Beiträge von Mica

    Dass Artomaglos nicht mehr in diesem Haus weilte und Asny gestorben war sollte nicht so schlimm sein? Die Worte hatten Mica zwar erreicht, doch er hatte beschlossen, dass sie ihn nicht aus der Bahn werfen würden. Also sagte er nichts dazu. Obendrein war es ja wirklich auch schon eine Weile her, seit er die anderen beiden Sklaven getroffen hatte. Als Angus nun meinte, er würde nach einer neuen Tunika sehen, trat ein dankbares Lächeln in Micas Gesicht. Der andere, der offenbar Flavia Agrippina nicht kannte, war wirklich sehr freundlich und es schien ihm auch nichts auszumachen, nun noch das Schriftstück und die Tunika gleich selbst zu holen. “Das ist wirklich sehr nett von dir!“, erklärte er dann, auch wenn es ihm nicht wirklich gut bei dem Gedanken ging, wirklich den ein oder anderen Umstand zu machen. “...Sonst hätte ich das nachher auch selbst...,“ wollte er gerade noch anbringen, doch Angus verschwand schon durch die Tür. “...gemacht,“ beendete er seinen Satz aber noch.


    Zu spät. Etwas unentschlossen - und so ganz allein gelassen ein wenig verloren - schaute sich der Sklave noch einmal im Raum um und betrachtete neuerlich die kahlen, unansehnlichen Wände, ehe er sich noch einmal das Haar abtrocknete und im Anschluss daran versuchte, die feinen Strähnen irgendwie in Ordnung zu bringen. Auf der Reise hatte er noch von einem Bad geträumt und nun war es vollbracht. Auch wenn es etwas spartanisch gewesen war. Dennoch: Durchaus ausreichend und es tat sehr gut statt des Staubes nun eine angenehme Frische auf der Haut zu spüren. Eine feuchte Frische, die sich nur nach und nach daran machte zu trocknen. Mica ging ein paar Schritte, sah sich um, ging wieder ein paar Schritte, wobei sich nach und nach ein perfider kleiner Schmerz an seinem Fußballen einstellte. Offenbar hatte die Nässe die Blasen geweckt, die er sich gelaufen hatte. Immerhin hatte er nicht ganze Zeit auf dem Maultier reiten können. In einer Ecke gewahrte er einen Hocker und ließ sich darauf nieder, nur um ein Bein anzuwinkeln und die schmerzenden Stellen zu massieren. Vielleicht sollte er Angus auch noch einmal fragen, ob es im Haus möglich war von irgendwo her Myrrhensalbe zu organisieren, falls sich die Blasen öffneten. Myrrhe. Ein wunderbares Mittel, das nicht nur gegen äußere Wunden und Entzündungen eine Hilfe bot, sondern auch gut innerlich angewendet werden konnte.


    Am besten er fragte doch nicht danach. Eine solche Salbe war recht teuer und wer konnte schon wissen, wie gut die Apotheke dieses Hauses bestückt war. Mica seufzte und pulte sich noch ein bisschen an seinem Fuß herum. Bestimmt würde es auch ein wenig Fett tun. Ganz in sich selbst versunken massierte er noch einen seiner Füße, als Angus zurück kam und ihm eine saubere, alles in allem gut ansehnliche Tunika und das Schreiben in die Hand drückten wollte. “Das ist wirklich wunderbar! Vielen lieben Dank!“ Mica lächelte, doch er hob schnell abwehrend die Hand. “Moment!“ Rasch erhob er sich und ging noch einmal zum Zuber hinüber, um sich die Hände zu waschen. Diese rieb er sich am Tuch an seinen Hüften ab. Dann griff er lediglich nach der Tunika, um sie sich über den Kopf zu ziehen. Schließlich schaute er Angus entgegen, während er sich bückte und auch wieder in seine Sandalen schlüpfte. Beim Aufstehen noch griff er nach dem Handtuch, faltete es sauber und zusammen und legte es auf den Schemel, auf dem er zuvor noch gesessen hatte.


    “Ich glaube, so wird es gehen.“ Vorsichtig strich er den Stoff der Tunika noch einmal glatt, ehe er nun auch das Schreiben mit seinen Blicken bedachte. “Aber...Aber...es ist ja ganz...ganz zerknittert!“, entfuhr es ihm halb entsetzt, halb vorwurfsvoll, ehe er danach griff und es an sich nahm. Dann zupfte er ein wenig daran herum, als würde dies helfen die Knitterfalten zu entfernen. “Dies ist ein sehr, sehr wichtiges...Dokument!“, brachte er noch immer fassungslos heraus, ehe er das Schriftstück gegen seine Brust presste. “Das war...ist...für den Dominus! Es geht doch um meine Ausbildung! Was soll ich ihm denn sagen, warum es so fürchterlich aussieht? Was hast du nur damit gemacht?“ Mica war beim Sprechen nicht laut geworden. Das Gegenteil war der Fall: Seine Worte verloren sich fast. Die ganze Reise über hatte dieses Schriftstück niemals etwas auszustehen gehabt, denn er hatte es gehütet wie ein rohes Ei. Und nun?
    “Das macht einen ganz schlechten Eindruck!“, sagte er dann noch etwas gefasster und leicht gepresst.

    Mittlerweile hatte war er in den hölzernen Zuber gestiegen und hatte sich in die Hocke gehen lassen. Unter seinen Füßen fühlte sich der Boden dieses großen Gefäßes etwas glitschig an, was ihn vermuten ließ, dass man ihn nur unzureichend nach dem letzten Bad geschrubbt hatte. Nein, es war besser sich nicht zur Gänze darin nieder zu lassen, denn wer konnte schon wissen wer der Vorgänger gewesen war? Mica angelte nach dem Schwamm, befeuchtete ihn gut und begann damit, sich in kreisenden, kräftigen Bewegungen abzureiben. Er hatte leicht schmunzeln müssen, als der Sklave, der sich ihm nun als 'Angus' vorstellte deutlich gemacht hatte, dass er keinen der alten Meister kannte. Pedanios hielt er sogar für einen Scriba aus dem Hause. Gut, man konnte nicht alles wissen und so ein Scriba mochte existieren, doch einen 'Dioskurides' hatte es in der Geschichte nur einmal gegeben. Doch schnell waren seine Gedanken wieder bei Artomaglos und Asny. Ersterer ein Hüne von einem Mann, der ihn glatt um drei Köpfe – wie er meinte – überragt hatte. Ein echter Noricer, wenn er sich recht entsann, mit einer höchst interessanten Art, sich zu artikulieren. Und Letztere? Asny? Ein wenig verrückt vielleicht, doch er hatte sie noch gut in seiner Erinnerung. Besonders ihre erste Begegnung.


    Mica hielt in seinen Bewegungen inne, als Angus nun meinte, Artomaglos nicht zu kennen und – Asny war verstorben? “Oh!“, entfuhr es ihm sofort und er senkte betrübt den Kopf. Nein, das war gar nicht zu hören. Ganz und gar nicht. Noch einmal versuchte er sich ihr Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. Jung war sie gewesen. So wie er selbst. Mehr noch. Bei seinem letzten Besuch in Rom war er immerhin fast noch ein Kind. Ja, die Zeiten rasten dahin und dabei schienen sie alles Lebende schier unter sich begraben zu wollen. “Das sind keine guten Neuigkeiten.“ Er beschaute sich einen Moment nachdenklich das Wasser und fuhr dann damit fort sich zu reinigen. “Sie gehörte Dominus Aristides,“ erklärte er dann. “Er weilt auch in Baiae, doch er hatte sie nicht mitgenommen.“ Schließlich schüttelte er sachte den Kopf. “Aber es wäre übertrieben zu behaupten sie wären meine....Gefährten gewesen.“ Das Wasser plätscherte, während er sich nun auch sein Haar wusch, was etwas umständlich war, weil er sich ja nicht hinsetzen wollte. Doch letzten Endes hatte er es geschafft und erhob sich wieder, um nach dem Handtuch zu greifen.


    “Ich will wirklich nicht aufdringlich sein, doch hättest du eine frische Tunika für mich?“ Er deutete auf sein Exemplar neben der Wanne. “Ich glaube, meine muss ich mir erst noch säubern, bevor ich sie wieder tragen kann.“ Mit dem Handtuch umwickelt stand er noch leicht tropfend da und schaute Angus treuherzig entgegen. “Vielleicht könnte ich dann auch noch einmal zu dem Ianator zurück? Er hat noch das Schreiben, welches meine Domina mir mitgegeben hatte. Zu dumm, aber ich habe es nicht wieder an mich genommen. Alles ging vorhin so schnell. Du hast sicherlich schon einmal von meiner Domina gehört?. Domina Flavia Agrippina? Ich hoffe sehr, dass das Schreiben mit ihrem Ansinnen gut aufgenommen wird.“ Seine Haltung wurde ein wenig angespannter, denn seine Ausbildung war ihm sehr wichtig. Nicht auszudenken, wenn Dominus Gracchus sie für seine Zukunft als Null und Nichtig erklären würde. Nervös strich er über den Saum des Handtuchs an seiner Hüfte und legte sich dann die Hand auf den Bauch. In diesem herrschte neben dem Hunger von der Reise auch ein dumpfes Unwohlsein ob seiner bescheidenen Zukunft in diesem Haus.

