Beiträge von Duccia Elva

    Bei Callistas Frage schaute Elfleda kurz skeptisch zurück. Was sollte sie Witjon denn sagen? Dass er sich keine Sorgen machen brauchte, weil sie Callista nun ein wenig helfen würde? Oh nein, am Ende fiel es noch auf sie zurück, wenn es doch nicht klappte. Und außerdem sollte das wenn dann seine Ehefrau mal schön selbst erledigen, immerhin musste die sich ja auch irgendwann gegen ihren Mann durchsetzen lernen. Elfleda gab da eher Hilfe zur Selbsthilfe.
    “Wenn du meinst, er sollte etwas wissen, dann sagst du es ihm am besten selber. Er ist dein Mann, nicht meiner.“
    Und dann dankte Callista Elfleda auf einmal mit einem Unterton, der jemanden mit weniger Selbstbewusstsein wohl verlegen gemacht hätte. Elfleda verwunderte es nur ein wenig.
    “Natürlich helf ich dir. Wir sind in einer Sippe“, meinte sie etwas verwirrt, und bevor die Situation noch peinlich wurde, widmete sie sich wieder dem Unkraut. Sehr sorgfältig begann sie damit, wild wuchernde Rauke zurückzuzupfen.
    “Du brauchst mir nicht dafür zu danken. Dahei… ich meine, in meinem alten Dorf habe ich das viel mehr gemacht. Da hatte ich richtig zu tun, wenn irgendwo jemand krank war oder sich nicht gut gefühlt hat. Hier… sitz ich eigentlich nur rum und warte darauf, dass die Zeit vergeht. Ich sag dir, untätig herumzusitzen ist ein furchtbarer Fluch. Eigentlich sollte ich dir dankbar sein, jetzt hab ich eine Aufgabe.“

    Elfleda hörte alles mit an und nickte dabei vor sich hin. Also lag es nicht an der Methode und es gab auch keine Geschwulst oder Zyste, die hinderlich war. Gut, das war doch schonmal was. Dass Callista nicht gleich zu Neumond blutete, konnte eigentlich auch keine Auswirkungen haben. Es schien regelmäßig zu sein, das war das wichtigste. Auch wenn sie damit nicht zu Vollmond am empfangsbereitesten war, was allgemein eigentlich ein gutes Zeichen gewesen wäre, aber die paar Tage sollten keinen Unterschied machen. Sorgen hätte sich Elfleda erst gemacht, wenn sie gesagt hätte, sie würde zu Vollmond bluten, und damit völlig gegen den natürlichen Rhythmus. Zu Neumond zu empfangen war ein eher schlechtes Zeichen, wenn die Welt im Dunkeln nachts lag.


    Elfleda schaute und überlegte, was sie am besten machen konnten. Die wirklich harten Mittel wollte sie nicht gleich zu Beginn anwenden, das wäre eher kontraproduktiv gewesen. Alles in allem hörte es sich für sie eher so an, als würde ihr Becken einfach nicht genug Entspannung finden und daher nicht empfangen.
    “Wir werden folgendes machen“, entwickelte sie also einen Plan, das Problem bald aus der Welt zu schaffen. “Ich werde dir eine Veilchensalbe machen, die kannst du auf deinen Bauch reiben zwischen Vollmond und Neumond. Die entspannt etwas deinen Leib, und auch, wenn du nicht empfängst, sollte das Bluten dann wenigstens weniger schmerzen.
    Wir sollten zu Marga gehen, dass sie mehr Dinkel im Brot verwendet. Hat Alrik nicht einen Getreidehof? Die sollten mehr Dinkel und weniger Weizen ab jetzt anbauen.“

    Auch wenn es Alriks Hof war, beschloss Elfleda das einfach. Sie war die Frau des Sippenführers, und Entscheidungen zu Haus und Hof und zu den Vorräten waren ihr Resort. Daher dachte sie da nicht einmal eine Sekunde an irgendwelche Eigentumsverhältnisse, ehe sie das entschied. Aber um Callista besser zu entspannen, war eine Diät mit viel Dinkel gut. Dinkel hob allgemein die Laune und war gut für den gesamten Bauchraum.
    “Und dann schauen wir mal, ob wir nicht etwas Hauswurz finden. Hauswurz ist denke ich genau das richtige, ja…“
    Sie überlegte, wo sie die Pflanze hier wohl finden konnte. Bei ihnen gab es einen sonnigen Felsen in der Nähe des Dorfes, wo die Pflanze wuchs. Sie mochte es sonnig und steinig. Aber hier kannte Elfleda sich nicht aus. Doch das würde sich bestimmt finden lassen.
    “Das kriegen wir schon hin. Es dauert vielleicht zwei oder drei Monate, aber das kriegen wir hin. Für heute schauen wir erstmal, ob wir einen Dinkelbrei für dich kochen. Und Veilchen für die Salbe.“

    Callista überschlug sich beinahe darin, Elfleda zu erklären, wie dringend sie sich ein Kind wünschte. Sie konnte es ja eigentlich gut verstehen, denn auch ihre Stellung hier hing in gewisser Weise davon ab, dass sie ein gesundes Kind zur Welt brachte. Da ging es Callista nicht anders, und auch ihre Stellung wäre erst gesichert, wenn ein lebendiger Nachwuchs da war. Das war reine Politik, dass Gefühle dabei auch eine Rolle spielten, war dabei sogar fast Nebensache. Auch wenn Elfleda Callista wirklich glaubte, dass diese Witjon wirklich liebte, so wie sie Lando auch wirklich liebte.
    “Keine Sorge, er wird dich nicht wegschicken“, beruhigte Elfleda erst einmal. Sie kannte ihre neue Sippe zwar noch nicht so gut, aber Witjon schien ihr eher eine Spur zu weich als eine zu hart. Sie glaubte nicht, dass er seine Frau gleich verstoßen würde, ohne es vorher nicht mindestens zwei Jahre doch mit dem Kinderkriegen zu versuchen. Daher kam ihr der Satz auch völlig ohne Anstrengung über die Lippen.
    “Dann wollen wir mal herausfinden, woran es liegt. Also, er macht alles richtig? Er zieht sich nicht zu früh zurück oder sowas?“
    Das galt es erst einmal als erstes zu klären. Callista würde hoffentlich verstehen, was Elfleda meinte, denn allzu bildlich wollte sie eigentlich nicht erklären.
    “Und es tut dabei auch nichts weh? Es ist gut?“
    Von der Geräuschkulisse, die Elfleda ja zwangsläufig mitbekam, schienen die beiden alles richtig zu machen. Und auch fleißig es zu versuchen.
    “Und du blutest zu Neumond? Kommt dann viel Blut, oder eher wenig? Wie viele Tage blutest du?“
    Vielleicht gab es ja auch ein Problem, das auf zu wenig oder gar zu viel Blut zurückzuführen war. Manche Frauen wurden schwanger, aber das Blut drängte dann so aus ihnen heraus, dass sie die Kinder nach einem oder zwei Monaten wieder blutend verloren. Oder sie bluteten zu zaghaft und wurden deshalb nicht schwanger. Das alles galt es abzuklären.


