lyra. Seines ein und alles. Das nimmt er persönlich.
    Die lose Saite langsam um die schmale Hand herumwickelnd. Stellt er sich vor, sie um den Hals der blonden Diebin zu legen. Die ihm das Messer an die Kehle setzte. Und dann. Dann würde Lycidas die Schlinge fest zusammenziehen. Der Frau die Luft rauben. Bis sie stirbt. Und die andere. Die große dunkle. Auch sie würde er auf diese Weise richten. Rache nehmen.


    Des Sklaven Miene, sanft und traurig, verrät nichts von diesen Wünschen. Die Augen sind demütig gesenkt. Auch als das Gespräch auf ihn kommt. Er bietet dem Herrn ein mitleiderregendes Bild. Ein gequältes Opfer. Beschädigter Besitz.
    Lycidas vertraut darauf, dass Schwarzbart die Verbrecherinnen hart bestrafen wird. Sie verstümmeln oder hinrichten. Mit großer Vorfreude sieht er dem entgegen.

    Es ist das Grauen. Kalter Stahl an Lycidas' Kehle. Wogen von Schwärze umrauschen ihn, erheben sich, türmen sich über ihn, wollen ihn verschlingen. Sein Tod. Die Fremden sind sein Tod. Lycidas weiß um die Steckbriefe.
    Jegliche Kraft. Hat ihn verlassen. Seine Beine, sie zerfließen zu Wasser, wollen ihn nicht mehr tragen. Das Windlicht entgleitet der taubgewordenen Hand. Es fällt zu Boden. Zerbricht. Der sublime Jüngling sackt in sich zusammen. Der Ohnmacht nahe. Muß gehalten werden. Es rauscht in seinen Ohren.... das ist das Rauschen des Styx. Kaum hört er, wie die Frauen sich besprechen. Charon streckt schon die Hand nach ihm aus. So jung ist Lycidas. Erst am Beginn seines Schaffens. So viele Lieder werden ungeschrieben bleiben. Es ist nicht fair!
    Panisch umklammert er die Lyra. Die schwarze Frau muß sie mit Gewalt aus seinen schmalen Händen winden. Seine Lyra. Sein Wertvollstes.... Ein leises Wimmern. Dünn. Kläglich. Ein häßlicher Laut. Tränen quellen aus den weitaufgerissenen Augen. Der Dolch würgt ihn. Die Frau gibt einen harschen Befehl, und Lycidas, gewohnt zu gehorchen, müht sich, ihm nachzukommen. Wendet sich zage zum Hinterausgang. Die Füße sind schwer. Wie Blei. Der Jüngling beißt sich auf die bebenden Lippen. Erstickt das Schluchzen. Die Tränen fließen weiter. Ziehen glänzende Bahnen auf Lycidas' Antlitz.... Er versteht nicht... woher kommt auf einmal der Kapuzenmann? Gehört er zu den Sklavenjägern? O Apollon, errette deinen Diener, beschütze ihn vor diesen grausamen Gestalten! Die Furcht... diese entsetzliche Furcht.....

    Der perfekte Klang. Er ist wie eine Blume. Eine rare Orchidee. Kostbar und empfindsam. Um zu gedeihen, benötigt er die perfekte Umgebung. Die kleinste Irritation, sie lässt ihn bereits... verwelken. Vergehen.
    Lycidas verlangt es nach Stille. Einer Stille, rein und klar wie frisches Quellwasser. Sie soll seine Klänge nähren. Es ist spät am Abend. Lycidas steht am Fenster seiner Kammer. Er hält die Lyra in den Händen. Und blickt hinaus. Über den Garten. Die festgefügten Mauern, die das Gasthaus umschließen. Die ihn schützen. Er liebt diese Mauern. Lycidas blickt auf die Stadt. Ein dunkles Tier, lauernd, geduckt wie zum Sprung. Erfüllt von Unrat und tödlicher Gefahr. Aus den schmutzigen Gassen dringen Geräusche an sein Ohr. Grobe Laute. Besoffenes Gröhlen. Eine Frau zankt. Ihre schrille Stimme ist wie gemahlenes Glas. Zwei Kater tragen einen Kampf aus. Und der Brunnen im Garten, er plätschert immerzu. Lycidas verlangt es nach Stille.


