Beiträge von Duccia Elva

    Warum konnte es nicht immer so vertraut sein wie in diesen, kurzen Momenten. Landos Hände lagen auf ihrem leicht gewölbten Bauch, und es dauerte auch nicht lange, bis von innen sanft der Gegendruck vom Kind kam. Und dieses war besonders reaktiv, mehr noch als Naha es gewesen war. Wo ihre Tochter meist nur mit einem Bein oder Arm zurückgedrückt hatte, nahm ihr Ungeborenes gerne mal auch alle Viere, um lustige Wackler ihrer Bauchdecke hervorzurufen. “Merkst du es?“, meinte sie fast flüsternd.
    Es lag weniger ruhig, und Elfleda hatte weniger Phasen, in denen sie einfach durchschlafen konnte. Aber das störte sie nicht. Im Moment war sie in jenem wundervollen Abschnitt ihrer Schwangerschaft, wo gerade alles wunderbar war. Die morgendliche Übelkeit war seit ein paar Wochen vorbei, und noch war das Kind nicht so groß, als dass es ihr ständig auf die Blase drückte. Ihre Haut war reiner und strahlender denn je, das einzig negative war, dass sie schnell müde wurde. Aber das war ein geringer Preis.


    Dass sein Husten ihn noch immer so plagte, ließ aber einige bedrückende Sorgenfalten auf Elfledas stirn entstehen. So langsam machte sie sich wirklich große Sorgen, weil es scheinbar nicht besser wurde. “Dann mach ich dir nachher nochmal einen Tee mit Bertram, der hat letztens doch geholfen.“ Zumindest war dann ein ganzer Batzen Schleim herausgehustet worden, was schonmal gut war.


    So in trauter Zweisamkeit und Lando in ihrem Rücken sah Elfleda das Verziehen seiner Mundwinkel nicht, aber sie hörte in seiner Stimme, dass es ernster war. Und auch die Worte waren nicht so einfach. Sie wollte gerade etwas sagen, als er sie einfach kniff und sie kurz ungewollt quietschte und ihn dann gespielt schlug. “Frechdachs!“ tadelte sie ihn, grinste dabei aber. Diese Momente der Leichtigkeit könnten öfter vorherrschen, auch wenn die Welt nicht so einfach war. “Ja, wir Frauen von hier, besonders die Mattiakerinnen, können gut einstecken, und auch gut austeilen.“ Kurzerhand zog Elfleda ihm kurz an seinem Bart, der sich bei den Streicheleinheiten geradezu anbot, und streckte ihm leicht die Zunge heraus.
    “Hast du schon eine Sippe im Blick? Ansonsten könnte ich meinem Onkel auch einen Boten schicken...?“ Sie musste so oder so einen Boten schicken, wenn ihr Kind auf der Welt war. Ihr Vater sollte wissen, dass er Großvater war, und außerdem wollte sie doch Neuigkeiten aus ihrer Heimat hören. Hier in der Stadt erreichte einen längst nicht alles von dem, was jenseits des Rhenus so los war.

    Wie konnte ein Kerl, der so groß war, sich so leise bewegen? Elfleda versetzte es immer wieder in Erstaunen, wie leise Lando sein konnte, wenn er wollte. Normalerweise war er ja durchaus laut und schwer zu übersehen, aber gerade hatte sie ihn nicht bemerkt und wollte sich schon herumdrehen und gehen, als sie doch einen Schritt hörte und eine Sekunde später auch schon seine Arme um ihren Körper hatte.
    Ihre Hand fuhr hoch zu seinem Gesicht und sie streichelte ihm einmal über den Bart, kuschelte sich ein wenig zurück in seine Umarmung. Er konnte ja so sanft und lieb sein, wenn er wollte. Und ab und zu – wenn sie nicht grade Marga Konkurrenz machte und ihn zusammenkeifte, oder nicht gerade meinte, hart sein zu müssen, um nicht als zu weich zu gelten – hatte Elfleda diese stille Vertraulichkeit sehr gern. Dann gehörte er ihr und ihr allein, so wie sie ihm dann gehörte. Sie musste ihn nicht teilen. Und das genoss sie noch viel mehr.
    “Ich konnte nicht mehr schlafen. Das Kind fängt an, sich zu bewegen, und ich konnte nicht ruhig liegen bleiben.“ Sie wendete leicht ihren Kopf und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Sein Bart kitzelte.
    Ganz kurz war Elfleda durch den Kopf geschossen, ihrem Mann von dem Kamm zu erzählen, aber sie hatte es gleich wieder verworfen. Das war etwas zwischen ihr und Callista. Noch dazu etwas sehr emotionales. Und auch, wenn Lando inzwischen wissen durfte, dass sie oftmals sich härter gab, als sie eigentlich war, wollte sie nicht einen schwächlichen Eindruck auf ihn machen. Sie war per se kein harmoniebedürftiges Wesen, war nicht übermäßig romantisch oder emotional. Zumindest kannte sie Frauen, die da weitaus irrationaler als sie reagierten. Sie durchdachte die meisten Dinge, die sie äußerte, sehr genau. Und da war dieser Kamm etwas, was nicht unbedingt dazu passen mochte, wie sie sich sonst gab.
    “Aber was machst du so früh schon auf? Noch immer der Husten?“ Elfleda hatte ihren Mann schon mit allerlei schleimlösenden Pflanzentinkturen gequält, damit er den restlichen Rauch abhustete, ebenso wie die anderen Männer. Drei hatten zuviel Rauch eingeatmet, und kein noch so guter Heiler hätte sie wohl retten können. Aber Lando war stark. Sie würde ihn auf keinen Fall sterben lassen, und wenn sie dafür den ganzen Wald einmal umgraben musste für die richtigen Kräuter. Dennoch war sie nicht naiv genug, zu glauben, dass sich schon alles einrichten würde, wenn sie es sich nur fest genug wünschte. Sie machte sich Sorgen.


    Ihr blick ruhte wieder auf Callista, die so tot und bleich dalag. Elfleda wedelte einmal leicht mit ihrer Hand, als sie eine Fliege auf ihrem Augenlid bemerkte, und verscheuchte das Ding. Es wurde wirklich Zeit, die gute zu Hel zu bringen – oder wie auch immer die Römer ihr Totenreich gleich nannten. Für ihren Geschmack war es einfach zu lange.
    “Haben die Prudentier wohl noch mehr Töchter? Witjon sollte vielleicht bald wieder heiraten, was meinst du?“ Auch für Elfleda waren Hochzeiten vor allen Dingen politische Fragen, und zwar war Audaod bislang stark und gesund, aber ehe er nicht sein zweites Lebensjahr vollendet hatte, war er wohl keine gesicherte Verbindung zu jener römischen Sippe. Da wäre nach der Trauerzeit eine neue Hochzeit vielleicht anzustreben, wenngleich Elfleda sehr wohl um den Schmerz von Landos Vetter wusste. Aber so war es nunmal. Ihr Vater hatte auch eine neue Frau genommen, nachdem ihre Mutter gestorben und die Trauerzeit vorbei war. So war der Lauf der Welt – und der Lauf der Politik.

    Auch Elfleda stand natürlich da, um Callista die letzte Ehre zu erweisen. Und auch, wenn man es bei ihrer teils berechnenden und stets wohlüberlegten, ja fast intriganten Art nicht glauben mochte: Elfleda war nicht aus Stein. Sie war traurig, wirklich und aufrichtig, und sie hatte Mitleid mit Witjon. Und ein Teil von ihr wäre gern zu ihm hinübergegangen, hätte ihn in den Arm genommen und diese Traurigkeit mit ihm geteilt, ihn durch das Wissen, dass er nicht allein war, getröstet, einfach menschliche Wärme gezeigt. Aber sie tat es nicht. Sie stand da wie aus Stein gehauen, Naha auf dem Arm, und sah zu, wie der Scheiterhaufen entzündet worden war.
    Die Flammen leckten erst nur zögerlich an dem Holz entlang, aber es dauerte nicht lange, bis der trockene Reisig und das Öl richtig entflammt waren und dem Feuer genug Nahrung gaben. Elfleda sah zu, wie Callistas Kleidung und ihr Haar Feuer fingen, ehe der ganze Körper von den Flammen verschlungen zu werden schien. Witjon verkündete das licet, und ein Teil der römischen Trauergäste verabschiedete sich so nach und nach. Einige blieben noch, warfen kleine Holzgegenstände in die Flammen. Elfleda erkannte kleine geschnitzte Truhen und eine Schriftrolle und fragte sich, warum die Römer das erst jetzt dazugaben und nicht vorher, als sie aufgebahrt worden war, oder hinterher ins Grab. Seltsame Bräuche aber auch.


