Es war eigentlich ein trüber Dezembertag, grau war es. Kurz hatte sie an ihrer pala gezupft, die offene Lockenpracht in den Falten des Stoffes verborgen und trotz des schneidenden Windes war es für sie ein schöner Tag. Langsam und allmählich hatte sich ihre Ausbildung dem Ende genähert. Das viele Lernen in den vergangene Wochen und Monaten, der Unterricht bei ihrem freundlichen Lehrer und die Gespräche in den Tempeln hatten sie in ihrer Entscheidung bekräftigt. Es war der richtige Weg, den sie eingeschlagen hatte. Wie immer ging sie Morgens kurz in den Tempel der Iuno, brachte ihr etwas Weihrauch, einige letzte Blumen und Kekse dar, gönnte sich einen Moment der Einkehr, ehe sie ihren Weg ins officium formationis fortsetzte. Kurz verharrte sie am Eingang. Betrachtete das mittlerweile vertraute Gebäude, ehe sie es betrat und dort auf ihre Freundin Iunia Serrana und ihren Lehrer Decimus Durmius Verus traf. Etwas Wehmut überkam sie beim Anblick des altehrwürdigen Mannes. Er war so etwas wie ein Großvater geworden, seine Güte, seine Weisheit und sein freundliches Wesen hatten sie inspiriert und vor allem auch viel über die Wünsche der Götter vermittelt.
Gerührt lauschte sie seinen Worten und lächelte leicht verlegen, als er sie als reizend bezeichnete. „Es war uns eine Ehre von dir zu lernen. Sollten wir einmal deinen Rat benötigen, werden wir auf dich zukommen!“ sprach Calvena für die beiden jungen Frauen. Sie war ihm wirklich dankbar, denn er hatte ihnen viel beigebracht. Calvena wurde nervös, als er ihnen erklärte, dass sie heute ihr erstes eigenes Opfer darbringen würden. Kurz tauschte sie mit Serrana einen aufgeregten Blick, ehe sie dann ihrem Lehrer auf den Markt folgten. Sie hatten einen Arm ihres Lehres ergriffen und führte ihn behutsam mit ihrer Freundin über den belebten Platz. Nur langsam kamen sie voran, denn es war spürbar, dass es beschwerlich für ihn war. Immer wieder mussten sie kurze Pausen machen, während sie von Stand zu Stand gingen und die nötigen Opfergaben kauften.
„Nur immer langsam, Durmius Verus“, sagte sie, als er atemlos keuchte. Kurz warf sie Serrana einen besorgten Blick zu. Ihr wurde nur zu deutlich bewusst, dass ihr Lehrer nicht mehr der Jüngste war. Vielleicht waren sie die beiden letzten Schülerinnen, die er noch unterrichten würde. Ihr Weg hatte sie zum Kapitol geführt, zum Tempel Iupiters. Nun wurde sie doch etwas nervös, dass sollte ihre erste Opferung werden, ehe sie dann die Prüfung ablegen würden.
Mit einem schon fast huldvollen Nicken und einem freundlichen Salve grüßte sie die Ministri. Diese gingen dann auch voraus, während der alte Priester seinen Schülerinnen erst einmal noch eine Frage stellte. „Als erstes kommt die Reinigung“, antwortete sie ihm. Wie es für alle Priester und Priesterinnen üblich war, trug sie eine schlichte weiße Tunika, ihr Haar war offen, aber noch unter der pala verborgen. Ihre Schuhe würde sie auch gleich von den Füßen streifen. „Die rituelle Reinheit ist Pflicht, denn Tod, Geburt oder Sexualität könnten ein Opfer verfälschen. Deswegen gibt es an dem Eingang eines jeden Tempels Wasserbecken!“ sie deutete auf die marmornen Becken im Schatten zweier Säulen. Noch immer stützte sie ihren greisen Lehrer. Sie hatte das Gefühl, dass er jeden Moment zusammen brechen würde.