    Nebenbei überlegte Elfleda schon einmal, was sie noch machen könnte. Ein bisschen was entspannendes sollte sie Callista auf jeden Fall geben. Bei so viel Verzweiflung, die sie ihrer neuen Cousine ja durchaus glaubte, war das auf jeden Fall angeraten.

    Elfleda lachte. Ihre Verwandtschaft war zwar groß, aber so groß nun auch wieder nicht.
    “Nein, natürlich nicht. Eng blutsverwandt bin ich etwa mit 30, der Rest ist größtenteils Gesinde. Von den Freien bin ich mit etwa noch mal 50 über ein paar Ecken verwandt, aber das ist dann schon sehr verworren. Und ich kenn auch nicht alle persönlich. Die auf den Höfen außerhalb kenn ich nicht alle. Die meisten schon, aber vor allem bei den Kindern kenn ich eigentlich kaum jemanden.“
    Sie schaute Callista kurz an und erklärte dann einfach weiter. “Weißt du, mein Onkel, Rodewini, ist ein Fürst. Ein wichtiger Mann von Adel, und das bringt auch für seine Familie Verpflichtungen. Es ist nicht so, dass die Leute auf unserem Land ihm und meinem Vater nur Gefolgschaft schulden. Er schuldet ihnen im Gegenzug genauso seinen Schutz. Und ich bin seine Nichte. Wenn jemand zu uns ins Dorf kommt für seinen Schutz, dann muss ich ihn genauso gewähren, wenn er nicht da ist. Daher muss ich auch die kennen, die ihm folgen.
    Und bei denen, die im Dorf wohnen, ist das ja sowieso was anderes. Die seh ich ja auch jeden Tag, da kennt man natürlich jeden, wenn man fast jeden Tag gemeinsam an den Tafeln isst.“


    Elfleda hatte keine Ahnung, ob Callista das verstanden hatte, aber das war auch nicht weiter wichtig, als das Gespräch auf die Kräuter kam und Callista heulend gestand, dass sie nicht schwanger wurde. Elfleda warf das Unkraut, dass sie noch in Händen hatte, auf den Haufen, wischte sich den gröbsten Schmutz von den Händen und legte dann Callista tröstend ihren Arm um die Schulter, zog die Römerin leicht zu sich her. Für eine Frau war sowas natürlich nicht leicht, und das erste war erstmal, sie zu beruhigen und ein wenig zu trösten.
    “Das wird schon noch. Es funktioniert nicht immer gleich, und wenn man sich fremd fühlt, verspannt man sich. Dann funktioniert es auch nicht so gut.“
    Elfleda kannte viele Mädchen, die in ihre Sippe eingeheiratet hatten, wo es auch zwei oder drei Monate gedauert hatte, bis sie schwanger waren, einfach, weil sie zu viel geheult und sich verkrochen hatten. Nun, vier Monate war da schon etwas härter und ein Problem, und Elfleda würde es auf jeden Fall im Hinterkopf behalten.
    Vielleicht sollte sie auch Lando einweihen? Immerhin war es eine wichtige Sache, und wenn Callista gar nicht empfangen konnte, war eine Scheidung der einzig gangbare Weg. Aber die Verbindung zu ihrer Sippe war wichtig, soviel wusste Elfleda schon. Und außerdem wollte sie nicht vorschnell sein und die Information lieber für später dann taktisch einsetzen.


    Aber zunächst einmal galt es, herauszufinden, was man denn wirklich tun konnte.
    “Und ja, es gibt viele Kräuter die helfen können. Und auch andere Mittel, die man anwenden kann. Aber erstmal muss ich dir dann ein paar Fragen stellen, damit wir auch das richtige Kraut nehmen. Soll ich es einmal versuchen?“
    Sie ah Callista zuversichtlich und aufmunternd an. Vielleicht war es ja wirklich nur die Verspannung, die die junge Frau noch immer nicht abgelegt hatte.

    “Als ich gegangen bin, mit Kindern und Gesinde, lebten 137 Menschen in der Siedlung und noch mal etwa 50 auf den Gehöften etwas außerhalb“, beantwortete Elfleda ruhig die ungläubige Frage. “Dazu noch das Kleinvieh, die Rinder und die Pferde. Alles verteilt auf fünfzehn Gebäude. Und die Höfe außerhalb.“


    Sie lächelte leicht und hörte sich an, was Callista erzählte. Ihr Lächeln blieb offen und freundlich, auch wenn sie innerlich dachte, wie schrecklich dekadent das doch war, soviel Platz für nur zwei Frauen. Überhaupt, was machten zwei Frauen allein mit Gesinde auf einem Hof? Natürlich gab es auch edle Witwen, die sich nicht mehr verheirateten, aber normalerweise war doch immer irgendwo noch die eigene Sippe oder die des Mannes, so dass ein Mann im Haus war. Man musste ja nicht miteinander das Lager teilen, aber wer verteidigte denn die Frauen, wenn kein Mann da war? Römer waren sehr seltsam.
    Allerdings wurde ihr Lächeln viel wärmer, als Callista anfing, die Sätze endlich richtig zu sagen. Elfleda blickte kurz anerkennend zu ihr herüber, lobte aber nicht direkt. Ein Kind musste man loben, wenn es richtig sprach, eine erwachsene Frau brauchte da kein besonderes Lob. Immerhin war sie kein Hund, der Kunststückchen lernte. Da würde sie ihre Anerkennung anders zeigen.


    Doch dann find Callista wieder an, etwas herumzudrucksen, und schließlich fragte sie nach den Kräutern.
    “Ja, ich kenne mich gut aus mit den Kräutern. Ich habe bei der Heilerin bei uns im Dorf gelernt, welches Kraut wofür gut ist. Fieber, Kopfschmerzen, Magenverstimmung, aber auch wie man Wunden richtig behandelt, oder auch zu starke oder zu schwache Blutungen bei Frauen…“
    Elfleda beobachtete Callistas Reaktion nur aus den Augenwinkeln, während sie den Salbei ein wenig versetzte, damit er mehr Licht bekam. Sie wollte wissen, ob sie auf das letztere eine Reaktion zeigte.

