Beiträge von Claudia Sisenna

    Das Missverständnis klärte sich auf. Cara schien noch mehr verwirrt als zuvor Sisenna. Die kleine Claudia kicherte, weil es ihr gut gefiel, so viele Leute um sich zu haben, die allerlei Wirbel verursachten. Nichts fand sie so schlimm wie Einsamkeit.


    "Wir gehen auch noch einkaufen, später", versicherte sie Cara. "Zuerst muss ich böse Männer anzeigen und jagen lassen. Das habe ich versprochen." Sie schaute kurz zu Sofian, dann wieder zu Cara zurück.


    "Ich erlaube dir mitzukommen, wenn du Lust hast." Das sollte nicht gönnerhaft klingen, wäre aber für Cara eine Rechtfertigung, falls Sassia am Ende des Tages schimpfte. Sisenna lächelte. Sie war umringt von Sklaven, die sie allesamt mochte und die im Augenblick alleine ihr 'gehörten'. Kein Erwachsener funkte dazwischen, niemand berief einen der Sklaven ab. Und das Beste: Sofian dürfte ihr niemals irgendwer wegkommandieren.
    "Wir werden eine schöne Zeit haben", versprach sie ihm - völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Sie meinte nämlich nicht die Suche nach seiner Familie, sondern ihre gesamte Zukunft.


    "Kommt, lasst uns gehen." Zielstrebig schritt sie hinaus.

    Vor der Porta standen Sklaven um eine hochwertige Sänfte. Ein Tritt lud zum Einstieg ein, obwohl er für Sisenna nicht vonnöten war. Zwar klein von Statur, aber dafür noch weit beweglicher als manch gewichtiger Römer, kletterte die kleine Claudia behänd hinein.
    Sie winkte Sofian zu, von dem sie annahm, er müsse sich erst mit den römischen Gepflogenheiten anfreunden.


    "Ich möchte, dass du direkt neben mir läufst. Dann können wir währenddem erzählen. Bist du aufgeregt?" Sie gab den Trägersklaven einen Wink, um ihnen zu signalisieren, dass sie die Sänfte anheben könnten. In erhöhter Position konnte sie viel besser mit Sofian reden.


    "Haben wir eigentlich auch Quellwasser dabei?" Ihr fiel ein, sich bisher nur um Speisen gekümmert zu haben.


    "Ach ja, Marco. Du weißt ja noch nicht, wo wir hinmüssen. Ich möchte eine Anzeige aufgeben. Also, nicht so eine, die man bei meinem Onkel aufgibt, sondern eine, wo Soldaten nachforschen." Sie nickte zur Untermauerung.

    Die geschmierten Honigbrote schmeckten Sisenna gut. Das lag vermutlich daran, weil Sofian eine andere Menge an Honig wählte. Sie schob sich ein weiteres Stückchen in den Mund und durchdachte seinen Vorschlag, den Mann auf dem Markt zu vergessen. Während sie kaute, kam ihr die Kenntnis, dass sie darauf keinerlei Einfluss hatte.
    "Ich habe gestern den ganzen Abend nicht an ihn gedacht, aber er kommt einfach im meine Träume. Wie soll ich das denn ändern?"
    Sie biss ab und kaute. Erst Cara riss sie aus ihren Gedanken.

    Sisenna hörte vor Überraschung auf zu kauen, als Cara mitteilte, sie wäre bereit für den Ausflug. Zwar hatte ihr Herrin Sassia gesterngesagt, sie wolle zum Markt mitkommen, aber Sisenna glaubte, das wäre hinfällig, weil sie zuerst böse Männer anzeigen wollte. Aber vielleicht sollte ja deswegen Cara mitgehen, weil Sassia keine Lust auf den Anzeigengang hatte. Möglicherweise hatte Cara auch einen Auftrag zum Einkaufen bekommen. Sisenna schluckte runter. "Ja, gut, gerne."


    Als Sofian nach Marco fragte, fing sie an zu kichern. "Du kennst doch Marco. Er war gestern mit auf dem Markt. Groß, breit, immer ernst." Sie legte den Kopf schief und wartet, bis bei Sofian die Erkenntnis kam. Natürlich begleitete sie gestern nicht nur Marco, sondern etliche andere Helfer und Sklaven, aber Marco fiel auf. Noch mehr verwunderte sie aber, dass Sofian nicht mehr wusste, wohin sie gingen. Sie holte Luft und wollte antworten, da kam Marco ins Triclinium und brachte die fehlende Verpflegung mit.

