Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Piso nickte, er schien durchaus zufrieden. “Sehr schön. Wunderbar. Vielen Dank. Dann werde ich mal mit den Primicerii sprechen und von jedem so viele Notarii abziehen, wie ich brauche. Keine Sorge, nur so viele.“ Piso wusste eh schon, wen er zu nehmen hatte. Von seiner Zeit als Primicerius hier hatte er noch einige Klienten unter den Notarii auf der Kanzlei, durch welche er im Bild gehalten wurde über die Abläufe am kaiserlichen Hof ohne Kaiser.
    “Dann gehe ich mal mir ein paar Leute holen und beginne alsbald. Die Zeit drängt.“ Er nickte freundlich, leerte sein Getränk und stand auf. “Danke nochmal und vale.“

    Und es kam am Tag nach dem nächsten Tag wieder Aulus Flavius Piso, geschniegelt und gebürstet, in seinen saubersten und kostbarsten Gewändern, und grüßte den Prätorianer. “Salve. Aulus Flavius Piso mein Name. Ich bin der Quaestor Principis und war schon vor 2 Tagen hier. Ich habe einen Termin beim Kaiser. Kannst du mich bitte vorlassen? Und ja, ich weiß, ihr müsst mich untersuchen, also macht ruhig.“ Er weitete seine Arme aus und wartete auf das unweigerlich folgende Betatschen.

    Als braver Klient war Piso natürlich auch hier. Da zur Zeit eigentlich nichts anstand und Piso auch mit Arbeit voll eingedeckt war – diese Volkszählung war eine Sache, die wirklich schlauchte – war er im Grunde nur hier, um kurz mal salve zu sagen und dann wieder zu gehen.
    Doch es sollte anders kommen. Noch bevor Piso bei Macer angelangt war, hörte er diesen. Er reckte seinen Kopf, um zu sehen, was vor sich ging. Aufmerksamkeit? Was konnte das denn sein?

    Unbenommen der harschen Worte, die seine Schwester ihm entgegengeschleudert hatte, war er sich ob seiner Courage, Trauer zu tragen, recht toll vorgekommen. Dieses Tollheitsgefühl erblasste angesichts des Ducciers. Piso, der sich nur mit Müh und Not davon abgehalten hatte, Vala einfach kurzerhand rauszuwerfen, merkte, wie sein Vater sich wunderte über seine Aufmachung, aber nichts verlautbaren ließ. Er ließ es bereitwillig über sich ergehen, sogar mit einem Lächeln, dass Aetius Nigrina ihm abnahm und sie zu Lupus führte. Respektvoll wartete er eine Sekunde, bevor er auf leisen Füßen Aetius hintendrein dackelte. Ein etwas bedauernder Blick fiel auf die Begleiterin des Ducciers, bevor jener einen Blick erhielt, in dem sich ganz eindeutig Ablehnung widerspiegelte. Die Versuchung war groß, noch unterwegs zu Axilla zu treten und sie auf ihre Aufputzung hin anzusprechen, jedoch hielt er sich noch zurück. Noch. Denn nun gab es um vieles Wichtigeres.
    Er beeilte sich, seinem Vater hinterherzukommen, wäre dabei fast gestolpert, und kam hinter ihm zu stehen, als sein Vater den Aurelier ansprach. Wie affig der Aurelier seinen Vater und seine Schwester ansprach, Piso hätte ihm am Liebsten eine gewischt. Dieser Heini! Und er sollte Nigrina bekommen! Wie übel es war, der Patria Potestas zu unterstehen. Oh, wie hätte er die Sache abgeblockt, wäre Vater da nicht gewesen. Na gut, vielleicht hätte er doch noch sein Handtuch geworfen. Aber nie so schnell, wie er am Abend nach diesem Theater sowohl auf der Bühne wie auch in den Zuschauerrängen Nigrina sehr unwirsch sagte, nein, anbrüllte, sie solle doch tun, was sie wollte. Und jetzt standen sie also da, und innerlich kroch eine leichte Kälte in Piso hinauf. Oh der Antiästhet! Von allen Männern Roms gerade der. Fortuna schien einen seltsamen Sinn für Humor zu haben.
    Genug der Süßholzraspelei, dachte er sich. Er hüstelte zögerlich. “Ähm, bevor wir beginnen“, machte er mit gedämpfter Stimme, leicht gesenkten Kopfes, schließlich musste nicht jeder wissen, wovon er sprach, “es ist mir wirklich peinlich, Aurelius, aber ich würde dich gerne um etwas bitten. Auf dieser Feier treibt sich ein Germane, ein gewisser Duccius Vala herum, er dürfte von dir eingeladen sein. Denn ein Flavier hat den sicher nicht eingeladen.“ Er schaute auf und blickte dem Aurelier geradewegs in die Augen. “Dieser Germane ist ein gefährliches Subjekt. Ich nehme dir sicherlich nicht übel, dass du ihn geladen hast, schließlich weiß er seine niederträchtige Art und Weise gut zu verbergen“, beeilte er sich zu versichern. “Aber mir gegenüber hat er schon sein wahres Gesicht offenbart, und ich weiß, dass er nichts Gutes im Schilde führt. Aus diesem Grund habe ich ein unbezwingbar schlechtes Gefühl in mir drinnen. Deshalb möchte ich dich fragen, ob es möglich wäre, ihn zu entfernen? Nicht dass er noch ein Unglück provoziert oder die Pax Deorum stört.“ Neugierig, ein bisschen abschätzend, war sein Blick. Mal sehen, wie Lupus auf sowas reagierte. An seinem Ton würde sich Lupus nicht stören können, schließlich hatte Piso sich Mühe gegeben, in einem freundlichen Tonfall zu sprechen. So schwer es ihm auch gefallen war. Hier ging es um den Inhalt, und wie der Aureier drauf ansprach.

