Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Piso sah wie gerädert aus, als er auf die Porta der Castra Praetoria zutrat, als habe er sein Tagen nicht mehr geschlafen. Seine schlichte dunkle Trauertoga verstärkte den tristen Eindruck, den der Flavier machte. Nur an den Halbmondschuhen erkannte man seinen Status. Er war zu Fuß gekommen, er präferierte es zu gehen.
    Er stellte sich, mit einer etwas geknickten Haltung, vor den Soldaten hin und machte in ganz normaler, richtig zivilistisch klingender Tonlage, sich nicht darum scherend, ob ihn die Soldaten für einen Schlappi halten könnten oder nicht: “Salve. Ich bin Quaestor Principis Flavius Piso. Ich will mit dem Praefectus Urbi sprechen. Bitte.“

    Der Flavier spitzte seine Ohren, doch was in diese Ohren so akustisch hineingefüttert wurde, war nciht so befriedigend. Piso verzerrte sein Gesicht zu einem gezwungenen Grinsen.
    “Aha. Hmm. Joah. Danke.“ Was sollte er denn damit anfangen, bitte? Da hatte Piso ja noch mehr Ahnung vom Kaiser als Archias! Aber er schluckte seinen Frust, dass Archias ihm auch nichts Weiteres sagen konnte, runter, es war ja nicht dessen Schuld!
    “Muss ich wohl. Also nach Misenum meine ich. Aber zuerst werde ich wohl wirklich zum Praefectus Urbi gehen, schließlich muss man da nicht zu weit latschen.“ Archias wusste vielleicht, dass Piso lieber zu Fuß von Ort zu Ort ging als in der Sänfte; es gab Piso etwas zu tun, besonders, wenn er nervös war. “Qualle, hm, auch kein schlechter Spitzname. Vescularius Quallinator.“ Er grinste über den doofen Schmäh.
    Er zuckte seine Schultern. “Wird es vielleicht. Ich habe ja so einige Aufgaben dann. Aber ich werde es schon schaukeln. Niemand kann dir was Nachteiliges sagen über mein Vigintivirat, es wird also schon laufen.“ Sein Vigintivirat war zwar kein wahres Feuerwerk an Genialität gewesen, aber es war ok gewesen. Der eine oder andere erinnerte sich vielleicht auch noch an die große Bücherverbrennung von Piso. Zumindest war es besser gewesen als das, was manch andere in ihrer Amtszeit so verbrachen.
    Er nickte. “Ich sage dir, da gibt es ein paar richtige Hypokriten. Besonders schlimm sind ja die Auguren. Gib denen genug Geld, und sie labern dir allen möglichen Stuss vom Himmel, damit du zufrieden bist. Och, da habe ich ja einen Blitz gesehen links, welch gutes Omen, ja, natürlich steht deinem Consulat nichts im Wege... Eier. Bei den Septemviri gibt es wenigstens nicht soviel Korruption – wir setzen halt einfach irgendwelche Speisen vor die Götterstatuen hin und räumen sie dann wieder ab. Ich würde sagen, die Pontifices, die glauben wirklich noch dran.“ Er machte eine abfällige Handbewegung, nachdem er Archias seine eigene Meinung über den Stand der Dinge erzählt hatte.
    Piso seufzte tief, ganz tief, als er die Hand auf der Schulter verspürte. “Hmm...“, machte er gedankenversunken. “Hmpf. Um ganz ehrlich zu sein, ich möchte nicht mehr drüber nachdenken. Vielleicht wird es ja helfen, wenn ich Pluto ein Opfer spendiere. Also.“ Er räusperte sich und schüttelte seinen Kopf, als wolle er alle negativen Gedanken aus seinem Kopf schütteln. Schließlich würde er am morgigen Tag ja auf Prisca treffen, diese Aussicht ließ das Leben doch wieder ein bisschen rosiger erscheinen. Er wollte nicht mehr dran denken. Anderes Thema suchen... suchen... irgendwas reden... “Hast du was vor in nächster Zeit? Was Nettes oder so? Wie steht e eigentlich mit dem Junggesellenabschied, haben wir noch vor, den nachzuholen?“

    Piso lachte wieder. Das Lachen klang sorglos und selbstsicher, fast schon überheblich, es ließ nichts von seiner imminenten Stimmungsschwankung erkennen. “Ich werde genau das Richtige machen. Und alles wird frohlocken über die geniale Art und Weise, in der ich diese Sache löse!“ Pustekuchen.
    Piso rückte seinen Kopf ein bisschen zurück und blinzelte mit den Augen. “Sag mal, denkst du wirklich, der Kaiser ist so apathisch über die staatlichen Angelegenheiten, wie man es sich sagt? Ich kandidiere nämlich als Quaestor Principis. Und so werde ich natürlich mit dem Kaiser zu tun haben. Wird der sich überhaupt an mich ranlassen, so angewidert, wie er scheint von der Welt?“ Archias konnte ihm da sicher was sagen, so als Vetter des Kaisers.
    Er kratzte sich am Kopf, bedrückt scheinend, ihm ging das Thema nicht mehr aus dem Kopf. “Na ja. Ich sollte vielleicht doch Pluto opfern. Aber ich weiß nicht, was das bringt. Es ist nicht ganz sicher, zu welchem Ausmaß die Götter sich den Parzen zu beugen haben, die religiösen Quellen sind sich uneins.“ Er zuckte die Achseln. “Sei froh, dass du kein priester bist. Du hast dich mit so vielen Sachen herumzuschlagen... soviele Texte, Rituale, und niemand hat eine Ahnung, wie es ausgeht, wenn man opfert.“ Er schüttelte den kopf, wirkte auf einmal etwas desillusioniert. “Die meisten Priester glauben nicht einmal dran. Also an die Götter. Die machen das nur, damit es politisch gut aussieht.“
    Er blcikte auf. "Auf jeden Fall, vielen Dank. Wegen deines Angebotes. Du bist ein wahrer Freund." Denn Piso zweifelte keinen Augenblick dran, dass das Angebot der Hilfe nicht von tiefem Herzen kam.