    Naha wurde quengelig, als sie sah, wie die anderen gingen. Sie war nun so alt, dass sie langsam selber stehen konnte, wenngleich nicht laufen. Aber wenn sie andere herumlaufen sah, wollte sie natürlich auch. Außerdem war es hier rauchig, und auch, wenn einige Römer immer wieder Parfüm in die Flammen warfen, es roch nunmal eben wie bei einer Verbrennung. Auch Audaod schien es hier nicht zu gefallen, und er stimmte fröhlich in das jammern und weinen mit ein. Schließlich gab Elfleda ihre Tochter an Lanthilda, und schickte diese und Marga auch mit den Kindern nach Hause. Sie mussten ja nicht alle hier bleiben, bis das Feuer runtergebrannt war und mit Wein gelöscht werden würde – der nächste seltsame Brauch. Und auch, wenn es Marga sichtlich nicht gefiel und Elfleda schon fürchtete, dass es irgendwann deshalb nochmal Streit geben würde, im Moment tat die alte Frau, was sie sollte und nahm die Kinder mit sich.


    Elfleda blieb noch und starrte in die Flammen. Ruß brannte in ihren Augen, und sie wischte sich kurz mit den Fingerspitzen über die Lider. Sie wollte nicht so aussehen, als würde sie weinen. Was sie ja auch gar nicht tat, es war nur der Ruß! Einzig und allein! Nie würde sie wegen jemandem weinen, den sie nichtmal 2 Winter gekannt hatte.
    Witjon stand auch da und rührte sich nicht. Auch er starrte in die Flammen und bewegte sich keinen Millimeter. Elfleda konnte nur raten, was in ihm vorgehen mochte. Er war nicht so sehr Stein wie sie, auch wenn er ein starker Mann war.Aber er konnte sich nicht so hart geben, zumindest nicht immer. Von dort, wo sie stand, konnte sie nicht in sein Gesicht sehen, und doch überkam Mitgefühl sie.
    Kurz sah Elfleda zu Lando hoch, der neben ihr war. Wie es ihm wohl gehen würde, wenn sie eine Geburt nicht überlebte? Er war da anders als Witjon. Er war noch mehr Stein als Elfleda, wenngleich auch auf andere Art. Er war nicht kalt, nicht abweisend, zumindest nicht ihr gegenüber. Und doch glaubte sie nicht, dass er wegen ihr weinen würde. Kurz fragte sie sich, ob sie denn für ihn weinen würde, verscheuchte dann aber diesen trüben Gedanken gleich wieder. Sie waren beide am Leben und sollten dankbar dafür sein.
    Ihr blick ging wieder zu Witjon, und kurz stupste Elfleda ihren Mann und deutete nickend in Witjons Richtung. Sie wollte ihn da nicht so allein stehen lassen, das war nicht gut. Sie löste sich also von Lando, ging zu ihm rüber, stellte sich einfach nur neben ihn. Als sie zu ihm hinüber blickte, sah sie das Glänzen auf seinen sonst schon leicht rußigen Wangen. Sie sagte nichts dazu, sah ihn einen Moment nur voll Mitgefühl an und legte ihm dann kurz fast freundschaftlich die Hand auf die Schulter. Was sollte sie sagen? Das sollte lieber Lando machen, oder einer der anderen Männer. Für sowas waren angeheiratete Frauen nicht gut, das sollten die Kerle unter sich machen, das war besser. Immerhin kannten sie Witjon auch schon länger als Elfleda. Sie stand also nur da und sah mit ihm dabei zu, wie die Flammen runterbrannten.

    Natürlich war Callista Römerin. Daran hatte es nie einen Zweifel gegeben, und auch, wenn Elfleda ihr möglichstes getan hatte, um die junge Prudentia zu germanisieren, sie war eine Römerin. Und irgendwie war es da auch logisch, dass sie nach römischer Sitte aufgebahrt wurde.
    Aber das hieß nicht, dass das Elfleda gefallen musste. Es war zwar auch bei ihrer Sippe üblich, die Toten aufzubahren, aber nicht ganze 7 Tage lang! Es war auch bei ihr üblich, die Toten in gute Kleidung zu stecken und herzurichten, aber das mit dem Schminken wollte Elfleda nach wie vor nicht gefallen.


    Es hatte sich bald herumgesprochen, dass Callista gestorben war, und immer wieder kam jemand vorbei, der von dem Leichnam Abschied nehmen wollte. Natürlich ließ Elfleda sie ein, wenn jemand kam, natürlich mit der gebotenen Trauer in ihren Bewegungen, aber innerlich war es ihr bald zu viel. Vor allem, als die Sklavin darauf bestanden hatte, die Tote täglich zu waschen und neu einzuparfümieren, hätte Elfleda ihr am liebsten nur noch einen Vogel gezeigt. Ihre Sorge galt weniger dem toten Körper, als vielmehr Callistas Geist, und ihrer Meinung nach warteten sie schon viel zu lange damit, sie zu Hel zu schicken, wie es ihr gebührte. Wenn sie noch länger warteten, würde die Tote noch als Wiedergänger aufstehen – auch wenn das wohl nur ein Märchen war, mit dem man kleine Kinder erschreckte. Aber Elfleda fand es einfach falsch, ihr so lange die Bestattung zu verweigern.


    Daher war sie dieser Tage auch recht schweigsam und zog sich ein wenig zurück. Witjon, vor Trauer halb von Sinnen, wurde von ihr meistens beiseite gescheucht, wenn er drohte, irgendwo zu versumpfen. Noch hielt er sich ganz wacker, wenngleich er besonders kurz angebunden und barsch derzeit war, aber das machte Elfleda nichts aus. Im Gegenteil, es lenkte sie davon ab, sich mit ihren eigenen Gefühlen auseinander zu setzen. Denn Wut war weitaus leichter zu verdauen als Trauer.


    An dem Morgen, bevor am Abend dann endlich die Bestattung sein sollte, war Elfleda kurz allein im Atrium. Es war noch nicht einmal die Sonne richtig aufgegangen, und die anderen schliefen alle noch. Sie war aufgewacht, weil das Kind in ihrem Bauch sie geweckt hatte mit seinen Bewegungen. Vorsichtig ging sie zu der Toten, berührte sie sanft am Arm. Sie war ganz kalt, natürlich, und Elfleda streichelte sie einmal freundschaftlich. Angst vor Toten hatte sie keine, nicht wirklich. Der Tod war schließlich allgegenwärtig.
    Sie ging zum Kopfende der Bahre und streichelte Callista auch einmal kurz über die schön zurechtgemachten Haare. “Heute ist es so weit. Du darfst ruhen.“ Elfleda sah sich nochmal um, ob auch wirklich niemand da war. Sie hatte sich ihre Position hier zu hart erkämpft, um sie in einem rührseligen Moment zunichte zu machen. Aber es war niemand da. Sie griff in eine Tasche in ihrem Rock und holte einen schön geschnitzten Kamm heraus, aus Holz und mit Gold verziert. Callista hatte er immer sehr gefallen. “Für dich, ich schenk ihn dir“, flüsterte sie schnell und steckte ihn Callista an einer unauffälligen Stelle ins Haar. Es sollten nicht alle mitkriegen, dass sie das getan hatte.
    Ein paar Momente blieb sie noch und streichelte die Tote fast wie ein Kind, das schlief, ehe sie ging. Es gab noch viel zu tun heute, trotz des Begräbnisses.

    Erst einmal passierte gar nichts. Witjon saß weiter da und schaute auf Callista. Elfleda war schon nicht sicher, ob er ihr überhaupt zuhörte. Kurz war sie versucht, wneiger rücksichtsvoll zu sein und ihm einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben, aber sie ließ es. Und als sie seinen Sohn erwähnte, fing der Germane sich auch wieder. Ein Ruck ging durch ihn, und er schaute sie an, forderte sein Kind. Elfleda gab ihm den Knaben und machte sich daran, Marga zu helfen.
    “Ida also? Die hat schon Erfahrung.“ Wenigstens war sie Germanin, wobei das hier in Mogontiacum ja auch eher die Regel wäre denn eine Ausnahme. Die wenigen Römerinnen, die hier waren, waren wohl allesamt nicht bereit, ein fremdes Kind zu stillen. So war zumindest der Eindruck, den Elfleda in ihrer Zeit hier von der römischen Gesellschaft bekommen hatte.
    Audaod fing an zu weinen, und dafür, dass er erst eine Stunde alt war, entwickelte er schon eine gehörige Lautstärke. Das versprach heiter zu werden für die Tage, wenn er nicht vollkommen erschöpft und schon größer war und so seine Stimme kraft hatte, mit der Gewalt des Trotzes befeuert laut zu krakeelen. Da würden sie vermutlich noch viel Spaß haben. Aber es verhieß zumindest, dass der kleine Schreihals gesund war, was sicherlich für Witjon ein wahrer Segen sein musste – und ein weiterer, kleiner Funken der Eifersucht bei Elfleda. Ihre Hand legte sich auf ihren Bauch für einen Moment und verharrte dort. Sie konnte das Kind schon fühlen, wie es wuchs. Ganz leicht wölbte sich ihr Bauch auch bereits, wenngleich man es unter anständiger Kleidung nicht sah. Sie hoffte, dass es auch ein Sohn werden würde, und dieser so stark wäre wie sein Vetter hier es eben vorführte.


