Hinten im Atrium, da trappelte etwas. Es war Piso. Dem Flavier hatte man über die Ankunft seiner Schwester berichtet. Zuerst hatte man es ihm so gesagt, deine Schwester ist da. Nigrina, dachte sich Piso zuerst. In einem Anfall von Wahn kam ihm sogar Vera in den Sinn. War seine Schwester hier, auferstanden von den Toten? Damit alles wieder so werden würde wie früher? Nein, Herr, antwortete ihm der stämmige kleine Sklave, der ihm die Nachricht mitteilte. Domitilla.
Domitilla. Lange schon hatte Piso diesen Namen nicht mehr gehört. Ja, da war so eine Halbschwester von ihm. In Aquileia. Nur, ihm selber war sie bisher keine Schwester gewesen. Hatte er sie gesehen? Vielleicht zwei- oder dreimal in seinem gesamten Leben. Ja, Schwester. Wenn auch nur biologisch und wohl auch juristisch. Und selbst da nur halb. Das Produkt einer weiteren Liebschaft seines Vaters. Eine Hortensia, die er nicht umgebracht hatte, sondern ihm nur weggelaufen war, weise, würde Piso annehmen.
Die unbekannte Schwester... könnte man nicht Ähnliches sagen von Nigrina? Nigrina... jaja, sie. Er sollte sie mal besuchen gehen. Und ihr ein Entschuldigung abliefern. Das wäre vielleicht ganz angemessen. Für Nigrina... Nigrina, die er als Veraersatz wollte. Nun, er würde bald heiraten, und Prisca würde sicher auch gut die Rolle einer Vertrauten einnehmen. Sehr gut sogar. Aber sie war halt keine Schwester.
Im Gegensatz zu Domitilla übrigens, und so schloss sich der Gedankenkreis des Flaviers wieder.
Fast wäre er jedoch umgekehrt, als er seinen Vater sah. Natürlich war sein Vater hier, es war irre gewesen, ewas anderes anzunehmen! Sein Vater war hier mit seiner Tochter, welch wunderbare Familie. Nur ins Bild passte es, dass Piso die Angst, vor seinen Vater zu treten, seinen Vater, den er einst von sich gewiesen hatte, den er geschlagen hatte, den er nie wieder Vater nennen wollte. Seinen Vater, der ihm seiner Mutter beraubt hatte. War das alles Geschichte und begraben? Es wäre schön, wenn. Nur leider war das Leben selten so schön. Viele unästhetische Dinge gab es, Dinge, die Piso ausbügeln wollte. Aber es doch nicht schaffte.
Er atmete tief Luft und stellte sich zu seinem Vater hinzu. “Salve, Vater“, machte er. Er nannte ihn Vater, ja, im Widerspruch zu dem, was er Aetius damals gesagt hatte. Widersprüchlichkeit, das war aber ein Wort, das auf Piso, das auf die Flavier allgemein gut zutraf.
“Salve, Domitilla“, machte er dann auch zu seiner kleinen Schwester. Sie war ein hübsches junges Ding. Noch zu jung, um zu heiraten. Vielleicht war sie netter als Nigrina. Vielleicht würde sie ihn verstehen, ihn, Piso, der sich danach sehnte, dass man die Brillianz seiner Gedanken erkannte.
“Weißt du, wer ich bin? Ich bin dein Bruder. Aulus. Aulus Flavius Piso“, fügte er hinzu, nur als Erklärung. “Willkommen in der Villa Flavia in Rom.“ Der künstlerische Wirrkopf lächelte seiner Schwester zu, während seine Gedanken sich schon längst um die Implikationen ihres Erscheinens hier in Rom kreiselten.