Beiträge von Publius Quintilius Victor

    Victor begann nun in der Bewußtlosigkeit zu stöhnen und sich von einer Seite zur anderen zu werfen, als hätte er einen bösen Traum. Schließlich murmelte er noch unverständlich Worte vor sich hin, wahrscheinlich sogar in der Sprache der Parther.

    "Nein, ich hatte bisher noch keine Probleme mit Fieber." Seine Stimme wurde beim Sprechen immer schwächer und Valerian konnte zusehen, wie sich sein Zustand verschlechterte. "Aber vielleicht ist es ja doch das, was du..." Plötzlich trat Victor weg und dafür bildeten sich blitzartig Schweißperlen auf seiner Stirn.

    Victor ließ sich auf die Bettstatt zurücksinken. "Ich weiß nicht. Ich fühle mich nicht erkältet und weh tut mir so direkt auch nichts, ich fühle mich nur hundeelend." Er schloß die Augen für einen Moment. "Ich habe wohl keinen Appettit. Ich habe heute noch gar nichts gegessen und habe auch keinen Hunger. Bloß Durst." Matt deutete er auf seine Wasserkanne, die auf der kleinen Anrichte neben dem Bett stand. Sie war leer.

    Victor fühlte sich mit den vergehenden Stunden immer elender. Er döste gerade vor sich hin, als es an der Tür klopfte. "Intro!" Er stützte sich mühsam auf die Ellbogen auf. Seine Augen glänzten gläsrig und er war sehr blaß.

    Ein Krankenlager


    Victor war nun gut eine Woche zurück in der heimatlichen Casa. Sein Körper, eine solch lange Ruhe nicht gewohnt, meinte wohl, jetzt wäre es an der Zeit, all die Krankheitserreger zu bekämpfen, die er sich auf der langen Reise zusammengesammelt hatte.
    Er fühlte sich an diesem Morgen so elend, daß er es nicht fertig brachte, aus seiner Bettstatt aufzustehen und die meiste Zeit, wie er es in den letzten Tagen tat, im Atrium zu verbringen. Was er selbst nicht merkte war, daß sein Fieber flott anstieg.

    Victor nickte ein paar Mal leicht, während er Valerian zuhörte. Dann kam Marhabal wieder, um sich für den Gang zum Markt abzumelden. "Ich danke dir, Valerian. Doch heute werde ich noch nicht mit zum Markt gehen. Ich möchte mich zuerst ein wenig ausruhen." Damit erhob er sich, entschuldigte sich bei den beiden Anwesenden und zog sich zuerst einmal in sein Schlafgemach zurück.

    Valerian gab keine genaue Definition darüber, wie er die Zahlung einer solchen Einrichtung handhaben wollte und Victor gab sich damit zufrieden. Zumindest hatte er keinerlei Mitleid aus den Worten seines Vetters entnehmen können und er würde sicher Gelegenheit finden, sich irgendwann dafür zu revanchieren. "Entschuldige, da habe ich mich falsch ausgedrückt. Ich meinte auch ein Badebecken."
    Er hing einen Augenblick seinen Gedanken nach und fragte anschließend: "Müssen wir zu irgendeinem Amt gehen und mich wieder als lebend eintragen lassen?"

    Victor nickte und starrte wieder in seinen Becher. "Ja, es ist nur seltsam, alle Ziele seines Lebens erreicht zu haben und nun von vorn anfangen zu müssen. Ich weiß nicht mal, was ich in Zukunft tun soll. Bisher waren meine Pläne damit ausgefüllt, meine Freiheit wieder zu erlangen und hierher zurück zu kehren." Er dachte über Valerians Worte `Was ich dafür tun kann, daß es so wird, werde ich gerne tun.´ nach und wollte gerne etwas sagen. Doch er brauchte eine ganze Weile, bis er seinen Wunsch über die Lippen brachte. Dann jedoch sah er zu Valerian auf und fragte gerade heraus: "Könntest du mir das Geld leihen, so daß ich vielleicht eine kleine Therme hier einbauen lassen kann? Ich möchte nicht, daß jeder meinen geschundenen Körper sehen kann." Er wollte keine Almosen haben, kein Mitleid über sein früheres Schicksal. Er wollte selbst für das aufkommen, was er brauchte, auch wenn er jetzt noch kein Einkommen hatte.

