Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Mit dem Bestechungsgeld, mit dem die nette Cocceia ihn eingeseift hatte, damit er und der Rest des Collegium Septemvirorum die Pontifices um eine Relatio bezüglich Frauen in Priesterkollegien baten, hatte sich Piso eine prächtige Toga aus edelstem und feinstem Stoff gekauft. Sie schien etwas größer als eine normale Toga zu sein, sodass die Faltenüberwürfe umso verschwenderischer aussahen. Das Kleidungsstück wurde mit einer Fibel an der Schulter zusammengehalten.
    So ausstaffiert, hatte er sich zur Villa Tiberia aufgemacht, zum Bittstellen. Denn schließlich waren Wahlen.
    Er trat also an die Porta, drückte seinen Rücken durch und streckte seine Brust raus, um auch ja einen gewichtigen Eindruck zu machen, und klopfte energisch an. Ob wohl wieder dieser griechische Lahmsieder Stesichoros aufmachen würde?

    Getreu dieses alten Mottos stand Piso vor der Türe der Annaer. Er war schon einmal hier gewesen, es musste schon einige Zeit lang her gewesen sein. Es stand aber wieder ein Besuch an, insbesondere, weil mit Florus nun ein zweiter Senator in diesem Haus lebte, und Modestus als Prateor seinen Einfluss durchaus ausbauen hatte können. Modestus war natürlich Macers Klient, wie er, aber er wollte doch mit ihm wieder ein bisschen ins Gespräch kommen – er mochte den ein wenig bärbeißigen Mann mit dem scharfen Verstand. Was Florus anging, so würde Piso ihn einmal gerne kennen lernen. Und vielleicht sah er ja auch Varus wieder.
    Er trat also zur Porta hin und klopfte an.

    Celerina, die noch eben das Blaue vom Himmel versprochen hatte, sah plötzlich aus, als ob man sie vauf einmal in die Realität zurückgeholt hatte, als Piso mit rostiger Stimme seine Frage stellte. Sie echote seine Frage. Auf einmal sah sie nicht mehr aus wie die über allem stehende Edle, als die sie sich so oft gab, sondern eher wirklich und wahrhaftig ratlos. Piso sah, dass seine Chancen, etwas zu reißen durch Celerina, enorm schwanden. Er fragte sich, wieso. Hatte Celerina nicht den Einfluss über Corvinus, den man sich von einer Ehefrau erwarten konnte? Wenn das stimmte, warum nicht? Übles schwante Piso. Uns die Worte, die Celerina nun losließ, bewirkten ein ungewolltes heiseres Lachen bei ihm, welches er mit aller Beherrschung abwürgte.
    “Zu Aurelius Corvinus gehen? Alle geben mir diesen Ratschlag! Aber der Mann wird mich rauswerfen lassen, wenn ich in die Villa trete!“ Was musste dieser Mann auch so autokratisch auftreten? Würde ein Flavier in die Villa Flavia die Herrschaft so dermaßen an sich reißen, würden die einen oder anderen Augenbrauen sich in die Höhe heben. Obwohl, wenn Furianus an ihn träte und ihm etwas befehlen würde, könnte er dann ablehnen? Vermutlich nicht. Zu viel Schiss. Es würde ja in ein paar Tagen jener Piso einfach auftragen, wofür er als Quaestor kandidieren wollte, und Piso würde keinen Widerspruch leisten, im Gegenteil, er würde nicken und Furianus beteuern, dies wäre kein Problem.
    Und dann sagte Celerina noch etwas, was ihm doch noch recht vernünftig erschien. Es war wenig, doch es war immerhin etwas. Es würde dafür sorgen, dass Corvinus Piso vielleicht ausreden lassen würde, wenn er auf ihn traf. Ja, erst dann würde er ihn rauswerfen, dachte sich Piso selber ein wenig zynisch. Aber was für eine Wahl hatte er?
    “Diese Idee... klingt gut. Ich würde gerne kommen auf deine Einladung hin.“ Denn, obwohl Piso Corvinus einiges an Rücksichtslosigkeit zutraute, Gäste der Ehefrau würde nicht einmal der rüpelhafteste Ehemann rauswerfen. Nun ja, der vielleicht, aber so etwas sollte nicht in patrizischen Haushalten passieren.

    “Quaestor Principis?“ Pisos Mund wollte sich weiter öffnen, zu einem Wort des Protestes, der Widerrede, der Defianz. Doch Furianus redete weiter, und was er sagte, das veranlasste Piso dazu, seinen Mund zu halten.
    Furianus verglich Salinator mit einem Rex, einen König. Und, wenn Piso mit sich ehrlich war – er hatte Vescularius die PAM-Affäre noch immer nicht vergeben. Natürlich war er lange nicht mehr bei der Kanzlei, und sein Wunsch, etwas Geld beiseite zu schaffen, hatte sich ob seiner guten Einkünfte aus dem Collegium Septemvirorum realisiert.
    “Du denkst also, der Kaiser könnte jederzeit sterben.“ Pisos Stirn legte sich in Runzeln. “Ach, Octavius. Macer, oder? Schon von ihm gehört. Macht er seine Aufgabe nicht gut?“
    Dann aber kam etwas, was Piso, dessen riesiges Ego vor Furianus immer wieder zusammensackte wie ein aufgestochener Ballon, erstaunte. Furianus vertraute Piso mehr als Octavius? Naja, das mochte nichts heißen, wenn dieser Octavier eine komplette Flasche war. Denn Furianus mochte Piso ebenfalls für eine Flasche halten, nur eine, die er besser unter Kontrolle hatte.
    Und dann begann er, über Opfer zu reden. Opfer bringen... Opfer. Piso hatte keine Ahnung, worüber Furianus nachdachte, ihm selber schoss SIE wieder durch seinen Kopf. Seine Liebe zu ihr opfern, um voranzukommen? Garantiert nicht. Darüber müsste er noch mit Furianus reden.
    “Dann kandidiere ich als Quaestor Principis. Kein Problem. Ich habe sowieso hin- und herüberlegt, ob ich städtischer oder kaiserlicher Quaestor werden will. Alea iacta est.“ Er tat die Sache mit einem Achselzucken ab. Ohnehin hatte er zu viel Respekt vor Furianus, um mit ihm darüber streiten zu wollen. Er schwieg einen Moment lang, bevor er weiterredete.
    “Was die Opfer angeht... da magst du Recht haben. Sehr wohl Recht.“ Er schluckte einen Moment lang, bevor er sich entschloss, weiterzureden.
    “Wann... wann hast du das letzte Mal Liebe zu jemandem verspürt? Ich meine, echte Liebe, die dein Herz berührte, dich erblühen ließ?“