    "Dann lasst uns losgehen. Marco, ich brauche eine Sänfte und dich als Wegführer." Sie sprang auf den Boden und strich sich über das hellblaue Kleid. Eine neue Tunika bräuchte sie nicht, aber Sofian sollte eingekleidet werden.

    "Ich habe nicht gut geschlafen." Sisennas Unterlippe schob sich ein Stückchen vor. Sie konnte sich an keine schlechtere Nacht erinnern. "Dieser Mann auf dem Markt, der dich geschlagen hat, hat auch mich geschlagen. Ich habe geschrien, aber niemand kam, um zu helfen." Kummer überzog ihr Gesicht, dann schleuderte sie den Kopf hin und her. "Ich will da nicht mehr dran denken." Sie inspizierte die Speisen und entschied sich wie geplant für Honig und Brot.


    "Schmierst du mir Honig auf die Brotstücken?" Die Frage stellte eher eine Bitte dar, obwohl sie es hätte einfach befehlen können. Befehle gelangen ihr bei Erwachsenen schlecht, und wenn sie einmal befahl, dann wusste jeder, dass sie ernsthaft sauer war.


    "Unterwegs möchte ich Nüsse und Äpfel und Brot und Gebäck mitnehmen." Wer auch immer das alles zusammenpackte, es würde bereit stehen, daran zweifelte sie nicht. Sie wusste bislang nicht, ob später Sofian dafür zuständig sein würde. Vieles musste sich erst einspielen und würde sich ergeben.
    "Wir reisen heute in einer Sänfte. Bestimmt werden wir so von den Soldaten besser behandelt", erklärte sie Sofian. Sie meinte damit, dass sie in der Sänfte saß und Sofian nebenher lief. Zum Tragen würde sie ihn aber nicht hergeben wollen. Das mussten andere Sklaven übernehmen.


    Sie winkte eine Sklavin herbei. "Ich brauche Marco. Er soll gleich hierherkommen."

    Sisenna schaute den Aedil mit fragenden Augen an. Sie besäß gerne das Wissen dieses Marktgottes. Erwachsene konnten zwar sehr umständlich sein, aber sie wussten sehr viel mehr als Kinder.
    "Wo ist denn der Händler hingezogen, der ganz, gaaanz früher Grundstücke verkauft hat? Ich weiß genau, dass es so jemand gibt. Ich habe gehört, wie mein Onkel das erzählt hat." Sie sagte lieber nicht, dass sie verbotener Weise einem Gespräch ihres Onkels mit dem Verwalter des claudischen Vermögens gelauscht hatte.


    Bei dem folgenden Vorschlag des Marktgottes verspürte Sisenna jedoch Resignation. Sie hob die Schultern und ließ sie in einer hilflosen Geste wieder fallen. "Das hat keinen Sinn", jammerte sie. "Ganz gleich, wer meinen Onkel fragt, er gibt mir kein Grundstück. Ich habe diese Woche und die letzte und die davor jeden Tag gebettelt, aber er sagt, zwei Betriebe reichen. Mehr schaffe ich nicht. Aber das stimmt nicht." Voller Überzeugung schüttelte Sisenna den Kopf. "Ich schaffe das! Und außerdem wachsen meine Betriebe von alleine, weil die Königin viele Prinzessinnenlarven legt und das versteht mein Onkel nicht." Ihrem Onkel fehlte Einfühlung und sämtliches Wissen über Tiere. Sisenna überkam wieder Traurigkeit, weil jeder, den sie fragte, sie im Stich ließ. Sie musste doch für ihre Bienen sorgen und es gab nun mal sehr viele Bienenkinder.


    "Hilfst du mir bitte? Biiitte! Wo muss ich hingehen oder muss ich einen Antrag stellen? Kann ich bei dir einen Antrag stellen?" Hoffnung keimte auf

    Die Sklavin nickte, als Sisenna ihre Wünsche äußerte. Bevor sie zur Küche eilte, grübelte sie kurz, wer wohl Sofian war. Ein neuer Sklave war ihr heute noch nicht begegnet und gestern lag sie beizeiten auf ihrer Liegestatt.
    "Tut mir Leid, kleine Domina. Ich habe heute außer der Köchin und dem Ianitor noch niemand gesehen. So zeitig wie heute steht sonst niemand von den Herrschaften auf. Es gab aber Gemurmel in unserer Unterkunft, deswegen glaube ich, dass alle schon wach sind. Vermutlich auch der neue Sklave."
    Als sie sich zum Ausgang wandte, gewahrte sie einen jungen Mann, den sie von Angesicht nicht kannte.


