„Oh.“, war das intelligenteste, was Piso einfiel, was die Thematik des Lyraspiels anbelangte. Sehr eloquent war dies natürlich nicht, jedoch traf es den Punkt – er war baff und komplett wortlos. Auf einmal fühlte er sich ein wenig mickrig. Dieser Mann vor ihm war nicht der Halbseidene, für den Piso ihn noch vor ein paar Tagen gehalten hatte. Es steckte wirklich etwas hinter der Oberfläche. Kurz gesagt, Piso war beeindruckt. Er neigte natürlich massivst zur Selbstüberschätzung, doch Lucius Furianus machte ihn ein für alle Mal seine Grenzen klar. Eine erstaunliche Leistung, hatte das doch noch niemand jemals geschafft.
„Z’rückn’mm?“ Seine Kehle war trocken, und so verstümmelte er in fast schon gracchischer Manier seine Worte. Er räusperte sich. „Ich muss mich... oh.“ Schon zum zweiten Mal entströmte seiner Kehle dieser Laut. Natürlich, bedeutungsreich per se war sie nicht, doch drückte sie so gut aus wie 100 Worte, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte.
Er grübelte ganz kurz nach. Zurücknehmen, sich zurücknehmen? Er räusperte sich. „Äh, es gibt Leute, die denken anders über meinen Gesang.“, krächzte er eher, als dass er es sagte. „Warte.“ Er griff zielsicher zwischen zwei Kisten hinein und holte seinen Schatz heraus. „Hier. Es ist ein Artikel in der Acta vom hoch angesehenen Blandus! Er schreibt sehr hoch über meine Musik.“, verkündete er stolz und reichte den Zettel an Furianus weiter. Sicher würde der Senator dies anerkennen mü... MERDA! Im Artikel stand auch, unseligerweise, dass man ihn mit Eiern und Obst der faulen Sorte beworfen hatte! Doch den Artikel konnte er jetzt nicht mehr zurücknehmen. Wieso musste er unbedingt auf sein Recht beharren? Er hätte den Märtyrer spielen können, der sich im Auftrag der Muse opferte, für was auch immer. Doch nun war es zu spät, seine Hand konnte er nicht mehr zurückziehen.
So fand er es sehr agreabel, dass man zu einem anderen Thema überging.
„Im Vertrauen... Nero ist sehr ungerecht im Kreise der Historiker behandelt worden.“, meinte er. „Es ist ja klar, dass nicht er Rom angezündet hat, sondern die verdammten Christen. Ich respektiere die Claudier, und ihre Ahnen ziehe ich genau so wenig durch den Schmutz, wie sie unsere Ahnen durch den Schmutz ziehen würden.“ So, das war jetzt mal ein schöner Satz! Ständisch, zünftig, selbstbewusst und ehrsam. Gäbe es da nicht ein kleines Problem... die Aelier. Nein, nur nicht dran denken.
Den nächsten Worten lauschte er brav. „Aha... gut...“, viel mehr brachte er nicht heraus. Wo es angebracht war, nickte er. Er war schon viel zu eingeschüchtert, um noch zu schmollen. Am Ende von Furianus‘ Rede schluckte er und brachte nur noch ein „Ich verstehe“ zusammen.
„Prudentius Balbus ist dein Freund?“, wiederholte Piso erstaunt. „So... so ist das also...“ Konnte dies der Grund dafür sein, dass Balbus eingewilligt hatte? Ach ihr Götter, Balbus. Der würde sicherlich brühwarm erzählen, was bei ihm den Ausschlag gegeben hatte, Piso anzustellen – das Bedürfnis nach besseren Beziehungen mit dem Kaiser. So eine Ansage war relativ schräg für einen Flavier, musste sich Piso eingestehen. Vielleicht konnte er das noch später irgendwo im Gespräch einflechten. Sodass es Furianus nicht von Balbus erfahren musste.
Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr fiel ihm auf, wieviel Geheimnisse er vor der eigenen Familie hütete.
„Einige der Notarii sind römische Bürger. Mein Obernotarius zum Beispiel, ein Mitglied der Gens der Numerier! Wir sind schon praktisch in einem Klientelverhältnis.“ Nun war die Gens Numeria eher unbedeutend, und der Zweig, aus dem Urbicus stammte, an Einfluss im Keller darunter. Doch diesen Punkt wollte er einmal machen. „Und ich habe Freunde in der Kanzlei. Imperiosus, das derzeitige Oberhaupt der Pompeier, und auch noch Sabinus von den Viniciern. Seine beiden Onkel sind Hungaricus und Lucianus.“, warf er ein. „Diese beiden würden mich sicher unterstützen.“ Er war sich dessen ziemlich sicher.
Dass seine Leistung bezüglich des CRV nicht gewürdigt wurde, hätte er fast schon erahnen können, war es doch der grundlegende Test. „Ich würde den Cursus Iuris machen, gerne!“, rief Piso, der Anwälte schon immer bewundert hatte. Sie waren einfach unschlagbar, fand er, mit ihren Reden und Verteidigungen und Anklagen, und Paragraphen und Fallrecht... sicher wäre das nicht uninteressant. „Nur gibt es ein Problem. Man hat ihn ausgesetzt. Und zwar kurz, bevor ich nach Rom gekommen bin. Aus diesem Grund will ich auf den Wirtschaftstest fürs Erste ausweichen.“ Er blickte etwas traurig drein, man konnte sehen, dass sein Verdruss darüber echt war. „Ich will ihn aber so früh wie möglich machen...“, setzte er hinzu.