    Zitat

    Original von Aurelia Prisca
    "Du hier?! … Ich … " "Danke ..."


    Ihre Schulter einfach nur zu berühren, nicht mehr zu tun als dies, das alleine verlieh dem Flavier ein Gefühl von innerer Genugtuung. Sie endlich wieder sehen, sie endlich wieder berühren... denn der, der es zu verhindern gewusst hatte, dass Piso und Prisca sich je wiedersehen würden, der lag nun auf dieser Bahre. Kurz schielte Piso zu Corvinus und Celerina hin. Irgendwie erinnerte es ihn, wie er sah, wie die beiden hier lagen, an Vera, und sein Herz zog sich zusammen. Er wusste nicht genau, was geschehen war, nur, dass Celerina irgendetwas mit dem Nemoralia-Skandal zu tun gehabt hatte, und dass Corvinus darin versagt hatte, seiner Frau beizustehen. Das sah so einem Kerl ähnlich. Große Töne spucken von wegen du bist unwürdig, du wirst Prisca nie behüten können, du wirst ihr ein schlechter Ehemann sein, und sich dann selbst als Versager von monumentalen Ausmaßen entpuppen. Tja, so war die Welt um einen Hypokriten ärmer. Man konnte ihm höchstens zugute halten, dass er für seine Omission die folgerichtigen Konsequenzen gezogen hatte, denn das er das aus Liebe getan hatte, glaubte Piso nicht einmal eine Sekunde. Der Quaestor würde natürlich bedrückte Miene vorschützen, Priscas wegen, hatte diese doch ihren Onkel wirklich geliebt, aber seine Gesichtszüge würden ausschließlich Trauer um Celerina widerspiegeln. Sie hatte es nicht verdient, so zu sterben. Nicht so.
    Sein Cognomen erklang aus ihren Mund, als sie sich umdrehte, und obwohl die Intonation eher unhübsch war, könnte sich Piso nicht vorstellen, dass er etwas lieber auf der ganzen Welt hören wollte wie dies. Ihm fiel auf, sie benutzte seinen Cognomen, im Gegensatz zu ihren Briefen, wo sie ihn mit Aulus betitelt hatte. Nun gut, es war wohl so, weil sie hier nicht alleine waren, dass sie ihn als Piso ansprach, denn es wäre durchaus unschicklich, ihn jetzt in dieser Situation mit dem Praenomen anzusprechen. Oder vielleicht doch nicht? Nun, Piso vertraute einfach einmal Prisca, dass sie wusste, was die Aurelier rund um sie erwarteten. Sie hatte einen schwarzen Seidenschleier an, Piso fragte sich, ob sie dadurch etwas sehen konnte. Er konnte ihr Gesicht nicht so gut erblicken, und fragte sich innerlich, was Prisca bewegt haben mochte, ihr Gesicht zu verhüllen, verhüllten römische Schleier für gewöhnlich doch nur die Haare. Aber fein.
    “Ja, ich bin hier, bei dir“, entgegnete er leise und lächelte. Wenn sie doch nur ihren Schleier vom Gesicht nehmen würde, sodass er ihres Antlitzes in seiner ganzen Pracht ansichtig werden könnte! So blieb es seiner Imagination überlassen, sich vorzustellen, was sich auf ihrem Gesicht abspielen mochte.
    Plötzlich erschienen ein paar Tupfer auf der Seide, als ob es von innen hinanregnen würde. Aber freilich tat es das nicht. Es mussten Tränen sein. Tränen der Trauer? Oder Tränen der Freude? Danke?
    Gerührt von der Tatsache, dass sie zu weinen schien, grinste Piso kurz verlegen, auch wenn er sich keinen rechten Reim auf ihr Danke machen konnte – es musste dafür sein, dass er hier war! – und ergriff sachte ihre rechte Hand mit seinen beiden Händen, nachdem er es sich verkniffen hatte, sie zu umarmen, auch wenn er dies gerne getan hätte – sie gehalten und fest gedrückt.
    “Weißt du, was geschehen ist?“, fragte er leise und blickte sie unsicher an. “Und... und... weißt du jetzt, wie es mit uns weitergehen wird... [size=6]meine Liebste[/size]?“, setzte er leise hinzu. Nicht jeder musste ihr Gemauschel hören. Auch nicht die Manen und Lemuren der Aurelier, die hier herumkriechen mochten, und zu denen sich nun Corvinus gesellte. Nicht Celerina. Die sowieso in der Villa Flavia aufgebahrt werden hätte müssen. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre. Was es aber nicht war.

    Piso blickte missbilligend auf den Schreiber. “Nein, ich habe keinen Termin. Ich bin der Quaestor Principis“, erklärte er mit Nachdruck, als ob er damit wirklich alles erklären konnte. Als aber die doch sehr freche, zumindest Pisos Empfinden nach, Antwort kam, zuckte der Ästhet zusammen. Sowas Unansprechendes stellte man hier als Scriba ein? “Übermorgen?“, krächzte er. “Ich glaube es ja nicht! Der...“ Was wollte er jetzt sagen? Der Kaiser hat dazusein, wenn es mir beliebt, reinzuschneien? Der Kaiser muss nach meiner Pfeife tanzen? Das konnte er so unmöglich an den Mann bringen. Und so blickte er nur lange auf den Scriba. “Fein. Übermorgen.“* So käme er vielleicht dazu, Aristides in Baiae zu besuchen, das wäre eine feine Sache, dachte er sich.


