Beiträge von Pasiphaë

    Ich atmete tief durch und versuchte langsam, wieder ich selbst zu sein. Die Reise war vorbei und da Timos nun tatsächlich neben mir stand, konnte ich meine Sorgen getrost verfliegen lassen.


    "Natürlich darfst du mir dein Heim zeigen." erwiderte ich fröhlich. "Ich brenne sogar darauf, es zu sehen."
    Ich hatte meine alte Wohnung in Memphis noch gut in Erinnerung. Sie war klein, aber gemütlich und genau ausreichend für unsere dreiköpfige Familie. Aber Timos Haushalt bestand sicher aus mehr, als drei Personen und deshalb war ich insbesondere gespannt darauf, zu erfahren wie sich die Familie Bantotakis eingerichtet hatte.
    Zufrieden hielt ich meinen Kopf in die Sonne und betrachtete noch einmal das Schiff, das mich sicher übers weite Meer hierher geleitet hatte.


    Als wir uns wenig später auf den Weg machten, übergab ich Timos meinen Beutel und folgte ihm vertrauensseelig durch die mir unbekannte Masse. Es war mir eigentlich vollkommen egal, wohin er mich führte und wieviel Zeit der Weg in Anspruch nehmen würde. Als ich vom Schiff stieg, dachte ich, ich wäre erschöpft, doch jetzt war ich hellwach und so glücklich, dass die Tatsache, überhaupt wieder in der Nähe meines Freundes zu sein, mir das Gefühl verlieh, als könne ich ewig weiterlaufen.
    "Meine Reise war sehr erträglich. Die meiste Zeit über habe ich aufs Meer geschaut und nach dem Leuchtturm Ausschau gehalten." antwortete ich mit einem Lächeln. "Zwischenfälle gab es auch nicht." fügte ich grinsend hinzu. "Aber einen Vor-Fall oder wie du es nennen magst. Als ich in Memphis auf mein Schiff steigen wollte, trugen sie die Leiche des Kapitäns aus einer der Kabinen und mussten erst einmal einen neuen suchen. Deshalb waren wir auch etwas zu spät." Ich sagte dies so trocken, dass es mich selbst ein wenig schockierte. Ich dachte immer, ich wäre in solchen Fällen zu sensibel, aber da ich nun einmal einen Toten gesehen und es überstanden hatte, konnte ich auch nüchtern davon berichten.

    "Ooooh, da ist er ja." fuhr es mir durch den Kopf, als ich das vertraute, wenn auch etwas erwachsenere, Gesicht entdeckte. Unwillkürlich griff ich mit meiner freien Hand in mein Haar, um zu sichern, dass auch alles an der richtigen Stelle saß. Schließlich wollte ich nach der langen Zeit einen guten Eindruck hinterlassen.
    Ich begann, mir einen Weg durch die Menschen zu bahnen, die sich in großer Anzahl vor dem Schiff versammelt hatten und als ich Timos endlich erreichte, erwiderte ich seinen Willkommensgruß ebenso fröhlich wie er mir seinen entgegen brachte.
    "Timos." sagte ich in halb erregtem, halb erschöpftem Ton. "Wie schön, dich zu sehen. Ich kann noch gar nicht glauben, tatsächlich hier zu sein." Ich stoppte kurz, um Luft zu holen, redete jedoch fast unmittelbar weiter. "Welch ein Tag. Ich befürchtete schon, du hättest meine Nachricht nicht bekommen, weil ich keine Antwort erhielt, aber es ist ja alles gut gegangen." Ich lächelte selig. "Als ich das Schiff in Memphis betrat, war mir sehr mulmig und ich wäre fast wieder ausgestiegen, aber jetzt, da ich tatsächlich hier stehe, freue ich mich, es doch nicht getan zu haben."