    Furianus schien ein bisschen überrascht, zumindest kam es dem Jüngeren der beiden Flavier so vor. Zumindest die Post ließ er ob dieser Angelegenheit ruhen. Seine Frage kam direkt, ein wenig sachlich, wenig aufbauend, eher bürokratisch. Doch Piso antwortete wie aufgezogen: “Ja, als Quaestor. Als Quaestor Urbanus.“ Er hatte irgendwie das Gefühl, er musste sich dafür erklären, also tat er dies.
    “Ich hätte eigentlich Quaestor Consulum werden wollen, allerdings habe ich herausgefunden, dass mein Patron Purgitius Macer nicht als Consul fürs nächste Jahr kandidieren will – denn unter ihm wäre ich gerne Quaestor gewesen. Ich habe nun umdisponiert auf die städtische Quaestur. Erstens muss ich dafür Rom nicht verlassen, was sehr vorteilhaft ist, was meine Position als Septemvir angeht. Zweitens finde ich, dass dieses verwalterische Aufgabengebiet ziemlich gut dort hinein passt, wo ich bereits Erfahrungen sammeln konnte. Die Regelung und Überwachung des Reiseverkehrs ist zudem eine Sache, die ich, so denke ich, gut bewerkstelligen könnte.“

    Sim-Off:

    Sorry, vergessen.


    Ein Prachtstück also? Soso. Der Sklave sah gar nicht so aus. Vielleicht, weil er geschlaucht war durch die lange Reise. Er sah verschwitzt auch. Doch tat Piso das nicht auch? Parthien, gefangen im Krieg. Krieg? War das nicht schon ewig lange her? Er musste vorher jemand anderem gehört haben, der den Sklaven dann im Würfelspiel oder bei einem Bankrott verloren hatte. Ah ja, und das stimmte auch, der Sklave war tatsächlich schon vorher bei römsichen Herren gewesen. Soso. Ein Leibwächter also. Brauchte Piso einen Leibwächter? Vielleicht.
    Er drehte sich unwillkürlich nach rechts, wo ein Hund vorbeilief. Piso pfiff ihm zu, eher aus der schieren Gewohnheit – in Ravenna hatte er das immer gemacht – statt wegen echtem Interesse, die Aufmerksamkeit des Köters auf sich zu ziehen. Der Hund wandte ihm seinen Kopf und seine hechelnde Zunge zu, lief aber unbeirrt und unbeirrbar weiter. Wie das Schicksal... der Flavier seufzte und drehte seinen Kopf wieder zu der Tribüne hin.
    Er spürte, es lag etwas in der Luft, eine Bietatmosphäre. Diese konnte aber nicht zustande kommen, wenn der Sklavenhändler nicht die Auktion mit einem Startangebot eröffnete.
    Soldat war der Kerl also gewesen im Partherkrieg... Piso konnte wenig anfangen mit Soldaten. Für ihn waren das hirnlose Muskelpakete, die gegenseitig auf sich einhauten. Na gut, sie beschützten das Vaterland, gut und gerne. Aber er war halt der Meinung, die fähigsten Elemente zog das Heer nicht an. Gut, Aristides, sein Patron Macer und andere mochten Ausnahmen darstellen. Aber die Leute, die wirklich Hirn im Kopf hatten, die gingen in die Verwaltung. Bemühten sich um eine Senatskarriere. Gut. Nur Senatoren wurden Legaten, aber wann war das letzte Mal ein richtiger Soldat Consul gewesen? Es war schon lange her gewesen. Und wann war das letzte Mal ein Priester, wie Piso, Consul gewesen? Richtig, als Tiberius Durus, Pontifex vom Beruf, am Ruder war. Das löste Zuversicht in Piso aus. Er selber hatte keine Ahnung, ob er jemals zu den Pontifices kooptiert werden würde – er würde es durchaus aushalten bei den Septemviri, die Epulonen waren eine ganz tolle Rasselbande – aber mal sehen.
    Seine Gedanken wandten sich wieder dem Parther zu. Sollte er was rufen? Ja, gut, dann machte er das eben.
    “Händler! Wenn der Parther so gut Latein kann, dann soll er es beweisen! Er soll was sagen!“ Herrje, er hätte das Cassivellaunus sagen lassen sollen – aber der Typ war doch kaum in der Lage, 3 Wörter zu einem Satz zusammenzuknüpfen. Vielleicht würde so einer wie Shayan wirklich adäquater sein als Sklave wie der Britannier, der Piso irgendwie immer am Hals hing.

    Piso saß in seiner Sänfte, die Finger in die in den kunstvoll dort hingelegten Kissen hineingekrallt, wieder loslassend, wieder hineinpackend. Stressgriffe. Er versuchte, nicht allzu sehr zu schwitzen, doch wie konnte man solcherlei körperliche Funktionen steuern? Er versuchte sein bestes, Nigrina so wenig wie möglich anzuschauen, damit sie nicht die Panik in seinen Augen sehen konnte. Sein herz war ihm klamm, es war, als ob jemand durch seinen Anus eine gigantische Hand eingeführt hätte und nun sein Herz umklammert hielt – angeblich war dies in Parthien eine beliebte Methode, um Leute auf so schmerzhafte Weise wie möglich umzubringen. Aber konnte man dem vertrauen? In Rom erzählte man sich ja allerlei Schaudergeschichten über diesen Erzfeind, um ihn in Disreputation zu bringen.
    Piso dachte also über Parthien nach. Hauptsache nicht über Prisca, denn das würde gar nichts bringen. Parthien, die weite Wüste, und die Kamele. Die Elefanten. Die Edelsteine, die edle Kleidung, die... ach, verdammt. Der parthische Händler, bei dem Piso mit Prisca seine Ringe und ihre Kleider gekauft hatte. Es war zum Mäuse melken.
    Er ging also, als sie angekommen waren, eher roboterhaft (wenn es sowas zu dieser Zeit schon gegeben hätte) zu der Loge hin, die Nigrina dankenswerterweise reserviert hatte. Eine Loge für 4. Er setzte sich sicherheitshalber gleich neben Nigrina hin und stupste sie vorsichtig an. “Sag mal... wann kommen die beiden denn? Das ist doch das richtige Theaterstück, oder“ Vorsichtig trank er ein bisschen vom servierten Wein – unverdünnt. Er brauchte einen Nervenberuhiger.