    "Domina?" Sie blickte über die Schulter zu Sisenna, die ihrerseits den Hals reckte, um zu erkunden, was die Sklavin meinte.



    "Sofian", rief sie freudig. "Komm rein und setz dich zu mir. Die anderen schlafen noch, deswegen können wir hier zusammen essen. Was möchtest du zum Frühstück?" Gespannt wartete sie, dass Sofian seinen Geschmack verriet.


    "Wir müssen uns doll stärken und sollten auch etwas Wegzehrung mitnehmen. Der Tag heute wird bestimmt anstrengend und lang." Sie betrachtete sein Gesicht und ahnte nicht, dass ihres nicht viel erholter wirkte als seins. Reden lenkte aber von den schlechten Trauminhalten ab, deswegen sprach sie sogleich weiter, obwohl sie morgens im Normalfall die Ruhe bevorzugte.


    "Wie hast du geschlafen?", fragte sie leise.

    "Jaaah, meine Familie ist reich." Das wusste Sisenna auch. "Der Kaiser ist noch viiiel reicher, aber beide wollen mir kein Grundstück verkaufen. Mein Onkel will nicht, dass ich mehr Bienen halte, deswegen gibt er mir keins. Zwei Betriebe hat er mir schon erlaubt auf seinem Land, mehr darf ich nicht. Der Kaiser hat mir nicht gesagt, warum er mir keins gibt." Vor allem das fand Sisenna wirklich gemein. Jeder nahm sie wahr und wichtig, nur der Kaiser nicht. Die kleine Claudia fühlte sich verletzt und würde das so schnell nicht vergessen.


    Sie zuckte mit den Schultern, als der Aedil erklärte, er könne ihr kein Grundstück zuteilen.
    "Der Markt ist zum einkaufen da und ich möchte heute ein Grundstück kaufen. Geld habe ich! Wo also kann ich eins kaufen?"
    Das war doch ganz einfach. Warum nur machten die Erwachsenen alles so kompliziert?

    Nicht minder verdutzt schaute Sisenna, als ihre große Nicht plötzlich zu lachen begann. Erst im Nachhinein erfuhr sie, warum. Sie verzog den Mund zu einem Lächeln, dass wegen ihrer Müdigkeit eher schief ausfiel.


    "Wenn das süße Getränk wie Honig schmeckt, will ich es gerne probieren, aber wenn es wie Wein schmeckt, trinke ich das nicht. Wein schmeckt wie schlechter Saft." Was sie Sofian erst vor kurzem erklärte, sollte nun auch Sassia wissen. "Eigentlich fehlen nur noch die Obstfliegen drin." Sie kicherte, weil es ihr Spaß machte, Sassia ein bisschen den Appetit auf Wein zu verderben. Sie mochte Sassia unglaublich gern, aber sie mochte bei niemand einen nach Wein riechenden Atem.


    "Ich wünsche mir einen kleinen Hund, der mit in meinem Bett schlafen kann. Das wäre schön." Sie schaute des Hundes wegen sehnsüchtig auf ihre Bettdecke und gähnte unwillkürlich. Plötzlich spürte sie bleierne Müdigkeit. Sie legte sich hin und vergaß sogar das Kauen, obwohl noch Brot in ihrem Mund steckte. Weil ihr noch ein Gedanke durch den Kopf schoss, kaute sie schnell herunter.


    "Wenn du einmal geheiratet hast, wohnst du nicht mehr hier, stimmt's? Dann kann ich ja doch nicht zu dir kommen, wenn ich mich alleine fühle."

    Wie immer von Sklaven und Helfern begleitet, plante Sisenna an einem sonnigen Sommertag einen Ausflug nach Rom. Im Gepäck befanden sich ein Hocker und eine verschlossene Tonröhre, die sie nach dem Abstellen öffnete.
    Als sie die Halle betrat, erblickte sie dieses Mal ein bekanntes Gesicht. Diesen Aedil kannte sie sogar vom Namen her, also trat sie selbstbewusst auf ihn zu.

    "Salve Aedil Flavius, ich heiße Claudia Sisenna, was du vielleicht weißt, und ich bin Bienenzüchterin." Sie lächelte süß, bevor sie ihr großes Anliegen auspackte.


    "Ich habe schon meinem Onkel und dem Kaiser gesagt, dass ich ein Grundstück brauche, weil der jetzige Platz und die Nahrung für meine Bienen nicht reichen. Aber auf mich hört ja keiner! Vielleicht hört jetzt jemand auf meine Bienen, die habe ich nämlich mitgebracht. Eine meiner alten Königinnen ist schon ausgeschwärmt, weil sie der Jungkönigin Platz machen muss. Andere Altköniginnen werden folgen. Ich habe die erste mit ihrem Teilschwarm eingefangen und der steht direkt vor deiner Basilica.“

    Draußen schwirrte es vor den Einfluglöchern der Röhre, ein gleichmäßiges Summen war zu hören.


