Beiträge von Duccia Elva

    Wie eine Katze, die gerade realisierte, dass jemand die Sahne offen stehen gelassen hatte, schaute Elfleda ihrem Mann hinterher, wie er nackt und schreiend aus dem Zimmer lief. Na also, ging doch! Na gut, ganz so sehr hatte sie nicht vorgehabt, ihn aus dem Takt zu bringen, aber man wollte schließlich nicht meckern, wenn etwas funktionierte. So war er wenigstens wach und machte, was sie von ihm wollte. Auch wenn Elfleda vor ihrem inneren Auge schon eine Teigwalze auf seinen Kopf zusausen sah, weil er so einen Lärm veranstaltete, noch ehe die Sonne aufgegangen war.
    Die Mattiakerin lehnte sich einen Moment im Bett zurück und schloss leicht die Augen. Auch sie war müde, und sie würde jetzt wohl kaum mehr zum schlafen kommen, bis das Kind denn auf der Welt war. Und auch, wenn es wohl noch eine Weile dauerte, gab es bestimmt noch etwas, das zu tun war und was sie vergessen hatte.


    Es dauerte nicht lange, und sie hörte, wie das Haus langsam erwachte. Sie hörte auch Margas Stimme, wie sie Lando zur Ruhe mahnte, und lauschte kurz, ob sie noch mehr Stimmen hören konnte. Wäre schön, wenn die ganze Sippe daran irgendwie teilhaben würde. Noch immer fühlte sich Elfleda etwas am Rand der Familie, und diese Position gefiel ihr ganz und gar nicht. Der Mittelpunkt entsprach da schon eher ihrem Selbstverständnis, auch wenn dieser heute wohl nicht sehr glanzvoll sein würde.
    Elfleda rappelte sich wieder hoch und stand auf, machte eine der Kerzen an und ging ein wenig auf und ab, bis die Tür aufflog und sie Marga erblickte. Sie lächelte der Älteren mit einer gekonnten Mischung aus Freude und Sorge entgegen und ging dann weiter etwas auf und ab.
    “Tut mir leid, dass Lando dich so früh geweckt hat. Ich dachte eigentlich, er zieht sich davor noch an und macht es... weniger chaotisch.“ Sie konnte ja nicht ahnen, dass er wie ein aufgescheuchtes Huhn kopflos runterstürzte. Wobei... eigentlich hätte sie es sich denken können. Ihr Kerl war eben... kerlig.
    “Was meinst du, wie lange es dauert? Meine älteren Cousinen bekamen ihre Kinder immer recht zügig.“ Was in dem Fall weniger als 8 Stunden hieß. Die Frauen ihrer Sippe waren dahingehend doch sehr von den Göttern gesegnet. Und die meisten Kinder überlebten sogar die Geburt, wenn auch nicht alle dann das erste Jahr.
    Elfleda blieb in der Bewegung stehen und krümmte sich leicht, als ihr Bauch wieder kurz sich zusammenziehen zu wollen schien. Sie hielt ihre Arm um die runde Kugel ihres Bauches geschlungen, als könne sie damit dieses Gefühl eindämmen. Es dauerte ein paar Momente, dann war es wieder vorbei und Elfleda holte erstmal Luft. “Geht schon, war noch nicht so schlimm...“ meinte sie in dem Versuch, möglichst tapfer zu wirken und begab sich doch erstmal Richtung Bett.
    Wie gern hätte sie jetzt Smilla hier, oder wenigstens Elke und Emma, ihre Cousinen. Marga kannte sich zwar aus und hatte schon viele Kinder zur Welt gebracht, aber ein vertrauteres Gesicht wäre der werdenden Mutter nicht unrecht gewesen.

    Hatte er gerade gesagt, sie solle damit bis zum Morgen warten? Wahrschienlich würde es bis zum Morgen noch nicht vorüber sein, aber was sollte sie seiner Meinung nach denn machen? Es sich verkneifen? Männer!
    Elfleda starrte einen Moment lang zu Lando, der sich bereits wieder einkuschelte und offenbar allen ernstes einfach weiterschlafen wollte. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und zitterten einmal vor aufkommender Wut, aber sie sagte ncihts. Sie atmete einmal ruhig durch und watschelte dann so ruhig wie möglich zum Bett zurück, um sich auf die Kante zu setzen.
    “Na, wenn du meinst, du willst die Geburt alleine mit mir machen... Das ist zwar ungewöhnlich, normalerweise flüchten die Männer spätestens, wenn die Fruchtblase dann platzt.“ Ihre Stimme war geradezu unbekümmert und freundlich, auch wenn Lando den Unterton inzwischen wohl schon kennen dürfte. “Und Marga wird sicher vollstes Verständnis dafür haben, dass du das selber machen willst und sie lieber schlafen lassen wolltest. Sie ist ja auch nicht mehr die Jüngste und braucht ihren Schlaf, da wird sie dir sicher dankbar sein. Immerhin dauert es sicher noch bis Sonnenaufgang, ehe es wirklich ernst wird...“
    Elfleda legte sich wieder ins Bett und auf den Rücken und sah lächelnd zu Lando hinüber. “Aber du machst das schon, Schatz.“

    Irgendetwas weckte Elfleda. Sie wusste nicht so genau, was los war, irgendwas aber hatte sie geweckt. Um Lando nicht zu wecken blieb sie noch liegen mit geöffneten Augen und lauschte. Oder sie versuchte es, denn wie immer schnarchte ihr Mann leise vor sich hin und übertönte damit, was auch immer sie gehört zu haben glaubte.
    Missmutig streckte sie ihre Füße einfach zu ihm gegen seine, was ihren Mann im Schlaf einmal missmutig grunzen und sich dann drehen ließ. So war das Schnarchen für die nächsten fünf Minuten gestoppt, und ihre Füße wurden gewärmt. Eine eindeutige Gewinnsituation.