    Die Lyra im Arm, verlässt er die Kammer. Steigt die Stiege hinab. Durch die geschmeidigen Sohlen seiner Sandalen spürt er jede Unebenheit. Er geistert durch das Haus. Vermeidet die knarrende Stufe. Leise wie ein Mäuschen. Nur aus Gewohnheit.
    Lycidas' Ziel liegt in der Tiefe. Der Keller, in dem Schwarzbart seine Kostbarkeiten sammelt. Lycidas ist dem Wächter wohlbekannt. Denn er begibt sich häufig dorthin. Der junge Lyder fühlt sich wohl in Gesellschaft der Bilder. Auch wenn die Zusammenstellung, seiner bescheidenen, selbstverständlich niemals geäusserten, Meinung nach, eher wahllos ist. Unverkennbar auf den Geschmack eines Neureichen hinweist. Doch Lycidas fühlt sich den Kunstgegenständen verbunden. Er ist wie sie. Ein Objekt der Zierde. Und vor allem – dort ist es still. Kein Laut dringt hinein. Keiner heraus.


    Auf einem schmucken Kirschholztischchen steht ein Windlicht. Lycidas nimmt es im Vorüberhuschen an sich. Er schlüft durch einen Vorhang. Sodann betritt er einen Gang. Lang und dunkel. Die Abgänge zu den mannigfaltigen Lagerräumen gähnen wie dunkle Schlünde. Hier ist es Lycidas stets etwas mulmig zumute. Er richtet den Blick starr nach vorne. Ein Lufthauch erfasst seinen hellseidenen Chiton, lässt das Himation über die Schulter zurückgleiten. Das Windlicht malt kuriose Schatten auf sein Gesicht, verzerrt die makellosen Züge. Verleiht dem Gold des Reifs, der seinen Hals umschließt, einen rötlichen Glanz. Lässt die darin eingelassenen Juwelen funkeln.
    Und das Licht fällt auch auf: Zwei! Schwarze! Fratzen!
    Wie vom Blitz getroffen verharrt Lycidas. Gelähmt vor Schreck. Starrt er die beiden Eindringlinge an. Leichenblass. Sieht seinen Tod. Der Mund klafft auf, wie zu einem Schrei... doch kein Laut entfleucht den Lippen. Dann erst löst sich die Erstarrung. Lycidas wirbelt herum. Die Lyra an die Brust gepresst. Wie von tausend Furien gehetzt. Will fliehen. Doch zu spät.

    Gehorsam reicht Lycidas die Tusche weiter. Das Pläneschmieden, es hat Schwarzbart offenbar in äusserst großzügige Stimmung versetzt. Gut für Lycidas. Er kann nicht anders als sich zu fragen: wird des Herrn Gemütszustand mit der nämlichen Leichtigkeit auch in die entgegengesetzte Richtung ausschlagen?
    Dankbar neigt Lycidas das Haupt. Die Wahl der Sitzgelegenheit – es könnte eine Probe sein. Er möchte einen bescheidenen Stuhl wählen. Findet jedoch keinen. Nimmt notgedrungen auf einem prächtigen Platz. Nahe an der Stuhlkante, die Beine auf anmutige Weise an den Knöcheln überschlagen. Noch immer vage lächelnd. Innerlich qualvoll angespannt. Denn noch bevor er eine Saite anrühren kann, kommt die Rede bereits auf ihn. Geschickt schmückt der junge Herr die Begegnung aus. Rückt sich ins rechte Licht. Welche Macht liegt in Worten. Wohlgesetzten Worten. Welche Kunst. Mittels Worten vermögen sie Geschehnisse zu verändern, Bilder entstehen zu lassen, Zuhörer in den Bann zu ziehen, zu manipulieren. Sie, die Sprechenden.