„Geld? Tausende?“, fragte er erstaunt, und die Augen weit aufgerissen hatte nun der junge Beamte, der noch nie mehr als 500 Sesterzen auf seinem armseligen Kontolein gehabt hatte. Er dachte hastig nach. Wieviel Wein konnte man für 5000 Sesterzen hinunterkippen? Definitiv könnte er damit eine Runde Falerner ausgeben... doch es war nur allzu evident, dass solch Geld nicht vorgesehen wären fürs Vertrantscheln. Das war nun ein bisschen eine Zwickmühle. Er würde das Geld ausgeben müssen für diverses Glump, Weiterbildung und Standesgeld. Und Kauf von Land. Er blickte also Furianus nur dackelig an. „Ähm... wieviel, Lucius Furianus, denkst du, brauche ich für einen Einstieg in... äh... öh... die Karriere, die du mir zugedacht hast?“ Er war ja schon ein bisschen stolz. Um Geld zu betteln war noch nie sein Ding gewesen. Doch dies war Rom. Hier war alles anders. Und vor allem, sehr kompliziert. Das konnte man als sehr gute Ausrede zum Sandeln sehen.
Er sah etwas hilflos dabei zu, wie Furianus in seinem Zimmer herumzulatschen begann. Iupiter, mach, dass er nichts zertritt, lautete das Stoßgebet von Piso, als Furianus zwischen den Sachen, die er am Boden herumliegen hatte, hindurchwandelte.
„Äh... ja... gut... wenn du es sagst... vielen Dank...“, meinte er als Furianus ihm seine Hilfe anbot.
Sollte er sie annehmen?
Es gab zwei Varianten.
Erstens, Aulus, du arbeitest weiter in deinem Officium. Du verdienst dir deine Brötchen selber. Du bist frei und ungebunden. Aber du musst schuften. Irgendwann kriegst du einen krummen Rücken. Du wirst vielleich irgendwann mal Procurator a memoria. Vielleicht schaffst du es noch vor der Rente zum Procurator ab epistulis, oder sowas in der Art. Dein Gehalt versäufst du. Und das war dann dein Leben.
Zweitens, du tust, was er sagt, Aulus. Du kriegst erst mal eine Stange Geld. Du kannst dich weiterbilden. Nach Aegyptus kommst du wohl nicht mehr. Aber du kommst zu Ehre und Bekanntheit. Flavius Piso, werden die Leute sagen, natürlich kenne ich den. Er ist beliebt und angesehen. Wenn du durch die Menge reitest, werden dir die Leute zujubeln. Der Jubel wird ästhetisch sein. Und erfüllend. Genau so wie die Redewendung: „Das Jahr des Consulats des Flavius Piso.“ Hmmm... Kaiser Piso der Erste. Lecker.
Er entschied sich. „Ich nehme deine Hilfe gerne an, und danke dir dafür.“ So, es war gesagt. Es war vollfüllt. Er atmete tief durch. Eine Ära war zu Ende gegangen. Eine neue war angebrochen. Oder so etwas in der Art. Hauptsache, es klang schön kitschig, das war nett. Ja.
Er lauschte den Worten des Furianus um einen Zacken aufmerksamer als vorhin. „Du redest mit Balbus... gut, ich hoffe, er wird dir nur Gutes sagen können. Und, wenn du schon bei ihm bist... äh... es gibt da einen Posten in der Kanzlei. Der Posten heißt „Procurator a memoria“ und ist sehr angesehen. Und gut bezahlt. Und... ich meine... vielleicht bekommst du da etwas hin? Ich glaube, ich würde einen guten Procurator a memoria geben... äh... ich meine natürlich, ich würde eine solche Arbeit zur vollsten Befriedigung des Kaisers erfüllen.“, verbesserte er sich, innerlich sich seiner Rhetorikstunden gemahnend. „Ich will noch etwas in der Kanzlei bleiben. Denn es ist ein Zeichen von Integrität und guter Disposition, dort einen etwas höheren Posten inne gehabt zu haben.“, erklärte er seinen Wunsch.
Dann kam die Rede auf die Kultgemeinschaft. „Oh, das ist... nun gut... ich werde... das machen.“ Die Arvalbrüder? Da musste man ja senatorischen Ranges sein! Oder halt, das war ja schon inkludiert, wenn es nach Furianus ging. Also gut. Dann sollen es die Arvales Fratres sein. Die Salier waren ihm sowieso schon immer leicht suspekt gewesen. Immerhin redete er sich dies nun ein.
„Ein Tribunat?“, rief Piso und wurde etwas bleich. „Schlachten, Soldaten, Blutvergiessen, wie unästhetisch!“, rief er aus und rang mit seinen Händen. Aber gut bezahlt wäre es. Also ließ Piso die Hände sinken und hörte weiter zu.
„Gut, gut, das mache ich! Festmahl klingt gut, äh... aber wie soll ich es mir leisten? Ich bin ja nur ein kleiner Beam... ach, ja, stimmt.“ Genau, der beziehungsweise die Furianus-Tausender. Und Feinde sollte er sich machen? Das tat der joviale Piso ungern. Aber dies war wohl Politik.
„Ähm... wenn ich dann wirklich im Senat bin... es wäre so, dass ich, glaube ich, schon einen guten Beitrag leisten könnte... weißt du, so eine Gesetzesvorlage schwirrt mir schon sehr lange im Kopf herum...“, vertraute er seinem Verwandten an.
Bislang war das, glaube ich, vielleicht mein laengster Text im IR. So, jetzt aber. Gute Nacht.