Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Piso nickte eifrig, als ob er in einem Wettbewerb für schnelle Kopfbewegungen wäre. „Ich muss dir danken. Du kannst auf mich zählen.“, versicherte er, konnte aber den Gedanken nicht verdrängen, dass er dies nur machte, um sich die Freundschaft mit Furianus nicht zu vergällen. Was waren doch Verwandte wert hie und da, dachte er sich, während sich seine Magenregion entkrampfte. Ein wenig reuevoll – mühevoll einstudierte Blicke waren immer viel wert - blickte er noch immer daher, als er den Kopf langsam schüttelte. „Das war eigentlich alles...“ - fürs Erste zumindest.
    „Dann will ich dir deine Zeit nicht ungebührlich stehlen. Vale, und danke nochmals.“, meinte er, den Kopf leicht, vage, senkend, bevor er abdampfte. In die Richtung, von der er glaubte, dass er mit diesem Stechiphoros, oder wie der auch immer hieß, gekommen war.

    Immer ehrlich sein, war eine der Maxime, die er noch von seiner Mutter wusste, kurz vor ihrem mysteriösen Verschwinden. Der Schuss war allerdings nach hinten losgegangen, und er schien den Tiberier ehrlich erbost zu haben. Innerlich knickte er zusammen. Seine Selbstbewusstsein sackte zusammen wie eine komplett überhitzte Mehlspeise, und ihm blieb nichts anderes übrig, als schuldbewusst zu nicken. Hätte er doch nur das eine oder andere Opfer dahergeschwindelt! Aber dann hätte ihn eh ein Blitz von oben getroffen, und ihm hätte, als flammende Brühe am Boden, eine Mitgliedschaft bei den Arvalbrüdern auch nichts mehr genutzt.
    „Dies habe ich ja auch eingesehen! Meine Gespräche mit Furianus haben mich zu dieser Einsicht geführt.“, machte er mit einer reuevollen Stimme. „Ich werde mich um eine bessere Bildung in religiösen Sachen bemühen! Ich werde den Göttern opfern! Darunter auch Dea Dia.“, versprach er eindringlich.
    Seine zusammengesackten Schultern renkte er wieder ein, denn allzu lange wollte er nicht als Waschlappen erscheinen. Er verlegte sich also darauf, aufmerksam zuzuhören, was Durus zu sagen hatte.
    „Vielen Dank.“, meinte er schlussendlich. „Gut, ich werde etwas vorbereiten.“ Er nickte, seine Augen waren voller Dank. Wenn die Arvales in ablehnen würden, wäre das sehr blöd für ihn. Piso verbiss sich ein Schaudern, das ihm abermals über den Rücken kriechen wollte.

    Gab es so etwas wie einen Prüfungsrausch? Piso hatte sich in einen solchen hineinversetzt. Er wollte sich prüfen lassen, jetzt, auf der Stelle! Da gab es keine Kompromisse. Wie erbärmlich hatte er bei seinem ersten militärischen Examen gehalten! Bestanden hatte er, aber nun war es eine andere Prüfung, die er zu machen hatte, eine Schwierigere. Sollte in Ordnung sein.
    Mit einem Grinsen, welches man einem Soldaten schon längst ausgetrieben hätte, stellte sich Piso vor dem Scriba auf, nachdem er an der Türe angeklopft hatte, aber, ohne auf die Antwort zu warten, hereingetreten war. „Salve! Mein Name ist Aulus Flavius Piso, ich bin Zivilist, und will das Examen Secundum ablegen. Das Geld ist hier.“ Er zog es in einer einzigen schwungvollen Bewegung aus dem Beutel und stellte es geräuschvoll auf dem Tisch ab, vor der Nase des Scribas. Er wartend blickte Piso dem Mann ins Gesicht.