    Blass. Die Lyra auf den Knien. Die Augen zu Boden gerichtet. Erwartet Lycidas des Gymnasiarchos Urteilsspruch. Er zuckt zusammen bei den harten Worten über seinen bisherigen Herrn. Noch immer dünkt ihn dies Blasphemie. Doch zugleich birgt es eine geheime Lust, den Verhassten so geschmäht zu hören.
    Schwarzbart ist gnädig. Vorerst darf Lycidas weiterleben.
    Die Tränen, die ihm in die Augen steigen, sind ungeheuchelt. Zuerst stellt er achtsam die Lyra beiseite. Sodann sinkt Lycidas grazös zu Füßen seines neuen Herrn. Bedeckt sie mit Küssen. Ein rührendes Bild, welchem angesichts der Selbstverständlichkeit der Huldigung, der Eleganz mit der der Jüngling sie ausführt, eine harmonische Natürlichkeit innewohnt. Wohl vernimmt Lycidas des Aristoxenus Aufforderung, doch erst auf Wunsch seines neuen Herrn und Beschützers wird er sich aus der Proskynese wieder erheben.

    Warum nur? Warum?! Warum kann Lycidas nicht einmal einem normalen Herren in die Hände fallen. Einem, der sich mit menschenmöglichen Projekten begnügt. Mit Machbarem. Der nicht unter Größenwahn leidet.
    Einmal. Nur einmal möchte Lycidas jemandem gehören, der nicht die Quellen des Nils finden will. Oder einen Palast das schwimmen lehren möchte. Oder seinen Namen mit Sternen in den Himmel schreiben will.
    Jemand normales. Bescheidenes. Mittelmäßiges. Langweiliges. Das wäre Lycidas' größter Traum.


    Ein ebenso liebliches wie nichtssagendes Lächeln auf den Lippen, steht der junge Sklave neben Aristoxenus. Reicht ihm behände die Stifte an. Hält das Tuschefass. Blickt mit einer überzeugenden Miene ehrfürchtiger Bewunderung auf das megalomane Kunstwerk des jungen Herren. Während er insgeheim sein Schicksal verflucht. Dass ihn vom Regen in die Traufe führte.
    Eine Decemreme? Mit einem Palast obendrauf. Zuerst wird dieses Schiff die Stadtkasse ruinieren. Und dann wird es sinken wie ein Stein, denkt Lycidas, und dann werden die Herren, die eben noch so leutselig sind, toben. Und die Wut an ihren Sklaven auslassen. So ist der Lauf der Dinge. Lycidas vermag dem nicht zu entkommen. Ein Hauch von Resignation schimmert durch die Maske ergebener Bewunderung.
    Und was das Überleben angeht. Unglücklicherweise hat er vorhin den rechten Moment verpasst, sich dem Herrn Cleonymus zu Füssen zu werfen. Jetzt würde es künstlich wirken. Würde stören. Erzürnen gar. Doch der junge Sklave ist geduldig. Unaufdringlich und dekorativ hält Lycidas sich weiterhin am Rande des Rampenlichtes.

    Der Name? Lycidas erblasst. Bedrohlich erscheinen ihm die Blicke der Gäste in dem paradiesischen Garten. In festfrohen Mienen, in harmloser Neugier liest er inquisitorisches Interesse. Zweifellos wird längst nach ihm gesucht. Was wenn sie ihn ergreifen. Ihn ausliefern.
    Verschreckt tritt der Sklave noch etwas näher an Aristoxenus heran. Den alten Mann ansehend, tippt er sich auf die Brust, sodann legt sich die flache Hand sacht auf die stummen Lippen. Lycidas schlägt die Augen nieder. Wähnt sich hilflos. Weiß nicht was zu tun ist. Darum tut er nichts. Überlässt wie stets die Entscheidungen den anderen. Dem jungen Herrn. Mutig und beredsam ist er. Er wird wissen was sagen, was zu tun ist.