    Endlich kam auch Ida, als Elfleda und Marga gerade das restliche, von Blut und anderem durchtränkte Stroh zusammengerafft hatten und in das letzte, blutige Laken einschlugen. Beinahe konnte man sagen, hier war es sauber. Lediglich aus den Bodendielen musste man wohl alles noch kräftig herausschrubben, damit der Geruch verflog.
    Elfleda grüßte Ida nur knapp und unterdrückte die Frage nach Naha. Natürlich sorgte sie sich um ihr Kind, das nun die ganze Zeit ebenfalls in der Obhut von Leifs Frau gewesen war, während sie hier versucht hatte, Callista zu helfen. Sicherlich ging es ihrer Tochter gut. Aber erst einmal sollte sich hier um alles gekümmert werden.
    Und Witjon, der nun von Audaod erstmal wieder entbunden war, schien zu demselben Schluss gekommen zu sein, wenngleich mit anderen Inhalten als erwartet.
    “Wir sollen sie in die Halle tragen und anmalen?“ fragte die Mattiakerin nochmal sicherheitshalber nach. Sie wusste, dass die Römer verrückte Bräuche hatten. Noch immer erinnerte sie sich mit einem leichten Gefühl der Scham daran, dass Witjon genötigt gewesen war, seine Braut damals zu entführen, und damit seine eigene Mutter zum heulen gebracht hatte. War also nicht weiter verwunderlich, wenn die Römer auch bei Beerdigungen komische Riten haben würden. Wobei diese ja wenigstens so vernünftig waren und ihre Toten ebenso verbrannten wie die Germanen auch. Und auch Grabbeigaben waren ja nichts unbekanntes. Aber anmalen?
    “Wir können das schon machen, Witjon, aber...“ Sie hob auch etwas hilflos die Hände. Callista hatte Elfleda nur einmal überredet, dass diese sie schminkte. Und Elfleda hatte es gräßlich gefunden, dieses kleistrige Gefühl überall auf der Haut, und alles schnell abgewaschen, ehe Lando sie deshalb noch auslachen konnte. Woher also sollte einer hier im Haus wissen, wie das zu bewerkstelligen war, damit es so aussah, wie Callista das gewollt hätte?
    Aber Phelan würde vielleicht weiterhelfen können. Als Witjon ihn erwähnte, machte sich in Elfleda beinahe sowas wie Erleichterung breit. Der Gode hatte sehr viel mit den Römern zu tun, er würde auch bei deren Begräbnisriten beraten können – wenngleich Elfleda auch kein Problem damit gehabt hätte, Callista nach germanischen Sitten zu verbrennen und zu begraben. Immerhin war sie die Frau eines Germanen und die Mutter eines Germanen. Aber vom politischen Standpunkt aus gesehen hatten Witjon mit seiner Entscheidung vermutlich recht.
    “War er nicht unten bei euch? Ansonsten wird er zum Essen sicher wieder auftauchen.“ Sie war die letzten Stunden hier oben gewesen, sie hatte keine Ahnung, wo die männlichen Mitglieder des Haushaltes denn so waren. Aber wenn es Essen gab, waren meist alle zur Stelle.

    Einen Moment stand Elfleda einfach nur da, als Witjon ihr seinen Sohn in die Hand drückte und an ihr vorbei ins Zimmer ging. Sie verspürte nicht besonders großes Engagement, ihm nachzugehen und ihn zu trösten zu versuchen. Was sollte sie auch sagen? Das war ein Moment, den er selber durchstehen musste. Worte änderten daran ncihts. Und es gab wahrhaft dringlicheres zu klären.
    Eigentlich wollte Elfleda genau das ihren Mann nun fragen. Vielleicht wusste er ja, ob Witjon sich um eine Amme gekümmert hatte, und wo zur Hel die nun war. Das Kind würde in ein paar Stunden Hunger haben, und dann hatte diese da zu sein und die Brust zu geben. Sie konnten dem Kind nur schlecht Kuhmilch oder Ziegenmilch geben. Zu aller Not ging auch das, aber die meisten Kinder bekamen davon Choliken, die so kurz nach der Geburt sehr gefährlich waren. Und nun das Kind auch noch zu verlieren wollte Elfleda nach Möglichkeit nicht riskieren, wenn es sich umgehen ließ. Natürlich konnte immer was passieren, das ein so junges Leben beendete. Manche Kinder hörten einfach auf zu atmen. Andere wurden krank. Wieder andere aßen nicht richtig. Es konnte viel passieren. Aber das, was sie kontrollieren konnte, wollte Elfleda auch kontrollieren.
    Nur machte sich ihr Mann just da aus dem Staub, als Elfleda ihn danach fragen wollte. Sie sah ihm nur nach, wie er davonstiefelte und schimpfte. Sie konnte es ihm nicht verdenken, politisch gesehen war das eine halbe Katastrophe.


    Elfleda blickte auf den Jungen, der so selig schlief. Armer kleiner Kerl. Du weißt von dem allem hier noch nichts. Weißt nicht, wie wichtig du bist. Warum kannst du nicht einfach meiner sein. Oder ein Mädchen. Ihren Gedanken sprach sie nicht aus. Das Kind regte sich im Schlaf und gab einen kleinen Quäklaut von sich, den Elfleda mit einem “Schhhshhshh“ und einem sanften streicheln über den kleinen Bauch zu beruhigen versuchte. Nun, ihr eigenes Kind würde in 4 Monaten etwa zur Welt kommen, das hier würde fast sowas wie ein Bruder da sein. Sie summte eine Weile, bis Audaod wieder ruhig war.
    “Ich kann das, ich mach das, ich pack das...“, murmelte sie einmal, um sich zusammenzureißen und Mut zu machen, dann ging sie zu Witjon.


    Dieser kniete vor dem Bett und streichelte seine tote Frau. Lanthilda räumte noch ein wenig zusammen, Marga brachte derweil schon die erste Ladung an verbrauchten Tüchern zum Waschen nach unten. Ganz langsam und leise ging Elfleda zu Witjon, blieb einen Moment hinter ihm stehen. Ich kann das, ich mach das, ich schaff das, sagte sie sich nochmal in Gedanken, und setzte sich schließlich mit dem Kind im Arm auf die Kante des Bettes, fast neben ihn, aber doch mit gebührlichem Abstand zu ihm und seiner toten Frau. Dennoch musste er sie so bemerken.
    “Witjon... komm, steh auf. Sie hätte nicht gewollt, dass du traurig bist. Alles, was sie wollte, war dieses Kind. Dein Sohn. Und der braucht dich jetzt.“ Und vor allen Dingen brauchte er die Amme. Elfledas Trommelfell und ihre Nachtruhe brauchten die Amme auch. Alles andere würde sehr anstrengend werden.

    Gerade, als Elfleda aus der Tür herauskam, stand da auch schon Witjon ihr gegenüber. Er sagte nichts, er schaute nur, fixierte das Kind in ihren Armen. Er sah angespannt aus, was aber auch nicht so verwunderlich war. Elfleda erinnerte sich noch an den Ausdruck auf Landos Gesicht, als er damals zu ihr ins Zimmer gekommen war nach der Geburt von Naha. Da hatte er auch ausgesehen, als stünde er vor einem Geist, als er sie angesehen hatte. Sie war zwar gleich wieder eingeschlafen, aber sie erinnerte sich an diesen kurzen Moment. Und sehr viel anders sah auch Witjon jetzt nicht aus, vielleicht noch ein wenig konfuser und ängstlicher, aber er hielt sich gut.
    “Das ist dein Sohn, Witjon.“ Elfleda sprach ganz leise und sanft, um das Kind nicht zu wecken. Sie hielt ihn ihm hin, damit er ihn nehmen konnte, wenn er wollte. Zwar stellten sich die meisten Männer dabei erstmal ungeschickt an, aber Witjon hatte ja auch Übung mit Naha und wusste, dass er das Köpfchen würde stützen müssen. Und wenn nicht, Elfleda war ja auch da, um ihn zu dirigieren, wenn es nötig werden würde.
    “Er ist gesund, soweit ich das sagen kann. Recht kräftig. Ein hübscher Junge.“
    Vielleicht würde die gute Nachricht die schlechte, die gleich noch folgen musste, ein wenig abfedern. Immerhin hatte er einen Sohn. Einen lebenden, atmenden Erben. Das wollten alle Männer doch.