    Offenbar war es so, dass der andere seine Worte als Aufforderung verstanden hatte, ihn nun von seiner Last zu befreien, denn schon war er auf ihn zu getreten und machte sich daran, ihm das schwere Gepäck abzunehmen. Dieses wurde nunmehr als 'Zeug' tituliert, dabei war es doch ungleich mehr als das! Nein, das war ihm gar nicht recht! Mica hatte schon den Mund geöffnet, um einen leisen Protest von sich zu geben, doch es war schon zu spät. Nun konnte er nicht mehr tun, als sich herum zu drehen und dem ihm Fremden hinterher zu blicken. Durch die offene Tür konnte er erkennen, wohin sein Bündel nun gestellt wurde. Neben die Tür auf den Gang, wo es nunmehr beinahe achtlos stand und auf ihn wartete. Obwohl es nicht anzunehmen war, dass sich irgendjemand daran vergriff, war Mica nicht recht wohl bei der Sache. Doch es war nun einmal so, dass man sich um ihn bemühte und so wollte er nicht noch mehr Unannehmlichkeiten bereiten. Statt also dem anderen hinterher zu gehen und das große Bündel wieder an sich zu nehmen, blieb er wo er war und betrachtete sich noch einmal die Wände, ehe er auf eine von ihnen zu ging. Dann streckte er die Hand aus und fuhr mit den Fingerkuppen über den grauen Putz. Tatsächlich. Ganz klamm und leicht schmierig zu erfühlen. Dieser Raum tat der Gesundheit wirklich nicht wohl. Erst als der fremde Sklave, der zuvor nun doch ein wenig unfreundlich gewesen war zurück kehrte, ihn nach dem Inhalt seiner großen Tasche fragte und ihm ein Handtuch in die Hand drückte, kehrte seine Aufmerksamkeit zurück.


    “Ja, sie wiegt schon einiges!“, erklärte er unter einem andächtigen Ausdruck, der nun auf seinem Gesicht erschien, wenn er auf seine Kostbarkeiten angesprochen wurde. Von der Wand löste er nun Blick und Finger. An letzteren schnupperte er noch einmal vorsichtig. An sich geruchslos und doch... “Eindeutig Aspergillus,“ stellte er für sich fest und rieb sich die Hände am Handtuch ab. “Es ist die große Last des Wissens, sage ich immer und sie ist das Wertvollste, was ich habe. Es sind Buchrollen und Notizen von den großen Meistern,“ Sein Unterton wurde leicht schwärmerisch. “Ich habe sie gesammelt und bin noch immer dabei, sie zu studieren.“ Unter diesen Worten ging er auf den Wasserzuber zu. “Hypokrates von Kos, Pedanios Diuskurides, Herophilos und Erasistratos. Aber vieles ist eben aus dem Corpus Hippocraticum.“ Mit der Hand fuhr er durch das Wasser. Es war recht angenehm, nicht ganz kalt, nicht wirklich warm. Er nickte sich selber zu und begann damit, sich für ein kurzes Bad ganz ungeniert und ohne falsche Scham zu entkleiden. Er war es gewohnt ein Bad nur selten für sich allein zu haben und angesichts der ungesunden Umgebung wollte er es auch gerne hinter sich bringen. “Nun habe ich mich heute schon so oft vorgestellt, aber ich will es noch einmal tun. Mein Name ist Mica,“, erklärte er noch einmal unter einem Lächeln. “Und wie nennt man dich?“ Seine verdreckte braune Reisetunika hatte er sich inzwischen über den Kopf gezogen und legte sie fein säuberlich zusammen, damit sie einen Platz etwas abseits der Wanne finden konnte. “Ich war schon so lange nicht mehr hier. Sag', leben Artomaglos und Asny noch in diesem Haus?“

    [...] Nachdem er über die Schwelle getreten war, wendete er seinen Kopf hin und her und schaute sich um. Dass das Balneum Servorum kein Raum war, der repräsentativen Zwecken diente, war sofort augenscheinlich. Alles war überaus anspruchslos gehalten und kalt, was unter anderem auch daran lag, dass dunkel und ein wenig miefig war. Mica rümpfte die Nase. Nicht weil er mit dem Umstand unzufrieden war, sich in aller Bescheidenheit waschen zu müssen, sondern vor allem weil der Geruch nur eines bedeuten konnte: Schimmel. Es war ein unverkennbares Odeur aus einem Gemisch aus Feuchtigkeit und ungesunder Luft, die sich immer ein wenig dumpf erschnuppern ließ. Und tatsächlich. Im Flackerlicht einer kleinen Öllampe konnte man die verräterischen, schwarzen Flecken erkennen. Es war sofort klar, dass was den Raum anging mehr getan werden musste, als nur Wasser in einen Bottich zu bringen. Wer hier ein Bad nahm oder sich auch nur länger hier aufhielt, lief Gefahr, seinen Lungen keinen Gefallen zu tun. Schimmel war der Gesundheit keinesfalls zuträglich, wie Mica schon oft beobachtet hatte. Sei es bei den Hühnern in Baiae, die zeitweise in einem allzu klammen Stall gehalten wurden oder bei den Pferden, deren Boxenwände man eine Weile nicht gekalkt hatte. Die Tiere neigten dann ein wenig zur Räudigkeit und zu leicht rasselndem Atem.


    Nicht sicher, wohin er seine wertvollen Schriften legen sollte, behielt er sie zunächst einmal geschultert. Papyrus und Pergament vertrug sich nicht gut mit einem solchen Bad und ihm waren seine Aufzeichnungen über die Schriften der großen Mediziner heilig. Während er noch da stand und die Wände mit skeptischen Blicken betrachtete, betrat ein junger Mann das Balneum, dem Mica auch sogleich entgegen schaute. Sein 'Salve' klang nur wenig erfreulich, wahrscheinlich wegen der Umstände, die er nun wohl machte. “Salve!“, sagte nun auch er selbst, wobei er sich jedeoch um einen freundlichen Tonfall bemühte. Wasser fand nun seinen Weg in den großen Bottich in der Raummitte und Mica sah den Sklaven zu, wie sich mühten. Wegen ihm. Etwas unangenehm berührt trat er von einem Bein auf das andere. Am liebsten hätte er ja mit zu gefasst, doch er trug noch immer seine Gepäck auf dem Rücken, welches er nirgendwo abstellen wollte. “Ich... will keine Umstände machen,“, sagte er dann ein wenig verhalten und unter einem bedauernden Gesichtsausdruck. “Aber vielleicht könntest du mir sagen, wohin ich meine Schriften bringen kann, Sie sind sehr wertvoll und sollten nicht in der Nähe von Feuchtigkeit verwahrt werden.“ Sachte strich er über den Schultergurt seines großen Bündels.

    Mica schaute sich um, während sie durch die Villa schritten, wobei alte Erinnerungen wach wurden. Viel hatte sich nicht verändert. Lange wollte er sich seinen Betrachtungen allerdings nicht hingeben. Er umfasste seine wertvolle Fracht noch ein wenig fester und schritte weiterhin neben dem jungen Sklaven einher. Wahrscheinlich hatte der Junge recht und er sollte sich erst einmal frisch machen, bevor er dem Hausherrn gegenüber trat. Also nickte er auf die Worte des Jungen hin, jedoch nicht ohne ein kleines Stutzten seinerseits. Machte er wirklich einen derartig ungepflegten Eindruck, sodass es gleich ins Balneum gehen musste? Mica schnupperte ein wenig am Stoff seiner Tunika, der sich über seine Schulter spannte. In der Tat war der Geruch, der ihm entgegenschlug dem von Amu nicht ganz unähnlich. Schließlich waren sie im Balneum angekommen.

    Während er noch die Haken und Schnallen des breiten Geschirrs löste, kam er nicht umhin festzustellen, dass der kleine Sklave nicht sonderlich gesprächig war. Zwar hörte er ihm aufmerksam zu, doch ein Gespräch wollte sich nicht entwickeln. Warum auch. Später würde es gewiss noch Gelegenheit geben, sich mit dem ein oder anderen zu unterhalten, auch wenn Mica sich nicht ganz sicher war, ob er dies überhaupt wünschte. Eigentlich war ihm nach ein wenig Ruhe und einer Möglichkeit, den Staub von der Reise abzuwaschen. Ja, er würde sich später nach Artomaglos und Asny erkundigen, die er noch von seinem letzten Besuch kannte. Auch würde er irgendwo seine ihm sehr wichtigen Habseligkeiten unterbringen müssen. Er schulterte schließlich sein Gepäck und streichelte Amu noch einmal liebevoll über den Hals, ehe er von einem der Knechte zum Stall geführt wurde, wo sicherlich eine Belohnung und Form von Heu auf das Tier wartete. Er schaute ihm noch einen Moment nach.