    Lycidas kann es nicht fassen. Der junge Herr will doch hineingehen. Die Gefahr auf sich nehmen, seinen Ruf zu schädigen. Um ihm beizustehen. Merkwürdig und neu ist diese Erfahrung. Ein federleichter Wind. Lycidas Herz singt. Wie eine Äolsharfe.
    Nichts davon dringt nach aussen. Der Sklave sieht nur zu Boden, umfasst mit der Rechten fest den kostbaren Talisman. Den Aristoxenus ihm verehrte. Wenn morgen die Jäger Lycidas aufspüren würden. Der Claudier ihn töten ließe. Die Flucht war doch richtig. Ein tollkühner Gedanke. Dort am Tor des Kapeleion, während Kassiodoros zum Torhüter spricht, während aus dem Garten die Musik heranweht, während in den Strassen Alexandrias schwer die Nacht liegt, berauscht Lycidas sich an diesem tollkühnen Gedanken.
    Und wenn er überleben sollte? Lycidas vermag nicht, über diese Nacht hinauszudenken. Die Zukunft ist ein Lied, das noch nicht geschrieben wurde. Möge Apoll ihm und Aristoxenus beistehen. Bei der alles entscheidenden Begegnung. Mit dem unheimlichen Herrn des Kapeleion. Schwarzbart.

    Die schönen Tage im Hause des Aristoxenus Leandros sind nun vorbei. Lycidas verlässt es nicht heiter. Ein Refugium war es ihm. Ruhig. Sicher. Komfortabel. Jenseits der Welt, jenseits der Zeit. Eine Oase, in welcher es Lycidas vergönnt war, die Erschütterung, welche mit seiner Flucht einherging, zu vergessen. Die Strapazen zu kurieren. Den Aufruhr seiner Seele verklingen zu lassen. Sogar eine Ahnung von etwas, das Freundschaft sein könnte, hat Lycidas dort kosten dürfen.


    Doch dieser sichere Hafen liegt hinter ihm. Und bei aller Furcht... der lähmenden Furcht vor den Häschern des Claudiers, der Todesangst, die sich in Lycidas' Eingeweide hineinkrallt, die seine Knie weich macht, die ihm eisig im Nacken sitzt... Lycidas weiß, dass es gut ist. Zu gehen. Die Zeit war schön. Er möchte diese Erinnerung bewahren. Bevor die Begegnung schal wird. Bevor der junge Herr seiner überdrüssig wird. Allzu oft hat Lycidas dies bereits mit angesehen. Bei neuen Sklaven. Der Aufstieg zum Favoriten. Dann der Fall. Es scheint ein Naturgesetz zu sein. Zwischen Herren und Sklaven. Besser ist es, vorher zu gehen.


    Angetan mit seinem neuen Festgewand erreicht der Jüngling das Tor des Kapeleion. Das dämmrige Blau von Chiton und Himation entspricht dem Ton seiner Augen. Die güldenen Stickereien harmonieren mit dem lichten Blond seines Haars. Es ist das Abschiedsgeschenk des Aristoxenus.
    Musik dringt aus dem Garten jenseits des Tores. Ein Fest ist dort im Gange. Lycidas nimmt die Lyra von der Schulter. Hofft, dass sie ihm Einlass verschaffen wird.
    Bis hierher hat der junge Herr ihn begleitet. Doch Lycidas rechnet nicht damit, dass er sich in das Gasthaus hineinbegeben wird. Sich kompromittieren würde. Dies scheint die Stunde des Abschiedes zu sein. Lycidas weiß nicht was da angemessen ist. Wie dem Ausdruck verleihen, was zu sagen wäre. Er steht still und blickt Aristoxenus an.

    Die Veränderung. Die mit dem jungen Herrn vonstatten geht. Sie ist eklatant.
    Der Tatendrang. Die Zuversicht. Die Lycidas bezauberten. Sie weichen der Mutlosigkeit. Angst!
    Angst, die sogleich auf Lycidas übergreift. Erst die Augen. Hernach der Körper. Der jungen Herr wendet sich ab. Möchte er Lycidas nicht in die Augen sehen, wenn er ihn fortschickt?