    Elfleda wartete einen Moment, ehe sie also zum unangenehmeren Teil überging. Sie versuchte, sich an alles zu erinnern, was sie über taktische Verhandlungen so wusste. Tonfall, Körperhaltung, Syntax. Aber ihr erschien das grade alles so obsolet. Es gab da wohl nichts schönzureden an der Sache.
    “Aber Callista hat es nicht geschafft. Sie war schon zu geschwächt. Wir haben getan, was wir konnten, aber...“ Elfleda hob hilflos leicht die Schultern. Wenn Witjon auch nur einen Blick auf sie verschwendete, würde er Spuren des Kampfes um das Leben von Kind und Mutter an ihr sehen. Eine Geburt war eine blutige Angelegenheit, und Elfledas Kleidung sprach davon ein deutliches Zeugnis. “... es tut mir sehr leid, Witjon. Du hast dich um die Amme gekümmert, wie ich gesagt hatte, ja?“

    Elfleda beobachtete Callista bei diesen ersten Momenten mit ihrem Kind, das zaghafte Streicheln, dieses selige Lächeln, das die Schmerzen vergessen ließ, diesen kurzen, perfekten Moment. Es war seltsam, zu fast gleichen Teilen neidisch, traurig und glücklich zu sein. Elfleda gönnte Callista ihren Sohn, war froh, dass sie ihn noch sah. Aber trotzdem wünschte sie sich, dass das Kind in ihrem Leib auch ein Junge werden würde, der genauso gesund sein würde. Nur dass sie auch hoffte, seine Geburt besser zu überstehen.
    Marga sah kurz fragend zu Elfleda, und diese schüttelte nur ganz leicht den Kopf. Nein, sie glaubte auch nicht, dass Callista es schaffen würde. Und gerade da fiel auch die Hand der Prudentia herunter, und der Blick in ihren Augen wurde glasig, bis er schließlich brach und erlosch. Elfleda hielt nur hastig das Kind fest, dass dieses nicht noch herunterpurzelte, und einen Augenblick lang breitete sich Schweigen im Raum aus, das nur von dem Quängeln des Kindes unterbrochen wurde.
    Einen Augenblick lang standen die drei Frauen nur da, bis schließlich Marga die erste war, die sich bewegte. Sie ließ Callista auf ihr Bett zurücksinken und krabbelte von selbigen herunter, um aufzustehen und die alten Glieder erstmal ausgiebig zu strecken. Es musste noch viel getan werden, unabhängig davon, ob Callista lebte oder nicht.


    Elfleda gab Lanthilda Witjons Sohn zum Waschen und verpacken in einem sauberen Tuch, während sie und Marga die ohnehin schon eingesauten Laken und Tücher dazu verwendeten, auch den Rest der verschiedensten Flüssigkeiten aufzuwischen und wegzuputzen. Das Blut war dabei das hartnäckigste Problem. Elfleda glaubte nicht, dass Witjon hier heute Nacht würde schlafen können. Oder dass er das tun sollte. Das war sicher nicht gut für ihn, wenn es sich anders lösen ließe.
    Anschließend gab es noch einen letzten Dienst, den sie von Callista einfordern mussten. Auch wenn sie tot war, wenngleich nichtmal eine halbe Stunde, war die Milch in ihren Brüsten lebenswichtig für das Kind. In späteren Jahrhunderten würde ein kluger Mann herausfinden, dass Kinder mit der sogenannten Biestmilch erst eine gute Portion ihrer Immunabwehr erhalten würden, und zwar bei allen Säugetieren. Die Frauen hier wussten nur, dass Kinder innerhalb der ersten stunde von der Mutter trinken mussten, weil sie sonst meistens schwächlich waren und starben. Und so erwies Callista ihrem Sohn noch einen letzten Dienst, selbst wenn sie von diesem nichts mehr mitbekam.
    Die Frauen brauchten nichtmal Blicke miteinander zu tauschen, um zu beschließen, davon nichts zu sagen. Das war etwas, das die Männer definitiv nicht wissen mussten.


    Elfleda wischte sich noch einmal mit einem der Tücher über die Arme. Überall an ihr klebte eingetrocknetes Blut oder Fruchtwasserreste, und nicht überall hatte sie es ganz herunterbekommen. Über ihren Unterarmen zog sich eine blassrote Schicht, die auf ihre Herkunft schon gut shcließen ließ und wohl gleich die richtigen Assoziazionen wecken würde, wenn sie herauskam.
    “Gib mir den Jungen“, bat Elfleda mit müder Stimme Lanthilda, die ihr Witjons Sohn reichte. Einen Moment schaukelte Elfleda ihn in den Armen. Er war eingeschlafen und hatte die Augen geschlossen. Auch für ihn war es ein anstrengender Tag gewesen. Aber seine Ärmchen zuckten im Schlaf und sein Brustkorb hob und senkte sich.


    Marga öffnete ihr die Tür, und vorsichtig ging Elfleda mit dem Kind nach draußen. Ganz leise, damit sie ihn nicht wieder weckte. Das würde vermutlich gleich dennoch passieren, wenn sie Witjon erst gesagt hatte, dass Callista die Geburt nicht überlebt hatte.

    So gut es ging unterstützten die drei Frauen Callista bei der Geburt. Wann immer die Zeit es erlaubte, flößte Elfleda ihr ein paar Schlucke des hastig zusammengemixten Gebräus aus Wasser, Wein und Mutterkraut ein und hoffte, den Vorgang damit zu beschleunigen. Und tatsächlich meinte sie auch, dass es danach etwas besser wurde. Zumindest senkte sich das Kind zusehens, und es blieb nichtmehr soviel Gelegenheit, Callista mit einem kräftigen Reiben des Kreuzes oder etwas heißem Wasser den Schmerz zu erleichtern. Nun musste sie zwangsläufig sich halb aufgerichtet ins Bett setzen, gestützt von der kräftigen Marga, die auch ihre Hand hielt, während Lanthilda dafür sorgte, dass es ihr nicht ganz so heiß wurde und ihr bestes tat, überall gleichzeitig zu sein und zu helfen.


    Elfleda kniete zwischen Callistas Beinen, fühlte regelmäßig, wie weit diese war, goss immer wieder heißes Wasser über ihre Scham, um diese zu entspannen. Es dauerte aber noch eine Weile, bis sie wirklich das Köpfchen sehen konnte. Die letzten Reste des Fruchtwassers, Teile der Plazenta und etwas Blut vor sich herschiebend kam es heraus, und Elfleda stützte es vorsichtig mit der Hand, tastete gleich nach dem dünnen Hals mit ihrer freien Hand. Vorsichtig tastete sie danach, ob die Nabelschnur da war, aber zum Glück hatte die sich nicht um den Hals gelegt. Alles in Ordnung, die erste Hürde damit erfolgreich bestanden. Da kam auch schon die nächste Presswehe, die die Schultern zum Vorschein brachte, und mit der nächsten war das Kind dann auch schon heraus und lag in Elfledas Armen. Hastig befreite sie Mund und Nase vom Geburtsschleim, fuhr auch die verklebten Äuglein ab. Das Kind bewegte sich leicht, die kleinen Hände griffen ins nichts und auch die winzigen Füße verbogen sich leicht an den Zehen, als wollten sie sich an etwas festklammern. Aber es atmete nicht. Beherzt drehte Elfleda das Kind auf den Bauch und fuhr ihm einmal vorsichtig, aber doch mit genügend Nachdruck über den Rücken, so dass auch der restliche Schleim aus der Nase heraus lief.
    Und dann fing es auch an, zu quängeln. Ein Zittern ging durch den Körper, als Elfleda es wieder auf den Rücken drehte, den Kopf stets vorsichtig gestützt, und mit einem der von Lanthilda angereichten Tücher anfing, das Kind zu säubern und damit gleichzeitig warmzureiben. Die kleinen Lungen füllten sich mit Luft, und als Callista nachfragte, machte das junge Leben seinem Unmut über die grobe Behandlung außerhalb des Mutterleibs zum ersten Mal mit einem kleinen Schrei kund. Wieder Luft geholt, und gleich nochmal, so dass ein kontinuierliches “Uiiin, Oooiin, Uuäään“ kurz die Stille im Raum unterbrach.
    Elfleda erhob sich vorsichtig mit dem Kind und ging damit zu Callista. Sie lächelte, wenngleich ein melancholischer Unterton darin war. Callista sah nicht gut aus, und Elfleda hatte Angst, ihr das Kind in die Arme zu geben. Sie reichte es ihr dennoch an, vorsichtig, so dass es auf dem Bauch der Mutter lag, und behielt eine Hand als Stütze dort. “Du hast einen gesunden Jungen.“ Und das war der zweite Grund für ihre Melancholie. Denn Callista, die noch immer leicht blutete, und die gerade schon aussah wie ein Wiedergänger, so blass und mit eingefallenem, verschwitzten Gesicht, bei der es ein Wunder war, dass sie überhaupt noch atmete, sie hatte einen Sohn geboren. Und Elfleda nicht.