    Sim-Off:

    *Und da du vorgestern geschrieben hast, werde ich noch heute wieder andampfen. :D

    Was keiner von den Herrschaften, die sich ins Tablinium hineingezwängt hatten, bemerkte – wie denn auch – war ein kleiner, unscheinbarer Sklave, der an der Türe herumstand, ohne sich zu bewegen, fast wie ein Stock, wie eine Statue. Er hatte eine klare Anweisung. Warten darauf, dass genügend Gäste sich eingefunden hatten. Er hatte Diskretion, zu bestimmen, wann das war. Dabei bewegte er sich auf dünnem Eis – er konnte weder zu lange noch zu wenig lange warten. Es musste der perfekte Zeitpunkt sein. Diesen sah der kleine, unscheinbare, absolut unbemerkenswerte Sklave nun gekommen.
    Diskret und leise öffnete er die Türe vom Tablinium zum Triclinium und machte diese ebenso vorsichtig wieder zu hinter sich.
    Denn im Triclinium, dort saßen Piso und seine Schwester. Piso würde es sicher nicht nehmen lassen, seine Schwester in das Tablinium zu führen, seinen Besitzanspruch noch einmal geltend zu machen. Der Sklave huschte zu Piso und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dieser nickte und stand auf, bevor er Nigrinas Hand ergriff.
    “Es ist soweit. Gehen wir.“
    Piso hatte sich um seine Aufmachung Gedanken gemacht. Freilich trug er eine kostbare Tunika, die eindeutig widerspiegelte, dass er der Schicht der reichsten Römer angehörte und zudem eine Ader für „ästhetisch“ ansprechenden Pathos besaß. Sie war weiß, als ob er für ein Amt kandidieren würde, allerdings hatte sie an den Nähten und den Ärmeln orangefarbene Verzierungen. Darüber trug er eine nachtschwarze, ihm etwas zu große und deshalb besonders dramatisch wallende und in Falten gelegte Toga.
    Mit seiner Trauertoga wollte er vordergründig natürlich seine anhaltende Trauer über den Tod seiner Schwester und seines besten Freundes ausdrücken. Hintergründig aber ging es aber um die Heirat per se. Piso war mit ihr nicht einverstanden. Sie grämte ihn. Ja, aus diesem Grund trug er auch eine Trauertoga.
    Die Tür wurde aufgestoßen. Der Sklave, vorher so unscheinbar, entpuppte sich als der Besitzer eines lauten Organs, als er in die versammelte Mannschaft hineinrief: “Macht Platz! Macht Platz für die zu Verlobende!“ Durch die nun hoffentlich entstandene Lücke schritt Piso zusammen mit Nigrina, zu ihrem Vater hin. Der Flavier ließ seinen Blick dabei umherschweifen.
    Sein Patron fiel ihm auf. Er lächelte ihm zu. Es war gut, diesen Mann hier zu sehen, es gab ihm ein wenig mehr Sicherheit. Zeitgleich fiel ihm Tiberius Durus auf, neben seinem Patron einer der eminentesten Männer Roms und das de-facto-Oberhaupt eines Collegiums, bei dem er sich Hoffnung machte, irgendwann einmal aufgenommen zu werden. Auch er bekam ein leichtes Lächeln und ein Zunicken. Ebenso wie Gracchus und Flaccus, seine Verwandten.
    Sein Blick traf kurz Axilla. Er war schon im Begriff, der Witwe seines besten Freundes auch zuzulächeln, da erst wurde er ihrer Aufmachung gewahr. Diese Frau sollte in Trauer einhergehen! Was mache sie in so einem Taschentuch von Kleidchen hier? Dabei schwärmte sie doch immer von ihren großartigen Ahnen – aber wie würde es wohl Lucius Iunius Brutus (der Consul, nicht der Mörder) im Elysium betrachten, würde er sehen, dass seine Nachfahrin so rumlief? Eine falsche Bewegung, und schon würden die sakrosanktesten Organe einer Frau ihr offenliegen... nicht, das Piso etwas dagegen hätte. Aber er fand ihre Aufmachung sehr daneben.
    Ein Blick streifte Lupus. Ganz professionell bleiben, dachte er sich. Ganz professionell und ruhig bleiben. Er konnte Lupus nicht leiden mögen, aber das tat jetzt nichts zur Sache. Mit der Heirat würde nun ein Bündnis geschlossen werden, und das würde auf ganz unemotioneller, wie gesagt professioneller Ebene ablaufen. Vielleicht würde es Piso sogar etwas nützen, der Schwager dieses Mannes zu sein. Irgendwann.
    Derweil fiel sein Blick auf zwei junge Damen. Es war abgedroschen, zu sagen, sie gleichten sich wie ein Ei dem anderen. Schließlich gab es Unterschiede bei Eiern – niemand würde ein Wachtelei mit einem Straußenei verwechseln, niemand ein Fischei mit einem Hühnerei. Sagen wir, sie sahen komplett gleich aus. Zwillinge. Und beide waren... genau! Aurelia Flora! War das sie in doppelter Ausführung? Unglaublich! Dem musste er beizeiten noch nachgehen.
    Und dann sah er das Subjekt. Das Insekt. Die grauenvolle Kreatur. Den Duccier. Unverkennbar, dieses lange Elend ragte über alle Köpfe hinweg. Wer zum Henker hatte den eingeladen? Hätte Vala sich hingesetzt, hätte Piso ihn nicht gesehen. Aber so sah er ihn deutlich. Das musste dieser verdammte Lupus gewesen sein. Wer glaubte er, dass er war? Piso drückte seine Kiefer zusammen und unterdrückte seinen Ärger zumindest ein paar Sekunden lang, die Sekunden, die er brauchte, um seinen Vater zu begrüßen. Ganz professionell bleiben.
    “Salve, Vater“, machte er. “Es ist doch schön, dass auch zu Trauerzeiten wie diesen es noch Analss gibt, sich zu freuen“, floskelte er und grinste etwas ungeschickt. “Aber verzeih mir. Nur eine Sekunde. Es gibt da was... Ajax? Ajax! Komm einmal!“ Er flüsterte dem bärenhaften, riesigen, enorm starken Sklaven, der als Custos Corporis und Rausschmeißer fungierte und bequemerweise in der Nähe gestanden war, und wollte ihm etwas ins Ohr flüstern. Schmeiß den Duccier raus, wollte er ihm einflüstern. Doch dann hielt er inne. Nein. Das konnte man auch anders machen. Und dabei konnte man auch diesen Lupus ein bisschen testen, abtasten, sehen, wie er drauf war. Natürlich wusste Piso schon, dass Lupus eine Kanaille war. Nur, war er eine kooperative, oder musste man da nachhelfen? Er tätschelte dem Sklaven also einfach nur, ohne was gesagt zu haben, auf den Rücken und wandte sich wieder seinem Vater zu.
    “Wann beginnt den die Zeremonie?“, fragte er nach, er wusste ja nicht, wie Aetius sich das ausgedacht hatte.