    Sim-Off:

    500 Sesterzen gehen gleich ab an die Staatskasse II.

    Der Sklave war schon merkwürdig. Das unvergleichliche Charisma, der überwältigende Charme, und das blendende Aussehen des Piso mussten den Sklaven wohl in einen Glückstaumel versetzt haben, dachte sich der junge Flavier schmunzelnd. Jaja, so spielt es halt im Leben. Es ist hart, unwiderstehlich zu sein.
    Er folgte dem Sklaven bereitwillig durch die Gänge, bis sie an einem Vorhang ankamen. Jener wurde beiseite gerissen, und dahinter offenbarte sich der Anblick von drei Herren. Auf der einen Seite saß ein Männchen, das auch nicht Griechischer hätte wirken können, wenn es „Grieche“ mit Neonlichtern auf der Stirn draufgehabt hätte. Auf der anderen Seite saß ein Glatzkopf, den Piso nicht einordnen konnte. Was bewegte wohl einen jungen Menschen, sich die Haare so abzusäbeln, statt sie wachsen zu lassen, damit sie so schön aussahen wie die von... sagen wir, Piso?
    Und in der Mitte saß der, der offenkundig die Autorität hatte. Er stellte sich nicht vor, als er Piso ansprach. Wozu auch? Es war klar, dass jener Mann hier Tiberius Durus war.
    Piso stand also vor dem Tribunat der Männer, war ihm ja kein Stuhl zugewiesen worden. Ein kurzes unkomfortables Gefühl kroch ihm durch die Wirbelsäule, doch jenes schüttelte er ab.
    Stattdessen setzte er ein gewinnendes Lächeln (oder zumindest etwas, das es für ein solches hielt) auf. „Salvete, die Herren!“, meinte er. Er nickte allen dreien freundlich zu. „Dass du Fragen hättest, habe ich erwartet, darum bin ich ja gekommen.“ Und außerdem, weil ich deinen Sklaven nicht weiter traue, als ich ihn werfen könnte, fügte er in Gedanken an. „Zudem, um dich kennen zu lernen, Tiberius Durus. Ich habe viel Gutes von dir gehört, und zwar von meinem Verwandten Lucius Flavius Furianus.“ Namedropping kam immer gut. So ließ er die Wirkung des Namens erst einmal einsacken, bevor er fortfuhr. „Eben dieser war es, der mir den freundschaftlichen Ratschlag gegeben hatte, zu dir zu kommen, und bei den Arvalbrüdern um Aufnahme zu ersuchen. Zu Recht! Ich muss gestehen, ich habe mich in der Vergangenheit nicht viel um die Götter gekümmert. Ich habe meine Beziehungen zu ihnen schleifen lassen. Doch dies möchte ich beenden. Ich will ein Mensch werden, der sich vor den Göttern verantworten kann. Wie könnte ich dies besser erreichen als durch unentgeltliche Teilnahme an einem Kult der Götter, vor allem bei den Arvalbrüdern?“ Zudem wusste Piso, der eine politische Laufbahn in Aussicht hatte, nur zu gut, dass die Wählerschaft einen Politiker, der keine religiöse Funktion bekleidete, des Öfteren als halben Skandal betrachtete. Dies wollte er vermeiden.

    War es seine Anwesenheit, die den Sklaven so glücklich machte? Der Glanz, die Gloria, die er eh immer mit sich herumschleppte? Jawohl, das musste es sein. Es konnte keinen anderen grund geben dafür, dass der Sklave so freundlich war. Piso lächelte geschmeichelt.
    „Flavius, genau! Flavius Piso. Ich bin zur Villa gekommen aus einem ganz bestimmten Grund.“ Er räusperte sich gewichtig. „Man hat mir gesagt, ich solle mich an die Tiberier wenden, wenn ich den Arvales Fratres beitreten will. So frage ich mich nun, an wen soll ich mich wenden? Kann mir der Pontifex Tiberius Durus hierbei weiterhelfen?“ Mit einer gewissen Pomposität in seiner Stimme schmetterte er die Worte hervor. Denn er fühlte, hier ging es um Wichtiges, nicht nur um... Peanuts.