    Den Vergleich fand Piso wirklich nicht so schäumend genial, aber er lächelte pflichtbewusst, tapfer, wenn auch traurig. Das nächste Thema war etwas, was Macer natürlich ansprechen würde, und Piso nickte.
    “Natürlich habe ich vor, so schnell wie möglich zu ihm zu gehen. Aber vorerst gibt es noch ein paar Sachen zu erledigen. Ich möchte zuerst einmal mit Vescularius Salinator reden, wenn auch nur, um ihn kennen zu lernen. Außerdem muss ich noch ein geeignetes Dossier für den Kaiser erstellen, und was dazukommt, ist, dass das Collegium Septemvirorum in den nächsten Tagen ein kleines Lectisternium ausrichtet auf Anfrage der Priesterschaft des Apollo hin. Dann aber werde ich umgehend nach Misenum reisen. Und... sollte ich mich als Quaestor nicht auch etwas um die offizielle Chronicusa kümmern?“


    Sim-Off:

    Hier gibt es ein kleines Problem. Octavius Macer hat mich gebeten, ihn erst seine Sache in Misenum schreiben zu lassen, allerdings braucht er noch eine Weile, da auf Urlaub. Also werde ich in der Zwischenzeit mit Piso halt einfach anderes machen, bis der Kaiser dann wieder frei ist.

    Auf die Worte seines Patrons hin nickte er. “Vielen Dank.“ Eine etwas längere Pause kam vor neuerlichen Worten des Purgitiers, worin die beiden eine kurze Schweigepause vergönnt war ob ihres Andenkens. Dann sprach Macer wieder, und Piso blickte ihn dankbar an. “Danke für deine netten Worte. Manche könnten sagen, ich räume der Trauer einen unangemessenen Platz ein, aber meine Schwester stand mir viel zu nahe, als dass ich das nicht könnte.“ Er schwieg wieder kurz seinerseits. “Dienst an den Göttern... ja...“ Die Götter, die mir Vera genommen haben, wollte er hinzusetzen, aber dies mit dem Munde eines Septemvirs zu sagen wäre sogar für Piso eine Stufe zu hanebüchen gewesen. “Wir müssen ihnen, den Schaffern aller Dinge, danken, dass es uns vergönnt war, Flavia Vera unter uns gehabt zu haben. Mögen sie ihr ewige Ruhe im Elysium schenken.“ Er seufzte, lange und leicht gequält.

    Zitternd tasteten Psios Finger über den toten, leblosen Körper seiner Schwester, als ob er nach irgendeinem Lebenszeichen suchte, als ob er versuchte, irgendeinen Punkt an ihr zu finden, den man nur berühren müsste, und dann würde sie wieder auferstehen, so frisch und munter und gesund wie früher. Doch er fand keinen, während er unkontrolliert weinte. Dicke, heiße, salzige Tränen flossen über seine Wangen und tropften auf Veras Bett hinunter, wo sie sich in die weichen Daunen, die nun Veras letzte Ruhestätte darstellten, einsogen, um dort zu verschwinden, zu verdunsten, wie eine Analogie zu Veras Leben, nur, dass dieses Verdunsten viel schneller vonstatten gegangen war als jenes ihres Lebens. “Oh Vera...“, stammelte Piso, während er plötzlich innehielt mit seinen sinnlosen Bewegungen. “Wärst du dch nie nach Rom gekommen. Rom hat dir den Tod gebracht.“ Er ballte seine Hände mit Kraft zur Faust. Da Piso kein besonders starker Mann war, und seine Fingern;agel kurz gehalten waren, bohrten sich jene auch nicht theatralisch ins Fleisch hinein, sondern hinterließen nur kleine Dellen in der Haut. “Ich hätte dich zurückschicken sollen. Ich hätte dich nicht hier belassen sollen.“ Seine Mundwinkel bebten, als er von Neuem aufschluchzte.
    Jede Trauer war im Grunde zu großem Maße Selbstmitleid, und so war es kein Wunder, wenn man Piso kannte, dass er so sehr trauerte. Er hatte Vera einfach geliebt. Weil sie ihn so geliebt hatte wie niemand sonst. Seine kleine Vera, so zart, so zerbrechlich, so wundervoll. Bilder aus Kindheitstagen zogen an ihm vorbei. Manche kitschig-süßlich, manche ernsthaft – wie zum Beispiel, als sie beide als Kinder vorm Grabe ihrer Mutter standen und sich gegenseitig in den Armen lagen und weinten. Piso hätte mehr Zeit mit ihr verbringen sollen, er hätte sie einfach auf seinen Reisen mitnehmen sollen und nicht ihr erlauben sollen, am griechischen Festland ihr eigenes Ding zu drehen. Oh Vera, dachte sich Piso, nie wieder wird es eine wie dich geben, nie wieder. Jetzt hatte er keine Vera mehr.
    Alleine schon dieser Gedanke zwang ihn zu einem erneuerten zwanghaften Aufheulen, welches einer Heulboje zur Ehre gereicht hätte. Er überhörte das Klopfen, er spürte nur, wie sich auf einmal eine Hand auf ihn legte. Er blickte auf aus seinem Jammertal. Es war Nigrina, sie war hier, der Flavier konnte sie schemenhaft aus seinen verheulten Augen erkennen. Piso blickte sie an aus geröteten Augen, seine Lider waren verquollen, seine Wangen tränennass, sein Haar zerzaust ob der vielen Male, während der er sich durch die Haare gestrichen hatte, verzweifelt, Halt suchend und doch keinen findend.
    Mit einer ungeschickten, tollpatschig erscheinenden Körperbewegung stand er auf und blickte ihr geradewegs in die Augen – geradwegs war gut gesagt, Nigrina war um Einiges kleiner als Piso. Dann umschlang er sie mit seinen Armen und heulte in ihre linke Schulter hinein. “Sie ist tot. Sie ist toooooot!“, schluchzte er und durchnässte ihr sicherlich kostbares, aber von Piso nicht wahr genommenes Geschmeide. Langsam hob er seinen Kopf auf. “Was soll ich jetzt bloß machen? Was soll ich denn jetzt bloß machen?“, fragte er in der verheulten und verzweifelten Tonlage eines Mannes, der die Verantwortung für den aetischen Familienzweig der Flavier in Rom hatte, aber keine Ahnung hatte, wie man auf einen Härtefall wie diesen reagierte, und sich deshalb an seine Schwester wenden musste.

