Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Die Notarii schienen sich gar nicht groß an Pisos Erscheinung zu stören. Nun war Piso in den letzten Monaten sicherlich kein infrequenter Gast beim Officium XIX gewesen, und vermutlich hatten sich die Notarii, genauso wie ihre Kollegen im Officium XXIII, schon an den leicht exzentrischen Patrizier gewöhnt. Jemand grüßte sogar fröhlich „Bumm!“, zurück. Der Schreckenseffekt war weg. Piso war keine Neuigkeit mehr in der Kanzlei. Er seufzte leicht, als er dies einsah, und wandte sich endgültig Imperiosus zu.
    Und wurde sogleich mit einem Schwall von Wörtern überschwemmt. Piso musste lachen, es war noch immer ganz der Alte.
    „Sag, gesund schaust du aus! Die Sonne von Aegyptus hat dir gut getan.“ Er grinste. „Na gut, verschieben wir das auch später, ich meine, wir wollten eh noch was trinken gehen, oder?“, fragte er. Was natürlich eine direkte Anspielung auf seine noch immer ausstehende Einladung zu sich nach Hause war.
    „Ach, Imperiosus. Langweilig war es ohne dich, langweilig, Kollege. Du hast sicher gesehen, man hat im großen Stil die Belegschaft ausgewechselt. Nur Plennius ist geblieben. Ausgerechnet der!“ Innerlich hatte wieder Plennius Flamininus den Platz des Bösewichts Nummer eins im Imperium im Kopf des Piso eingenommen. „Ach ja, du wirst es nciht glauben – du stehst einem Angehörigen des ordo senatorius gegenüber.“, verlautbarte er stolz.

    Inspirationen. Inspirationen brauchte er, Inspirationen; was wäre ein Künstler ohne sie! Doch war es wirklich eine gute Idee gewesen, zum Sammeln ebendieser an den Viehmarkt zu gehen? Dies fragte sich Piso ganz ehrlich, als er zwischen zwei Hühnerkäfigen, die direkt nebeneinander von einem Vordach hingen, aus einer kleinen Nebengasse auftauchte. Als er sich zwischen den beiden hervordrückte, wackelten die Käfige, und die Hühner fingen an, lauthals zu gorgatzen. Gut, dass er keine Toga dabei hatte, jene hätte sich unweigerlich in den Gerüsten verheddert. Im Staatsgewand am Markt daherzuschreiten wäre sowieso ziemlich daneben gewesen.
    Piso blickte die armen Tiere ein bisschen mitleidig an, als ihre Käfige noch immer ein wenig schwankten, doch sie schon so apathisch waren, dass sie sich kaum mehr selber bewegten, allenthalb schwächlich den einen oder anderen Flügel schlagend. Doch nicht allzu lange glotzte er, er brauchte etwas, was er absorbieren und in seinem Hirn zu Kreativität verwandeln konnte. Vielleicht traf er ja auch die spirituelle Erleuchtung in diesen Gefilden an – was durchaus nett wäre.
    „Hmmm... In seiner Qual, da fleht der König leis‘, zu einer Macht, die ihn... hmmm... liberiert? Nein, nein. Die ihm Stärke schenkt. Genau, so soll es sein.“, flüsterte er vor sich hin. Seine Selbstgespräche ernteten ihm zwar den einen oder anderen seltsamen Blick, doch der schwer konzentrierte Piso bemerkte dies gar nicht. „Die Linderung von Geilheit ihm verheiß... ach, nein, das ist doch nichts... Scheiße!“ Sein Fluch war zwar sophistisch kritisierungswürdig, aber doch sehr passend, denn in genau so eine war er nun hineingestiegen. Immerhin nicht ganz, aber die Sohle seiner rechten Sandale war nun verschmutzt. Er sah nach unten. Pferdeäpfel. Genau das hatte er brauchen können.
    Er suchte sich einen ruhigen Platz, wo er dieses unästhetische Stigma abwischen konnte. Ein Pflock, neben ihm in den Boden gerammt, würde da gut herhalten. Er scheuerte die Sohle gegen das Holz, um somit seinen Schuh sauber zu kriegen – und bekam dabei einen nicht gerade uninteressanten Streit mit, der sich neben ihm abspielte.
    Er blickte von seiner Sohle auf und erblickte einen Verkäufer – ein kleines Männchen im mittleren Alter, mit überproportional großen Händen – und eine junge Frau – eine echte Kardinalschnitte von Frauenzimmer, zumindest befand so der Flavier. Er stellte seinen von tierischen Ausscheidungen halbwegs befreiten Schuh wieder auf den Boden hin und blickte zu den disputierenden Parteien. Er schmunzelte, als die Frau Paroli gab und den Händler einschüchterte. Jener verzog sich auch schamvoll, als sie ihm herausdeutete, welchen Fehler er gemacht hatte.
    Mit einem gut gelaunten Lächeln, trotz der ein wenig verdreckten Sohle (was ihm als Schöngeist sehr störte), trat er zu der jungen Frau hin. „Nicht schlecht gekontert!“, rief er, statt einer Begrüßung, aus. Er war selbstredend bereit, sich auf die Seite des ästhetisch Ansprechenden zu schlagen. Sie war um einiges kleiner als er selber, und trotz ihres leicht exotisch anmutenden Gewandes schaute sie nicht allzu unrömisch aus. Rein vom Äußeren her. „Ich hätte dem glatt noch eine Klage an den Hals gehetzt. Wie heute die Leute mit ihrer Kundschaft umgehen!“, klagte er, als ob ihm gerade das Unrecht widerfahren wäre, nicht der Frau vor ihm.
    Sein Blick fiel auf ihr Kleid. Mit fachmännischer Miene schätzte er es ab. „Ah, ägyptischer Mako. Hmmm...“, brummte er, bevor er eine Augenbraue hochzog. „Entweder hast du ein Vermögen dafür ausgegeben, oder es in Aegyptus selber gekauft.“ Er nahm stark das erste an, den solch weite Reisen sind alles andere als selbstverständlich für junge Damen. „Aber man sieht sofort jemandem die Vorliebe zum geistigen Tiefflug an, wenn jemand denkt, dass nur Peregrini sich in nicht urrömische Gewänder kleiden.“ Er sprach wie ein Experte und kam sich auch wie einer vor. Ob er auch einer war? Nun, dann und wann schon.