    Der Tag war noch nicht angebrochen. In letzter Zeit wurde es immer später hell. Der Herbst hatte Einzug gehalten, mit all seinen Folgen. Die Bäume wechselten langsam ihr Laub, und es wurde verdammt kalt. Sonst war Elfleda eigentlich nicht so verfroren, aber dieser Tage wollte sie am liebsten eingemummelt in eine Decke herumlaufen. Dann sah man auch den Bauch nicht so, der sie aussehen ließ, als würde sie bei der nächsten Berührung bald platzen.
    Elfleda hatte ja nicht geglaubt, dass es bei ihr genauso schlimm sein würde wie bei ihrer Tante. Viele Mädchen blieben noch relativ dünn und der Bauch wuchs nur in den letzten vier Wochen vor der Geburt so wirklich an. Aber sie fühlte sich, als würde sie diese Kugel schon ewig vor sich hertragen, und bald würde sie wirklich platzen, wenn das Kind nicht von selbst herauszukommen gedachte. Sie hatte nachgerechnet. Dreimal. Sie hatte sogar Marga mitrechnen lassen, wie lange sie nun schon wohl schwanger war. Ausgegangen von ihrer Hochzeit war nun schon der zehnte Vollmond vorbei. 40 Wochen dauerte es normalerweise, meistens sogar etwas kürzer. Und sie war nun schon über die 41. verdammte Woche hinaus! Bald wollte sie glauben, eher ein Fohlen denn einen Menschen zu gebären.


    Mit diesen trüben Gedanken lag sie also wach und lauschte auf das, was auch immer sie geweckt hatte. Aber da war nichts. Die Tiere waren alle still, auf den Straßen lief niemand. Durchs Haus huschte auch niemand, das hätte sie als allererstes gehört. Egal, ob sie sicher aufgewachsen war, egal, ob sie hier nun schon so lange hinter dicken Steinmauern lebte. Das Wissen, dass doch jederzeit ein Feind mit gezücktem Messer das eigene Leben beenden konnte, ließ einen Menschen aufmerksam bleiben.
    Also, was hatte sie geweckt?
    Lando fing wieder an, ganz leise zu schnarchen, und Elfleda verdrehte die Augen. Nicht, dass sie das wirklich stören würde, nur im Moment brauchte sie irgendwas, über das sie sich ärgern konnte. Und da kam ihr Mann ihr natürlich grade recht, denn immerhin war er da und greifbar, und im Moment konnte er auch nicht flüchten.
    Also setzte sie sich auf – langsam und behäbig, verdammter Bauch aber auch – nahm ihr Kissen und schlug damit einmal leicht nach ihm, um ihn zu wecken. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, sollte er gefälligst auch mit ihr wach sein. Auch wenn ein klitzekleiner Teil wusste, dass es gemein war, aber dieser Teil hatte jetzt grade mal absolut nichts zu melden.


    “Du schnarchst“, erklang die simple Erklärung. Leider fiel ihr nicht gleich etwas spitzfindiges hinterher ein, um ihn endgültig wachzumachen und ihm die Schuld an irgendwas zu geben. “Das noch ein Baum da draußen steht, grenzt an ein Wunder“, meinte sie also missmutig in Ermangelung eines besseren Grundes für ihr Wachsein.
    Verdammt, warum war sie überhaupt aufgewacht? Es war rein gar nichts, was ungewöhnlich wäre. Überhaupt nichts, weswegen sie jetzt unbedingt schon vor Sonnenaufgang so hellwach sein musste.
    “Da kann ja kein Mensch schlafen, und überhaupt...“ Vor sich hinzeternd warf sie die Decke beiseite und rollte sich aus dem Bett. “Und kalt ist es auch geworden!“, weswegen sie sich die Decke dann doch wieder schnappte und sich einwickelte.
    Sie lief ein paar Schritte zu dem Fenster und schaute durch das nur halbdurchsichtige Glas in die Dunkelheit nach draußen. Nicht, dass sie irgendetwas hätte erkennen können, aber sie schaute dennoch hindurch, als sähe sie alles.
    “Wo du jetzt wach bist...“, ja, wo er jetzt wach war... was eigentlich? Irgendwie musste sie ihn doch kurz rumscheuchen können? Irgendwas? Komm, Elfi, denk nach... “.. du könntest... könntest....“
    Ihre Hand wanderte auf den Bauch, als sie merkte, was sie geweckt hatte. Es war noch nichts wirklich schlimmes, keine großen Schmerzen, mehr so ein Stechen, als die Bauchmuskeln sich einmal krampfhaft zusammenzogen, als übten sie schon einmal für das, was gleich folgen würde.
    “... du könntest Marga vielleicht wecken?“ Jetzt klang sie gar nicht mehr sauer oder genervt oder irgendwie giftig. Elfleda empfand ihre eigene Stimme schon als unangebracht ängstlich. Immerhin wusste sie, was passieren würde. Aber irgendwie hatte sie es auf einmal gar nicht mehr so eilig.