    “Dominus Gracchus?“, fragte er dann. Mica nickte verhalten und rang dann ein wenig nach Luft. “Ja, wenn er denn Zeit hat!? Ihm war er noch nie wirklich begegnet, doch er wusste, dass es niemand geringerer als der Pontifex war, der auch einige Zeit in Baiae verbracht hatte. Mehr oder weniger um ein schweres Fieber auszukurieren. Doch das war sehr lange Zeit her. Er selbst war zu dieser Zeit noch fast ein Kind gewesen, was allerdings nicht ausschloss, dass er noch meinte, sich an den gravitätischen Mann zu erinnern, auf den er damals ein paar Blicke erhaschen konnte. Ebenso wortlos wie es der Junge war, folgte er dann, schwer an seinen Schriften und Büchern tragend, in das Servitriciuum.

    Fast wäre die Tür wieder zu gefallen, doch die bloße Erwähnung des Namens seiner Domina schien sie wieder zu öffnen. Ein Glück. Nun nahm der Ianator das Schreiben entgegen und las unter einem sonoren Brummen. Mica blieb nichts anderes übrig als zu warten und sich die klammen Hände ein wenig an der Tunika abzuwischen. Den ganzen Weg lang hatte er sich überlegt, was er sagen wollte und erst recht, was er sagen sollte. Vor Jahren im Gefolge von Domina Agrippina war es einfacher gewesen und nun stand er mehr oder weniger auf eigenen Füßen. Zumindest so lange, bis er endlich Einlass gefunden hatte. Unter den Worten des Ianators schaute er sich noch einmal zu dem Maultier um. Sicherlich war es nicht möglich das gute Tier durch die Haustür zu führen und er nickte eifrig. “Ich danke dir!“, entgegnete er dann, als er die Aufforderung erhielt dem Jungen zu folgen, der sich sogleich auf den Weg gemacht hatte. Mit seinen Blicken hatte er noch verfolgt, wohin der Weg nun führen sollte und er schritt die wenigen Stufen hinunter, um das Maultier am Zügel zu fassen.


    Amu, wie er es genannt hatte, war ein wenig störrisch und war nicht sofort zu bewegen sich ihm anzuschließen. Doch mit ein wenig Anstrengung schaffte er es schließlich, das Tier zum Folgen zu animieren. “Mein Name ist Mica!“, stellte er sich dann auch dem jungen Sklaven noch einmal vor und trat dann durch das Tor, welches auf einen kleinen Hof und offenbar auch zu den Ställen führte. “Sag, wer ist denn hier im Haus zugegen? Meine Domina wünscht nämlich, dass ich hier meine Studien fortführe und ich weiß nicht, ob der Brief aus Baiae schon eingetroffen ist, oder ob ich vollkommen... unangemeldet bin.“ Unter einem zurückhaltenden Lächeln schaute Mica dem Sklavenjungen entgegen, der ihm hoffentlich sagen konnte, an wen er sich nun wenden musste. Keineswegs wollte er aufdringlich wirken, doch er würde einem der Flavier Bericht über seine Ankunft erstatten müssen. Während er noch geredet hatte, hatte er sich bereits an Amus Statteltaschen zu schaffen gemacht, um sie dem Tier vom Rücken zu lösen.

    Von Nervosität ergriffen trat Mica von einem Bein auf das andere, doch er musste nicht lange warten, bis das pompöse Portal sich öffnete. Sogleich schaute ihm ein Mann entgegen, der wohl als Ianator im Dienst war und der der ihm zugedachten Rolle ganz trefflich nachkam. Er beschaute sich ihn selbst und dann das Tier und verkündete auch augenblicklich, dass man nichts zu kaufen gedachte und dies auch nicht der Lieferanteneingang sei. Ob des harschen Tonfalles, der dabei zum Tragen kam, wich Mica unwillkürlich einen Schritt zurück, ehe auch er sich noch einmal nach dem Maultier umdrehte. Sah er aus wie fahrendes Volk, das etwas an den Mann zu bringen gedachte? Vielleicht, aber nein, nein! So war das ja gar nicht!


    “Nicht!“, brachte er schnell heraus, als die Tür drohte, sich wieder zu verschließen. “Ich will doch gar nichts verkaufen!“


    Hastig trat er wieder einen Schritt nach vorn und hob die Hand, um sie gegen das Türblatt zu legen, doch unterließ er dieses Unterfangen im letzten Moment.


    “Die Domina Flavia Agrippina schickt mich. Ich bin den weiten Weg aus Baiae gekommen... Mein Name ist Mica und ich habe... Er nestelte etwas umständlich einen Brief aus seiner Tasche und hielt es dem Ianator ein wenig unsicher entgegen. “... ein Schreiben dabei.“

    Da stand er nun und beschaute sich das ehrwürdige Haus, welches er vor sechs Jahren im Gefolge seiner Domina überstürzt verlassen hatte, wobei er sich mit beiden Händen fest an die beutelartige Tasche klammerte, die über seine Schulter hing. Einerseits war es ja gut, dass die strapaziöse, staubige Reise, welche er zu Fuß angetreten hatte, nun ihrem Ende entgegen ging, doch andererseits war er sich sicher, dass eine weitere gleich nach seinem Anklopfen beginnen würde. Noch einmal atmete der Sklave tief durch und trat dann vor die Porta, wobei er noch einmal einen Blick über seine Schulter hin zu dem kleinen, gedrungenen Maulesel warf, der den Rest seiner Ausstattung bei sich trug. Vor allem handelte es sich dabei um Schriftrollen und Bücher, welche man ihm aus Baiae mitzunehmen erlaubt hatte. Von der kleinen Reisegruppe, der er sich hatte anschließen sollen, um den weiten Weg gefahrloser hinter sich zu bringen hatte er sich inzwischen getrennt und war allein vom Mercatus Urbis zum Quirinal herauf gekommen. Mica hob seine Hand hin zur wuchtigen Pforte und gemahnte sich selbst noch einmal der eindringlichen Worte, welche die Domina Flavia Agippina zu ihm gesprochen hatte. Gut zu führen hatte er sich und zu benehmen und er hatte ihr selbstverständlich regelmäßig Bericht zu erstatten. Sollte er wirklich hier um Einlass bitten? Vielleicht wäre der Dienstboteneingang besser gewählt? Noch einmal rang er schwer nach Atem und wagte es dann doch den Türklopfer zu betätigen, der ein weitaus wuchtigeres Pochen ertönen ließ, als er sich vorgestellt hatte. Mit einem bis zum Halse schlagenden Herzen, welches ihm die eigentliche Erschöpfung aus dem Leibe trieb, wartete er, ob sich hinter der Tür etwas regte.

    Inzwischen hatte Mica einige Intensität in seinen stieren Blick auf den Busch gelegt und klammerte sich an seinen eigenen Armen fest, die noch verschränkt waren. Er brauchte gar nicht zu sehen, dass der Andere sich erhoben hatte und auf dann auf ihn zu kam. Wahrscheinlich war die Idee, sich auf dieser Ebene zur Wehr zu setzen genauso dumm, wie bestimmte Kulturtechniken nicht zu beherrschen, aber es war eh zu spät. Mica atmete tief durch, als die erste direkte Beleidigung ihn traf, doch er harrte tapfer aus. Er war nicht arrogant und was besseres war er auch nicht. Immerhin hatte er sofort geholfen, als dies von Nöten war, oder nicht? Würde er sonst hier hocken? “Oh ja,“, grollte er unbestimmt auf Artomaglos Feststellung hin, dass er lesen und schreiben konnte. Anerkennung sah anders aus!
    Micas Blick verfinsterte sich noch ein wenig und glitt hinüber zu Artomagolos Gesicht, als dieser sich zu ihm hinunter beugte. Waschen und putzen war also lebensnotwendig? Er schluckte, als er versuchte das Wort „scheißen“ mit der Phase „oune Hüfe“ zusammen zu bringen und es gelang. Dann schaubte er und schaute den Anderen nicht mehr an, sondern hob den Kopf ein wenig mehr und sah wieder auf den Busch. Eine stolze Geste, die ein wenig im Urin- und Knoblauchgeruch unterzugehen drohte.