    "Dann hast du kein schlechtes Leben gehabt." Insgeheim beneidete er seinen Vetter für dieses normale Leben. "Wer ist inzwischen unser Pater Familias? Und wie geht es deiner Schwester?"

    Victors Gesicht und seine Faust entspannten sich nach den nächsten Worten Valerians wieder. Er nickte und ließ, ganz gegen seine Gewohnheit, es zu, daß sein Vetter ihn anfaßte. "Ich verstehe... ja, ich kann es verstehen, daß du prüfen mußtest, ob ich noch ein freier Geist bin." Er rang sich sogar die Andeutung eines Lächelns ab.
    Fragen, ja, tausende von Fragen wollte er stellen, doch wo sollte er anfangen? "Ich habe dir nun meine Geschichte erzählt, dir als einzigem Menschen, seit ich frei gekommen bin. Nun würde ich gerne erfahren, wie es dir in all den Jahren ergangen ist."

    Als er Valerians Frage vernahm blitzten seine Augen zornig, seine Hand ballte sich unwillkürlich zur Faust und er mußte sich sehr beherrschen, um nicht aufzuspringen. Wie konnte er es nur wagen, ihn zu fragen, ob er nun ein Sklave sei?! "Nein, niemand hat mich gebrochen. Ich lief ihm davon und ein edles Roß sollte mein Schicksal sein. Ein ungestümer Hengst, der die Männer seines Besitzers zu töten versuchte. Ich bewahrte dieses herrliche Tier vor der Peitsche und beruhigte es. Sein Besitzer lohnte mir diese Tat, indem er mich meinem Vorbesitzer abkaufte. Ich war damals zwölf Jahre alt und in den Ställen eines der reichsten Männer des Partherreiches führte ich ab dann ein halbwegs erträgliches Leben." Er dachte nun an die etwas bessere Zeit seiner Gefangenschaft zurück. "Doch ich wollte nie dort bleiben. Ich habe stets einen Ausweg gesucht, doch keinen finden können. Bis in einem der letzten unserer Feldzüge gegen die Parther das Dorf fiel. Die Soldaten befreiten mich und nahmen mich mit bis ins Imperium. Doch dann mußte ich mich allein hierher zurückschlagen. Ich hoffte, dich oder jemanden aus der Verwandtschaft zu finden, der meine Identität bestätigen kann."

    Victor hatte Valerian bei den letzten Worten nicht angesehen sondern in seinen Wein gestarrt. Nun hob er ruckartig den Kopf und sah seinem Vetter in die Augen, denn aus ihnen konnte man am Besten die wahre Reaktion eines Menschen sehen. Was er sah, beruhigte ihn, denn er erkannte keine Verachtung und auch kein übertriebenes Mitleid.
    Diese Erkenntnis beruhigte ihn ungemein und so beschloß er, hier und heute alles auf den Tisch zu legen. Er hatte die Erinnerung an diese schwere Zeit nun bereits heraufbeschworen und so würde er die Einzelheiten nun hinter sich bringen und dann diese Erinnerungen so gut es ging aus seinem neuen Leben verbannen.
    So ging er nicht auf Valerians nächste Frage ein, sondern sah sich noch einmal zur Tür des Gartens, in den Marhabal inzwischen verschwunden war, sowie zu der Tür des Quartiers, in dem die Bauarbeiter hantierten. Dann knöpfte er die engen Manschetten seiner langärmeligen Tunika zurück und zog die Ärmel etwas hoch. Dicht hinter seinen Handgelenken verlief breites Narbengewebe gleich zwei Armbändern, die er sich umgeschlungen hatte. Da Valerian die Narben von sehr nah sah, konnte er erkennen, daß es mehrere Verwundungen gewesen waren.
    "Nun, ich war kein guter und gehorsamer Sklave. Bei meinem ersten ...`Herrn´ widersprach ich oft und versuchte etliche Male zu fliehen. Dementsprechend bekam ich oft die Peitsche zu spüren und wurde für die Fluchtversuche tagelang gefesselt, ohne etwas zu Essen zu bekommen."
    Victor hielt erneut inne, knöpfte seine Manschetten wieder zu und trank einen Schluck vom Wein. Es fiel ihm nicht leicht, einem Menschen von seiner Schmach zu erzählen und das konnte man auch deutlich merken.