    Nach einer doch recht kurzen Jagd hatte Lando sie schon, und auch wenn sie schrie – oder quietschte, wenn man die Höhe der Stimmlage betrachtete – er trug sie unaufhaltsam zum Wasser.
    “Das würdest du doch nicht machen?“ fragte sie beinahe bettelnd und sah ihm treuherzig wie ein Hund in die Augen – auch wenn das nicht gerade einfach war, wie er sie so über der Schulter trug. Eigentlich sah sie ihm mehr in die Augenwinkel, und auch nur, wenn sie sich wie eine Natter in sich selbst verdrehte. Aber selbst das reichte, um ihm anzusehen, dass er es doch tun würde.
    Sie zappelte und strampelte noch ein wenig, natürlich nicht so, wie sie es getan hätte, wenn sie sich wirklich hätte wehren wollen. Aber es nützte nichts, er hielt sie, als wöge sie nichts, und ihr blieb nicht viel, außer sich entweder wirklich zu wehren, was sie aber nicht wollte, oder zu resignieren.


    “Ja gut, dann lass mich runter.“ Es klang wenig begeistert. Elfleda hätte auch gut und gerne darauf verzichten können, jetzt wie ein Hund paddelnd zu versuchen, sich über Wasser zu halten. Sie konnte nicht schwimmen, bisher war das nie ein Problem gewesen. Männer aber auch!
    “Aber wehe dir, ich ertrinke! Dann kehre ich als Wiedergänger zurück, ich schwöre es dir.“ Das war jetzt doch ein Scherz, zu erkennen an ihrem Gesichtsausdruck, wenn auch nicht ganz spaßig. Elfleda hatte durchaus einen Respekt vor dem Wasser und war sich der Gefahr, zu ersaufen, wahrscheinlich zu gut bewusst.

    “Nun, vielleicht versuchst du einfach mal, sie daran zu erinnern? Bei all dem Luxus hier ist es schwer, zu sehen, wie es anders hätte sein können. Vielleicht brauchen sie nur einen kleinen Schubs?“
    Wie genau dieser Schubs aussehen sollte, darüber hatte sich Elfleda noch keine Gedanken gemacht. Dafür kannte sie ihre neuen Verwandten auch noch zu wenig, um zu wissen, wie man sie bei der Ehre packen konnte und was sie am ehesten ansprach.


    Sie gingen endlich von der monströsen Brücke weg zu dem Gebäude, das Elfleda auch schon kannte. Regia hieß dieser riesige Steinbau also. Sie wusste, dort wohnte auch der Fürst. An ihrem ersten Tag hier waren ihr Vater, Lando und sie hierher gegangen für dieses komische Stück Papier, das so wichtig war, um hier zu heiraten. Seltsame Sitten, aber nungut. Die Römer waren eben einfach anders, für sie war Papier eben wichtig.
    “Wie ist das eigentlich mit dem Kaiser? Ist er ein großer Anführer? Wenn es hier so viele Sippen gibt und so viel Land, wie können sich dann alle einig werden, dass er ihr Herrscher ist?“
    Zugegeben, die Frage klang sehr naiv, aber Elfleda wusste es wirklich nicht. Rodewini war diesbezüglich in seinen Ausführungen auch sehr knapp gewesen – Elfleda vermutete, er wusste es auch nicht – aber es wollte einfach nicht in Elfledas Kopf hinein, wie ein einzelner Mann so viele Leute unter seinem Banner scharen konnte, ohne dass sie alle miteinander in Streit fielen und sich wieder entzweiten. In ihrer Welt hatte jeder Mann eine Stimme und war nur seinem Herrn, so er überhaupt einen hatte, zur Treue verpflichtet. Aber hier in Mogontiacum gab es einen Fürsten, sie hatte ihn ja getroffen, und trotzdem war der Kaiser, auch wenn er hunderte Meilen weit weg war, der Fürst der Fürsten.
    “Und hast du keine Angst, dass dieses... dieses... DING irgendwann mal über dir einstürzt, wenn du da rein gehst?“ Die Regia war einfach so verdammt RIESIG, dass sich die Germanin fragte, wie das nur stehen blieb.

    Kaum war ihr Mann da, versteckte er sich auch schon fast hinter ihrem Gast. Natürlich bemerkte Maecenas das etwas komische Verhalten, aber noch ehe er oder auch Elfleda irgendetwas wirklcih sagen konnten, schob Lando ihn auch schon weiter in Richtung Garten.
    Elfleda stand nur da und schaute den beiden nach. Wäre jetzt kein Gast dagewesen, Lando hätte ein Donnerwetter erwarten dürfen, das selbst Donar zum Zucken gebracht hätte. Er tat ja grad so, als wäre sie ein feuerspeiender Tatzelwurm und würde ihn gleich rösten und anschließend Fressen. Oh, der sollte ihr heute Abend ins Bett kommen... Sie und schlechte Laune haben? Niemals!


    Elfleda stand noch eine Weile in der Halle und regte sich ab – oder auf, je nach Betrachtungsweise. Es wurde Zeit, dass diese Schwangerschaft endlich vorbei war. Vielleicht war ihr Mann dann auch ein wenig normaler und nicht mehr so komisch.
    Mit einem letzten Kopfschütteln in Richtung der beiden entschwundenen Männer machte sich auch Elfleda wieder auf.