    Sisenna verschränkte die Arme vor der Brust, was wegen ihrer geringen Größe eher putzig aussah als ernstzunehmend.

    "Ich bin jetzt hier und möchte eine Lösung. Andere Betriebsinhaber können sich aussuchen, ob sie ihre Werkstatt erweitern oder nicht. Mein Betrieb besteht aus Bienen und die vermehren sich von alleine. Es ist nicht meine Schuld, dass sich mein Betrieb vergrößert und irgendwo müssen meine Bienen ja bleiben."

    Nach einer unruhigen Nacht, in der schlechte Träume für wenig Schlaf sorgten, stand Sisenna früh auf. Sie konnte nicht mehr schlafen und hatte Angst vor ihren Alpträumen, die kamen, wenn sie die Augen schloss. Sie ließ sich ankleiden und waschen, bevor sie ins Triclinium ging.


    "Ich möchte Brot mit Honig", erklärte sie der Sklavin, die sich um sie kümmerte. "Und ist der neue Sklave Sofian schon aufgestanden?"

    Gefühlt bekam Sisenna in ihrem gesamten Leben noch nichts geschenkt, eher weggenommen. Für alles, was blieb oder dazukam, musste sie sich anstrengen. Sie war nicht davon ausgegangen, dass ihr ein Grundstück geschenkt werden würde, deswegen wollte sie ja in Erfahrung bringen, was sie dafür tun müsste. Es hätte fleißige Arbeit sein können, Betreuung eines Kindes oder auch das Bezahlen eines sehr hohen Preises. Aber der Kaiser nahm, sie nicht ernst und würdigte sie nicht einmal einer Antwort. Sie kam sich klein, unwichtig und nicht achtenswert vor. Ihre Augen konnten die Tränen nicht mehr halten und bevor jemand die Spuren sah, machte die kleine Claudia kehrt und lief zurück in den Garten.


    Als sie außer Hörweite war, murmelte sie: "Die sind alle so gemein. Wenn ich groß bin, werde ich so reich sein, dass ich niemals wieder jemand um Hilfe bitten muss." Sie krabbelte durch Oleanderbüsche in eine geschützte Ecke, die wie ein Versteck wirkte und die sie öfters aufsuchte, wenn nicht gefunden werden wollte. Hier ließ sie den Tränen freien Lauf.


    Sisenna glaubte, es auch später nicht schaffen zu können, dass ein Mann von selbst ihre Wünsche erfüllte. Wie auch immer die Kaiserin das schaffte, Sisenna war das zu kompliziert.

    Das Zittern ließ nach, je länger der Kaiser sprach. Sie fühlte sich nicht verstanden und die Enttäuschung darüber wischte ihre Aufregung fort. Der Kaiser war also doch kein Übermensch, er machte Fehler wie jeder andere.
    "Ich mache mir keine Sorgen." Sie wollte die Mitgift nicht, um für andere attraktiver zu sein. "Wenn ich Geld habe, kann ich selbst bestimmen und ich möchte einen Ehemann, der hübsch aussieht."
    Und auch die Sache mit dem freien Bienenvolk, das der Kaiser schilderte, hatte einen Haken: Onkel Menecrates wollte nicht noch mehr Bienen auf seinem Villengrundstück. Durfte sie das so sagen? Lieber nicht. "Meine Bienen fliegen ein Stück, das weiß ich. Nur gibt es in unserer Nähe nicht genug Blumen für noch MEHR Bienen." Resignation wollte sich breitmachen, da mischte sich plötzlich ihr Onkel in das Gespräch. Sie hörte die Verärgerung, mit der er sagte, sie wären sich einig gewesen, dass die jetzigen Bienen reichen.
    "Das stimmt nicht“, entgegnete Sisenna empört. Sie waren sich ganz und gar nicht einig gewesen. "Ich möchte ganz unbedingt noch mehr Bienen. Das weißt du doch!" Ihr Blick richtete sich nach unten. Keiner verstand sie, am wenigstens die älteren Männer. Sie hatte doch nichts als ihre Tiere - keine Eltern, keine Geschwister. Und das einzige, was ihr wirklich Freude bereitete, wurde ihr gerade genommen. So fühlte es sich an. Tränen stiegen auf, die keiner sehen sollte. Nicht lange mehr und sie würde weglaufen.