    Elfleda unterdrückte einen mehrfarbigen Fluch, als sie Lanthildas Worte hörte. Callista würde es nicht schaffen. Sie hatte noch gehofft, die Germanin würde das anders sehen, aber das tat sie nicht. Und auch ein Blick in Margas Gesicht sagte Elfleda, dass wohl wenig Hoffnung bestand.
    Callista wurde unterdessen unruhig und fragte nach, was los sei. “Nein, alles in Ordnung. Ich brauch nur ein paar Kräuter aus dem Garten.“ Elfleda klang ganz ruhig. Callista noch zusätzlich Angst zu machen nützte nichts. Zwar haderte die Mattiakerin mit sich, ob die Römerin nicht ein Recht hätte, zu erfahren, dass sie vermutlich sterben würde, aber sie entschied sich dagegen. Sie selbst hätte es wissen wollen. Sie hätte es wohl auch den meisten anderen Frauen gesagt in so einer Situation. Den meisten germanischen Frauen. Aber Callista war keine solche. Sie war weich und sanft und zart und zerbrechlich. Nicht fürs Überleben geschaffen. Ihr zu sagen, was los war, würde alles nur schlimmer machen. “Mutterkraut, hinten links im Garten“, wies sie Lanthilda noch an. Damit konnte sie es noch versuchen. Das förderte zwar auch den Blutfluss, beschleunigte aber gleichzeitig die Geburt. Und vielleicht, wenn es doch schnell genug ging, war noch was zu machen. Und wenn es nur das Kind war, das sie retten konnte. Im Moment war die Gefahr groß, dass Callista starb, bevor es heraus war, und Elfleda nicht schnell genug damit wäre, es herauszuholen, und es so in ihr ersticken würde.
    Just als Lanthilda losging, kam die nächste Wehe bei Callista und machte das Mutterkraut vielleicht überflüssig. Endlich war die Fruchtblase geplatzt und ergoss ihren Inhalt über Bettlaken und einen Teil des Bodens. Sofort ging Elfleda eilig wieder zurück, ignorierte dabei die kleine Pfütze, in die sie sich stellen musste, und sah bei Callista noch einmal nach, ob sie sich auch weiter geöffnet hatte. “Alles in Ordnung. Deine Fruchtblase ist endlich geplatzt. Jetzt dauert es nicht mehr lange.“ Nur noch ein paar Stunden. Entweder das, oder das Kind würde tot auf die Welt kommen, weil es sich an der eigenen Nabelschnur erhängt hatte. Zwar wusste keine Frau die genauen Zusammenhänge, warum das so passierte, aber dass es so war, dafür sprachen viele Erfahrungen. Entweder war das Kind schon weit genug gesenkt, wenn die Fruchtblase platzte, und alles war in Ordnung und dauerte auch nicht mehr so lange. Oder aber, es gab Probleme. Elfleda hoffte, dass es hierbei ersteres war, sowohl für Callista, als auch für das Kind.

    Ein ganz klein wenig fies fand Elfleda ihre Vorgehensweise ja schon. Aber es machte zu viel Spaß, das Spielchen zu spielen und so diese Winzigkeit an Macht auszukosten, die sie momentan noch hatte und die nur allzu schnell wieder geteilt sein würde. Es war ganz sicher nicht klug, es zu tun, und Elfleda wusste auch, dass sie damit aufhören sollte, sofort, und entweder ehrlich gütig und mitfühlsam sein oder eben damit aufzuhören, so zu tun, als wäre sie es. Aber es machte so viel Spaß!
    Naja, fast, denn um Witjon machte sich Elfleda selber Sorgen. Es war nicht gut, wie der Germane sich gehen ließ seit Callistas Tod. “Oh, körperlich ist alles mit ihm in Ordnung. Er war erkältet und ein wenig heiser, aber das ist alles wieder im Lot. Aber er leidet wie ein Hund wegen Callista.“ Und diesmal war Elfledas reumütiges Bedauern in den Augen sogar echt. Sie konnte sich an vielem erfreuen und bei vielen Gelegenheiten gehässig sein, aber wenn jemand, den sie eigentlich recht gern hatte, litt, war das was anderes.


    Sie wollte gerade noch etwas anderes dazusetzen, als Lando hereinkam. Er sah auch nicht gut aus. Elfleda hatte gehofft, es ginge ihm langsam besser. Nach dem Brand hatte sie ihn ja bald in Kräutertinkturen ersäuft – so sie seiner habhaft geworden war. Aber seine Stimme war noch immer kratzig, und sie vermutete noch immer Rauch in seiner Lunge, den sie einfach nicht wegbekam. Und er sah so unendlich müde aus. In Momenten wie diesen hatte Elfleda sogar Mitleid mit ihm, wenngleich sie das so nie zeigte. Ein Mann brauchte ja nicht jemanden, der ihn verhätschelte und bemutterte, sondern jemand, der ihm in den Hintern trat, wenn er selbigen nicht hochbekam.
    Dennoch erwiderte Elfleda das Lächeln ebenso zaghaft, wie er seines vorgebracht hatte, und schaute besorgt drein, während er so auf sie und seine Schwester zuschlurfte. Oder genauer gesagt, eigentlich nur auf seine Schwester, die er einen Moment lang fest anstierte, ohne auch nur einen Ton zu sagen. Und dann klatschte es einmal, aber keinen Beifall. Lando hatte seiner Schwester eine gescheuert, und nun lächelte er sie an, streichelte die andere Wange und hieß sie willkommen. Und das war alles. Elfleda war sich nicht ganz sicher, was sie davon halten sollte. Irgendwie hatte sie was anderes erwartet. Andererseits überraschte Lando sie auch nach all der Zeit, die sie beide verheiratet waren, noch immer jeden Tag aufs Neue mit irgendwas unvorhergesehenem. Wie beispielsweise fliegende Kinder (und ja, das würde er sich bis zum Rest seines Lebens anhören müssen).
    Und dann ging er einfach wieder. Sagte keinen Ton zu ihr, sondern schlurfte einfach weiter, als wär nichts gewesen. Und da sollte nochmal einer sagen, Frauen wären kompliziert! Apropos, Eila tat es ihm direkt darauf gleich und ging an Elfleda vorbei in Richtung ihres Zimmers. Elfleda blieb nichts, außer dazustehen und beiden hinterherzuschauen. “Die sind eindeutig verwandt...“, murmelte sie noch, als sie die Tür schloss und sich dann auf in den Garten machte. Landos Stimme gefiel ihr noch nicht wirklich, und irgendwas musste da draußen doch wachsen, womit sie den restlichen Ruß aus seiner Lunge kriegen würde.

