Beiträge von Claudia Romana

    Je mehr Romana redete, desto verzweifelter wurde sie innerlich. Sie selber sah sich in einer absolut aussichtslosen Lage. Calvena zog sie zu sich hin, doch Romana bemerkte auch dies nur am Rande. Kraftlos baumelten ihre schlanken, langen Arme an ihrer Seite herunter, als Calvena sie an sich zog und ihr wohl mit dieser herzlichen Umarmung Kraft zu schenken gedachte. Doch Romana fühlte sich nicht besser deswegen. Bei den Göttern, diese Frau war die Nichte von ihm! Was sollte sie da empfinden? Schon gut? Gar nichts war gut!


    Und genau diese Einsicht brachte sie auch dazu, zu fluchen wie ein Fuhrknecht. Eigentlich hätte sie sich deswegen in Grund und Boden schämen müssen, wenn sie so darüber nachdachte, aber Scham war nicht, was sie empfand, zumindest primär nicht. Zuallererst empfand sie... ja... Erleichterung. Erleichterung darüber, dass sie endlich ein Ventil gefunden hatte, mit der sie ihrem Frust Ausdruck verleihen konnte; die Gossensprache. Sie hoffte, sie hatte jetzt dadurch Vesta keine zu große Schande bereitet... Calvena würde es sicherlich nicht vertratschen. Aber man wusste nie, sie würde dann noch ein kleines Sühneopfer an Vesta richten.


    Ein leises “Umpf!“ entfuhr ihr dann aber doch, als sie sich am Arm gepackt fühlte. Huch? So resolut kannte sie Calvena gar nicht. Da sie dann doch vermeiden wollte, dass die Germanicerin ihr den Arm ausreißen könnte, erhob sie sich brav, wenn auch nur widerwillig, und ging Calvena nach, in jenem raschen Tempo, welches die Germanica vorschrieb.


    Nach ein paar Schritten gelangten die beiden, nicht sehr elegant gerade, in die Exedra. Ägyptisch war sie eingerichtet, dachte sich Romana, ein wenig abfällig. Diese Ägypter, was man wohl an ihnen fand? Wie es schon Laevina gesagt hatte, ein Volk von hirnlosen Kameltreibern... die Claudierin ließ sich ungelenk nieder, verunsichert umher schauend.


    “Ich...“, begann sie. Doch was sollte sie sagen? Am Liebsten hätte sie lauthals protestiert dagegen, dass man ihr solch eine Behandlung zufügte. Doch Romana wusste selber, dass sie sich da zurückhalten sollte. Wer austeilte, sollte auch einstecken können... oder so ähnlich.


    Was sollte sie nun sagen? Auch wenn Calvena ihr versichert hatte, sie müsste nichts sagen, war sich Romana der Tatsache bewusst, das irgendetwas gesagt werden musste. Sie konnte jetzt nicht einfach nur dasitzen und Calvena anstieren.


    “Ich habe mich in Sedulus verknallt.“ Es war draußen. Es hatte nur zwei oder drei Sekunden gedauert, diesen Satz zu sagen, und trotzdem war es Romana wie eine Ewigkeit vorgekommen. Ihre Mundwinkeln zogen sich nach unten, und mit einem Mal schlug sie ihre Hände vors Gesicht, als ob sie sich bestrafen wollte. Ein ersticktes Schluchzen drang zwischen den Fingerritzen hervor, bevor Romana ihre Hände wieder runter nahm. “Und es ist ein schreckliches Gefühl. Ganz und gar schrecklich.“ Was Calvena nur mit ihrer Liebe hatte! Romana kam da nicht mehr mit. Sie selber wurde durch ihre (post)pubertäre Anwandlung hart mitgenommen.


    “Was soll ich jetzt nur tun?“ Sie zwang sich dazu, tief durchzuatmen und Calvena anzuschauen. Mit einem Blick, der klar machte, dass sie sich Trost erhoffte, und auch einen machbaren Vorschlag.

    “Nicht?“ Sie blinzelte ein wenig, wie immer, wenn sie ein wenig verwundert war. Natürlich hatte er es nicht so gemeint, als er dem anderen das Joghurt über den Kopf geschüttet hatte! In Wirklichkeit wollte er ihm wohl den Kopftätscheln, und hatte dabei vergessen, dass er die Joghurtschüssel in der Hand hielt? Die Claudia legte ihren Kopf ganz leicht schief, unbewusst eher. Der Aelier war für sie schon unten durch, das wusste sie jetzt schon. Obwohl er schon für sie einen Spitznamen weg hatte... der Joghurtinger. Ja, das war ohne Zweifel passend. Aelius Ioghurtus war ein guter Name, und seinen Cognomen hatte sie ohnehin schon bereits vergessen. Sie atmete tief ein, und stellte ihren Kopf wieder gerade auf. So war gut. Sie würde dieses Thema einfach nicht weiter ansprechen, Axilla schien sich eh schon unwohl genug dabei zu fühlen.