    Gedankenversunken trabte Piso weiter. Und weiter. Die Bewegung gab ihm ein Organ, mit der er sich beschäftigen konnte. Wäre er nun in einer Sänfte gesessen, hätte er wieder seine Daumen gedreht und sich in Kissen festgekrallt. So aber konnte er immerhin gehen. Er merkte die Aktivitäten seiner Schwester gar nicht, da er gar nicht zu ihr hinsah, seinen Blick immer stur nach vorne gerichtet, nachdem er ihr diesen Blick gegeben hatte, bevor sie ihn mit bissiger Stimme ansprach. Mit müdem Gesichtsausdruck blickte er wieder zu ihr hin, und ließ ihre Gardinenpredigt über sich ergehen. Er seufzte.
    “Nigrina, was soll ich zufrieden sein? Pah. Dieser Aurelius ist unmöglich. Unmöglich. Kackt auf unsere Gens. Und mir drohen. Mir!“ Verbissen wurde seine Miene. “Wenn ich erst mit Prisca verheiratet bin, wirst du dich ncoh lang und breit mit ihr unterhalten können. Und sag bloß, das Theaterstück war so großartig – es war doch ein Käse!“, war seine Erwiderung auf ihre Vorwürfe, wohl wissend, dass er mit Kritik an den Schaulspielkünsten der Darsteller vielleicht Recht hatte, aber ihre Vorwürfe nur sehr unzureichend beantwortete. Nein, er wollte tatsächlich nicht darüber reden. “Ach ja. Wenn du willst, kannst du ja die Sänfte nehmen.“ Sein Blick glitt nach hinten, wo die Sklaven die leere Sänfte, mit der sie gekommen waren, hinter ihnen dreinschleppten. “Niemand zwingt dich, mit mir zu gehen.“ Aber er wusste, dass dies seine Schwester kaum abhalten würde, ihn noch mehr mit Vorwürfen zu überschütten. Er biss seine Lippen aufeinander und schwieg eine kurze Zeit, bevor er sich an Nigrina wieder wandte.
    “Ach, wegen Aurelius Lupus...“ Er ließ eine kurze Pause. Das sollte er ihr erstens sagen, und zweitens würde er sie sicherlich damit überrumpeln, außer natürlich, sie hatte den Namen schon andersweitig herausgefunden. Und das konnte ganz nützlich sein. “Wie stehst du zu ihm? Ich meine... gefällt er dir? Magst du ihn? Hä? Wie findest du ihn, diesen Lupus? Hä? Findest du ihn toll?“ Er starrte sie mit Augen an, die nun fast schon auf ein Mal, einer seiner frequenten Stimmungsschwankungen folgend, wirkten wie vor Trunkenheit unterlaufen – und tatsächlich war Piso trunken, trunken vor Liebe, besoffen vor Verknalltheit, beschwipst von der heißen Glut, die in seinem Inneren pochte, die ihn antrieb und ihn fürchterlich kontraproduktiven Mist fabrizieren ließ. Vielleicht würde am nächsten Morgen Piso einsehen, dass sein Verhalten eigentlich Quark gewesen war. Heute Abend aber war er in so einer Verfassung, wo es ganz hoffnungslos war. So wie er sich normalerweise an seiner Interpretation der Ästhetik festklammerte, so sehr klammerte er sich an seinen Blickwinkel auf diese Beziehung und alles, was daran festhing.

    Piso versuchte sich an einem Lächeln, als er plötzlich die wohl gesonnene Gestalt des Purgitius Macer vor sich erblickte, dessen Glückwünsche hörte, und erahnte, dass er sich wohl wunderte, warum Piso in diesem tristen Aufzug einherging. Er freute sich durchaus, dass sein Patron hier war – eigentlich eine Selbstverständlichkeit für einen Patron, aber trotzdem schätzte Piso es – und doch war die Freude getrübt. Eine dunkle Wolke war es, die über Piso hing, die aber nur er selbst sehen und spüren konnte, denn er glaubte nicht, dass irgendjemand auf der ganzen Welt zu dem Maße trauerte wie er. “Salve Patron. Vielen Dank...“ Er hüstelte und blickte kurz betreten zu Boden, bevor er wieder zu Macer aufschaute. “Wenn du dich wunderst über die Toga Pulla... meine Schwester, Vera, ist vor Kurzem gestorben.“ Er presste seine Lippen zusammen, er fühlte sich zum Heulen. Noch immer konnte er es nicht recht glauben, dass seine liebe Vera nun tot war, tot. “Eine bösartige Krankheit. Kein Arzt hat mir sagen können, was es war, kein Arzt hat sie retten können“, machte er mit unterdrückter Stimme. “An so einem Tag sollte ich mich freuen... aber ich kann es einfach nicht.“