    Das unbekümmerte Lächeln aufrecht zu erhalten war nicht unbedingt einfach, aber Elfleda hatte Übung genug darin. Das war der Vorteil, wenn man eine Frau war. Wenn einem bissige Antworten auf der Zunge lagen, konnte man einfach nur lächeln, ohne dass sich irgendjemand etwas dabei dachte. Die meisten Männer hielten so ein Verhalten ja auch noch fälschlicherweise für Verlegenheit und kamen sich dabei noch viel stärker vor. Und dabei war ein Lächeln in manchen Fällen nicht weniger tödlich als ein Angriff, nur etwas subtiler – und nicht ganz so schnell wirkend.
    Elfleda mühte sich also darum, Eila möglichst charmant und harmlos aussehend die Zähne zu zeigen, als diese das Schweigen dann doch brach, während sie warteten. Wo blieb nur das elende, kinderschmeißende Mannsvolk, wenn man es mal brauchte? Wenigstens irgendeiner von denen könnte kommen.
    “Oh, ähm... ich denke, das erzählt dir besser Lando.“ Elfleda bemühte sich, ehrlich betrübt auszusehen, was sie eigentlich so nicht war. Sie ließ einen Moment die Spannung ansteigen, ehe sie dann doch das ein oder andere Fallen ließ. “Callista ist gestorben*, und Witjon... naja. Wie gesagt, das erzählt dir besser dein Bruder.“
    Elfleda ließ die Nachricht einen Moment sacken. Sie wusste nichtmal, ob Eila und Callista sich überhaupt mal näher kennengelernt hatten, immerhin war Eile eine ganze Weile weg gewesen.
    “Und Sontje ist zurück zu ihrer Mutter. Die solltest du Lando gegenüber vielleicht eher nicht erwähnen. Sie hat ziemlich übertrieben auf einen kleinen Überfall reagiert – der Täter ist inzwischen tot, also keine Sorge. Aber naja, ihr Verhalten wurde doch etwas sehr seltsam und Phelan hielt es für das beste, sie zurück zur Mutter zu schicken, damit sie erst noch etwas erwachsener wird.“ Was nach Elfledas Einschätzung in etwa 20 Jahre dauern dürfte. Um ehrlich zu sein, sie vermisste Sontje nicht im geringsten. Wann immer sie mit der Germanin zu tun gehabt hatte, hatte diese entweder vor sich hingebrütet, gejammert oder war wie ein Kind euphorisch gewesen, aber in keinem Fall wie eine erwachsene Frau, die eigentlich schon lange verheiratet sein sollte und Kinder kriegen. Wie Eila auch. Und bei diesem Gedanken ernst und mitfühlend dreinzusehen und nicht einmal zu zucken war eine schauspielerische Leistung, auf die Elfleda nicht wenig stolz war.
    “Aber es gibt auch was gutes. Ragin hat sich von seinem Sturz ganz gut erholt, auch wenn er noch humpelt. Und Phelan ist befördert worden, wie auch immer man einen Goden befördern kann. Brückenbauer darf er sich jetzt nennen, was auch immer seine Tätigkeit mit Brücken zu tun hat.“ Die Römer hatten einfach komische Bräuche und mindestens die Hälfte von ihnen war verrückt im Kopf, soviel stand fest. Wer wollte da schon über den Sinn und Unsinn der Bezeichnung 'Pontifex' streiten?


    Sim-Off:

    *Dem greif ich jetzt einfach mal vor, in den Listen ist sie ja schon tot, wenngleich das Ausspielen desselben noch etwas dauert. Deshalb hier auch nur vage :D

    Da war es wieder, dieses seltsame Gefühl in Eilas Nähe. An und für sich würde Elfleda sich nicht als stutenbissig beschreiben. Mit ihren Cousinen war sie prima ausgekommen. Und mit den ganzen anderen Mädels aus ihrem Dorf. Nur... bei ihren gleichaltrigen Freundinnen war sie meist die gewesen, die den Ton angab. Und auch hier meinte sie, da sie ja Landos Frau war, ebensolches Recht zu haben. Nungut, mit Marga hatte sie sich arrangiert, Elfleda war nicht so dumm, Schlachten zu schlagen, die sie entweder verlieren würde oder bei denen der Preis fürs Gewinnen schlicht zu hoch war. Und Marga zu verärgern und auf Dauer zu vergrellen war definitiv ein verdammt hoher Preis.
    Bei Eila allerdings war das etwas anderes. Hauptsächlich deshalb, weil diese nur wenig älter war als Elfleda. Und auch, wenn Elfleda das vehement abstreiten und wohl jeden anfahren würde, der sowas behaupten würde: Sie war selbstverständlich eifersüchtig auf sie. Sie war die Schwester ihres Mannes und die beiden hatten ein so inniges Verhältnis, dass man es direkt sehen konnte, wenn die beiden nebeneinander standen. Sie hatte es bei ihrem Mann deutlich schwerer, wenn sie auch nicht zweifelte, dass er sie auf seine kerlige Art auch liebte. Aber diese enge Verbundenheit wie die beiden Geschwister hatte sie einfach nicht. Und das störte sie, denn es unterminierte ihre Macht auf ihren Mann in nicht geringem Maße.


    Im Moment aber galt es, so zu tun, als wäre das alles nonexistent, und als wäre sie Eilas beste Freundin überhaupt auf der Welt. Als würde es sie wirklich freuen, ihre gerade aufgebaute Machtbasis nun wieder zu teilen. Diplomatie war ein herrliches Konstrukt. Ein bisschen wie ein Schwert: Präzise, hilfreich und tödlich.
    “Oh ja, ich hab ihn vorhin noch gesehen. Lando! Er kommt sicher gleich.“ Sie schaffte es sogar, seinen Namen eher zu flöten als zu brüllen. Und hoffentlich hörte er sie, denn in letzter Zeit versteckte er sich gern bei Leif. Oder wo auch immer er sich hinverkroch, wenn er seine Ruhe haben wollte.

    Wenn man nicht alles selber machte... Überall, wirklich überall ließen die Kerle des duccischen Haushaltes ihr Zeug stehen und liegen. Wo Elfleda überall schon nur halb leergetrunkene Metbecher gefunden hatte, das würde ihr kein Mensch glauben. Und sie konnte noch nichtmal sagen, wer von den Herren Wolfriksspross der Übeltäter war, der scheinbar so vergesslich war. Ein Wunder, dass Marga noch keinen von ihnen erwürgt hatte. Elfleda wäre kurz davor gewesen!
    Nungut, vielleicht war sie zur Zeit auch nur etwas pingelig. So langsam fingen wieder die Beschwerden an, die eine Schwangerschaft so mit sich brachte. Übel war ihr zum Glück dieses Mal kaum gewesen, und sie war auch weit lockerer, was körperliche Nähe anbelangt hatte. Allerdings begann das Kind jetzt langsam zu wachsen, was dazu führte, dass sie andauernd unruhig war, wenn sie seine Bewegungen fühlte. Und dauernd austreten musste, was wirklich nervenaufreibend mit der Zeit wurde. Und da half nur eines: Schlechte Laune auf was anderes projizieren. Beispielsweise halbvolle Metbecher.
    So war sie also gerade im Haus auf der Suche nach einem Hassobjekt unterwegs, als es an der Tür klopfte. Kurz schaute sie, ob nicht vielleicht doch Albin rein zufällig in der Nähe war, so dass sie einfach weiter konnte. Aber auch von diesem Kerl war nichts zu sehen. Männer!
    Mit einem gespielt übertriebenen Augendrehen ging Elfleda also zur Tür. Bestimmt nur wieder irgendein Bettler oder Hausierer. Es widersprach zwar eigentlich der Sitte der Gastfreundschaft, diese Leute einfach fortzuscheuchen, aber in ihrer Zeit in Mogontiacum hatte Elfleda doch so einiges gelernt. So also öffnete sie die Tür, schaute im ersten Moment nicht richtig und sah nur ein blondes Mädchen. “Wir kaufen ...“ Moment, das Gesicht kannte sie! “... öhm... Eila?“
    Es brauchte eine winzige Schrecksekunde, ehe Elfleda sich an ihre Lektionen in Diplomatie und Politik erinnerte, und sie ein Lächeln aufsetzte, das freudiger nicht sein konnte – so es ganz echt gewesen wäre. “Oh, komm doch rein. Lando wird ausflippen vor Freude.“ Nunja, ausflippen würde er sicherlich, ob vor Freude war die andere Frage. Er hatte sich über das Verschwinden seiner Schwester wirklich sehr geärgert. SEHR.

    Es dauerte, wie alle Geburten eben dauern. Anfangs gab es noch recht viel Zeit und eigentlich nichts wirklich zu tun, als darauf zu warten, dass die nächste Wehe kam, und der Kreißenden gut zuzureden. Wenngleich Lanthilda sich da von Elfleda einen strengen Blick einfing. Ihrer Meinung nach sollte man Callista nicht betüteln. Wem nützte das denn? Och, armes Mädchen, bist schwanger geworden... ne, nun also wirklich nicht. Callista war eine erwachsene Frau und hatte als solche Mitleid nicht nötig. Elfleda wusste noch von ihrer Geburt, wie die Schmerzen gewesen waren und wie man sich da fühlte. Da war wirklich das letzte, was man brauchen konnte, Mitleid. Da wollte man nicht betütelt werden, da wollte man klare Ansagen, kräftige Hände um sich herum und Sicherheit. Sie zumindest hatte das gewollt, also fing sie garantiert nicht damit an, Callista irgendwie nun zu hätscheln und noch mehr zu verweichlichen. Das hier war gefährlich und ernst, und Elfleda würde es nicht durch Kosereien runterspielen. Natürlich machte sie Callista nicht noch mehr Angst, als diese vermutlich ohnehin schon hatte, aber sie gab sich auch keine Mühe damit, netter als sonst so sein, oder gar irgendwelche Mitleidsbekundungen von sich zu geben.
    Aber Elfleda sagte nichts, wechselte nur einen Blick mit Marga, und fing dann damit an, alles vorzubereiten. Am Anfang gab es kaum etwas zu tun, als Callista eine Hand zum Zudrücken zu geben, wenn eine Wehe kam, und sobald diese abklang, ihr mit kräftigen Bewegungen den Rücken zu reiben, um die Muskeln zu entspannen. Elfleda erinnerte sich noch an das Gefühl, als würde man mittig auseinanderbrechen, und wie gut Margas Hände da getan hatten.