    Von Stesichoros ins Tablinium geleitet, betrat Piso ebendieses. Ein wenig nervös war er durchaus, als er es betrat. Was würde Durus dazu sagen, dass er jetzt schon wieder zu ihm kam mit einer Bitte um eine Ernennung? Und er hatte sich gar keine Worte zurechtgelegt, stellte er mit Schrecken fest. Nun, es würde ihm schon etwas Passendes einfallen, hoffte er. Zwar war er komplett ohne die leiseste Ahnung, was er erwarten könnte von seinem Versuch, aber er setzte einfach einmal auf seine rednerischen Fähigkeiten. Er würde sich schon durchwurschteln. Irgendwie. Es musste doch zu Schaffen sein, Septemvir zu werden, wenn man Flavier war.
    Beklommenheit im Herzen also verspürend, betrat er das Tablinium und sog erst einmal den vertrauten Duft der Villa Tiberia ein. Es roch noch immer neu.

    Piso hatte da offenbar kein ideales Thema angesprochen. Ursus selber schien nicht so richtig gerne darüber sprechen. Er beeilte sich also, seine Position dazu zu klären. „Glaub mir, es gibt niemanden, der ihn mehr versteht als ich. Mich selber fesselte im Sommer eine schwere Sommergrippe einige Zeit lang ans Bett. Das war nicht sehr angenehm.“, schilderte er Ursus. „Und ich finde, angesichts seiner Krankheit hat er herausragende Arbeit geleistet.“ Corvinus hatte schließlich alle verwaltungstechnischen Sachen seine Amtes gut geregelt, was ein großes Maß an Bewunderung abnötigte. „Ob er sich als Praetor oder als Aedil zur Wahl stellt, er wird sicherlich ein großes Maß an Unterstützung hinter sich vereinen können.“ Dessen war er sich sicher. Die Unterstützung der patrizischen Familien hatte er sicherlich.
    Er lachte kurz auf. „Dass es große Altersunterschiede oft zwischen Geschwistern gibt, heist nicht, dass es viel Nachwuchs gibt. Vielmehr gebären unsere Frauen ziemlich unregelmäßig...“ Da die Frauen der Flavier auch im späten Alter so gut gebärten, legte den verdacht nahe, dass dies nichts mit den Frauen zu tun hatte, sondern eher an den Männern. Doch Piso wollte gar nicht dran denken.
    „Examen Tertium? Ach, an der Academia. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe dort schon zwei Examen abgelegt, in der Hoffnung, irgendwann einmal ein Tribunat zu besetzen. Mal sehen, wie es kommt. Denn auch ich habe nicht sonderlich viel Lust darauf, in irgendein elendes Nest geschickt zu werden. Wenn es nicht Iudaea für dich sein wird, wohin würde es dich dann ziehen?“ Er dachte kurz nach. „Mir würde ja Britannia gefallen. Ich mag das Land, ich war schon einmal für eine längere Zeit dort.“ Er zuckte die Schultern. „Wie gesagt, das liegt noch in der Zukunft.“
    Er nickte, als Ursus ihm erzählte, wie er gestartet hatte, und begann zu lachen, als ihm Ursus ein verlockendes Angebot machte. „Zu gerne, Ursus! Das wäre eine sehr gute Idee! Ich werde es mir merken, und dann am Tag vor dir an der Türe stehen. Mit meiner gestreiften Toga.“ Die Aussicht darauf machte ihn ganz hibbelig. „Welch schöner Tag wird das sein – zuerst eine Ernennung in den Senat, und dann ein geselliger Umtrunk. Perfekt, bei Bacchus.“, musste Piso sagen und trank ein wenig von seinem Getränk.

