Eigentlich könnte sich Piso denken, dass sein Vater den Streit nicht allzu publik gemacht hatte. Schließlich wäre dann auch herausgekommen, worum es in diesem Streit gegangen war. Mittlerweile tat es Piso fast schon wieder ein wenig Leid, dass er sich von seinem Vater losgesagt zu haben schien. Aber... seine Mutter umbringen... es war ein fürchterliches Dilemma gewesen, und in diesem hatte sich Piso, der sich von seinen Vater schon immer ungeliebt gefühlt hatte, dafür entschieden, die Partei seiner Mutter zu ergreifen, die in seinen Träumen sowieso schon göttliche Züge angenommen hatte – Calpurnia Fausta, die Heilige. Sicher hatte sie Vera nicht unähnlich geschaut, immerhin sagte man ja allgemein, dass sie eine sehr schöne Frau gewesen war – was ja auch unbestritten Vera war.
Er hörte an, dass durchaus etwas Respekt durchklang in der Art und Weise, wie sie seine Titel echote. Aus ihrem Mund klang es fast noch hübscher, denn Piso hätte sich nie gedacht, dass Vera in Verbindung mit Piso jemals etwas sagen würde, was auch nur im Entferntesten mit einem solchen Respekt in Verbindung stand. Dabei konnte sich Piso fast denken, dass Nigrina dies gefiel. Jedenfalls schien sie recht glücklich, mit einem Lächeln auf ihrem Mund. Ebenso, wie es ihrem Vater gefiel. Wenn man sagen konnte, der Bruder war Politiker und Priester, klang das um einiges besser, als Rumgammler und Nichtsnutz. Vor allem das Priestertum hätte man Piso wohl eher nie zugetraut. Schließlich hatte er sich nie groß um die Götter gekümmert – bis er dann, fast auf einem Schlag, damals, als er den Arvalbrüdern beitreten wollte, seine Spiritualität entdeckt hatte.
Er war es nun, der ein leichtes Schulterzucken machte und dabei schmal lächelte. “Ich wäre der letzte gewesen! Aber, ich sage dir... hier in Rom ist das ziemlich brutal für einen Mann. Entweder man macht Karriere, oder man wird als asozialer Absteiger zum Stadtgespött. Dies wäre untragbar für mich gewesen.“ Genauso untragbar, wie in Ravenna zu bleiben, oder seine Talente irgendwo sont in der provinz vermodern zu lassen. Wenn er daran zurückdachte, was er früher für ein riesiger Hallodri gewesen war... nun, er war es noch immer. Aber er konnte sich, wenn es darauf ankam, nun unter Kontrolle halten. Kurz erinnerte er sich zurück an das erste Mal, dass er Gracchus unter die Augen getreten war. Gracchus musste ja gedacht haben, dass er ein kompletter Idiot war, mit seinen schrägen Ansagen. Mittlerweile aber malte er sich schon gute Chancen aus, die Wertschätzung seines Vetters zu genießen. Schließlich hatte er ihm dabei geholfen, das zu werden, was er nun war.
Als sie ihm ihr Beileid versicherte über den miserablen Zustand von Vera, und ihm sogar die Hand auf die Schulter legte, lächelte er sie kurz dankbar an. “Das alte Leiden...?“ Sein Gesicht drückte wieder inneren Schmerz aus. “Nein, Nigrina, nein... es ist viel schlimmer. Sie liegt in einem Koma, einem Zustand der Bewusstlosigkeit, was weiß ich! Ich bin doch kein Arzt!“ Kurz schien es, als wolle er aufbrausen, dann sank er wieder in sich zusammen. “Ich mache mir echte Sorgen... aber, ach was, es wird schon wieder in Ordnung kommen.“ Er rang sich zu einem Lächeln durch undseufzte leise. Er war, musste er sagen, bisher angenehm überrascht von ihr. Sie schien aus dem ärgsten Zickenalter heraus sein. Oder bildete er es sich nur so ein?
“Auf jeden Fall, sie ist hier, in ihrem Zimmer. Hoffentlich musste er jetzt nicht noch ewig herumerzählen über ihr Leiden, und war relativ froh, dass das Thema jetzt nciht mehr angeschnitten wurde.
Nigrina erzählte ihm, was es so Neues gab, und er nickte dann und wann. Nichts wirklich interessantes. Ravenna war noch immer ein Kaff. Was war das, Staius? “Ja, an den erinnere ich mich noch. Das Walross.“ Er formte mit seiner Linken einen überdimensionalen Bauch. Der hat es also geschmissen? Kein Wunder. Ravenaaer Politik war halt einfach uninspirierend.
Als sie dann den Septemvir ganz nebenher erwähnte, grinste Piso, der für Schmeicheleien schon immer anfällig gewesen war und es auch sein würde. “Jaja, schaut nicht so interessant aus... aber sag einmal, ich habe gehört, Erutia Furnilla hat geheiratet.“ Er grinste. Furnilla war wohl so eine Art Kindheitsschwarm von ihm gewesen, auch wenn er es nur ungerne zugegeben hatte. Mittlerweile war sie ja schon erwachsen, und ihr Ehemann konnte sich sicherlich glücklich schätzen, eine solche Schönheit zu heiraten. “Und, ach ja, wie geht es Sophonisba?“ Das Wohlbefinden der alten Sklavin, die sein Kindermädchen gewesen war, interessierte ihn dann doch.