    “Ah.“ Nun, wie hatte er dies auch annehmen können, dass sich ein Sklave sich an ihn erinnern könnte? Er war doch nur ein Priester, ein gewesener Vigintivir und hoffentlich baldiger Quaestor. Nur einer von vielen der aufsteigenden Sterne Roms, die jeden Moment verpuffen konnten, ins Nichts, in die Bedeutungslosigkeit. Wieso sollte sich ein Sklave, der sicher an diesem Tag so viele Gesichter gesehen hatte, lauter hoffnungsvolle Vigintiviratskandidaten, sich ein Spezifisches merken? Auch wenn an diesem gesicht dran jemand hängte, der bislang halbwegs Erfolg gehabt hatte in seinen Bestrebungen?
    Er merke nicht, was für einen Effekt seine Augen auf den Sklaven hatten, er merkte nur, er hatte eigentlich nichts zu sagen. Was denn auch? Und doch, er selber konnte sich an den Sklaven erinnern. Er war ihm im Gedächtnis geblieben, Piso wusste nicht recht, weswegen. Vielleicht wegen den Gesichtszügen, die aussahen wie gemeisselt? Oder wegen der Tiefgründigkeit, die er hinter den braunen Augen des Sklaven vermutete?
    Piso zupfte ein bisschen nervös rum an seiner himmelblauen Seidentunika, die immerhin den Vorteil hatte, dass sie nicht knallrosa war – denn so eine hatte er auch! Sogar zwei davon, wenn er darüber nachdachte! Das Himmelblaue sollte ästhetisch befriedigend wirken (oder auch nur den Eindruck vermitteln, dass man es, aus welchem Grund auch immer, mit einem überdimensionalen Baby zu tun hatte) und zudem aussagen, zu welcher Rennwagenfactio Piso hintendierte, wenn er diesem Sport überhaupt einen Gedanken schenkte. Eigenartige Stickereien zierten den Saum, und ganze 8 Ringe waren auf seinem Finger. Er hatte sie wieder angezogen, nach einiger Zeit. Einer war der flavische Siegelring, die anderen 7 hatte er mit Prisca gekauft. Ach, Prisca... er sollte lieber damit beschäftigt sein, ihr nachzujagen, als Hirngespinsten. Aber so war Piso eben, manchmal durchaus zu seinem Leidwesen.
    “Soso. Sicher. Denke aber zurück. Es war schon vor 2 Amtszeiten. Du bist doch der eine Sklave von Senator Vinicius, oder? Wie war noch einmal dein Name? Ich war bei ihm, habe um seine Unterstützung gebeten.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er hinzufügte: “Ich bin Flavius Piso.“ Dieser Name sollte jedem Kunstverständigen ein Begriff sein, bildete sich Piso ein. Er wartete neugierig ab, ob dieser Name beim jungen Mann vor ihm etwas sagte.
    Er wusste auch nicht, warum es ihm wichtig war, dass der Sklave sich an ihn erinnern konnte. Vielleicht nur etwas, was seinem Ego diente („hui, ich bin sooo wichtig, selbst die Sklaven können sich an mich erinnern!“).
    Jung war der Kerl. Jünger als Piso sicherlich. Seinen Zügen haftete etwas fast Feminines an, als ob sich Mutter Natur nur im letzten Augenblick dazu entschließen hatte können, ihm das am Schoße zu verpassen, was einen Mann von der Frau unterscheidet. Von der Ferne hätte man sich fast denken können – entweder es ist ein sehr gut aussehender Mann oder eine hässliche Frau. Doch es war ersteres. Aussehen tat er gut, doch war sein Gedächtnis gleichermaßen wohlbestückt?

