Beiträge von Pasiphaë

    Verwundert blickte ich Ánthimos hinterher, der plötzlich den Raum verließ. Natürlich kannte ich ihn noch nicht wirklich, aber mit solch einer heftigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Das Thema Nikolaos schien ja äußerste Spannungen aufzurufen. Warum, fragte ich mich, denn bisher war mir mein Lehrer noch nie ungemütlich aufgefallen, doch auch ihn kannte ich bisher eben nur spartanisch und man wusste ja nie so genau, was sich wirklich hinter der Fassade eines Menschen verbarg.


    Der Sache mit der Hochzeit konnte ich allerdings auch nicht so recht zustimmen, denn obgleich Emilía und ich bisher eher weniger Kontakt hatten, so hatte ich doch das Gefühl, als sei sie eine eher lebendige, freie Frau, die solch ein Martyrium nicht würde auf sich nehmen wollen.
    Still schaute ich mich im Raum um, auf die Gesichter der Anwesenden und spürte die Spannung, die hier im tablinum lag.
    Ich sagte nichts und wollte den Wogen erst einmal Gelegenheit geben, sich zu glätten, bevor ich meine Meinung zu dem Thema öffentlich kundgab und außerdem nahm ich ohnehin nicht an, dass das Thema mit Ánthimos Abtritt Geschichte war.

    Mit einem leichten Schulterzucken erwiderte ich Emilías Blick und versuchte, ihr mit einem Blick meinerseits zu sagen, dass ich noch nichts zu dem Thema beitragen wollte, da ich ich mich zu neu fühlte und die Vergangenheit nicht mitbekommen hatte. Auch Nikolaos kannte ich bisher nur aus dem Unterricht, weshalb ich die Situation wohl kaum zufriedenstellend hätte beurteilen können.


    So lehnte ich mich zurück und verharrte in meiner Zuhörerposition.

    Trotz meiner Aufmerksamkeit gelang es mir, von Zeit zu Zeit in die Runde zu sehen und das aufmerksame Lauschen der Menschen um mich herum wahrzunehmen.
    Zugegebenermaßen war ich etwas überrascht. Bei soviel männlicher Beteiligung hätte ich ein etwa rüpelhafteres Verhalten erwartet, doch anscheinen waren die Söhne Alexandrias doch besser erzogen, als ich erwartet hatte - zumindest dann, wenn eine Respektsperson vor ihnen stand.


    Als Nikolaos kurz innehielt und auf Fragen wartete, schüttelten einige den Kopf, der größere Teil jedoch blieb einfach stumm und unbeweglich und wartete auf den nächsten Teil der Ausführungen.

    Ich saß schon, als der Lehrer, zusammen mit Emilía und Berenike, die Säulenhalle betrat und war gespannt auf das Thema, welches sich uns nun offenbaren sollte.
    "Hoffentlich was Interessantes." hörte ich einen der Jungen einem anderen zuflüstern. Sie saßen sehr nah bei mir, deshalb konnte ich auch hören, was der Junge vorhatte, zu tun, sollte es ihn langweilen.
    Beteiligen wollte ich mich an dem Gespräch allerdings nicht. Aus Alexandria auswandern. dachte ich, amüsiert und fragte mich, ob der Junge wirklich ernst meinte, was er da sagte.


    Innerlich grinsend wandte ich meine Aufmerksamkeit dem gymnasiarchos zu.

    Nur ein paar Sekunden dauerte er. Doch er reichte, um von mir bemerkt zu werden. Der Blick, den Emilía soeben getätigt hatte, er war eindeutig. Sie vermutete etwas und wenigstens vor mir selbst konnte ich zugeben, dass sie da Recht behalten sollte. Zumindest hoffte ich das ....
    Langsam wandte ich meinen Blick nach unten und grinste.


    Die Vorstellungsrunde war mir angenehm, denn sie ermöglichte mir, alle noch einmal genau zu betrachten und den vielen neuen Namen die vielen neuen Gesichter zuzuordnen. Kaum zu glauben, dass der Haushalt meines Freundes schon so gewachsen war und nun kam auch noch ich. Ich hoffte, dass ich mich gut integrieren und dass niemandem meine Anwesenheit unangenehm werden würde, denn üblich war es ja nicht, dachte ich, eine Fremde so großzügig in sein eigenes Heim einzuladen.


    Ich griff nach einer Olive und schaute mich um. Mein Blick fiel auf Ilías, der irgendwie überhaupt nicht fröhlich wirkte. Wenig später wusste ich dann auch, warum. Hm, das ist ja schade. dachte ich, denn gern hätte ich alle der drei Bantotaken richtig kennen gelernt. Aber Timos wusste sicher, was er tat und was das Beste war, sagte ich mir, ich vertraute darauf, dass es sich so verhielt.