    Wäre sie eine Taktikerin gewesen, würde sie anders reagiert haben. Mit diesem Verhalten gab es sicher erstrecht kein Grundstück. Ihr wurde ja nicht einmal die Frage beantwortet, was sie für ein Grundstück tun müsste.

    Mit Sassia in Gesellschaft fiel der Abschied von Sofian nicht so schwer. Sie durfte, wie geplant, im Bett essen und freute sich darüber sehr.
    "Ja, öfters im Bett essen", jubelte Sisenna und wäre am liebsten gehopst, aber das ging wegen dem Tablett nicht. "Ich weiß, das macht ganz viel Spaß." Sie strahlte trotz Müdigkeit, die ihr bereits an kleinen geröteten Augen anzusehen war. Als Sassia jedoch einen zweiten Becher Wein eingoss, verblasste ihr Lächeln. Gerade hatte sich Sofian erzählt, wie eklig sie dieses Getränk fand. Saft, der gärte, schmeckte nicht anders. Um Sassia aber nicht zu vergraulen, spielte sie mit.
    Sie nahm den Becher entgegen und stieß ihn gegen Sassias Becher. Sie wollte ja auch, dass die Götter ihrer Familie immer gewogen blieben. "Für die Götter", sagte sie und kippte den gesamten Inhalt auf den Boden vor ihrem Bett. Das würde zwar unappetitlich riechen, aber sicherlich wischte noch heute jemand die Pfütze weg. "Viel hilft bestimmt auch viel." Ein Weinopfer für die Götter stellte nichts Neues für Sisenna dar. "Ich habe keinen Durst..." Die Lüge kam ihr nicht glaubhaft von den Lippen und als Schummeln ging das Ganze auch nicht mehr durch, also gestand sie:. "…auf das." Sie gab mit angewidertem Gesicht den Becher zurück.
    Fleisch kam auch nicht in Frage, aber Honig, Obst und Eier.
    Kauend hörte sie Sassia zu und nickte dabei. "Ich weiß, dass ich kommen kann." Das betraf die Gesellschaft, nicht das Schlafangebot. Das hörte sie zum ersten Mal. Sie freute sich darüber und würde es für Notfälle im Kopf behalten. "Wenn ich ein Tier hätte, dürfte es bei mir im Bett schlafen." Sie lachte und angelte sich ein zweites Ei. "Warum haben wir eigentlich keine Haustiere?"

    Die Aufforderung zum Sprechen kam und als erstes musste Sisenna schlucken. Sie tat das so verkrampft, dass sie glaubte, alle müssten es sehen. Das Bedürfnis herunterzuschlucken blieb weiter, auch wenn ihr Hals und ihre Zunge vor Aufregung antrockneten. Sie blickte den Kaiser wie gebannt an, weil er zwar aussah, wie ein ganz normaler Mann, aber sie genau wusste, dass der Eindruck nicht stimmte. Alle sprachen immer so ehrfürchtig über ihn, dass Sisenna glaubte, er sei ein Übermensch. Sie wusste nur nicht, welche übernatürlichen Fähigkeiten er besaß. Zumindest lächelte er freundlich, weswegen sie Mut fasste.


    "Ja, also es ist so", begann sie mit piepsiger Stimme. "Es ist ja sehr wichtig, dass ich einmal eine gute Aussteuer habe." Sie suchte das Gesicht des Kaisers ab, ob es sich veränderte. Würde es strenger werden, nur ein ganz kleines bisschen, wäre sie eingeschüchtert. Würde es freundlicher werden, erhöhte es den Mut zu sprechen. Es blieb aber gleich, wie sie fand. "und weil … also meine Mama und mein Papa sind …" Sie holte einmal tief Luft und sah zu Serena, während sie mit der freien Hand ihr Kleid zerknitterte. Dann wählte sie einen anderen Anfang. "Ich habe von dem Geld meiner Eltern Bienen gekauft. Ich liebe Bienen." Bei dem Gedanken konnte sie lächeln. Er gab ihr Kraft und sie sprach in der Folge flüssiger. "Ich hätte gerne mehr Bienen, denn mehr Bienen machen mehr Honig. Den kann ich verkaufen und von dem Geld kann ich besser leben und meine Aussteuer wächst. Das ist wichtig." Ihre großen Augen drückten ihre eigene Überzeugung aus. "Ich hätte gerne mehr Bienen, aber mein Onkel sagt, mehr Bienen finden keine Nahrung in unserem Garten. Ich kann das verstehen und hungern sollen meine Bienen auch nicht." Sie linste kurz zu Menecrates. Eigentlich müsste sie erzählen, dass er die Meinung vertrat, sie hätte schon genug Bienen, und ihr deswegen nicht half. Aber sie konnte unmöglich ihren Onkel vor dem Kaiser bloßstellen. Auch wenn er explizit gesagt hat, sie soll sich selbst kümmern.