    Piso begann ein wenig zu schwitzen. Er kratzte sich verlegen am Kopf, als hätte er etwas angestellt. “Ichhhh... nun... nein. Sie wissen nichts davon. Aber ich meine, dieser Corvinus bringt mich um, wenn ich es ihm sage!“ Wiederholte er sich da? Er wusste es nicht recht. Vielleicht. Egal. “Aber ich weiß es, sie liebt mcih. Ich spüre es, ganz tief in mir drinnen!“ Er griff sich mit beiden Händen an die Brust, und ihm entfuhr ein Ton, der nach Hach klang. In dieser Stellung verharrte er, bis er sich wieder einkriegte und Nigrina ernst ansah. “Meinst du wirklich, er wird seine Meinung von mir ändern, wenn ich ihm sage, ich möchte sie heiraten?“
    Diese Frage zu stellen hatte ihm ja schon einiges an Widerstandskraft weggezehrt, aber nun kam es noch dicker – Nigrina fragte ihn freiheraus, wie seine Leibesbeziehung mit Prisca war. Und sie riet richtig. Piso holte tief Atem. “Nigrina... ich habe dir eines nicht gesagt. Nach unserem Kuss. Nun ja... da war ich Opfern. Ich habe Venus geopfert, der Wandlerin der Herzen. Ich habe ihr geopfert, dass sie mich lieben lässt... naja, dass ich weiß, was ich Prisca gegenüber empfinde.“ Wer Pisos Vorgeschichte nicht kannte, für den würde das überhaupt keinen Sinn ergeben, aber das war Piso auch schon egal. “Auf jeden Fall – meine Liebe zu ihr kommt direkt von Venus! Sie hat es meinem Herzen erlaubt, Prisca zu lieben – und wie ich sie liebe! Ich will sie an ihrer Seite wissen! Und zwar jetzt! Sofort! Ahhh!“ Er machte ein leidvolles Gesicht und blickte sie aber hoffnungsvoll an. Sie würde einen Termin ausmachen! Piso strahlte auf einmal, unvermittelt, wieder. “Och Nigrinchen, du bist super!“, rief er aus und verpasste seiner Schwester noch einmal einen herzhaften Kuss.
    Was für ein Kontrast zwischen dieser geschwisterlichen Harmonie und dem wütenden Wortschwall, mit dem die beiden Flavier sich nun übergossen! Doch während Piso noch eher beherrscht war, flippte Nigrina vor Zorn komplett aus. Was sollte Piso tun? Ah ja! Eine feine Idee, die er da hatte. Er schaltete auf Durchzug. So, und fertig. Nigrinas Worte drangen in sein ein Ohr hinein, und durchs andere wieder hinaus. Während er vorgab, zuzuhören, dachte er darüber nach, ob es denn wirklich fair war. Nigrina tat alles, um ihn mit Prisca zu verkuppeln – und er selber stellte sich quer? Das war auch nicht die feine britannische Art. Plötzlich fühlte er sich ein bisschen schuldig. Er legte den Duchzugschalter um, als Nigrina begann, herumzugehen, und begann wieder, hinzuhorchen.
    “Vater? Ach du Sch...“ Piso schluckte. Nicht schon wieder der. Nein, nein, nein. Er seufzte, tief und fest. “Na gut. Na gut. Na gut! Weil du es bist, aber wirklich nur, weil du es bist, oh Schwester! Ich werde mir den Kerl mal anschauen. Vielleicht stellt es sich heraus, dass er nicht eine so gewaltige Dumpfbacke ist wie dem sein Verwandter“, drückte er es im feinsten Lateinischen aus. “Wäre eigentlich zu hoffen“, setzte er pessimistisch nach. “Also. Zufrieden?“ Er blickte Nigrina zweifelnd an.

    Auch Piso trank, jedoch war sein Schluck ein wenig größer als der von Gracchus. Der Wein war wirklich gut. Falerner, Caecuber? Etwas in der Qualitätsrichtung. Seine Augen folgten den Bewegungen des Gracchus, als dieser nach seinem Tympanon griff. Dabei gab er Piso die Erlaubnis, seine eigene Melodie vorzugeben. Piso nickte. Gracchus hatte wohl recht, und einer Lyra konnte man mehr Melodien entlocken als einem Tympanon, wiewohl auch Piso war, aus einem Tympanon konnte man allerlei hervorwürgen, wenn man es auf kreative Art und Weise zu zupfen wagte.
    “Gut. Gut.“ Mit sonorer Stimme, die nichts davon erahnen ließ, wasnun folgen würde, zählte er gemächlich ein. “Drei... und zwei... und eins...“ Er lächelte Gracchus noch einmal zu, bevor er seine Hand in die Lyra hineinrauschen ließ und rabiat daüber hinwegraspelte. Die Lyra gab einen Klang von sich, als ob man mit Fingernägeln langsam über eine Tafel kratzen würde. Der Flavier würgte die Lyra direktgehend. Die Töne, die ihr entströmten, waren mehr als abstrus. Aber immer noch besser als das, was Piso nun entfuhr.
    “Ajajajajajajajajaj...“ Klimper! Krächz! Knarr, machte die Lyra. “AJAJAJAJAJAAAAAAAAAAAAAAJ! Ich bin ja so unglücklich!“ Piso beugte sich mit künsterlischer Leidenschaft über die Lyra und riss mit Gewalt an den Saiten, die aufkreischten wie gequälte Seelen. “Ojojojojojojoj! Ojeojeojeoje! ICH! BIN! JA! SO UUUUUUHUUUUHUHUNNNNNGLÜCKLIIIIIIIIIICH!“ Das unglücklich startete in einer fisteligen, hohen Tonlage, die im Laufe des Wortes schräglings absackte und in einem herben Zischlaut endete.
    Abrupt hörte er auf und erklärte Gracchus mit salbungsvoller Stimme: “Ganz simpel. Die Melodie ist schon voll entwickelt, auch inhaltlich kommt nicht mehr viel dazu, der Rest sind Abwandlungen, aber der Effekt ist durchaus nicht zu verachten.“ Dann ergriff er wieder seine Lyra, noch bevor Gracchus ihn daran hindern konnte.
    “AJAJAJAJAJAJAJAJAAAAAAAAAAAAAAAAAAAJ! O weh, o weh, o weh! Wie das weh tuuuuuuuuUUUUUUUAAAAAAUUUUUOOOOUUuuut!“ Piso zog eine leidensvolle Miene, als er leidenschaftlich in die Lyra reingriff, um ihr einen noch hässlicheren Laut als vorher zu entlocken. “ICH BIN JA SO! SO! SO! SO! SO! UUUUUUUUUUUUUhu.... UUUUUUUUUUhu...UUUUUHUHUHUHUHUNGLÜCK... lichhhhhhhhhh...“ Bei der letzten Silbe betonte er dessen Gutturalität mit einem besonders exquisiten Laut – exquisit, weil er sich anhörte, als ob man jemandem eine Lyra derb über den Kopf gehauen hätte.
    Er legte die Lyra kurz ab und betrachtete Gracchus‘ Reaktion, als er einen Schluck Wein trank.