    Interessiert lauschte ich den Worten Emilías. Sie hatte mich aus meinen Gedanken gerissen und meine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart gelenkt.
    Nun war ich gespannt, was Nikolaos ihr als Antwort geben würde. Immerhin müsste sich seine Miene jetzt ändern. dachte ich, denn es hatte schon so ausgesehen, als ob er auf weitere Fragen wartete und dieses Warten hatte sich nun immerhin gelohnt.

    Es war etwas ruhiger geworden, nach dem letzten Satz des gymnasiarchos und ich nutzte die Zeit, um die leichte Röte in meinem Gesicht zu vertreiben, die aufgekommen war, als Nikolaos Kerykes mich, elegant eingebettet in seine Antwort, auf meinen Fehltritt hinwies. Auch in den Reihen der Jungen schaute ich mich um. Beim Wort Verteidigung hätte ich mehr Reaktionen von ihnen erwartet. Aber vielleicht kam das alles noch. Vielleicht saßen wir in einer Gruppe schweigsamer Denker, die erst nach und nach aufblühen sollten.


    Während also niemand etwas sagte, schaute ich und ich überlegte, wer wohl Interesse hätte, unsere Ordnung zu stürzen. Es würden ja nicht nur ein paar kleine Chaostreiber sein. Um eine Stadt wie Alexandria für sich einzunehmen oder gar die Ordnung des gesamten Staatswesens zu vernichten, brauchte man schon ein paar mehr Leute. Ich überlegte noch eine Weile so weiter, sagte aber erst einmal nichts.

    Ich hatte meinen Blick vorbei an einer der Säulen auf die strahlende Sonne gerichtet und überlegte. Der Blick des gymnasiarchos war ja nicht falsch zu deuten. Er wollte, dass nun ein anderer das Thema aufgriff, welches er und Emilía bis zu dieser Stelle im Dialog geführt hatten.


    Ich ließ mir das Gesagte noch einmal durch den Kopf gehen und meldete mich schließlich zu Wort. Mal sehen, ob es mir gelang, ein gelungenes Beispiel zu finden. "Eine Pflicht zum Beispiel." begann ich. "Ist, in Fragen der polis stets auf dem aktuellsten Stand zu sein, sich eine Meinung über die Geschehnisse zu bilden und bei notwendigen Entscheidungen, sollte man die Befugnis haben, im Sinne des Wohles der polis zu entscheiden. Wahrnehmen kann man diese Pflicht, indem man regelmäßig an den Volksversammlungen teilnimmt." Ich hielt erst einmal inne und hoffte, nichts Falsches gesagt zu haben.

    Für mich war es sehr schön, dass auch Emilía und Berenike am Unterricht teilnahmen, denn so hatte ich gleich die Chance, die beiden anderen außerhalb des Hauses kennenzulernen.


    Ich hatte kaum Platz genommen, als der Unterricht vollends begann. Ich hielt mich zunächst zurück und wollte schauen wie die anderen reagierten. Nach einiger Zeit jedoch, das nahm ich mir vor, würde auch ich meinen Teil zur Konversation beitragen. Doch gleich losschießen, das wollte ich nicht.
    Gut für mich, also, dass da Emilía war, die anscheinend keine Scheu hatte, ihren Gedanken Gehör zu verleihen. Aufmerksam hörte ich erst ihr zu, dann meinem Lehrer und ließ die Worte auf mich wirken.

    "Hoffentlich nicht Pünktlichkeit." dachte ich, als ich etwas verspätet den Platz betrat, an dem sich die anderen Schüler schon versammelt hatten. Ich hatte die Worte des Gymnasiarchos noch aufgefasst und dachte mir nun meinen Teil."Wenn das als erste Tugend kommt, dann bin ich ja gleich das beste negative Beispiel."
    Ich konnte es kaum fassen. Erst verlief ich mich im Hause der Bantotaken und nun auch hier, in der Stadt. Wobei mir letzteres nicht allzu peinlich war, denn Alexandria war groß und dafür, dass dies mein erster Rundgang gewesen war, hatte ich mich ganz gut geschlagen, wie ich fand.


    Das nächste Mal jedoch, so nahm ich mir vor, würde ich es Emilía gleich tun und lieber etwas früher aufstehen. Wo waren die beiden eigentlich?
    Ich sah mich um und erblickte neben all den jungen Knaben und deren Wachhunden zwei weibliche Gesichter, die mir vom Abend zuvor schon vertraut waren.
    So leise wie möglich schlich ich mich zu ihnen und nahm neben ihnen Platz.


    Sim-Off:

    Edit: Meine kursiven Passagen sind gedachte Passagen, für den Fall, dass das nicht deutlich genug war.