    Die erste Option. Lycidas wird leichenblass. Sabefs Kreuzestod. Die Hand des Claudiers. Wieder spürt er sie in seinem Nacken. "Sieh hin!" Es dröhnt in seinen Ohren. Lycidas sinkt tiefer in seinen Sitz. Es wäre schön, dem jungen Herrn zu gehören. Vielleicht... würde der Claudier sogar zustimmen? Ein Fürsprecher, so wortgewandt und edel von Angesicht könnte ihn großmütig stimmen. Könnte. Oder auch nicht. Eher nicht, glaubt Lycidas.
    Die zweite Option. Sie klingt ausgesprochen abenteuerlich! Flucht. Maskerade. Schimpf und Schande. Lycidas mag keine Abenteuer. Die Reise ins Innere des schwarzen Kontinentes - sie war grauenvoll. Seine Flucht - entsetzlich. Noch mehr Abenteuer dieser Art kann er nicht überstehen. Ständig auf der Flucht zu sein - Lycidas ist sich sicher, vor Furcht zu sterben, noch bevor die Häscher des Claudiers ihn erreichen. Er ist ein zarter Sklave. Er benötigt ein harmonisches Umfeld. Einen ruhigen Hafen. Wie diese schöne Villa. Hier fühlt er sich wohl.


    Und auch für den jungen Herrn ist das Risiko bei weitem zu groß. Nur sehr selten kommt es vor, dass Lycidas am Schicksal eines anderen Anteil nimmt. Die Menschen sind ihm fern. Unvertraut. Er ist nicht einsam. Er hat die Musik. Doch die Menschen... unberechenbare Halbgötter die Claudier. Neider und Rivalen die anderen Sklaven auf der Insel. Die übrigen... fremd. Seeanemonen. Manchmal Publikum. Und manchmal hasst Lycidas sie. Die Sprechenden. Alle.
    Aber nicht den jungen Herrn. Etwas merkwürdiges ist geschehen. Lycidas möchte nicht, dass Aristoxenus sich in Gefahr begibt. Wegen ihm. Mit einem Mal fürchtet er nicht nur um sich. Sanftes Erstaunen umwölkt Lycidas' Brauen.


    Cleonymus. Schwarzbart! Der Herr des Gasthauses. Ein führender Kopf der Polis?! Allerdings zeigte er sich zuvorkommend. Viel zu zuvorkommend! Aristoxenus' Worte bergen eine Erklärung für dieses unheimliche Verhalten. Ein Zierobjekt sein. Damit hat Lycidas viel Erfahrung. Es klingt äusserst verlockend. Doch was hinter der Fassade liegt. Er kann es nicht wissen. Das wahre Gesicht der Herrschaften. Oftmals zeigen sie es erst, wenn man in ihrem Besitz ist.
    Lycidas schlägt die Augen nieder vor dem dringlichen Blick seines Retters. Zögert. Aber nicht lange. Das Wasser steht ihm bis zum Hals. Vielleicht ist Schwarzbart die Rettung. Lycidas muss versuchen, mit der Lyra seine Gunst zu erringen. Und Aristoxenus soll nicht noch weiter mit hineingezogen werden.
    Blass die Finger, die den Stylus umgreifen. Mit dem abgeflachten Ende streicht Lycidas seine Sätze aus. Zu blasphemisch um sie stehen zu lassen. Dann dreht er den Stylus. Schreibt:



    Ich werde zu ihm gehen. Dem Herrn des Kapeleion.
    Ich danke Dir für Deinen Rat, verehrter Kyrios. Für alles.






    Kommst Du mit? Kann ich noch ein wenig bei Dir bleiben? So ich überlebe, darf ich Dich dann besuchen? Diese Fragen brennen Lycidas auf der Seele. Doch sie wären ganz und gar unangemessen.