    Er war weder arrogant noch dumm und er kam sogar allein zum Abort! Er war nicht unselbstständig und ja! Er konnte interagieren und war gewiss nicht irgend ein „Noubel“. Das war Artomaglos doch selber! Er hatte nichts gemacht, außer zu interagieren und dabei sogar versucht den Boden zu schrubben. “Bin ich, ja und?“, presste er dann schmollend heraus, als ihn die Feststellung erreichte, dass er nur ein Sklave wie alle anderen war. Was er noch sagen sollte wusste er nicht so recht, denn dieser Redeschwall gab ihm das Gefühl als ob er auf offner Straße von einem durchgegangenen Ochsengespann überrannt worden war. Micas Nase zuckte, wie immer wenn er nervös war, doch lockerte sich seine Haltung nicht. “Das sagt gar nichts!“ Wieder wendete er den Kopf in die Richtung des anderen Sklaven. Er ärgerte sich, dass seine Stimme unsicher wurde, doch er konnte das einfach nicht auf sich sitzen lassen. Wenn Artomaglos stolz darauf war, dass er seinen Tag auf stinkenden Platten verbringen durfte und nicht einmal zum Entziffern eines Grafitti an der Wand in der Lage war, dann war das nicht sein Probelm! Sein Problem war eher, dass die Gestalt dieses Menschen ihm gegenüber als Argument schon völlig ausreichte, um zu wissen, dass Nachgeben eine gute Entscheidung wäre.


    “Wenn du meinst!“, sagte er dann schnippisch und erhob sich behende, um sich den Wischmopp zurück zu holen und ihn wieder in das Wasser zu tauchen. Dabei linste er immer wieder zu Artomaglos hinüber. Mittlerweile widerwillig begann er mit dem Wischen, in einer gebückten Haltung, doch der Sturm in ihm war noch nicht vorüber. Immerhin hatte er Stolz genug, um das alles nicht auf sich sitzen zu lassen. “Und wenn ich heute Abend nicht das gelernt habe, was ich sollte, dann werde ich meiner Herrin sagen, dass du Schuld bist!“ Das war anklagend, aber kindisch und Mica biss sich auf die Unterlippe, doch schrubbte er weiter. Er war eh massiv im Rückstand und wahrscheinlich würde sich selbst an diesem Abend niemand für ihn interessieren. Er würde essen, schlafen und seine Einträge weiter führen. Und sich über Artomaglos ärgern. Ja, das würde er. Aber er hatte wenigstens die Chance zu werden, was er schon immer gewollt hatte. Er würde ein Arzt. Er würde berühmt werden und er würde dann … Artomaglos garantiert nicht behandeln! Immer wieder funkelte er von seinen Wischbemühungen aufschauend zu dem Anderen hinüber.

    Vielleicht sollte er sich nun wirklich verabschieden und gehen, denn so ganz geheuer war ihm diese Mensch nicht, der zu ihm sprach als wäre irgendjemand...anderes als er war. Ein bisschen wirkte er auf den Jungen schon wie ein Wilder und seine Sprache holperte derartig ungeschlacht, dass Mica schon konzentriert hinhören musste, um sich einen Reim auf die Worte zu machen. Außerdem konnte er selber ja gar nichts dafür, dass er sich nicht zum Putzen eignete, zumal es auch gar nicht zu seinem Aufgabenbereich zählte. Dabei war das überhaupt kein Grund eingebildet zu sein, oder soetwas in der Richtung. Es war einfach eine gegebene Tatsache, dass er sich mit dem Wischmopp nicht gut verstand. Das Grinsen des anderen war ihm sicher nicht entgangen und auch nicht seine sonstige, scheinbar fröhliche Anerkennung von Micas Hilfsbereitschaft, die nun sich nun so langsam dem Ende zu neigte, als der Geruch beißender wurde und der Wunsch sich wieder seinen Schriften zu widmen Überhand nahm. Nutzen würde es wohl wenig, denn der Andere richtete sich auf und kam auf ihn zu, sodass Mica nur noch das Eine übrig blieb: Auf dem Boden hocken zu bleiben und zu Artomaglos auf zu schauen. Von unten wirkte er noch befremdlicher, als auf der Höhe, von der aus er ihn sonst sah. Der Eindruck wurde auch nicht besser, als dieser den Kopf abweisend schüttelte und den Ausdruck einer sonderbaren Nachdenklichkeit zur Schau stellte.


    Das bedeutete nichts Gutes, wie die Erfahrung den Jungen lehrte und er schluckte einmal, bis die Artomaglos Worte verdeutlichten, dass er lediglich mit dem Begriff des Lernens nicht umzugehen wusste. Wozu man das brauchte? Mica blinzelte und blickte verdattert drein, während er sich fragte, ob das wirklich eine ernst gemeinte Frage gewesen war. Kas! Käse? Mica kniff kurz die Augen zusammen. Etwas geistig Anspruchsvolles zu können war sicherlich kein Käse! Der Frischkäse der Katzen flammte kurz als lose Assoziation auf, doch wurde diese sogleich von den weiteren Worten wieder unterdrückt. Das konnte dieser Mensch wirklich nicht ernst meinen. Sklave hin oder her! Es war etwas wert, wenn man etwas kulturell und wirtschaftlich Wertvolles konnte und wenigstens nachvollziehen vermochte, worum es in der Politik der Anderen ging. Er schüttelte den Kopf über seinem Unverständnis und bekam selber kaum mit, dass ihm die Scheu vor Artomaglos ein wenig abhanden kam, dem nicht nur diese Auffassungen, sondern obendrein noch ein unangenehmer Knoblauchgeruch entströmte.


    “Ich kann mehr als Käse!, begann Mica heftig und ließ dabei den Mopp sinken. “...Ich meine mehr als das!“ Mit einem kindlich trotzigen Blick fixierte er sein Gegenüber, das seinen Lebensinhalt gerade als Schwachsinn abgestempelt hatte und ihm unterstellte, er könne nicht putzen. “Wenn man lesen und schreiben kann und sich auf sowas versteht, dann ist man wertvoll und nützlich und das ist tausendmal besser als waschen und putzen und wieder putzen und wieder.....waschen!“, brachte Mica aufgebracht Artomaglos entgegen und warf dabei unbedacht den Mopp von sich, der – vollgesogen wie er war - in einiger Entfernung auf den Boden klatschte. “Und wer nicht lesen kann ist total dumm!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah weiter zu dem Anderen auf. Zu dumm war es darüber hinaus, dass langsam wieder sein Mut der ersten Aufregung sank und sich seine Augen ein wenig beim Anblick von Artomaglos Gesicht weiteten. Prima! Er hatte gerade diesen für ihn hühnenhaft anmutenen, vor sich hin kollernden Menschen als dumm bezeichnet! Nein, hatte er nicht! Nicht wenn er sich den Schuh nicht anzog, aber das wäre ja sein Problem! Weiterhin schmollend blieb Mica einfach sitzen und regte sich nicht. Nur ansehen tat er Artomaglos nicht mehr, sondern stierte noch immer trotzig auf einen der Büsche im Garten und presste die Lippen aufeinander. Ihm war gar nicht mehr wohl.

    Mica hätte glatt gelogen, wenn er behauptet hätte, dass diese Situation nichts Befremdliches an sich gehabt hätte. All seine Gedanken waren vergessen und insgeheim war er froh, einen Schritt zurück getreten zu sein, angesichts des wütigen Eindrucks, den der Mann machte. Vorsichtshalber zog er seinen Mundwinkel noch etwas höher und lächelte infolge dessen noch ein wenig schräger. Zur Flucht war es jetzt zu spät und ihm blieb wohl nichts weiter übrig, als sich mit diesem, für ihn hühnenhaft anmutenden Mann auseinander zu setzen und der Tatsache, dass er kaum ein Wort von ihm verstand. Die Geste gen Putzutensil dagegen schon viel eher. Artogmalos musste den Boden reinigen, wegen der „Kotzen“. Zumindest war der Blick mit dem er ihn nun betrachtete anders als der der Sklavinnen, denen Mica auch lieber aus dem Weg ging. Generell war er in dieser Villa schnell zum Einzelgänger geworden, denn entweder musterte man ihn abschätzend, gering schätzend, einschätzend oder einfach nur anders. Ein Grund mehr, um sich schnell wieder seinen Studien zu widmen, Hippokrates, Aristoteles und Vergil. Ein Mischung die bei weitem verständlicher war, als dieser Mensch vor ihm, von dem man niemals wissen konnte, was als nächstes geschah. Gerade wollte er sich entschuldigen und hatte einen schnellen Blick auf seine Kopien geworfen, die noch sicher unter dem Beutel verwahrt lagen, als er auch schon die Frage hörte, die Artomaglos an ihn richtete.