    "Ich bräuchte deswegen ein schönes Blumengrundstück mit Obstbäumen und mein Onkel hat mir erzählt, manchmal gibst du eins ab." Jetzt war es raus und sie fühlte sich erleichtert. Sie atmete einmal tief durch und fügte an: "Bitte, lieber Kaiser, was müsste ich tun, um von dir ein solches Grundstück zu bekommen?" Sisenna wusste beim besten Willen nicht zu sagen, womit sie den Kaiser glücklich machen könnte. Auch wusste sie nicht, welchen Gegenwert oder welche Gegenleistung ein Grundstück erfordern würde. Ihre Augen hingen an seinen Lippen und sie zitterte fast vor Aufregung, während sie auf eine Antwort wartete.

    Was Sisenna auch zur Sprache brachte, Sassia wusste eine Lösung. In einem musste sie ihrer Nichte besonders Recht geben: Sofian konnte unmöglich in einem leeren Zimmer schlafen.
    "Ja, stimmt. Das Zimmer ist sicher nicht hübsch.", gab sie zu. Wenn sie gleich morgen Vormittag zum Markt gingen, könnte es am Abend fertig eingerichtet sein. Das klang gut. Sassia wollte mitkommen, auch das fand Sisenna gut. Dann aber fiel ihr etwas ein. Sie hob den Zeigefinger als Zeichen, das etwas Wichtiges folgen würde.
    "Als erstes muss ich morgen böse Männer anzeigen! Danach können wir einkaufen." Sie sah zu Sofian und nickte. "Sassia hat Recht. Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass dieses Zimmer ja noch leer steht und nicht geputzt ist. Dann machen wir es so, dass du mit Cara gehst. Du isst, schläfst, isst und dann gehen wir los, wie abgesprochen. Du holst mich ab." Sisenna lächelte und hoffte, dass Sofian nicht wieder so traurig wie auf dem Markt wurde. Sein Lächeln gefiel ihr nämlich. Gesagt hatte er zumindest, dass ihm alles Recht sei. Fest stand außerdem, dass sich Sisenna nicht rund um die Uhr um ihn kümmern musste. Pausen galten wohl nicht als Vernachlässigung. Das entlastete sie, obwohl sie seine Gesellschaft bisher sehr genoss.


    "Und du bleibst zum Essen hier?", fragte sie Sassia sicherheitshalber noch einmal.

    Kaum dass sie das Peristyl betraten, brachte Serena Sisennas Anliegen zur Sprache. Einerseits fand Sisenna das ganz lieb, weil es zeigte, dass die große Freundin sie unterstützte. Andererseits hatte die Kleine nun keine Zeit mehr, sich zu sammeln und selbst Mut zuzusprechen. Das allerdings hatte den schönen Nebeneffekt, dass kaum Zeit blieb, Aufregungs-Bauchschmerzen zu bekommen. Schlimm war nur, dass Serena sie losließ.
    Sisenna kaute verlegen auf der Unterlippe und presste Silanas Hand haltsuchend. Die freie Hand strich unbewusst mehrmals über den Rock ihres Kleides. Sie wusste nicht, wohin mit dieser Hand und sie spürte, wie die Handfläche feuchter wurde. Das Herz wollte aus dem Hals hüpfen und der Atem ging schneller, während sie darauf wartete, dass der Kaiser sie zum Sprechen aufforderte.