    Ausgeruht und erfrischt erscheint der junge Sklave an diesem neuen Morgen. Er setzt sich, überkreuzt die Knöchel unter seinem Sitz, und sieht zutraulich zu seinem Retter auf. Doch dessen Ansinnen – es scheint ihm sehr bedenklich...
    Der Stumme windet sich. Tief eingebrannt in seine Sklavenseele ist das Dogma, nicht schlecht über den Herrn zu reden. Er ist böse. Doch er ist der Herr. Gequält blickt er auf die Wachstafel, die leere Fläche, die seiner Worte harrt. Zwiespalt. Zerrissenheit. Sie spiegeln sich in seinen lichten Zügen. Lycidas möchte sich in Luft auflösen. Besser – in einen Klang, einen schwebenden, von nichts und niemand zu haltenden Saitenklang.
    Der Gastgeber wartet. In großer Nervosität wandern Lycidas' schmale, gepflegte Hände umher. Flattrig wie aufgescheuchte Vögel. Sie betasten den Ring, den er um den Hals trägt. Streichen über die Tischkante. Über die feste, kühle Oberfläche des Wachses. Es duftet gut. Das Bienenwachs.
    Der Sklave nimmt seinen spärlichen Mut zusammen. Seine Lippen beben, seine Hand zittert sacht, als er niederschreibt:



    Mein Herr ist sehr streng. Er kennt kein Erbarmen.
    Das Schöne liebt er über die Maßen. Das Häßliche duldet er nicht. Und keine Verfehlung.
    Früher war er gut zu mir. Ich durfte ihn immer begleiten. Doch jetzt ist meine Schönheit befleckt von einem Makel. Darum hat er einen grausamen Plan ersonnen.
    Ich war ihm immer ein treuer Diener. Ich habe für ihn gespielt. Sein Gemüt besänftigt. Seine Bücher getragen. Ihn gepflegt, als er in der Wildnis krank darnieder lag. Doch wenn er meiner habhaft wird, dann wird er mich töten lassen.


    Verehrter Kyrios, ich danke Dir für die unermessliche Güte, die Du mir erwiesen hast, als Du mir Obdach botest. Möge der Segen der unsterblichen Olympier auf Dich kommen.
    Ich weiß nicht, was ich tun, wohin ich mich wenden soll.
    Kannst Du mir helfen?



    Mit gesenktem Blick schiebt Lycidas die Tafel Aristoxenus zu.

    Ein sanftes Neigen des Hauptes. Der junge Künstler nimmt die Huldigungen entgegen. Erfreut. Beherrscht. In dem Bewusstsein, dass die Lobpreisungen ihm gebühren. Doch die Ehre, mit den Herrschaften zu speisen... sie macht ihn beklommen. Es ist nicht richtig. Er weiß das. Nur zögernd lässt er sich auf der Kline nieder. Dünkt sich wie Ikarus. Nur nach Aufforderung wagt er es, nach den Speisen zu greifen. Obgleich sie köstlich seinem Gaumen schmeicheln, isst er nur wenig.
    Später beantwortet er die Fragen des Gastgebers. Schreibt sein Leben in dürren Worten auf dem Papyros nieder.

    Mein Name ist Lycidas.
    Ich komme aus Sardis. Ich bin Lyder.
    Ich bin sechzehn Jahre alt.
    Mein Herr ist Lucius Claudius Cethegus.
    Er ist ein Patrizier, der die Länder der Barbaren bereist.
    Ich bin unfrei geboren.
    Ich weiß nicht, ob meine Eltern noch leben. Vor acht Jahren sah ich sie zum letzten Mal.
    Ich habe einen Bruder und zwei Halbschwestern. Auch von ihrem Schicksal weiß ich nichts.


    Nach dem Essen spielt er noch ein wenig auf der Lyra. Zur Zerstreuung der Herren, die ihn mit solch übermäßiger Güte aufgenommen haben. Sodann zieht er sich zurück in das große stille Zimmer, welches sie ihm zur Verfügung gestellt haben. Zwischen glatten weißen Laken fällt er in einen erschöpften, einen todesähnlichen Schlaf.