    Piso ordnete Hitze in den Bereich „mangelnde Ästhetik“ unter. Wie wohl war eine sommerliche Brise, wie angenehm ein lauwarmes Nächtchen, wie schön ein bacherlwarmer Tag. Doch das hier, das war Wüste. Der Flavier hatte Winde aus dem Süden in Verdacht, aus der großen afrikanischen Wüste. Wenn er erst einmal Senator war, dann, ja dann! Eine riesige Glaskuppel würde er beantragen, rund um Rom, um gegen das Wetter gewappnet zu sein! Natürlich eine, die selbst kritischste Schöngeister befriedigen würde. In die Realität holte Piso die Wahrhabung der Tatsache, dass Glas sündhaft teuer war, und unerschwinglich für alle außer der Oberschicht, zurück. Eine Glaskuppel um Rom... hmmm... vielleicht doch nicht eine so tolle Idee, wenn er daran dachte. Und dabei kannte Piso den Treibhaus-Effekt noch gar nicht. Aber irgendwann. Irgendwann, nahm er sich vor, wobei er den leicht dämlichen Gedanken am Abend sicher schon vergessen haben würde.
    Nach vorne also blickte er nun. Er versuchte, das Gesicht des Parthers näher auszumachen. War es nobel oder wüst, schön oder hässlich? Er konnte es von hier aus nicht sehen. Aber Piso mochte die parthische Kultur. Sie war so schön feinsinnig. Cassim, jener Sklave des Gracchus, hatte dies eindrucksvoll in seinen elegischen Lobreden ob Pisos Sangeskunst bewiesen. Laus Pisonis! So etwas schätzte der Flavier sehr, schließlich war es immer höchst pläsierlich, die eigene Genialität – und Piso war sich sicher, das in Massen zu haben, auch wenn diese Selbstsicherheit in Folge einer seiner plötzlichen und schlagartigen Sinnesschwankungen manchmal so schlagartig verpuffte, wie sie kam.
    Es galt jetzt also, den Parther zu ersteigern. Der Kerl schien übrigens Latein zu können, wie Piso feststellen durfte. Und nicht einmal schlecht. Shayan, dachte er sich. Das Lateinische enthielt zwar kein „sch“, weswegen die meisten Römer diesen Laut nicht aussprechen konnten (hatte doch griechisch auch keinen solchen Laut), aber Piso sah sich imstande – es war ein Laut in den keltischen Sprachen, und von jenen verstand Piso etwas, hatte er sich doch recht lange in Ländern herumgetrieben, wo diese Sprachen noch im Trend waren und noch nicht von der lateinsichen Sprache verdrängt worden waren. Neben sich hörte er ein Gebot, als er noch seine linguistischen Überlegungen anstellte und sich dabei ziemlich gut vorkam. 500? Das konnte er überbieten. “613! Für meinen Herrn Flavius Piso!“, schrie Cassivellaunus, nachdem ihm Piso die passende Zahl eingeflüstert hatte. Er mochte ungerade Zahlen, sie hatten etwas erbauliches an sich, wie ein Abend an der Lyra. “700!“ So, dachte sich Piso.
    “999!“ “1000!“ Ah, jetzt buk der Mitsteigerer also nur noch ganz kleine Brötchen, dachte sich Piso amüsiert, dabei durchaus in seinem Appetit angeregt durch die Vorstellung an warme, leckere Semmeln – freilich nicht so schmackhaft und bekömmlich wie seine Fische, frisch aus dem Lacus Volturnii, am Markt erhältlich für nur 1.45 Sesterzen, aber immerhin!
    “1531!“, holte er vermittelst seines Sprachrohres Cassivellaunus zum Rundumschlag aus. Der andere Steigerer japste nach Luft und schien zu überlegen. Würde nun der Hammer fallen? Doch nein! “1600!“ Hartnäckiger Kerl, dachte sich Piso. Und scheinbar hat er auch mehr Geld, als er scheint. “1697“, machte Cassivellaunus mit solemner Stimme. Piso betrachtete den anderen Mann mit interessierter Miene. Was tat er da? Warf er noch einmal ein Gebot ein? Nein, nein! Er winkte ab! Er winkte ab! Keine Mitbieter mehr? Toll, genial! Piso hatte einen Sklaven ersteigert! Er wusste es schon, noch bevor der Sklavenhändler anfing, zum ersten, zum zweiten und zum dritten zu schreien. Nur der Gedanken daran, dass er zur bevorstehenden Wahl eine gute Figur machen musste, hielt ihn davon ab, einfach alles zu vergessen und nur noch wild herumzutänzeln am Platz wie ein verstörtes Pony. So zeigte sich der flavische Wahn nur in seinen Augen, mit denen er Shayan fixierte, als dieser verscherbelt wurde.
    “1697 zum ersten, 1697 zum zweiten, 1697 zum dritten...“ Man sah dem Sklavenhändler an, dass es ihn nervte, diese lange Zahl auszusprechen. “Verkauft an den flavischen Herren.“ Hurra, hurra, hurra. Jetzt musste er den Kerlen, die nun mit Shayan runterkommen würden, einfach nur das Geld geben und sagen, dass sie Shayan bei ihm zu Hause abliefern sollten – selber nach Hause schleppen führte manchmal zu unangenehmen Situationen, und nachdem er viel Betrübnis durchgemacht hatte, als er damals Semiramis direkt abgeschleppt hatte, hatte er sich vorgenommen, sich nie wieder darauf einzulassen. Immer gleich nach Hause liefern! Am Markt wollte er seine Ruhe haben!

    Es war ungewöhnlich, dass ein Kandidat in einer schwarzen Toga Pulla nach vorne schritt, um sich inaugurieren zu lassen. Aber wer mochte es Piso verdenken? Seine Schwester Vera war vor Kurzem verstorben, das Begräbnis noch nicht so lange her, und der von Natur aus emotionale Piso noch immer sehr, sehr zerrüttet. Als Zugeständnis an die Zivilisation hatte er sich rasiert. So achtete er gar nicht auf die Namen derer, die aufgerufen wurden, und musste erst von einem seiner Klienten, einen Notarius in der Kanzlei, von hinten angeschubst werden, um aufmerksam gemacht zu werden, dass er an der Reihe war.
    Mit graver Miene schritt er nach vorne, um mit monotoner Stimme den schon bereits von seinem Vigintivirat vertrauten Text abzulesen.


    "EGO, AULUS FLAVIUS PISO HAC RE IPSA DECUS IMPERII ROMANI
    ME DEFENSURUM, ET SEMPER PRO POPULO SENATUQUE
    IMPERATOREQUE IMPERII ROMANI ACTURUM ESSE
    SOLLEMNITER IURO.


    EGO, AULUS FLAVIUS PISO OFFICIO QUAESTORIS PRINCIPIS IMPERII ROMANI ACCEPTO,
    DEOS DEASQUE IMPERATOREMQUE ROMAE IN OMNIBUS MEAE VITAE
    PUBLICAE TEMPORIBUS ME CULTURUM, ET VIRTUTES ROMANAS
    PUBLICA PRIVATAQUE VITA ME PERSECUTURUM ESSE IURO.


