Trotz der scheinbaren Freundlichkeit des Flaviers blieb sie skeptisch, etwas an seiner Art und Haltung deutete darauf hin, dass er nicht nur aus purer Neugierde hier war um an ihrer Prüfung teil zu nehmen. „Es ist mir eine Ehre Dich kennen zu lernen“, nickte sie höflich, als der Pontifex ihr den Flavier vorstellte. Dass sie einander bereits kannten, behielt sie für sich, ebenso wie er es tat. Sie konnte die Begegnung mit ihm auch nicht wirklich verdrängen, er hatte sich reichlich zum Affen gemacht. Kurz überlegte sie, abzulehnen, dass er auch bei ihrer Prüfung zugegen war, aber ihr fiel nicht wirklich ein passender Grund ein. Von daher nickte sie dann zustimmend, wobei ihr Lächeln unverbindlich blieb. „Nur zu, es wäre mir eine Freude!“ Das war zwar eine glatte Lüge. Zumindest blieb es ihr erspart allein mit dem Flavier zu reden. Aurelius Corvinus fand die Idee von einem konspirativem Gespräch überhaupt nicht gut. Kurz lächelte sie dem Pontifex zu und warf Piso einen kurzen durchdringenden Blick zu. Fast könnte man meinen, dass hier die übliche Abneigung Germanica-Flavia zu Tage trat, doch sie war sich nicht wirklich sicher, was Piso sich von seinem Auftritt erwartete. Wollte er angeben, dass er nun Septemvir war oder wollte er sich einfach nur verunsichern. Oder wollte er ihr eines Auswischen... doch es brachte ihr nichts, wenn sie sich jetzt darüber den Kopf zerbrach. Lieber widmete sie sich der ihr bevorstehenden Aufgabe. Als ihr Piso viel Erfolg wünschte, nickte sie erneut. „Danke, sehr freundlich“, erwiderte sie. Wenn er hoffte sie aus der Ruhe zu bringen, so musste er wohl enttäuscht sein. Sie ging nicht auf seine Sticheleien ein. „Es ist soweit alles vorbereitet“, sagte sie nun mehr in Richtung ihres Lehrers und ihres Prüfers und ignorierte den Flavier jetzt erst einmal und verbannte ihn aus ihren Gedanken. Sie war auch ohne seine gehässigen Blicke nervöser, wie ihr Lieb war.
Nun war es soweit. Alles war vorbereitet und im Grunde würde es nichts bringen das bevorstehende Opfer weiter auf zu schieben. Kurz schloss sie die Augen um sich selbst zu beruhigen, dann betrat sie den Tempel. Trotz sorgfältiger Vorbereitung war sie ganz schön nervös, sie versuchte aber dies sich aber nicht anmerken zu lassen. Im Tempel legte sie erst einmal ihre pala ab und streifte die Sandalen von den Füßen. Meine Güte war das kalt, der Stein unter ihren war ja schon fast eisig. Nachdem Opfer würde sie ganz schön durch gefroren sein. Sie schob die Gedanken an die winterliche Kälte beiseite und ging mit entschlossenen Schritten zu dem Wasserbecken. Sorgfältig wusch sie sich Hände und Arme. Dabei murmelte sie leise: „Möge dieses Wasser alle Unreinheiten von meinem Körper waschen. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. So ist es!“ Im Grunde waren es keine besonderen Worte, aber eine gewisse Ruhe kam nun über sie. Sie konzentrierte sich nun voll und ganz auf die bevorstehende Aufgabe. Nicht weit entfernt warteten die Musikanten und die jungen ministri auf sie. Mit einem leichten Kopfnicken wies sie die fidicines und tibicines Lauten und Flöten zum erklingen zu bringen. Die Melodien übertönten den Lärm der Stadt und sperrten alle störenden Nebengeräusche aus. Sie selbst blendete die beobachtenden Blick aus, die auf ihr ruhten und jeden ihrer Handgriffe genau analysierten. Ihre Nervosität schwand langsam, dennoch ganz wollte sich diese nicht ganz vertreiben lassen.