    Anspannung zeichnete sich auf Micas Gesicht ab und noch mehr, als sein Gegenüber abschätzig dreinschaute. Ein Blick, der recht schnell an Strenge zunahm. Hastig schnaufend zog er Luft ein und nickte dann schnell, doch mehr als ein entschuldigendes Lächeln und ein flüchtiges Schulterzucken brachte er nicht zu Wege. Lächeln hatte bisher immer gereicht, doch dieses Mal ging es um die Hinterlassenschaften der Katzen. Genau genommen waren es auch nicht seine Katzen, ihm gehörte inoffiziell nur Felix, der es trotz seines unattraktiven Äußeren geschafft hatte, noch diverse Weibchen seiner Rasse anzulocken. Das war etwas, was Mica eigentlich sehr gefreut hatte, da es Anlass gab das geschlechtsspezifische Fressverhalten genauer zu untersuchen, welches wiederum Rückschlüsse auf die verschiedenen Typologien zuließ, wie er meinte. Mit Glück konnte man das dann auf die Menschen übertragen, denn auch dort gab es Unterschiede zwischen männlich und weiblich, nur dass es dabei auch noch gewisse Traditionen zu beachten galt, die...Er hatte gar nicht gemerkt, dass er die ganze Zeit über genickt hatte und starrte nun ein wenig verloren auf den Wischmopp, der ihm entgegen gehalten wurde. “Das sind eigentlich gar nicht meine Katzen,“ wagte er den Ansatz eines Widerspruchs, doch sprach er so leise, dass er sich diesen auch gleich hätte sparen können.


    Ohne weiteren Widerstand folgte er mit den Augen dem kleinen Kreis, den Artomaglos mit dem Wischgerät vor seinen Augen beschrieb und griff sogleich danach und blickte auf die „nicht so schönen Aspekte“ vor sich auf den Platten. Tatsächlich waren einige davon von weniger fester Konsistenz und der Urin stank gewaltig. Mica biss sich auf die Unterlippe und schaute zu dem Anderen empor, gerade als dieser unmissverständlich seine Hilfe anforderte und auf die Platten zeigte. “Aber eigentlich muss ich noch lernen,“ brachte er dann schüchtern hervor und hob schon die Hand, um auf seinen Platz an der Mauer zu deuten, doch kam es ihm im letzten Moment in den Sinn, das doch lieber zu unterlassen. An der Mauer war es eigentlich sicher und er war weit aus dem Blickfeld der Neugierigen. Außerdem war es der Schlafplatz von Felix und es war besser, wenn Artomaglos diesen dann doch nicht ausfindig machte. Unverrichteter Dinge ließ er die Hand wieder sinken und blinzelte dem Anderen entgegen. “Ich...äh...kann auch ein wenig helfen!“, beeilte er sich dann zu sagen.


    Vielleicht brachte es auch Vorteile mit sich, denn auf diese Art konnte man die Hinterlassenschaft auch eingehend betrachten. Mica seufzte leicht und steuerte auf den Wassereimer zu, um ein wenig zögerlich den Mopp hinein zu tauchen und Artomaglos wieder fragend anzusehen. Eigentlich hatte er noch nie putzen müssen. Ein wenig Staub wischen hier und da und in Baiae hatte er auch oft in der Küche geholfen, wo es neben den Leckereien, die dann und wann abfielen auch immer etwas zum Abwaschen gab. Nur mit einem Mopp hatte er wenig Übung. Inmitten der Platten war es zu verstehen, dass Artomaglos ungehalten war, denn die Geruchsentwicklung war derartig enorm, dass irgendwann die Augen tränen mussten, was Urin als Diagnoseinstrument wohl doch ein wenig unschön machte. Doch wie sollte man ohne die Dinge, die den Körper verließen Rückschlüsse über dessen innere Beschaffenheit anstellen? Hippokrates war sicherlich kein Lügner, auch wenn Mica bisher nirgendwo gelesen hatte, wie unsauber diese Wissenschaft doch sein konnte. Er rümpfte die Nase und klatschte den vollgesogenen Mopp auf die Bodenkacheln, dass das Wasser nur so spritzte. Roch es eher gallig oder doch ein wenig schal? Waren die Säfte im Ungleichgewicht, sollte Letzteres der Fall sein. Unschlüssig schubberte er den Mopp über den Boden, ehe er wieder aufblickte. Er sehnte sich nach Hippokrates, denn dieser hatte etwas darüber geschrieben. “Weißt du, ich muss dann wirklich noch lernen,“ setzte er wieder recht leise an und blickte sehnsuchtsvoll zur Mauer hinüber.

    In der Ruhe lag bekanntlich die Kraft, und Ruhe hatte Mica zur Genüge gehabt. Die ganze Zeit war er damit beschäftigt gewesen, die griechischen Geschichten, die er eigentlich hatte auswendig lernen sollen zugunsten seiner sonstigen Pläne zu verdrängen. Auch der gute Vergil flatterte dann und wann unter einem der leichten Windstöße, aber ansonsten völlig unbeachtet unter einen einem kleinen, beschwerenden Beutel, unter den ihn Mica geklemmt hatte. Der Sklave selber lehnte im Schneidersitz an der Mauer, blinzelte ab und zu ins Licht, nur um dann wieder eine Kopie von Hippokrates von Kos zu lesen, in der es um die Menschentypen ging. Schon Aristoteles erkannte, dass es durchaus phlegmatische Menschen gab, langsam, ruhig und schwerfällig und nun sinnierte Mica darüber, ob es nicht möglich war, dass der entsprechende Schleim nicht von Geburt an in einem solchen Menschen wohnte, sondern durch langandauernde Untätigkeit die Überhand gewinnen konnte. War er selber ein Phlegmatiker geworden? Seine Katze war es in jedem Fall und auch hier stellte sich die Frage, ob es neben Menschentypen auch verschiedene Katzentypen gab. „Felix“, wie er seinen glücklosen Kater ironischerweise nannte war täge, faul, doch inzwischen ein wenig von seiner Räude befreit. Er fraß gerne Käse, welcher bei dieser Spezies jedoch zu ungeahnten Problemen führte und dann und wann ein Verstopfungsmittel nötig mache, welches die Säfte entweder verdickte oder verflüssigte. Das jedoch hing wohl von der Tagesverfassung des Tieres ab, über das Mica noch immer gewissenhaft Buch führte.


    Nachdenklich legte er die Kopie von Hippokrates an die Seite und steckte sie unter den Beutel zu Vergil. Das schlechte Gewissen, als er einige Zeilen des urrömischen Hymnus erblickte regte sich zwar augenblicklich, doch der Künstler würde warten müssen, bis der Wissenschaftler Zeit für ihn hatte. Mica seufzte und kramte in seinen Notizen. Da stand es eindeutig: „Zufuhr von angedicktem Frischkäse“, die „problematischen Stuhlgang der Kategorie III“ zur Folge hatte. Kategorie III war nicht gut, doch kam es zur besseren Diagnose noch auf die Farbe an. Dass man die Säfte über Lebensmittel in ein Chaos stürzen, oder aber zur Besserung von Beschwerden einsetzen konnte war nichts Neues, doch die eigene Erforschung war dabei ungemein spannend und vor allem kurzweilig, was für jemanden wie ihn, der sich halb zu Tode langweilte, nicht verwunderlich war. Vielleicht konnte man auch einen Phlegmatiker durch gezielte Ernährung in einen...Mica schreckte auf, als er einen gedehnten Wutschrei vernahm. Es folgten schwer verständliche Worte des Unwillens über ...Katzen, wie der Sklave zu verstehen meinte. Der Tonfall klang ganz nach einem cholerischen Typen und der Akzent nach Artomaglos.


    Bisher hatte sich Mica von allem fern gehalten, was ihn in seinen sinnlosen Studien störte, doch schien es ganz so, als wäre Artomaglos auf den Platten beschäftigt, auf denen sich die Katzen ihren Abort eingerichtet hatten. Ein Versuchsfeld quasi, das für ihn verloren war, wie es schien. Mica erhob sich schnell und ging ein paar Schritte, bis er einen guten Einblick hatte. Artomaglos trat ärgerlich in einen der Büsche, dass dieser nur so wackelte. Ein guter Zeitpunkt eigentlich, um zu verschwinden, wenn es dafür nicht sowieso schon zu spät war. Vorsichtig blickte Mica sich um, doch sein „Felix“ war nirgendwo zu entdecken. Ein Umstand, der angesichts der Stimmung sicherlich gut war. Dann sah er den Putzeimer und den Wischmopp, wobei er gleich nach deren Anblick ein wenig schief einen Mundwinkel anhob, was seinem Ausdruck immer etwas Verunsichertes gab. “Oh! Ich wollte nicht stören,“ beeilte er sich dann zu sagen und ging der Sicherheit halber einen Schritte rückwärts.

