Lächelnd nahm er die freundlichen Begrüßungsworte entgegen. Dass Merula zu den beiden wichtigsten Gästen gehörte, hielt er für übertrieben, auch wenn es ihm schmeichelte.
"Ich danke euch für die freundlichen Wort. Es tut gut zu wissen, dass wir Iunier zuverlässige Freunde in der Stadt haben. Und ich danke euch, dass ihr mich in meiner Muttersprache willkommen heißt. Doch wie soll mein attischer Wortschatz je umfangreicher werden, wenn ich mich nicht einmal in Alexandria dieser Sprache bediene?" wechselte er schließlich ins Griechische.
Der Iunier hob ebenso seinen Becher und entgegenete den Gruß des Agoranomos. Während er einen tiefen Schluck nahm, wiederholte er im Geiste das Gesagte. 'Was wir mit dir vorhaben?' Diese Worte ließen die Alarmglocken in ihm schrillen. Wollte man die Popularität seines Namens nutzen, ihn als Marionette gebrauchen? Er musste auf der Hut sein.
"Unser Gastgeber, der ehrenwerte Kosmetes, hat etwas angedeutet", bestätigte er die Vermutungen des Agoranomos. "Es stehen Wahlen an und das ein oder andere Amt soll wohl neu besetzt werden?"
Beiträge von Lucius Iunius Merula
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Der Stationarius nahm die Beileidsbekundungen Scipios mit einem dankbaren Nicken entgegen. Sein Anliegen gefiel ihm weniger. Immerhin war die Rolle des neuen Statthalters im Mordfall noch immer nicht hinreichend geklärt. Axilla würde das Schreiben deswegen sicherlich mit wenig Begeisterung lesen. Aber dafür konnte wohl zumindest der Beamte der Regia nichts.
"Nun, die meisten Mitglieder unserer Gens leben in der Tat in Rom. Du könntest aber zusätzlich noch eines an Iunius Silanus versenden. Er ist Präfekt der Ala in Confluentes. Ah, und eines an diesen Brutus, P.C. in Mantua. Soll ich das für dich erledigen?"
Dass Silanus nicht länger in Confluentes weilte, hatte sich zu Merula noch nicht herumgesprochen. -
Merula folgte Lycos in den Keller des Hauses. Seit seinem ersten, mehrtägigen Besuch vor vielen Monaten schien der Besitzer weiter in seine Anlage investiert zu haben. Von einer einfachen Herberge konnte nun kaum mehr die Rede sein.
Merula setzte sich zu den Leuten hinzu und lauschte den Gesprächen der Anwesenden, während sie auf den Gastgeber warteten. -
"Die Namen bekommst du. Aber das Gespräch zwischen uns beiden will ich nun beenden", sagte Merula, während er sich erhob, die Bedeutung seiner Worte unterstreichend. Mehr gab es auch nicht zu sagen. Mehr wusste er ja gar nicht.
Als der Optio das Thema Geld ansprach, fiel ihm dann aber doch noch etwas ein: "Ich habe Urgulanias Sklaven ein wenig gelöchert. Nach einigem Hin und Her hat einer von ihnen von einem kleinen Vermögen berichtet, dass er in ihrem Auftrag an einen Perser weitergeleitet haben will. Dessen Haus steht in der Nähe der Stadtmauern, unweit der via argeus. Vielleicht hilft dir das weiter." Merula bezweifelte es. Anonyme Geldtransfers waren nunmal keine Seltenheit, wenn auch nicht unbedingt in dieser Höhe. -
"Vale, Cleonymus. Bis morgen!" verabschiedete Merula den Archonten.
Der Iunier würde diese Nacht noch lange wach bleiben und sich Gedanken zu seiner Zukunft machen. -
In den frühen Abendstunden erreichte ein weiterer Mann das Tor der Herberge. Das Kapeleion Archaon war ihm nicht unbekannt, hatte er doch die ersten Nächte in Alexandria hier verbracht.