    Keine Herren, keine Sklaven.
    Dieses Konzept ist Lycidas fremd. Fremder als fremd. Er scheint an einen Exzentriker sondergleichen geraten zu sein. Sein Misstrauen wächst. Soviel Freundlichkeit kann nicht echt sein. Schwarzbart hat seinen Stand erkannt, und geht doch einfach so darüber hinweg? Nein. Unmöglich. Schwarzbart wird etwas im Schilde führen. Der Sklave lächelt zart, nickt unterwürfig. Greift nach den Speisen. Nichts kündet von seinem Argwohn.
    Es mundet Lycidas. Ganz vortrefflich. Doch die Hemmung, mit einem Höhergestellten zu speisen, sie lässt sich nicht abschütteln. Er nimmt nur kleine Bissen. Erst als zwei der Athleten aneinander geraten, harte Worte austauschen, dann Schläge, als darum niemand mehr auf ihn achtet, da schlingt der hungrige kleine Sklave das Essen nur so in sich hinein. Jenen Moment der Unruhe nutzt er zudem, um sich im Schlepptau einer Gruppe anderer Musiker schnell zurückzuziehen. Bevor der unheimliche Gastgeber sich wieder ihm zuwenden kann.


    In einem der Gästezimmer verbringt Lycidas die Nacht. Wälzt sich hin und her. Gequält von der Furcht. Irritiert durch die unvertraute Umgebung. Belästigt durch das Schnarchen eines beleibten Sängers. Bevor der Morgen graut, ist er bereits erwacht. Nimmt seine Sachen und stiehlt sich aus dem Gasthaus. Die Morgenluft ist klar. Kühl. Blass. Es zieht Lycidas meerwärts....

    ...Schweigen ist Gold.


    Es gibt Momente, in denen Lycidas glaubt, seinen Herrn zu verstehen. Warum er ihm die Stimme nahm. Nicht, dass dies den Hass lindern würde.
    Da steht Lycidas. Schweigt. Wird begutachtet. Er verhüllt sich in nichtssagende Lieblichkeit. Am Tisch fällt der Name eines Gottes: Apoll. Lycidas bietet eine leere Fassade. Stille macht rätselhaft. Horror vacui. Der Betrachter füllt es nach Gutdünken mit seinen Ideen.
    Einerseits beruhigt es den Sklaven. Mit solch schmeichelhaften Assoziationen bedacht zu werden. Noch immer vermag er zu gefallen. Der Makel scheint weniger verheerend zu sein, als es Lycidas anfangs schien. Oder diese Herren sind ästhetisch weniger anspruchsvoll. Oder... wäre es wohl möglich, dass der Claudier... übertrieb? - Blasphemie. Unwillkürlich neigt der Junge den Kopf noch ein wenig mehr. Bis eine güldene Strähne ihm ins Gesicht gleitet. Sich an seine Wange legt. Den Makel verdeckt.


    Trotz des Wohlwollens, trotz der Güte, welche ihm hier entgegengebracht wird. Lycidas möchte schreien.
    Sprich nicht so von meiner Mutter, Fremder!! Und mein Vater war nur ein unfreier Schafhirte. Er roch nach Mist und fettigem Fell und trank zuviel. Ich will keinen Obstsalat. Ich habe Hunger.
    Es bleibt unausgesprochen. Es wäre auch undankbar. Unklug. Unsklavisch. Nur ein leichtes Lächeln weht um Lycidas Lippen. Er nickt verhalten und lässt sich auf dem herbeigebrachten Sitzplatz nieder. Anmutig wie stets. Er zieht die Füße unter den Stuhl. Kreuzt die Knöchel. Hält die Lyra auf den Knien und schlägt ohne Zögern die erste Saite an. Entlockt der Lyra zarte Klänge, welche sich sacht wie das Kräuseln von Rauch, wie Kreise auf einer Wasseroberfläche im Raum ausbreiten. Sich zu fragilen Klanggebilden vereinen, anschwellend sich zum Hymnus verweben, der uralten und wohlbekannten ersten delphischen Hymne an Phöbus Apollon. Weihevoll. Lycidas erlaubt sich einige sublime Variationen des archaischen Lobliedes. Lässt es schließlich verklingen. Mit niedergeschlagenen Augen erwartet er das Urteil.