    Anscheinend konnte der junge Mann meine Gedanken lesen. Denn noch bevor ich meine Vermutungen laut aussprach, bestätigte er meinen Verdacht.


    Eigentlich wollte ich abwarten und Timos oder Penelope das erste Wort überlassen, doch da Ánthimos, wie ich nun ganz sicher wusste, mich direkt ansprach, wollte ich ihn nicht warten lassen.
    "Chaire Ánthimos. Es freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Pasiphaë, eine Freundin deines Bruders." - Hier zeigte ich auf Timos. - "aus Jugendzeiten." Grinsend fügte ich hinzu: "Ich hab schon gehört, dass eure Cousinen vor Kurzem ebenfalls das Haus gestürmt haben, aber ich muss dich enttäuschen. Ich gehöre nicht dazu."


    Ich schwieg und schaute wie er reagieren würde. Vermutlich etwas überrascht, denn er schien fest damit gerechnet zu haben, dass ich ebenfalls zur Familie gehörte.

    "Hm ...." dachte ich. "Vielleicht hätte ich doch nicht darauf bestehen sollen, das tablinium allein zu finden."


    Am Nachmittag dieses sonnigen Tages kam Timos zu mir und hatte gesagt, dass er für den Abend ein gemeinsames Abendessen plane. Höflich, wie er war, hatte er mir angeboten, mir am Abend den Weg zu zeigen, doch ich hatte widersprochen und ihm versichert, dass ich den Weg schon allein würde finden können. Es war ja nur ein Haus.


    Ein großes Haus wie ich nun feststellte.
    "Mal überlegen." dachte ich. "Das alles hat auch eine gute Seite." Je mehr ich lief, desto mehr sah ich auch vom Haus und das würde mir helfen, mich schnell einzugewöhnen. Ich entschied mich also, guter Dinge zu sein und einfach weiterzulaufen, bis dass ich das richtige Zimmer gefunden hatte.


    Plötzlich hörte ich Stimmen. Vertraute Stimmen. Ich ging noch ein paar Schritte vorwärts und blickte in einen Raum. Da waren sie. Freundlich lächelnd trat ich ein.
    "Chaire." sagte ich. Ich blickte mich um und sah, dass mir die Hälfte der Personen noch unbekannt waren, deshalb fügte ich hinzu: "Ich bin Pasiphaë."
    Erleichtert, am Ziel angekommen zu sein, ging ich in Richtung einer freien Kline.

    Ich schaute gerade zu Timos, als ich sah wie er aufsprang und mich kurz mit Penelope allein ließ. Mir war etwas mulmig zu Mute, denn ich legte stets einen hohen Wert auf einen guten ersten Eindruck und war mir nie sicher, ob ich diesen auch erreichen konnte.
    'Du machst dir zuviel Sorgen, mein Kind.' hatte meiner Mutter immer gesagt. 'Du siehst doch wie reizend die Freunde deines Vaters dich finden.'
    "Ja." dachte ich dann immer. "Ja, Mutter. Aber was sollten die Freunde meines Vaters auch anderes sagen?" Er hätte sie rausgeschmissen, hätten sie etwas anderes über sein einziges Kind gesagt. Ich grinste leicht bei dem Gedanken. Auch wenn mein Vater recht spartanisch war, über seine Tochter kam ihm nichts.


    Es waren nur einige Sekunden vergangen, ehe ich mich wieder aus meiner Gedankenwelt hinausriss. In der Ferne hörte ich noch Timos Schritte und direkt vor mir saß ja nun Penelope. Sehr aufrecht und elegant, wie ich bemerkte. Unauffällig setzte ich mich ebenfalls ein wenig gerader. Es war nicht so, dass ich bisher auf der Kline gelegen hätte, aber ich saß doch ein wenig ungerader, als üblich und das wirkte, so dachte ich mir, vielleicht nicht gut für einen neuen Gast.


    Jetzt richtete sie ihr Wort an mich und ich gab ihr recht. Was die Gasthäuser betraf, teilte ich ihre Meinung. Natürlich wusste ich nicht wie die Standards in dieser Stadt gesetzt waren, aber allein die Geräusche, die ich in meiner Heimatstadt aus jenen Gebäuden vernahm, reichten mir, um eine mittelhohe Abneigung gegenüber diesen zu erlangen.
    So war ich auch froh über die Gastfreundschaft der Bewohner dieses Hauses und über die Bereitschaft, mich, die ich allen, außer Timos, fremd war, aufzunehmen.


    Nach einigen Minuten kehrte mein Freund zurück. Er hatte etwas Essbares in der Hand und den Saft, den er Penelope versprochen hatte.