    „Ich möchte dir danken. Viele Male.“, meinte Piso aufrichtig. Es war schon himmeltraurig, wenn ein Patrizier zu einem Plebejer betteln gehen musste, dachte er sich insgeheim, aber viel anderes blieb Piso nicht übrig. „Ja... gut... das war eigentlich schon alles. Oder hast du noch eine Aufgabe für mich?“, pfefferte er noch eine Frage hintennach, Diensteifrigkeit vorschützend.

    Augenblicke vergingen, Augenblicke, in denen Piso seine Blase krampfhaft zurückhielt. Er widerstand dem Drang, die Augen zuzukneifen, um seine Augen dem Grauen zu verschließen, welches nun aus Balbus‘ Mund kommen würde.
    Doch als er es tatsächlich hörte, entkrampfte er sich, und atmete tief aus. Es war überstanden. „Danke. Danke, Balbus.“, hörte er sich selber sagen. Und da war noch eine Sache. Er musste sie jetzt herausbringen, denn solch eine Gelegenheit konnte er nicht auslassen. „Und Balbus? Könntest du... eventuell... allfällig... auch sehen, ob du es arrangieren kannst, dass ich in den ordo senatorius komme? Ich will auf jeden Fall in die Politik einsteigen... dafür bräuchte ich es.“, gab er kleinlaut zu, beschämt, noch einen Wunsch äußern zu müssen.

    Er musste all seine Beherrschung aufbringen, um dem festen Blick nicht auszuweichen. Er schluckte, als der Senator ihm aufforderte, zu sagen, was die anderen Familienmitglieder von ihm dachten. Er ließ hastig die Augäpfel herumschweifen, als suche er nach einem Souffleur, der ihm die Lösung zu der verzwickten Aufgabe, eine Antwort zu suchen, helfen könnte. Doch da war niemand. Nur ein paar müde Notarii, die nichts von der Konversation zwischen Piso und Quarto mitbekamen.
    „Also... Gracchus hat mir gegenüber einmal impliziert, dass er es bedauert, wie unsere Gentes zueinander stehen. Als Feind sehen will er dich garantiert nicht, das hat er mir selbst gesagt. Über Aristides‘ Meinung weiß ich nichts Bestimmtes... aber er ist kein Typus von Mann, der Groll hegt. Er ist eine sehr amikable Persönlichkeit, und vor allem, friedvoll. Und dann noch Furianus... ich habe mich einmal mit ihm unterhalten, und es gibt so eine Persönlichkeit... wenn er zwischen dir und jenem anderen Mann entscheiden müsste, fiele seine Wahl auf dich, ohne Zweifel.“, vertraute er Quarto an. Vielleicht machte er damit den Fehler des Jahrhunderts. Vielleicht schuf er damit eine winzige Basis, auf der man aufbauen konnte.
    Es fiel ihm auf, dass es einen Flavier gab, über den Quarto nicht fragte. Piso wusste wenig über Felix, und es war wohl diese Tatsache, die ihm Vertrauen gab, dass man eine Brücke zwischen den Flaviern und den Aeliern schlagen könnte.

    „Ich habe noch keinen Patron, aber ich habe vor, in nächster Zeit mir jemanden zu suchen.“ Er lächelte vage. „Ich hoffte, einen Senator zu finden. Aber ich weiß noch nicht, wen.“ So, jetzt war es raus. Balbus würde nicht Pisos Patron werden können, so sehr es sich Piso auch hie und da wünschte. Solange Balbus nicht in die Politik ging...
    Es musste jedoch nicht immer eine Patronage sein. Und dies wollte Piso Balbus auch klar machen. „Ich biete dir meine Loyalität... als Freund.“, brachte er hervor. Würde Balbus das Freundschaftsangebot annehmen? Als Vorgesetzter hatte er durchaus die Möglichkeit, Piso dafür auszulachen und in Ewigkeit ins Primiceriusstübchen zu verbannen. Nun, er war schon, wie Furianus gesagt hatte, ein Freund der Familie, wieso sollte das also nicht klappen? Nur nicht mit den Beinen zu zittern beginnen, befahl ihm eine innere Stimme.

