Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Piso hatte früher eigentlich immer gerne zur Selbstüberschätzung geneigt, mittlerweile aber war er von der ganzen Geschichte aber auch schon zermürbt wie ein Kürbis nach dem Einstampfen. Um ehrlich zu sein, er wollte nur noch, dass die ganze Geschichte endete. Dass er mit Prisca zusammen sein konnte, und Ende Gelände. Sein Frust über Aquilius rührte wohl auch aus dieser Phase des fehlenden Selbstbewusstseins. Aquilius hätte Prisca haben können, ganz einfach, er hätte nur zu Corvinus hingehen müssen, und fertig wäre das gewesen. Stattdessen hatte er sich aber abgeseilt, die Aurelia im Regen stehen gelassen, und weggeworfen, was das Leben ihm auf dem Serviertablett serviert hätte. Fast vergessen, bei Bridhe war er auch noch gelandet, hatte sie geschwängert! Oder hatte er sie sich einfach genommen? Hmm, Piso hatte nie nachgefragt. Und trotz seiner Liederlichkeit war Aquilius immer ein beliebter Mann gewesen... und Piso kam bei niemanden an, so sehr er auch versuchte in letzter Zeit, es allen Recht zu machen. Eine Welle des Selbstmitleids kam in ihm auf, gepaart mit dem Vorsatz, jetzt wieder nur so zu tun, wie es ihm passte. Aquilius war ein blendendes Beispiel, wie man damit alles erreichte. Und jetzt trauerte ihm noch Hinz und Kunz nach, obwohl er alle verraten und verlassen hatte! Zu seinen aufkeimenden Gefühlen mischte sich jetzt auch noch Neid und das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, hinzu. “Persönliche Tragödie, pah. Der geht in Tarraco fischen, und ich muss Corvinus‘ Grant ausbaden“, grollte Piso missmutig, hatte er jetzt doch einen Sündenbock für seine Misere gefunden.
    Da waren Celerinas nette Worte wie Balsam für seine geschundene Seele. Mit einem dankbaren Lächeln vernahm er sie. “Nein, werde ich nicht, niemals“, bestätigte er trotzig trotz seiner generellen Bedrücktheit. “Gut. Gutgutgut. Ich werde dir eine Nachricht zukommen lassen. Danke.“ Das hatte er jetzt auch schon zehnmal gesagt, aber egal.
    Er fragte sich schon, wie das dann sein würde. Piso würde sich auf jeden Fall arg am Riehmen reißen müssen, Corvinus würde jede Provokation als Grund nehmen, ihn rauszuwerfen. Alleine die Anwesenheit seiner Frau würde ihn davor bewahren, ihn einfach vor die Türe zu platzieren. Irgendwelche Worte würde er sich zurechtlegen müssen. Was für ein Tamtam das sein würde... na Herrschaften. Da konnte man ja schon im Vorhinein einpacken, ehrlich.
    Er nickte traurig, aber pflichtschuldigst dankbar, als Celerina ihm ihr Mitgefühl aussprach, bevor sie die Ohren spitzte bei Nigrina. Piso hätte es sich denken können, dass Celerina von Nigrina redete. Er hätte jetzt gegrinst, aber der Gedanke an Vera hielt ihn zurück.
    “Hmm. Hübsch ist sie, ja, wenn ich das als Bruder so sagen darf. Versprochen... nicht dirket, aber es gibt schon einen Heiratskandidaten. Ein Aurelier übrigens, fällt mir ein, aber frag mcih nicht nach dem Namen.“ Er hatte ihn komplett vergessen. “Aber klar, das könnt ihr machen. Sicherlich.“ Dazu brauchte sie doch nicht das Einverständnis von Piso. Bei Celerinas Überlegung hielt er inne. Vielleicht war das keine schlechte Idee. “Könnte ich machen.“ Er nickte. “Wäre vielleicht keine schlechte Idee...“

    Hmm, Furianus schien ganz grob von seinem Hass auf den Homo Novus gepackt zu sein. Da konnte nicht einmal Piso mehr mithalten, bei Weitem nicht. So saß der Flavier nur kreuzbrav da vor Furianus und nickte verständnisvoll, während er sich fragte, worauf Furianus zum Henker hinaus wollte. Solche Sätze nahmen ja fast schon gracchische Züge an. Ebendeshalb machte er nur ein “Oh ja“, welches er sogar hinreichend bewundernd hinbrachte.
    Bei dem nächsten Satz wurde er jedoch elektrisiert. Aulus. Furianus hatte ihn wirklich Aulus genannt, bei seinem Praenomen! Da schaute Piso. Grade, dass er nicht seinen Mund zu einem O formte wie ein Vollidiot. Dann nickte er, einigermaßen beflügelt. “Mhm! Ja! Gut! Staatsräson, klar.“ Staatsräson war wohl bei Furianus das selbe wie sich der Familie beugen. Und Piso brachte nicht den Mumm auf, Furianus zu widersprechen.
    Und bei dem nächsten Satz schaute er neugierig auf. Unglaublich, was Furianus da von sich gab – direkt unfassbar! “Lucius, diese Metapher ist genial. Liebe, Legion. Große, gewaltige Kräfte, gleichsam erbauend wie vernichtend. Du solltest Poet werden!“, schlug der junge Flavier vor, auch wenn er sich denken konnte, dass der Consul vermutlich komplett anderes im Sinn hatte.
    Was das Tribunat anging, hörte Piso aufmerksam zu, nickte dann und wann, und beizeiten gab er ein Ah von sich. “Also gibt es Nachteile daran... in jenem Fall vielleicht eher doch nicht. Krieg, ich weiß nicht... zerstückelte Fleischmassen, enthauptete Körper, durchstoßene Herzen... das... das ist“ Unästhetisch! Doch Piso entschloss sich, das etwas weniger harsch auszudrücken. “...nicht meine Welt. Ich hätte es gemacht, wäre es unumgänglich gewesen, um den Respekt der Senatoren zu gewinnen... aber so...“ Prima, dachte sich Piso, über die Amtszeit, die er schon fast für den Heeresdienst eingeplant hatte, könnte er nun die ruhige Kugel schieben. War es nicht fein, Patrizier zu sein? Das einzige, was er machen musste, war, zu seinem Patron und zu Archias zu gehen und ihnen im Nacken zu hocken, damit irgendwann mal die Ernennunng zum Senator käme. Das Thema könnte er auch, falls gewählt, mal in Misenum beim Kaiser fallen lassen. “Joah“, fiel ihm als Schlusswort ein. Bahnbrechende Rhetorik, wirklich.

    Piso blickte perplex drein, und zwar genau einen Moment. Dann lachte er. “Ach Archi, du kennst doch deinen Pi.“ Ja, das tat er wohl, und genau deshalb sollte sich Archias auch Sorgen machen. “Ich werde schon auf mich aufpassen“, versprach er und nickte dabei suggestiv.


    Piso seufzte. “Sicher fassen da manche Leute Fuß, ja! Leute, die ganz zufälligerweise Vettern vom Kaiser sind“, nörgelte er missmutig. Er müsste eigentlich Salinator noch immer sauer sein, weil dieser ihn abgelehnt hatte für den angestrebten Posten. Aber in der Retrospektive war es vielleicht doch nicht eine so schlechte Sache gewesen, dass er den Posten nicht gekriegt hatte. Macer hatte ihn ja schon gesagt, dass ein Mann mit Rittersposten einen schlechtbar denken... halt, denkbar schlechten Stand im Senat hatte. Das Versagen von Decimus Verus hatte es ja vorgezeigt... wo der Alte wohl hinwar? Da er nicht wusste, dass Archias selber mit ihm geredet hatte, und nie etwas von ihm gehört hatte, wusste er es einfach nicht. “Danke auf jeden Fall.“


    Betrübt aber war sein Antlitz, wie gesagt, als Vera ins Spiel kam. Hmm... vielleicht hast du Recht. Und ich es soll es nicht laut aussprechen.“ Er zuckte die Achseln. “Was soll ich Pluto opfern? Der entscheidende Faktor hier sind die Parzen, und das sind ganz, ganz sture Weiber.“ Seine Mundwinkel hingen jetzt schon auf der Höhe seines Kinns.