    Er nickte. “Danke“, sagte er und trat zwischen den beiden Wachen durch, ohne sie weiter zu beachten.
    Drinnen angekommen, musste er nicht lange suchen, um einen Schreiber zu finden, der wohl jener war, der darüber entschied, ob Besucher zum Kaiser durften oder nicht. Der Flavier trat ohne großes Federlesen auf ihn zu. “Salve. Mein Name“, sagte er, “ist Aulus Flavius Piso. Ich bin der Quaestor Principis und bin nach Misenum gekommen, da ich gerne mich dem Kaiser vorstellen und mit ihm über meine momentanen Aufgaben sprechen möchte. Ich hoffe, das lässt sich bewerkstelligen.“ Ob der Kaiser ihn abweisen würde? Wohl kaum, dachte er sich, schließlich ging es hier nicht um einen persönlichen Gefallen, sondern um ein ehernes verfassungsrechtliches Prinzip.

    Ob die Welt dunkler schien? Piso konnte nicht recht in seinen Gedanken einordnenen, ob sie das tat.
    Einerseits gab es Celerina. Piso hatte immer großen Respekt gegenüber Celerina gehabt. Für ihn war sie immer DIE perfekte Römerin gewesen. Zu schade, um an einen Kerl wie Corvinus verheiratet zu werden. Sie war eine Frau von Welt gewesen. Eine wirkliche und richtige Dame, wenn Piso jemals eine gesehen hatte. Ja, er hatte sie bewundert für ihre Art. Für ihr Auftreten. Für ihre noble Ausstrahlung. Für ihre Schönheit. Sicherlich, die beiden waren sie nie nahe gekommen. Und doch, sie hatte ihm gesagt, sie würde versuchen, Corvinus zu überreden. Sie würde sich für ihn einsetzen. Für die Erfüllung seiner großen und einzigen Liebe. Ob es soweit gekommen war? Er wusste es nicht. Schließlich hatte er keine Ahnung vom Inhalt des Briefes, den Corvinus an Prisca zu Abschied gegeben hatte.
    Und andererseits gab es Corvinus. Einen großen Antiästheten (und Piso hasste diese Leute, wiewohl er selber definierte, wer zu dieser Kategorie gehörte und wer nicht), mit einer Verachtung für das Konzept der Liebe, welches doch zu den ästhetischsten aller gehört! Ein fürchterlicher Mensch.
    Und so trug Piso seine Trauertoga, die Toga Pulla, explizit nur für Celerina. Natürlich konnte man ihm dies nicht von außen ansehen. Aber, wenn er ehrlich war, er trug sie nur für Celerina. Die Nachricht von Celerinas Tod hatte ihn als ihr Onkel soundsovielten Grades ehrlich erschüttert. Unbenommen seiner Umstände. Die Nachricht vom Tode des Corvinus hingegen hatte ihn kaum berührt. Um ehrlich zu sein, im Gegenteil. Denn was stand jetzt schon zwischen ihm und einer Heirat mit Prisca? Der Rangoberste der Gens Flavia – und das war wohl nun Ursus, den er wirklich schätzte, und von dem er hoffte, dass Ursus das Gleiche von ihm dachte. Schließlich hatten sie sich schon gemeinsam betrunken. Was für einen ehrlicheren Bund konnte es zwischen zwei Männern geben?
    Piso führte Nigrina, seine Schwester, an der Hand. Piso hatte keine Ahnung, ob es Nigrina gefiel, dass er mit ihr Händchen hielt, er tat es trotzdem. Schließlich war er ein Mensch, dem viel an körperlicher Nähe, an Wärme lag. Nie hatten sich Nigrina und Piso mit sonderlicher geschwisterlicher Nähe behandelt. Aber Piso begann mehr und mehr, Nigrina als Ersatz-Vera zu sehen. Ja, Nigrina mochte nicht die Vorzüge haben, die Vera besaß – schließlich war sie nicht vom calpurnischen, sondern von genucischen Blute, was Piso, der seine halbplebejischen Wurzeln immer geschickt zu kaschieren wusste, als signifikant ansah. Wer waren schon die Genucier? Fade Patrizier. Und doch fühlte er sich mehr und mehr zu ihr hingezogen – einfach nur, weil sie da war. Und weil sie sich um ihn scherte. So etwas bekam immer pisonische Dankbarkeit.
    Er löste seinen Griff um ihre Hand. “Du Nigrina... ich werde Prisca suchen gehen. Du kannst ja zu deinem Aurelier gehen. Wenn du magst.“ Nein, Piso gab nicht vor, Lupus zu mögen. Aber Nirgina hatte ihm gegenüber schon verlautbart, dass sie ihn heiraten wollte. Und wer wäre Piso, dass er sich dagegen stemmen würde? Ein kleiner Corvinus. Bah. Ein unwirklich und seltsam liebevolles Lächeln bekam Nigrina von Piso, bevor dieser sich abwendete und seinen Blick umherschweifen ließ.
    Es war nicht schwer, das Objekt der Begierde zu finden. Schließlich stand sie sichtbar herum. Er näherte sich ihr von hinten.
    Also trat er zu ihr hin und legte ihr mit der vorsichtig-möglichsten Bewegung die Hand, nein, nur die Fingerpitzen, auf die Schulter. “Prisca... ich bin’s.“ Sein nervöser Gesichtsausdruck, schon vorher präsent, verstärkte sich ein wenig.