Noch hatte man das Tor nicht verschlossen und so nannte der Besucher dem Ianitor seinen Namen: "Guten Abend! Ich bin Lucius Iunius Merula und mit dem guten Cleonymus verabredet." -
Wenn der 'alte Mann' es darauf ausgelegt hatte, Merula so zu verunsichern, dass dieser seine Entscheidung schon Sekunden, nachdem er sie getroffen hatte, wieder in Frage stellte, sollte er recht behalten. Irgendwie hatte der junge Römer plötzlich das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn er Cleonymus Angebot ausschlug. Und gegen ein informelles Abendessen gab es nun wirklich nichts einzuwenden.
"Also gut, ich werde da sein", antwortete er schließlich und nahm einen großen Schluck. Sein Leben in Alexandria schien komplizierter zu werden, als er sich das vorgestellt hatte. -
Als Cleonymus zu Ende gesprochen hatte, schwieg Merula eine ganze Weile lang, den Blick mal auf den Archonten, mal in die (nicht vorhandene) Ferne seiner Bücherregale gerichtet. Seine Überraschung über den Vorschlag war ihm nicht anzumerken. Doch hinter seiner Stirn begann es zu arbeiten.
Wollte er die Gelegenheit nutzen, Urgulania sozusagen im Windschatten des Mordfalles zu folgen und als römischer Bürger in die alexandrinische Politik einzusteigen.
Ein Mann mit großen politischen Ambitionen hätte sicherlich sofort zugegriffen.Doch Lucius war kein solcher Mann.
"Dein Angebot ehrt mich; und ich weiß es zu schätzen, dass du so viel Vertrauen in den Namen meiner Familie hast... Doch ich muss ablehnen. Ich sehe mich noch immer als Fremden, der mit dem Leben und den Gegebenheiten in Alexandria zu wenig vertraut ist. Ich muss leider ablehnen."
Keine Rolle spielte bei seiner Entscheidung, dass er - der Iunier - sich einigen Griechen und Ägyptern hätte unterordnen müssen. Ebensowenig hatte er Angst davor, wie seine Cousine x-ten Grades während der Ausübung seines Amtes zu Tode zu kommen.Nein! Lucius Iunius Merula hatte schlichtweg keine Lust auf Politik.
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"Briefe privater oder offizieller Natur, Prudentius?"
Da sich in letzter Zeit nur wenige Kunden in seine Station verirrten, konnte sich Merula noch gut an den Magister Officiorum erinnern. -
Merula nickte. "Ja. Dieser Legionslegat hat Urgulania vor einiger Zeit mit dem Kreuz gedroht und sie nun ermorden lassen. So oder so ähnlich reden wohl einige in den Straßen der Stadt." Axilla hatte ihm von der Drohung mit dem Kreuz erzählt. Damals hatte ihn das wenig interessiert, er hielt es vielmehr für eine Übertreibung seiner emotional veranlagten Cousine.
Ein wenig sehnte er sich nach der überschaubaren, einfachen Kommunalpolitik von Misenum zurück. Auch dort wurde gemauschelt und geschmiert, aber am Ende saßen dann doch wieder alle an einem Tisch. Und einen politischen Mord hatte es dort wohl schon lange nicht mehr gegeben.
"Ich gebe zu, ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll", fügte Merula wahrheitsgemäß hinzu. Er kannte hier auch niemanden, den er dazu um Rat fragen und auf dessen Worte er vertrauen konnte. -
"Ich grüße dich, Cleonymus, Kosmetes der stolzen Stadt Alexandria", empfing Merula den Archonten auf seine blumige Art. Schnell räumte er einen zweiten Stuhl von allerlei Gerümpel frei und bot ihn dem Fremden an. Ebenso griff er nach einem Becher, den er wie den Seinen randvoll mit gut verdünntem Wein füllte. Von Haussklaven hielt der Iunier traditionell nicht viel. Sie standen immer nur im Weg herum und ihre Verpflegung kostete ein Vermögen. Dann doch lieber sein Geld für wirklich wichtige Dinge (in seinem Fall Bücher, Wein und Pferde) ausgeben.