    “Aber das weiß ich doch. Wie könnte ich so einen guten Freund meines Mannes je vergessen?“, meinte Elfleda mit einer Selbstverständlichkeit, dass man ihr die Worte fast schon glauben musste, und gleichzeitig so fröhlich dahingesagt, dass es kein wirklicher Tadel oder eine Rechtfertigung war. “Und ja, er ist hier irgendwo. Komm doch bitte herein.“
    Eigentlich hatte Elfleda keine Ahnung, wo ihr Mann sich im Moment genau herumtrieb. Vorhin hatte sie ihn kurz in Richtung Küche verschwinden sehen, aber das war bestimmt schon eine Stunde her. Allerdings brauchte ihr Gast ja nicht wissen, dass er in letzter Zeit eher um sie herumschlich – zumindest kam es ihr so vor.
    “Lando?“ flötete sie also ins Hausinnere ihrem Göttergatten zu, in der Hoffnung, er würde sie gleich hören. Sie war eigentlich sehr gut gelaunt, und außerdem hatten sie ja Besuch, da wollte sie sich erst recht positiv darstellen. Außerdem war es schon nicht mehr so heiß wie im Sommer, und das jetzige Wetter sagte ihr etwas mehr zu. Alles in allem also hervorragende Bedingungen.


    Würde ihr Mann sich melden, hieß das. Sie hörte keine Schritte und keine sonstigen Laute, die auf Anwesenheit schließen ließen. Also schenkte sie Maecenas ein entschuldigendes Lächeln und trat selber nun eiligen – watschelnden, verdammte Schwangerschaft aber auch – Schrittes weiter in die Eingangshalle und rief noch einmal. Diesmal lauter und viel fragender. “Lando?“
    Maecenas bekam noch ein charmantes Lächeln. “Er kommt sicher gleich, er war eben noch hier. Bestimmt kommt er gleich um die Ecke, und fragt sich, warum ich so rufe.“ Sie behielt das Lächeln noch einige Sekunden aufrecht, dann drehte sie sich wieder von ihrem Gast ab.


    Wo bei allen Wald- und Wiesengeistern steckte der Kerl bloß? Sie rief noch einmal, und diesmal hatte es schon fast einen keifend-gereizten Unterton.
    “LANDO!“
    Wieder drehte sie sich mit einem bemüht charmanten Lächeln zu Maecenas. Warum musste dieses Haus nur so verdammt groß sein? Da fand man ja nie jemanden, wenn man rief.

    Elfledas Bauch war inzwischen nun zu einer großen Kugel gewachsen, die sie mit wachsendem Frust vor sich hertrug. Am Anfang war es ja wirklich herrlich gewesen, zu sehen, wie das Kind wuchs, zu fühlen, wie es sich bewegte. Aber nun brach bald der zehnte Mond an, den die ganze Sache dauerte. Und auch, wenn sich die Mattiakerin stets gegen Behauptungen gewehrt hatte, eine Schwangerschaft würde eine Frau launisch oder gar schlecht gelaunt machen, in letzter Zeit war sie doch sehr angespannt und nicht besonders fröhlich gestimmt. Sie wollte eigentlich nur noch, dass das Kind endlich herauskam und sie sich nicht mehr so aufgedunsen fühlte und vernünftig laufen konnte.
    Daher wartete sie eigentlich auch schon jeden Tag auf die Antwort von ihrer Sippe zu warten, ob Smilla nun kommen wollte oder nicht. Und da bislang keine Antwort eingetroffen war, machte sie das noch viel angespannter.


    Und so ging – oder besser watschelte – sie selbst zur Tür, als es dort anklopfte. Zwar hatte sie nun schon die römische Sitte kennengelernt, dass es dafür einen extra beauftragten Mann gab – die Römer nannten ihn Ianus oder so ähnlich – aber hier in diesem Haus gab es so etwas zum Glück nicht. Und auch wenn es so gewesen wäre, hätte es sich die werdende Mutter wohl nicht nehmen lassen, selbst zur Tür zu gehen.
    Die Hoffnung, es könnte ein Verwandter sein, erlosch, als sie den Mann sah, der ihr gegenüber stand. Sie kannte ihn, er war auf der Hochzeit gewesen. Lando hatte ihn ihr vorgestellt. Er war ein Freund. Nur sein Name wollte ihr nicht auf Anhieb einfallen.
    Um es zu überspielen bekam er das bezauberndste Lächeln der Welt.
    “Heilsa. Oh, oder sollte ich salve sagen?“ meinte sie so charmant wie möglich und trat einen Schritt zurück, so dass der Weg ins Haus frei war.
    “Du möchtest sicher zu Lando,...?“ Verdammt, sie wusste seinen Namen. Er hieß.... “...Maecenas?"

    Die Zeit verging, aus Frühjahr wurde Sommer, schließlich Spätsommer. Elfleda sah aus dem Fenster hinunter auf den Hof. Bei ihrer Ankunft war alles sanft grün gewesen, tausend kleine Blüten von den wilden Blumen im Garten, und überall Bienen und Vögel. Jetzt begann der Herbst, immer mehr hörte man das Krächzen der Raben und das Rufen der schwärme, die sich allmählich für den Winter schon zu sammeln begannen. Die Felder standen in vollem Korn und warteten auf die Ernte, und auch der Wald wurde ganz langsam, aber schon sichtbar immer gelber und goldener.
    Gedankenverloren streichelte sich Elfleda über den Bauch. Wie das Korn gewachsen war, war auch ihr Kind gewachsen. Sie fühlte, wie es sich bewegte, wie es ab und zu in ihr trat und sich leicht drehte. Langsam war es so groß, dass es bei jeder kleinen Bewegung deutlich spürbare Gefühle hervorrief. Und es drückte! Auch wenn Elfleda sich wirklich freute, dass es bei ihr so schnell geklappt hatte mit der Schwangerschaft, und sie von ihrer Sippe schon viele Schwangerschaften und Geburten mitbekommen hatte und wusste, was alles dabei passierte, war es ihr so langsam doch lästig. Der Bauch behinderte sie, und sie geriet so schnell außer Atem. Andauernd musste sie sich erleichtern, weil das Kind auf die Blase drückte. Und während der heißesten Tage im Sommer waren ihre Fußknöchel geschwollen gewesen, so dass sie wie eine unbeholfene Ente gewatschelt war und sich dabei mehr als nur unwohl gefühlt hatte.
    Armer Lando, dachte sie sich dabei. Er musste sie dann ertragen. Und auch, wenn sie eigentlich nie offen etwas sagte oder sich gar beklagte, bekam er doch die eine oder andere Laune ab. Erst neulich hatte sie ihn wegen einer Nichtigkeit, von der sie nichtmal mehr wusste, was es war, stundenlang vom Schlafen abgehalten und immer wieder neu diskutiert. Und das nur, weil sie sich unwohl gefühlt hatte und nicht schlafen konnte.