    Nach „gerne“ sah Callistas Reaktion jetzt zwar nicht unbedingt aus, aber Elfleda tat so, als hätte sie von der Schüchternheit gar nichts bemerkt. Es gab Personen, die wurden nur immer schüchterner und verlegener, wenn man merkte, wie sie sich fühlten, und am Ende stotterte Callista noch oder redete gar nichts mehr. Da war Elfleda Politikerin genug, da einfach drüber hinwegzusehen, als wäre nichts weiter, und wartete lächelnd, bis Callista auch saß. Dann zeigte sie ihr den Löwenzahn und buddelte ihrerseits wieder eine Wurzel frei, um das Unkraut herauszurupfen. Callista machte es ihr nach, und der Grundstein schien gelegt.


    “Danke, mir geht es sehr gut. Nur die Übelkeit ist manchmal ein wenig schlimm, aber das sollte sich bald erledigt haben.“
    Normalerweise hielt die Übelkeit nur die ersten fünf Monde an, danach schwand sie zusehens. Außerdem tat Elfleda jetzt schon alles ihr mögliche, um sie auf ein Minimum zu beschränken.
    Über das gerne draußen sein musste sie aber ein wenig schmunzeln. Natürlich war sie gerne draußen, auch wenn es im Haus wirklich schön war. Aber da war ihre Herkunft und ihre Gewohnheit einfach zu stark.
    “Ich weiß, Ragin erzählt dir vieles über unsere Sprache und unsere Sitten. Hat er dir auch mal erzählt, wie germanische Häuser so sind?“
    Elfleda wartete kurz, ob Callista das verstanden hatte oder nicht, und ob sie etwas wusste. Aber scheinbar hatte sie nur wenig Ahnung.
    “Unsere Häuser sind nicht so groß wie die römischen. Und es leben mehr Menschen darin. In so einem großen Haus wie diesem hier würde bei mir das halbe Dorf wohnen. Bestimmt hundert Menschen.“
    Elfleda lächelte freundlich. Vielleicht konnte sich Callista jetzt etwas besser alles vorstellen. “Deshalb ist jeder froh über die Freiheit außerhalb eines Hauses. Oh, wir lieben unsere Häuser, aber die Natur lieben wir mehr.“
    Und noch eine tiefe Löwenzahnwurzel fand ihr Ende auf dem Haufen mit den anderen.


    Elfleda wusste, dass Callista nur langsam germanisch sprach, aber deshalb nahm sie auf sie wenig Rücksicht. Sie kannte es ja von sich selbst, und wenn alle um sie herum nur einfaches Latein sprachen, wurde sie nie besser. Wenn man gezwungen war, besser zuzuhören, lernte man viel besser und schneller. Das war wie mit Medizin: Würde sie gut schmecken, hätte man keinen Grund, schnell gesund zu werden. Je ekeliger sie schmeckte, umso besser wirkte sie.
    Daher wartete sie auch nicht allzu lange, ehe sie nun die Gegenfrage stellte.
    “Und du? Wie geht es dir?“
    Gerne hätte Elfleda direkt gefragt, ob Callista auch schwanger ist, aber das schien ihr ein wenig zu forsch bei der schüchternen Römerin. Vielleicht erzählte sie es ja von sich aus, und wenn nicht, konnte Elfleda immer noch mehr nachhaken.

    Sie hörte die Schritte durch den Garten und sah nur kurz hoch, wer da kam. Im Dorf, wo sie aufwuchs, war ständig irgendwer immer in der Nähe und kam vorbei, da schaute man nicht erst lange oder fragte, wer das wohl sein könnte. Da wäre man den ganzen Tag nur mit gucken beschäftigt gewesen. So registrierte sie kurz Callista und widmete sich dann wieder dem Löwenzahn, der hier tiefe Wurzeln geschlagen hatte, zwischen Eisenkraut und Salbei aber nichts zu suchen hatte.
    Doch dann kam Callista schüchtern wie immer zu ihr heran und begrüßte sie mit ihrem etwas holperigen Germanisch. Andererseits war Elfledas Latein auch nicht viel besser, und dabei hatte sie schon Vorkenntnisse mit hierher gebracht. Das würde wohl noch ein oder zwei Jahre dauern, bis sie es wirklich konnte.


    “Heilsa, Callista. Ja, ich pflege ein wenig den Kräutergarten. Hier wächst alles so durcheinander, da findet man ja nichts mehr, wenn man es braucht. Und das Unkraut erstickt die anderen Pflanzen.“
    Sie rupfte noch beherzt eine weitere Pflanze heraus und warf sie auf den Haufen von Unkraut, den sie schon herausgerissen hatte. Die Kaninchen, die zum Schlachten wie in jedem Haus einen Verschlag hatten, würden sich nachher sicher freuen.
    Sie besah sich kurz ihre schmutzigen Hände und schaute dann zu Callista hoch. Eigentlich war diese Arbeit unter ihrem Stand, und sicher auch unter Callistas. Und außerdem wollte Elfleda dem Gesinde nicht zuviel auftragen, immerhin hatten sie auch nicht so viel. Und man musste auch immer gut mit denen sein, die unter dem Schutz der Sippe standen, so hatte sie es gelernt. Also machte sie sich auch nicht zuviel daraus, trotz ihrer adeligen Herkunft auf dem Boden zu sitzen und Unkraut zu zupfen.
    “Willst du mir helfen?“ fragte sie also freundlich und leicht lächelnd. Callista schien immer so schüchtern. Vielleicht tat ihr ein wenig Nähe zu Freya gut, indem sie in der Erde etwas zum wachsen brachte. Die fröhliche Fruchtbarkeitsgottheit würde ihr vielleicht ein wenig Kraft geben. Und ansonsten hatte Elfleda ein wenig Gesellschaft, die mit ihr in der Erde buddelte.

    In den vergangenen vier Monaten hatte Elfleda sich mit jedem Eckchen des Hauses so gut es geht vertraut gemacht. Sie war schließlich die Hausherrin – auch wenn Marga in der Küche das anders sah und sie das auch besser nicht vor Eila so direkt aussprach. Aber sie fühlte sich doch schon verantwortlich, und schließlich hatte sie es auch so gelernt. Und jetzt, da sie endlich ein lebendes Zeugnis ihrer Verbindung zu dieser Sippe in sich trug, noch viel mehr. Schließlich ging es jetzt auch darum, für ihren Sohn alles zu bereiten.
    Es würde bestimmt ein Sohn werden. Elfleda glaubte einfach daran, dass es einer würde. Es wäre einfach perfekt, wenn es einer würde. Natürlich war sie sich sicher, dass sich Lando auch über eine Tochter freuen würde, aber ein Sohn, ein Stammhalter… ihre Stellung hier wäre vollkommen gesichert und unanfechtbar mit einem Mal. Es musste einfach ein Sohn sein. Die Götter liebten sie, das hatten sie ihr schon bewiesen, sie würden ihr einen schönen Sohn schenken.