    Nun, dachte ich, kehrte wieder etwas Ruhe ein, doch schon kurz darauf, betrat ein weiteres, mir fremdes Gesicht, den Raum. Es war ein junger Mann und bei seinem Anblick drängte sich mir der Verdacht auf, dass es einer der beiden anderen Brüder sein musste. "Ilías oder Ánthimos." dachte ich "Sicher Ánthimos." Ich erinnerte mich daran, dass Timos an diesem Nachmittag erwähnt hatte, dass sein Bruder sehr athletisch war. Ich schaute noch einmal und war mir nun recht sicher, dass es sich um Ánthimos handeln musste. Geduldig wartete ich ab.

    Innerlich lachte ich, ließ mir jedoch nichts anmerken. Ich wusste, dass er um einen Erben bangen würde, doch wunderte mich das keineswegs, denn ich hatte im Laufe meines kurzen Lebens nichts anderes kennengelernt. "So sind die Männer." dachte ich und fügte in Gedanken hinzu, dass ich mich ebenso über ein Mädchen freuen würde.
    Weitere Gedanken machte ich mir darum aber nicht, denn ich war mir sicher, dass noch einige Zeit verstreichen würde, bis es für mich einmal soweit wäre.


    Während Timos wieder das Wort ergriff und ich zufällig nach links schaute, sah ich wie ein mir fremde Frau das Triclinium betrat. Ich zweifelte nicht lange, dass es sich bei ihr um Penelope handeln musste, denn ihr gewölbter Bauch sprach für die Neuigkeit, die Thimótheos mir soeben übermittelt hatte. Sie begrüßte mich sehr freundlich, legte dabei dennoch eine Hand auf ihren Bauch. "Zum Schutz." kam es mir in den Sinn. "Vor mir?" Ich zählte nun wirklich nicht zu den gefährlichen Exemplaren, aber ich war fremd und das war mir auch bewusst. Kurz erinnerte ich mich an einige schäbige Gassen in Memphis und daran, dass Timos mir gesagt hatte, dass er und seine Brüder in einer ähnlichen Gegend gelebt hatten, als sie Alexandria erreichten. "Vermutlich auch Penelope." dachte ich und verstand somit vollends, warum sie jedem Unbekannten gegenüber vorsichtig sein wollte.


    "Chaire, ich bin Pasiphaë." stellte ich mich freundlich lächelnd vor. Ich wollte, dass sie ihre Unruhe mir gegenüber verliert. "Eine alte Jugendfreundin von Timos aus Memphis." Ich schwieg einige Sekunden und dann fügte ich hinzu: "Es macht nichts, dass du mich nicht augenblicklich empfangen hast. Wie ich sehe ...." Ich blickte auf ihren Bauch. " brauchst du zur Zeit viel Ruhe. Timos sagte mir, dass die Geburt des Kindes bald bevorsteht." Ich richtete mich noch etwas auf, um nicht weiter so lax auf der Kline zu ruhen. Von dem Geschlecht des Kindes redete ich nicht weiter, denn Penelope schien, so dachte ich, nicht allzusehr darüber reden zu wollen, solange das Baby noch in ihr weilte. Wir würden ja bald sehen, ob die Ägypter recht behielten und dann, das nahm ich mir vor, würde ich sie fragen wie ihre Hebamme diese Einsicht erlangt hatte.


    Als ich Penelope wieder zu Wort kommen ließ, stellte ich überrascht fest, dass der gesamte Haushalt besser über meine Ankunft unterrichtet war, als ich meinem alten Freund zugetraut hätte. Augenblicklich dachte ich noch einmal an die Vergangenheit - ja, sie kam wieder hoch, jetzt wo ich der intensivsten meiner Erinnerungen direkt gegenübersaß. Ich würde rückwirkend schwören, dass Timos Familie, hätte ich sie jemals besucht, nicht einmal von meiner Ankunft erfahren hätte, wenn ich mich drei Monate vorher über ihn hätte anmelden lassen.
    "Ja." sagte ich, immer noch etwas verdutzt. "Das stimmt, ich habe vor, zu bleiben." - und fügte extra für Timos hinzu "noch eine lange Zeit."
    Dann wurde mir bewusst, was Penelope noch gesagt hatte. "Du hast mir ein Zimmer herrichten lassen?" fragte ich überrascht. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, denn ursprünglich kam ich mit dem Willen, meinen alten Freund zu besuchen und mir dann eine Wohnung in irgendeiner insula zu mieten. Nun verschlug es mir glatt die Sprache. Ich hatte schon so lange auf eigenen Beinen gestanden und mich um meine kranke Mutter sorgen müssen, dass ich es gar nicht mehr gewöhnt war, dass jemand mir spontan einfach etwas Gutes tat. Inständig hoffte ich, dass mein erstarrtes Schweigen nicht als Unfreundlichkeit gewertet wurde.