    Elegant, nobel, wie man es von ihr gewohnt war, sah Nigrina aus. Selbst bei einer Trauerfeier ließ sie es sich nicht nehmen, piekfein herausgeputzt zu kommen. Eigentlich bewundernswert.
    Und doch lag es ihm heute ein wenig fern, die Schönheit seiner Schwester zu genießen. Nicht nur, weil das ingesamt ein wenig appetitlicher Gedanke war, selbst für den Schöngeist, der Piso war. Nein, sondern auch, weil Schwärze sein Gehirn umwölkte. Trauer, so sagte man, war vor allem Selbstmitleid – und somit passte dieses Gefühl sehr gut zu Piso. Und ja, der Tod seiner Schwester hatte ihn wirklich getroffen. Bei den Flaviern war familiäre Nähe nichts Alltägliches. Nichts Selbstverständliches. Seinem Vater gegenüber hatte er nie etwas besonderes an Gefühlen gehegt. Seine Mutter hatte er kaum gekannt, doch stilisierte er sie nun empor in seinem Gehirn zu jener Göttin, der besten Mutter der Welt. Dass auch sie ihre Schwächen gehabt hatte – er wusste, dass sie ihren Mann betrogen hatte, zumindest einmal – das verdrängte er geschickt. Denn im Verdrängen war er gut. Das dürfte er von seinem Vater haben. Dann gab es natürlich Leontia, die ältere. Mit ihr hatte er nie sonderlich was am Hut gehabt, im Gegenteil, sie war ihm vorgekommen wie eine Heuchlerin – auf der einen Seite machte sie einen auf Tugend, auf der anderen brachte sie sich in allerlei komische Sachen ein. Und Nigrina... nun, das war tief drinnen in seinem Hirn noch immer die, die die Sandburgen, die er und Archias so mühevoll aufgebaut hatten, zertrampelte aus reinem Jux. Sie war kalt, unnahbar, wenig kollegial. Und da war Vera. Nur 2 Jahre Unterschied lagen zwischen ihm und ihr. Neben Archias war sie das gewesen, was Pisos Kindheit halbwegs lebenswert gemacht hatte. Sie hatte ihn immer verstanden, hatte ihm immer Trost gespendet, wenn er ihn brauchte, hatte ihn in seinen Plänen, in seinen künstlerischen Umtrieben immer unterstützt. Sie hatte sogar seine Musik gemocht, oder aber nur ihm zuliebe vorgegeben, sie zu mögen. Auch sie hatte eine ein bisschen künstlerische Ader besessen, hatte gerne gemalt... auch wenn ihre Bilder nur marginal besser waren als Pisos Musik.
    Oh ja. Er vermisste sie. Er vermisste sie wirklich.
    Und jetzt war da Nigrina. Hier, bei ihm, in Rom. Und er musste sagen, sie hatte sich schon nett um ihn gekümmert, seitdem Vera tot war. Sie war ihm die Stütze gewesen, die er gebraucht hatte, so dringend.
    Und er wollte, dass sie weiterlebte. Er wollte nicht, dass ihm noch eine Schwester wegstarb. Er wollte das nicht.
    Sie sagte seinen Namen, er redete sie voll. Sie erschien erstaunt darüber. Es mochte mehr als nur merkwürdig sein, dass Piso gerade jetzt darauf zu sprechen kam. Aber wann, wenn nicht jetzt, sollte er sonst für die Sicherheit seiner Schwester sorgen?
    “Bitte. Er heißt Shayan. Und er gehört jetzt dir.“ Freilich bräuchte man da noch irgendeine Schenkungsurkunde, aber das könnte Piso dann ja zu Hause einfach machen. Er versuchte sich an einem Lächeln.
    “Das fände ich sehr gut.“ Er genoss, wie sie seine Finger ergriff und hielt. Es war ein schönes Gefühl. Ein warmes. Ein geschwisterliches. Er umdrückte ihre Hände auch ein wenig. Es machte das ganze erträglicher. Den Rummel, den Scheiterhaufen, alles miteinander.