    Piso nahm es wohl zur Kenntnis, dass sich Macer gute Chancen für ihn ausrechnete. „Das werde ich natürlich gerne tun.“, meinte er, als er hörte, er solle schöne Grüße ausrichten. Die Aussicht auf etwas anderes als immer wieder der selbe Trott ließ ihm einen wohligen Schauer über den Rücken fahren. Natürlich würde er der Staatsreligion gut dienen, wenn er das Amt erriechen würde. Es war ja immerhin liberal bezahlt, dafür konnte man etwas verlangen.
    Er lächelte, als Macer etwas verwundert klang über seinen Enthusiasmus. „Keine Sorge, Patron, ich werde es ruhig nehmen. Wie sagt man so schön? Eile mit Weile!“ Seine gute Laune konnte man beinahe riechen. Und um Pisos Energie musste sich Macer keine Sorgen machen. Besonders heute schien Piso ein rechtes Energiebündel. Es waren ihm gleich zwei gute Sachen passiert in den letzten 12 Stunden – eine Standeserhebung und eine Erleuchtung, was er mit seiner Zukunft vorhatte. Außer das Senatorendasein.
    „Ich möchte mich noch einmal für alles bedanken. Nun denn, vale, wir sehen uns.“, meinte Piso zu Macer, sich der Tatsache bewusst, dass hinter ihm noch einige andere Klienten mit diversen Problemchen standen.

    „Salve, Stesichoros.“, grüßte Piso. Auch er hatte den Namen des tiberischen Ianitors nicht vergessen. Die freundliche Begrüßung war ja ganz nett. „Ja, ich würde gerne mit Tiberius Durus reden. Ich will mich mit ihm über die Möglichkeit unterhalten, ein Amt bei einem städtischen Collegium zu bekleiden.“ Die Formulierung war nicht allzu spezifisch, aber sie würde dem Sklaven ohne Zweifel klarmachen, dass er nicht zum Spaß hier war.

    Der Flavier war schnurstracks nach seiner Arbeit nicht etwa zum Quirinal heimgegangen, sondern zum Viminal, wo die Villa Tiberia stand. Er kannte sie und ihre Position in Rom mittlerweile, sodass er leicht herfand.
    Er stellte sich vor die Türe hin. Ein wenig aufgeregt war er. Dies war ein Gespräch, welches über seine Zukunft entscheiden könnte. Einigermaßen impusliv war sein Entschluss gekommen, doch nun war er nicht mehr rückgängig zu machen, wo er doch schon mit seinem Patron darüber gesprochen hatte. Er klopfte also an die Türe ein paar Male an.