    Das Zimmer ist weitläufig. Mit untergeschlagenen Beinen sitzt der junge Sklave auf dem Bett. Ein Hochstapler. Erneut fühlt er sich als Hochstapler. Dieser Raum ist seiner unangemessen. Es ist ihm unheimlich. Zu oft hat man ihm gesagt, wie die Sklaven enden, die ihren Platz nicht kennen. Die zu hoch hinaus wollen. Sie fallen. Sie werden zerschmettert. Wie Ikarus.
    Hingegen. Es lässt sich nicht leugen. Dass dieses Bett sehr bequem ist. Das aufregende Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Er verspürt es, als er sich auf dem Herrenbett ausstreckt. Den Kopf in ein Daunenkissen schmiegt.
    Geräusche im Haus. Sie lassen ihn auffahren. Eine Türe fällt ins Schloss. Schritte. Was wenn der junge Herr seinen Sinn gewandelt hat? Was wenn es die Stadtwächter sind?! Lycidas läuft zum Fenster. Rasch öffnet er beide Fensterflügel und beugt sich hinaus. Sucht einen Fluchtweg. Für den Fall der Fälle. Leider liegt das Zimmer im Obergeschoss. Eventuell könnte Lycidas an dem hölzernen Gitter hinabklettern, um das sich die Kletterrosen ranken. Dann gälte es nur noch die Gartenmauer zu überwinden.... Der Jüngling schaudert. Die Dornen könnten ihn stechen. Und wie leicht könnte er sich bei der Kraxelei etwas brechen.
    Courage zählt nicht zu Lycidas' herausragendsten Eigenschaften. Er setzt sich wieder auf das Bett. Um sich zu beruhigen nimmt er die Lyra zur Hand. So nahe am Meer ist die Luft salziger. Feuchter. Das Holz arbeitet. Lycidas schlägt eine Saite an und beginnt sein Instrument zu stimmen. Verliert sich in leisen Klangfolgen.
    So findet ihn später Achillas. Die Ruhepause ist zu ende. Lycidas erhebt sich. Streicht sich das Haar zurecht. Stählt sich innerlich für seinen Auftritt.



    Im Schatten des großen Leibwächters betritt Lycidas die Exedra. Sein Schritt ist leicht. Ein zartes, beinahe träumerisch zu nennendes Lächeln verklärt die Züge des Lyders. Es ist undurchdringlich. In den Händen hält Lycidas sein Instrument. Samtighell das Holz, golden die Intarsien. Orpheus, der die wilden Tiere mit seinem Gesang betört. Der für das Meer spielt. Den Sturm. Orpheus in der Unterwelt. Orpheus' Ende von der Hand der Bacchantinnen. All diese Bilder vermag ein aufmerksamer Betrachter auf den geschwungenen Armen der Lyra zu entdecken, und ihre Farbe harmoniert vorzüglich mit dem fahlen Gold des lydischen Haares.
    Das reine Weiß der Tunika. Das verhaltene Zögern in der Folge der Schritte. Das Forschende in dem eigentümlich dämmerblauen Blick des Jünglings. Sie verleihen der Erscheinung eine liebliche Unschuld.
    In angemessener Distanz verharrt Lycidas. Schlägt die Augen nieder. Verbeugt sich vor dem jungen Herren sowie vor dessen Tischgenossen. Ruhig stehend, das Spielbein ein wenig gebeugt, den Kopf aufmerksam zur Seite geneigt, erwartet er ihre Wünsche.