    Victor nickte zustimmen. "Daran hat dein Vater recht getan. Ich habe die Einzelheiten ja gesehen und glaube mir, sie waren nichts für ein Kind! Niemand außer mir hat überlebt und viele von der Reisegesellschaft sind eines grausamen Todes gestorben." Er hielt inne und sein Gesicht wurde blaß, als er an den Anblick zurückdachte, den er als kleiner Junge ertragen mußte. "Ich wurde von den Parthern verschleppt. Ich wurde ihr Gefangener und später..." Er hielt erneut inne, doch jetzt verfinsterte sich sein Antlitz in unbändigem Hass und ebenso waren die beiden letzten Worte von Hass getränkt. "... ihr Sklave."

    Victor saß da und blickte auf den Wein in seinem Becher. Er bekam mit, wie Marhabal zur Tür ging, als es klopfte, und doch begann er noch nicht zu erzählen. Es fiel ihm schon schwer, an die Tage der Erniedrigungen und der Schmach zurück zu denken, eigentlich wollte er niemandem davon erzählen. Was würde Valerian zu ihm sagen und über ihn denken, wenn er erfuhr, daß Victor als Römer Sklave gewesen war?
    Doch früher oder später würde Valerian seine Narben zu Gesicht bekommen und so entschied er sich, völlig ehrlich zu seinem Vetter zu sein und auf ihre enge Freundschaft als Kinder zu bauen.
    Marhabal war noch einmal hier gewesen, hatte Valerian über die Arbeiter Bescheid gegeben und war inzwischen mit diesen in einem der Zimmer verschwunden, bis Victor sich aufraffte, sich noch einmal räusperte, dann seinen Vetter direkt ansah und zu erzählen begann:
    "Vor vielen Jahren habt ihr hier die Meldung bekommen, daß unsere Reisegesellschaft überfallen wurde. Sie sagten euch, daß alle getötet wurden oder aber nach einigen Jahren habt ihr mich auch für tot erklärt, nehme ich an."

    Victor wich instinktiv ein Stück zurück, als Valerian diese plötzliche Bewegung auf ihn zumachte, um ihn zu umarmen. Doch dann blieb er stehen und fühlte, wie ihm die Knie weich zu werden drohten. Ihm, der schon so viel in seinem Leben durchgemacht hatte, ihn ließ die Erleichterung, daß diese ganze Tortur endlich vorüber war, schwach werden.
    Er hielt Valerian davon ab, sich abzuwenden, um nicht weiter auf seine erste Reaktion eingehen zu müssen. Dann ging er einen Schritt auf diesen zu, hob beide Hände und berührte Valerians Ellenbogen. Langsam ging er weiter auf seinen Vetter zu, sein eigenes, beklommenes Gefühl bei dieser Nähe eines anderen Menschen überwindend, bis die Annäherung schließlich in einer Umarmung endete.
    Er hielt Valerian eine kleine Weile fest, vielleicht hielt er sich auch an diesem fest, das wußte er in diesem Moment nicht genau zu sagen. Als sie sich schließlich wieder trennten, glänzten seine Augen mehr als zuvor, doch darauf ging er nicht weiter ein. Nun folgte er Valerian zu den Bänken.
    "Nun, meine Geschichte ist lang und nicht sehr schön." Dabei warf er einen kurzen Blick zu Marhabal und machte damit recht deutlich, daß er die genauen Umstände erzählen würde, wenn sie alleine wären. "Doch nun laß uns erst einmal zusammen setzen. Ich weiß nicht, wie viele Jahre ich gebraucht habe, bis ich nun endlich wieder hier bin, nicht, wieviele Blasen ich mir gelaufen, wie oft ich mich unter den widrigsten Umständen durchgeschlagen habe..."

