Gemäß den Anweisungen des Flaviers hatte Catubodus den Auftrag zur Bewachung des Kreuzes weiter delegiert. Als dieser sich dann in Richtung der Stadt davon bewegte, war er ihm zunächst ein Stück gefolgt um von einem schattigeren Ort aus ein Auge auf die sich vollziehende Hinrichtung zu haben. Doch die Zeit kroch nur träge dahin und auch die kapuzenverhangene Gestalt, die dem sonst doch sehr aufmerksamen Kelten bisher entgangen war schien keinerlei Ambitionen zu haben, den Delinquenten abzunehmen oder anderweitig in Aktion zu treten. Er spuckte ein Stück geschmacklos gewordene Süßholzwurzel aus und winkte einen der beiden Bewacher zu sich heran.
"Ihr solltet euch abwechselnd hier in den Schatten setzen."
"Aber der Herr sagte doch,..." wollte der Sklave zögernd einen Einwand einbringen, ehe ihn Catu barsch unterbrach: "Das geht auf mich!"
Jener Marcus Flavius Aristides, den der Sklave als 'Herr' bezeichnet hatte konnte ja schlechterdings Wert darauf legen weitere Sklaven durch Hitzschlag zu verlieren.
Catubodus für seinen Teil betrat kurz darauf ebenfalls die schäbige Taverne, ließ sowohl den Bewachern, als auch den übrigen, noch immer draußen verharrenden Sklaven posca bringen und hatte aus einer ruhigen Ecke ein Auge auf seinen Auftraggeber. Zwar wurde er dafür nicht bezahlt und vermutlich war es nicht notwendig, doch das Urteil, das dieser gesprochen hatte und sich nun vollstreckte schien ihn zu belasten. Das warum und wie interessierte Catubodus nicht. Er sah nur, dass er womöglich gebraucht würde und hielt sich bereit.
Die dahinziehenden Stunden des Tages verbrachte er mit Grübeleien über sich und seine eigene Art. Wie lange würde er in Gefangenschaft oder gar Sklaverei leben können, er, der er kaum etwas anderes kannte als ein freies, ungezwungenes Leben, ohne nennenswerte Verpflichtung. Würde er, der er seine Loyalität auf Zeit verkaufte einem dominus treu sein können? Entsprach er überhaupt dem Selbstbild eines Stolzen Kriegers, der sich deswegen mitunter unrechter Aufträge annahm, weil er seinen Stamm und damit die für ihn gültigen Regeln verloren hatte. Den die harte Schule des Lebens zu dem gemacht hatte derer war? Oder war vielleicht in dem Jäger in ihm auch der skrupellose Mörder immer angelegt gewesen?
Einen Großteil dieser Fragen konnte er sich nicht zufriedenstellend beantworten, zumindest nicht ehe der Römer mit der mit Abstand aristokratischsten Haltung im Raum - wenn diese auch vom Weine arg in Mitleidenschaft gezogen war - sich wider von dem Platze erhob, den er vor Stunden eingenommen.
Catu hatte seine Rechnung immer sofort begleichen müssen, wie die übrigen Gäste auch und so konnte er nun eiligst nach draußen entschlüpfen, wo seine Kontrollblicke immer seltener geworden waren. Die Abenddämmerung war am Hereinbrechen und zunächst fiel ihm auf, dass die vermummte Gestalt zwar noch an ihrer Stelle stand, aber irgendwie schien sie eine andere Haltung einzunehmen. Oder war das einfach die gesamte Stimmung, die sich geändert hatte? Dann stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass alle Sklaven, so weit sie noch geblieben waren, wieder an ihren Plätzen waren. Sie hatten wohl den Schatten nur genutzt, solange die Kraft der Sonne sie bedroht hatte.
Schnurstracks marschierte er zu der Stätte der Marter hin und wie er schon geahnt hatte, bestätigten ihm auch die Gesichter der Bewacher und ihr Nicken auf eine eindeutige Geste seinerseits hin, dass hier unlängst ein Mensch gestorben war.
Catu hielt sich weiter im Hintergrund, als der Flavier wieder auf der Bildfläche erschien und in Anbetracht seines Weinkonsumes mit erstaunlich klarer Stimme seine An- und Zurechtweisungen erteilte. Catubodus beaufsichtige die Prozedur, gab wenn nötig knappe, einsilbige Ergänzungen und Erklärungen und wies den einzelnen Sklaven wo nötig ihre Aufträge zu. Kurzum: Er sorgte dafür, dass sich der Römer um die Details der Ausführung keine Gedanken machen musste. Auch er roch das verbrennende Fleisch und musste daran denken, wie es das kleine Mädchen gewesen war, die ihres Vaters Schicksal so eindeutig und unabänderlich auf dieses Ergebnis zugetrieben hatte. Dann drängte sich die Erinnerung an die verkohlten Überreste seines Dorfes in den Vordergrund und gedankenverloren berührte er das Amulett seines Vaters unter der Tunika. Wie anders hätte sein Leben verlaufen können, wenn nicht jene Räuber, vielleicht wie jener da entlaufene Sklaven, sein altes Leben so abrupt beendet hätten! Er schüttelte den Gedanken ab und starrte statt dessen in die Flammen, mit nichts Anderem beschäftigt als deren Spiel zu beobachten, das so sehr wie kaum etwas anderes die Vergänglichkeit der Welt symbolisierte.
Als schließlich auch der letzte Rest dessen getan war, weshalb sie hier erschienen waren schloss sich Catu dem stark verkleinerten Zug zur Villa an, den er allerdings in der Stadt ebenso schweigend verließ wie er ihn begleitet hatte und seiner eigenen Schlafstätte zustrebte.
[SIZE=7]edit: inhaltlichen Fehler beseitigt[/SIZE]