    Ja, Piso fühlte sich ganz, ganz sicher, dass er die Situation kontrollierte. Und das wäre ja auch gelacht, dachte er sich selbstgefällig, nachdem er seine Absichten verkündet hatte.
    Vielleicht 5 Sekunden lang. Denn dann trat Lupus auf ihn zu, nachdem er, Pisos Meinung nach, ihn leicht stupide nachgemacht hatte.
    Piso war kein Mann der Gewalt. Das war nicht wegen seiner angeborenen friedfertigen Art, nein, viel eher, weil er haute wie ein Mädchen – Archias hatte ihm das einmal gesagt, und es stimmte ja auch. Und zweitens war Gewalt so... so... es gab keinen anderen Kraftausdruck als unästhetisch! Unästhetisch freilich nicht für den Sieger, viel eher für den Verlierer, der sich am Boden in seinem Blut windend die Zähne aushusten musste. Und Piso war zwangsläufig ein Verlierertyp, wenn es ums Prügeln ging. Diese Gedanken schossen Piso ins Hirn, da es ihm klar wie Kloßbrühe nun schien, dass er verhauen werden würde. Vor allen Zusehern, in der Öffentlichkeit. Er würde nach den Wachen rufen müssen – doch welch Humiliation! Und am Ende verlor er dann auch noch seine Zähne...
    Sein Selbstbewusstsein also verhielt sich, kurz gesagt, wie eine Schweineblase, die man aufgestochen hatte, als er sah, dass sich Lupus nicht mehr länger spielte, sondern ernst machte. Bei den Göttern, was für ein Schlägertyp, schoss es dem Flavier durchs Hirn, der dabei unterließ, dem Gedanken zu schenken, was denn gewesen wäre, wäre er in Lupus‘ Schuhen gesteckt.
    Und so sah Piso seine Zukunft als zahnloser Tatterer eigentlich schon so beschlossen, wie er seine Heirat mit Prisca noch vor ein paar Sekunden für beschlossen gehalten hatte. Doch was konnte man sich bei Rüpeln wie dem da mit Reue kaufen? Da musste doch was zu tun sein, Aulus, strenge dein Hirn an!
    Doch während er noch überlegte, sich diverse Möglichkeiten und Hypothesen durch den Kopf gehen ließ, die aber alle damit endeten, dass er eine gewischt bekam, war die Rettung nicht eine der – seiner Meinung nach – zahlreichen Geistesblitze, die er hatte, sondern seine Schwester. Seine Schwester versuchte ihn vor dem Typen da zu retten. Was redete sie da von Brüdern und Schwestern? Piso war baff. Er machte zwar schon den Mund auf, ja, aber kein Wort entrann ihm. Viel eher war es Nigrina, die ihre Worte nun auf ihn richtete. Hatte er sich verhört, oder wollte sie tatsächlich alleine bei Lupus bleiben, wenn er zur Villa Aurelia gehen würde – auch wenn er sich nun, nachdem er schon quasi in seinem Kopf dem Tod in die Augen geschaut hatte, ganz und gar nicht mehr so sicher war, ob er das noch immer als eine gute Idee bezeichnen konnte – denn das wäre ein Fanal! Piso würde sich nicht mehr sicher sein können, ob Lupus ihr nciht was antun würde... sie spielte einfach nicht mit. Piso sah seinen schönen Plan durch seine Finger zerrinnen. Kräftig hatte er da ins Wasser gehauen, kam ihm nun.
    Irgendein eigentümliches Gefühl hielt Piso aber trotzdem noch zurück, gänzlich sich weichklopfen zu lassen – da brachte Nigrina ihren Vater ins Spiel. Papa! Piso ächzte kurz. Er hatte irgendwie ganz darauf vergessen, dass er in der ganzen Sache nicht das alleinige Sagen hatte. Da gab es ja auch noch seinen Vater. Piso sah schon, wie alles über seinen Kopf wieder mal hinweg bestimmt werden würde. Am Liebsten hätte er ja schon nun ganz drastische Maßnahmen gesetzt, das heißt wohl, was Dummes getan, noch dümmer als seine bisherigen Operationen. Aber Papa... au weia. Au weia.
    Piso blickte kurz auf Prisca, der Lupus vorhin was zugeflüstert hatte, was der Flavier aber nicht verstanden hatte, es war zu leise. Troja glaubte er zu hören, aber sicher war er sich nicht. Er war sich nur sicher, dass ihn die Flüsterei verunsicherte. Verdammtes Selbstvertrauen, so schnell kommst du, so schnell gehst du! Pisos Emotionen überschlugen sich in ihm selber.
    Doch das führte zu gar nichts. Sein Hirn machte ein paar Leerläufe, als Lupus wieder zu Nigrina sprach, und Prisca schlussendlich auch noch einlenkte. War denn alles gegen seinen Plan? Nun ja, wenn man ihn so richtig unter die Lupe nahm... war er vielleicht doch nicht so toll? Interessante Frage. Gut, Abend war vielleicht eine schlechte Zeit. So blickte Piso Prisca nur an mit einem irgendwie entschuldigenden Blick. Wie traurig sie dreinsah, und doch hoffnungsvoll. Es tut mir Leid, Prisca, dass ich mich nicht gegen den Heini durchsetzen konnte, dachte er sich. Aber in ihm keimte bereits die Intention, es dem Kerl heimzuzahlen. Morgen. Oder übermorgen. Oder sonstwann.
    Er riss sich von ihrem Blick los und brachte endlich wieder mal seine Kiefer auseinander. “Morgen zur neunten Stunde erscheint mir gut.“ Er würde keine pseudo-netten Worte jetzt mehr schwingen, es erschien ihm ziemlich unpassend. “Die Hälfte vom Stück haben wir jetzt eh versäumt. Nigrina, komm mit, gehen wir heim.“ Dass er diesen Abend nur noch mit einer sicherlich diabolisch schlecht aufgelegten Nigrina unterwegs sein würde, statt mit Prisca, grämte ihn, aber hier gab es nichts mehr für ihn zu holen. Und was er auch tun würde, außer zu gehen, würde die Situation garantiert eskalieren lassen. Nicht einmal der liebestolle Flavier wollte das, einmal nicht bewusst.

    Als Nächstes war die Hauptspeise dran. Die Sklaven hatten schon dafür gesorgt, dass alles bereit stand, denn die Epulonen hatten schon ein ganz besonderes Gustoschmankerl bereit gestellt. Es war dieses Mal Atimetus, der betete. “Magna Mater! Sieh mit Wohlgefallen auf deine Hauptspeise.“ Dann nickte er Piso und Frugi zu, und die beiden hoben mit einem lauten, dreistimmigen Hau-Ruck den Teller an. Eine ganze gefüllte Wildsau. Entborstet, entweidet. Durchgegart. Perfekt gewürzt. Hmm, wie das roch! In jedem der drei Septemviri rumpelte es im Magen. Die drei machten sich noch schnell daran, ein paar Beilagen dazu zu geben – geröstetes Gemüse vor allem, welches in die Bratensoße fiel. Andächtig blieben sie dann davor stehen. Halt so andächtig, wie man vor Fleisch an Bratensoße nur stehen kann.
    Einige Zeit verstrich. “Ich glaube, ihr schmeckt es.“ “Darauf kannst du Gift geben, Flavius“, grummelte Frugi. Wieder ein bisschen Ruhe. Dann: “Sollen wir abtischen?“ Piso und Atimetus nickten. Der Flavier pfiff diverse Tempeldiener herbei, die das schwere Tier beiseite schafften. Unterdessen brachten Sklaven schon den Nachtisch herbei. Obst, und Brot... nun ja, soweit zu den gesunden Bestandteilen. Was es aber sonst noch gab, war Nachtigallenzungenmarmelade. Viel davon. Hmm, lecker, dachte sich Piso, der sich ins Gedächtnis rief, dass er wieder einmal nächstens eine Marmeldaen-auf-Brot-Orgie machen sollte. Außerdem Honig, eingelegte Beeren, Rohrzuckersaft, und sonst noch einige süße Sachen, was auch immer die Natur so hergab. Dieses Mal war es an Frugi zu sprechen. “Magna Mater, sieh mit Wohlgefallen auf deinen Nachtisch.“ Dann konnte man ja auch schon beginnen. Frommen Gesichtsausdruckes legten der Flavier, der Aemilier und der Fulvier die Nachspeisen auf den Tisch. Nachschlag gefällig? Eh klar, dachte sich der Flavier in einem Anflug von Großzügigkeit, und somit patzte Piso auch gleich noch eine viel reichhaltigere Portion auf den Teller – eine noch viel reichhaltigere Portion wovon denn eigentlich? Hmm. Zwetschgenkompott. Piso könnte sterben für Zwetschgenkompott, besser war wohl nur Marillenkompott.
    Am Ende musste Magna Mater doch schließlich wohl satt sein. Obwohl, satt. Galten für Götter nicht andere Kategorien als Sattheit und Hunger? Aber gut, Cybele würde zufrieden sein.
    Tempeldiener stellten den Nachttisch herab, um ihn dorthin zu bringen, wo schon die anderen Speisen standen – in einem durchaus nicht armseligen Nebenraum, wo komfortablerweise und ganz und gar aus reinstem Zufall schon Klinen standen. Frugi grinste. “Mein Magen knurrt.“ Piso grinste. “Klar. Und meiner erst. Wie gut, dass die Essenz des Essens schon Magna Mater gehört, wir müssen es auf uns nehmen, traurig die weltlichen Überbleibsel zu essen.“ Atimetus seufzte. “Flavius, red nicht so viel, komm mit.“ Piso widersprach nicht, nein, er empfing den Befehl gerne.
    Und so verfraßen die drei Septemviri hochlobenswerterweise im Nebenzimmer des Tempels das Geld des Aurelius Corvinus. Lecker war besonders der Wildschweinbraten... Piso, Feinschmecker, würde diesen Tag noch lang gut im Gedächtnis behalten.