    Irgendwie schaffte ich es dann aber doch, mich wieder in die Welt der Konversation zurückzuhebeln. "Vielen Dank Penelope. Das ist wirklich sehr freundlich von dir." Ich sagte das mit einer ehrlichen Freude in der Stimme und sah sie dabei an, kaum hatte ich jedoch geendet, schaute ich fragend zu Thimótheos. Was hatte er ihnen denn schon alles erzählt?

    "Ach, deine Schwägerin ist schwanger?" lachte ich. "Das hast du mir noch gar nicht erzählt." Die Neuigkeit überraschte mich und obwohl ich beide noch nicht kannte, freute ich mich für sie und war zugleich gespannt, denn ich mochte Kinder und nun fragte ich mich, ob das Anwesen der Bantotaken bald einen kleinen Jungen oder ein Mädchen beherbergen mochte.
    "Wie spannend wäre es." dachte ich - oder sollte ich es laut aussprechen? Vielleicht interessierten Timos meine Gedanken. Ich schaute ihn an und sein Blick sagte mir, dass er sich durchaus über ein paar Worte meinerseits freuen würde. Na gut. "Wie spannend wäre es." sagte ich in hörbarem Ton. "Meinst du, wenn man das Geschlecht des Kindes vorher wüsste?" Natürlich dachte ich in diesem Moment strikt weiblich. Denn wie schön wäre es, schon vor der Geburt Pläne zu schmieden, was aus dem Kind einmal würde, zu entscheiden wie man es am Besten erziehen sollte - das ginge viel besser, wüsste man vorher Bescheid. "Freilich." dachte ich. "Wäre es für Männer wohl am Wichtigsten, zu erfahren, ob sie einen Erben bekämen." Doch diesen Gedanken behielt ich für mich. "Aber das wird wohl niemals jemand schaffen." fuhr ich fort. "Es gibt eben Geheimnisse, die wir erst zu lösen vermögen, wenn deren Antwort sich uns direkt offenbart."


    Ich aß noch eine Dattel und während ich kaute und anschließend meinen wiederkehrenden Durst mit einigen Schlucken Wein löschte, erzählte mir Timos von seinen Cousinen. "Ich wusste nicht, dass du Cousinen hast." sagte ich und fuhr in lachendem, aber nicht ganz ernst gemeintem Ton fort: "Hast du es denn gewusst?" Er hatte mir nie etwas von ihnen erzählt und das empfand ich als untypisch, denn von seinen Brüder hatte er damals doch einige Male gesprochen.


    Wir schwiegen eine Weile und schauten uns nur an, doch schon nach kurzer Zeit entschied ich, etwas aus meiner jüngsten Vergangenheit zu erzählen. Etwas, von dem ich wusste, dass es nicht zu den erheiternden Dingen in meinem Leben gehörte. Gern hätte ich gesehen wie Timos auf jedes meiner Worte reagierte, doch ich sann während meiner eigenen Erzählung so stark in diesen vergangen Zeiten und war so ernst und gedanklich weit weg, dass ich nur zwei Mal kurz mitbekam wie ihm mulmig zu werden schien.
    "Tyche ist uns hold ...." begann er plötzlich und holte mich wieder in die Gegenwart und die weitaus gemütlichere Umgebung zurück. Ich pflichtete ihm bei und als er plötzlich diese seltsame Geste mit seinen Zeigefingern vollführte, musste ich tatsächlich herzhaft lachen. Er sah so seltsam ulkig aus, als er das tat, aber "Dein Gesicht Timos." dachte ich. "Könnte aussehen wie es wöllte, ich würde dich trotzdem lieben wie eh und je."


    Als wir nun beide wieder besserer Laune waren und den kurzen Schock hinter uns gelassen hatten, fragte er mich wie ich mir meinen Zukunft vorstellte und urplötzlich wurde mir klar, dass ich wirklich das in die Tat umsetzen würde, was ich mir bereits auf dem Schiff gedanklich zurechtgelegt hatte. "Ich werde mich in Alexandria niederlassen." sagte ich sicher. "Nach Memphis möchte ich nicht mehr zurück, dort habe ich lange genug gelebt und das einzige, was mir bliebe, wären die seltsamen geschäftlichen Beziehungen und Bekanntschaften, die mein Vater zu unterhalten pflegte." Ich überlegte kurz und fügte dann hinzu: "Ich werde meine ephebia ablegen, um ein vollwertiger Teil der Stadt zu werden."

    “Das klingt fabelhaft.” stimmte ich zu. “Aber überrolle sie bitte nicht gleich zu Beginn mit diesem Vorschlag. Vielleicht liegt ihr auch wenig daran, sich mit einer musikalisch Unwissenden auseinandersetzen zu müssen.” Wenn ich von mir im Schlechten sprach, dann tat ich dies meist mit einem ironisch-grinsenden Unterton und doch wissend, dass immer ein Teil Wahrheit in diesen Aussagen lag. “Ich denke, es würde mir schon viel Vergnügen bereiten, ihrem Können bei Gelegenheit zu lauschen.” 'Abseits des Staubes einer Straße, ohne den Schweiß der vielen Menschen, die sich um mich sammeln.' dachte ich.