    Und so machte sich Elfleda daran, das, was sie verbessern konnte, auch emsig zu verbessern. In den Teil der Einrichtung, der römisch geprägt war, wollte sie sich nicht einmischen. Auch wenn sie das Balneum noch immer misstrauisch betrachtete, vor allem bei dem Wetter. Ein ordentlicher Waschzuber erfüllte ihrer Meinung nach denselben Zweck. Es war ja nicht so, als seien Germanen alles ungewaschene, wilde Barbaren, die fröhlich im eigenen Schweiß vor sich hin stanken. Natürlich wusch man sich, schon allein, um den immer mal auftauchenden Läusen oder Flöhen, die ja auch in der römischen Gesellschaft trotz ihrer Bäder immer wieder auftauchten, Herr zu werden. Natürlich badete man – allerdings meistens eben im Fluss oder eben in einem Zuber mit nicht von unten beheiztem Wasser.


    Aber Elfleda hatte etwas gefunden, mit dem sie sich bestens auskannte und was sie machen konnte, ohne dass ihr irgendwer dabei hineinreden könnte: Einen Kräutergarten. Nun, oder etwas, das mal einer hätte werden sollen, so sie Marga glaubte.
    Die verstorbene Dagny hatte wohl damit begonnen, hier allerlei Kräuter anzubauen, aber als sie krank geworden war, verfiel das alles wieder und wucherte wild durcheinander, so dass nun in dem dafür angelegten Beet alles mögliche wuchs, nur eben nicht die gewünschten Kräuter.
    Allerdings war so ein Kräutergarten ja ungemein praktisch. Von den Wäldern hier hatte Elfleda keine Ahnung, außerdem wollte sie Lando nicht bitten, sie zu begleiten, nur weil sie ein wenig Huflattich für einen Tee pflücken wollte. Warum also nicht hier ein wenig aufräumen und noch mal vernünftig pflanzen?


    So hatte sie sich mit einer kleinen Hacke aus Holz und einer ebenso kleinen Schaufel bewaffnet und war hinaus in den Garten gegangen, in die Ecke, wo der Duft der wilden Kräuter in der Luft lag. Wenn man einiges aussortierte und einiges zurückschnitt, sollte das Beet bald alles nützliche hervorbringen können. Und so machte sie sich an die Arbeit.

    Vor allem Sontje schien über die Nachricht ganz aufgeregt zu sein. Sie bestürmte Elfleda gerade mit Fragen, die die Mattiakerin zum Schmunzeln brachten. Ein wenig seltsam erschienen ihr die Fragen schon. In ihrem Dorf gab es quasi keinen Tag, an dem nicht irgendwer irgendwo schwanger war. Von daher war die Frage mit der Hebamme etwas seltsam für Elfleda, denn in ihrer Heimat wusste jeder, was man da zu tun hatte und zu lassen hatte, da stellten sich keine Fragen, folglich wurden auch keine beantwortet. Was also sollte eine Hebamme sagen?
    “Nun, ich hab ihr alles geschildert, sie hat mich ein wenig untersucht und es dann bestätigt. Was hätte sie noch sagen sollen?“ fragte also Elfleda leicht amüsiert, aber gewiss nicht spöttisch oder böse zurück.
    “Und bis der Bauch wächst dauert es noch ein oder zwei Monde. Vorher sieht man noch nichtmal wirklich was. Von daher kann ich noch lange schlafen, wie ich will.“
    Vornehmlich tat sie das eng an Lando gekuschelt und auf der Seite. Er war so herrlich warm, wenn er eingeschlafen war, im Gegensatz zu ihren Füßen. Außerdem konnte sie ihn so viel besser knuffen – oder auch rütteln – wenn er wieder drohte, ganze Wälder abzuholzen im Schlaf.
    “Ich will erstmal nur, dass es gesund zur Welt kommt und die ersten vier Wochen überlebt.“ Denn wenn es das tat, war ihre Stellung hier endlich wirklich gefestigt und sie hatte sich als Mitglied der Sippe als wertvoll bewiesen. Das Bündnis mit den Mattiakern wäre gefestigt, und nicht zuletzt hätte sie dann ein gesundes Kind. Dennoch fügte Elfleda noch schmunzelnd an: “Aber ein Sohn wäre natürlich schön.“
    Sie würde Lando sehr gerne einen Stammhalter schenken. Wobei er wohl auch eine Tochter genauso lieben würde, da hatte Elfleda eigentlich keine Bedenken.
    “Und Namen… das sehen wir dann, wenn es auf der Welt ist.“
    Elfleda lächelte Lando ein wenig schief an. Wenn es ein Sohn wäre, würden sie ihn wohl nach Landos Vater oder Großvater benennen. Wenn es ein Mädchen wäre, konnten sie ja den Namen von Elfledas Mutter nehmen. Oder auch ganz was anderes. Aber dafür war ja noch viel Zeit, wenn das Kind auf der Welt war. In den ersten Tagen war die Sterblichkeit von Neugeborenen so hoch, da musste man ihnen nicht gleich einen Namen geben. Die Götter holten gut ein Drittel zu sich, und wenn man nicht solange die Kinder gleich nennen wollte, bis eines überlebte, gingen einem die Namen aus, wenn man ihnen schon vor der Geburt einen gab.