    Bald schon kamen die Wehen in kürzeren Abständen, und Elfleda sah immer wieder nach, wie weit Callista sich schon geöffnet hatte. Aber noch schien das Kind nicht kommen zu wollen. Allmählich machte sich die Mattiakerin Sorgen. Callista schwitzte jetzt schon ganz ordentlich. Und sie war nach wie vor nicht die Kräftigste.
    Elfleda wechselte einen Blick mit Marga, die ein wenig Callista eben ablenken sollte. Sie selbst zog Lanthilda etwas mit sich beiseite, sie brauchte eine Meinung. Nicht unbedingt einen Rat, aber eine Meinung. Sie lehnte sich also an die Wand und flüsterte mit gedeckter Stimme, während Marga Callista etwas beschäftigte und ihr gut zuredete.
    “Das Kind senkt sich nicht genug. Das wird noch lang dauern. Und sie öffnet sich nicht richtig.“ Und die Fruchtblase machte auch keine Anstalten, platzen zu wollen. “Was meinst du, wie lang hält sie durch?“
    Elfleda sprach so leise, dass Callista es nicht hören würde, und sie hoffte, Lanthilda konnte sich einen ängstlichen Blick jetzt verkneifen. Nicht, dass Callista noch was mitbekam. Aber Elfleda war sich unschlüssig, was sie machen sollte. Es konnte gut sein, dass weder Callista noch ihr Kind überleben würden, wenn das hier so weiter ging.

    Na wenigstens besaß der junge genug Einsicht, sich in dieser Frage nicht mit ihr anzulegen. Sie sah es ihm zwar an den Augen an, dass er am liebsten etwas machen wollen würde, aber er fügte sich dennoch und trottete mit ihr die Treppe wieder hinunter zum Atrium, wo Lando bereits auf ihn wartete. Der hatte auch gleich schon einen Krug Met für den werdenden Vater parat und würde ihn hoffentlich genug ablenken, dass dieser nicht reinplatzen und im Weg rumstehen würde. Hoffentlich.
    Elfleda warf ihm im Vorbeigehen einen kleinen, dankbaren Blick zu. Nach der kleinen Meinungsverschiedenheit wegen Nahas Eistaufe hatten sie zwar etwas gestritten – so zumindest sah Elfleda die Sache – aber dennoch würde sie ihren Chaoten nicht tauschen wollen. Er hatte auch seine guten Seiten, wenn er die auch oft gut verbarg. Und jetzt war sowieso keine Zeit für weitreichendere Gespräche. Das mit Callista würde zwar noch ein wenig dauern, aber sie konnte die werdende Mutter dennoch nicht lang allein lassen.
    Sie rauschte also an den Männern vorbei in Richtung Küche.
    “Marga? Steckst du hier irgendwo?“ Marga steckte meistens irgendwo in der Nähe der Küche, und so schaute sie auch jetzt gleich um die Ecke, an Naha vorbei, mit der sie gerade spielte. Es war geradezu herzallerliebst, das immer mit anzuschauen. Und überaus praktisch, so konnte Elfleda sich selber auch mal irgendwo hinlegen und ein wenig ausruhen, während sich jemand anderes um das Kind kümmerte. Von daher würde sie garantiert nie auch nur einen Piepton sagen, wenn Marga sich Naha schnappte und mit ihr ein wenig spielte oder sie einfach nur um sich haben wollte.


    Marga:
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    „Was gibt es denn, Elfleda?“ Marga brachte Naha gerade ein kleines Klatschspiel bei. Und die Kleine hatte offenbar nicht mitgekriegt, dass eben jenes unterbrochen worden war und klatschte mit Begeisterung weiter auf Margas entgegengehaltene Handflächen. Lediglich ein wenig grantig schien sie zu werden, dass es nicht weiter ging, und ein unwilliger Quietscher entrang sich der Kinderkehle, weil sie sich unbeachtet fühlte.


    Elfleda begrüßte ihre Kleine auch kurz und herzlich, vergrub lachend ihr Gesicht einen Moment an dem Kinderbauch und machte ein paar Grunzgeräusche, als wolle sie Naha fressen. Wie immer lachte und quiekte das Kind – und zog anschließend die Mutter an den Haaren, weil diese die Hände nicht schnell genug erwischt hatte, und sich so erstmal etwas befreien musste, ohne zu viel Haare dabei einzubüßen.
    “Callistas Kind kommt“, meinte sie, als sie sich aus dem kindlichen Griff frei wand und Naha anschließend mit einem breiten Grinsen nochmal andeutungsweise kitzelte, woraufhin das Kind wieder lachte. Herrliches Alter, in dem jede kleine Geste noch so viel Lachen hervorrief. Schade, dass die Situation gerade so ernst war.
    “Weißt du, wo Lanthilda steckt? Sie sollte auch dazukommen.“ Irgendwelche Hinweise zu heißem Wasser und sauberen Tüchern konnte Elfleda sich schenken, am Ende würde sie nur eins mit dem Kochlöffel übergebraten bekommen, weil Marga sich veralbert fühlte.


    Marga:
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    „Ich hol sie. Und bring Naha noch zu Leifs Frau.“ Irgendwo musste die Kleine ja auch bleiben, und dass das Mannsvolk sich um sie kümmerte, war zwar möglich, aber nicht unbedingt ratsam. Da war die Frau von Leif die bessere Wahl.



    Elfleda nickte nur schnell und wandte sich schon wieder um. “Danke Marga.“ Mehr gab es nicht zu sagen, sie musste los. Sie schnappte sich nur noch ein paar Kräuter und ging dann schon wieder retour nach oben zum Turmzimmer, wo Callista hoffentlich nicht schon weiter war, als angenommen.
    “So, da bin ich auch schon wieder“, meinte sie beim Eintreten und ging zu der werdenden Mutter hinüber, um sie zu beruhigen. “Marga und Lanthilda kommen auch gleich und bringen alles nötige mit.“ Oder auch nicht, und sie würden nochmal laufen. Zum Glück hatte man bei den meisten Geburten genug Zeit, alles mögliche zu holen.
    Kritisch blickte Elfleda kurz in Callistas Augen, um zu prüfen, wie es ihr ging. Sie war immernoch so schwach...

    Die Tage wurden länger und wärmer, und Callista wurde immer grantiger. So schlimm sogar, dass Elfleda die Geduld verlor, und sie war kein Mensch, der sich normalerweise von einem gesetzten Ziel abbringen ließ. Aber zwischenzeitlich gab es Tage, an denen sie nur noch die Hände in die Luft geworfen hatte und Marga gesagt hatte, sie solle sich um den Drachen in Witjons Schlafgemach kümmern, weil sie ihr sonst demnächst Gift verabreichen würde. Und das meinte sie in solchen Momenten nicht im geringsten scherzhaft.


    Doch in den letzten tagen hatte sich Elfleda zusammengerissen. Es war bald so weit, dass Callista das Kind bekommen würde. Immer wieder hatte sie Wehen, wenn diese auch meistens nur einzeln auftraten und die Geburt auf sich warten ließ. Jedes Mal hatte die Römerin nach ihr gebrüllt, und sie war auch jedes Mal gekommen, war so ruhig und nett wie eben möglich gewesen und hatte sie untersucht und sie zu beruhigen versucht, dass das auch ganz normal sei und man erstmal abwarten müsse. So kam sie auch an diesem Tag ruhig zum Zimmer herein, als nach ihr gebrüllt worden war, und ging zu Callista hinüber.
    Sie lag schon im Bett und heute sah sie wirklich nicht gut aus. Die anderen Tage hatte sie zwar auch zu leiden gehabt, aber heute sah es ernster aus. Dennoch behielt die Mattiakerin ihr unbeschwertes, kleines Lächeln und ging zu ihr herüber. “Wie fühlst du dich“ fragte sie wie jedes Mal und griff nach dem Bauch, um zu fühlen, wie verkrampft Callista war und ob alles in Ordnung war. Die Bauchdecke war hart und angespannt, und Elfleda fühlte deutlich, dass das Kind sich zu senken begonnen hatte. Kurz blickte sie zu Callista auf, ließ sich aber nichts von ihrer Sorge anmerken. Jetzt wurde es ernst, und das letzte, was Callista gebrauchen konnte, war jemand, der nervös sein würde. Das hatte Elfleda damals bei ihrer ersten Geburt auch nicht brauchen können, weswegen sie Sontje ja auch rausgeschmissen hatte.
    “Ich bin gleich wieder da. Ich sag nur eben Lanthilda bescheid und Marga.“ Sie wartete noch kurz auf eine Erwiderung, dann ging sie. Es gab ein paar Dinge, die wohl vorzubereiten waren.