    Piso war erstaunt über sich. Ganz anders, als es Nigrina sah, kam er sich nicht feige vor. Im Gegenteil. So etwas zu fragen hatte all seine Courage abgenötigt. Natürlich hatte er es nicht so laut gefragt, dass jemand anderes als Prisca, Lupus und Nigrina seinen Heiratsantrag hätte hören können, so bescheuert war er auch nicht. Die Loge war ja auch schließlich abgeschirmt von der Öffentlichkeit, und man hätte ja ordentlich rumbrüllen müssen, dass jemand sonst noch etwas mitbekam von dem, was dort ablief.
    Und der Flavier blickte in ihre Augen, ihre blauen Augen, so blau wie die Adria bei Ravenna, fast schon unwirklich. Er sah es in ihren Augen – ja. Sie wollte. Er spürte es. Er wusste es. Es hatte geklappt. Es hatte funktioniert! Er hatte Prisca herumgekriegt. Sie würde ihn heiraten, er sie, alle würden glücklich werden, die von Weichspülern auch Hochglanz gebrachten Heiratskleider würden strahlen, ebenso wie die Gesichter, die sie beglückwünschen würden. Eine neue Ära in den Beziehungen zwischen Aureliern und Flaviern würde anbrechen. Eine neue Ära in seinem Leben, als Ehemann, als Familienvater, und das ganze als Senator. Ja, Piso wähnte sich an jenem Punkt, wo seine Träume in Erfüllung gingen.
    Doch bevor Prisca noch die Gelegenheit hatte, etwas zu sagen, brachte sich ungefragt dieses Subjekt von einem Aurelier da ein. Piso, Freund? Ich bin nicht dein Freund, wollte Piso protestieren, aber nichts kam über seine Lippen. Komplett baff starrte er den Aurelier an, als dieser ihm etwas sagte von wegen Wein und Zungen. Was zum Henker sollte das werden? Und dann flüsterte er ihm etwas ins Ohr, das Piso ganz bleich machte – nicht vor Schrecken, vielmehr vor Ärger. Doch das wandelte sich in Entsetzen, als er das Gesagte sich noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Schwager? Schwager! Verflucht, Piso wusste jetzt, woher er den Namen kannte. Aurelius Lupus, so sollte der Mann heißen, den er mit Nigrina verheiraten sollte. Nie und nimmer, kam ihm in den Sinn. Irrationalerweise kam ihm eine Liste patrizischer Jungesellen in den Sinn – zum Beispiel Menenius Rufus, ein amtierender Vigintivir, Sempronius Valens, Luperkalienmitglied, oder Cornelius Falto, Quaesturkandidat wie Piso selber. Er wollte schon was Trotziges erwidern. Doch bevor er noch weiter etwas erwidern konnte, wandte sich Lupus schon an Prisca und flüsterte ihr auch etwas zu, was Piso nicht hörte, wohl, weil er von Nigrina abgelenkt wurde, die ihm ihrerseits etwas ins Ohr mauschelte. Amphoren im Schrank? Der Flavier sah Nigrina mit dem Blick eines Mannes an, dessen Träumen man ungerechtfertigterweise einfach nur so zerstört hatte. Ich hatte es vor, zu machen, wenn sie ihr Einverständnis gegeben hat! Und das hätte sie auch getan, wenn nicht dieser Scheißkerl reingefahren wäre! Du hast ja nicht mitgekriegt, was er mir zugeflüstert hat! Er spuckt auf die Flavier! Es war alles durchdacht - ich wäre schon längst mit Prisca auf dem Weg zu den Aureliern, wenn nicht dieser Sack hier wäre! Er hätte sich noch lange weiter erbosen können! Doch genau in diesem Augenblick fing Prisca an, Lupus anzubrüllen. Piso konnte nicht alles hören, da zwischenzeitlich alles in einem Zischen unterging, aber was er hörte, zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen. Prisca stellte sich gegen Lupus. Trottel, Spatzenhirn, ziemlich adäquat, die Worte. Er war stolz auf sie. Sie ließ sich diesen Scheiß nicht bieten. Piso würde das auch nicht tun. Auf einmal spürte er, wie Nigrina sein Handgelenk umfasste. Seine Schwester, sie war wohl auch nicht allzu erbaut über den Lauf der Ereignisse. Er legte ihr kurz seine linke Hand auf ihre Hände, und stand dann auf.
    “Lupus, Freund“, echote er die Worte, welche Lupus gerade zu Piso gesagt hatte. Zu Prisca hin machte er einen Blick. Prisca, wollte dieser Blick ausdrücken, nur ruhig, keine Sorge, ich regle das. Hoffentlich missverstand sie den Blick nicht. Er beugte sich zum Aurelier hin. “So eine Komödie lockert nicht die Zungen, sondern stimuliert auch die Emotionen, sowohl die positiven wie auch die negativen.“ Er senkte seine Stimme, als er seine Worte ihm ins Ohr flüsterte. Erstens: drohe mir bloß nicht noch einmal. Nie wieder. Zweitens: um dich zu beruhigen, niemand außer uns vier hat mich gehört. Drittens: was du mir gesagt hast, werde ich auch tun. Danke, ich weiß, wie das funktioniert. Und zwar mache ich das jetzt gleich. Und viertens: ich finde es nicht gut, wie du dich gegenüber Damen verhaltest. Dann erhob er seine Stimme wieder, sodass auch Prisca und Nigrina ihn wieder hören können.
    “Ich schätze, nun ist die Zeit gekommen, dass ich meinen Worten Taten folgen lasse. Es ist beschlossen. Mich hält nichts mehr bei diesem Theaterstück. Ich gehe jetzt zur Villa Aurelia, um das Hausherrenpaar zu sprechen und Aurelius Corvinus um Priscas Hand zu bitten.“ Er lächelte zu Prisca hin, die Lupus so unbeherrscht Paroli geboten hatte, was Piso sehr gefallen hatte, auch wenn es ein bisschen kontraproduktiv gewesen sein mochte. Was Lupus jetzt tun würde, interessierte Piso eigentlich nicht wirklich. Nun, denn wer war Piso? Septemvir, und Quaesturkandidat. Und wer war Lupus? Ein Niemand. Ein Würstchen mit einem bombastischen Familiennamen. Nun gut, er würde Corvinus anheulen können. Böser Flavier, und so weiter. Aber erstens würde er sich damit als Karriere und als Heiratsverhandlung einen sehr unangenehmen Weg einhandeln. Und zweitens kannte Piso, als typischer Flavier, gute Stellen, um Attentäter anzuheuern, die sich Lupus, wenn er ein falsches Wort sagte, annehmen konnten. Piso äußerte diese Gedanken nicht, denn Lupus würde wohl auf eine Erpressung ebenso ungehalten reagieren, wie Piso selber, würde Lupus ihm gegenüber eine aussprechen. Und ohnehin – Piso betrachtete Lupus, nun ja, als keine ernsthafte Gefahr. Er würde gegenüber Corvinus einfach mit offenen Karten spielen, dann würde Lupus der Wind aus den Segeln genommen werden. Und selbst wenn irgendwas kommen würde, dann würde er Celerina als Jolly Joker spielen. Wenn der versagte, dann gab es Konsequenzen vielleicht, die bewirkten, dass die Beziehung zwischen Flaviern und Aureliern schon zu zerrüttet wäre, als dass eine Heirat zwischen Piso und Prisca ohne Einwilligung des Tutors die Beziehung noch mehr einbröckeln lassen könnte. Lupus konnte nur verlieren, wenn er sich aufspielte, und nur gewinnen, wenn er folgte – zum Beispiel eine großzügige Mitgift, und natürlich eine großartige Ehefrau, nach der sich alle die Finger abschlecken konnten (ja, Pisos Meinung über Nigrina hatte sich ungemein gebessert in den letzten Wochen).
    “Prisca, kommst du mit? Ich denke, es gibt Wichtigeres zu tun, als hier sich das Spektakel hier noch weiter zu betrachten. Nigrina, Lupus, ihr seid eingeladen, mitzukommen zur Villa Aurelia", bot Piso an mit einem freundlichen Lächeln. Was er an Lupus‘ Stelle nicht einmal tun würde. Denn sonst würde rauskommen, dass Lupus beim Treffen zwischen Piso und Prisca mitgewirkt, mitgeholfen und sich das ganze angesehen hatte. Corvinus wäre wenig erbaut.


