Gracchus sagte nichts. Er kritisierte nichts. Das sollte genug sein für sie, dachte sie sich. Hätte er mehr wissen wollen, hätte er sicher nachgehackt. Doch so beließ sie es dabei. Innerlich konzentrierte sie sich auf das bevorstehende Opfer, je näher sie dem Altar der Pax kamen. Schlussendlich kamen sie vor ebendiesem zu stehen. Sie würden hier warten. Gut, das sollten sie tun, dachte sie sich, holte tief Luft, nickte und ging dann kurz fort, um dies zu machen, zu den Tempeldienern zu gehen.
Von dem Gespräch mit den Tempeldienern gab es nicht sehr viel zu bereden. Romana war schon gestern hier gewesen und hatte ihre Opfergaben abgeliefert. Sie trat an einen Popa heran, welchen sie begrüßte, ihm sagte, wer sie war, und was genau nun zu tun war. Die unblutigen Opfergaben sollten hinein, das Schaf hingegen sollte hinaus geführt werden und am Altar festgebunden werden.
Sie wartete ein paar Minuten, bevor der Popa zurückkam und ihr mitteilte, dass alles bereitet war. Im selben Augenblick kam ein Popa, der das Schaf von gestern, weiblich wohlweislich, und schneeweiß, welches schon geprüft worden war, mit sich führte, und begann, es ans Altar festzubinden, damit es nicht fortlaufen konnte.
Romana wandte sich um und schritt zu ihren beiden Prüfern zurück. Sie blieb stehen und blickte die beiden an. “Es ist alles bereit. Ich werde nun mit dem Opfer beginnen.“ Sie war schon ein wenig nervös, wenn es nun ein Zeichen des Einwandes von einem der Pontifices gegeben hätte, hätte sie es nicht bemerkt. Sie atmete noch einmal tief aus. Vesta, gib mir die Kraft, dieses Opfer gut zu vollziehen, dachte sie sich innerlich, und schritt dann, mit der vollen Pracht ihrer weißen Gewänder, die Tempelstufen hinauf, woraufhin sie den Tempel betrat.
Ein Waschbecken stand am Eingang des Tempels. Noch immer ein wenig wie mechanisch schritt Romana auf diesen zu und tauchte ihre Hände kurz ein. Es war die vorrituelle Reinigung, die sie nun machte.
"Möge dieses Wasser alle Unreinheit von meinem Körper waschen wie das Verwandeln von Blei in Gold. Reinige den Verstand. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. So ist es." Dies waren die Worte, die sie sprach, als sie ihre Hände reinigte.
Kaum war die rituelle Handwaschung getätigt, wandte sie sich zu der Statue der Göttin Pax hin, vor der ein Altartisch aufgebaut war, daneben stand ein kleines Opferfeuer. Davor freilich waren die Opfergaben platziert. Es war nicht nur Weihrauch, sondern auch Dinkelbrot, Münzen, Blumen, und ein silberner Weinkrug.
Romana ergriff etwas vom Weihrauch und warf es in den Foculus. Der Weihrauch fing an zu lodern, und schon nach ein paar Sekunden entwickelte er den für ihn typischen Rauch mit dem markanten Geruch. Die Claudierin erhob ihre Hände in Gebetsstellung, achtete dabei darauf, dass sie auch schön aufrecht stand, und begann dann. “Pax, Friedensstiftende, nimm an dieses Brot, möge es dir zur Ehre gereichen.“ Sie nahm das Brot auf und legte es auf den Altartisch, präsentierte es so also vor Pax, beziehungsweise ihrer Statue. “Pax, Friedensstiftende, nimm an diesen Wein, möge er dir zur Ehre gereichen!“ Sie stellte den Wein hinauf. “Pax, Friedensstiftende, nimm an diese Münzen, mögen sie dir zur Ehre gereichen!“ Die Münzen klimperten, als sie sie hinauffallen ließ. “Pax, Friedensstiftende, nimm an diese Blumen, mögen sie dir zur Ehre gereichen!“ Eine Handvoll Blumen fand ihren Weg auf den Altartisch. Dann drehte sich Romana mit einer energischen Bewegung nach rechts. Das Voropfer war abgeschlossen.