    Draußen lief sie auch schon direkt halb in Witjon hinein, der gerade angehechtet kam und sie fast zurück gegen die Tür drückte mit seinem Schwung. “Whohoho, immer langsam mit den jungen Pferden“, tadelte sie ihn und scheuchte ihn bestimmt auf Abstand. Bevor er sich nicht zurückgenommen hatte, beantwortete sie schonmal gar nichts. Warum nur waren Männer bei Geburten immer viel schlimmer als die Frauen, die die Kinder bekamen? Eigentlich sollten DIE ja aufgeregt sein und sich in Met zu ersäufen versuchen, wenn man bedachte, was ihnen bevorstand, nicht ihre Kerle.
    “Schon besser. Und deine Frau kriegt ihr Kind. Wenn du mich also zu Marga durchlassen könntest, wir brauchen da noch so ein paar Kleinigkeiten? Und DU hast hier die nächsten Stunden erstmal gar nichts verloren.“ Und notfalls würde sie ihn auch an seinen Ohren mit sich runter zu den anderen Männern zerren, damit die auf ihn aufpassten.

    Offensichtlich trafen ihn die Worte, aber er nahm das ganze doch recht gefasst auf. Einzig vielleicht die kleine Umarmung zeugte von der Tiefe seiner Gefühle bei dieser Sache, und kurz erwiderte Elfleda die Geste und strich ihm einmal aufbauend mit der Hand über den Rücken. Er gehörte zur Familie, da fand sie das nicht verwerflich oder anrüchig.
    “Wenn sie das Kind wirklich so sehr will, wie sie sagt, dann kämpft sie auch darum. Ich werde tun, was ich kann, um ihr dabei zu helfen.“ Mehr konnte Elfleda ihm da nicht sagen, und schon das klang grausam pathetisch in ihren Ohren. Nun, ein wenig Pathos ab und an mal war durchaus auch angebracht, und in dieser nicht gerade einfachen Situation konnte Elfleda ihn auch kurz etwas aufzubauen versuchen. Jeder gute Politiker wusste, dass das auch manchmal wichtig war.


    Dennoch war der Moment etwas merkwürdig, und so sammelte sich Elfleda auch recht schnell wieder und stand auf, den Rock dabei glattstreichend. “Gut, dann werd ich auch mal wieder weitersehen. Nach eurer tollen Aktion im Garten ist Naha etwas quengelig“ Witjon bekam deshalb noch einen kleinen, vorwurfsvollen Blick aus den Augenwinkeln, aber gerade so, dass er ihn auch auf jeden Fall mitbekam. Er sollte ruhig ein schlechtes Gewissen deshalb haben. So für den Rest seines Lebens. Denn Elfleda würde diese Begebenheit sicher zu irgendeiner passenden Gelegenheit wieder hervorkramen und ihm dann eiskalt servieren.
    “Und falls dein Husten schlimmer wird, melde dich. Ich hab keine Lust, dich wochenlang pflegen zu müssen.“ Das war nicht ganz ernst, aber auch nicht wirklich gescherzt. Elfleda überlegte noch kurz, ob sie etwas vergessen hatte, und streckte die Hand dann nach dem Becher aus. Sie kannte die Männer, die ließen Geschirr gerne überall stehen, und sie wollte sowieso in die Küche.

    Na, da sollte er froh sein, dass es noch nur ein Husten war und noch keine Entzündung. Wenn er jetzt sich schon über den Geschmack beschwerte, was hätte er dann erst zu Schaflunge gesagt? “Na, wenn's dir so gut schmeckt, kannst du dich ja freuen. Das gibt es jetzt jeden Tag, bis du aufhörst, zu husten“, meinte sie vollkommen sachlich, allerdings konnte sie ein gehässiges Blitzen in den Augen nicht unterdrücken. Manchmal musste frau auch die Männer quälen, damit die nicht zu übermütig wurden.


    Die Nachricht mit der Schwangerschaft nahm Witjon recht gut auf. Elfleda hatte schon schlimmere Ausbrüche von Gefühl erwartet, aber im großen und Ganzen hatte er wohl nur einen kleinen Schock und blieb recht ruhig. Natürlich machte er sich Sorgen, das sah man ihm an, aber er vollführte weder Freudentänze noch schien er wirklich starr vor Angst. Braver germanischer Mann eben. Elfleda musste ganz kurz schmunzeln, aber nur den Bruchteil einer Sekunde. Dafür war das Thema an sich zu ernst, als dass man über irgendeinen Teilaspekt hätte amüsiert sein können.
    “Ja, wird es.“ Es brachte ja doch nichts, drum herum zu reden und so zu tun, als wäre nichts. Witjon war ein erwachsener Mann, und Elfleda würde nicht anfangen, ihn wie ein Kind zu behandeln und Händchen zu halten, nur weil das Leben eben gerade nicht fair war. Sie ging zu ihm und setzte sich neben ihm auf die Bank. Sie kam sich albern vor, wenn sie stand und zu ihm heruntersah. Sowas besprach man am Besten auf Augenhöhe.
    “Wäre ihr Körper nicht momentan so geschwächt, würde ich ihr ein Mittel verabreichen, dass sie das Kind verliert.“ Elfleda sagte das ganz gerade heraus. Das Leben einer Mutter war immer wichtiger als das eines ungeborenen Kindes, da gab es nichts, worüber man nachdenken musste. Wenngleich die Mattiakerin das mit Callista nicht besprechen konnte, denn seitdem sie dieser auch gesagt hatte, dass sie ein Kind bekäme, hatte sie die ganze Zeit nur noch davon geredet und gar nicht zuhören wollen, als Elfleda die Möglichkeit angesprochen hatte, es erst einmal nicht zu bekommen. Sie war sogar regelrecht wütend geworden und hatte Elfleda das Wort abgeschnitten und anschließend auf stur geschaltet. Das war mitunter ein Grund, warum Elfleda das ganze nun mit Witjon besprechen wollte.
    “Aber im Moment habe ich die Befürchtung, dass sie das nicht überstehen könnte. Ich versuche, sie zu stärken bis zur Geburt, damit sie die übersteht. Aber wenn sie weiterhin so kränklich und schwächlich bleibt...“ Elfleda machte eine hilflose Geste mit den Händen. Sie konnte nur heilen, nicht hexen. “Es tut mir wirklich leid, Witjon, dass ich keine besseren Nachrichten habe. Ich tue was ich kann, aber... ich mach mir Sorgen, dass das nicht reichen könnte.“

    “Na, austrinken, nicht absetzen“, kommandierte Elfleda als erstes gleich wieder, als Witjon sie so skeptisch beäugte. Immerhin sollte er nicht vor lauter Schreck gleich alles fallen lassen, nachdem sie sich so viel Mühe gegeben hatte, alles zusammenzusammeln. Und da blieb sie auch stur und redete nicht weiter, bis sie nicht gesehen hatte, dass er weitertrank.
    “Na also“, meinte sie noch wenig hilfreich und wartete noch einen Moment, ehe sie wieder zu sprechen anhob. Es gab vermutlich keinen diplomatischen Weg, ihm das schonend beizubringen, und es war ja auch noch nicht endgültig, sondern nur eine Möglichkeit. Und eigentlich war es ja auch nicht zwangsläufig eine schlechte Nachricht.
    “Callista ist schwanger“, sagte sie also ohne Umschweife oder irgendeine Vorwarnung. “Wir haben es zunächst nicht gemerkt, weil sie noch ein paar Mal dennoch eine schwache Blutung hatte, aber sie ist schwanger. Bald müsste man es auch richtig sehen können. Deshalb erholt sich ihr Körper auch gerade so schlecht.“
    Sie gab ihm nicht wirklich Gelegenheit, diese Nachricht zu verdauen, als sie auch gleich weiter sprach. Es nutzte ja nichts, ihm das ganze häppchenweise zu servieren, denn schlucken musste er ja sowieso alles, ob es ihm passte oder nicht. Dann lieber alles auf einmal, und ihn hinterher wieder aufbauen, wenn es denn nötig sein sollte. “Allerdings ist ihr Körper sehr geschwächt. Ich weiß, sie will das Kind unbedingt haben, mehr als alles andere, aber ich halte das für keine so gute Idee. Wenn sie es wirklich behalten will, solltest du dich in jedem Fall um eine Amme kümmern, denn ich bezweifle, dass sie stark genug sein wird, um das Kind entsprechend zu versorgen.“ Wenn sie das denn überlebt, fügte sie in Gedanken noch an. Aber das sagte sie dann doch nicht.