    Sim-Off:

    EDIT: Habe ein bisschen piano gemacht mit Pisos Worten. ;)

    Interessiert blickte Piso nun nach der Darbietung seiner infernalischen Künste, die den Wein in den Gläsern zum Schwingen gebracht hatte, vielleicht die Gläser auch selber zerschellen lassen hätte können, wäre Piso imstande gewesen, seinen hohen, quietschenden Ton eben noch eine Sekunde länger zu halten, Gracchus an, in der freudigen Erwartung, dass ihm sein Vetter mit mildem Gesichtsausdruck Applaus spenden würde. Doch was war das?
    Gracchus saß da, mit einem Gesichtsausdruck, den Piso noch nie bei ihm gesehen hatte. Und dann kippte der ältere Flavier zurück, unvermittelt, in die flauschigen Polster auf seiner Liege, noch bevor Piso etwas sagen konnte. Und er beschloss auch weiterhin, nichts zu sagen, denn wie ein unheilvolles Verdikt kamen nun die Worte des Gracchus aus dessen Mund (es wäre ja auch zu erstaunlich gewesen, wenn die Wortes seines Vetters aus einem anderen Mund gedrungen wären!). Grauenvoll? GRAUENVOLL? In Pisos Hirn ratterte es. Wie konnte man das Wort grauenvoll mit seiner Musik in Einklang bringen? Nein, sicherlich hatte Gracchus etwas anderes gemeint. Piso blickte sich um, um hinter sich selber vielleicht die Quelle des Grauens erblicken zu können. Doch da war nichts, nur die Wand. Doch Gracchus klarifizierte sogleich, was er meinte – die Musik. Affröse Töne? Was zum Henker sollte das bedeuten? Piso war schon bereit, sich zu erheben, um den Worten Gracchus‘ die Stirne zu bieten. Wie konnte es sein, dass sein Vetter, den er bisher immer als Schöngeist erachtet hatte, seine Musik als so schrecklich zu bezeichnen? Das war wohl ein schlechter Witz!
    Doch bevor Piso aufstehen konnte, in seiner üblichen gestenreichen Art sich beschweren und dann zornerfüllt abdampfen konnte, mitsamt seiner Lyra, folgten weitere Worte. Was sagte da Gracchus? Es waren verschwurbelte, wunderliche Worte, wie man es von ihm gewohnt war, und doch setzte sich das Bild erst zusammen, als Piso sich alles angehört hatte und die Worte verdaut hatte.
    Es lag also nicht an ihm. Es lag an Gracchus. Gracchus konnte die Musik nicht mehr vernehmen. Und auch sonst nicht mehr viel. Piso wusste zwar, dass Gracchus bestimmte Probleme hatte, doch so drastisch waren sie ihm bisher noch nicht erschienen. Betroffen schwieg er kurz. Erst dann öffnete sich sein Mudn. “Mensch, Gracchus.“ Mehr sagte er nicht, doch aus seinen Augen konnte man bestimmt Pisos Emotionen ablesen. Da war Bestürzung, da war Mitleid, da war so etwas wie Wärme. Piso seufzte tief und trank einen Schluck Wein.
    Dann noch einen. Wein war gut, er tötete, was schlecht war, und erhob, was gut war. Piso hatte schon oft Leute gesehen, die beim Weingenuss in tiefe Melancholie verfielen, aber Piso gehörte da nicht dazu. Piso wurde nur heiter, sonst nichts, auch nicht gewalttätig. Irgendwann war auch Schluss mit dem Wein, dann und wann wurde auch das Vomitorium gespeist. Aber Piso mochte insgesamt den Alkohol, auch wenn er ihm nicht vehement zusprach.
    “Was sagt Kosmas dazu? Hat er keine anderen Lösungen als die, die er jetzt hat? Ich meine, Aderlässe! Bringen die irgendetwas?“, fragte Piso, der sich natürlich überhaupt nicht in der Medizin auskannte. Er hatte es nie studiert, wohl auch, weil er der Chirurgie nicht zugetan war, empfand er sie doch als äußerst unästhetisch. Organe! Pfui. “Du solltest dich vielleicht einmal einem anderen Arzt anvertrauen. Keinem Sklaven, sondern einem Professionellen in der Stadt.“ Es gab sicher viele davon, und nicht alle waren unsaubere Scherer und Wundärzte in kleinen Buden, die nebenher auch noch Haare schnitten. Auch wenn sich Piso nciht ganz sicher war, erfreute er sich doch bester Gesundheit, bis auf ein paar Hypochondrieanfälle.
    Dann kam auch noch eine weitere Frage. Gracchus fragte Piso, warum er unglücklich war. Nun ja, die Frage war vorhersehbar gewesen, hatte Piso doch Gracchus anvertraut, dass er unglücklich war.
    Der Flavier atmete tief durch. Gut, er würde es Gracchus erzählen, und zwar alles. “Ich werde es dir sagen. Du wirst zwangsläufig unzufrieden sein, sogar böse. Ich bin unglücklich, weil ich nicht der Mensch sein kann, der ich sein will. Ich wäre gerne ein perfekter Römer, der sich und seine Emotionen stets unter Kontrolle hat und die Mos Maiorum bis ins genaueste Detail beachtet. Doch da bin ich nicht. Vielleicht hat es auch mit unserem Blut zu tun, vielleicht ist es aber nur eine schlechte Ausrede.“ Er atmete noch einmal durch. “Es gibt da eine Patrizierfamilie. Das, sagen wir, Oberhaupt, ist ein Senator, ein Ädilar. Er hat eine Nichte, die sui iuris, und unter seiner Tutela, ist. Es ist so... ich habe mich in diese Nichte verliebt. Unsterblich. Ich bin nciht mehr ich selbst, wenn ich an sie denke. Ich will nur mehr sie haben. Ich bin ein Getriebener. An anderes als diese Liebe denke ich kaum noch.“ Er biss sich auf die Unterlippe. “Und ich glaube, sie entgegnet meine Gefühle. Und es war nun so... ich hatte kürzlich bei jener Familie geschäftlich zu tun, und traf jene Nichte dort im Garten an. Eines führte zum anderen, und am Schluss küssten wir uns. Nur war es so, dass uns dabei der genannte Ädilar erwischte. Er verbot mir, sie, um es in seinen Worten zu sagen, je wieder zu belästigen. Dabei habe ich sie doch nie belästigt!“ Er seufzte. “Doch ich muss sie wieder sehen. Wenn ich sie nicht haben kann, werde ich daran zugrunde gehen.“ Er schwieg nun und erwartete das imminente Donnerwetter.