    Unter der Bemerkung der Herrin, dass die Rosen zwar nicht litten, jedoch durchaus die Sitten, musste Mica schlucken, während er noch immer dem Gestrauchelten die hilfreiche Hand hin hielt. Diese wurde auch schon dankbar ergriffen und er musste sich dem Druck entgegen stemmen, mit dem der fremde Sklave sich wieder auf die Beine wuchtete. Auf seinen Dank hin nickte Mica, doch waren seine Ohren eher bei Flavia Agrippina, welche betont vorwurfsvoll die Vermutung anstellte, dass eventuell die Saturnalien in diesem Jahr verlängert wurden. Die Katze war inzwischen längst verschwunden, doch das stieß in jenem Moment bei Mica auf wenig Interesse. Auch der Römer, der sich der Gruppe hinzu gesellt hatte war für den Jungen nicht mehr als ein Schatten, der die Nase zuvor witternd in die Lüfte gereckt hatte, wohl den Geruch der Blumen und der Jahreszeit zu genießen. Und nun war es geschehen, doch schien es den stürmischen Sklaven wenig zu stören, dass er die Aufmerksamkeit mit seinem Missgeschick auf sich zentriert hatte. Eine Tatsache für die Mica dankbar war. Nicht auszudenken, wenn die Herrin...aber nein, das würde sie schon nicht. Hektisch rang der Sklave nach Atem und versuchte weiterhin unauffällig auszusehen, während der andere schon weiter eilte, und seinen Namen Preis gab. Phraates. Mica verzog rasch den Mund und blickte hinüber zu dem Ziel des Parthers.


    Athanaos hatte gesagt, dass Parther ein nahezu unbezwingbares Volk wären und angriffsfreudig obendrein. Mica zweifelte nicht einen Moment daran. Der Mann hatte Schneid, oder war er einfach nur verwirrt? Diese und ähnliche Gedanken kreisten in seinem Kopf herum, während die These im Garten schwebte, dass Parther ein schreckliches Volk wären, von denen man die Finger lassen sollte. Verstohlen wischte sich der Junge die feuchte Handfläche an seiner Tunkia ab und überlegte, ob es der rechte Moment wäre, den Ort zu verlassen. Vielleicht rückwärts und vorsichtig. Dann könnte er nach der Katze sehen, oder ein wenig lesen. Trotzdem bewegte er sich nicht einen einzigen Schritt. Mica mochte Menschen, die forscher waren als er selber. Eine Faszination, die unheilversprechend war, jedoch nicht minder reizvoll. Statt also zu gehen, beäugte er kritisch den Sklaven im weiten Gewand, die Herrin und die andere Herrin und den Ankömmling, der sich als Flavius Lucullus vorstellte, wobei er versuchte die Anspannung zu verdrängen.

    Es war ein großer Schrecken, der ihn aus seinem Tun riss. Dabei war er doch so vorsichtig gewesen und er hatte sich vergewissert, dass niemand im Garten war. Zumindest nicht in seiner unmittelbaren Nähe. Mica hielt überrascht die Luft an und ließ den Beutel sinken, in dem er seine Beute verstaut hatte. Beute. Sicherlich würde man ihm das nun unterstellen, oder man hielt ihn für einen Cretin, der Blumen hasste, oder für einen Wüstling, der sich seiner Zerstörungswut hingegeben hatte, oder für einen... seine Gedanken rasten, während er zu der jungen Frau hinauf stierte und nicht einmal bemerkte, dass dabei sein Mund aufklappte. Alles in allem bot sich ihm kein schöner Anblick, doch blieb sein Schrei unvermittelt in seiner Kehle stecken, auch wenn etwas dickflüssiges sich auf sein Kinn tropfte. Ein wenig duckte er sich und versuchte rückwärts zu entweichen, doch es war hoffnungslos. Starr vernahm er die Worte, die ankündigten, dass sie keine überflüssigen Fragen über sein Tun stellen würde und dass das Vorhaben, ihm Ähnliches angedeihen zu lassen wie das, was er selber mit den Blumen praktizierte. Ihre Schürfwunden und Blessuren stellten diese Ankündigung definitiv nicht in Frage.
    Asny? Der Name war ihm fast entfallen, doch Mica hatte sich schon des Öfteren gesehen, wenn sie auch zu jenen Anlässen weniger entstellt gewesen war. Das alles drängte nun massiv in den Hintergrund, als eine Hand bedrohlich über seinem Haarschopf schwebte und schließlich in diesen hinein griff.


    Er ächzte heiser. “Du darfst aber nicht schreien. Das vermögen diese Malven schließlich auch nicht zu tun.“ Trotz allem spielte er einen Moment lang mit diesem Gedanken. Doch wenn er schrie, dann würde man ihn hören und das war schlecht. Für jemanden wie ihn war es dann so, als würde man zwischen unerträglicher Hitze und unerträglicher Kälte wählen. Extreme waren schlecht, ganz schlecht! Genauso schlecht wie die Situation an sich, in die er nur hinein geraten war, durch seine Unachtsamkeit. “Au!“, gab er leise von sich, als die Hand ihren Druck verstärkte und ihn so zwang das ganze Ausmaß zu erkennen. Es war wirklich die Sklavin, von der gesagt wurde, dass sie so etwas wie ein Verwalter für den Hausherren war. Nur ihr Äußeres wollte nicht recht zu dieser Tätigkeit passen. War sie verprügelt worden? Unwillkürlich fuhr seine Hand auf die ihre, in dem Versuch, sie aus seinem Haar zu lösen. Woher kam sie so schnell? Alles woran er denken konnte, begann zu kreisen, in einer Geschwindigkeit, die ihn fast schwindelig werden ließ. Die Blütenkelche der Malven, die er noch soeben in der Hand gehalten lassen, rieselten auf den Boden und in dem schneller werdenden Herzschlag lag eindeutig aufkeimende Panik.


    Es war eine Illusion anzunehmen, dass sie ihre Drohung nicht wahr machen würde, so wie sie aussah, doch konnte er in jenem Moment nicht unterscheiden, ob es wirklich diese Drohung war, oder nur ihr Erscheinungsbild, welches ihn in Angst versetzte. Mica atmete heftig durch. Bisher hatte er sich rein gar nichts zu Schulden kommen lassen und war weiter nicht aufgefallen. Das alles stand im Widerspruch zu seinem Verlangen, endlich etwas zu erleben. Nur eben nicht so! Er hatte sich doch nur beschäftigen wollen und es überraschte ihn, dass sich mit einem Mal seine Augen in einem Anflug von Trotz verengten und er sich noch fester um ihre Hand klammerte. Egal, ob sie sich nun für das vermeindliche, ihr selber angetane Übel an einem Unschuldigen rächen wollte, oder ob es ihr tatsächlich um die Malven ging, von denen es hier so viele gab, dass es sicher nicht einmal den Bienen ihr Verschwinden auffallen würde. “Aber das sind nur Malven!“, presste er dann heraus, ehe er nachgab. Die Herrin würde das sicher auch anders sehen und es war ihm bei Weitem lieber jetzt verprügelt zu werden, als bei ihr in das Licht des Interesses gezerrt zu werden. Zumal die Erklärung für seine Tat dort noch mehr Elend bringen würde. Wie gut, dass Asny gar nicht erst nach der Tat fragte, was auch das Interesse für das „Warum“ mit einschloss. “Gut, keine Fragen mehr! Hau zu, ich schreie auch nicht!“ Seine Stimme bebte fast, doch es war ihm egal. Mica atmete tief durch, kniff die Augen zusammen, wild entschlossen, es im Mut der Verzweiflung hinter sich zu bringen und blinzelte dann doch. “Aber dann erzählst du es auch nicht der Herrin!“, flüsterte er hinterher. Wenn Prügel das Opfer für das heimliche Interesse an der Pharmazie und des ein oder anderen Geheimnisses war, dann war das sicher ein fairer Preis.

    Kein Tag sollte ohne Sinn sein! Es war eigentlich Micas Lieblingszitat, doch es war schwer den hellen Stunden derartiges einzuhauchen, wenn man wie er rein gar nichts zu hatte. Heute hatte er ausgeschlafen, nur um dann in der Küche ein wenig Extra-Essen abzustauben, was extrem leicht war, denn ständig war jemand versucht ihm irgendetwas zu zu stecken. Sein junger Lehrer Athanaos meinte mal, es länge an seinen Blicken, die denen eines jungen Hundes nicht sonderlich unähnlich wären, doch davon hatte der Junge nichts wissen wollen. Er war kein Hund und ein Kind war er auch nicht mehr. Er hatte lediglich nichts zu tun und an dieser Tatsache konnte nicht einmal die Sonne etwas ändern, die bereits hoch über dem Haus stand und die Luft erwärmte. Mit seinem aufkeimendem Missmut gelang es ihr jedoch keineswegs. Mica verschränkte die Arme vor der Brust und schnaufe schwer, um seiner angestauten Energie Luft zu verschaffen. Mauern! Zwar bemalt und hübsch unter den Sonnenstrahlen, die darauf fielen und dennoch waren es nichts als Mauern!