    Victor kam einen Moment ins Überlegen. "Ja, Valentina..." Als es ihm dann einfiel, mußte er unwillkürlich lachen. "Natürlich, Valentina nannte uns die größten Quarkköpfe Roms!"

    "Ja, ich kann es dir zeigen." Er ging um Valerian herum, wobei diesem auffallen könnte, daß er dies mit einem etwas größeren Abstand tat, als es vielleicht ein Mensch mit normalen Erfahrungen tun würde. Wir hatten wieder einmal unsere Holzschwerter herausgekramt, du und ich, so wie wir eigentlich jeden Tag damit spielten. An jenem Tag spielten wir ein Gefecht beim Flußübergang, wobei du mich in die Fluten `zurücktriebst´." Das letzte Wort hatte einen etwas ironischen Klang. "Plötzlich machtest du eine großen Ausfallschritt, der mich schnell zurückzwang, so daß ich über die Einfassung des Wasserbeckens stolperte.... nämlich hier..." Er zeigte Valerian sogar die Stelle, die ihn damals ins Stolpern gebracht hatte. "Beim Fallen drehte ich mich um die Hälfte, um mit den Armen meinen Sturz abfangen zu können. Doch leider war der Brunnen bereits zu nah, so daß ich mir genau an dieser Ecke die Augenbraue aufschlug." Er zeigte Valerian die Stelle der Brunnenumrandung, auf die damals so unsanft sein Kopf aufgeschlagen war. "Die Wunde hat gleich stark geblutet. Meine Mutter, Faberia Matinia, hat einen Weinkrampf bekommen und mein Vater, Lucius Quintilius Lupus, hat mir vielleicht den Hintern versohlt, sobald ich nur verarztet war." Beim letzten Gedanken mußte Victor grinsen. Wie oft war er doch nach einem ihrer Streiche über dem Knie seines Vaters geendet.

    Valerian spannte sich unwillkürlich an, als der Praetorianer bis nahe vor ihm kam und dort stehen blieb. Doch dann stellte dieser sich vor und als Victor vernahm, daß er wirklich Valerian war, entspannte er sich wieder ein wenig. "Ich bin Publius Quintilius Victor und es gibt einen Weg, auf dem du mich identifizieren kannst, solltest du der sein, mit dessen Namen du dich vorgestellt hast."


    Während er sprach, forschte Victor in Valerians Augen nach irgendetwas Bekanntem, nach den letzten Worten jedoch ging sein Blick zum Brunnen des Atriums. "Erinnerst du dich etwas nicht mehr daran?" Und jetzt deutete er auch mit einem Kopfnicken in Richtung des Brunnens.

    Victor schreckte aus seinem Schlaf auf, als er Geräusche im Haus vernahm. Er brauchte einen Moment um sich zu orientieren. Wo war er? Wieso hatte er ein Dach über dem Kopf und, was eigentlich noch viel bemerkenswerter war, wieso lag er auf einem Bett?


    Dann hörte er Stimmen im Atrium. Die Stimme eines fremden Mannes, oder war darin nicht doch etwas Bekanntes? Langsam stand er auf und öffnete die Tür. Unter derselben blieb er stehen und musterte mit mißtrauischem Blick den Mann in der Uniform eines Prätorianers, den Marhabal bei sich hatte. Sollte das Valerian sein? Oder hatte der Punier jemanden mitgebracht, der ihn verhaften sollte, weil er ihm doch nicht traute?