    EGO, AULUS FLAVIUS PISO RELIGIONI ROMANAE ME FAUTURUM ET EAM
    DEFENSURUM, ET NUMQUAM CONTRA EIUS STATUM PUBLICUM ME
    ACTURUM ESSE, NE QUID DETRIMENTI CAPIAT IURO.


    EGO, AULUS FLAVIUS PISO OFFICIIS MUNERIS QUAESTORIS PRINCIPIS
    ME QUAM OPTIME FUNCTURUM ESSE PRAETEREA IURO.


    MEO CIVIS IMPERII ROMANI HONORE, CORAM DEIS DEABUSQUE
    POPULI ROMANI, ET VOLUNTATE FAVOREQUE EORUM, EGO
    MUNUS QUAESTORIS PRINCIPIS UNA CUM IURIBUS, PRIVILEGIIS, MUNERIBUS
    ET OFFICIIS COMITANTIBUS ACCIPIO."


    Als er geendet hatte, trat er zurück und schwieg wieder, in Trauer verharrend. Ach, wenn nur Vera dies hier sehen könnte! Sie wäre so stolz auf ihn. Oh, Vera. Es würde noch lange weh tun, noch sehr, sehr lange.

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpg]


    Acanthus beäugte Lupus mit unverhohlenem Interesse, als dieser von seinen Intentionen sprach, und nickte dann grimmig. “Gut. Gutgut. Komm rein. Ich werde einen Boten schicken. Phoebus!“ Hinten im Vestibulum raschelte es, als Phoebus zackig aufstand, als er seinen Namen vernahm. Es war ein käsgesichtiger Knabe von vielleicht 12 oder 13 Jahren, der der persönliche Assistent des Ianitors war. Er verstand sofort, immerhin hatte er eifrig zugehorcht. Tief verbeugte er sich vorm Tiberier. “Dominus! Folge mir!“, piepste er mit hoher Stimme, bevor er sich umwandte, um zum Atrium den Herren zu geleiten.

    Ganz der Tatsache unwissend, dass der Faden, in dem beschrieben werden würde, wie Phoebus Tiberius Lupus in das Atrium der Villa Flavia hineinführen würde, als der fünfhundertste in der Villa Flavia dereinst zelebriert werden würde, stapfte der Sklavenjunge ins Atrium, deutete wortkarg auf eine der Klinen und eilte dann los, um dem Consul Bescheid zu geben. Er sollte wissen, dass hier jemand war, der sich für die Arvalbrüder interessierte.


    Sim-Off:

    Thread Nummer 500!!! :D

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpgAcanthus


    Und Acanthus machte auf. Zuvor hatte er die Natur des Universums kontempliert, was eine ziemliche Aufgabe war, denn weit und lang erschloss es sich vor den Augen des interessierten Betrachters auf der Erde. Ein Klopfen unterbrach den geradlinigen Weg zu einer Konklusion. Der Eindringling war, wie es aussah, ein Patrizier, das erkannte man an den Schuhen, von denen die aufgehängten Halbmonde lässig herunterhingen. Acanthus rang sich einen nicht allzu grimmigen Gesichtsausdruck ab. “Salve. Willkommen in der Villa Flavia. Wer bist du, und was kann ich für dich tun?“