    Natürlich war Piso verzweifelt! Was sollte er denn sonst sein? Ein Teil seines Weltbildes, welches diktierte, dass alles, wo Vescularius oben stand, schlecht war, war zerstört. Er nickte also nur. Er würde wohl seine Schimpftiraden gegen den Vescularier einstellen müssen – und dachte auf einmal mit Schrecken an die vereinbarte cena mit Aelius Quarto. Nun, solange davon nichts nach außen drang... Er nickte also nur und senkte seinen Kopf leicht.
    Zum Thema Kanzlei konnte er sich erklären. „Mir macht es keine Freude mehr, in der Kanzlei zu arbeiten. Ich habe dort lange gedient, aber will mein Leben anders gestalten. Und zwar so bald wie machbar.“ Er erzählte lieber nichts von der depressiven Anwandlung, die er heute in der Kanzlei bekommen hatte. „Dass du mir zustimmst, vertreibt jeden Zweifel in mir. Ich werde mich gleich zu Tiberius Durus begeben, ich kenne ihn, und ich hoffe, dass er mir nicht abgeneigt sein wird.“

    Ein Sklave jenseits seiner besten Jahre öffnete die Porta und könnte daraußen sicherlich einen erfreuten Piso erspähen – selten, dass Türen so schnell aufgemacht wurden!


    „Salve!“, meinte er dementsprechend freundlich. „Mein Name ist Flavius Piso. Ich würde gerne den Aedilen Annaeus Modestus sprechen.“ Als Beamter des Cursus Honorum sollte Modestus eigentlich Besucher empfangen. Doch um seinen Worten ein wenig Nachdruck zu verleihen, fügte er hinzu: „Er ist mir von meinem Patron Purgitius Macer als vernünftiger, lehrreicher und interessanter Gesprächspartner empfohlen worden.“ Er übertrieb ein wenig, aber offensichtlich war es durchaus gewesen, dass Macer eine hohe Meinung von seinem Klienten hatte.

    Komisch, dachte sich Piso. Je drastischer seine Gestikulierung war, je dramatischer seine Posen, um so weniger schien man Notiz von ihm zu nehmen. Vera und Gracchus schauten ihn, als er zu zetern begann, nur an wie ein seltsames, so faszinierendes wie auch unbekanntes Tier an. Erst, als er sich halbwegs wieder beruhigte aus seinem emotionalen Erguss, der aus Sorge um seine Schwester geboren war, und sich hinsetzte, fand Vera wieder den Atem, ihm zu kontern.
    „Tut mir Leid.“, quakte Piso verlegen, als seine Schwester ihn ausschalt. „Ich war einfach nur besorgt! Ich hatte keine Ahnung, was dir passiert hätte sein können, du hättest ja...“ Er stockte. Was hätte ihr schon passieren können? Je mehr er darüber nachdachte, desto irrationaler kam ihm seine Sorge vor. Er musste sich jetzt daran abfinden, dass Vera eine erwachsene Frau war, und er nicht mehr der Bruder, der, mangels Interesse vonseiten ihres Vaters, sich um sie Sorgen machen musste, wenn sie krank gewesen war als Kind. Er ließ seine Schultern nach unten sacken. Niemand konnte ihm seine guten Intentionen abstreiten, aber er hatte den Bogen wohl wieder einmal überspannt.
    Er blickte auf, als Vera etwas von einem Empfang zu sprechen begann. Er hob seine linke Augenbraue. Nicht vor Missbilligung, sondern vor Überraschung ob der guten Idee.
    „Vera, das ist... eine wirklich gute Idee! Ein Empfang wäre was richtig Nettes! Es gäbe sicherlich einige, die man einladen könnte. Zum Beispiel, weißt du, dass Caius Aelius Archias wieder in Rom ist? Er hat jetzt eine Verlobte.“ Natürlich musste Vera Archias, Pisos besten Jugendfreund, kennen, mit welchem er in seiner Kindheit fast unzertrennlich gewesen war.
    Seine Gesichtszüge verdüsterten sich, als sie begann, von ihrer Mutter zu sprechen. Nur für einen Moment, aber lange genug, um es zu bemerken. Er dachte dieser Tage oft an Calpurnia Fausta. Er hatte schon stundenlang wach in seinem Bett gelegen, versucht, die Erinnerung an das Gesicht seiner Mutter heraufzubeschwören, doch es war ihm nicht gelungen.
    „Ich kann mich an das Begräbnis erinnern, ja. Unsere Mutter war damals schon... nicht mehr unter uns.“ Er umschrieb, was hätte er sonst tun können? „Damals war... Genucia Triaria unsere Stiefmutter. Kannst du dich an sie erinnern?“ Vera und er hatten Triaria ständig Streiche gespielt. Verdient hatte sie es ja, die alte Hexe, möge sie jetzt im Tartarus schmoren – sie verschwand nämlich 2 Jahre später unter sehr mysteriösen Umständen. Für Piso bestand wenig Zweifel, dass Aetius sie umgebracht hatte. So wie seine eigene Mutter. Ich muss Vera einmal diese Geschichte erzählen... aber nicht heute... später... sie hat ein Recht, es zu wissen, redete sich Piso ein, ungewiss, ob er jemals den Mut dazu haben würde.
    Er nickte also nur zu Gracchus‘ Vorschlag hin. „Antonia zu fragen, ist sicherlich eine gute Idee. Wobei ich es durchaus von mir selber sagen kann, die eine oder andere Persönlichkeit in Rom höchstselbst zu kennen.“ Ein wenig angeberisch klang dies, aber Piso hatte sich mit einigen interessanten Leuten schon getroffen, die sicher einladenswürdig waren.
    „Solch einen gesellschaftlichen Anlass kann man ja dazu benutzen, dass ich mein Gedicht vortrage! Weißt du, dass ich schon seit einiger Zeit dran bin? Ich bin schon fast fertig!“, verkündete Piso gegenüber Vera.