    Ich schwieg für einen Moment und gab mich den kulinarischen Kostbarkeiten hin, die jenseits meiner Kline bereitlagen und darauf warteten, verspeist zu werden. Die Verpflegung auf dem Schiff, welches mich in diesen Teil der Welt gebracht hatte, war spärlich und so war ich doppelt dankbar für das Angebot, das hier dirket vor mir lag.


    Timos, derweil, berichtete und als er zu dem Teil kam, der mir in der Vergangenheit am meisten Sorgen bereitet hatte, verharrte ich für einen Augenblick.
    Ob ich es wusste, fragte er. Es wusste. Natürlich wusste ich es. Noch wochenlang, nachdem ich erfahren hatte, dass Timos und seine Brüder entgegen meiner Erwartungen am Leben waren, verspürte ich dieses Glücksgefühl. Ich glaubte, sie wären alle tot und plötzlich kehrten sie in der Gestalt einiger weniger Zeilen aus dem Toten- in das Reich der Lebenden zurück. Ich sann ein wenig der Zeit nach und plötzlich erinnerte ich mich an die vielen Blumenkränze, die ich damals geflochten und in meinem Zimmer gesammelt hatte. Einen für Ánthimos, einen für Ilías und zwanzig für Thimótheos. Ich lächelte bei dem Gedanken. Ja, er war mir schon damals mehr als wichtig. Nachdem ich jedoch den ersten Brief aus Alexandria erhielt, hatte ich meine Werke verbrannt, aus Sorge, Hades herauszufordern, wenn ich sie entgegen der irdischen Existenz der verloren geglaubten Seelen weiterhin in meinem Zimmer behielt.


    Es klang interessant, was er erzählte und ich freute mich schon jetzt auf die Zukunft. Als er jedoch zu seinem jüngsten Bruder Ilías kam, traf mich sein durchdringender Blick und ich wusste, dass weitere Fragen zu stellen im Lichte der Gegenwart ein Unding gewesen wäre.
    So blieb mir nur, zu überlegen, was geschehen sein konnte und bei allem Grübeln, ich kam nicht darauf. Ich wusste, dass Ilías beim cursus publicus arbeitete, denn das hatte Timos in einem seiner Briefe in einer Nebenzeile erwähnt, aber so wie seine Worte klangen, schien dies nicht mehr dem aktuellen Stand der Dinge zu enstprechen.


    Ich nahm noch einen Schluck Wein und bedankte mich, innerlich, dafür, dass er in verdünnter Form gereicht wurde, denn unverdünnter - wie ich zu einigen speziellen Anlässen festgestellt hatte - stieg mir doch zu schnell zu Kopf und außerdem bekam er mir nie gut.


    "Ich habe auch sehr oft an unsere gemeinsame Zeit zurückgedacht." sagte ich mit einem Lächeln, das in seiner Glückseligkeit ebenso intensiv war wie das, welches Timos mir soeben schenkte. Es entging mir jedoch nicht, dass er verlegen an seinem Weinglas herumfingerte. 'Das ist ja wirklich süß.' dachte ich und wollte erst gar nichts weiter sagen, entschied mich jedoch dazu, das Schweigen zu brechen, denn nachdem mein Freund soviel von sich und seiner Familie geredet hatte, fühlte ich mich dazu verpflichtet, ihn ebenfalls wissen zu lassen, was sich in Memphis zugetragen hatte.
    "Timos." sagte ich. "Ich glaube, ich habe dir das meiste geschrieben, aber alles sicher nicht." Ich überlegte kurz und ging in Gedanken die Ereignisse durch, von denen ich bereits berichtet hatte. "Einer der wichtigsten Geschäftspartner meines Vaters hatte es kurz nach eurem Verschwinden geschafft, sich mit dem Stadtpatron zu verstreiten, weshalb mein Vater die Verbindungen zu ihm löste und wir ein halbes Jahr lang ziemlich zu kämpfen hatten. Ich habe es dir nie erzählt, aber mein Vater hatte noch in den Wochen davor immer wieder angedeutet, welch eine Wohltat es wäre, wenn seine einzige Tochter mit dem einzigen Sohn seines Kameraden den Bund der Ehe beträte. Es war noch nichts abgesprochen und mein Vater erzählte immer nur davon, dass er seinem Partner den Vorschlag unterbreiten wollte und dann entzweiten sie sich. Das war ein Glück, für mich, denn gegen meinen Willen wäre es geschehen und so sehr ich meinen Vater auch abzuhalten versuchte, er hatte kein Erbarmen. Nun ja, es hat sich dann alles gegeben und obwohl wir finanziell eine zeitlang in der Luft hingen, fühlte ich mich glücklich und frei, denn in Gedanken war ich auch damals bei dir." Ich war sehr ernst geworden, als ich dies erzählte und obwohl das alles nun ein wenig zurücklag, war ich noch immer ernst, als ich fortfuhr. "Mein Vater starb bald darauf und meine Mutter wurde sehr unglücklich - Davon schrieb ich dir. - weshalb ich sie von dem Tage an umsorgen musste bis zu ihrem Tod, der ja erst kürzlich eingetreten ist. Ein Jahr vor ihrem Tod jedoch bekam sie ein neues Heiratsangebot und ich konnte den Mann verstehen, denn meine Mutter war trotz aller Zurückgezogenheit und Verbitterung noch eine ansehnliche Frau. Aber er war ein ungemütlicher Mann und ich bin nun sehr froh, dass meine Mutter sein Angebot ausschlug. Ich glaube, sie wollte sich nie wieder binden. Zudem besaßen wir durch das Geld, das mein Vater uns hinterlassen hatte, finanzielle Unabhängigkeit." Ich schaute ihn an. "Hätte sie ihn geheiratet, würde ich jetzt diesem Mann unterstehen und wäre sicher nicht hier. Im Nachhinein empfinde ich das alles sehr faszinierend. Ich meine den Umstand, der sein Pech zu meinem Glück gemacht hat."