Es war Zeit für Romana, hinauszugehen. Das tat sie auch, nachdem sie noch einmal tief Luft geholt hatte. Als sie hinaustrat, war dies ein Zeichen an die Opferhelfer. Natürlich hatte sie sich mit diesen schon abgesprochen. Ein Popa, als Herold fungierend, rief mit kräftiger Stimme: “Favete linguis!“ Die Tibicines begannen zu spielen. Romana schritt hinunter, und die Flötenspieler mit ihr mit. Sie steuerte das Tier an, welches bereits schon unten lag, von seinem Schicksal nichts mitkriegend, vielleicht nur vom Lärm verstört.
Vorm Vieh blieb sie stehen, holte tief Luft und verkündete dann mit lauter Stimme: “Pax, Göttin des Friedens, sieh herab! Dir sei dieses Tier geweiht! Möge es dir gefallen, wenn es ein gutes Opfer ist!“ Noch einmal kam jetzt eine Waschung, als ihr eine Schüssel von Wasser gereicht wurde, sie die Hände hineintunkte und diese dann am mallum latum, welches ihr nun gereicht wurde, abtrocknete. Nun war alles bereit für die mola salsa, die ein Popa begann, über das Tier zu streichen. Sie wartete ab, bis jener dies getan hatte, worauf ihr dann das Messer vom Victimarius ausgehändigt wurde. Sie strich damit sorgfältig und langsam über den Rücken des Schafes, welches wohl mit Kräutern beruhigt worden war, da es nicht einmal jetzt mehr aufmuckte.
Anschließend übergab sie das Messer wieder dem Victimarius, und Romana setzte zum Opfergebet an. Sie erhob ihre Hände und sprach, das Flötenspiel mit ihrer altlastigen, samtigen Stimme übertönend: “Pax, Friedensstifterin, große Göttin. Du, die uns schon so lange Frieden schon geschenkt hast hast, die uns vor Barbaren an unseren Grenzen und Aufständischen in unseren Straßen bewahrt hat, ich rufe dich an. Höre meine Bitte. Ich war stets dir fromm und gläubig gegenüber. So bringe ich dir auch heute ein Opfer, dieses Schaf hier, von deiner frommen Verehrerin Claudia Romana. Pax, gewähre mir diese Bitte! Gewähre mir, der Stadt Rom, dem römischen Reich, und dem Atrium Vestae Frieden, der so ewig andauern soll wie das römische Reich! Sowie du mein Gebet erhörst, werde ich dir auch weiterhin opfern. Reiche Gaben sollst du auch in Zukunft von mir erhalten, wenn du mir gibst, so wie ich dir gebe.“ Sie drehte sich nach rechts, das Gebet war abgeschlossen. Ein Popa übergab ihr einen goldenen Becher, aus welchem sie dem Tier eine Winzigkeit Wein als Trankopfer über dem Kopf schüttete, sowie sie dann den Becher zurückgab. Das Opfer war bereit.
Sie drehte sich langsam zum Victimarius hin, der ihren Blick richtig interpretierte.
“Agone?“ Romana antwortete: “Age!“
Und der Victimarius schnitt dem Schaf die Kehle durch. Das Schaf bemerkte sein Ableben gar nicht mehr, nur noch Blut floss aus seiner Kehle. Ein Popa eilte herbei, um das Blut aufzufangen. Der Victimarius derweil schnitt den Bauch des Tieres auf, schnitt die Eingeweide fachmännisch heraus, und platzierte diese auf ein Tablett, welches er anschließend Romana übergab.
Diese ließ ihren Blick auf die dargebotenen Innereien sinken, doch ganz konnte sie nicht verhindern, dass sie eine Sekunde zu den Pontifices hinschielte. Wie dachten diese über ihr Opfer?
[SIZE=7]EDIT: Reinste Kosmetik[/SIZE]