    “Och, danke!“ Piso war begeistert! Bisher hatte er seine... hmm... Base, Cousine, Nichte... Verwandte immer als eher Unnahbar und Streng wahrgenommen. Aber diese Worte erwärmten ja die Seele! Blut war dann wohl auch dicker als Wasser, ein Sprichwort, das vielleicht ein wenig doof war, aber auf jeden Fall für die Beziehungs- und Verwandtschaftsgeflechte in der Gens Flavia wie auch in anderen patrizischen Familienverbänden sehr wahr war – was Plebejer anging, wusste er da nicht so unglaubich viel, um ehrlich zu sein. Er glaubte eher nicht, dass er da so eng war, der Zusammenhalt.
    Celerina erwies sich auch als gute Zuhörerin, als Piso ihr, wie es sein Stil war, übertrieben theatralisch seine Leiden erzählte und dazu auch noch große Gesten schlug, als ob dies irgendetwas brächte, oder seine Argumente klarer umrisse.
    Hach ja? Das klang ja schön einmal schön. Begierig schaute er in Celerinas Augen. Sah er das Spuren von aufrichtiger Ergriffenheit? Schön! Er sah sein Ziel, seine Liebe, sein ein und alles näher rücken! Er hatte Celerina auf seiner Seite, und das war großartig. Von nun an würde alles laufen wie geschmiert, er war sich darin komplett sicher!
    Piso war natürlich komplett genebelt von seiner Liebe, aber sich selber musste er eingestehen, dass es ihm ganz großartig zupass kam, dass es eine Patrizierin aus senatorischem Geschlechte getroffen hatte. Eine Aurelia. Auch wenn er auf die männlichen Aurelier immer mehr herabblickte – bis auf Ursus, der war ihm als guter Kerl in Erinnerung geblieben – waren die Aurelierinnen erste Sahne. Prisca natürlich zuoberst. Dann auch die beiden Zwillinge. Und er hatte ja auch schon irgendwann einmal Tiberius Durus‘ Frau gesehen... oder war das nur Einbildung? Sie war angeblich eine ganz Hübsche.
    Ebenso wie Celerina nahm er einen Schluck, einen noch viel tieferen als sie. Dramatik, ja. Piso war ein Fan von Dramatik, außer, sie richtete sich gegen ihn, wie nun der Fall. Er nickte bei ihren Worten, die vor Mitleid gerade strotzten, und horchte auf bei ihrer dramatischen – hach, wieder dieses Wort, fast so gut wie Ästhetik! – Pause. Was heckte sie nun aus?
    Sie vertraute ihm an, dass es Wege und Mittel gäbe. Wege und Mittel! Piso riss seine Augen und seinen Mund auf, zusammen mit seinen von seinem Kopf wegstehenden Locken sah das ziemlich witzig aus.
    “Welche Wege?“, krächzte er und schob seinen Kopf langsam ihr entgegen, wie, um sie besser hören zu können. Oh Celerina, seine einzige Hoffnung! Wie würde er sie verehren, wenn ihr Plan, den sie nun auszubreiten gedachte, funktionierte! Noch bevor sie sprechen konnte, hatte der Septemvir in Nöten in seinem Kopf schon ein wahres Schema zu Celerinas Heldinnenverehrung entwickelt. Wenn das wirklich hinhaute, konnte Dido, die bei seinem verehrten Vergil beschriebene romantische Königin von Karthago und Liebhaberin des großen Aeneas, als seine Lieblingsheldin der Mythologie einpacken!

    Das Officium des Lucius Flavius Furianus, des diesjährigen Consuls, war ein Monstrum in Pisos Vorstellung. Ein Officium, in dem der Consul hockte, um dort dämonisch schlecht drauf zu sein. Doch lange drumherum kommen konnte Piso nicht. Nicht bei seinen Ambitionen. Nicht bei seinen Plänen.
    Und so fand er sich eines Tages vor dem Cubiculum des Furianus stehen. Er seufzte, hob die Hand und klopfte an. Er wartete, bis er ein herein hörte, und trat dann herein.
    “Salve, Vetter. Ich wollte mit dir sprechen. Der Wahltermin steht ja jetzt schon fest, oder? Ich würde gerne als Quaestor für das nächste Jahr kandidieren. Kannst du meine Kandidatur stattgeben?“ Sicher würde er das können bei einem Verwandten, dessen karrieristisches Weiterkommen er doch sicherlich wollte. Denn nach der Quaestur stand ja auch schon die nächste Stufe an... die Zugehörigkeit zum Senat. Und das wollte Piso so schnell wie möglich erreichen.

    Es war erstaunlich hie und da, wie es im Leben ging. Man setzte einen Schritt vor den anderen, wusste gar nicht, wohin man ging, und plötzlich stand man wo, an einen Ort, mit dem man ein starkes Gefühl verband, wo etwas geschehen war, was man nur noch schwer aus dem Kopf verdrängen konnte. Es passierte jetzt Piso nicht so häufig, nur so oft, dass er wusste, dass es so etwas gab. Und heute passierte es wieder. Ein kurzer Schlenderer über den Markt, wie in den guten alten Zeiten, und schon war er an einem Platz, der ihm vertraut vorkam. Eine Bibliothek. Bücher, Büche, Bücher. Wie war er hier hineingekommen? Er wusste es nicht. Er hatte natürlich irgendeine Türe betreten, aber dass er gerade wieder hier gelandet war, war erstaunlich.
    Hier hatten sich ihre Hände berührt. Hier hatte er das gespürt, wonach er sein Leben lang gesucht hatte – Seidenhände. Nun, zumindest hatte er diese in seinem Gedicht lobgepriesen. Viel eher war es aber so, dass er die schiere Präsenz von Prisca, welche ja eine große Ausstrahlung nicht nur menschlicher, sondern auch sexueller Art besaß – jaja, Piso war auch nur ein Mann, nicht so vorwurfsvoll schauen! – dass er von ihr komplett umgehauen worden war.
    Piso hob langsam seinen rechten Finger und fuhr die Bücher entlang, welche aufgereiht waren; nicht nach einem ersichtlichen Muster war jedem Autor ein eigenes Regals gewidmet. Die Bücher waren aber alphabetisch geordnet. Ovid. Vor diesem Regal war es geschehen. Und auf der anderen Seite... Vergil. Sein Lieblingsautor. Er lächelte, als er diese wundervolle Ecke betrachtete. Sein Auge blickte nach oben, zu der großen Auswahl von unterschiedlichen Ausgaben der Aenaeis, ein wundervolles Werk, welches Piso schon so oft gelesen hatte. Sein Blick schweifte nach links ab, eher durch Zufall, zu Plinius, wo sich die Regale zur Straße hin öffneten, und jemand, der von Ovid und Vergil kommen mochte, zwischen zwei Regalen hervortreten würde.
    Vor Plinius stand ein Männchen, das Piso zuerst ignorierte – doch plötzlich fiel ihm ein, dass er den Kerl schon einmal gesehen hatte. Er machte einen Schritt näher auf ihn zu und musterte ihn neugierig. Den kannte er doch. Oder? Senator Vinicius? Nein, nicht der, ein anderer vielmehr. Ein Sklave von ihm. Seine Gedanken klarifizierten sich. Der Sklave, der die ganze Zeit betrachtet hatte. Der sie betrachtet hatte, mit einem seltsam undeutbaren Blick. Interessiert? Gelangweilt? Wer wusste es?
    Piso hustete, um so die Aufmerksamkeit des Sklaven auf sich zu ziehen, realisierte aber in diesem Moment, dass er rein gar nichts zu sagen hatte, und wunderte sich über sich selber, dass er überhaupt den Sklaven nun auf sich aufmerksam gemacht hatte.
    “Äh. Salve, Sklave. Erinnerst du dich an mich?“ Etwas Besseres war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen, aber besser als bedeutungsarmes, inhaltsleeres, peinliches Schweigen.