    Abermals trank Piso einen Schluck aus seinem Weinbecher. Langsam bemerkte er schon die Effekte des Weins, wenn auch jener verdünnt war. Die Effekte waren angenehmer Natur, er fühlte sich ein wenig entspannter - doch gleichsam wurden seine Emotionen durch den Alkohol aufgebläht auf riesige Größen. Alkohol führte auch dazu, dass sein Ego ganz wunderliche Formen annahm, dann und wann schrumpfte, dann und wann explosivartig aufging wie ein Germteig.
    Das gleichermaßen explosiv vorgebrachte Wort des Gracchus mochte da fast etwas ernüchtern. Gracchus schien den Aderlass zu scheuen wie die Götter jemanden, auf dem ein Fluch lastete, und dennoch befand er, wie Piso aus seinen Worten ergründen konnte, den Aderlass als essentiell. Nun war das Problem – so sehr Piso auch nachdachte, er konnte tatsächlich an nichts anderes denken als Aderlass, was seinen Vetter von seinen Leiden erlösen konnte. Sicher mochte es andere medizinische Theorien geben, erstellt von Quacksalbern und dubiosen Orientalen, aber gute griechisch-römische Schulmedizin konnte nicht übertroffen werden, von niemanden auf der Welt. Man konnte zwar mit anderem experimentieren, aber womit? Und anhand welecher Leute? Und warum denn? Wer hatte denn die Zeit und die Materialien, groß herumstudieren zu beginnen? Piso konnte nicht anders, als Gracchus Recht zu geben.
    “Cadipolos Calimeres. Ist das ein Sklave? Und selbst wenn nicht - du kannst jenem Medicus sofort befehlen, nach Rom zu kommen. Schreib einfach einen Brief nach Achaia. Welcher Peregrine könnte sich den Anweisungen eines Römers, gar eines Senators widersetzen? Innerlich erachte ich ja Kosmas für einen Pfuscher. Auch ich bin nicht recht zufrieden mit mir. Als ich letztes Jahr eine Sommerkrankheit hatte, hat er Andeutungen gemacht, ich wäre ein Hypochonder.“ Natürlich war Piso das gewesen, er hatte sich ein bisschen vor seiner Arbeit drücken wollen. Aber ein Sklave hatte seinem Herren absolute Deferenz zu leisten!
    “Was mich angeht, ich hätte nichts dagegen, wenn die Leute mich belächeln, wenn es im Gegenzug dazu dir besser gehen würde“, bot er an.
    Piso horchte sich nun Gracchus an, was jener über den perfekten Römer zu sagen hatte. Es gab ihn nicht, doch man sollte ihm entgegenstreben? Nun, das klang so plausibel, dass Piso einfach nur schweigen und nicken hätte können. Dennoch vergrub er seinen Kopf in seinen Armen. “Dem Ideal zustreben...“ Dem ehrenwerten und durch und durch vernünftigen Mann! Das konnte Piso doch nie sein, wieso sollte er es dann versuchen? Er würde doch eh scheitern, dachte er niedergeschlagen. Warum musste er in diese Welt hineingeboren sein, die die Liebe, die Poesie und Romantik um so viel weniger schätzte als Konzepte wie Ehre und Ruhm? Vielleicht war er kein wahrer Römer, wenn er nicht so dachte, doch dieser Gedanke machte ihn schier verrückt.
    “Aber sage mir, inwieweit hatten Caesar, Augustus und Tiberius je verfolgt, die Wege zum perfekten Idealbild geradlinig zu verlaufen? Und doch sind sie jetzt Götter. Und hast du mir nicht einst gesagt, ich soll mir selber treu bleiben? Ich soll ich bleiben? Wie soll ich das tun, wenn ich mich verbiege, um so ein Mann, wie ihn das Idealbild vorschreibt, zu werden, voller Virtus, entleert jeglicher Individualität? Jeglicher Emotionen?“ Verzweifelt atmete er aus. Es war doch ein Krampf!
    Bei Gracchus entsetzten Worten konnte er nur nicken. Er war ein armer Tor. Ja, armer Tor war genau das, was er war! Ein armer, armer, armer, armer, ARMER TOR! Er schüttelte den Kopf. “Nein. Gibt es nicht.“ Gracchus hatte das genau richtig erkannt, und er schien nicht einmal sonderlich zornig, sondern im Gegenteil erschüttert über Pisos Schicksal. Und Piso konnte kaum sagen, wie dankbar er Gracchus dafür war.
    Seine nächsten Worte waren so niederschmetternd, und doch so wahr, dass Piso fast schon die Tränen in die Augen schossen. Er nahm noch einmal einen Schluck Wein. Ach, je mehr er es versuchte, Prisca zu verdrängen, umso präsenter war sie ihm in Gedanken! Was für eine nicht aufrecht zu erhaltene Situation dies war! Er schüttelte den Versuch. “Nein, sie ist nicht verheiratet.“
    Und dann: bamm. Gracchus gab Corvinus Recht. Pisos Mund öffnete sich leicht, als ob er widersprechen wollte, und doch brachte er keinen Ton hervor. Auch Gracchus sagte, er sollte sie nicht mehr sehen! Ihr fern bleiben. Nein. Nein. Endlich brachte Piso etwas heraus.
    “Dein Rat würde mir weise erscheinen, wenn ich nicht wüsste, dass dies das Ende meines Lebens wäre.“ Was hatte er dieser verdammten Venus opfern müssen! Jetzt kam er aus dieser Sache nicht mehr heraus, das einzige, was er aus der ganzen Sache noch kriegen konnte, war der Tod an Herzensschmerz.
    Was Gracchus dann aber vorschlug, veranlasste Piso aber dazu, zu blinzeln, und hernach eine Augenbraue hochzuheben. “Meinst du? Wirklich? Echt? Ich meine... kann man es eher mit dem Idealbild des römischen Mannes vereinbaren, Ehebruch zu begehen, als einfach den Mut aufzubringen, um die Hand der Auserwählten anzufragen?“
    Gracchus schlug eine Alternative vor, und erwähnte dabei ausgerechnet den Namen der Gens, die involviert war. Piso beschloss, die Charade aufzugeben, und die Katze aus dem Sack zu lassen. “Wir taten das durchaus... und nun ist es so... meine Liebe, von der ich dir erzählte... sie ist eine Aurelia.“ Er schluckte. “Aurelia Prisca. Sie war die, mit der die Hochzeit mit Aquilius geplant war... bevor jener verschwand.“

    Nun gut, klüger als zuvor war er, jetzt wo sie von dieser unglückseligen Theatergeschichte kamen, schon in einer Hinsicht. Er wusste jetzt, dass Prisca ihn heiraten wollte. Dass von ihrer Seite aus nichts im Wege stand für eine Heirat. Für einen Romantiker wie Piso war es wichtig, sich das Einverständnis der Dame zu holen, bevor man um ihre Hand anhielt – das einfach über ihren Kopf hinweg zu entscheiden, wie es die alteingesessenen Herren offenbar gerne taten, befand er für rüde und unhöflich. Wie konnte man eine Ehe auf so etwas aufbauen, dachte er sich, wofür man ihn für blauäugig erachten mochte, aber der Flavier... nun gut, war es des Öfteren. Was nicht ein markenzeichen für einen guten Politiker war, wenn man dies zusammen mit Pisos oft kindischem Gehabe betrachtete. Nun gut, seine Aktion mochte etwas impulsiv gewesen sein, aber musste man die ganze Zeit hunderte Gedanken zum Beispiel wälzen, ob es ehrenhaft sei, aufs Klo zu gehen, wenn es unten drückte? Mist. Er konnte noch immer nicht recht glauben, dass sich jemand an so etwas stoßen konnte. Aber nun gut, Lupus war eben ein absoluter Assi, dachte sich Piso zornig, und kickte ob dessen einen kleinen Kiesstein vom Boden hoch. Das Steinchen traf eine Mauer, wo es ofenbar stecken blieb, denn es fiel nicht herunter. Nicht, dass sich Piso scherte.
    Der Flavier wendete seinen Hals, um seine Schwester anzuschauen. Ein sag-jetzt-bloß-nichts-Blick traf sie. Er fühlte sich von ihr hintergangen, obwohl sie ihn wohl vor Prügeln bewahrt hatte. Wie sie diesen Aurelius angeschleimt hatte. Und dann das Geeiere mit dem wieder Sehen. Aber trotz seiner Blicke wusste er, es würde nun ein Donnerwetter kommen. Er würde wohl nciht lange darauf warten müssen. Ein Flavius, der von seiner Schwester durch die Mangel genommen wurde, was würde das für ein Anblick werden, dachte sich eine kuriose Seite in Piso, die offenbar gerne die Sachen vom Punkt eines unbeteiligten Zusehers aus sah.