    Er stand an einer der Säulen gelehnt und schaute in den Garten hinaus, in dem sich die Blätter die Rosenbüsche leicht im Luftzug wiegten. Ein wenig nur. Eigentlich war es ein wunderschöner Tag und er sollte froh sein, dass er von allen Lasten befreit, einfach nur das Leben genießen durfte. Doch er merkte bereits tief in sich, dass dieser Genuss nun schon so lange anhielt, dass er nicht einmal mehr Lust hatte die Dinge zu lesen, die Athanaos ihm aus Baiae mitgegeben hatte. Der Grieche hatte gemeint, er würde es begrüßen, wenn Mica bei seiner Rückkehr die ein oder andere Elegie auswendig kennen würde und auch seine Kenntnisse in der Dichtkunst ein wenig vertiefte. Auf Griechisch natürlich, obwohl es in der lateinischen Sprache viel einfacher war. Zumindest für ihn. Der kräftige Vergil! Nicht nur äußerlich sondern auch im Worte! Der war natürlich auch in seinem Gepäck und bei weitem noch nicht in seinem Kopf.


    Mica hatte keine Lust dazu und warum sollte er sich gegen seinen eigenen Unwillen stemmen? Es interessierte doch niemanden was er tat oder ließ und die Herzen der Herren würde er auch mit dem Rezitieren von Dingen erfreuen können, die er bereits auswendig kannte. Ein Schauspieler war an ihm sowieso nicht verloren gegangen und er empfand ein solches Agieren auch nicht als ehrenhaft und erstrebenswert. Er konnte ja nicht mal ernsthaft lügen, ohne dabei rot zu werden!
    Man war Zeit seines Lebens immer bestrebt gewesen, ihn mit Wissen vollzustopfen, es anzureichern und zu nähren, als wäre er dann ein sprudelnder Quell der Redseligkeit und der lyrischen Freuden, der zur Unterhaltung und Tiefsinnigkeit nach einem überladenen Mahl beitragen konnte. Dagegen gewehrt hatte er sich nie, denn daheim hatte alles seinen Sinn gehabt, den man nicht zu hinterfragen hatte, denn er lag offen da und man musste nur danach zu greifen. Wie einen Stein, von dem einem geheißen wurde, man solle ihn allmorgendlich aufheben. Und das tat man dann einfach. Der Schuster blieb bei seinen Leisten, doch je mehr Freiraum Mica hatte, desto mehr kam es ihm nun sinnlos vor und hinterließ einen schalen Nachgeschmack, den er nicht mehr wollte. Wann konnte er endlich etwas über die Medizin lernen und etwas Praktisches tun, anstatt über Versmaße und philosophisches Allerlei zu lesen? Ein Mann musste schon etwas in seinem Leben bewirken was mehr war als nur die Augen der Herrschaft in Rührung oder Belustigung zu befeuchten.


    Mica vermisste Athanaos und seinen Rat, seine Gesellschaft und er vermisste Baiae, seine Mutter, Ada und all die anderen. Rom war nicht schön und es roch nicht so gut wie am Meer, auch wenn dieser Garten und dieses Haus darüber hinwegtäuschten, mit all seinem Luxus und den schönen Rosen.
    Schnell hingen seine Gedanken wieder in der Luft und es war schwer auch nur einen einzigen davon zu erhaschen und zu halten. Er brauchte einfach etwas, worauf er seine Aufmerksamkeit setzten konnte und so dachte er an etwas, was ihn mit Freude erfüllte und ihm seinen Antrieb wieder zurück gab. Plinius der Ältere und Hippokrates von Kos. Letzter war ein Grieche, den er heiß und innig liebte und für den es Sinn machte, sich mit der griechischen Sprache abzuplagen. Sinn oder Unsinn? Es lag ganz allein in seiner Hand was er hier tat und er hatte die kleine verflohte Katze nicht umsonst unter seinem Bett versteckt, oder wahlweise immer dort wo niemand außer ihm selber sie entdecken würde. Auch an diesem Tag hatte er seine Notizen über ihr Wohlergehen angefertigt und eine Liste über ihre Beschwerden und Symptome erstellt.


    Diese Liste reichte über „ausgiebiges mehrmaliges Kratzen mit den Hinterläufen am Bauch“, „Tränen der Augen mit Schwerpunkt rechts“, „vermehrte nasale Schleimabsonderung, besonders in den nächtlichen Stunden“, „Beschwerden mit dem zweiten Augenlid links“, bis hin zu „langanhaltendem kehligen Röcheln mit Schluckbeschwerden bei Nahrungsaufnahme“.
    Mica war sehr stolz darauf und selbst die großen Ärzte führten Buch, um Krankheiten zu kategorisieren. Dabei beobachteten sie die allgemeine Physis und stellten Rückschlüsse über das Verhältnis der Säfte im Körperinneren auf. Bei der armen kleinen Katze lag der Fall klar auf der Hand, dass der Schleim die Oberhand gewann und vielleicht sollte er sich wieder dem Vorhaben widmen, dieses Dilemma zu beheben.


    Mica grinste und löste sich von der Säule. Wenn sein heutiger Tag einen Sinn haben sollte, dann eindeutig diesen! Langsam ging er durch den Garten, immer darauf bedacht etwas Passendes zu erspähen, was man als Kraut in einem Sud verkochen und dem armen Tier einflößen konnte, damit es sich erholte. Asklepios hatte auf ihn zwar schon in der Ilias einen enormen Eindruck gemacht, doch bezweifelte der Junge, dass sich dieser mächtige Gott und Arzt auf eine Katze einlassen würde, selbst wenn man ihn darum bat.
    Es bedurfte nur weniger Schritte und schon hatte sein Blick etwas erfasst, was durchaus weiterhelfen konnte. Eine Rosen-Malve leuchtete in seidigem Rosé an der Mauer. Es waren nicht nur hübsche, zierliche Pflanzen, sie waren auch äußerst nützlich und richtig angewandt auch schleimlösend. Zwar hatte Mica noch keine Ahnung wie man sie verarbeiten musste, doch das Leben war dazu da um zu lernen, und seiner Auffassung nach war gerade dies endlich einmal das Wissen, das er begehrte. Vorsichtig zupfte er an dem zarten Gewächs und war überrascht, dass sich die Blütenkelche anfassten wie filziger, dünner Stoff. Es roch süßlich und er rümpfte die Nase, ehe er hastig noch weitere Blüten abzupfte. Vielleicht würde es auch einfach reichen, wenn man sie zerstampfte und mit ein wenig Milch darreichte, denn es war wohl nicht möglich die Katze dazu zu überreden, sie freiwillig und ohne Beiwerk aufzunehmen.
    Nachlässig stopfte er die Kelche in einen kleinen Beutel, den er dabei hatte und in dem sich auch ein abgegriffenes Schriftstück von Vergil befand, mit dem er sich eigentlich hatte befassen sollen. Der Dichter würde es ihm schon nicht übel nehmen. Sicherheitshalber bediente er sich auch noch an den Blüten der Nachbarmalven, die schnell genauso zerfleddert aussahen, wie die Erste. Aber ein „mehr“ war sicherlich besser als ein „zu wenig“. Letzten Endes lag es eh an der Dosierung.
    Mica hatte zwar Vorsicht walten lassen, was das Beobachtet -Werden anging, doch nun schockte es ihn doch, dass er einen Schatten über sich wahr nahm und er fuhr herum.


    Sim-Off:

    reserviert

    Ein kurzes Hinüberspähen zur Herrin zeigte ihm deutlich, dass sie noch immer keine Notiz von ihm genommen hatte, doch es zeigte sich auch schon im nächsten Moment, dass die eigene stille Heimlichkeit eine Vorsichtsmaßnahme war, die der völligen Sinnlosigkeit anheim fiel. Markerschütternd ertönte ein Schrei und schon polterte jemand aus dem Haus hervor, als wäre er von Furien getrieben, nur um seitlich in den Busch zu stürzen,. Erschrocken riss der Junge die Augen auf und sprang seinerseits unter einem Schrei unwillkürlich zurück. Aus dem Augenwinkel heraus sah er noch die Katze, die schleunigst Reißaus nahm und er selber spielte während eines Sekundenbruchteils mit einem ähnlichen Gedanken. Stieren Blickes und heftig atmend besah er sich den reichlich gewandeten Mann, der fremdländischer nicht hätte wirken können. Dieser stieß Flüche in einer gänzlich sonderbaren Sprache aus, wie er nun so in dem platt gedrückten Astwerk hing. Es war ein Schock und Mica konnte ein hastiges, unsicheres Kichern nicht mehr unterdrücken, dass wohl dem Schrecken entsprang.
    Hatte er soeben das Leben im Haus als langweilig empfunden, so war die so provozierte Aufmerksamkeit nun eine Sache, die ihm einen grausigen Schauer über den Rücken jagte und ihn wieder zu den Herrinnen blicken ließ. Ihre Gegenwart in diesem Moment behagte ihm gar nicht. Die Frage des wüst aussehenden Sklaven drang zu ihm vor. Ob mit ihm alles in Ordnung war?Noch immer starr und steif dastehend nickte er nur, um in das sauer drein blickende Gesicht zu sehen. Es war ein fassungsloses Nicken, aus der Lähmung heraus. Immer wieder zuckte sein Blick zu den beiden Damen und dem Rest der Sklavenschaft, nicht sicher, ob er dem Gestrauchelten aufhelfen sollte. “Ja...ist es!“ hauchte er dann und streckte ein wenig unsicher die Hand hervor in der Annahme, dem Mann tatsächlich auf diese Weise wieder auf die Beine bringen zu können, sofern dieser denn wollte und das Ganze so ungeschehen zu machen. An mehr konnte er nicht denken.