"Und ich danke dir für deine Anteilnahme. Es ist ein großer Verlust für uns alle. Urgulania zählte zu den führenden Persönlichkeiten unserer angesehenen Familie." Dass es von den Iuniern kaum mehr wichtige und einflussreiche Leute gab, gehörte zu den Dingen, die Merula für sich behielt.Neugierig beobachte der Iunier den Mann vor ihm. Sicherlich war dieser nicht nur gekommen, um Merula - einem vollkommen Fremden - sein Mitgefühl zu bekunden; auch wenn Urgulanias Tod ihn tatsächlich zu berühren schien.
"Hoffen wir, dass der oder die Täter gefunden und hart bestraft werden!" fügte er schließlich hinzu, während er sich in Gedanken auf die Suche nach irgendeiner Assoziation machte, die ihm zu dem Namen Cleonymus einfiel. Enttäuscht darüber, dass dem nicht so war, redete er weiter: "Gibt es etwas, wobei ich dir helfen kann?" -
"Momentan lebt nur Dominus Lucius Merula in diesem Haus. Ich werde dich ankündigen", antwortete der Mann, der wie alle Bewohner des Hauses noch immer die angeordnete Trauerkleidung trug.
Während der Besucher zuerst ins Atrium geführt wurde, eilte ein anderer Diener in Merulas Privatzimmer, um wenig später den Kosmetes vom Atrium in einen am hinteren Ende des Hauses gelegenen Raum hinüber zu begleiten. -
Merula brütete gerade über einigen von ihm verfassten Zeilen, als ein Diener des Hauses, dessen Namen er nicht kannte und auch gar nicht wissen wollte, die Ankunft des Kosmetes der Stadt ankündigte.
Um sich von den unangenehmen Dingen des Alltags abzulenken, hatte der Stationarius seine alte Leidenschaft, das Schreiben, wiederentdeckt. Es beruhigte ihn und machte ihm das Leben in dem großen Haus etwas erträglicher.
Während er seine Schreibsachen beiseite legte, überlegte er angestrengt, mit welchen Aufgaben der Kosmetes von Alexandria innerhalb der Magistrate betraut wurde. Im Zuge seiner Aufnahme in die Liste alexandrinischer Bürger ehrenhalber hatte sich Merula über das politische System der Stadt informiert, doch viel hängen geblieben war dabei offensichtlich nicht. So stand er also alleine in dem für ihn eingerichteten kleinen Arbeitszimmer und wartete auf die Ankunft des Besuchers. -
"Was kann ich für dich tun?"
Der Ianitor, der die Tür öffnete, tat diesen Dienst erst seit einigen Tagen. Im Zuge der Vorfälle der letzten Tage und Wochen war es zu einigen Verschiebungen im Dienstplan der Haussklaven gekommen. -
Trotz aller Ernsthaftigkeit spielte ein zerstreutes, abwesend wirkendes Lächeln um seine Mundwinkel, als Merula den Namen des Soldaten vernahm. Solange dieser In Alexandria weilte, drohte der Stadt wohl zumindest vom Meer aus keine Gefahr.
Über die Aufdringlichkeit der Fragen konnte der Iunier hingegen nicht lächeln:
"Deine Fragen sind sehr zahlreich, meinst du nicht." Er überlegte einen Moment, womit er anfangen sollte. Soviel gab es ja nicht, was er zu erzählen hatte. "Urgulania war nicht verheiratet; hatte, so weit ich weiß, auch keine Kinder. Unsere Verwandtschaftsbeziehung? Ich glaube, mein Urgoßvater war ein Bruder ihres Vaters. Wie gesagt: Ich kannte sie kaum.