    Amon:
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    Amon sah sich kurz nach hinten um, ob da noch jemand stand. Aber da war niemand. Wär ja auch noch schöner gewesen, wenn hinter ihm jemand herumschlich, den er nicht kannte. Vielleicht aber sah der Mann vor ihm aber auch doppelt? Sowas kam hier auch schonmal öfter vor, wenn auch nicht zu Bewerbungsgesprächen.
    “Ihr?“ fragte er kurz etwas verwirrt nach und beschloss dann einfach, es zu ignorieren und das übliche „du“ daraus zu machen.
    “Nun, ob wir hier eine Hilfskraft noch einstellen oder nicht, musst du beim Curator oder Procurator des Consortiums fragen. Ich entscheide das nicht. Am besten du folgst dem netten Gesellen von eben zur Casa Duccia und fragst nach Duccius Marsus.“



    Sim-Off:

    Im Römischen Reich gab es kein "Ihr". Vom Imperator bis zum Sklaven sind alle "du" ;) Das ge-Ihr-ze und ge-Euch-ze kam erst im Mittelalter ;)

    Es war Lando wichtig, das Elfleda alles lernte, was für das Leben hier unter Römern wichtig war. Und weil es Lando so wichtig war, war es auch Elfleda wichtig. Deshalb war sie hier hergekommen, denn dieser Kurs, wie man es wohl nannte, war für die Römer wichtig. Damit war es für Lando wichtig, und damit war es für sie wichtig. So einfach war das.
    Jetzt hier vor der Tafel aber gab es doch ein kleines Problem. Elfleda konnte nicht lesen. Unter den vielen Anschriften, die hier hangen, welche war da die, die sie nun brauchte? Vielleicht hätte sie doch jemanden aus der Sippe mitnehmen sollen, der sie hier eintrug. Hätte sollen, hatte sie aber nicht. Also stand sie etwas verloren vor der Tafel und überlegte, was sie machen sollte.
    Natürlich könnte sie zurückgehen und mit Lando oder Witjon oder auch Ragin zurückkommen können. Aber das wollte sie auch nicht. Sie war eine erwachsene Frau und kein Kind, sie musste auch selbstständig etwas hinkriegen können, auch in unbekannten Gefilden. Sie wollte ihrer neuen Sippe ja nicht zur Last fallen.


    Aber sie war ja nicht die einzige Person, die nicht lesen konnte. Es gab auch im römischen Reich haufenweise Menschen, die nicht lesen konnten, und damit auch jede Menge Schreiber, die diese Marktlücke gerne ausnutzten und ihre Dienste für geringes Geld anboten. Vorlesen, Briefe schreiben, oder eben Formulare ausfüllen, für ein paar kleine Asse konnte jeder diese Dienste erwerben.
    Und so brauchte auch Elfleda nicht lange mit dem in gebrochenem Latein vorgetragenen Satz “Ich suche Schreiber!“ herumsuchen, bis sie die Auswahl zwischen gleich drei eifrigen Bürschchen hatte und sich schließlich den mit den gesündesten Zähnen heraussuchte. Wer sich um sich selbst kümmerte, war auch bei der Arbeit wohl sorgfältig, so ihre Überlegung. Und wer gesund war, hatte genug zu Essen und war damit nicht faul.
    Also ging sie mit ihm zu dem Aushang. “Welches für Schola?“ fragte sie und deutete auf die Schriften.
    Der Schreiberling lächelte leicht. “Die sind alle für die Schola. Das hier ist die Zweigstelle der Schola.“
    Gut, das war schwieriger als erwartet. Wie hatte ihr Mann den Kurs gleich genannt? Achja: “Welches Kurs Vulgaris?“
    Der Schreiber blieb auch trotz ihrer etwas falschen Wortwahl höflich, immerhin bekam er dafür Geld. Und da war es nicht gut, die Kunden auszulachen. Also suchte er kurz und fand gleich darauf das gewünschte – oder das, was er dafür hielt. “Hier, der Cursus Res Vulgares XXXVIII. Meinst du den?“
    Elfleda nickte. Ja, so hatte er geheißen. Verdammt, sie musste die Sprache und vor allem die Schrift wirklich besser lernen. Dann musste sie nicht versuchen, einem Fremden klarzumachen, was sie eigentlich wollte.
    “Ja, das. Du schreibst… Elfleda, Tochter von Sarwolf. Los, du schreibst.“ Sie deutete auf die Liste, und der Schreiber schrieb sie brav ein.
    “Du musst dort drüben dann aber noch eine Gebühr entrichten, Herrin“, erklärte ihr der Schreiber langsam und erntete dafür einen bösen Blick. Elfleda verstand die römische Sprache ausgezeichnet. Nur wenn sie selber sprechen sollte, fehlten ihr immer wieder Mal Worte oder sie verdrehte die Satzkonstruktionen, weshalb sie meistens einfach den Mund hielt oder eben eine Weile überlegte, ehe sie etwas sagte. Oder eben wie jetzt etwas einfach und etwas falsch und mit Hilfe von Handzeichen sich verständigte. Aber gut, kostete das auch noch etwas. War ja nicht so, als ob Lando ihr dafür kein Geld mitgegeben hatte.
    “Gut, du kommst mit. Wenn ich muss schreiben, du muss schreiben, alles klar? Dann du kriegst Münzen.“
    Der Schreiber nickte und sie gingen zu der Stelle, an der man für die Anmeldung als Pergrinus bezahlen musste. Elfleda zählte die fremden Münzen ab und ließ sich dabei auch ein wenig von dem Schreiber helfen. Münzen, lesen, sprechen… so langsam wünschte sich Elfleda in ihre alte, einfache, kleine Welt wieder zurück. Aber sie wollte schließlich, dass Lando stolz auf sie war.
    Schließlich war auch diese Hürde genommen, und dem Kurs stand nichts mehr im Weg.



    Sim-Off:

    100 Sesterzen für Elfleda an das Konto der Schola bezahlt.

    Ruhig hörte sich Elfleda die Sorgen ihres Mannes an. Ihn quälte der Umstand wohl wirklich sehr, dass die jungen Frauen in seiner Sippe unverheiratet waren, und er fühlte sich da wohl bei Sontje besonders in der Pflicht. Wenn sie so zwischen den Zeilen las, machte er sich wegen des Überfalls wohl selbst Vorwürfe, auch wenn er gar nichts dafür konnte.
    “Ich glaube nicht, dass der Überfall an Sontjes Art lag. Die Männer müssen verrückt gewesen sein, in einem Haus voller wehrfähiger Männer mit so wenigen einzudringen und auf Erfolg zu hoffen. Die Taten von Verrückten muss man nicht verstehen.“
    In Elfledas Denkwelt gab es nicht explizit Soldaten, die nur Soldaten waren. Jeder Mann, der älter war als 14, war für sie wehrfähig. Die einen zwar mehr und die anderen weniger, aber im Grunde war noch jeder Bauer, Vater, Bruder und eben Kämpfer für Heim und Herd. Und wenn sie sich vorstellte, jemand wäre in das Lager der Mattiaker gekommen in das Langhaus mit nur einer Handvoll Männer, um sie zu überfallen, der wäre schneller überwältigt worden, als er bis drei zählen konnte. Arg viel anders konnte sie sich das in der Taverne also auch nicht vorstellen, auch wenn die Gefahr natürlich nicht zu vernachlässigen war, dass Sontje dabei hätte verletzt werden können. Dennoch war das eindeutig die Tat eines Wahnsinnigen, einen Sinn darin zu finden war müßig.
    “Aber du hast Recht, sie wirkt sehr kindlich. Und… sie ist kränklich. Ich habe mir schon überlegt, ob ich ihr anbieten soll, ihr etwas zur Stärkung zu geben, und gegen das ständige Seufzen und Sehnen. Ein wenig Veilchenextrakt vielleicht, und etwas Fencheltee oder Köppernickel…Oh, entschuldige, ich bin ganz in Gedanken. Aber ich will mich ihr nicht aufdrängen und ich weiß auch gar nicht, ob sie das wollen würde.“
    Elfleda kannte viele Kräuter und Tees gegen verschiedene Leiden, aber bei Sontje war sie sich selbst nicht sicher, was ihr eigentlich fehlte. Nur so schwach, wie sie manchmal war, und das ständige leise Seufzen, so würde sie wohl keine Geburt überstehen. Und das machte Elfleda schon Sorgen, denn immerhin war das Grundvoraussetzung für eine Ehe und damit sicherlich ein Teil des Problems.