    „Ich stimme dir vollends bei.“, machte Piso und nickte bedeutungsvoll. „Ja, das Zerwürfnis zweier Männer hat schon das Schicksal von Nationen besiegelt.“ Er nickte nochmals bedeutungsvoll. Jetzt galt es diplomatisch vorzugehen. Es schien fast so, aus hätte Quarto der Gens Flavia für eine Sekunde die Hand nur ein kleines bisschen ausgestreckt. Piso musste etwas auftun, womit er die Bereitschaft der Gens Flavia signalisierte, geschehenes Unrecht für einen Augenblick zu vergessen.
    „Es sind zwei Männer, die tot sind. Sie haben ihren Groll aufeinander ins Grab mitgenommen. Hie und da beschäftigt mich der Gedanke, was unsere Gentes erreichen wollen, indem dieser alte Groll auf junge Generationen übertragen wird. Ich meine, das Unrecht, was deiner Familie angetan wurde, ist ausgebügelt, die Ehre deiner Gens wieder hergestellt. Wir, die Gens Flavia, wir haben gebüßt, sind von der Macht gefallen. Damals, als Domi... der Kaiser, von dem du sprachst, fiel, war ich noch ein Bursche. Ich kann mich da nicht mehr an viel erinnern. Beide Gentes haben Höhen und Tiefen erlebt... ein Grund, alten Groll beiseite zu stellen. Meine Familie wäre sicher dazu bereit.“, war er sich sicher. „Ich auf jeden Fall, hat mich doch meine Jugendfreundschaft zu deinem Verwandten Aelius Archias sehr geprägt. Und besonders, da jetzt Rom der Bedrohung von so vielen Feinden und Schädlingen ausgesetzt ist... die Parther und die Christen sind nur einige davon.“ Einen Namen ließ er unerwähnt. Einen gewichtigen Namen, der einem gewichtigen Herrn gehörte, welcher wohl nun durch die Köpfe des alten Aeliers und des jungen Flaviers spukte.

    Piso hatte mit einer anderen Frage gerechnet, und war von jener ein wenig überrumpelt. Doch anmerken ließ er sich das nicht. Er lächelte zunächst freudnlich. „Dass du mich deinen besten Mitarbeiter nennst, ist sehr schmeichelnd, und überrascht mich.“, meinte er höflich, um Zeit zu gewinnen. Was würde es Balbus bringen, wenn er Piso an einer verantwortungsvolleren Position hätte? Genau, das war es.
    „Wenn du mich an eine höhere Position bringst, dann kannst du darauf zählen, dass du an jener Position jemanden hast, dem du vertrauen kannst.“, sagte er ernst. „Nehmen wir... Ägypten. Imperiosus kann nicht ewig dort bleiben. Doch sollte ich dort Dioketes werden, hättest du jemanden in Ägypten, der die Sache mit den Konflikten zwischen Römern und Griechen weiterhin im Auge behalten kann. Das wäre nur ein Beispiel. Wäre ich Procurator Annonae, hättest du jemanden als Hafenaufseher, den du vertrauen kannst. Würde ich Procurator a memoria werden, wäre das Archiv in sicheren Händen.“
    Er seufzte. „Es sind leider Zeiten, wo man nicht weiß, wer auf welcher Seite steht.“ Welche Seiten, ließ er ungenannt. Es sollte klar sein, dass er auf Vescularius Salinator anspielte. „Ich werde auf deiner stehen. Immer.“, versicherte er ihm ernsthaft.