    Oh? Das würde Piso wohl laut sagen können! Und eigentlich tat er es ja auch, nur halt, dass es kein Oh war, sondern ein Ih, und dass er es nicht sagte, sondern brüllte. Markerschütternd. Wie konnte man ihm nur diese Pietätlosigkeit antun? Spucke! Unästhetik destilliert und konzentriert auf eine kleine Masse Flüssigkeit! In seinem Gesicht! Wuäh!
    Piso machte derweil keinen rechten Forstschritt darinnen, die Spucke aus seinem Gesicht zu wischen. Hysterisch fuchtelte er in seinem Gesicht herum, drehte sich einmal gänzlich um die Achse und polterte von Semiramis weg aus dem Bett hinaus. Der harte Boden fühlte sich bei diesem Sturz nicht angenehm an. Nein, rein gar nicht. Piso quakte einen Schmerzensaufschrei und riss das Bettlaken mit soviel Kraft, wie es nur ging, vom Bett hinunter, um damit sich das Gesicht abzuwischen. Umständlich und kompliziert raffte er das Webeprodukt zusammen, und dückte sein Gesicht hinein, heftig herumrubbelnd. Die Spucke verteilte sich regelmäßig auf dem Leintuch, dann und wann feuchte Flecken hinterlassend. Der Flavier drehte das Tuch um und benutzte nun die andere Seite, um sich damit großflächig und peinibelst abzuwischen. Seine Hysterie, die er walten ließ, sorgte noch immer nicht einwandfrei dafür, dass er alles wegbrachte. Aber einiges immerhin. Langsam wurden seine Bewegungen sorgsamer, gewählter, bedachter, al ser sich die letzten Reste der nun über sein Gesicht verschmierten Spucke abtupfte. Oh, wie ihm jetzt nach einem Waschgang war.
    Achtlos ließ er die Decke neben sich zu Boden fallen, bevor er einen Blick zu Semiramis warf. Auf eines war bei Piso Verlass – urplötzliche Stimmungsschwankungen. Wie zum Beispiel auf einen Schlag aufkommende Gewissensbisse. Wie nun.
    Einerseits hatte die Sklavin ihn geschlagen. Wofür, dachte sich Pso dumpf. Andererseits, es war jetzt nicht so rühmlich, was er gemacht hatte. Freilich, er hatte sie bestrafen wollen. Und er hatte Semiramis als (im wahrsten Sinne des Wortes) greifbaren Priscaersatz benutzen wollen. Doch nun, wie sie dalag... schluchzend, wegen ihm... und als er daran denken musste, wie Prisca hier auch liegen könnte, wegen ihm weinend, aus Furcht, aus Abscheu... er schluckte. Das war vielleicht doch keine gute Idee gewesen. Nein, keine gute Idee. Überhaupt nicht. Denn er hatte nichts erreicht... außer, dass er Semiramis gegen sich aufgebracht hatte.
    Beschämt, nicht wissend, was er jetzt sagen sollte, wandte er sich ab. Was sollte er auch sonst tun? Sie zu trösten versuchen? Oh blanker Hohn. Sie ansprechen? Dämlich. Er war hier zu Ende.
    Der Tür wandte er sich zu, das Cubiculum verlassen wollend, das geisterhafte Schluchzen seiner Sklavin hinter sich lassen versuchend. Mit einem raschen Schritt war er dort, öffnete sie, schritt durch und knallte sie hinter sich zu, hoffend, das Kapitel damit beendet zu haben.
    Und doch würde das Schluchzen den ganzen Tag noch in seinem Hirn präsent sein.

    Piso blickte ob der höchst interessanten weinfüllerischen Aktivitäten des Annaeers durchaus befriedigt drein. “Danke!“ Er nahm den Becher und stieß an mit Varus, in Gedanken kurz an die guten alten Zeiten in der Kanzlei verweilend.
    Dankbar nickte er, als Varus ihm versicherte, man käme schon überein. Freilich konnte die Kanzlei nichts ausrichten gegen Vescularius Salinator. Und freilich war dies auch Varus bewusst. So musste man sich arrangieren, leider.
    “Wie lange... nun ja...“ Piso blickte,durchaus grundlos, wie er wusste, schuldbewusst drein. “Ich würde sagen...“ Er überlegte. “Bis es fertig ist...“ Na, das war jetzt einmal eine schlüssige Antwort. Piso blinzelte kurz. “Bis zum Ende meiner Amtszeit womöglich.“ Denn er machte sich kaum Illusionen, dass er es vorher schaffte, wollte aber alles dransetzen, dass er ein befriedigendes Ergebnis am Ende Salinator vorlegen konnte.