    Es war ein schrecklicher Anblick gewesen, als Piso heute mit seinen beiden Händen ganz langsam und bedächtig die Klinke heruntergedrückt hatte, um dann die Türe langsam mit seinem rechten Fuß aufzumachen. Denn er musste, voller Schrecken erkennen, dass seine Schwester verschwunden war.
    Zuerst hatte er gedacht, die dicken Decken würden sie vor ihm verschließen, doch als er zum Bett gesprungen kam und voller Besorgnis das Bett durchwühlt hatte, stellte er fest, dass niemand hier drinnen war.
    Er sprang auf und rannte im Zimmer umher, doch sie war nirgendswo. Der pisonsichen Rage, die daraufhin erupierte, fiel ein armer Sklave zum Opfer, den sich Piso packte, nach dem Verbleib seiner Schwester sich erkundigend. Der Unglückselige wusste es nicht, und wäre ob dessen fast zu Tode gebeutelt worden, als eher zufällig Phrima daherkam und Piso mit ihrem eigentümlichen, melodiösen raetischen Akzent mitteilte, seine Schwester wäre im Garten.
    Der junge Flavier ließ den Sklaven los und eilte hinfort, in den Garten hinein.
    Als er jenen betrat, konnte er sofort erkennen, dass Vera da war. Und noch jemand stand bei ihr – Gracchus. Sie schienen sich recht gut zu unterhalten.
    Piso kam auf Vera zugestürmt. „Vera, Vera, Vera! Was machst du da! Der Medicus hat doch gesagt, du musst im Bett bleiben!“ Echte Sorge umhüllte seine Stirn. Was Vera trieb, war doch immer wieder ein Mysterium. Wieso musste sie auch auf Teufel komm raus ihr Bett verlassen? „Willst du wieder einen Rückfall erleiden?“, fragte Piso inquisitorisch, bevor er sich an Gracchus wandte. „Und du lässt sie auch noch, Manius. Sie muss das Bett hüten!“, versuchte er seinem Vetter klar zu machen – vor Aufregung nur das Praenomen benutzend, welches er bei Gracchus noch nie getan hatte, obwohl dies, anbetracht der Tatsache, dass sie eng verwandt waren, nur allzu logisch erschien. Paralell dazu ruderte er mit seinen Armen in der Luft herum, als gälte es, quer durch das Mittelmeer nach Africa zu paddeln – eine megalomanische und sinnlose Geste, die typisch für ihn war, und jedem vertraut, der Piso schon einmal agitiert und entsetzt gesehen hatte.
    Seine Vorwürfe untermalte er, indem er seine Hände, die Gesten endlich unterbrechend, energisch in seine Hüften stemmte – bevor er auch diese Geste sein ließ und seufzte. „Bona dea, Vera, du bist mir eine.“ Piso war viel zu gutmütig zu seiner Schwester hin, als dass er ihr böse sein könnte. Er setzte sich neben Gracchus und Vera hin und seufzte. „Wie fühlst du dich?“, fragte er zu seiner Schwester hin. Ehrliche liebevolle Sorge lag in seinen Augen. Er wollte doch nur Veras Bestes.

