Beiträge von Berenike Bantotakis

    Berenike sah den Rhomäer einen Moment lang sichtlich verdutzt an. Dann erwiederte sie das Lächeln und antwortete:


    "Tatsächlich? Nun, ich habe Deinen Aushang gelesen und habe durchaus Interesse an Deinem Angebot. Und wenn es Dich nicht stört Deine Geschäfte einer Frau anzuvertrauen, so würde ich mich freuen, wenn wir uns ein wenig genauer darüber unterhalten könnten."


    Nike war gespannt, was hinter den so vage beschriebenen Geschäften steckte und hoffte, dass Ihr Gegenüber sie zumindest nicht ungehört wegschicken würde. Ob sich dann wirklich etwas ergab, mußte man natürlich abwarten.

    Nike hatte geklopft und erst einmal tat sich überhaupt nichts. Hatte man sie auch zur richtigen Addresse geschickt? Sie wollte sich fast schon von der Tür abwenden und einen der Passanten fragen, als dann doch Schritte auf der anderen Seite der Tür hörte.


    Der Mann, der dann auch die Tür öffnete, schien ihre Vermutungen zu bestätigen, wirkte er doch nicht gerade wie ein aufstrebender Kaufmann und schien auch nicht gerade Besuch zu erwarten. Nun ja, vielleicht wußte er ja immerhin, wo sie diesen Prudentius Scipio finden konnte. Und da sie etwas von ihm wollte, lächelte sie ihn freundlich an und antwortete in der Sprache der Rhomäer:


    "Salve, vielleicht kannst Du mir helfen. Ich suche einen Tiberius Prudentius Scipio."

    Lagsam hatte sich Berenike von ihren Wunden erholt. Da sie nicht beabsichtigte ihren Cousin auf der Tasche zu liegen und sich aushalten zu lassen, suchte sie etwas, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Bei ihrer Suche hatte sie einen Aushang entdeckt, der sehr interessant klang. Ein Rhomäer suchte einen Verwalter für sein im Aufbau befindliches Geschäft. Einer der wenigen positven Aspekte aus ihrer Ehe war, dass sie sich einiges Wissen in Buchhaltung und Handel angeeignet hatte und genau dies konnte ihr hier helfen.


    Kurzentschlossen fragte sie nach dem Weg zum Domizil des Rhomäers und machte sich dorthin auf den Weg. Von außen machte es einen recht unscheinbaren Eindruck, aber wenn die Geschäfte sich erst im Aufbau befanden, war dies nicht weiter verwunderlich. Ohne Scheu klopfte sie an die Tür.

    Nike erwiederte Ànthis Lächeln, als dieser das Zimmer verließ und ließ ihren Blick dann über die beiden anderen wandern. Sie suchte Emis Hand und drückte sie sanft, aber mit Nachdruck. Leise sprach sie zu ihr: "Ich weiß, Emi. Und du kannst Dich im Zweifelsfall ebenso auf mich verlassen, wie ich mich auf Dich."


    Dann wandte sie sich an Thimos: "Ja, ich freue mich auch. Und ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft." Und mit einem Augenzwinkern ergänzte sie noch: "Dennoch hoffe ich Du verzeihst mir, wenn ich sehe, dass ich mich irgendwie nützlich machen kann, sobald meine Gesundheit es erlaubt."


    Da saß sie nun, inmitten ihrer Familie. Alles hatte sich so überraschend und unerwartet zum Positiven gewendet, dass sie im Moment noch gar nicht wirklich erfassen konnte, was all dies bedeutete. Sie verdrängte alle bösen Gedanken an die Vergangenheit, lediglich das Schicksal ihrer Tochter war ständig präsent in ihren Gedanken. Aber für den Moment behielt sie dieses noch für sich.


    Ihr Blick suchte wieder Emi. Sanft lächelte sie ihr zu, während sie noch immer ihre Hand hielt.

    Nike atmete einmal kräftig durch. Sie fühlte sich in ihrem ersten Eindruck von Ànthimos bestätigt, sagte er ihr doch klipp und klar was sie zu erwarten hatte und behandelte sie nicht wie ein kleines Kind, wie es so manche Ärzte taten. Sein Rat bezüglich des Mohnsaftes schien ihr schlüssig, beim schlafen würde es sicherlich besser sein, ihn zu nehmen. Solange sie aber die Schmerzen noch einigermaßen aushalten konnte, wollte sie noch bei klarem Verstand bleiben und um dies zu erreichen rieb sie sich die Augen und massierte kurz ihre Stirn. Dann nickte sie Ànthi kurz zu.


    "Gut, dann versuche ich es erstmal ohne den Saft und werde ihn nehmen, bevor ich mich schlafen lege. Im Moment wäre ich aber dankbar, wenn ich etwas zu trinken bekommen könnte."


    Dann wendete sie ihren Blick zu Emi und lächelte ihr beruhigend zu.