    Piso rang sich selber, den Iulier nicht wieder erkennend, mit Müh und Not ein Lächeln ab bei der Antwort, obwohl er dieser Tage insgesamt recht mieser Laune war, und obwohl der Soldat ihn damit volllaberte, dass die Diener ihn nicht durchlassen könnten. Im Hirn nach einem Paragrafen, der Verhinderung der Amtspflicht abdeckte, stöbernd, breitete er seine Arme aus und nickte den Soldaten zu.
    “Dann mach mal. Und hoffen wir, dass die Diener ein Einsehen haben.“ Denn wie unschön wäre es, wäre er umsonst nach Misenum gekommen! Diener. Welcher Monarch gab schon einfachen Dienern die Befugnis, zu ihm zu kommen oder nicht? Das sollte der a libellis tun. Aber der war ja in Rom. Wo der Kaiser ja auch sein sollte. Aber diverse Kaiser gingen ja lieber in der Bucht von Neapolis auf Juchee, siehe Tiberius auf Capri.

    Und so warf Piso also seine Fackel in den Scheiterhaufen hinein. Es zischte, als sie, mit dem Kopf nach unten, geradewegs in das trockene Laub, das zerstreut über dem eigentlichen hölzernen Konstrukt lag, hineindonnerte. Blätter wirbelten auf, wurden vom sich rasch verbreitenden Feuer erfasst, verglühten noch in der Luft, trugen zum sich verbreitenden Feuer bei. Als der Flavier, der die Fackel so gekonnt – oder wahrscheinlicher nur glücklich – in den Scheiterhaufen geworfen hatte, eilends zurücktrat, um nicht ebenfalls vom Feuer erfasst zu werden und folgerichtig als kleine Zugabe zum Scheiterhaufen zu fungieren, hatten die Flammen schon den halben Scheiterhaufen umschlossen. Schon leckten die ersten Flammen an Veras Rockzipfeln, an ihren Haaren, ihren Fingern. Piso schloss die Augen, um nicht dabei zusehen zu müssen. Zumindest ein paar Sekunden. Dann öffnete er sie wieder, blickte aber demonstrativ woanders hin als zum Scheiterhaufen. Sein Blick traf den seiner Schwester. Piso blickte sich verhalten um und trat zu ihr hin.
    Natürlich wusste Piso, dass Nigrina körperliche Berührungen nicht sonderlich mochte. Und das bei einem solch knuddelbedürftigen großen Bruder, der ihr nun am Liebsten um den Hals gefallen wäre und sich an ihr ausgeheult hätte. Oh, wie anders wäre Vera da gewesen. Wie liebevoll hätte sie sich um ihn gekümmert.
    Im Schein der Fackeln glitzerte die Feuchtigkeit, die sich in Pisos Augen angesammelt hatte. Manche würden sagen, verräterisch. Piso aber machte keinen Hehl aus seiner Trauer. Kurz blickte er zu den anderen – zu Gracchus, eine solemne und würdige Gestalt wie immer, dessen tiefgründige Gedanken man ihm nicht an der Nasenspitze absehen konnte, zu Lucullus, der es doch noch zum Begräbnis geschafft hatte, wenn er auch etwas abgehetzt aussah, und wieder zu Nigrina.
    “Nigrina“, machte er leise und stellte sich neben sie hin, sodass er wieder zum Scheiterhaufen hinsah. Der glimmernde Schein blendete seine Augen, sorgte aber dafür, dass er vom verbrennenden Fleisch nichts mitbekam – der Gedanke wäre ästhetisch nicht sehr ansprechend!
    “Ich...“ Er blickte zu Boden und wieder herauf. “Es tut mir Leid. Was ich dir gesagt habe nach diesem Abend im Theater. Es war nicht recht.“ Er seufzte leise, ein Seufzen, dass seine Gewissensbisse einwandfrei wiedergab. “Nigrina... ich habe doch nur Sorgen um dich. Du bist mir halt einfach nicht egal. Ich...“ Er unterbrach sich, strich den Gedanken, ihr zu sagen, dass er sie liebte, auch wenn solch eine kitschige Aussage zu seinem momentanen Gemüt gepasst hätte, aus seinem Kopf, holte tief Luft und fuhr fort. “Du bist doch meine Schwester.“ Ach Herrje, sicher kam der Schmalz nun von den nicht vorhandenen Wänden geronnen, aber Piso war nun, an dieser Gelegenheit, diesem Begräbnis einfach ganz besonders rührselig. “Ich weiß nicht, was ich machen würde, müsste ich dich auch noch begraben. Sei es wegen einer Krankheit... sei es wegen eines Unfalles... sei es wegen eines Verbrechens...“ Besonders der letzte Gedanke behagte ihm gar nicht. “Ich...“ Kurz dachte er nach. Was könnte er tun, um Nigrinas Todesrisiko zu senken? Genau! “Nimm bitte ein Geschenk von mir an. Ein Custos Corporis. Hat mir gute Dienste geleistet. Ein Parther. Er wird dich mit seinem Leben beschützen.“ Er machte eine kurze Pause. “Würdest du ihn wollen?“ Bitte sag ja, dachte sich Piso, der wohl Archias vor Augen hatte, wie er sich beklagte, dass Axilla auf sein Bewachungspersonal für sie mehr als nur allergisch reagierte.

