Piso hatte sich schon einige Szenarien ausgemalt, in der er sich vorgestellt hatte, wie Nigrina auf seinen Anblick reagieren würde. Zornig vielleicht, weil er sich mit ihrem so heiß geliebten Vater überworfen hatte, und keine Schritte unternommen hatte, um den Streit zu glätten. Nun, es waren unverzeihliche Worte gefallen, und Piso wunderte sich schon scher, dass jetzt überhaupt sein Vater ihm einen Brief schrieb. Es musste einer der impulsiven Hüftschüsse gewesen sein, für die Aetius notorisch war und die Piso auch eindeutig von ihm geerbt hatte. Nicht, dass Piso vom Brief sehr erbaut gewesen wäre, aber brüderliche Pflichten wogen dann doch immer wieder recht schwer. Vor allem, weil er ja gar nichts gegen Nigrina selber hatte. Nein, er mochte seine Schwester sogar irgendwie, obwohl sie viele Seiten hatten, die ihm rein überhaupt nicht in den Kram passen wollten. Immerhin wusste sie Schönheit zu schätzen. Und sie war kein jämmerlicher Waschlappen, mochte sich in dieser Hinsicht vielleicht auch vom zimperlichen Piso, der von seiner calpurnischen Mutter die Empfindsamkeit hatte, unterscheiden. Nur war es ihre Zuneigung zu seinem Vater, der Piso nie wirklich nahe gestanden war, die ihm missfiel. Doch wer wäre er, ihr Liebe zu ihrem Vater zu verbieten?
Sie erwiderte seine Willkommensworte, die durchaus als solche gemeint waren, wiewohl das Wort Willkommen eher implizit gewesen war, und ihm blieb nichts anderes übrig, als sich ein wenig zu verwundern über den leicht sarkastischen Tonfall, den man ihrer Stimme dabei anhören konnte. Nun, seine kleine Schwester war schon immer seltsam gewesen. Wie halt alle Flavier. So ignorierte Piso erst einmal den Tonfall, er konnte eh nur verlieren, wenn er es ansprach.
“Nun, das ist schön zu hören!“, meinte er, als Nigrina ihm von ihrer langweiligen, aber sicheren Reise erzählte, wiewohl sie gleich weiter sprach. Ein Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. Dieser Punkt war wie Balsam auf seiner Seele. “Das stimmt, ich hänge jetzt nicht einfach nur mehr herum!“, sprach er aus, was sie sich schon gedacht hatte. “Vor die steht ein Septemvir und ein Tresvir Capitalis. Nicht zu vergessen, ein Mitglied der Arvalbruderschaft!“, meinte er stolz, und bei jeder Aufzählung von einem weiteren Titel wurde sein Grinsen breiter. “Wahre Ästhetik, Schwester, besteht doch nur dann, wenn man das Beste tut und hoch zielt!“ Befriedigt blickte er seine Schwester, die niemals politische Ämter erreichen werden würde, an. “Du wirst sehen, schon bald bin ich Senator Roms. Das hätte man sich wohl nie denken lassen, als ich noch damals in Ravenna herumgelümmelt bin, doer in der Welt herumgezogen bin.“ Er lachte kurz, bevor ebendieses Lachen verebbte.
“Wenn du dich fragst, wieso Vera nicht hier ist... nun ja... es geht ihr sehr schlecht.“ Er ließ seinen Kopf leicht hängen. Nigrina würde sicher wissen, wieviel ihm an Vera lag, war sie doch der Mensch auf der Erde, den Piso am meisten und am tiefsten liebte. Schließlich war sie seine einzige volle Schwester, und ihm in vielem ähnlich. Zum Beispiel im Kunstgeschmack.
Er erhob seine rechte Hand und tätschelte Nigrina linkisch an die Schulter. “Gut, dass du da bist, Nigrina, gut...“ Er dachte kurz nach, was nun? “Wie geht es eigentlich den unseren in Ravenna?“
EDIT: Die liebe Kosmetik