    Zufrieden quittierte ich die Worte meines Freundes. “Na, solch schmeichelhafte Worte bin ich von dir gar nicht gewöhnt.” Ich lächelte und ließ ihn wissen, dass seine mit Komplimenten verwobene Art mich durchaus erfreute und positiv überraschte. Natürlich war Timos schon in der Vergangenheit ein netter junger Mann, aber eben etwas wild, so wie es bei den meisten jungen Männern der Fall war.


    Ich nahm noch einen Schluck Wein und lauschte weiterhin seinen Worten. “Penelope spielt die Kithara?” fragte ich. “Dann könnt ihr euch glücklich schätzen. Eine Musikerin im Haus ist sicher sehr angenehm.” Ich überlegte eine Weile und fuhr fort. “Du weißt vielleicht noch, dass ich ganz ohne Musik aufgewachsen bin und nur manchmal das Vergnügen hatte, wenn ein keltischer Barde oder sonstwer unserem Marktplatz die Ehre erwies.” Manchmal hasste ich meinen Vater ob seiner spartanischen Ansichten. Musik und Kunst hatten in seinem Leben keinen hohen Stellenwert genossen und diese Ansichten spiegelten sich nicht nur in seinen verächtlichen Worten wieder, sondern ebenso in der Inneneinrichtung unserer Wohnung und meiner eigenen Erziehung. Manchmal hatte ich versucht, mich dagegen aufzulehnen und einen Streit provoziert. Doch da Vater nun sowieso längst tot war, hielt ich mich an den Grundsatz “Über die Toten nichts, wenn nichts Gutes” und hegte nicht länger meinen sowieso nur mittelstarken Groll gegen ihn.


    Während ich noch meinen Gedanken nachhing und mein Gesicht ein wenig in die einfallende Sonne hielt, hatte Timos schon weitergesprochen, doch glücklicherweise besaß ich die Gabe, gleichzeitig zu denken und zuzuhören und so hatte ich natürlich all seine äußerst zuvorkommenden Vorschläge vernommen.
    “Etwas Entspannung ist immer gut.” antwortete ich, erneut überrascht. - Seit wann ist er so dermaßen höflich? - “Doch momentan bin ich glücklich hier, in deiner Nähe und würde dieses Privileg nur ungern gleich aufgeben.” Ich lächelte. “Erzähl mir lieber noch ein bisschen von deinen Erlebnissen hier. Du hast zwar einige Male geschrieben, aber die Briefe waren doch recht kurz und ich glaube, ich habe immer nur die Rahmenhandlungen mitbekommen. Ich weiß zum Beispiel gar nicht, wie du hierher und zu deinem ersten Amt gekommen bist.” Ich hielt einen Moment inne und sah mich im Raum um. “Außerdem muss schon einiges passiert sein.” grinste ich und fügte hinzu: “Solch ein Haus fällt einer Familie in den meisten Fällen ja doch nicht einfach vor die Füße.”