    “Ihr Tutor. Das stimmt. Aber er ist halt auch viel mehr für sie... wie ein Ersatzvater. Also, auf jeden Fall, Prisca würde sich weigern, an ihn vorbeizuheiraten. Das weiß ich. Au Backe, ich verstehe es nicht! Kacke, Kacke...“ Missmutig kickte er einen Ständer, eine Miniatursäule, und zwar genau jene, auf der die Büste von Vespasianus stand, welche Piso einst aus dem Speicher gerettet hatte. Die Büste begann zu wanken, Piso machte riesige Augen, und warf sich zu ihr hin, sie gerade noch rechtzeitig auffangend, bevor sie am Boden aufkam und sie zerschellen würde. “Uff. Vergib mir, Ahne!“, flüsterte er mund positionierte vorsichtig wieder die Büste auf die kleine Säule zurück.
    Erst dann wandte er sich wieder seiner Schwester zu und schluckte. “Furianus? Nun ja... er ist moemntan extrem beschäftigt... ich habe eigentlich gedacht... vielleicht sollte ich ihn nicht mit solchen Nichtigkeiten belästigen wie meinen Liebschaften... aber naja, in diesem Fall ist es ja auch keine Nichtigkeit. Ich werde zu ihm gehen.“ Er nickte kräftig. Ja, das würde er machen. Furianus hatte ja auch irgendeinen Deal mit diesem Aurelier am Laufen – was für einen, wusste Piso nicht, irgendein Tirocinium Fori oder so, etwas, was ein Mann seines Kalibers nie nötig gehabt hatte. Vielleicht war er ja bald mal was Historisches. Der letzte, der ohne Tirocinium Fori es in den Senat schaffte. Aber halt, da war noch Iulius Centho. Der war... Aquarius? Nicht, dass er den kerl besonders gut kannte, er wusste nur, dass er bekannt war für seine Verhaspler in seiner Rhetorik. Nun ja, schon viele schlechte Redner sind was geworden. Nun, um zurück auf Furianus zu kommen - der könnte sicher was hinbiegen. Vielleicht. Eventuell. Nicht sicher, aber unter gewissen Umständen. Oder so. Pisos Gehirn war verwirrt und irrte momentan im Lala-Land herum. Wenn es das nicht immer tat.
    Ach, Nigrina hielt ihn umarmt. Sie war doch eine liebe Schwester. Piso reuten irgendwie die ganzen Jahre, die sie mit Streitereien verbracht hatten. “Ich wäre für jeden Termin offen!“ Sogar, wenn dies inmitten einer Sitzung der Septemviri läge. “Wann du willst! Wann auch immer du willst!“ Er würde seiner Schwester volle Ermessensfreiheit einräumen. Immerhin war sie in seiner Achtung nun so gestiegen, dass Piso nun bereit war, sich nach ihr zu richten, und nicht das Umgekehrte verlangte. Nun ja, was Termine anging.
    Interessant, dass bei Nigrina die linke Augenbraue höher anstieg als die rechte. Bei Piso war es andersrum, dabei müsste das doch gleich sein, waren sie doch Geschwister. Nun ja, nicht volle Geschwister, ihre Mutter war eine andere – welch Wunder, wechselte Aetius doch seine Fragen wie andere ihre Tunicae. Er presste die Lippen zusammen.
    “Es ist mein Ernst.“ Er blickte mit eben jenen Nigrina an. “Es geht, wie gesagt, nicht um mich. Es geht um die Ehre der Familie. Der Aurelier ist darüber hinweggetrampelt wie ein Kuh über eine Wiese. Und das sollte nicht damit belohnt werden, dass sein Verwandter eine Flavierin bekommt. Das, Nigrina, ist die Grundlage der Erziehung! Zuckerbrot und Peitsche!“ Er streckte seinen rechten Zeigefinger hoch. Woher er das Recht nahm, sich zum Erzieher der Aurelier aufzuspielen, deutete er mit der linken Hand an. “In uns fließt das Blut von Kaisern! Und wir müssen uns das nicht bieten lassen! Und ja, wir müssen zwangsläufig Sachen aufs Spiel setzen, um unsere EHRE zu bewahren! Das sind wir unseren illustren Vorfahren schuldig!“ Er gestikulierte zu Vespasians glatzköpfiger Büste hin. “Egal, ob du es einsiehst oder nicht, es geht dich was an! Unser Vater hat mir die Macht übertragen, die Heiratsverhandlungen zu führen – und ich werde sie beginnen, wann ich es für angemessen halte!“ Er verschränkte eingeschnappt seine Arme. “Und das wird sein, wenn ich die Chance sehe, an Prisca heranzukommen. Nicht einmal, wenn ich sie sicher habe, einfach nur, wenn ich die Chance sehe. Wenn ich aber diesen Beton an Sturheit bei den männlichen Aureliern sehe, weigere ich mich, meine Schwester unter diese Möchtegerns zu werfen! Das musst du doch einsehen!“ Sein Respekt vor den männlichen Aureliern hatte ganz klar ein Tief erreicht.