    Papa. Seit Nigrina ihn erwähnt hatte, bekam Piso ihn nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte irgendwie Angst, seinem Vater gegenüber zu treten, nach all dem, was passiert war. Was hieß Angst, Angst war das falsche Wort. Widerwillen würde es besser treffen, tiefstes Widerwillen. Er wollte nicht. Und nun schüttelte sie ihn aus dem Ärmel, wohl zu seinem Besten, damit er jetzt nicht noch was Dummes tat – denn dass seine vorigen Aktionen ziemlich dämlich gewesen waren, das war noch nicht ganz in sein Hirn eingesickert, auch wenn er langsam ein immer mulmigeres Gefühl bei der Geschichte bekam, je mehr Worte überhaupt getauscht wurden.
    Ich freue mich schon darauf, dich wiederzusehen, hörte Piso, während er noch immer durch die Labyrinthe seiner Gedankengänge stromerte, wurde aus ihnen herausgerissen, und starrte seine Schwester an. Den Kerl wieder sehen! Das konnte sie vergessen! Das konnte sie abhaken, als erledigt ansehen, als... Scheiße, Alter, dachte er sich. Du fängst an, wie Corvinus zu denken. Genau so wie er zu reagieren. Sag nichts. Halt einfach mal die Fresse. Ausnahmsweise. Piso dachte daran zurück, was Gracchus gesagt hatte. Es gibt keinen perfekten Römer, aber jeder Römer sollte versuchen, diesem Ideal entgegenzustreben. Ach ihr Götter, hatte er dieses Idealbild irgendwie schon satt, fuhr es ihm durchs Gehirn! Warum konnte die Welt nicht etwas weniger römisch-strikt und etwas poetischer sein? Nicht etwas angenehmer, nicht etwas weniger harsch, bevölkert von Lupi und Corvini? Über Rom erzählen, pah. Er würde sich jetzt nicht mehr entblöden, da was hinzuzusetzen. Piso schaffte es, neutral dreinzuschauen, als sich Nigrina und Lupus vollsülzten.
    Lupus. Piso glaubte noch immer nicht, dass der Kerl Ernst zu nehmen war. Für einen Kerl vom Kaliber eines Flavius Piso ein Pausenbrotgegner. Aber trotz allem... der Mann ließ ihn erschaudern. Er hatte was Unheimliches an sich, was Piso nicht gänzlich ausloten konnte. Piso war sehr allergisch auf alle Formen der Agressivität, und Lupus‘ Andeutungen gingen ihm nicht aus seinem Kopf. Der hätte ihn wirklich geschlagen, wenn Nigrina nicht dazwischen getreten wäre. Wirklich. Das musste man sich vorstellen.
    Die Vorstellung alleine davon veranlasste ihn schon, gehen zu wollen. So nickte er langsam, als alle ihm Recht gaben, vermutlich recht widerwillig. Der Abend war kaputt. Und nicht Piso hatte ihn kaputt gemacht, war der Flavier voll und ganz überzeugt, sondern Aurelius Lupus, dieses borstige Hinterteil eines Esels! Für einen kurzen Augenblick überlegte sich Piso tatsächlich, dem Aurelier doch noch die Meinung zu sagen, entschied sich aber dagegen.
    “Tja, dann wäre alles gesagt.“ Es blieb nur noch, zu gehen. Und Piso hätte keinen Augenblick gezögert, hätte es nicht noch etwas gegeben – Lupus, der sich am Ausgang positioniert hatte. Kurz schoss ein Gedanke durch Pisos Kopf. Der wartet da sicher mit einem Messer und versucht, es durch deine Rippen zu jagen! Doch Piso verscheuchte den Gedanken. Er wollte raus hier, und zwar zackig.
    Also wandte er sich zu Prisca, zur wundervollen, holden, himmlischen, grandiosen Prisca, die als Lichtgestalt in so einem Kontrast zu ihrem infernalen Cousin stand, dass es einen blenden mochte. “Vale, Prisca.“ Seine grauen Augen widerspiegelten einen Schimmer von Trauer, Trauer über den so niederträchtig zerstörten Abend. Dann schritt er an Lupus vorbei, nicht ohne ihm im Vorbeigehen noch ein mit Müh und Not nicht allzu feindselig gehaltes Nicken angedeihen zu lassen. “Vale, Aurelius Lupus.“
    Was für Konsequenzen mochte diese kleine Episode noch haben? Er wusste es nicht, versuchte gleichfalls, krampfhaft nicht darüber nachzudenken, um sich seine mühevoll aufgebaute kleine süße romantische Fantasievorstellung von seiner Zukunft nicht zu zerstören. Denn in weldfremden kleinen Fantasieländern zu schwelgen, das war etwas, was Piso gerne mochte. Und einem ekelerregenden Schmierfinken wie Lupus würde er es sicher nicht erlauben, ihn da rauszuzerren. Denn es würde spätestens auf der Straße, und zwar von der Seite seiner Schwester, deftig Zores geben. Das musste er sich selber jetzt noch nicht geben.
    Im Wissen, von Nigrina gefolgt zu sein, ging er also. Er ging heraus aus der Vorführung, verließ das Theater und fand sich kurz später in der Straße nach Hause ein.