    Na also! Er freute sich! Und wie! Erleichtert schmiegte sich Elfleda einen Augenblick in seine freudige Umarmung und erwiderte die Glückwünsche der anderen mit einem freudigen Strahlen. Auch wenn die weiblichen Bewohner der Casa irgendwie überraschter wirkten als die männlichen. Allen voran Callista. Aber das kümmerte Elfleda in diesem Moment recht wenig.
    Lanthilda und Sveija kamen auch recht schnell mit Bier und Met zurück, und Elfleda nahm sich auch einen Humpen, um mit allen anzustoßen. Vala brachte den ersten Trinkspruch aus, und die Mattiakerin lächelte ihm freudig zu. Er konnte so charmant sein, wenn er wollte, auch wenn er einige Augenblicke davor noch so unerbittlich gewesen war.
    Allerdings trank sie ihren Met nicht in einem Zug runter, sondern nahm nur einen Schluck. “Ich danke euch. Auf die Sippe Wolfriks, möge sie ewig wachsen“, schloss sie ihren Trinkspruch an. Ja, jetzt war sie auch ein wirklicher Teil der Sippe. Wenn das Kind nur gesund zur Welt kommen würde, dann hatte sie hier einen sicheren Platz.

    Amon:
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    Nachdem die beiden sich offenbar einig waren, wer zuerst dran war, kam der Jüngere einen Schritt auf Amon zu und fragte nach den Söhnen Wolfriks.
    “Natürlich kenne ich sie. Dieses Geschäft gehört zu einem Teil ihnen“, meinte er schmunzelnd.
    “Der Weg zur Casa ist ganz einfach. Wenn du rauskommst, gehst du in Richtung des Theaters in die Via Bingia, und nach dem Theater dann die erste große Straße links rein. Da läufst du dann runter und kommst direkt bis zum Haus. Ansonsten frag einfach einen Passanten nach der Casa Duccia.“
    Bestimmt hatte irgendwer den Burschen hierher geschickt, nachdem er gefragt hatte, wie er die Söhne Wolfriks finde. Dabei gehörte dieses Handelshaus ihnen gar nicht alleine. Aber nun würde er sie sicher finden.

    Er fand die Neuigkeit umwerfend und atemberaubend. Elfleda sah ein wenig erschrocken zu ihm herunter, nachdem Lando rücklings von der Bank gefallen war und erst einmal einige wild prustende und hustende Augenblicke brauchte, bis er sich wieder aufrappeln konnte. Einen Augenblick lang war sie bei seiner Frage versucht, zu antworten „Nein, nur so halb schwanger, mit ein bisschen geschwollenen Knöcheln, Rückenverspannungen und dem Drang, in den letzten beiden Monaten der Schwangerschaft drei Mal in der Stunde pinkeln zu gehen, auch nachts“, aber das wäre wohl ein Beweis für seine Theorie mit der schlechten Laune gewesen. Also ließ sie es bleiben und sah ihn stattdessen irgendwo zwischen fragend und vorwurfsvoll an.
    “Ich dachte, du freust dich?“, fragte sie schließlich unsicher. Immerhin ging es darum doch bei einer Ehe, möglichst viele Nachkommen miteinander zu zeugen? Und war ja nicht so, als wären sie damit unbedingt zurückhaltend gewesen. Auch wenn Elfleda in letzter Zeit vor allem morgens immer schlecht war und damit ihre Lust auf Bettgymnastik nicht besonders hoch, so waren sie alles in allem doch vor allem in den ersten beiden Monaten sehr wenig am Schlafen nachts gewesen.


    Ein bisschen hilfesuchend schaute sie auch zu den anderen am Tisch. Freuten sich wenigstens seine Verwandten? Immerhin war es doch ein gutes Zeichen, wenn sie so früh in ihrer Ehe schon schwanger wurde, und den Pakt mit den Mattiakern würde das natürlich auch festigen, wenn das Kind gesund zur Welt kam. Immerhin war Lando dann nicht nur Vater, sondern ihr Vater Sarwolf war dann auch Großvater.

    Das mit der Miete verstand Elfleda noch immer nicht. Bei ihnen auf der Hros arbeiteten ja gute Männer, und die Sippe hatte auch gute Männer vorzuweisen. Warum sie nicht selbst eine Scheune bauten mit ihrer eigenen Hände Kraft erschloss sich ihr nicht auf den ersten Blick. Allerdings erinnerte sie sich daran, dass dies ja nicht das Land der Amisvarier war, sondern der Römer, und diese wohl dafür zahlen ließen, dass man auf ihrem Grund baute. Diese Welt war sehr merkwürdig, und Elfleda würde noch viel Zeit brauchen, bis sie die Dinge auch so selbstverständlich verstand, wie es ihr Mann wohl inzwischen tat.
    Statt aber weiter unwissende Fragen zu stellen, hörte sie ihm zu. Er erzählte von seiner Ankunft, seinem Werdegang, und schließlich von seiner Verantwortung in der Sippe. Elfleda hörte still zu, lauschte auf das, was er nicht direkt ansprach. Sie konnte gut zuhören, vor allem die kleinen Nuancen in der Stimmlage eines anderen, und zog daraus gern ihre Schlüsse. Rodewini, der sich selbst zwar sehr gern reden hörte, hatte ihr beigebracht, dass zuhören oft mehr brachte als hundert Fragen zu stellen. Viele verrieten mehr, als sie selbst glaubten, wenn man sie nur aussprechen ließ.
    “Wenn du es dir aussuchen könntest, würdest du es denn anders wollen?“ fragte sie ihren Mann, bei dem sie das Gefühl hatte, er wolle gar nicht der Anführer seiner Sippe sein. Jedoch ließ sie ihm nicht die Zeit, darauf wirklich zu antworten. Sie glaubte, die Antwort schon zu wissen, und die gefiel ihr nicht, also brachte sie schnell weitere Punkte ein.
    “Manchmal bestimmt uns das Schicksal für etwas, was wir für uns selbst so nicht sehen. Aber es ist nicht alles nur Zufall. Wir sind auf den Plätzen, weil wir es ertragen können, auch wenn es manchmal schwer zu sein scheint.
    Meine Cousine Elke wünscht sich beispielsweise einen Mann, in den sie sich vorher Hals über Kopf verliebt hat, und der sie zum Lachen bringt. Ich hoffe aber, dass ihr Vater ihren Stand eher beachtet und sie versorgt haben will. Denn sie ist, was sie ist: Die Nichte eines Fürsten. Das schließt nicht aus, dass sie glücklich wird, es verteilt nur die Prioritäten anders.“