    Klimperklimperklim...
    “Salve, mein Vetter!“, erschallte froh die Stimme des Piso, der seine Lyra beiseite legte und aufstand, um Gracchus zu begrüßen. Tatsächlich war sein Instrument neu, aber Gracchus würde es wohl erschaudern lassen, wüsste er, dass die schrägen Laute von eben nicht etwas waren, was Piso durch Stimmen wegmachen wollte. Es waren Töne, die Piso erstrebt hatte, und jetzt nur noch feinkalibrierte. Wohltemperiertheit von Klängen war für Piso ein Fehlkonstrukt, welches süßlich und allzu gefällig den wahren ästhetischen Kern der Musik verleugnete. Nein, Musik hatte anders zu klingen, moderner, frischer, ungewöhnlicher. Gracchus würde das sicherlich ebenso sehen. Eben darum freute sich Piso so über die Präsenz des Sohnes seines Onkels Vespasianus.
    “Das sehe ich. Schönes Instrument“, stellte Piso mit sachlichem Kennerblick fest. Ein flaches Tympanon, klassisch und sehr griechisch, doch war dies die Lyra auch. Schließlich hatte die Lyra sogar den Anspruch, das älteste Instrument der Welt zu sein, hatte doch Apoll einst diese wundervolle Sache erfunden. Ohne Apoll wäre also sein Leben sinnlos, tja, er sollte ihm häufiger opfern! Sein Blick folgte Sciurus. Piso hatte sich trotz der langen Zeit, die er schon in derewigen Stadt verweilte, noch immer nicht mit dem Sklaven anfreunden können. Für ihn war es eine seltsame und zuhöchst dubiose Gestalt, die ob ihrer mangelnden Ästhetik in den Müllkübel abgeschoben gehörte. Nun, aber am Eigentum von anderen konnte man sich leider nicht vergreifen. Zumindest nicht, ohne Sanktionen ins Auge zu sehen.
    “Danke“, machte Piso brav, als Gracchus Wein einschenkte – ungewöhnlich, sonst machten es ja zumeist Sklaven. Aber hie und da sollte man schon noch eine Handbewegung ausführen. Oder nicht? In Piso entstand schon das Bild von ihm selber, wie er von Sklaven innerhalb der Villa herumgetragen wurde. Das war befriedigend. Doch dieses Hirngespinst konnte er später noch verfolgen, vorerst galt es aunzustoßen.
    “Auf Apoll!“ Es fiel Piso nicht schwer, auf diesen einen Gott anzustoßen, den Gott der Musik. Unter anderem. Auch Piso legte seinen Becher schief, um eine wohl dosierte Portion des Weines auf den Boden zu schütten, wenn auch ein bisschen weniger großzügig als Gracchus. Schließlich war er ja kein Pontifex, sondern nur Septemvir. Und er hatte – wichtig – Durst. Wenn auch die Zufuhr von Wein schier unerschöpflich schien im Hause Flavia. Die Tropfen schüttete er hingegen nicht direkt auf den Teppich, sondern bemühte sich, sie daneben zu schütten. Es war gut, seine Extremitäten unter Kontrolle zu haben.
    “Auf Marcus, ja, sehr wohl“, stimmte Piso mit ein und dachte zurück an seinen Vetter. Ja, wie es ihm nun wohl gehen mochte. Er erinnerte sich daran, wie sie sich einst zusammengerauft hatten in Aristides‘ Zimmer. Das waren noch Zeiten gewesen... hach. Das mit den ausgelassenen Abenden wollte er einmal nicht auf sich bezogen haben... obwohl... in letzter Zeit waren diese viel weniger geworden. Es war die Arbeit. Er seufzte.
    “Gut, gut. Willst du eine Melodie anstimmen?“, fragte er Gracchus.

    Piso grummelte. “Da ist mein Rücken! Rückenmassage halt! Ist doch einfach!“, kam aus dem Kissen, in welchem Piso bereits seinen Kopf platziert hatte, hervor, und rückte extra noch ein bisshen nach rechts, sodass er möglichst mittig im Bett platziert war. Dort musste es doch ganz leicht sein für Semiramis, seine Schultern zu massieren.
    Und tatsächlich begann sie. Sein Grunzen wurde etwas lauter, es hörte sich so an, als ob ein Mastschwein seine letzten lustvollen Minuten vor dem Tod auf der Schlachterei verbringen würde. Tatsächlich löste die Massage ein wohliges Gefühl in Piso aus, vielleicht viel weniger, weil Semiramis so eine perfekte Masseuse war, sondern viel eher, weil er den Kontakt einer hübschen Frau verspürte. Und selbst der unsterblich verliebteste Mann konnte sich den Attraktionen von solchen Berührungen nicht entziehen.
    Er ließ sich also die Behandlung gefallen, sein Grunzen wandelte sich langsam in ein wohliges Brummeln, das eher einen Bär als ein Schwein im Bett liegend vermuten ließ.
    Die Frage sickerte nur ganz langsam zu Piso durch, und er brauchte etwas Zeit, um sie zu beantworten, während Semiramis weitermassierte.
    “Sie heißt Aurelia Prisca“, machte er mit leicht desperatem Tonfall. “Und sie ist sehr schön und lieb und nett und gebildet und intelligent und ohnehin komplett und vollständig wundervoll. Ganz prima. Du solltest sie mal kennen lernen...“ Er verkniff sich einen Kommentar, mit dem er die gerade entstehende vertrauliche Beziehung verderben würde – obwohl natürlich Semiramis vermutlich Priscas Laune mit ihrem konstanten Missmut verderben würde.
    “Aber es stehen so viele Dinge im Weg... naja, nur eine. Ihr Tutor ist so ein Giftzwerg... lässt mich einfach nicht an sie ran! Was für ein Dummerjan!“, schimpfte er vor sich hin. Dann begann er unvermittelt einen Laut erklingen zu lassen, der klang wie ein ersticktes Aufschreien. “Alles geht so schlecht... ich komme an meine Geliebte nicht ran! Meine Schwester liegt verflucht noch einmal im Sterben! Und Wahlen sind auch noch!“ Er setzte sich unvermittelt hoch und blickte Semiramis an wie ein waidwundes Reh. “Mein Leben ist so scheiße und verbockt!“, redete er sich ein.