    Piso nickte. „Das stimmt durchaus, und ich habe das Gefühl, schon viel von ihm gelernt zu haben. Er ermöglichte mir ein gründliches Studium der Rechtswissenschaften, und zudem militärische Studien. Und er hat mir gesagt, ich müsse mir, wenn ich in die Politik möchte, einen guten Namen machen.“
    Er beschloss, nicht mehr wie die Katze um den heißen Brei zu schleichen, sondern selbige aus dem Sack zu lassen. „Und, so sehr ich es mag, unter dir als Primicerius zu arbeiten, es ist doch nichts, was mich bekannter machen wird. Ich würde gerne eine bessere Position erreichen, etwas in der ritterlichen Laufbahn, die ich als Patrizier ja einschlagen kann, um für Rom zu arbeiten und meinen Namen in der römischen Gesellschaft geläufiger zu machen. Denn ich will einmal in die Politik gehen. Vielleicht, dass ich eine niedere Procuratorenstelle erlange, oder vielleicht als Procurator, oder Dioketes, in eine Provinz geschickt werde. Und ich bitte dich hierbei um deine Unterstützung, Balbus.“, gab er nun endlich seine Motive zu. „Vielleicht kannst du ja mit dem Praefectus Urbi darüber reden?“
    Ziemlich sicher war er sich, dass Balbus nun fragen würde, wieso er ihm helfen solle. Fast mit Panik realisierte er, dass er, falls wirklich so eine Frage gestellt werden würde, keine Antwort vorbereitet hatte. Er würde improvisieren müssen.

    Wenn sich Balbus an der Aufzählung des Verus störte, ließ er sich nichts anmerken. Die anderen Namen lösten wohl genau so wenig eine Reaktion aus, wie es das bei ihm getan hatte.
    Der abrupte Themenwechsel schien Balbus ganz leicht zu amüsieren, und Piso häte sich ohrfeigen können, dass er so ungeschickt eingestiegen war. Doch jetzt half nichts mehr, als voll darüber hinwegzubrettern. „Oh ja, Furianus ist ein sehr interessanter Mensch! Ein großer Mann, durchaus... Ich hatte viele durchaus inspirierende Konversationen mit ihm, die mich motivierten, mich dazu animierten, meinen Horizont zu erweitern, und meine Ziele höher zu stecken.“ So, die Weiche war gestellt. Piso würde sicher nciht ewig Primicerius sein wollen, und nun war der Moment, wo der Aff‘ ins Wasser springt. Metaphorisch gesehen.

    „Sicherlich. Sicherlich.“, machte Piso als Antwort. Was redetechnisch auch kein Geniestreich war, aber „Öhm“ freilich überbot. „Dann ist ja alles gut.“ Dann war das ja also geklärt. Also wird mich Salinator nicht am Bratspieß grillen, dachte er sich, nicht bewusst, dass seine Gedanken sich fast mit denen des Prudentiers deckten.
    „Wer ernannt worden ist? Das war erst einmal Titus Decimus Verus.“ Ob dies Balbus schmecken würde? Er wusste nicht richtig. „Dann der Duumvir von Ostia. Wie hieß der nochmal? Octavius Fatzke... nein, Matze... Macer, genau. Faustus Octavius Macer. Und dann noch ein Kerl namens... hm, wie hieß der... irgendein Aquarius, dessen Merite ist, dass er Quarto als Patron hat. Iulius Zentner. Nein, Lucius Iulius Centho. Das war es schon.“, schloss er.
    Ganz beiläufig, als würde ihm ganz spontan die Idee kommen, dies zu fragen, ließ er die Bemerkung fallen: „Ach ja, mein Verwandter Lucius Flavius Furianus hat mir gesagt, er wolle dich einmal besuchen gehen. Ihr habt doch einen netten Abend verbracht?“ Uff, war das ein ungelenk formulierter Einstieg. Bitte Götter, macht, dass Balbus darauf anspringt.