    Piso war weiterhin in den Rängen und schaute sich die Schlacht an. Er war, seinen unglücklichen Sklaven ausgeschlossen, alleine und sehr glücklich damit. Vergnügt blickte er das lustige Treiben an, das sich da vor ihm auftat. Da ging das eine Schiff in Flammen auf, wie nett! Ohne zu überlegen, stopfte er wahllos Essen in sich hinein. Diese Manöver, wie wunderschön waren sie anzusehen. Wie graziös. Wie ästhetisch. In Piso keimte der Wunsch auf, auch dereinst in einem Schiff die Meere wieder zu besegeln. Präferabel eines, welches nicht unter feindlichem Beschuss war.
    Das Schlachtfeld war viel zu verstrickt, alsdass man noch einen Überblick behalten konnte. Aus diesem Grund schweifte sein Augenmerk nur herum, kreuz und quer von einem Schiff zum anderen, mal dorthin und mal dahin guckend. Hach, die Schiffe! Wie schön sie waren. Pisos Achtung vor diesem Annaeus war schon einmal jetzt im Vorfeld sehr hoch.
    Er entschloss sich nun dazu, sich hauptsächlich auf das Spektakel rund um die Gladius zu konzentrieren, denn dort waren die Kämpfe am Heftigsten. Er wurde jedoch abgelenkt, als direkt daneben ein kleineres ein größeres Schiff rammte.
    Was geschah nun? Aha, wieder ein Kampf! Wie der (abgestumpfte) Stahl da blitzte! Piso blickte gebannt auf die Kämpfer. Wie heroisch sie wirkten. Das Blut war mittlerweile auch nur noch Nebensache. Anfangs, zu den Kämpfen, die zwischen den Gladiatoren an den Kandidaturspielen von Aristides und Gracchus ausgetragen worden waren, hatte er sich noch geekelt vor diesen ganzen Kämpfen. Mitlerweile fand auch er Gefallen daran – man musste sich nur gewöhnen. Einfach denken, alles, was man sah, wäre gar nicht real, als sähe er es wie etwas, was man durch irgendein Medium aufgenommen hatte aus alter augusteischer Zeit.
    Wieder griff er nach seinem Essen. Sein Tablett sah aus, als ob ein Rudel von Hennen darüber gerannt seien. Das sah dem sonst so schöngeistigen Piso gar nicht ähnlich. Doch jetzt, in seiner Begeisterung, würde er sich seine Freude an dem Schauspiel nicht durch äthetische Überlegungen versauen lassen.
    Er ließ seine Augen durch die Menge schweifen. War das da drüben nicht sein Vetter, Manius Gracchus? Er winkte ihm zu, nicht sicher, ob jener ihn erspähen konnte.

    Naja, so drastisch war das auch wieder nicht. Weder war Piso (schon) eminente Prominenz, noch hofierte er explizit den Aedil. Er war einfach nur hier, weil ihm dieser Mann von seinem Patron empfohlen worden war. Und weil er hoffte, sich mit einem Senator mehr bekannt zu amchen.
    Die Domus Annaea war schon ein schmuckes Haus. Sicher, nicht der selbe Protzbau wie die Villa Flavia, aber noch immer groß. Nicht allzu kleinkariert. Sie gefiel Piso.
    Er stellte sich vor die Türe hin und klopfte an.

    Nein, weit war es nicht gewesen zur Villa Aurelia. Von der Villa Flavia aus einmal. Piso war ziemlich überrascht davon gewesen. Er war noch niemals bei den Aureliern gewesen, doch er hätte schon wissen sollen, dass es nicht weit ist. Aber so nah... es war ja direktgehend in der Nachbarschaft.
    Er ging, ein wenig verspannt innerlich, zur porta und klopfte an. Es war bezeichnend für Piso, dass er keinen Sklaven klopfen ließ, es war nicht so, dass er davor zurückschreckte, Sklaven etwas aufzubürden, er hatte einfach keine Lust, sich mit solchen Banausen herumzuschlagen. Lieber kam er da alleine. Und sicher machte das auch keinen so prätentiösen Eindruck (im Gegensatz zu seiner herausgeputzten Toga).
    Er stellte sich also am Tor hin, holte tief Atem und klopfte dann.

