“Das klingt fabelhaft.” stimmte ich zu. “Aber überrolle sie bitte nicht gleich zu Beginn mit diesem Vorschlag. Vielleicht liegt ihr auch wenig daran, sich mit einer musikalisch Unwissenden auseinandersetzen zu müssen.” Wenn ich von mir im Schlechten sprach, dann tat ich dies meist mit einem ironisch-grinsenden Unterton und doch wissend, dass immer ein Teil Wahrheit in diesen Aussagen lag. “Ich denke, es würde mir schon viel Vergnügen bereiten, ihrem Können bei Gelegenheit zu lauschen.” 'Abseits des Staubes einer Straße, ohne den Schweiß der vielen Menschen, die sich um mich sammeln.' dachte ich.
Ich schwieg für einen Moment und gab mich den kulinarischen Kostbarkeiten hin, die jenseits meiner Kline bereitlagen und darauf warteten, verspeist zu werden. Die Verpflegung auf dem Schiff, welches mich in diesen Teil der Welt gebracht hatte, war spärlich und so war ich doppelt dankbar für das Angebot, das hier dirket vor mir lag.
Timos, derweil, berichtete und als er zu dem Teil kam, der mir in der Vergangenheit am meisten Sorgen bereitet hatte, verharrte ich für einen Augenblick.
Ob ich es wusste, fragte er. Es wusste. Natürlich wusste ich es. Noch wochenlang, nachdem ich erfahren hatte, dass Timos und seine Brüder entgegen meiner Erwartungen am Leben waren, verspürte ich dieses Glücksgefühl. Ich glaubte, sie wären alle tot und plötzlich kehrten sie in der Gestalt einiger weniger Zeilen aus dem Toten- in das Reich der Lebenden zurück. Ich sann ein wenig der Zeit nach und plötzlich erinnerte ich mich an die vielen Blumenkränze, die ich damals geflochten und in meinem Zimmer gesammelt hatte. Einen für Ánthimos, einen für Ilías und zwanzig für Thimótheos. Ich lächelte bei dem Gedanken. Ja, er war mir schon damals mehr als wichtig. Nachdem ich jedoch den ersten Brief aus Alexandria erhielt, hatte ich meine Werke verbrannt, aus Sorge, Hades herauszufordern, wenn ich sie entgegen der irdischen Existenz der verloren geglaubten Seelen weiterhin in meinem Zimmer behielt.
Es klang interessant, was er erzählte und ich freute mich schon jetzt auf die Zukunft. Als er jedoch zu seinem jüngsten Bruder Ilías kam, traf mich sein durchdringender Blick und ich wusste, dass weitere Fragen zu stellen im Lichte der Gegenwart ein Unding gewesen wäre.
So blieb mir nur, zu überlegen, was geschehen sein konnte und bei allem Grübeln, ich kam nicht darauf. Ich wusste, dass Ilías beim cursus publicus arbeitete, denn das hatte Timos in einem seiner Briefe in einer Nebenzeile erwähnt, aber so wie seine Worte klangen, schien dies nicht mehr dem aktuellen Stand der Dinge zu enstprechen.
Ich nahm noch einen Schluck Wein und bedankte mich, innerlich, dafür, dass er in verdünnter Form gereicht wurde, denn unverdünnter - wie ich zu einigen speziellen Anlässen festgestellt hatte - stieg mir doch zu schnell zu Kopf und außerdem bekam er mir nie gut.
"Ich habe auch sehr oft an unsere gemeinsame Zeit zurückgedacht." sagte ich mit einem Lächeln, das in seiner Glückseligkeit ebenso intensiv war wie das, welches Timos mir soeben schenkte. Es entging mir jedoch nicht, dass er verlegen an seinem Weinglas herumfingerte. 'Das ist ja wirklich süß.' dachte ich und wollte erst gar nichts weiter sagen, entschied mich jedoch dazu, das Schweigen zu brechen, denn nachdem mein Freund soviel von sich und seiner Familie geredet hatte, fühlte ich mich dazu verpflichtet, ihn ebenfalls wissen zu lassen, was sich in Memphis zugetragen hatte.
"Timos." sagte ich. "Ich glaube, ich habe dir das meiste geschrieben, aber alles sicher nicht." Ich überlegte kurz und ging in Gedanken die Ereignisse durch, von denen ich bereits berichtet hatte. "Einer der wichtigsten Geschäftspartner meines Vaters hatte es kurz nach eurem Verschwinden geschafft, sich mit dem Stadtpatron zu verstreiten, weshalb mein Vater die Verbindungen zu ihm löste und wir ein halbes Jahr lang ziemlich zu kämpfen hatten. Ich habe es dir nie erzählt, aber mein Vater hatte noch in den Wochen davor immer wieder angedeutet, welch eine Wohltat es wäre, wenn seine einzige Tochter mit dem einzigen Sohn seines Kameraden den Bund der Ehe beträte. Es war noch nichts abgesprochen und mein Vater erzählte immer nur davon, dass er seinem Partner den Vorschlag unterbreiten wollte und dann entzweiten sie sich. Das war ein Glück, für mich, denn gegen meinen Willen wäre es geschehen und so sehr ich meinen Vater auch abzuhalten versuchte, er hatte kein Erbarmen. Nun ja, es hat sich dann alles gegeben und obwohl wir finanziell eine zeitlang in der Luft hingen, fühlte ich mich glücklich und frei, denn in Gedanken war ich auch damals bei dir." Ich war sehr ernst geworden, als ich dies erzählte und obwohl das alles nun ein wenig zurücklag, war ich noch immer ernst, als ich fortfuhr. "Mein Vater starb bald darauf und meine Mutter wurde sehr unglücklich - Davon schrieb ich dir. - weshalb ich sie von dem Tage an umsorgen musste bis zu ihrem Tod, der ja erst kürzlich eingetreten ist. Ein Jahr vor ihrem Tod jedoch bekam sie ein neues Heiratsangebot und ich konnte den Mann verstehen, denn meine Mutter war trotz aller Zurückgezogenheit und Verbitterung noch eine ansehnliche Frau. Aber er war ein ungemütlicher Mann und ich bin nun sehr froh, dass meine Mutter sein Angebot ausschlug. Ich glaube, sie wollte sich nie wieder binden. Zudem besaßen wir durch das Geld, das mein Vater uns hinterlassen hatte, finanzielle Unabhängigkeit." Ich schaute ihn an. "Hätte sie ihn geheiratet, würde ich jetzt diesem Mann unterstehen und wäre sicher nicht hier. Im Nachhinein empfinde ich das alles sehr faszinierend. Ich meine den Umstand, der sein Pech zu meinem Glück gemacht hat."