    Piso lehnte sich ein wenig zurück, als der Senator eine Sekunde lang über eine Antwort nachzudenken schien. Als jene kam, setzte er sich wieder auf. Genugtuung? Das konnte ja was Schönes werden. Nur nicht die Nerven verlieren. Der junge Flavier lächelte höflich, als Quarto ihm seine Familiengeschichte erzählte. Die Piso wohl vertraut war.
    „Ich weiß um dieses Unrecht.“, begann er als Antwort. „Ich weiß auch, dass es erst beseitigt wurde, als Senator Helvetius Geminus dir wieder die Bürgerschaft zurückverlieh. Und ich glaube fast, den Namen des betreffenden Kaisers willst du nicht nur nicht aussprechen aus Prinzip... sondern auch, weil er meinen Familiennamen enthält.“ Er atmete scharf aus, war es ein Seufzen, oder doch nur ein Atemzug? Niemand nennt mehr seinen Namen, hatte der Senator gesagt. Fast hätte Piso gelächelt, glaubte der Senator das wirklich, war er so naiv anzunehmen, dass in der Villa Flavia nicht mit großem Respekt über jenen großen Verwandten gesprochen wurde? Vermutlich nicht. Vermutlich sagte Quarto jenes, um den Idealzustand zu schildern, das Gesetz.
    Er schüttelte langsam den Kopf. „Ich frage mich manchmal wirklich, wieso es so weit kommen musste. Dass sich unsere Familien, einst engste Verbündete, sich so weit entfremden konnten.“ In seinen Augen sah man nicht, was er sich im Innersten dachte. Dass Quarto seinen Teil zur Entfremdung beigetragen hatte, durch die Damnatio Memoriae, welche damals alle Flavier gegen ihn aufgebracht hatte.

    Als Piso hörte, wie Balbus herein rief, dauerte es ungefähr 3 oder 4 Millisekunden, bis die Tür aufgestoßen wurde, ein Beleg, dass seine Hand schon am Knauf gewesen sein musste. Er erschien in Balbus‘ Raum, den Procurator anlächelnd. „Salve!“, begrüßte er ihn. „Alles in Ordnung bei dir? Ich habe da eine Frage. Kürzlich war Senator Aeilus Quarto bei mir und hat mich angewiesen, einige Ernennungen in den ordo senatorius vorzunehmen, ohne, dass jener Order über dich ging. Ich wollte nur nachfragen, ob ich, als ich es spontan machte, ohne dich zu benachrichtigen, das richtige tat. Denn die Anweisung kam ja von einem der zwei Stellvertreter des Kaisers, und wir, die Kanzlei, wollen ja eine schnelle und effiziente Vorgehensweise. Es war doch in Ordnung, oder?“ Er war sich sicher, dass es in Ordnung wäre, war ja auch Quarto der Patron seines Vorgesetzten. Um ehrlich zu sein, war es ziemlich offensichtlich, dass diese Frage nur ein Vorwand für Piso war, um Balbus einen Besuch spezieller Natur abzustatten.

    Piso musste einen so lächerlichen Anblick bieten, dass es direktgehend unglaublich war. Und das sollte ein Mann aus einer alten, angesehenen Patrizierfamilie sein! Viel eher sah er aus wie ein Clochard. Ein Mann, der sich nach ein bisschen Zuneigung und Freundlichkeit sehnte, verzehrte. Und genau dies gab ihm die Iunierin.
    Piso lächelte freundlich, unendlich erleichtert, dass es jemanden gab, der ihn zu verstehen schien, derjenigen zu. Die Berührung ihrer Hand auf ihrer Schulter fühlte sich so gut an, dass es nicht in Worte zu fassen war. Ein bisschen Freundschaftlichkeit! Ein bisschen Mütterlichkeit! Der noch eben so sich elend fühlende Piso fühlte sich wieder ein kleines bisschen geborgen. Mit tiefer Dankbarkeit in seiner Stimme entgegnete: „Ich kann dir meinen Dank gar nicht ausdrücken... du bist so nett zu mir.“ Wenigstens jemand. „Danke.“ Er lächelte abermals. „Vielleicht... werde ich dich ja besuchen kommen. Aber zunächst... muss ich ins Bett. Ich muss ja aussehen...“ Er lachte kurz, freundlos, auf. „Danke, auf jeden Fall. Vale bene, Narcissa.“ Er blickte ihr nochmals in die Augen, dann riss er sich los und verließ, eher schlurfend, den Raum.