    Piso lächelte breit. „Das werde ich tun, jenseits von jedem Zweifel!“ Bald schon würden die Wahlen sein. Und die würden garantiert nicht ohne Flavius Piso ablaufen.
    Er hing an den Lippen seines Patrons, als jener aufzählte, wie es dazu gekommen war, dass er Piso an Vescularius vorbeigebracht hatte. Piso staunte nicht schlecht. Sein Patron war ohne jede Zweifel ein Genie. Da mochten andere Unkenrufe tröten über seine Patronenwahl, er war sich nun um so sicherer, dass er den Richtigen erwischt hatte.
    Diese Erkenntnis wurde aber abgedämpft durch die Realität, die Macer aufs Tapet brachte. Piso nickte nur unenthusiastisch. „Ich fürchte fast, so ist das... erkenntlich zeigen. Welch Ironie. Ich muss mich ihm erkenntlich zeigen. Wie soll ich mich ihm bloß erkenntlich zeigen?“ Dass er den üblen rhetorischen Missgriff beging, dreimal dasselbe Wort im gleichen Atemzug zu nennen, fiel ihm nicht auf. „Soll ich ihm... etwas schenken?“, fragte er zögernd nach.
    Da fiel ihm noch etwas ein. „Genau, noch etwas. Wir hatten ja, als ich dein Klient wurde, ein Gespräch über religiöse Karrieren. Du hast mir gesagt, religiösen Ämtern gegenüber wärst du nicht abgeneigt. Nun ist es so, dass ich denke, in meinem Lebenslauf habe ich in der Kanzlei eine Sackgasse erreicht. Ich werde innerhalb der Kanzlei nie mehr vorwärts kommen.“ Er seufzte. „Am Ende gereicht es mir noch zum Nachteil, dass ich Kanzleibeamter bin. Denn es gibt sicherlich Senatoren, die die Kanzlei nicht ausstehen können. So trage ich mich mit dem Gedanken, das Dasein als Kanzleibeamter zu lassen, und stattdessen Beamter des Cultus Deorum zu werden. In anderen Worten – ich denke, es wäre das Richtige für mich, Mitglied des Collegium Septemvirorum zu werden. Da ich meine Fähigkeiten als Beamter in der Kanzlei, mein Wissen als Student der Schola Atheniensis und meine religiöse Pietas als Arvalbruder schon unter Beweis gestellt habe, sollte es theoretisch möglich sein, dieses Amt zu erlangen. Es wäre nicht so, dass dies meine Bindungen zur Kanzlei abbrechen würde. Ich habe gute Freunde und auch Klienten in der Kanzlei. Es würde mir aber, besonders als Patrizier, mehr Flexibilität geben in der Verfolgung des Cursus Honorum.“, schloss er. "Ich bitte dich also, mir als mein Patron zuzustimmen in meinem geplanten Karrierewechsel."

    Eines Tages geschah es, dass Piso den Anblick einer harmlosen Wachstafel nicht mehr aushielt. Sie lag vor ihm und wartete darauf, mit irgendwelchen Anweisungen beschriftet zu werden. Dazu sollte es aber nie mehr kommen. Denn die Hand des jungen Patriziers, entbrannt voller gerechten Zornes, erpackte die Wachstafel und schmiss sie an die Wand, wo sie in zwei Teile zerbarst. Die Notarii, obgleich leidgeprüft von der festen Hand, mit der der ewige Primicerius über sie herrschte, blickten erstaunt auf. Was war in Piso gefahren?
    Sein Gesicht war rot angelaufen und er griff sich in seine dunkle gelockte Haarpracht, einzelne Haare sich ausrupfend. „Es ist zum Mäuse Melken!“, jammerte er und ließ seine Hände wieder sinken, hin zum Tisch.
    Die Notarii schüttelten den Kopf wieder und senkten ochsenartig ihre Köpfe, um wieder sich an die Arbeit zu machen. Nur einer tat dies nicht.
    Es war der einzige Römer in diesem Raum außer Piso, und der einzige Plebejer. Es war der Obernotarius, Gaius Numerius Urbicus. Ein bulliger Mann, von dem man erwarten würde, dass er in seiner Freizeit Eisenstangen verbog, denn so kräftig waren seine Muskeln. Niemals würde man denken, dass er ein guter Notarius wäre. Oder gar ein einfühlsamer Mensch.
    Denn nach fünf Minuten stand jener leise auf und begab sich zu Piso hin. „Piso?“, fragte er mit seiner rauhen Stimme. Man machte hier schon längst kein Aufheben um die Familiennamen mehr. Piso blickte ihn müde an. „Urbicus?“
    Urbicus lächelte. „Ich weiß, was dich beschäftigt. Glaube ich einmal. Die Arbeit. Und dass du jetzt noch immer Primicerius bist.“ Piso nickte kläglich. „Ja. Ich sehe alle anderen in ihren karrieren an mich vorbeiziehen. Nur bei mir ist das nicht der Fall, ich bleibe, wo ich bin.“ Er schüttelte den Kopf. „Das muss sich ändern. Ich hatte heute eine unruhige Nacht. Ich stehe vorm Senat, und alle lachen mich aus, weil ich nur ein kleiner Kanzleibeamter bin. Ich muss etwas werden, was mehr hergibt.“ Urbicus blickte komisch. „War da nicht einmal was mit einem Architekten?“ Piso lachte leicht hysterisch. „Pustekuchen. Ich werde kein Architekt mehr. Um weiterzukommen, brauche ich die Unterstützung von den Göttern, das galube ich wirklich...“ Er wollte schon seinen Kopf traurig wieder senken, da schreckte er auf.
    „Die Götter. Die Götter! Das ist es!“ Urbicus runzelte die Stirn. „Du wirst ein Gott?“ Piso schüttelte den Kopf, sodass das Haar bei ihm nur so wackelte. „Nein, besser! Ich bleibe Beamter! Aber sicher nicht mehr hier.“ Urbicus blickte erstaunt. „Wo denn dann?“ Piso grinste. „Beamter im Dienst der Götter meine ich.“ Der Numerier blickte noch immer baff. „Was?“ Piso lächelte und zog eine Wachstafel hervor. Auf jene malte er in großen Ziffern eine Zahl.
    VII.
    Urbicus blickte drauf. „Ich verstehe, glaube ich...“ Er blickte Piso an. „Deine Zukunft ist also nicht mehr hier, in der Kanzlei. Schade.“ Piso lächelte. „In der Zwischenzeit werde ich noch ein bisschen hier bleiben.“ Urbicus grinste nur, nickte verständnisvoll und ging wieder zu seinem Pult zurück, während sich Piso zurücklehnte und lächelte. Sein Entschluss stand jetzt fest. Endlich.