    “Hmm“, machte Piso, der sehen konnte, dass Furianus sich ein wenig ereiferte, worüber auch immer. “Nun, der Kaiser ist krank. Das ist eine Tatsache. Auch ist es eine Tatsache, dass Krake sterben können.“ Er hielt inne. “Verzeih, aber gehe ich richtig in der Annahme, dass du, wenn du von solchen Leuten redest, an Vescularius denkst?“ Mehr als wahrscheinlich. Bei den Worten des Furianus nickte er. Es war ihm schon vorher so vorgekommen, dass Octavius kein brillianter Mann war, und hätte er gewusst, dass Macer Archias unfair beim Praefectus Urbi angeschwärzt hatte, hätte sich seine Ablehnung umso mehr gesteigert. “Ich verspreche dir auf jeden Fall, dass ich die anfallende Aufgabe so erledigen werde, dass du zufrieden bist. Du musst mich halt noch instruieren, wenn es so weit ist“, wälzte er seine Entscheidungskompetenz an Furianus ab. Die Familie ging doch über alles, und Piso war auch bereit, sich der Familie zu fügen – bis zu einer gewissen Stelle hin.
    Dann kam auch schon die Reaktion auf die Frage, die er Furianus gestellt hatte. Jetzt und dann erwartete sich Piso, dass ihm Furianus ins Gesicht schlagen würde. Doch fasste sich der Consul, und Piso merkte sich etwas vor – nie wieder Furianus drauf ansprechen. Es folgte eine Belehrung über etwas, was Piso schon wusste. Aber diese Standards konnte er nciht erreichen. Es mochte so sein, weil vielleicht auch er kein exzellenter Mann war, egal, was er sch einbildete.
    “Liebe... etwas für Poeten...“ Nun, Piso war Poet, selbst erklärter, und somit bestätigten ihn Furianus‘ Worte innerlich. Aber er beschloss sich, nicht mehr darauf einzugehen. Wenigstens vor Furianus wollte er einen vorbildhaften Mann geben, soweit es ihm möglich war. “Deine Worte klingen so vernünftig, dass es die Wahrheit sein muss.“ Vernünftig! Was für ein dröges, ödes Wort! Und Wahrheit! In der Liebe war nichts wahr. Furianus konnte das nicht wissen, wie auch. Er verstand nicht. So nickte Piso nur, als Furianus etwas hinzufügte. “Liebe für Rom scheint mir die geeignete Art von Liebe.“
    Das Thema gab ihm auch die geeignete Ablenkung. “Was die purpurn gestreifte Toga angeht, hoffe ich, dass ich sie bald erhalte, wenn ich denn zum Quaestor gewählt werde. Ich habe ja schon von Leuten gehört, die haben sie erhalten, dafür haben sie aber noch 2 Amtszeiten oder so warten müssen. Vielleicht wäre es ja sinnig, ein Tribunat nach der Quaestur zu machen?“, sinnierte Piso. “So etwas müsste aber selbstredend in Rom sein. Ich bin Septemvir. Ich will meine religiösen Pflichten nicht vernachlässigen.“

    Die Sklavin schloss die Türe, nur damit sie im Laufe einer Minute wieder geöffnet wurde. Mit Wucht, mit der Kraft eines verzweifelten Mannes, der normalerweise nicht sonderlich stark war, dem aber die Emotionen Flügel verliehen. Sie flog auf und offenbarte einen fürchterlichen Anblick einem Beobachter, der im Zimmer stehen würde – wiewohl niemand dort drinnen war, nur Veras Leiche auf ihrem Bett.
    Der Anblick war Piso. Schwer atmend. Rot unterlaufene Augen. Rot hatte sich die Innenfläche seiner rechten Hand verfärbt, denn im Reflex hatte er der Überbringerin der Nachricht eine saftige Ohrfeige gegeben. Geschockt. Seine Händen zitterten, seine Beine schlotterten.
    “Vera. Vera. Vera. Nein. Nein“, stammelte er in kurz abgehackten Sätzen, und trat mit stockenden Schritten auf das Bett zu, auf dem seine Schwester lag. Er ergriff, wieder eine Reflexhandlung, Veras Hand. Sie war kalt, eiseskalt. Kein Puls, kein Atem, kein Zeichen von Leben.
    Piso ließ die Hand los. Wie versteinert stand er da. Dann bewegte er sich, wieder mit den selben ruckelnden Schritten, zum Fenster des Zimmers hin und machte es auf. Das Fenster sollte offen stehen, damit die Seele der Toten hinauf steigen konnte, in den Himmel, zum Elysium, zu einem Platz, der besser war als diese Welt, die Vera nichts geschenkt hatte außer immer wieder neue Krankheitsattacken, die Piso eine Schwester geschenkt hatte, nur um sie wieder zu nehmen.
    Er drehte sich wieder hin, zu Vera, zu ihrem Bett, zu ihrem Leichnam. Dann tat er etwas, was kein Römer tun sollte, aber er tat es. Er ließ sich auf die Knie fallen. Er fasste mit beiden Händen nach Vera, senkte seinen Kopf und begann zu weinen.
    Zuerst war es nur ein leises Schluchzen, ein Wimmern, kaum hörbar. Der Flavier griff an den Kopf seiner Schwester, das kalte, abgemagerte Haupt. Er legte seinen eigenen Kopf drauf und merkte, ohne dass es ihn sonderlich berührte, dass sein Weinen lauter wurde. Er hob seinen Kopf wieder, blickte mit tränennassen Augen nach oben, schloss seine Augen dann und brüllte verzweifelt: “NEIN! NEIN! NEIIIIIIIIIIIiiiiiiiiiiiinnnnn... Seine Stimme verstummte. Es war nur noch mehr das Weinen zu hören, mit dem Aulus Flavius Piso den Tod seiner Schwester beklagte.
    Phrima war derenthalben weggerannt, um auch noch Nigrina die schreckliche Nachricht mitzuteilen und sie zu holen.