    Als Ànthimos an sie heran trat, schaute Berenike ihn durchdringend an, suchte irgendwo eine Ähnlichkeit mit dem kleinen Jungen, den sie aus ihrer Kindheit kannte. Seine sachliche, nüchterne Art gefiel ihr. Doch sie konnte im Moment nichts konkretes fassen, zu groß war die Ablenkung durch die Schmerzen, die ihr Rücken verursachte.


    Es dauerte eine Weile, bis seine Frage zu ihr durchgedrungen war. Im Grunde genommen, würde sie am liebsten auf den Mohnsaft verzichten, hatte sie doch schon in den Jahren zuvor am eigenen Leib erfahren, was Schmerzen sind und war hart im Nehmen geworden. Allerdings war sie bisher noch nie ausgepeitscht worden und die Schmerzen waren stärker, als alles, was sie bisher erdulden mußte. Sie hatte aber auch Angst vor dem Mohnsaft, Angst davor ihren Verstand zu verlieren und das nicht nur temporär, sondern auch auf Dauer, Angst nicht mehr von dem Saft loszukommen und ihm auf Dauer verfallen zu sein.


    So wägte sie das Für und Wieder ab und beschloß, bevor sie eine Entscheidung treffen würde, Ànthi genauer nach ihrem Zustand zu befragen: "Wie schlimm sind die Wunden? ... Wie lange werden die Schmerzen andauern? ... Und wieviel Saft kann ich trinken, ohne nicht mehr davon los zu kommen?"

    Es begann langsam in Nikes Schädel zu arbeiten. Das was Emi sagte machte irgendwie Sinn, innerlich dankte sie auch den Göttern, denn dass sie hier von ihrer Schwester gefunden wurde, die selbst erst wenige Tage hier war konnte kein Zufall sein.


    Mühsam setzte sie sich auf und ein wenig gequält lächelte sie in die Runde: "Ich danke den Göttern, dass ihr mich gefunden habt und Euch, dass Ihr mich dort nicht habt liegen lassen." Und mit einem Hauch von Sarkasmus fügte sie hinzu: "Verzeiht mir bitte, dass ich Euch jetzt nicht allen um den Hals falle. Irgendwie fühle ich mich nicht so fit im Moment."

    Die Schmerzen waren fast unerträglich. Aber Berenike hatte gelernt mit Schmerzen umzugehen. Sie biß die Zähne aufeinander und außer einem leichten Stöhnen war nichts zu hören.


    Neben dem Gesicht des Mannes erschien dann das Gesicht einer Frau. Auch wenn sich ihre kleine Schwester in den Jahren, in denen sie sie nicht gesehen hatte gewaltig verändert hatte, war es doch offensichtlich, dass es ihre kleine Schwester war, die dort vor ihr saß. "Emi?", fragte sie ungläubig. "Wie? ... Was? ... Wo? ", stammelte sie verwundert weiter. Langsam und mühevoll streckte sie ihren Arm aus und strich ihrer kleinen Schwester zaghaft über die Wange.


    Nike mußte schlucken, konnte nicht verstehen, wie es sein konnte dass sie auf eimal Emi gegenüber saß. Sie fühlte, wie ihre Augen langsam feucht wurden. "Emi."

    Irgendetwas stimmte nicht. Auf einmal wurden Nikes Lippen naß und dabei hatte sie doch gar nichts getrunken. Und dann plötzlich hatte sie das Gefühl, als ob ihr Rücken in Flammen stand. "Ah!", schrie sie laut vor Schmerzen auf.


    Dann öffnete sie die Augen und sah das Gesicht eines fremden Mannes, der sie besorgt ansah. Die umgebung hatte nchts mehr mit dem Sklavenmarkt zu tun. "Wo bin ich? ... Was ist geschehen", fragte sie noch immer benommen.

    Na, da war die kleine Emi wohl mal wieder in einer Trotzphase. Hauptsache, mal das Gegenteil behaupten. Innerlich mußte Berenike darüber schmunzeln, nach außen ließ sie sich aber nichts anmerken, sondern hatte eine Idee, wie sie ihre kleine Schwester von der Wahrheit überzeugen konnte.


    Noch immer in ihrem Traum gefangen sprach Nike weiter: "Hm, also gut Emi. ... Wie wäre es denn, ... wenn wir einfach Timos fragen? ... Der wird doch sicher wissen, ... ob er auf dem Land ... oder in der Stadt wohnt."

    Berenike mußte ein wenig schmunzeln. Da hatte ihre kleine Schwester mal wieder etwas durcheinander gebracht. Onkel Kyriákos und Tante Leándra lebten mit ihren Kindern zwar in Ägypten, aber nicht in Alexandria selbst. Aber Emi war ja noch klein und würde den Unterschied noch lernen.


    Mühsam begann Nike Emi etwas zu erklären:"Sicher weiß ich, wer die drei sind. ... Aber Du hast da etwas durcheinander gebracht. ... Weißt Du Emi, Aegyptus ist ein sehr großes Land. ... Dort gibt es viele Dörfer und auch Städte. ... Und Alexandria ist die größte Stadt dort. ... Aber Onkel Kyriákos und Tante Leándra wohnen nicht dort, ... sondern auf dem Lande weiter im Süden."