    Die Aufzählung der Speisen interessierte Sisenna sehr. Brot mochte sie auch. Bei Fisch verzog sie etwas das Gesicht, weil er nicht zu ihren Leibspeisen gehörte, aber sie aß ihn trotzdem immer auf.
    "Ist deine Schwester eine Köchin?" Einen anderen Haushalt als diesen kannte Sisenna nicht und wer kochen konnte, gehörte zumindest hier zum Personal.
    Als die Sprache auf Innereien kam, musste Sisenna überlegen. Sie kannte den Begriff nicht. Wenn Sklaven servierten und auf eine Frage hin erklärten, was in den jeweiligen Schüsseln lag, dann sagten sie Herz oder Leber, aber niemals Innereien. "Ich glaube, Innereien mag ich auch nicht. Die werden bei uns bestimmt erst gar nicht gekauft!" Das Wort klang auch ekelig, fand sie. Flugs ging es weiter zum nächsten Thema. "So eine Brotschüssel möchte ich auch einmal haben." Dann jedoch hörte sie von Sofians Weinvorliebe und das fand sie nicht schön. Sie presste die Lippen aufeinander und setze einen anklagenden Blick auf. Was fanden Erwachsene denn an Wein nur so schön? Er roch wie schlecht gewordener Saft und als sie einmal heimlich nippte, fand sie, er schmeckte auch nach verdorbenem Saft. Sie musste sich schütteln und spuckte unzählige Male aus. Trotzdem blieb der üble Geschmack.
    Sofians Honigvorliebe zauberte wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht. "Ja, der ist sooo lecker! Es gibt ihn ganz dünn und dann wieder wie Creme, aber ich mal ihn am liebsten, wenn winzige Stückchen drin sind. Sie sehen aus wie Eiskristalle, sind aber aus Honig. Welche Sorte magst du am liebsten?"
    Während der Zeit, wo Sofian überlegte, antwortete Sisenna auf seine Nachfrage, ob es etwas gäbe, was sie nicht gern essen mochte.
    "Jaa", sagte sie voller Inbrunst. "Ich mag kein Fleisch. Egal, wie lange ich kaue, es wird immer mehr. Alle sagen immer, unser Fleisch ist saftig, aber Saft finde ich darin nie. Ich kann es nicht schlucken und wenn doch mal, dann rutschst es nicht. Ich will gar niemals mehr Fleisch essen müssen!" Es klang wie eine Kampfansage, wobei Sofian die falsche Adresse darstellte.


    Ein Klopfen unterbrach die Unterhaltung. Sisenna schaute wie Sofian zur Tür, dann trafen sich ihre Blicke wieder. "Unser Essen!", frohlockte sie und ließ in Vorfreude ihre Bettunterlage federn. Sie wollte gerade ansetzen und 'Herein' rufen, als die Tür schon aufging und Sassia an Stelle des Essens eintrat. Cara stand allerdings im Hintergrund. Und noch bevor Sisenna ihre Nichte zum gemeinsamen Mahl einladen konnte, begann Sassia ihre Rede.
    Zu Wort kam Sisenna erst einmal nicht, aber sie schüttelte den Kopf, als Sassia fragte, ob Sofian auf einem Strohsack neben ihrem Bett schlafen solle. Beim Vorschlag, Sofian in die Culina zu schicken, bekam Sisenna große Augen.
    "Aber er findet doch den Weg gar nicht", erwiderte sie. Immerhin waren sie heute nur bis zum Bad gekommen. Wenn es nach ihr ginge, würde sie auch am liebsten zusammen mit Sofian essen und zwar jetzt. Andererseits machte Sassia immer alles richtig, sie wusste alles und hatte auch immer Recht. "Bekommt er denn dort auch gutes Essen? Und eigentlich wollte ich, dass er dort schläft." Sie zeigte auf die Wand und meinte das Zimmer dahinter. Es stand leer, das wusste sie.

    Sisenna ging - entgegen der Gepflogenheit - einen halben Schritt hinter Sofian. Auf einen Betrachter mochte das sonderbar wirken, aber sie wollte ihm keinerlei Richtungshinweise geben. Es machte ihr Spaß, weil es auch eine Art von Spiel darstellte. Weil Sofian fehlerfrei zurückfand, stieg er in ihren Augen. Sie würde sich also auf ihn verlassen können, hier und andernorts.
    "Gut gemacht", lobte Sisenna lächelnd. Sie standen vor dem richtigen Zimmer, in das Sofian sie nun einließ. Trotz Müdigkeit rannte sie nun zu ihrem Bett, sprang ab und landete mit einem Jauchzer oben. Das Bett federte noch, als sie sich bequem platzierte. Sie lehnte sich an das Kopfende und zog die Beine im Schneidersitz an den Körper.
    "Jetzt muss nur noch Cara kommen." Wie zur Bestätigung knurrte ihr Magen erneut. Bloß keine peinliche Stille aufkommen lassen, in der der Magen bestmöglich zu hören gewesen wäre. Ablenkung musste her.
    "Zieh dir den Stuhl dort heran und wir brauchen einen Tisch." Ein kleinerer reichte sicherlich und so zeigte sie auf einen Beistelltisch neben der Truhe. "Was bist du gewohnt zu essen? Magst du etwas gar nicht? Und trinkst du Wein?" Sisenna verzog etwas das Gesicht. Sie mochte den Atem erwachsener Menschen nicht, der nach Wein oder Bier rochen. Sie drehte dann - so gut es ging - immer ihr Gesicht fort.