    Beute? Irgendwelche Wortfetzen drangen zu Piso von Lupus und Nigrina her. Die beiden schienen wohl von ihrem seichten Einstieg in ein bisschen tiefere Gewässer vorzudringen. Vielleicht würde irgendwas Poetisches mal kommen, dann würde Piso wieder hinblicken. Nun gut, wie gesagt, jeder nach seinem Geschmack. Piso gefiel sich selber als Liberaler, auch wenn er im Grunde auch so konservativ war, wie jeder x-beliebige andere junge Patrizier auch. Tückische Fallen, hörte er so nebenbei. Lupus war das. Aurelius Lupus, verflucht, woher kannte er diesen Namen? Es war ja unglaublich, den hatte er schon gehört! In irgendeinem wichtigen Zusammenhang! Nur in welchem? Wurscht! Prisca war wichtiger!
    Dass Prisca schon zuvor mit einer Gottheit verglichen worden war, hätte Piso nicht erstaunt, sie sah so aus wie eine solche. Er dachte an das zurück, was der Parther über Prisca gesagt hatte. Ohhh, Hugel! Nun, Piso selber hatte den dreisten Orientalen da zurecht gewiesen. Aber ganz tief drinnen, dort, wo jeder einzelne Mann halt einfach auch nur ein Mann war, musste er dem Parther recht geben. Die „Hugeln“ waren absolut fantastisch bei Prisca, und der Ausschnitt gab auch eine hervorragende Sicht in die Hügellandschaft. Wiewohl Piso sich davon erstmal zurückhalten konnte, jene genauer zu examinieren. Vor allem die Gewissheit, dass er es mit einer genaueren Inspektion sehr wohl vermasseln könnte, und die Aussicht, die nächsten 50 Jahre unbeschränkten Ausblick auf diese Wunder der Natur haben zu können, veranlassten ihn dazu, in ihre Augen zu blicken, welche in ihrer blauen Farbe übrigens einen interessanten Anblick boten. Prisca hatte wohl ein bisschen norditalienisches Blut, dort sah man einige Blauäugige. Was ganz nett wäre, schließlich war Piso selber Norditaliener.
    Ihre keck zurückgestellte Frage veranlasste Piso zu einem Lächeln. Hmm, vielleicht waren solche Wortspielchen, wie die Aurelier sie mochten, wohl nicht ganz so uninteressant. “Womit? Meine Antwort ist simpel: wenn du meine Worte bezweifelst, stellst du eine Tatsache in Frage. Doch es freut mich, dass kein Haken in Sichtweite ist.“ Konnte er das auch schriftlich, mit Unterschrift und Siegel haben, fragte sich innerlich Piso. Doch zu kontraktieren war wohl etwas unromantisch. So nahm er den Faden Priscas auf. Wofür sollte er sich entscheiden? Ein kleiner, pummeliger Nackiputz, der rumflatterte und mit Waffen hantierte? Oder aber der große Gott der Musik, der Ästhetik, der Erfinder der Lyra, das Sinnbild des gut aussehenden Mannes, und Gott von noch ganz anderen recht handlichen Sachen, wie zum Beispiel der Heilkunst und der Sonne? Keine Frage. “Wenn du willst, dass ich dein Apoll bin, dann bin ich es gerne.“ Selbstbewusstsein zeigen, Aulus, ermahnte er sich. Sonst ist das doch auch nicht deine Schwäche! Was würde Vater sagen? Wenn dir eine Frau so einen Augenaufschlag gibt, dann hast du sie schon in der Tasche. “Doch nun hast du die Barriere hoch gesetzt. Mit der selben Leichtigkeit, mit der du die Göttin der Liebe übertrumpft hast, muss ich den Schutzherrn der Ästhetik überbieten?“ Da war doch mal ein Satyr, der deswegen von Apoll getötet worden war? Schädel eingeschlagen oder so. Ja, eine klebrige Situation war das gewesen. So klebrig wie die, in der sich Piso nun befand, wobei er das gar nicht bemerkte, da er auf jener Wolke schwebte, die man zwischen Nummer 6 und 8 anzutreffen pflegte.
    Ein kurzer Blick von ihm ging ins Publikum, wo das Publikum gebannt auf das sich eröffnende Spektakel, von dem Piso aber kaum etwas mitbekam richtig. Ein Kerl aber stach ihm in den Blick. Es war ein runder, feister Mann mit rotem Gesicht und dickem Backenbart. Er hatte einen gigantischen Löffel in seiner Hand und einen Riesenpott Schweineschmalz, aus dem er voller Appetit herausaß. Schmalz, wie eine Metapher, dachte Piso. Aber nein, auf diesem Niveau war man nicht, noch nicht. Nicht mit Prisca. Was Lupus und Nigrina noch machen würden, war ihm gleich, solange sie sich nicht begannen, vor aller Welt abzuknutschen. Er war schon ein Hypokrit, dachte er sich. Aber zwischen dem, was er und Prisca getan hatten, und so etwas, lag ein weiter Unterschied.
    Piso atmete auf aufgrund ihrer Versicherung. “Das ist gut, ich hätte mir es nie verzeihen können, wäre so etwas passiert“, mauschelte er zurück, ebenfalls nicht zu laut. Dann nickte er. Er dachte an das, was Celerina ihm gesagt hatte. Er konnte jederzeit zu ihr kommen, und zu ihr hieß in die Villa Aurelia. Die Puzzlestücke kamen langsam zusammen, alles fügte sich zusammen... in einem immer rasanteren Tempo.
    Doch so rasant hätte er es sich nicht gedacht. Sie würde immer bei ihm stehen, weil sie... er hörte das Wort Liebe, und etwas in ihm machte Ding.
    Aulus, Aulus, mein lieber Aulus. Du liegst hier neben einer Frau, nach denen sich alle die Finger abschlecken können. In einem wunderschönen Kleid, dass sie nur für dich trägt. Und sie sagt dir, dass sie dich liebt. Sie gesteht dir ihre Liebe zu dir. Und da gübelst du über ein paar kleinere Adversitäten nach? Aulus, du verfluchter Glückspilz!
    Piso machte seinen Mund auf, und brachte erst einmal keinen Ton hervor. Dann linste er kurz nach hinten. Lupus und Nigrina blickten her. Das absolut passende Publikum für diesen auspiziösen Moment. Ein Aurelier, eine Flavierin, ein Flavier, eine Aurelierin. So musste es sein, und Piso wurde mit der unerschütterlichen gewissheit erfüllt, dass diesen Moment in seinem Schicksal die Parzen bestimmt hatten. Es galt, in zu ergreifen. Flucht nach vorne nannte man das, und noch nie hatte Piso lustvoller die Flucht ergriffen.
    So holte er tief Luft, um das zu sagen, was er schon immer, sein ganzes Leben lang, hatte sagen wollen. “Prisca, ich liebe dich auch. Ich liebe dich so sehr, wie ich noch nie geliebt habe. Und ich werde dich immer lieben, bis ich tot bin.“
    Euelpides erklärte gerade sein Huphup, und es entstand eine Pause, als irgendein Federvieh oder sonst etwas über die Bühne geschlurft kam. Ein Zaunkönig oder sonst was, Piso hatte nicht aufgepasst, wie denn auch? Piso hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit von Prisca, und auch ziemlich sicher wohl von Lupus und Nigrina, und wollte nicht einmal dran denken, was passieren konnte, wenn das in die Tunika ging. Aber das, jetzt und hier, war der geeignete Moment. Er schob seine Hand zu der ihren hin. “Prisca, willst du meine Frau werden?“

    Einen kurzen Moment lang dachte sich Piso, Celerina wollte nach vorne reichen und ihm fest auf die Schulter klopfen. Solches wäre eine Berührung, die er hasste. Sein Vater hatte das immer gemacht bei ihm, hatte auf seine von Natur aus zarte Künstlerschulter immer so draufgehauen – damals, als er noch stolz darauf gewesen war, einen Sohn hervorzubringen. Schon lange her, das Ganze.
    Doch tätschelte Celerina ihn auf seine Backe, eine Berührung, die zwar etwas von oben herab zu kommen schien, aber Piso trotzdem gefiel. Sie nannte ihm beim Praenomen und behandelte ihn, wie eine ältere Schwester ihren Bruder behandeln würde. Er fühlte sich irgendwie... unbeschreibbarerweise geborgen bei ihr. Was er vielleicht auch getan hätte, hätte er gewusst, dass sie sich für ihn bis vor vielleicht einer Minute noch überhaupt nicht erwämen hatte können. Er grinste also.
    “Ähm. Meinst du? Na gut. Obwohl, ich glaube, ich hätte es bedeutend einfacher, wenn ich Caius Flavius Aquilius heißen würde. Du kennst ihn doch. Der hochlobenswerte spanische Vetter! Gegen dieses Bild der Perfektion verblasst doch alles! Vor allem so einer wie ich“, machte Piso frustriert. “Bei Aquilius hatte sich Corvinus niemals gestemmt, und doch ist er der Kerl vor der Heirat davongelaufen. Ich aber würde Prisca nie verlassen, nie im Leben“, beteuerte er. Ach, was Piso ungläubig wäre, wüsste er, wie denn die Beziehung zwischen Corvinus und Aquilius wirklich unter der Fassade der Männerfreundschaft gewesen war... und damit wäre er wohl nicht alleine.
    Er strahlte, als Celerina ihm die Einladung aussprach. “Mensch, danke, Celerina, du bist spitze!“ Annehmen würde er sie auf jeden Fall, wenn die Gelegenheit sich bot. Mal schauen, ob er das nicht schnell und unangekündigt machen müsste. Celerina würde wohl da sein, hoffte er doch. Im Garten aber? Hmm, vielleicht doch besser in der Exedra, dort war er schon. Sehr ästhetisch ansprechend eingerichtet, diese Räumlichkeit. Ägyptisch. Piso hatte ein Faible für Ägypten.
    Als dann Celerina sagte, Corvinus würde ihr zuhören, konnte Piso nicht mehr an sich halten. Er hüpfte auf und umschlang Celerina. “Danke! Danke!“ Er schluchzte diese Wörter beinahe schon. Piso konnte man vieles nachsagen, nur nicht, dass er ein kerliger Kerl war. Aber emotionale Männer waren doch in Mode. Oder?
    Ihre Frage war dann etwas übergangslos, aber wohl dazu da, dass Piso auf ein anderes Thema kommen würde. Der Flavier ließ seine Verwandte los und schaute sie rätselnd an.
    “Nicht nur eine. Na ja, Leontia ist tot. Vera ist ganz unansprechbar, nicht einmal mehr auf mich reagiert sie. Und dann gibt es noch Nigrina. Meinst du sie vielleicht? Sie ist gerade aus Rom gekommen.“ Wollte sich Celerina seine Schwester „ausleihen“? Nun, das würde sie natürlich können, denn Nigrina (die trotz allem doch nur ein Provinzei war) täte die Gesellschaft einer Dame von Welt wie Celerina ohne Zweifel sicher gut.

    Das Atrium der Annaeer war für Piso ein vage vertrauter Anblick, hatte er doch in der Vergangenheit schon einmal hier geweilt. Er hatte mit Modestus geredet, über alles Mögliche, nicht nur die Wahlen. Er hoffte darauf, den Mann bald wieder zu sehen. Praetor war er ja mittlerweile, Gracchus hatte er einberufen. Als er so vor sich hin stand und das Impluvium betrachtete, kam ihm, dass er ja Modestus versprochen hatte, ihm ein wenig über die Septemviri zu erzählen. Was so vorging bei jenen. Na gut, das konnte er jetzt gleich machen. Wenn Modestus käme.

    Was war den das? Wollte Archias gar nicht über Kunst reden? Schade. Piso hätte das gerne gemacht, doch es war unnötig, dies explizit zu erwähnen. So blieb dem Flavier nur die Möglichkeit, das Grinsen zu erwidern und die Sache, leider, leider, nicht zu vertiefen.