    Elfleda stand am Fenster und schaute etwas müde hinunter. Lange würde es nicht mehr dauern, dann wäre die Geburt. Sie hatte einen Boten zu Rodewinis Dorf geschickt und fragen lassen, ob Smilla kommen wollte. Sie wusste, dass ihre Stiefmutter vor vier Monaten selber ein Kind bekommen hatte, und vermutlich deshalb die Reise nicht machen konnte. Nicht wegen der eigenen Gesundheit, sondern wegen dem Säugling. Aber sie hoffte dennoch auf ihr eintreffen, denn sie brauchte ein wenig Hilfe von jemandem, den sie kannte. Und hier in der Sippe gab es keine älteren Frauen, die sie gut genug kannte. Callista und Eila waren zwar jeden Tag da, aber das waren selber keine Mütter. Callista sowieso nicht, bei dem, was sie dank ihr von römischen Frauen nun wusste, fragte sich die Germanin, wie die Römerinnen überhaupt Kinder kriegen konnten, so ganz ohne Beistand in der Familie. Seltsames Volk, diese Römer, immer so distanziert...


    Elfleda hing noch eine Weile ihren Gedanken nach, hoffte und betete. Lange würde es nicht mehr dauern bis zur Geburt. Sie musste sie nur überleben, und das Kind auch, und alles wäre erst einmal gesichert. Bald.

    Natürlich war es ihr nicht zu tief, aber darum ging es letztendlich ja auch gar nicht. Sie ahnte, was Lando vorhatte, und sie wollte nicht hier und heute ersaufen (auch wenn sie sehr wohl wusste, dass er das wohl nicht zulassen würde, soviel traute sie ihrem Mann ja schon). Also packte sie nur den Blick bei seinen Worten aus und rührte sich keinen Fingerbreit in Richtung des Wassers.
    “Ach, keine Bitte? Und was machst du, wenn ich nicht komme? Mich schnappen und ins Wasser werfen?“
    Gerademal einen Herzschlag, nachdem die Worte ihre Lippen verlassen hatte, wechselte der Blick zu einem unausgesprochenen Wehe!, als sie sich bewusst wurde, dass sie ihm genau das zutrauen würde.

    So ganz konnte Elfleda nicht verstehen, was Lando mit den verweichlichenden Verlockungen meinte. Es war ja nichts falsches daran, wenn man sich das Leben leichter machte. Sie selbst hatte den Wandel in ihrem Dorf ja hautnah mitbekommen. Die Wassergräben und die neue Felderverteilung steigerten die Erträge doch beträchtlich, und der Wall sorgte für mehr Sicherheit. Sie hatten sich die Techniken großenteils von den Römern abgeschaut. Was daran nun verweichlichen sollte, verstand die Mattiakerin nicht so ganz.
    “Meinst du wirklich, sie vergessen durch das hier, wo sie herkommen?“ Ein bisschen klangen Landos Worte für Elfleda danach. “Mein Bruder Arndt meinte früher immer, man könne zwar einen Esel satteln und panzern, aber deshalb würde noch lange kein Schlachtross daraus.“
    Auch wenn der Vergleich etwas unvorteilhaft war, immerhin erschien es auf den ersten Blick ja so, als wären Germanen die Esel und die Römer die Pferde, so passte es doch. Man war, was man war, das konnte man nicht verleugnen. “Vielleicht brauchen sie nur ab und an eine kleine Erinnerung daran, was sie sind und worauf sie stolz sein können?“


    Sie kamen wieder zu der Brücke, über die Elfleda hergekommen war. Als ihr Wagen über das Ding gefahren war, war sie tausend Tode gestorben. Wie konnte man nur sowas bauen? Das war... monströs!
    “Hmhm...“ meinte sie nur mit skeptischem Blick auf das Konstrukt und befürchtete schon, Lando könnte vorschlagen, dass man wieder darüberging. Vorsichtshalber drehte sie dem Ding schonmal den Rücken zu, als wäre es nicht von besonderem Interesse für sie. Nur nicht zugeben, dass man Angst davor hatte!
    “Kommen wir auch da vorbei, wo du arbeitest?“ fragte sie scheinbar zutiefst neugierig, auch wenn sie eigentlich nur ablenken wollte.