Gemessenen Schrittes ging sie nun den Gang zum Kultbild und dem davor aufgebauten foculus. Die Hände hatte sie dabei nach oben gerichtet.
„Oh Vertumnus, Gott der wechselnden Jahreszeiten. Herr der Wandels. Oh Vertumnalus, der du den Tiber umgeleitet hast. Gepriesen seist Du. Oh großer Gott der Verwandlung, erhöre Deine Dienerin. Sei mir gnädig. Hier stehe ich um Dir ein Opfer dar zu bringen!“
Sie ließ sich von einem halbwüchsigem Knaben das Weihrauch reichen. Lavendel- und Rosenblüten waren darunter gemischt. Bedächtig streute sie die kleinen Körner in die glühende Kohle. Zischend verbrannte das wertvolle Harz. Weißer Rauch hüllte sie ein und stieg auf. Ein süß-stechender Geruch stieg ihr in die Nase, unterstrichen von Lavendel und Rose. Es roch nach Frühling und Leben. Während der weiße Rauch sich zur Decke kringelte, schien er ihre Nervosität mit zu nehmen. Wieder bekam sie das Gefühl der Gewissheit, dass sie hier sein sollte. Dies war was sie wollte, den Göttern dienen und für das Wohl Roms zu opfern. Die Götter zu besänftigen, war der größte Dienst den man wohl an Rom erweisen konnte.
„Oh mächtiger Vertumnus. Nimm diesen kostbaren Weihrauch an. Er gebührt Dir, Herr der Verwandlung!“
Ihre Stimme war fest, ein Echo schien ihre Wort kurz zurück zu werfen. Calvena ließ sich nun eine silberne Schale mit frischem Obst reichen. Das Licht der glühenden Kohlen und Öllampen brach sich darin. Kurz hob sie diese an um sie dem Gott zu zeigen.
„Oh großartiger Vertumnus, dieses Obst soll dir gehören. Damit der beständige Kreislauf der Jahreszeiten uns Fruchtbarkeit und Wohlstand bringt. Damit die Felder immer grün sein mögen. Damit günstige Winde die Schiffe unserer Händler sicher über das Meer tragen und damit das Imperium erblüht und wächst!“
Mit bedacht stellte sie das Obst auf den Altartisch. Als nächstes reichte ihr der Junge einen Strauß mit blassen Winterblumen. Deren zarter Duft mischte sich mit dem Weihrauch.
„Oh mächtiger Gott Vertumnus, bringe uns Veränderung und Wandel. Sie prägen diese wunderbare Stadt und dieses großartige Reich! Denn Stillstand wäre der Untergang dieses wunderbaren Imperiums!“
Beinahe zärtlich legte sie die Blumen nun auch auf den Altar vor die silberne Schale, so dass die Blüten das Obst einrahmten. Nun wurde ihr eine Amphore mit bestem Wein gereicht. Von Unsicherheit war nun nichts mehr zu spüren. Es war als hätte sie schon hundert Male den Göttern geopfert. Schwer wog das Gefäß in ihren Armen.
„Oh Vertumnus, der du den Tiber umgeleitet hast und diese wunderbare Stadt vor Schaden bewahrt hast. Diese Wein soll Dir gehören. Mögest Du auch in Zukunft den Tiber in seine Schranken weisen!“
Sie schüttete den Wein in die dafür vorgesehene Mulde im Boden. Als auch der letzte Tropfen dem Gott geopfert wurde, reichte sie die Amphore zurück an ihren Helfer. Wieder hob sie nun die Hände.
„Oh großer Vertumnus, Herr der Verwandlung, Gott der Jahreszeiten und Herrscher über den Wandel. Diese Gaben sollen Dir gehören, damit Dein Segen den Wohlstand Roms sichert und damit der Wandel uns Frieden sichert.“
„Oh Vertumnus, ich bitte Dich, nimm dieses Opfer von Deiner bescheidenen Dienerin an!“
Mit diesen Worten beendete sie das Voropfer und drehte sich nach rechts. Damit hatte sie den ersten Teil des Opfers überstanden. Nun kam der Teil, bei dem sie sich wohl überwinden musste. Ein wenig tat ihr der Ziegenbock Leid, welcher gleich sein Blut und Fleisch geben würde um den Gott zu besänftigen. Nun konnte sie auch wieder den Klang der Flöten und Lauten wahr nehmen. Sie hatte alles ausgeblendet während des Voropfers. Sie war ganz in ihrer Aufgabe aufgegangen.