    “Wohl nicht!“, grinste Piso breit, verdrehte dann aber seine Augen. “Aber sie bringt so eine Art Anstandswauwau mit. Canis oder so heißt der, irgendein Vieh halt. Also muss ich wohl aufpassen, was ich mit Prisca so anstelle. Natürlich würde ich sie am Liebsten an Ort und Stelle auspacken, wenn ich sie sehe. Aber ich sehe ja selber, dass das nicht geht. Muss schauen, wie das ganze verläuft.“ Er zuckte die Achseln. Dass er direkt ein Liebesgeständnis geradezu ins Gesicht geschleuder bekommen würde, dachte er damals noch nicht, aber hätte er es gewusst, wäre er in extastische Zuckungen verfallen.


    Er nickte. “Ja, bei der kommenden Wahl! Politik ist schon toll, gell? Wenn ich daran zurückdenke, wie ich in der Kanzlei rumgedümpelt bin, ohne Chancen, nach oben zu kommen... ha! Nicht mehr Primicerius, jetzt werde ich Senator! Hohoho!“, lachte er wie der, den sie später den Weihnachtsmann nennen würden, und musste sich erst einkriegen, bevor er fortfuhr.


    “Ja klar, das klingt noch besser! Man muss sich nur vorstellen – ich in diesen schnuckeligen Streifen. Entzückend! Und alle werden in Staunen verfallen, wenn sie mich sehen! Hehe!“ Der Flavier lachte vor sich hin, wieder einmal, in seiner freudigen Erwartung, und hielt inne, als das Thema auf Vera kam.


    “Ja... Vera... seit einigen Tagen geht es ihr noch schlechter als vorher.“ Er blickte seinen langjährigen Freund so traurig an, dass an sich fast schon die Toga Pulla um seinem Oberkörper vorstellen konnte. “Ich... ich glaube... ich glaube, sie wird sterben, Archi. Ihr Lebensfaden ist vorbei.“ Er senkte seinen Kopf und starrte zu Boden ob dieses unerquicklichen Gedanken.

    Es war Phrima, die sie fand.
    Das rätische Kammermädchen machte sich zusehends Sorgen um Vera. Zwar hatte sie sich von ihrer Krankheit ein wenig erholt, doch dann erlitt sie wieder einen Rückfall. Die Räterin musste eigentlich Piso recht geben – es war nicht gut gewesen, dass sie vorzeitig das Bett verlassen hatte. Nun lag sie dort wieder drinnen, und Vera, von Natur aus schon blass, war kreidebleich geworden, wie eine Leiche, und von Tag zu Tag ausgemergelter. Ein trauriges Spektakel für die Sklavin, deren übliche Quirligkeit sie immer verließ, wenn sie sich der Kammer der Flavia Vera näherte, um ihr ihr Essen zu bringen – es ihr eher einzuflössen, als dass Vera es selber aß. Es war ein trauriger Zustand, es war wie ein Stück Tod in der Villa Flavia. Eigentlich wünschte sich Phrima, dass es aufhörte. Sie wünschte sich nur noch das, auch wenn Piso dann untröstlich wäre.
    Und es war auch wieder an diesem Morgen, dass sie sich mit diesen Gedanken herumschleppte. Vor der Kammer von Vera angekommen, klopfte sie vorsichtig an, und als sie nichts hörte, trat sie trotzdem ein – ihr Tablett nur auf einer Hand balanzierend, drückte sie die Türklinke hinunter.
    “Herrin Vera? Ich bin’s. Morgen.“ Der Blick der Sklavin wanderte zum Bett hin, wo Vera drinnen lag. Die Flavierin lag dort wie eine Statue, bleich, dünn, regungslos. Bedeckt von einer Decke, wo nur der Kopf, die Schultern und die bewegungslosen Arme herausragten, wie immer. Die Sklavin seufzte.
    “Ich habe Frühstück für dich.“ Mit diesen Worten trippelte sie leise zu Vera hin und setzte sich behutsam neben sie an den Bettrand. “So. Jetzt...“ Sie hielt inne, als sie eher zufällig über die Hand von Vera strich. Eiskalt. Die Sklavin stellte das Tablett ab und hielt ihre Hand über Veras Mund. Kein Atem. Und auch kein Puls an ihrem Hals oder ihrem Handgelenk.
    Phrima keuchte entsetzt, als sie als letzten Versuch die Augenlider der Flavierin öffnete. Diese Augen. Sie waren gebrochen, als ob man innerhalb der Augäpfeln etwas zerschmettert hätte.
    “Oh nein. Oh nein! Oh nein!“ Entsetzte stolperte Phrima zurück. Vor ihr lag nicht mehr Vera. Vor ihr lag nur noch der Leichnam von Vera. Vorsichtig trat sie wieder an die Leiche heran, und nahm das Tablett herunter. Sie stellte es hinters Bett, wo es das allgemeine Bild nicht störte.
    Nach ein paar Sekunden der Panik entschloss sie sich, das nahe Liegendste zu tun. Sie holte Piso.

    Pisos Augen öffneten sich weit, als er hörte, was er sich erhofft hatte, jedoch, um ehrlich zu sein, kaum realistisch erwartet hatte. Durus würde vorm Senat die Werbetrommel für ihn rühren! Pisos Bewunderung für Durus wuchs im selben Maße wie die Chancen, die er sich ausrechnete, um Quaestor und subsequent darauf Senator zu werden. Oh ja, Durus hatte nun etwas bei ihm gut.
    “Danke, danke“, freute sich Piso immens. Unterstützung zu haben bei Wahlen war schon etwas extraordinär Feines! Man musste es ergelten, indem man, sowie gewählt, seine Aufgaben im Sinne der Wähler, also der Senatoren, verrichtete. Insbesondere jener, die ihn gewählt hatten. Ein kurzer Blick zurück – die Schlange hinter ihm schien ihm wieder ein wenig länger.
    “Dann will ich dir nicht mehr von deiner kostbaren Zeit stehlen. Ich danke dir abermals. Du wirst es nicht bereuen. Vale!“ Er trat artig aus der Reihe raus, hob seine Hand zum Abschiedsgruße und ging hinfort.