    Dass Elfleda damit genauso gut von sich hätte reden können, konnte wohl jeder verstehen. Auch sie war die Nichte eines Fürsten. Auch sie hatte bei der Wahl ihres Mannes kein Mitspracherecht gehabt, und sie war zum Wohle der Sippe verheiratet worden aus politischem Kalkül ihres Onkels. Das hieß aber nicht, dass sie jetzt nicht glücklich war. Sie war sogar sehr glücklich mit ihrem Mann, auch wenn sie ihre Heimat und die Menschen vermisste.
    “Ich finde, du bist ein sehr guter Rich. Nicht nur aus Notwendigkeit. Ich sehe, wie die anderen in der Sippe dich anschauen. Das machen sie nicht aus Furcht und nicht, weil es sonst keine andere Möglichkeit gäbe. Sie lieben dich und ehren dich für das, was du getan hast und noch immer tust.“
    Elfleda war sich sicher, dass wohl keiner unter ihnen Lando den rang streitig machen könnte. Selbst wenn Lando es wollen würde, er war der, zu dem alle aufblickten. Das konnte eine Bürde sein, das wusste sie selbst. Vor allem, wenn man nicht sein Leben lang in dem Wissen aufgewachsen war, dass das passieren würde.
    “Vielleicht, wenn ich dir da ein wenig helfen kann, bin ich doch nicht so unnütz. Auch, wenn ich auch nichts gegen eine Aufgabe einzuwenden hätte, während du für diese Post arbeitest.“ Elfleda lachte leicht und knuffte ihn spielerisch in die Seite, um ihn aufzumuntern.


    Das andere, was er gesagt hatte, bereitete ihr eigentlich auch Sorgen. Oder nicht wirkliche Sorgen, aber es beunruhigte sie ein wenig. Eigentlich sollten die Frauen der Duccier schon lange verheiratet sein. Nicht, dass sie noch zu alt dafür sein würden, denn welcher Mann nahm schon eine Frau, die nur mehr vielleicht zwei oder drei Kinder haben würde, die über das fünfte Lebensjahr hinaus wachsen würden? Vor allem, wenn er eine jüngere haben konnte, die mit dem Gebären wohl weniger Probleme haben würde als eine ältere?
    Andererseits war da aber auch die Persönlichkeit besagter Frauen. Bei Eila hielt sich Elfleda zurück, da wollte sie ihren Mann durch ein falsches Wort nicht gegen sich aufbringen. Wenn sie ein lebendes Kind mit ihm hatte, war ihre Stellung gefestigt und sie konnte sich mehr herausnehmen. Aber nicht im Moment, nicht so kurz nach der Hochzeit.
    Bei Sontje hingegen war das ein wenig anders. Zu ihr konnte sich Elfleda wohl trauen, ein paar Worte zu verlieren.
    “Aber was Sontje angeht… ihr verhalten ist manchmal sehr jung im Vergleich zu ihrem Körper. Ihre Mutter hat ihr nicht viel beigebracht, oder? Sie wirkt manchmal sehr unbeholfen.“
    Und das war diplomatisch ausgedrückt. Elfleda konnte sich bei der jungen Frau, obwohl sie älter war als sie selbst, nicht vorstellen, dass diese eigene Kinder haben und versorgen sollte. Dafür war sie selbst noch sehr kindlich.

    Amon:
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    Es dauerte ein wenig, bis aus dem hinteren Teil der Räume ein Rumpeln und ein kurzer, aber herzhafter Fluch auf Hebräisch zu hören war. Danach ertönte noch ein “Na, wirst du wohl…?“, ehe ein räumendes Geräusch und schließlich Schritte zu hören waren.
    Als wäre sonst nichts weiter gewesen, erschien wenige Augenblicke später Amon in den vorderen Verkaufsräumlichkeiten, blickte den beiden vermeintlichen Kunden erwartungsvoll entgegen und wartete auf eine kurze Reaktion eines der beiden.
    “Salve. Wie kann ich helfen?“

    Sie verließen den Steg wieder, und Elfleda beherrschte sich, nicht erleichtert durchzuatmen, als sie wieder wirklich festen Boden unter den Füßen hatte. Immerhin war sie kein ängstliches Kleinkind, dem man solche Marotten wohl durchgehen ließ, sondern eine erwachsene Frau.


    “Achja? Dann sollte ich meine kalten Füße wohl öfter zu dir rüberstrecken. Nur um dich abzuhärten, natürlich“, meinte sie zuckersüß zurück und schmiegte sich einmal kurz in seine Umarmung, ehe sie wieder etwas ernster wurde.
    “Vielleicht wäre es wirklich nicht schlecht, wenn ich das auch lernen würde. Wenn wir Kinder haben werden die sicher auch hier schwimmen gehen, da sollte ihre Mutter das auch können.“
    Elfleda kannte kleine Kinder. Ihre jüngste Schwester mit ihren gerademal fünf Jahren wäre wahrscheinlich weitaus unbedarfter auf den Steg gegangen und hätte sich wohl auch voller kindlichem Vertrauen in die Fluten gestürzt, wenn ihr eine Vertrauensperson selbiges gesagt hätte. Sie glaubte nicht, dass ihre eigenen Kinder da anders sein würden als all die anderen.