    Ich schaute auf, als sich ein Schatten über die Stelle legte, auf die ich meinen Blick fixiert hatte und beim Aufblicken sah ich, was ich bisher nur aus Erzählungen kannte.
    "Das muss Pharos sein." dachte ich. "Der Leuchtturm, von dem alle erzählen, die einmal in Alexandria waren."
    Majestätisch erhob er sich über meinem Haupt und strahlte in der brennenden Sonne. Ich glaubte nicht, dass Bauwerke ein Selbstbewusstsein hatten, doch wäre es möglich, das gestand ich mir ein, würde dieser Leuchtturm eines haben.


    Nachdem ich mich sattgesehen hatte, lief ich in Richtung Bug, denn das Schiff war jetzt schon so nahe am Hafen, dass ich die ersten Menschen sehen konnte. Ich überflog das Panorama in der Hoffnung, Thimótheos zu erblicken. Als ich ihn aber nicht entdecken konnte, vergnügte ich mich damit, das Treiben der anderen zu beobachten. Direkt vor meinen Augen erschloss sich mir eine lebhafte Geschäftigkeit, die mir zwar aus Memphis vertraut, hier aber neu und andersartig war, weshalb ich jeden Menschen und jede Handlung aufs genaueste inspizierte.
    Ich dachte über die Reise nach und über meine Robustheit, die mich dankenswerterweise davor verschont hatte, seekrank zu werden. Das war eine Überraschung, denn meine Mutter und mein Vater neigten beide zu Übelkeit auf hoher See, weshalb ich damit rechnete, ebenfalls darunter leiden zu müssen. Umso erfreuter war ich nun, da ich überzeugt war, diese Plage nicht geerbt zu haben.


    Ein paar Minuten verstrichen noch, dann erreichte das Schiff den Hafen und legte an. Ich lief zu meinem Bündel, das ich auf dem Boden hatte liegen lassen, hob es auf und reihte mich in die Schlange von Menschen, die das Schiff verlassen wollten - und endlich, endlich betrat mein Fuß wieder festen Boden. Erleichtert trat ich ein paar Schritte zur Seite und verharrte an einer weniger belebten Stelle, um mich noch einmal nach Timos umzusehen.

    Es war ungewöhnlich warm, als ich im März des Jahres 106 n.Chr. endlich alexandrinische Gewässer erreichte. Unruhig lief ich über Deck und entrollte noch einmal die Abschrift des Briefes, den ich meinem Jugendfreund Thimótheos vor Kurzem hatte zukommen lassen.


    Lieber Thimós,


    nur zu gern nehme ich dein Angebot an. Jetzt, da meine Mutter tot ist, steht es mir frei, Memphis zu verlassen und mich woanders anzusiedeln.
    Es scheint mir wie eine Ewigkeit, seitdem ich dich das letzte Mal gesehen habe und es würde mir große Freude bereiten, dem langen Warten endlich ein Ende zu bereiten.


    Ich versuche, eines der Schiffe zu erreichen, die Anfang März im Hafen Alexandrias einlaufen. Das genaue Datum meiner Ankunft wirst du wohl besser kennen, denn du befindest dich schon an diesem Ort und wirst wahrscheinlich wissen, wann die Schiffe die Stadt erreichen.


    Auf Bald in Alexandria!
    Pasiphaë


    Nachdem ich noch einige Momente lächelnd auf die Worte gestarrt hatte, die meine Ankunft ankündigten, rollte ich das Pergament wieder zusammen und verstaute es in dem Bündel, in dem ich meine Besitztümer gelagert hatte.
    "Ob er meine Nachricht bekommen hat?" fragte ich mich, denn Thimós hatte nicht auf meinen Brief geantwortet und so konnte ich nur darauf hoffen, dass er auch wirklich am Hafen stand, um mich abzuholen.


    Ich ging an eine der Seiten des Schiffes und starrte hinunter ins Meer. Das Wasser floss langsam an mir vorbei und hier und da sah ich schemenhaft die Umrisse einiger Meeresbewohner aufblitzen. Ich beobachtete sie und ließ mich von ihnen ablenken, denn das vertrieb die Zeit und hielt die mulmigen Gedanken an die neue, fremde Stadt von mir fern.