    Lando hatte ihr schon vor einigen Wochen erklärt, dass sie einen neuen Fürsten in der Stadt hatten. Auch wenn Elfleda dieses Prinzip des Beamtentums und der Versetzung noch nicht wirklich begriffen hatte, hatte sie doch verstanden, dass nun der Bruder des alten Fürsten hier erstmal für Rom herrscht – oder so ähnlich. Auch wenn Lando ihr erklärte, dass die Bruder-Sache eher Zufall war und nicht wie bei ihnen im germanischen Raum einfach auch mal die Folge, wenn ein Mann starb und seine Söhne nicht so geeignet als Nachfolger waren.
    Und nun war sie schon gespannt auf diesen neuen Legaten, wie die Fürsten hier hießen. Mit der Familie und etlichen Leuten, von denen die meisten auch auf ihrer Hochzeit gewesen waren, stand Elfleda also da und wartete darauf, dass der Fürst vorbeikommen würde. Ein ganz klitzekleines bisschen fühlte sie sich ja schon gekränkt, dass es überhaupt so war. Sie war als großer Fisch in einem kleinen Teich aufgewachsen, so dass alle immer zu ihr gekommen waren. Einfach und allein, weil ihre Verwandten wichtig und mächtig waren. Und jetzt war sie ein kleiner Fisch in einem großen Teich, und das behagte Elfleda nicht wirklich und widerstrebte ihrem Gefühl für Stolz.


    Nun, aber so war es nun mal, und sie wartete mit Lando, bis der Legat nun zu ihnen kam – und ihr Mann beinahe vergessen hätte, sie vorzustellen und erst mit einem kleinen, unauffälligen Ruck in die Seite daran erinnert werden musste. Allerdings ließ sich Elfleda nichts anmerken und lächelte ihr strahlendstes Lächeln. Wenn sie eines von ihrem Onkel gelernt hatte, dann sich dazustellen.
    “Oh, ganz sicherlich. Er hat die Gesundheit eines Pferdes und wird sicher noch viele Jahre in Freundschaft mit dem römischen Imperium leben.“
    So langsam machten sich die kleinen Spracheinheiten mit Callista bemerkbar, Elfleda hatte zwar noch einen Akzent, musste aber nicht mehr so lange nach Worten suchen. Und es ging auch schonmal ein längerer Satz – auch wenn sie speziell auf diesen eigentlich schon eingestellt gewesen war. Natürlich hatte sich der Legat nach Rodewini erkundigt, was hätte er auch sonst machen sollen? Und natürlich hatte sie ihm dessen Freundschaft versichert, was hätte sie sonst machen sollen?


    Seine Frau stellte Elfleda da schon eher vor eine ganz andere Herausforderung. Sie musste kurz überlegen – wenn auch nicht auffällig lange – wie sie das am besten formulieren sollte. Hier kauften die Menschen alles, was sie brauchten, das hatte Elfleda schon festgestellt. Wenig wurde wirklich selber gemacht, zumindest, wenn man es sich leisten konnte. Und so gab es hier so Berufe wie Schneider oder gar Barbier, die es in Elfledas Welt einfach nicht gab.
    “Meine Cousinen und ich haben es selbst genäht, bevor ich…“ Kurz fehlte ihr ein Wort, und sie überspielte es mit einem Lächeln zu Lando hin, als ob diese Pause Absicht gewesen wäre, um ihm ein eben solches Lächeln zuwerfen zu können. “…hierher kam, um zu heiraten. Den Stoff allerdings haben wir von einem römischen Händler gekauft.“
    Nun, eigentlich von einem Germanen, der mit dem römischen Reich Handel trieb und seine Waren dann wieder an seine Landsmänner verkaufte. Aber zum einen interessierten solche Kleinigkeiten nicht, waren für die Fürstin weit weniger schmeichelhaft, als wenn es wirklich römischer Stoff wäre, und so gut waren Elfledas Sprachkenntnisse nun auch wieder nicht.
    “Allerdings kann es kaum mit den wunderschönen Kleidern mithalten, die die Römerinnen tragen. Allein dein Kleid ist sehr… bezaubernd. Die Farbe ist so leuchtend und klar. Und der Stoff sieht so leicht und fein aus.“
    Die zweite Lektion, die sie von Rodewini gelernt hatte: Schmeicheln. Auch wenn ihre Sprachkenntnisse auch hier nicht für unterschwelligeres Lob ausreichten.

    Lando zog sich aus und rannte dann zum Wasser. Es spritzte nach allen Seiten, als er hineinsprang und erstmal untergetaucht war. Elfleda grinste ihm hinterher und lachte, als er auftauchte und erstmal Wasser in einem gekonnten Strahl ausspuckte. Als er sie dann aber aufforderte, ebenfalls ins Wasser zu kommen, verschluckte sie sich beinahe an ihrem Lachen.
    “Wie jetzt? Ist das nicht zu tief?“ Er wusste ja, dass sie nicht schwimmen konnte, und im ersten Moment stand Elfleda total auf dem schlauch und kam nicht darauf, dass es gerade deswegen ja sein sollte. Erst nach einigen Sekunden dämmerte ihr, was hier geplant war, und sie versuchte, abzuwinken.
    “Sollten wir damit nicht vielleicht lieber noch ein wenig warten?“

    Eines hatte Elfleda in ihrer jungen Ehe schon gelernt: Lando war kein Mann großer Worte. Wenn man etwas von sienen Plänen wissen wollte, musste man sie ihm regelrecht herauskitzeln, und selbst das gestaltete sich schwer, wenn man nicht wusste, dass er etwas plante.
    So war es auch heute gewesen, als er meinte, sie wollten ausreiten. Natürlich sagte er nicht wohin und weshalb, sondern taperte wie selbstverständlich schon zum Reittierstall, während Elfleda noch überlegte, ob reiten während der Schwangerschaft denn so eine gute Idee war. Nun, solange sie nicht wie wild durch die Gegend trabten, sollte es eigentlich gehen. In ihrer Familie verloren die Frauen die Kinder eigentlich nie frühzeitig. Bei der Geburt starben einige, oder in den ersten zwei Jahren, aber vorzeitige Abgänge gab es eigentlich eher selten. Und auch Elfleda fühlte sich eigentlich ganz kräftig und wollte sich diese Chance nicht entgehen lassen.