    Lupus. Hatte er diesen Namen nicht doch schon einmal gehört? Hmm. Aurelius Lupus. Woher kannte er diesen Namen? Er kam nicht drauf. Irgendwann einmal hatte man ihn wohl einmal erwähnt, Piso wusse aber nicht, in welchem Zusammenhang. Vielleicht war es ein anderer Aurelius Lupus gewesen.
    Einen kurzen Blick hin zu Lupus und Nigrina konnte er sich nun nicht verkneifen. Was faselten die da für einen Stuss? Seiner Schwester gefiel das sicherlich, aber du meine Güte, wie war denn dieser Lupus drauf? Opfer, Diana? Und dazu Wolf und Dunkelheit. Lupus, Wolf, Nigrina, die Schwarze. Haaaaach, was für ein brilliantes und überhaupt nicht von vorheinein ersichtliches Wortspiel, dachte sich Piso sarkastisch. Seine Geschwisterschaft - die Schwarze und die Erbse, und natürlich die Wahre, Vera. Und dann natürlich noch die Löwin, Leontia; die Erinnerung an sie verblasste jedoch von Woche und Woche mehr, und Piso vermisste diese Eingebildetheit auf zwei Beinen auch nicht gerade. Natürlich hatte es da immer wieder Namenwitze gehagelt. Die mittlerweile einen Bart hatten bis zum Boden und wieder zurück. Er fragte sich gerade, was Prisca tun würde, wenn er mit seinem erbsenhaften Cognomen ihr mit ihrem in seiner Bedeutung – uralt - auch nicht gerade schmeichelnden Namen kommen wollte. Ey Alte, ich will deine Erbse sein! Das kam nicht gut. Nein. Er musste also auf solche Namensspielchen vergessen. Sollten Lupus und Nigrina sich doch anbaggern, wie sie Lust hatten – denn das sie Gefallen aneinander fallen, war sichtlich, obwohl er ihnen nur ein paar kurze Blicke schenkte, war Prisca doch viel interessanter. Dem armen Flavier stand diser Weg nicht offen. Welch Wunder also, dass Lupus ihn als Hanswurst betrachtete, weil Piso sich solcher – in Pisos Gedanken – blatanten Schmähs nicht bemühte? Was Piso übrigens aufgeführt hätte, hätte er Lupus‘ Gedanken lesen können, wäre auf keine Kuhhaut gegangen. Aber da er das nicht konnte, war bislang alles Ponyhof. Bislang.
    Innerlich dachte er sich trotzdem, dass mal auch beizeiten etwas Intelligenteres als sein bisheriges Gestammel aus seinem Mund dringen könnte. Handkuss, hmm. Er hätte das auch machen können. Obwohl, wer wusste, wie dieser Aurelier reagiert hätte? Vielleicht war er genauso verrückt – nicht auf eine gute, sondern auf eine gemeingefährliche Art und Weise – wie Corvinus. Piso hingegen war es sowas von Blunzen, ob die beiden miteinander turtelten. Nur war es so, dass dies hier nicht privat war. Jeder, der wollte, konnte sie sehen, dies war kein Hortus. Und so nahm sich auch Piso vor, sich etwas zurückzunehmen, auch wenn ihn schon der Anblick von dieser süßen, goldigen Aurelia in Wallungen versetzte.
    Ja, nur für ihn hatte sie das Kleid angezogen! Glückselig lächelte der Flavier. Und er bemerkte auch, dass sie ihr Augenmerk auch auf seine Ringe richtete. Sie hat es bemerkt, dachte er sich, was nun? “Nun, ich denke, diese Ringe und dein Gewand passen hervorragend zusammen.“ Was er natürlich damit sagen wollte: Piso und Prisca passten hervorragend zusammen! Aber die Inferenz würde wohl ein wenig weit hergeholt sein. “Prisca, du schaust so umwerfend aus, ich komme mir richtig unwürdig vor! Bei der Sache muss doch ein Haken dran sein. Sicher bist du nicht nur eine Frau, nein, ein numinöses Wesen aus überirdischen Sphären, herabgestiegen, um uns Menschen zu verwirren! Venus könnte ja neidisch werden!“ Sowie jeder Mann, der sähe, dass ich mit ihr zusammensitze, dachte er sich selbstzufrieden.
    Dann sprach sie auch schon davon, dass sie auch glücklich sei. Glücklich! Piso strahlte, besonders, als sie ihn Aulus nannte. Aulus! So nannten ihn nur wenige, nicht einmal alle aus seiner Familie, und kaum jemand außerhalb. Doch Prisca tat es. Der Drang in Piso, sich vor Freude juchzend auf sie zu werfen, wurde nur im Zaum gehalten durch den Gedanken, dass halb Rom auf sie schaute. Denk dran, du hast Publikum, trichterte er seinem Gehirn ein.
    Und dann, tja, kramte sie die Geschichte im Garten hervor. Piso blickte sich verstohlen um zu Lupus – hatte sich der doch glatt neben ihn gesetzt, als ob er sein Kumpel wäre – und beugte sich nach vorne. “Er... er war sehr wütend, oder?“ Er shcluckte. “Er... er hat das doch nicht etwa an... an dich ausgelassen... oder“ Der reine Gedanke daran machte schon, dass sein Gesicht etwas blasser wurde. “Es... es hat mich so plötzlich überfallen. Es tut mir wirklich Leid. Was passiert ist.“ Nicht der Kuss selbst. Der war genial gewesen. “Ich glaube, ich muss mich bei Corvinus entschuldigen. Dass es so plötzlich gekommen ist, er musste doch einen komplett falschen Eindruck haben! Aber... nun ja, ich hätte es schon längst gemacht. Für dich, für uns. Aber ich habe immer die Befürchtung, er würde mich gar nicht an ihn ranlassen. Er wird mich doch rausschmeißen, wenn ich zu ihm komme!“ Es regte ihn wahnsinnig auf. Ein Flavier – man muss das wiederholen – ein Flavier hofierte eine Verwandte, und der Kerl behandelte ihn so, als ob er ein Peregrinus wäre, der sich an Prisca herangeschmissen hätte. “Allerdings muss ich ihm einfach erklären, was ich für dich empfinde.“

    “Sehr gut! Danke vielmals!“, freute sich Piso, war er doch froh, die Unterstützung dieses einflussreichen Mannes gewonnen zu haben. Mit einem gewissen hoffnungsfrohen Unterton fügte er noch hinzu: “Gut... vielleicht könntest du ja auch noch bei meiner Ansprache im Senat ein paar Worte, dass du mich unterstützt, sagen“, formulierte er ein wenig zaghaft. Das konnte Tiberius sicherlich machen, ohne dass er dadurch irgendetwas verlor, Flavius Piso war immerhin kein dahergelaufener Plebejer. Pisos Dank wäre Durus dafür aber gewiss.

    Piso wusste nicht, wieso, aber er spürte eine seltsame, eigenartige Ruhe, die er niemals bei sich selber je zu verspüren erhofft hätte, über sich kommen, als er vor dem Senat stand und in die Gesichter der zahlreich vor ihm versammelten Senatoren ernst blickte. Seine Rede zur Quaestur stand nun an. Was hatte er sich darauf vorbereitet! Stunden über Stunden, und nun war es soweit – sollte er sagen, endlich oder leider? Innerlich fühlte er sich ab, konnte aber keinen aufkeimenden Fluchtinstinkt erkennen – den Göttern sei Lob und Dank. Seine sorgsam über ihn gelegte blütenweiße Toga Candida, die dankenswerterweise nicht verknittert wurde, als er saß, auf sein Aufrufen wartend, und die auf Hochglanz polierten Schuhe noch einmal schnell taxierend, lenkte er seinen Blick auf den Senator, der am meisten links unten saß, und ließ dann seinen Blick langsam nach rechts oben wandern, als er sprach.
    “Patres conscripti! Einige von euch werden mich von den Wahlen vor zwei Jahren kennen, als ich erfolgreich fürs Vigintivirat kandidierte. Ich bin, wie mein Vetter, der Consul Lucius Flavius Furianus, schon gesagt hat, Aulus Flavius Piso, Sohn des Cnaeus Flavius Aetius, und möchte diese Gelegenheit nützen, mich bei allen zu bedanken, die mich schon vor zwei Jahren unterstützt haben.“ Er lächelte vage in ein paar Richtungen, wo er Senatoren vermutete, die ihm seine Unterstützung gegeben hatten. Eine gute Chance bestand, dass es die Richtigen traf – immerhin hatten ihn vor 2 Jahren fast drei Viertel gewählt!
    “Sowie ich damals schon hier stand, eure Unterstützung erhoffend, tue ich dies nun auch an dieser Stelle. Dieses Mal kandidiere ich jedoch für die Quaestur, für den nächsten Schritt im Cursus Honorum, der nächste logische Schritt in meinem Leben, in welchem ich stets erpicht war, Rom mit all meinen Kräften zu dienen! Dies bin ich nicht nur meinen eminenten Ahnen, sondern vor allem diesem Reich schuldig.“
    Er räusperte sich. “Natürlich stünde ich nicht hier, hätte ich nicht gute Gründe, warum ihr mich wählen solltet. Ich habe unschätzbare Erfahrungen gesammelt in meiner Dienstzeit als Tresvir Capitalis, in welcher ich nicht nur Rom dienen konnte, sondern auch meine Fähigkeiten im Rechtswesen, Verwaltungswesen und der Führung von Leuten verbessern konnte. Im Gedächtnis geblieben ist vielleicht aus meiner Zeit die von mir organisierte Bücherverbrennung, welche einen großen Teil der sich damals im Umlauf befindlichen gefährlichen Werke in Rom auslöschte. Eine weitere Quelle von Erfahrungen ist meine Position als Septemvir, in welcher ich Festlichkeiten und Götterbankette ausgerichtet, und für das Wohl Roms zahlreiche Opfer dargebracht habe. Zudem habe ich mich auch nicht begnügt mit dem Wissen, das ich bereits vor 2 Jahren hatte, ich habe mich auch weitergebildet, vorrangig in der Musik.“ Was ja, so war sich Piso sicher, die Logik schärfte, da es eine von Natur aus sehr streng mathematische Disziplin war. Er ließ seinen Blick weiter herumwandern. Seine Zeit in der Kanzlei erwähnte er besser einmal gar nicht, eigentlich sollte das noch Erinnerung sein, und außerdem hatte er ein paar Senatoren wohl ein wenig befremdet damit.
    “Eben diese Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe, will ich Rom zur Verfügung stellen als Quaestor – um genauer zu sein, als Quaestor Principis, welches meine Präferenz wäre. Aus diesem Grunde erbitte ich mir von Euch das selbe Maß an Unterstützung wie bereits das letzte Mal, als ich hier vor euch stand.“
    Puh. Er war fertig. Er selber war ziemlich glücklich darüber, dass er nicht gar so aufgeregt geklungen hatte wie damals, als er fürs Vigintivirat kandidiert hatte; da war er ja fürchterlich nervös gewesen – man wurde eben reifer, den Göttern sei Dank. Mit Spannung war es nun, dass er Fragen von den Senatoren, die sich vor ihm erstreckten wie das Meer vor dem Hafen Ostias, erwartete.