    Blumenvasen und die Vernichtung ihres Inhaltes waren wahrlich noch das geringste Problem, das Piso jetzt hatte! Ein Sklave räumte ebendiese weg, der Flavier bemerkte es nicht einmal, geschweige denn dass er sich an den Namen des Sklaven erinnern konnte – doch letzteres tat nur wenig zur Sache, waren doch die meisten Sklaven in der Villa Flavia eher farblos und für die Herren des Hauses namenslos. Immerhin sorgte das dafür, dass seine Hand, nachdem er aufhörte, den Tisch zu bearbeiten und sein verheultes Gesicht wieder aufrichtete, ihren Weg zum Weinbecher hinfand und sie zu seinem Mund führte, wo wieder eine Fuhre gekippt wurde. Die Tatsache, dass jedes Mal, wenn Piso Imperiosus sah, das ganze irgendwie immer in einem Besäufnis endete, fiel ihm noch auf, bevor sein Verstand endgültig abbrach und er nur noch delirisch rumglotzte, zu nichts mehr imstande als zu trinken, und nochmals zu trinken. Die Worte des Pompeiers beachtete er gar nicht mehr – er war physisch nicht mehr imstande, sie zu beachten –, wiewohl er ihnen recht gegeben hätte. Nicht, dass er sonderlich Lust auf das Begräbnis hätte. Nein, er hatte keine Lust. Aber er fühlte, das war das, was er Archias schuldig war.
    Nboch ein Schluck ging. Dann rülpste Piso ohrenbetäubend. Noch ein Weinbecher.
    Und dann geschah etwas Denkwürdiges.
    Pisos Gesicht kippte nach vorne, traf hart auf das Holz des Tisches auf, und blieb dort schnarchend liegen. Wenn es des Flaviers Intention gewesen war, sich in die Bewusstlosigkeit zu saufen, war es ihm gelungen.

    Piso fing wieder an, gram- und kummervoll vor sich hinzuweinen, als Imperiosus nach einer kurzen Phase des Nachdenkens etwas von Ehre faselte. Der Flavier blickte auf. Aus seinen Augen schien der Wein fast schon zu rinnen. Der Alkohol hatte seinen Augen einen fremden, unwirklichen Glanz gegeben, der dem Pompeier erstrahlte.
    “Ehre. Ehre! Was heißßß Ehre? Ich hawwws doch nur auf misch genommm, weil Axilla... die würdsss versaun! Sie würde... n Chaos drausss machn.“ Er blickte nach unten und rieb seine Lippen zusammen. “Sowas soll professsionell ablaufen.“ Imperiosus würde sicherlich wissen, dass er sich auf seinen Beruf als Septemvir bezog. “V’leisch stimmms ja... ich habm näher gestannnnn als alle anderen.“ Er trank noch einmal einen Schluck Wein. “Wie konnte er nur... WIE NUR?“ Seine Stimme wurde laut, verebbte aber dann in einem Schluchzen. Piso legte seinen Kopf auf den Tisch, flennte auf das Holz hinauf und schlug abwechselnd mit der einen und der anderen Hand auf das Mobilar hinauf.

    “Nur die Erinnerung...“, echote Piso. “Nur diese...“ Er stockte und blickte zu seinem Wein. “Die Erinnerung daran, wie er ausgesehen hat... wie fürchterlich... schlimm... zerschmett...“ Er brach im Wort ab und leerte noch einen Becher Wein, und bevor man es sich versah, noch einen. “Unnnn des Begräbnis... bleibbb... an mir... hänggggg...“ Aus leeren Augen blickte Piso Imperiosus an. “Warum hadda das gemachhhhh... warum nur? Warum...?“ Nass glitzerte es in seinen Augen. “Alles scheiße...“, konstatierte er nicht sehr nüchtern und blickte trübe vor sich hin, bevor er noch mehr Wein zu sich nahm. “Und mies...“ Er hustete leise vor sich hin.

    Piso blickte nicht nur zufrieden, sondern auch selbstzufrieden auf den Sklaven. “Fein.“ Der Sklave würde es sicher niemanden weiterverraten, wenn ihm sein Leben lieb war!
    Bevor Piso den Sklaven wegschicken konnte, fiel ihm auf, dass der Sklave das Wandgemälde hinter ihm bemerkte. Er drehte sich um. Ah, Titus. Ja, Piso war ein Verehrer von Titus, der Gute stand auch in seinem Zimmer. Ein wahrer Ästhet, leider verstarb er viel zu früh, doch regierte er zwei glorreiche Jahre lang.
    “Stimmt, das ist mein Ahn, der Gott Titus“, erklärte er großspurig, auch wenn Ahn nicht ganz einwandfrei zutraf, war das Familiengeflecht der Flavier doch viel vielschichtiger. Und verzweigter. Doch man musste den Sklaven nicht mit komplexen Familienbeziehungen zuplappern. Die würde er ohnehin nicht verstehen. Er musste ohnehin kurz schmunzeln. Das Bild, das der Sklave gab, war zu köstlich. Aber zu „wir“ würde er einfach nie gehören. Einmal nicht bei den Flaviern – es konnte aber gut sein, dass man in der Gens Aurelia jedoch die Zügel zu locker ließ. Weichspüler.
    “Oh ja, das bin ich auch“, trompetete er, bevor er aufmerkte. “Ah, das ist einmal eine sehr gute Idee. Ja, darüber würde ich mich freuen.“ So würde sich zu seiner Büste noch ein Bild hinzugesellen. Titus in Iudaea, ja, die Vorstellung gefiel Piso, obwohl selber hoffnungslos zivilistisch veranlagt.
    “Jaja. Jaja. Nun denn. Wenn es sonst nichts weiter gibt, bist du hiermit entlassen, Sklave.“ Er wedelte affektiert mit der Hand.