    Und so waren sie ausgeritten. Elfleda hatte zum Glück ein friedliches Reittier, denn auch wenn sie reiten konnte, wilde Galoppsprünge waren nicht so ganz ihre Welt. Da war ihr ein ruhiges Pferd viel lieber als ein feuriger Draufgänger, den sie kaum bremsen konnte.


    Und schließlich waren sie an einem schönen Fleckchen Erde angekommen, an einem See. Hätte Elfleda auch nur geahnt, was Lando vorhatte, hätte sie jetzt schon versucht, zu protestieren. Aber sie ahnte nichts böses und besah sich stattdessen einfach das Stückchen Land um sie herum.
    “Es ist wirklich wunderschön hier. Ich hab schon fast vergessen, wie der Wald riecht.“ Und sie nahm einen tiefen Atemzug, wie um es zu unterstreichen. Hier fühlte sie sich hundertmal wohler als in der Stadt.

    Im ersten Moment verwirrte Landos Frage sie tatsächlich ein wenig. Natürlich kannte jede Frau einige Hausmittelchen. Ärzte als solches gab es schließlich nicht, und jedes Mal den Goden oder eine Kräuterfrau konnte man ja auch nicht rufen, nur weil mal wieder ein Kind Schnupfen hatte. Und auch das Vieh war ständig irgendwo krank. Zwar hatte Elfleda aufgrund ihres Standes da doch gewisse Vorteile, so dass sie sich nicht so sehr damit auseinandersetzen hätte müssen, aber dennoch kannte sie alles, und sogar sehr gut. Es hatte sie einfach interessiert und ihr in ihrem Dorf eine Beschäftigung gegeben. Und sie war gut darin gewesen.
    “Nun, so schlimm ist es bei ihr denke ich nicht aber… es ist mir aufgefallen, wenn sie sich anstrengt. Sie scheint ein wenig kurzatmig zu sein, und besonders kräftig ist sie auch nicht.“ Sie wollte Lando ja nicht beunruhigen, und sie wollte ihre neugewonnene Cousine sicher nicht schlechtmachen. Aber in dem fall half es ja nichts, um die Sache groß herumzureden. “Ich kenne das Fieber, von dem du sprichst. Es ist das, das Frauen von innen verbrennt, nicht? Das nicht auf andere übergreift? Die Base meiner Mutter ist auch an so einem Fieber gestorben.“ Es passierte nicht oft, aber manchmal fraß sich so ein Fieber in einer Frau fest und mergelte sie von innen aus. Sie wusste da auch nur Mittel, die den Verlauf linderten, aber heilen konnte Elfleda das auch nicht.
    “Wenn das in unserer Sippe öfter vorgekommen ist, sollten wir sie vielleicht wirklich ein wenig kräftigen und abhärten. Fieber trifft meistens nur Kinder, Alte und Schwache.“
    Und ich hätte endlich wieder was zu tun, schoss Elfleda noch durch den Kopf. So völlig ohne Ziel durch den Tag zu gehen entsprach einfach nicht ihrem Naturell. Nur hatte sie hier noch keine Beschäftigung gefunden.

    Da konnte Elfleda nur den Kopf schütteln. Wie sollte es göttergefällig sein, wenn eine Frau allein lebte? Wie sollte das bitte gut gehen, wenn sie sich um Haus und Hof nur für sich allein kümmerte, nicht für die Sippe und den Mann an ihrer Seite? Die Römer hatten schon sehr abstruse Vorstellungen, oder einen enormen Überhang an Frauen, dass sie sich so etwas leisten konnten.
    Aber das schlimmste daran war, dass Callista im Brustton der Überzeugung auch meinte, dass sie nie wieder heiraten würde, wenn Witjon stirbt. In diesem Moment merkte Elfleda erst richtig, wie weit ihre beiden Welten voneinander weg waren. “Und was machst du, wenn er jung stirbt, bevor ihr Kinder habt?“ Elfleda konnte es ja verstehen, dass eine alte Frau von über 35 nicht wieder heiraten wollte. Dann könnte sie vielleicht noch 2 oder 3 lebende Kinder bekommen, aber der Körper war dann schon fast über die Zeit hinaus. Dass eine Frau dann einen ruhigen Lebensabend genießen wollte, vielleicht sogar richtig alt werden wollte, das konnte sie sehr gut verstehen. Aber doch nicht jetzt in ihrem Alter, wenn man noch keine lebenden Kinder hatte. “Nie ist eine sehr lange Zeit, Callista.“
    Elfleda widmete sich wieder dem Unkraut. “Bei uns wird auch getrauert, und in der Zeit wird nicht geheiratet. Man wartet auch ein Jahr, in etwa.“ Allerdings diente dieser Brauch eher der Tatsache, um sicherzugehen, dass kein Kind mehr vom verstorbenen Mann kam. Eine Frau, die von einem anderen Mann schwanger war, durfte nicht heiraten, das war ungültig. In einigen Stämmen schwor die Sippe der Frau sogar darauf, dass diese von keinem anderen Manne schwanger sei, um die Verlobung gültig zu machen. “Aber danach heiraten die meisten Frauen, oft jemanden aus der Sippe des verstorbenen Mannes. Es ist nicht gut, wenn eine Frau allein bleiben muss.“


    Auf Callistas Vorschlag hin, dass sie sich gegenseitig mit der Sprache helfen könnten, lächelte Elfleda dann aber wieder. Sie hatte sogar eine Idee. Sie überlegte kurz, und sprach dann in Callistas Muttersprache – oder versuchte es.
    “Wir tun das. Ich spreche Latein, und du Antwort… antworten… ich antworte, du antwortest… du antwortest in meine Sprache. Dann wir beide lernen… nein, dann lernen wir beide. So.“ Sie glaubte, es war einigermaßen richtig. Und hoffentlich verständlich. Aber wenn die beiden Frauen unter sich waren, taten sie so beide etwas für ihre Weiterbildung, und niemand musste sich für falsche Worte oder Satzbaufehler schämen, da der andere mindestens genauso viele machte.