    "Puh", entfuhr es Sisenna, die tatsächlich kaum noch sitzen konnte. Endlich dürfte sie den Kopf heben und die Beine wieder strecken. Sie schwang die Beine zu Boden und erhob sich. Unwillkürlich griff sich nach hinten und rieb sich die schmerzenden Stellen am Po. Beim nächsten Mal würde sie ein Kissen mitnehmen, sollte es ein nächstes Mal geben. Sie musste unbedingt Sassia fragen, ob es als Vernachlässigung ausgelegt werden könnte, wenn Sofian zukünftig alleine baden ging.

    "Ja, Abendessen. Ich habe Hunger." Sisenna lächelte etwas verschämt zurück wegen dem lauten Bauchkullern. "Eigentlich sind wir mit Silana und Sassia verabredet, aber…" Sie rieb sich die Augen und gähnte anschließend. Dabei hielt sie die Hand vor den Mund. "…ich habe mir überlegt, wir essen einfach auf meinem Zimmer." Sie schaute ihn mit zur Seite gelegtem Kopf an. "Deine Haare sind bestimmt noch lange nass, weil sie so lang sind. Du bist aber nicht der erste mit langen Haaren. Es gab hier einmal einen Sklaven, der hatte lange Haare hier", sie klopfte sich auf dem Kopf, "und hier." Sie zog ihr Kinn sinnbildlich bis zur Brust und lachte. "Das hat mir nicht gefallen. Deine Haare sehen schön aus."


    Gut gefiel ihr auch die neue Tunika. Kleider veränderten Menschen, in dem Fall zu einem noch besseren Bild.


    Ihre Schritte zur Tür sprühten nicht unbedingt vor Elan, aber die Aussicht auf eine baldige Nachtruhe trieb sie voran. Sie öffnete die Tür und schubste sie an. Nur ein bisschen, sie sollte ja nicht umschlagen und an die Wand krachen. Trotzdem traf sie auf einen Widerstand. Sisenna hob die Brauen und linste hinter die Tür.


    "Cara! Was machst du denn hier?" Ob Cara wohl durch das Schlüsselloch geslinst hatte? Sisenna machte sowas manchmal, daher erwartete sie das auch von anderen.
    "Cara, wenn du einmal hier bist. Ich möchte mit Sofian auf meinem Zimmer essen. Eigentlich möchte ich heute in meinem Bett essen. Bringst du was Schönes, ja?" Sisenna erwartete und befürchtete kein Nein. Es war einfach so dahingesagt.


    Anschließend drehte sie sich zu Sofian. "Wir machen jetzt einen Test. Ich habe mir ausgedacht, dass du uns zurück in mein Zimmer führst." Sie stellte sich unwissend und blickte in die falsche Richtung.

    "Hmm", erwiderte Sisenna laut vernehmlich. Ihr Kopf ruhte noch auf ihren Knien, daher musste sie nichts ändern, sondern nur warten, bis Sofian Entwarnung gab. Ohne Unterhaltung spitzten sich unwillkürlich wieder ihre Ohren, doch sie hörte nicht viel, weil offensichtlich noch nichts weiter geschah. Schließlich machte ihr Sofian einen Strich durch die Rechnung, indem er anfing zu reden.
    "Hm", druckste sie fast unhörbar. Ihr gefiel das Spiel mit den Sinnen, nun aber wurde sie abgelenkt. Die Frage fesselte sie aber sofort und fast hätte sie vor Inbrunst den Kopf gehoben. Sie zügelte sich aber noch rechtzeitig.
    "Also ich finde das ziemlich ungerecht. Fast jeder reist hier hin und her, nur ich muss immer in Rom bleiben." Das sollte nicht heißen, dass sie Rom nicht mochte. Vielleicht würde es ihr wo anders auch gar nicht gefallen, aber die Beschwerde musste sein. "Naja, eigentlich gefällt es mir hier."

    Sie dachte noch einen Moment über mögliche Reiseziele nach, dann bemerkte sie, wie ihr Po schmerzte. Pospeck besaß sie keinen und das eigene Körpergewicht drückte sie permanent auf den harten Marmor. Sie begann zu kippeln, um abwechselnd jeweils eine Seite zu entlasten.
    "Bist du jetzt fertig?", fragte sie hoffnungsvoll. Sie beschloss, heute ohne Wäsche ins Bett zu gehen. Sie wollte und musste nur noch etwas essen. Ihr Magen schloss sich dem Wunsch an, indem er laut hörbar knurrte. "Oh." Sie kicherte wieder und vergas dabei das Kippeln.