    Während Piso noch nach Worten rang – Herrje, er hätte sich ohrfeigen können, den Göttern sei Dank war dies nur ein Sklave, nicht ein Freier – und weiterhin an seine Kleidung rumfummelte, zog sein Gegenüber eine Schriftrolle hervor und schaute kurz hinein, während er jedoch nicht den Anschein zu machen schien, dass er seine Gedanken allzu weit von Piso wegzuschweifen ließ. Mit einer geschwinden Bewegung beugte sich Piso über die Schriftrolle und entzifferte einen Namen, der in güldenen Lettern unverkennbar angeschrieben war. “Ah, Caesar. Gaius Iulius Caesar, ein großer Mann.“ Ein Schlächter und ein Popular, dem kein wahrer Patrizier jemals die unselige Geschichte um Clodius Pulcher vergessen konnte – dessen schändlciher Übertritt vom Patriziat zur Plebs von Caesar ermöglicht worden war. Und doch, ein brillianter Schreiber, dessen Lektüre Piso in Erstaunen versetzte. Nur wenige waren besser als er, packend war Caesar auf jeden Fall, auch wenn seine Schriften im Endeffekt nur Propaganda darstellten.
    “Magst du also Caesar, hmm?“, missinterpretierte der Flavier, der die Missbilligung im Gesicht des Sklaven übersah, die Auswahl des Sklaven. “Mir gefällt Ovid besser. Und natürlich Vergil. Vergil ist unerreichbar“, schwärmte er mit einem Lächeln auf seinen Lippen. “Die Aenaeis ist das Meisterwerk schlechthin.“ Er nickte bedeutungsschwer.
    Dann stellte sich auch schließlich Phaeneas – so sein Name vor, und Piso nickte kurz. “Ach so. Soso. Phaeneas, Leibdiener. Der Name ist... griechisch. Bist du ein Grieche?“ Wieder eine nicht allzu staatstragende Frage. Piso strengte sein Gehirn an. Es musste doch ein passendes Gesprächsthema geben! Seine Gedanken schweiften zu den Fluren und Gängen der Villa Vinicia. Die kostbaren Verzierungen, die ausgeklügelten Dekorationen, die Wandmalereien, das Mobiliar, Piso hatte es lebhaft vor Augen.
    Dann kam es Piso, als er daran dachte. Es war doch sonnenklar, was er eigentlich vom Sklaven wollte. Er wollte eine intelligente Meinung. “Ähm, gut. Phaeneas, schon als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, habe ich gesehen, du bist ein heller Kopf, kein dummer Mann, das sehe ich von Weitem.“ Er presste seine Lippen zu einem fast verlegenen Grinsen zusammen, dann platzte er mit seiner Frage heraus. “Phaeneas, Sklave, sage mir – wie stehst du zur Ästhetik?“ Vielleicht konnte er aus diesem Munde hier eine Antwort extrahieren, die es würdig wäre, sich Ihrer zu erinnern. Natürlich wäre dies nur der Fall, wenn die Antwort anerkennend, respektvoll gegenüber der Ästhetik war. Etwas in ihm, ein sehr großer, überwiegender Teil von ihm hoffte, dass diese Antwort positiv ausfiel, denn er mochte es nicht, wenn Leute sein Weltbild zerrissen.

    Piso schürzte seine Lippen, als er eine Abfuhr in Punkto Poesie bekam. In Ordnung... joah. Dann eben nicht. Er hatte Furianus nur was Gutes tun wollen! Doch irgendwann würde auch dieser rauhe Geist sich dem Sog der Ästhetik nicht entziehen können. Denn Piso war der Meinung, ebendies war die mächtigste Kraft im Universum. Und da der Begriff so weitläufig war, konnte Piso so ziemlich alles reininterpretieren. Und interpretieren, oftmals nach hypokritischen Maßstäben, tat Piso gern. Er grinste also nur gezwungen. Delegieren, ja, Furianus mochte es sicher, Aufgaben an andere abzuwälzen, dass er das so offen zugab, erschütterte Piso nicht einmal mehr. Träumen, gut, dann tat er halt das, während Furianus delegierte. Die beiden würden sicher ein gutes Gespann im Senat sein, wenn Piso dort erst einmal reinkam.
    “Was die Stadtkohorten angeht – es gibt dort ein Problem. Es ist dick, glatzköpfig, vulgär und mächtig.“ Piso gestikulierte sinnlos in der Luft rum. “Stell dir vor,der Kaiser stirbt, und Vescularius will Kaiser werden! Und er benutzt seine Truppen zur Rebellion. Unser gemeinsamer Freund Balbus wird natürlich dagegen ankämpfen, und das auch sicher niederringen, aber ich würde zwischen die Fronten geraten! Ähm, ja, und für Rom wäre es auch nicht so gut.“ Er räusperte sich.
    “Die Schlachten im Senat, wie du sie beschreibst, klingen da vernünftiger. Und ich denke, ich bin ihnen auch eher gewachsen als einem riesigen Barbaren!“ Mit einem langen, stinkenden Bart, dachte er sich schaudernd, was noch schlimmer wäre als eine herunterfallende Axt, dazu berechnet, seinen Kopf zu spalten. Und man stelle sich vor, er würde nach Germanien versetzt werden... so weit fern weg von ihr. Von Prisca. Obwohl, jetzt so kam er auch nicht an sie ran, und von Furianus konnte er sich nicht einmal ein winziges bisschen Hilfe erwarten.
    “Glaube mir, ich schaue weniger skrupellos aus, als ich es bin“, versuchte Piso zu überzeugen. Tatsächlich hatte er seinem Freund Archias ja schon mal empfohlen, einen Meuchelmörder auf Duccius Vala anzusetzen – denn ehrlich, eine andere Methode fiel Piso, der einer ausgewachsenen Intrige nicht gewachsen war, nicht ein.
    Furianus‘ nächste Worte brachten ihn zum Grübeln. Das hörte sich so an: “Hmm.“ Das klang nicht einmal unintelligent. Er arbeitete zwar bei den Septemviri, aber es lag in der Natur des Septemvirates, dass viel Arbeit Verwaltungskram war, von welchem die Bürger Roms nur selten was zu sehen bekamen. Dann noch die Arvalbrüder... aber die traten ja auch nur alle heiligen Tage auf, buchstäblich. “Mal sehen. Ich könnte eine Kultvereinigung aufmachen, für einen Gott.“ Seine Augen öffneten sich und ein Grinsen erhellte sein Gesicht. “Apoll?“ Der Schutzherr der Ästhetik! Das war die ganz logische Wahl! Ja, das könnte er machen, denn das war pietätsvoll, kam aber einem romantischen Spinner vom Schlage eines Flavius Piso sehr zupass. “Nun ja, auf dass keine Krankheiten je durch Rom wüten und die Sonne uns Römern stets erscheine!“, rechtfertigte Piso seine Wahl, versuchte es zumindest.
    “Was das Gericht angeht... nun ja. Litigation ist so selten wie Seide oder Weihrauch. Und das meiste, was nennenswert ist, wird von den bereits namhaften Anwälten des Reiches ausgefochten... Decimus Mattiacus, Tiberius Durus, Vinicius Hungaricus. Natürlich kann es mir eines Tages passieren, dass ich von Octavius Macer angeklagt werde, der ist der einzige momentan, der noch Fälle zu bringen scheint“, bemerkte Piso etwas bissig.