    Und doch seufzte Elfleda einmal kurz und etwas resignierend.
    “Schreiben, schwimmen… für dich sind das wahrscheinlich einfache Sachen, oder? Ich komme mir im Moment so nutzlos vor. Alles, was ich kann, scheint so unwichtig. Ich hab grade gar nichts, worum ich mich wirklich kümmern muss. Daheim hatte ich immer meine Geschwister, und es war immer so viel nebenbei einfach zu tun. Und wenn es nur das Verbinden von ein paar Kratzern war oder eine kranke Kuh oder irgendwas.“
    Sie sah entschuldigend zu ihrem Mann auf und zog ihn einmal kurz etwas mehr an sich heran.
    “Ich weiß, eigentlich sollte ich rundum glücklich sein bei dem vielen Luxus, den ich nun habe, und nicht jammern, dass alles so einfach geht und ich mir keine Gedanken darum machen brauche, ob die Vorräte für den Winter wohl reichen werden.“
    Es war wirklich Jammern auf hohem Niveau, aber Elfleda kam sich in dieser Stadt einfach so klein und unwichtig vor. Und als Tochter eines großen Mannes und Nichte eines noch viel größeren Mannes gefiel ihr das Gefühl nicht so wirklich.

    Von dem, was Vala vorbrachte, verstand Elfleda inhaltlich zwar alles, allerdings doch irgendwie nur die Hälfte. Wenn sein Vater aufgebrochen war, um sein Eheweib zu retten, das verschleppt worden war, dann war das ein ehrbarer Grund. Dass er dafür den Eid, den er den Römern geschworen hatte, brechen musste, war weniger ehrbar, das verstand Elfleda ebenso. Warum er allerdings nun aus seinem Vater zwei Personen machen wollte, erschloss sich ihr im ersten Moment nicht, und sie musste erst kurz darüber nachdenken, ehe es ihr einleuchtete. Natürlich, Leif, auch wenn er rechts des Rheines mit seinen Taten ein großer Mann und guter Führer gewesen war, war für die Römer nur ein Mann, der seinen Eid gebrochen hatte. Und da waren die Römer auch nicht viel anders als die Germanen und verstanden nur wenig Spaß, und sie ließen noch weniger Gründe zu, die einen Mann zwangen, solches zu tun.
    Ihnen ging ihre Disziplin über alles. Etwas, dass die germanischen Kampfverbände erst noch lernen mussten. Dort konnte nicht jeder Rich den Kämpfern eines anderen Rich Befehle erteilen, nur weil er den nötigen Rang hatte und irgendjemand beschlossen hatte, dass dieser nun die Mannen des anderen führen sollte. In Germania hatte ein Mann eine stimme, die er auch erheben konnte, wenn ihm etwas nicht passte. Und er war mit seinem Eid nur an seine Sippe, seinen Stamm und seinen Fürsten gebunden, nicht an irgendwen anderes. Da konnte er auch einfach „nein“ sagen – mehr oder weniger.
    Kurz drifteten Elfledas Gedanken ab. Würden die Stämme sich diese Disziplin aneignen, wären sie sicher weitaus mächtiger. Sie hielt das germanische System des Familienzusammenhalts und der Sippen, der Gefolgschaft von Freien und Unfreien viel besser als das römische System mit seinen Fremden, die für etwas kämpften und nicht wussten, für was. Germanen kämpften für ihre Familie, ihre Freunde, ihre Ehre. Weil sie es mussten. Wenn sie nun noch diese eiserne Disziplin erlernen würden, die die römische Armee so effizient machte, dann wehe den Besiegten.


    Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie die aufkeimende Feindseligkeit im Raum erst mit Ragins Ausbruch wieder bemerkte. Kurz blinzelte sie und sah dann in das Gesicht ihres Mannes, der auch alles andere als erbaut zu sein schien. Ja, Alrik war ein schwieriger Mensch. Sie wurde aus ihm auch nicht ganz schlau. Er kam einem manchmal vor, als könne er kein Wässerchen trüben, dann war er charmant und geradezu liebenswürdig. Und dann wiederum drohte er und war so hart und kalt, so unerbittlich und fordernd wie jetzt im Moment. Ein wenig musste Elfleda sich eingestehen, dass dieser Mann ihr Angst machte. Auch wenn er zu ihrer Sippe gehörte und sie damit wusste, dass sie von ihm wohl nichts zu fürchten hatte und er wie jedes andere Mitglied für sie einstehen würde, wie es Brauch war, hatte er etwas an sich, dass sie nicht ganz greifen konnte und was sie beunruhigte.
    Dennoch entschied sie sich, die Situation etwas zu entspannen, ehe sie noch völlig aus dem Ruder zu laufen drohte. Sie hatte ohnehin etwas, dass sie Lando sagen wollte, auch wenn sie es ihm eigentlich lieber zuerst unter vier Augen gesagt hätte und nicht hier am Esstisch. Aber es würde wohl etwas ablenken, vielleicht.


    “Lando, ich möchte dir und den anderen auch etwas mitteilen.“
    Sie wartete kurz, bis wohl der Zorn über Alriks Drohung etwas in Neugierde umgeschlagen war, und fing dann an.
    “Seit unserer Hochzeit war nun schon 4 Mal Neumond, und ich habe nicht geblutet. Deshalb hab ich heute Morgen eine Hebamme aufgesucht, damit sie es bestätigt.“
    Zuhause wäre sie einfach zu Smilla gegangen, oder einer der anderen Frauen. Aber wahrscheinlich hätte es ihr ohnehin jede an der Nasenspitze schon früher angesehen. In letzter Zeit war sie etwas blass und ihr war oft übel, auch wenn sie es mit einigen Kräutern gut unterdrücken konnte.
    “Ich bin schwanger, Lando“, schloss sie schließlich und beobachtete dabei die Reaktionen im Gesicht ihres Mannes.

    “Na, weil keine Notwendigkeit bestand, dass ich es lerne“, meinte Elfleda mit noch immer misstrauischem Blick auf die Konstruktion unter sich. Dass ihr Mann sie gerade anschaute, als hätte sie ihm gesagt, sie wäre in Wirklichkeit ein Wurzeltroll, bemerkte sie noch nicht einmal im ersten Moment. Erst nach einigen Momenten schaute sie noch mal zu ihm und bemerkte den Gesichtsausdruck, den sie nun wiederum etwas fragend-skeptisch erwiderte. Was hatte er denn?


    “Das tiefste Gewässer bei uns in der Gegend ist der Karpfenteich, und der geht mir grade Mal bis zur Brust. Wo also hätte ich schwimmen sollen?“, fragte sie also nicht minder verwirrt zurück. War es denn so schlimm, dass sie das nicht konnte?