    Ja, gut, dass Flora Pisos Gedanken nicht lesen konnte. Und genau dies war auch der Grund, warum Piso gelernt hatte, seine Klappe zu halten, wenn es darauf ankam. Damit war er sehr gut gefahren, und würde es auch weiterhin tun. Aber da Piso seine Klappe hielt, und Flora auch nichts von seinen Gedanken wusste (wobei sie sich vermutlich vorstellen konnte), waren diese Gedankenspiele rein akademisch. Ja, Schweigen war Gold.
    Sie schaute groß drein, als Piso weiterlaberte, und schloss schließlich, ohne es auf eine Konfrontation ankommen zu lassen, wofür Piso Flora doch recht dankbar war. Wieso konnten nicht alle Menschen so unverfänglich und verhandlungsbereit sein wie Flora? Im Speziellen, warum nicht alle Aurelier?
    Er war dann aber schon etwas überrascht, als sie seine Worte lobpries. Es klang also gut? Schön, hatte Piso mit einem Griff in den wohlbewährten Topf der Kitschigkeiten doch nciht fehlgeschlagen! Sowas mochten die Mädels, schien es. Was, wenn Prisca da anders war? Na ja, ihre Cousine würde sie sicherlich gut kennen, besser als er, der ja bisher ingesamt, wie ihm jetzt auffiel, weniger als 24 Stunden mit Prisca insgesamt verbracht hatte. Schon skurill, und trotzdem liebte er sie (da hatte sicher Venus ihre Finger wieder mal im Spiel).
    Er lächelte leicht. “Ich danke dir für alles, Aurelia. Ich hoffe, das alles wird sich bald in Wohlgefallen auflösen.“ Ja, das wäre ganz besonders fein. Hachja... träum weiter, Aulus, säuselte eine Stimme in ihm drinnen.

    Es bedurfte keiner Erklärung, dass der Flavier das Sklavengesocks, das Celerina d mit sich herumzog, keines Blickes würdigte. Er war nur konzentriert auf seine... hmm. Nun gut, Furianus nannte er auch seinen Vetter. Da konnte er Celerina eigentlich genau so gut seine Base nennen. Es wäre eine unglaubliche Versimplifizierung des flavischen Verwandtschaftsgeflechts, aber wurscht.
    Innerlich musste Piso zugeben, dass er Celerina etwas bewunderte. Sie hatte eine solch hochfürstliche Ausstrahlung, sie war eine geradezu majestätische Erscheinung... auf jeden Fall war ihr anmutiger Anblick Balsam für die ästhetikbetonte geschundene Seele des bis dato verkannten Künstlers.
    Dass sie ihm nur Scheinküsschen gab, bemerkte Piso nicht – ohnehin glich er das durch seine haubitzenartige Schmatzer aus. “Ach, danke auf jeden Fall. Wenigstens jemand, der sich um mich sorgt“, murmelte er und ließ sich neben ihr nieder. “Klar, sicher. Zweimal verdünnt“, meinte er mit lethargischer Stimme zum griechischen Mundschenk, der diesen Befehl geschwind ausführte, und dann in Konsequenz blitzschnell abdampfte.
    Was konnte sie also für ihn tun? Piso musste zuerst überlegen, seine Worte sammeln, und tief Luft holen. “Vielleicht kennst du die Geschichte schon. Nun gut, ich werde dir alles erzählen.“ Auslassen würde er schon ein paar Sachen... zum Beispiel die Beschimpfungen, oder dass zuerst einmal ein Opfer notwendig gewesen war. Er schämte sich dessen leicht. “Ich lernte Prisca zuerst auf deiner Hochzeit kennen. Hernach haben wir uns lange nicht mehr gesehen. Doch eines Tages laufen wir uns am Markt über den Weg. Ich habe mich... nun ja, etwas wenig pfleglich aufgeführt. Als Wiedergutmachung habe ich ihr zwei Kleider geschenkt... und wir sind noch in eine Bibliothek und... naja. Wir haben sogar Hände gehalten... das muss dir so kitschig vorkommen, ach je. Wie dem auch sei, ich wurde dann zum Vigintivir gewählt, und kam zu deinem Ehemann, um mich mit ihm wegen Bücherverbrennungen zu unterhalten. Ich spazierte, als ich auf ihn wartete, in den Garten, und traf dort wieder Prisca... und eines führte zum anderen, und schließlich küssten wir uns. Dabei erwischte uns Corvinus. Und er sagte mir, ich solle sie nie wieder sehen. Und Prisca gab mir eine Ohrfeige. Ahhh, schmerzhafte Venus!“, betete der derangierte Septemvir theatralisch in den Himmel hinauf.
    “Dann aber, am nächsten Tag, kam eine Base von Prisca zu mir. Du kennst sie sicher, Flora. Sie übergab mir einen Brief von Prisca, in dem sie mir sagte, es täte ihr Leid. Und mit Nigrina, meiner Schwester, hat Prisca bereits etwas ausgemacht, wo ich und Prisca uns wieder treffen könnten. Es würde alles so gut passen! Es würde laufen wie geschmiert! Nur eines steht im Weg – dein Mann. Er weigert sich, er will nicht, dass Prisca mich heiratet. Er will nicht einmal, dass ich mich ihr nähere. Ich, ein Flavier, aus einem viel nobleren Geschlecht als dem seinen!“ Das zu sagen war keine Überheblichkeit, sondern eine Tatsache, dachte sich Piso. “Und ich weiß nicht, wie ich ihn überzeugen kann. Darum brauche ich deine Hilfe. Wie kriege ich deinen Mann herum?“ Und wieder ärgerte er sich innen drinnen über den überheblichen Aurelier! Unbewusst ballte er seine Rechte zur Faust.