Nun schritt sie hinaus auf den Tempelvorplatz, ihr folgten einer kleinen Prozession gleich, die Ministri, die Musikanten und auch die anderen Helfer. Eine Schaulustige hatten sich vor dem Tempel versammelt und wollten dem blutigen Opfer beiwohnen. Calvena unterdrückte die wieder aufsteigende Aufregung. Die vielen Augen die auf ihr ruhten machte sie ganz nervös. Doch sogleich konzentrierte sie sich wieder auf ihre Aufgabe. Ein victimarius stand neben dem Opfertier bereit. Dieses war leicht mit Kräutern betäubt und verhielt sich vollkommen still. Es sollte ja nichts schief gehen und ein panisches Tier konnte unberechenbar sein. Mit glasigen Augen starrte es völlig abwesend in die Ferne. Die schwarzen Augen waren wie Spiegel. Die Hufe und die Hörner waren vergoldet worden und Wollbänder schmückten den Kopf. Ein Ministri besprenkelte alle Anwesenden und auch das Opfertier mit Wasser. Sicheren Schrittest trat sie an den Altar. Unmerklich nickte sie einem der Opferhelfer zu, welcher dann mit lauter Stimme sagte: „favete linguis!“ Nun war es wieder an ihr, die Stimme zu erheben.
„Oh mächtiger Vertumnus, Dir ist dieses Tier geweiht! Sieh auf Deine Dienerin herab, denn dieses Opfer soll nur Dir gehören. Schenke uns Deine Gunst, damit Dein Segen uns Wohlstand bringt!“
Ihr wurde eine Schale mit Wasser gereicht, damit sie sich die Hände nun noch einmal reinigen konnte. Ein weiterer Ministri reichte dann auch noch das malluium latum. In der kurzen Stille, in der sie sich die Hände trocknete und ihr das mola salsa gerreicht wurde, war der Klang der Flöten deutlich zu vernehmen. Doch hier draußen vor dem Tempel war es nicht ganz so einfach den Lärm Roms auszusperren. Ablenken ließ sie sich aber dadurch nicht. Mit dem Gemisch aus Salzlacke und Dinkelschrott strich sie über den Bock und weihte ihn mit schon fast geübten Handgriffen dem Gott. Nun wurde ihr das Opfermesser gereicht. In der Zwischenzeit nahm ein Ministri dem Tier den Schmuck ab. Das Messer fest in der Hand strich sie mit der Klinge ruhig über den Körper des Bockes, angefangen von dem Kopf bis zu dem kleinen Schwanz. Schließlich überreichte Calvena dem Victimarius das Messer.
„Agone?“ fragte sie dieser und sie antwortete selbstsicher. „Age!“ Mit diesen wenigen Worten entschied sie einfach über das Leben des Opfertieres, denn nur einen Herzschlag später, blitze das Messer im Licht der Wintersonne auf, ehe das Blut rot sprudelte und sich über den Altar verteilte. Ein Helfer stand mit einer Schale bereit um den Lebenssaft aufzufangen. Ein wenig Flau wurde ihr schon im Magen. Entschlossen kämpfte sie dagegen an. Dieser Teil war ihr etwas unangenehm, aber schnell war das Blut versiegt.
Noch einmal blitze das Messer auf, als mit sicherer Hand das Tier ausgeweidet wurde und die Organe in der vorgesehenen patera beiseite gelegt wurden. Ein Priester stand ihr zur Seite und betrachtete nun eingehend die Eingeweide. Sie konnte nun nur noch abwarten und sehen ob der Gott ihr Opfer an nahm.