    So langsam begann man, etwas zu sehen. Elfleda war sich nicht sicher, ob sie das freuen oder doch eher ärgern sollte. Natürlich war sie stolz darauf, dass sie ein Kind bekam, aber sie hatte auch ihre schlanke Figur eigentlich recht gern. Und nun stritt sich die Eitelkeit mit dem Stolz, was wichtiger wär.
    An diesem heutigen Tag hatte die Eitelkeit gewonnen, wenn auch nur knapp. So hatte Elfleda eines ihrer besten Kleider angelegt – in sattem Grün und mit aufwendigen Stickereien – und kaschierte ein wenig ihren beginnenden Schwangerenbauch. Neben ihrem Mann, der sich beharrlich geweigert hatte, anzuziehen, was sie ihm hingelegt hatte, sah sie vielleicht etwas zu majestätisch aus mit dem geflochtenen roten Haar und dem Goldschmuck. Angesichts der anwesenden römischen Frauen aber mit ihren kunstvollen Frisuren, teuren Kleidern und Kosmetika wohl aber doch eher wie ein Mädel vom Land.

    Keine Geschwister? Gar keine? Nichtmal welche, die dann gestorben waren? Elfleda schaute Callista einen Moment in etwa so an, als hätte diese gesagt, der Mond bestünde aus grünem Käse. Und selbst das wäre in Elfledas Ansicht wahrscheinlicher gewesen, als dass ein Mensch keine Geschwister hatte.
    “Hat die Sippe deiner Mutter keinen Mann mehr für sie gefunden? Oder die Sippe deines Vaters? Hatte er keine Brüder mehr oder Vettern, die sie geheiratet hätten?“
    Dass eine Frau nicht zurück zu ihrer Sippe ging, das verstand Elfleda ja. Meistens hatte sie ja schon Kinder, die in der Sippe ihres Mannes aufwuchsen, und so blieb sie mit diesen dann in der vertrauten Umgebung. Aber normalerweise war dann auch immer schnell ein Mann da, der eine noch gebärfähige Witwe heiratete. Immerhin war die Frauensterblichkeit aufgrund der Strapazen der Geburt nicht kleiner als die der Männer aufgrund von Krieg. Da durften schlichtweg keine vorhandenen Ressourcen so verschwendet werden.
    Elfleda schüttelte einfach nur den Kopf und widmete sich wieder dem Unkraut. Zumindest solange, bis Callista auf die Idee kam, Ragin könne ihr Latein beibringen. Skeptisch sah sie zu ihrer Schwägerin auf.
    “Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist.“
    Zum einen sollte Callista vernünftig germanisch lernen. Und zum anderen wollte sich Elfleda nicht unbedingt die Blöße geben, sich von einem Jungen, dem noch nichtmal ein Bart wuchs, irgendwelche lehrerhaften Vorhaltungen machen zu lassen. Sie verstand ja auch ganz gut, mit ein wenig Übung würde es mit dem Sprechen schon werden.
    “Wenn du möchtest, kannst du mir ja ein wenig beibringen.“ Da Callista auch eingeheiratet war, war das doch weit weniger peinlich.

    “Habe, nicht bin“, korrigierte Elfleda eher beiläufig und nicht im mindesten tadelnd. Aber Callista sollte sich die falsche Wortwendung nicht angewöhnen. Sie wusste selbst, wie schnell man sich sowas falsch einprägte, und dann in einem unpassenden Moment sagte man dann zu jemand wirklich wichtigem totalen Blödsinn. Nein, lieber gleich berichtigen.
    “Und ja, mir ist ziemlich langweilig. Lando bemüht sich zwar das zu ändern, aber weil ich nicht so gut Latein spreche und die Römer nur seltsame oder schwere Arbeiten haben, gibt es nichts, was ich wirklich tun könnte. Nicht wie daheim. Da hatte ich allein mit meinen Geschwistern jede Menge zu tun.“
    So ein wenig bedauerte Elfleda es, dass sie niemanden mehr zum herumscheuchen hatte. Sie gab sich gern wissend und gönnerhaft, aber hier ging das absolut nicht. Hier hatte es für jeden eine Aufgabe, die derjenige auch perfekt beherrschte, nur für sie nicht. Sie fragte sich, ob sich das vielleicht mit dem Kind dann ändern würde. Auf jeden Fall brauchte sie auf lange Sicht mehr zu tun als nur den Kräutergarten.


    Und dann kam das Gespräch auf Götter, und Elfleda verzog etwas missmutig das Gesicht. “Ja, in den Tempeln aus Stein…“ murmelte sie fast schon mehr zu sich. Sie fragte sich, warum Lando das erlaubt hatte, dass Phelan das machte. Für sie war es gegen die Natur der Dinge, Götter in Stein zu hauen. Was waren das für komische, kleine Götter, die sich in Häusern aus Stein einsperren ließen? Die Götter wirkten an heiligen Plätzen in der Natur, die sie selbst erschaffen hatten! Nicht in irgendwelchen Häusern, die Menschen gebaut hatten. Auch wenn es schöne Häuser aus teurem Stein waren.