    Es war Frühling! Endlich Frühling! Mica stand bei einer der Statuen im Garten und beobachtete die anderen, die sich zu den Beeten nieder gebeugt hatten, um hier und dort etwas hervor zu zupfen. Er fühlte sich fehl am Platze. Die Geschichten über Kybele war in seinen Gedanken, die ihm Athanaos, der junge griechische Lehrer erzählt hatte, denn nun war bald das Fest. Er sah ihn vor sich, wie er lachte und seine Ausführungen letztlich in wahre Lügenmärchen abdriften ließ, nur um zu testen, ob seine Schülerschaft auch aufmerksam genug gewesen war, um den Schwindel zu bemerken. Manchmal hatte Mica es nicht bemerkt, der er war in Gedanken schon wieder ganz woanders gewesen, auch wenn es für ihn ein Leichtes war, fehlerhaftes in Aussagen zu finden, da er sich recht viel merken konnte. Trotzdem hieß das nicht, dass er immer aufmerksam war.
    Es bedurfte nur einer Fliege an der Wand oder das Rascheln einer Maus, irgendwo in der Wand, um ihn abzulenken.
    Außerdem tat er sich schwer mit griechischen Wörtern und der Schrift. Sicher konnte er inzwischen viele Geschichten erzählen und Gedichte aufsagen, genauso wie man es von ihm gewollt hatte, auch wenn er sich mehr für Menschen, Tiere, Pflanzen und die Behandlung derselben interessierte. Kurzum war er zu einem guten Gesellschafter geworden, doch gerade hier schien dies niemand zu benötigen und im Grunde war es ihm ganz angenehm, auch wenn er sich halb zu Tode langweilte und das tat, was er selber für sich als seine Bestimmung empfand. Er hatte eine räudige Katze gefunden, die halb verhungert herum gestreunt war. Nun kam sie immer öfters und er steckte ihr meistens heimlich etwas vom eigenen Essen zu. Das hatte er auch an diesem Morgen vor gehabt, wenn er nicht verschlafen hätte. Nur sah er sie jetzt nicht. Sicherlich war sie hinter irgend einer Ecke verschwunden und wartete ihrerseits darauf, dass es ein wenig stiller wurde. Vielleicht genauso still, wie er es in letzter Zeit selber war.


    Die neue Umgebung war für ihn gewöhnungsbedürftig. Dabei störte ihn eigentlich nichts. Es war einfach nur anders. Sonderbar anders. Vielleicht konnte er deshalb nicht schlafen. Oder es lag an der Luft, die ihm ebenfalls nicht so erschien wie in Baiae. Dort stand sein Baum, auf den er immer geklettert war, um allein zu sein und seine Ruhe zu haben und mit Sicherheit würde er gerade kleine grüne Triebe tragen, aus den alsbald die Blätter hervor sprießen, in einem sachten, hellen Grün. Er versuchte sich vorzustellen, dass der Baum an diesem Ort wäre, doch so recht wollte es dann doch nicht ins Bild passen. Eigentlich war es ein Zufall, dass er in Rom war. Ein Moment der Unachtsamkeit und schon war im ungünstigen Augenblick die Weisung ergangen, er könnte doch ein Gepäckstück tragen. Sicher war es die Herrin höchst persönlich gewesen und er hatte nicht gewagt, in ihre Aufbruchstimmung hinein ein Wort des Widerspruchs zu setzen. Dabei war das immer das Ziel seiner Träume gewesen. Einmal reisen. Es war schon sonderbar, sich sein ganzes Leben etwas zu wünschen und in dem Moment, in dem man feststellte, dass es tatsächlich in Erfüllung gegangen war damit zu hadern, dass man nichts mehr hatte, was einem absolut vertraut war. Sollte er sich eingestehen, dass er Heimweh hatte? Sicher nicht! So etwas war kindisch und passte einfach nicht zu jemandem, der bald vierzehn Jahre alt wurde, worauf Mica unumwunden stolz war. Seine Stimme veränderte sich bereits. Darauf hatte er schon seit einem Jahr gewartet und war nun, da das Ereignis endlich eintrat, ein Grund um doch lieber zu schweigen. Er rümpfte kurz die Nase und wischte sich über das Gesicht.


    Er war gewiss kein Weichling, sondern fast ein Mann! Athanaos meinte, ein Mann erträgt alles in Würde und so stoisch es eben ging. Zumindest sagte er das bis er sich in Lea, eine junge Sklavin verliebte und fürchterlich theatralisch wochenlang gelitten hatte. Bestimmt tat der Grieche das gerade wieder, denn die Jahreszeit war dazu angetan. Nur Lea würde es nicht wieder sein, denn griechische Stimmungen schienen so wechselhaft wie das Wetter im April. Wer es wohl dieses Mal war, für den den sein junger Lehrer sich zum Gespött machte? Mica dachte flüchtig an seine Mutter Lydia, die meinte, es hätte sicher etwas mit der Philosophie zu tun, dass Athanaos sich in irgendetwas hinein steigerte, ehe sie meinte, dass es eben an den Jahreszeiten läge, dass mal die holden Frauen wie Lea ein großes Thema der Aufmerksamkeit waren. Wenn sie so etwas sagte, dann lachte sie immer. Unwillkürlich musste der Junge grinsen und seine Gedanken kreisten weiter. Sicher war es keine Philosophie. Es war dumm, denn Mädchen generell waren ja auch dumm und kein Grund lang anhaltende Seufzer von sich zu geben und großäugig drein zu schauen, ohne jemals den Kopf in eine bestimmte Richtung zu wenden. Obwohl er inzwischen schon so manches Mal dachte, dass vielleicht ein Quentchen Wahrheit in der stummen Bewunderung stecken konnte. Ada war nett. Sie war so alt wie er selber, doch auch sie war in Baiae geblieben.


    Mica seufzte schwer und blinzelte gegen die Sonnenstrahlen an, die über die Mauer gleißten und alles in ein warmes, freundliches Licht tauchten. Zu Hause wäre er nun bei Athanaos, oder bei Ada oder bei einem der anderen und sie würden lachen. Seine Mutter wäre da und alles wäre weniger...anders. Mit einem heftigen Kopfschütteln versuchte er, alles von sich zu schieben und zu vergessen, dass sogar die Saturnalien in diesem Jahr weniger freudvoll für ihn ausgefallen waren. Er hatte nichts geschenkt und auch nichts bekommen, doch das war auch ganz zweitrangig, wie er verzweifelt versuchte es sich selber einzureden. Die Herrin Agrippina hatte ihn bisher nicht einmal bemerkt und wie er diesen Umstand für sich selber einschätzte, war es gut so.


    Schon wurden seine Gedanken gestört. Es raschelte in einem Busch und eine rot getigerte Katze streckte ihren Kopf hervor und schaute zu ihm hinüber. Mica spannte sich an, warf noch einen flüchtigen Blick auf die anderen im Garten, ehe er sich daran machte, langsam auf das kleine Tier zu zu gehen, als wäre diese Bewegung nichts mehr als ein einziger Zufall.
    Aus dem Augenwinkel heraus sah er die Herrin Agrippina, die durch den Garten schlenderte. Er hatte sie gar nicht bemerkt. Schnell war er von dem Weg herunter, um sie vorbei schreiten zu lassen als auch schon eine weitere Person, mit einem kleinen Tross im Garten erschien. Es war die Herrin Celerina.


    Mica hielt kurz den Atem an und linste zu der Katze hinüber, die sich wieder zurück gezogen hatte und die Ankömmlinge misstrauisch beäugte, ehe sie den Blick auf ihn selber setzte. In der Stimme von Herrin Celerina schwang Verzückung und die hektischen Bewegungen der anderen Sklaven trieb die kleine Katze zurück. Es war gewiss besser, wenn sie nun nicht hervor kam, denn dass sie schwächlich und räudig war, konnte wohl ein Blinder sehen. Gerne hätte er sie weggeschafft, doch so unauffällig wie er es vorgehabt hatte, würde sich das wohl nun nicht mehr realisieren lassen. Mit wenigen, unauffälligen Seitwärtsschritten bewegte er sich dennoch auf den Busch zu. Es war zu dumm, doch er mochte sich auch nicht ausmalen, was man mit der Katze anstellen würde, wenn irgendjemand außer ihm sie entdeckte. Dem leisen Fauchen, das dem Tier entwich, missbilligte er mit einem schnellen Kopfschütteln und er legte den Zeigefinger auf seine Lippen. Das musste nun nicht auch noch sein.