Wie viele Stunden sie am Ende in den Wehen gelegen hatte, wusste Calvena im Nachhinein nicht mehr. Nach Schmerz und Agonie war sie nur froh, es überstanden zu haben. Zwischendurch hatte sie das Bedürfnis verspürt, ihren Mann einfach mal zu erwürgen. Schließlich hatte er ihr dies angetan und wusste gar nicht welche Qualen sie durchlitt. Sein Glück war, dass er wohl hoffentlich schon auf dem Rückweg war. Sonst hätte sie ihm ein paar recht fantasievolle Beleidigungen an den Kopf geworfen, während sie sich durch die Wehen kämpfte. Es war furchtbar. Nichts, rein gar nichts hatte sie darauf vorbereiten können. Vor allem nicht auf das überwältigende Glücksgefühl, als sie plötzlich ihren winzigen schreienden Sohn plötzlich in den Armen hielt. Noch ganz rot und zerknittert, wirkte er so gar nicht wie ein menschliches Wesen, doch in ihren Augen war er perfekt. Von den winzigen Zehen, bis zum den dunklen Locken, ein kleines perfektes Menschenkind. Tränen traten ihr in die Augen. Mit einem Finger streichelte sie Zärtlich das kleine Gesicht.
Sie war glücklich, so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Und doch gab es einen kleinen Schatten. Lucius war nicht da um sich mit ihr zu freuen. Um seinen Sohn kennen zu lernen….
„Das ging schnell“, hatte Merline nur irgendwann kommentiert und ihr damit ein kleines Schmunzeln entlockt, während sie liebevoll das Kind in ihren Armen betrachtete. „Ich hab Geburten erlebt die gingen die ganze Nacht oder länger“, plauderte die gutmütige Germanin. Sie würde noch einige Stunden bleiben und dabei zusehen, wie die gerade gewordene Mutter mit ihrem Kind zurechtkam. Mit dem ersten Kind war es immer so eine Sache, oftmals waren die Mütter überfordert und auch ein wenig unsicher im Umgang mit dem Säugling. Schließlich war das alles noch neu und auch ungewohnt. Das ganze Leben stellte sich mit einem Kind auf den Kopf. Von daher stand sie den Wöchnerinnen immer gern mit Rat und Tat zur Seite.
Merlinde ließ sich in den Korbstuhl am Fenster sinken und lächelte zufrieden. Nicht alle Geburten verliefen so reibungslos, sie hatte oft genug erlebt wie Mutter oder Kind oder Beide starben. Das Gefühl der Hilflosigkeit in solchen Momenten trieb sie an den Rand der Verzweiflung. Zumal dann die Männer dieser Frauen meist ihr die Schuld an dem Willen der Götter gaben. Fast konnte man die Geburt mit einem Würfelspiel vergleichen. Das Leben an sich. Fortuna, so nannten die Römer ihre Schicksalsgöttin, die Germanen hatten ihre Norne. Ein ganz leiser Seufzer entfloh ihr, als junges Mädchen hätte sie es sich niemals vorstellen können, dass sie einmal ihr Wissen und ihre Fähigkeiten auch einmal den Römern, diesen Invasoren zur Verfügung stellen würde. Damals hatte sie noch auf der anderen Seite des Rhenus gelebt, in einem winzigen Dorf. Die Furcht vor den Römern war immer da gewesen. Dass sie einmal sogar Freunde finden würde und Gemeinsamkeiten entdecken war ihr undenkbar erschienen. Sie wusste gar nicht mehr, wann sich ihre Einstellung so sehr geändert hatte. Gedankenverloren betrachtete sie Mutter und Kind und erinnerte sich an die alten Zeiten. Sie waren weder gut noch schlecht. Es waren Erinnerungen in denen sie sich verlor. Erinnerungen an ihre Mutter, die ihr so viel Wissen vermittelt hatte, an den Mann den sie einmal geliebt hatte und ihre Kinder. Ein sanftes Lächeln lag auf ihrem Runden Gesicht.
Merlinde schreckte auf, als sie ein lautes rufen vernahm. Sie warf Calvena und dem Kind, beide schliefen friedlich, einen kurzen Blick zu, ehe sie auf die Beine kam um nach zu sehen, wer denn da im Haus herum polterte. Sie ging davon aus, dass es dieser nutzlose Sklave Simplex war, dem würde sie ihm Mal den Kopf gerade rücken. Hatte wohl noch nie davon gehört, Rücksicht zu nehmen. Kurz spielte die resolute Frau sogar kurz mit dem Gedanken eine Bratpfanne aus der Küche zu holen, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.