    Piso nickte andächtig. „Wahre Worte, Senator! Wer sich im cursus honorum betätigt, nur auf eigenen Profit auf, wird fallen, denn die Wählerschaft durchschaut dies. Nur die Selbstlosen und Uneigennützigen schaffen es weit hinauf, bis zum Consul.“, meinte er. Dass dies durchaus als Schmeichelei gewertet werden konnte, kam ihm erst jetzt. Doch, um so besser. „Wie hast du deinen Weg bis an die Spitze empfunden, Aelius Quarto?“, fragte er interessiert. Informationen einem solch distinguiertem Politiker abzugewinnen war immer hilfreich, dachte er sich.

    Piso fühlte sich benommen, unendlich benommen. Als ob er zur Hälfte in ein Loch gefallen, oder von einem riesigen Ungeheuer verschluckt worden wäre. Es mochte eine blöde Beschreibung sein, aber genau so fühlte sich der arme Patrizier genau jetzt. „Genau, Männer.“, wiederholte er schwach lächelnd. „Männer.“ Dass er ein Mann war, und keine Frau, löste aber momentan keine große Befriedigung in ihm aus. Im Gegenteil. Wäre er eine Frau, hätte er (vorausgesetzt, er wäre nicht vom anderen Ufer) sich niemals in Serrana verliebt, und er hätte sich niemals so die Seele verwundet.
    Er seufzte elendliglich und löste seine Umarmung ebenfalls. Müde sah er Verus dabei zu, wie er aus dem Zimmer wankte, langsam, unstet, ganz und gar nicht männlich. Ebenfalls müde wandte er sich an Narcissa. Er atmete stark ein und aus, mehrere Male. Dann brachte er endlich Worte aus sich heraus. „Ich bin müde. Ich glaube, ich gehe nach Hause. Danke für alles.“ Er heulte endlich nicht mehr, aber seine Augen waren rot, und man sah den Rotz und das Tränenwasser auf seinem Gesicht. Seine Kleidung war versaut und komplett durchnässt.
    Er schüttelte langsam den Kopf, als ändere dies irgend etwas. „Nein, wirklich müde.“, wiederholte er und gähnte, sich gerade noch rechtzeitig die Hand vor den Mund halten könnend.

    Einige Tage später war es, nach der cena, um derentwillen der Türsklave der Tiberier den jungen Patrizier so unwirsch abgewiesen hatte, dass Piso sich wieder zur Villa Tiberia hintragute. Sein Grinsen sparte er sich dieses mal, statt dessen hatte er eine ernste, feierliche Miene aufgesetzt, die eigentlich so gar nicht zu ihm passen wollte. Aber in religiösen Dingen durfte man niemals sich gehen lassen, darin war Piso überzeugt.
    Er räusperte sich, als er stehenblieb vor der Porta, und hob schon seine Hand, um dort anzuklopfen. Da hielt er inne. War es wirklich eine gute Idee, fragte er sich, die Stirn in Runzeln legend. Sollte er das machen? Die Antwort aus seinem Hirn war ebenso barsch wie gebieterisch: Du musst es machen, der Furianus hat gesagt, du musst es tun.
    Mit Wucht kam, ohne zu Zögern nach jenem Gedanken, Pisos Hand auf die Türe herunter. Drei- oder viermal klopfte er an, bevor er die Hand sinken ließ, die Türe ernsthaft anstarrend.