    Als wir das triclinium erreichten, glaubte ich, schon mehr über Alexandria zu wissen, als ich es über meine Heimatstadt jemals getan hatte. Es war nicht so, dass ich das Haus nicht gern verließ, aber im Laufe der Jahre hatte ich gewisse Routen entwickelt, die ich auf meinen alltäglichen Besorgungen nur ungern verließ, denn hätte ich es getan, hätte mir im Anschluss die Zeit gefehlt, um all die häuslichen Pflichten zu verrichten, die Tag für Tag meiner Aufmerksamkeit bedurften.


    Im Lichte dieser Erinnerungen tat es gut, mich in einem fremden Haus zu befinden, das funktionierte, ohne dass ich einen Finger rührte, obgleich dieser Genuss nicht ganz ohne schlechtes Gewissen blieb, denn Nichtstun lag mir nicht und andere für mich arbeiten zu lassen schon gar nicht. Dennoch ließ ich mir den Moment nicht durch diesen Teil meiner Persönlichkeit verderben, sondern vertrieb mir die Zeit damit, die hübsche Ausstattung des Raumes zu bewundern, während Timos einem Mann, den ich noch nicht kannte, einige Anweisungen gab.


    „Auf meine Ankunft. Ich danke dir.“ sagte ich wenig später. „Und auf unser Wiedersehen.“ Ich lächelte freundlich und nahm einen Schluck des soeben servierten Weines. Er schmeckte fantastisch und benetzte meine trockene Kehle in der wohltuendsten aller Weisen. Insgeheim wusste ich jedoch, dass der Wein nicht nur der Art des Weines wegen so wunderbar schmeckte, sondern dass es vor allem an dem Mann lag, mit dem ich den Geschmack zu teilen die Ehre hatte.
    Selbiges galt für die Datteln, die ich mir einige Augenblicke später genussvoll in den Mund schob. „Ich glaube, ich muss mich bei Penelope bedanken.“ sagte ich zufrieden. „Sie muss sehr gastfreundlich sein, wenn du mir aus." Ich grinste schelmisch. „Furcht“ vor ihr solch prächtige Früchte kommen lässt.“ Verschmitzt sah ich in seine Augen, um zu schauen, wie er reagierte und griff einige Sekunden später, als das Thema wieder wechselte, nach einer Traube.
    Während ich kaute, begann Thimótheos von der Hochzeit seines Bruders zu erzählen.
    „Davon hast du mir erzählt.“ erwiderte ich mit einem Leuchten in den Augen. Ich mochte den Gedanken an Hochzeiten, hatte aber selbst noch nie eine erlebt. „Den Brief las ich mit großem Interesse und freute mich sogleich für Ánthimos und Penelope, auch wenn ich die beiden bisher nur aus deinen Erzählungen kenne.“

    "Er starb an einem Dolch in seinem Körper." antwortete ich ungerührt. Es amüsierte mich wie besorgt Thimótheos nun doch war. "Na wenigstens wedelst du nun ob meiner Befürchtungen nicht mehr abwertend mit deiner Hand." Ich musste grinsen und fragte mich, ob Timos nun vollends vom Schock gepackt würde. Soweit ich wusste, hatte er mich in solchen Dingen eher sensibel in Erinnerung und es stand außer Frage, dass ich das nach wie vor auch war. Doch nach solch einer Reise erlaubte auch ich mir eine Ausnahme. Zudem war ich in just diesem Moment so glücklich, dass nicht einmal der Tod mir Angst einzuflößen vermochte.


    Ich schwieg vorerst und bahnte mir meinen Weg über den Markt. Später würde ich zurückkommen und mir alles in Ruhe ansehen. Die fremden Menschen, die Waren, die frechen Verhandlungstaktiken der Verkäufer. Ich schaute nach rechts und sah wie ein kleiner Junge einen Apfel stehlen wollte. Er hatte Pech. Die ganze Pyramide krachte zusammen und nun steckte der kleine zerlumpte Schuft eine paar saftige Ohrfeigen ein. "Jaja." dachte ich. "Auch Diebe gibt es hier, wie überall."


    "Ja, bitte. Zeig mir deine Stadt." sagte ich, als Timos mir anbot, einige Dinge zu erklären. Ich hörte aufmerksam zu und versuchte, mir ein erstes Bild von Alexandria zu machen. Auch die Plätze wollte ich mir merken, denn es gehörte zu meinen Stärken, mich zu verlaufen und wenn dies - womit ich rechnete - später einmal passieren würde, so wusste ich, dass es mir helfen würde, wenigstens ein paar grobe Ortskenntnisse zu besitzen.
    Timos erzählte alles sehr ausführlich und ich spürte, dass Stolz in seiner Stimme schwang. Ob er die Stadt wirklich so liebte? Ich konnte mir nicht vorstellen, an einem anderen Platz glücklich zu sein, als an dem, den ich so lang gewöhnt war. Doch vielleicht würde die Zeit mich eines anderen belehrern und vorerst sah die Stadt zumindest sehr interessant aus.