Ob sie Feinde hatte? Vermutlich. Jeder, der im öffentlichen Leben steht, schafft sich früher oder später solche. Meine Cousine, die kürzlich abgereiste Iunia Axilla, durfte jedenfalls nur mit Begleitschutz außer Haus."Merula hatte das nicht verwundert. Eine junge, römische Frau sollte seiner Meinung nach grundsätzlich nicht alleine durch die Straßen einer Großstadt ziehen.
"Urgulania besaß eine Schneiderei und ein Lupanar in der Stadt. Die Namen ihrer Verwalter kenne ich nicht, kann sie aber für dich ausfindig machen. Wenn sie kein anders lautendes Testament verfasst hat, erbt wohl Iunius Silanus. Ich glaube, er ist Präfekt irgendeiner Ala in Germanien."
Diesem Silanus, dem unter anderem auch dieses Haus gehörte, war Merula noch nie begegnet.
"Die führenden Bürger Alexandrias scheinen jedenfalls von ihrer Arbeit sehr angetan gewesen zu sein." -
"So ist es! Lucius Iunius Merula, Sohn des Appius Iunius Decula. Und mit wem habe ich die Ehre?" Ob Soldat oder nicht. Den Namen des Gegenübers wollte er schon erfahren.
Unmittelbar nach Bekanntwerden des Mordes hatte Merula noch in erster Linie mit den damit verbundenen bürokratischen Unannehmlichkeiten gehadert. Dies war nun mit einigem zeitlichem Abstand einem Gefühl echten Zorns gewichen. Man hatte eine seiner Cousinen ermordet, immerhin ein Mitglied der altehrwürdigen Iunischen Gens. Eine Tat, die nicht ungesühnt bleiben durfte. Der Stationarius war demnach selbstverständlich bereit, seinen Teil beizutragen.
"Was wollt ihr wissen? Ich bin noch nicht lange in Alexandria und kannte Urgulania nicht wirklich gut, aber wenn ich etwas zur Aufklärung beitragen kann, werde ich dies gerne tun." Er bedeutete dem Optio mit einer Handbewegung an, Platz zu nehmen. Der Mann schien es jedoch eilig zu haben, also verzichtete Merula zumindest vorerst darauf, den Soldaten irgendetwas anzubieten. -
Im Atrium der Domus Iunia wartete Merula auf die ihm soeben angekündigten Besucher. Schon seit Axillas Abschied aus Alexandria, spätestens aber jetzt nach Urgulanias Tod, fühlte er sich nicht mehr richtig wohl in dem Anwesen seines Verwandten Silanus. Er überlegte ernsthaft, in ein anderes Domizil außerhalb des Basileia umzusiedeln. Doch solange der Mord an seiner älteren Verwandten nicht aufgeklärt war, würde er diese Gedanken hinten anstellen.
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"Einen Moment, bitte." Der Ianitor ließ die unerwarteten Gäste vor der Eingangstür zurück, um dem einzig verbliebenen Iunier Bescheid zu sagen.
Nach kurzer Zeit kehrte er in Begleitung eines Sklavenjungen zurück.
"Dominus Lucius Merula ewartet euch im Atrium. Der Junge wird euch zu ihm bringen." -
"Salve, Milites! Was wollt ihr?" Der Ianitor, der die Tür öffnete, ließ sich nicht anmerken, ob er vom Anblick der Soldaten überrascht oder gar eingeschüchtert war.
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Sich an ein längere Zeit zurückliegendes Gespräch mit dem Magister Officiorum erinnernd hatte sich Merula zu den großen Märkten der Stadt aufgemacht, die ungefähr zwischen seiner Wohnstätte und dem Standort seines Arbeitsplatzes lagen. Er benötigte größere Mengen einer bestimmten Ware und nahm dies zum Anlass, sein Versprechen einzulösen und persönlich dem Fernhandel des Prudentius einen Besuch abzustatten. Nach einigem Herumfragen erreichte er sein Ziel und sah sich nach dem vielbeschäftigten Besitzer des Geschäfts um - in der Hoffnung, diesen vielleicht sogar persönlich anzutreffen.