    Ein Schmetterling flog aufgeregt zwischen den Kindern hin und her. Berenike lächelte und wuschelte ihrer kleinen Schwester durchs Haar.


    Wieder war Nikes Stimme nur schwach und auch ein wenig zögerlich zu hören: "Mir gehts gut, ich fühle mich nur ein wenig müde. Wer sind denn Deine Freunde hier?"

    Der kühle Wind kitzelte auf Nikes Rücken, aber sie beachtete das nicht weiter. Langsam ging sie weiter auf die spielenden Kinder zu. Sie summte friedlich ein Lied vor sich hin. Das Gras stand recht hoch. Oder war sie selbst eher klein? Einige Schritte von den Kindern entfernt, blieb sie stehen. Seltsam, sie war wirklich kaum größer als die Kinder. Mit einem Lächeln beobachtete sie das Geschehen. Arsinoë war nicht bei den Kindern, aber dennoch kamen sie ihr merkwürdig bekannt vor. Dann dreht ein Mädchen den Kopf in ihre Richtung und kam auf sie zu. Sie blickte in ein fröhliches Gesicht mit interessanten Augen.


    "Na Emi, hast Du Spass?" Leise und eher gemurmelt klangen die Worte aus Nikes Mund und ihre Schwester konnte sie wohl nur hören, weil ihre Köpfe dicht beieinander waren.

    Berenike war angekommen. Irgendwie schien alles um sie herum vertraut und dann doch wieder völlig fremd. Die Müdigkeit war noch nicht von ihr gewichen, aber dennoch stand sie auf und ging nach draussen. Sie stand auf einer großen Wiese, weiter hinten spielten einige Kinder. Mit einem sanften Lächeln ging sie auf die Kinder zu. Vielleicht war ja Arsinoë bei ihnen. Es mußte sommer sein. Die Sonne stand hoch hinter ihr am Himmel und sandte ihre warmen Strahlen auf Nikes Rücken. Sicherlich würde sie sich einen kräftigen Sonnenbrand holen, aber das störte sie nicht weiter, hatte sie doch schon so manches mehr erduldet. Und nur wenige Augenblicke später kam auch ein sanfter, kühlender Wind auf, der die brennende Hitze auf ihrem Rücken vertrieb.


    Noch immer war Nike in ihrem Traum gefangen und nahm die sorgsamen Bemühungen von Anthi und Emi nicht wirklich wahr.

    Nike war müde, einfach nur unendlich müde. Sie war an Bord eines Schiffes, das Meer um sie herum wogte hin und her. Kein wirklicher Sturm, aber dennoch blies der Wind kräftig genug. Dann lief das Schiff in einen Hafen ein. Das Wogen war beendet und sie spürte, dass sie in diesem Hafen sicher und ihrer Tochter einen Schritt näher war.


    Nike war die ganze Zeit über bewußtlos geblieben. Sie wußte nichts davon, dass sie tatsächlich ihrer Schwester und ihrem Cousin begegnet war, sie wußte nicht, dass diese sie dem Sklavenhändler abgekauft hatten und sie wußte auch nicht, dass sie nun im Hause ihres Cousins auf einer Cline lag und man sich liebevoll um sie kümmerte.

    Von all dem bekam Berenike nichts mehr mit. Obwohl sie hart im Nehmen war und eine Menge einstecken konnte, war die Erschöpfung gepaart mit dem Blutverlust im Moment einfach zuviel für sie. Vielleicht hätte sie mit einer Anstrengung ihres Willens verhindern können in die Bewußtlosigkeit zu fallen, doch im Moment sehnte sie sich eher nach der Ruhe, die diese ihr versprach.

    Auch der leichte Schlag, als ihr Kopf kurz auf dem Lehmboden aufschlug konnte den Dämmerzustand in dem sich Nike befand nicht beenden. Der Traum, so belanglos er auch sein mochte war einfach zu schön, um wieder in die leidvolle Realität zurückzukehren.


    Mit glasigen Augen sah sie ihre kleine Schwester an. Mühevoll hob sie einen Arm und strich ihr sanft über die Wange. Leise sprach sie zu ihr: "Ja Emi, ich bin ja da. So schlimm wird es schon nicht sein. Erzähl mir einfach, was Dich bedrückt."

    Berenike glitt in einen unruhigen Schlaf, das Geschehen um sie herum veränderte sich und sie fand sich auf einmal in einem Traum aus glücklicheren Tagen wieder. Das Gesicht des nubischen Mädchen hatte sich verändert. Sie sah deutlich die Augen ihrer kleinen Schwester vor sich, die sie besorgt ansahen. Hatte die Kleine mal wieder etwas angestellt? Sie würde es schon herausfinden. Aber so, wie sie sie gerade ansah, konnte sie ihr zumindest im Moment nicht böse sein. Leise flüsterte sie ihr beruhigende Worte zu: "Ach Emi, Du mußt keine Angst haben. Ich bin ja da und passe auf Dich auf."