    „Salve, Patron!“, grüßte Piso mit Elan und Schwung zurück. „Heute habe ich in meiem Officium erneuerte Anweisungen von Vescularius Salinator erhalten. Und, was glaubst du, wie ich gestaunt habe, als ich meinen Namen gesehen habe auf dem Schreiben des Praefectus Urbi! Ich hatte die seltene Freude, mich selber in den ordo senatorius erheben zu können.“ Man merkte dem jungen Patrizier ohne Zweifel seine enorme Freude an. „Ich bin so froh, dass du dies veranlassen konntest. Vielen, vielen Dank. Und ich frage mich – wie hast du Vescularius dazu gebracht, mich zu ernennen? Das würde mich interessieren.“, fragte er, in der Hoffnung, etwas von seinem Patron zu erlernen.

    Ad
    Lucius Aelius Quarto
    Domus Aeliana
    Palatium Augusti
    Roma
    Italia


    A. Flavius Piso L. Aelio Quartoni s. d.


    Ich will dich hiermit im Namen der gens Flavia zu einer gemütlichen cena am Abend des ANTE DIEM VIII ID DEC DCCCLIX A.U.C. (6.12.2009/106 n.Chr.) in der Villa Flavia einladen. Es wäre schön, wenn du es einrichten könntest, dich zu unserer Villa am Quirinal zu begeben.


    Zitat

    Original von Aulus Flavius Piso
    Wie bei meinem Namensvetter (was den Praenomen angeht) ist auch bei mir die Sache mit der Mutter eine dornige solche. Ich habe nämlich gar keine.


    Kann man meinem Char also bitte noch den NPC Calpurnia Fausta als Mutter eintragen? Danke. ;)


    Nach Absprache mit Vera soll auch jene als Tochter der Calpurnia Fausta und somit als meine Voll- und nicht nur Halbschwester eingetragen werden.
    (Das war’s dann auch mit Faustas Kindern, Aetius hat sonst noch viele Frauen gehabt :D)

    Nachdem Piso von der Wache hereingelassen worden war, schritt er frohen Mutes, vond er Torwache begleitet, in das Officium des Caecilius Decius. Er wurde von der Wache hereingelassen und schritt frohen Mutes auf den Caecilier nun zu.
    „Salve, Caecilius Decius!“, grüßte er. „Ich bin deiner Einladung gefolgt. Wie kann ich nun helfen?“ Gespannt blickte er auf Decius, der sich ja in seinem Brief ein wenig vage ausgedrückt hatte.