    Auch zu Leander sagte Romana nichts mehr. Sie hielt ihn für absolut unbedeutend. Er war kein Mann, der ihr im Gedächtnis bleiben würde, und damit hatte wohl Aelius Ioghurtus ihm etwas voraus.


    Um ehrlich zu sein, was Axilla über die Alexandriner und die Verwaltung ihrer Stadt zu sagen hatte, das sagte ihr schon ein wenig mehr zu. Exegetes waren also eher Aeditui, wenn sie es sich richtig überlegte. Also, keine Aeditui im richtigen Sinne, sondern höher gestellte von jenen. Wobei, die Griechen waren sowieso seltsam und hatten alle einen Knall, da konnte man es gut erwarten, dass sie das ganze mit den Prioritäten falsch gewichteten. Und sie hörte auch weiterhin zu, einmal 2 oder 3 Sätze, bis dann schließlich Axillas Ausführungen begannen, ihr Desinteresse zu wecken. Was sie sagte, war unzusammenhängend und trivial. Irgendwelche Kulte halt, von irgendwelchen Peregrini, die keine Ahnung vom Tuten und Blasen hatten, und es nicht verstanden, richtig, das heißt, wie ein Römer, zu opfern. Ja, Romana war heute wieder mal sehr tolerant eingestellt, schien es scheinen zu wollen.


    Sie gab mit einem anfallenden “Mhm“ und “Aha“ zu verstehen, dass sie Axilla noch folgte. Sie wollte es sich nicht mit ihrer neuen Freundschaft verderben, denn Axilla schien sehr nett. Traditionsbewusst war sie wohl auf jeden Fall. Nur ein wenig... wie könnte man es sagen? Ja, ein bisschen naiv. Für die bodenständige Romana hatte es zwar ein bisschen von einem Rätsel an sich, dass so eine gebildete Frau, wie es die Iunia schien, so etwas kindliches an sich haftete. Dabei schien sie so alt zu sein wie Romana selber. Aber, musste sich Romana ins Gedächtnis rufen, was für einen Eindruck musste sie gemacht haben, als sie gerade erst einberufen worden war in den Orden? Ja, dachte selber, sie war gereift, sehr gereift. Und doch hoffentlich nicht verknöchert. Vielleicht war es ja so, dass sie das war. Verknöchert. Und Axilla war ganz einfach normal in ihrer Anschauung, und Romana war zu kritisch.


    Ein wenig geplagt also von Selbstzweifeln war das Lächeln, welches Romana Axilla schenkte, als jene zu Ende war. “Das klingt alles sehr interessant... aber ich glaube, das wäre nichts für mich...“, gab sie zu. Weitaus erfreuter war sie, als Axilla sagte, sie könne sie begleiten. “Das freut mich wirklich!“, meinte sie mit ehrlicher Glücklichkeit und machte sich daran, zu gehen. Es war schon lustig, Axilla schien sich tatsächlich schwer zu tun, mit ihren Schritten mit zu halten. Nun, Romana hatte sich schon daran gewöhnt, dass es anderen so ging, und so temperierte sie ihr Schrittmaß.


    “Was wir den ganzen Tag so machen? Ach, allerlei... vor allem sind wir damit beschäftigt, feste vorzubereiten. Jeden Tag gibt es ein Opfer an die Laren, und wir säubern den Tempel... also symbolisch, bewachen natürlich das Feuer, bewachen aber auch die Testamente, und...ja...“ Sie zuckte die Schultern. “Einiges an der Zeit, die wir haben, schlagen wir einfach nur tot. Wir...“ Sie drehte sich abrupt um und stierte nach hinten. “Parthenope!“
    Eine Gestalt, die hinter ihnen zurück geblieben war, sinnlos an den Horizont starrend, drehte sich um und kam zu Romana gelaufen. Parthenope hatte es nicht mitgekriegt, dass sich die Erde weiter gedreht hatte.
    Romana blickte zu Axilla und seufzte. “Also, wir stellen auch mola salsa her. Und natürlich halten wir den Hort der Vesta im Peristylium in Schuss. Das ist vorläufig meine Aufgabe.“ Sie grinste. “Ich verstehe was vom Gärtnern, weißt du? Es ist ein geheimes Hobby von mir.“

    Ach je. Calvena war hier, und sie ließ sich nicht abwimmeln. Romana hatte keine Ahnung, was sie jetzt noch tun sollte. Sollte sie die Germanica anfahren, dass sie verschwinden sollte, dass sie alleine zurecht käme mit all ihrem Kummer, ihrem Leid, ihrer Seelenpein? Sollte sie sie höflich bitten, zu gehen? Sollte sie ihr ihr Herz ausschütten?


    “Alles in Ordnung...“, flunkerte sie. Calvena würde dies wohl durchschauen. Und ja, sie redete weiter auf sie ein. Romana presste ihre Lippen zusammen. Mit ihrer direkten, offenen und ehrlichen Art war sie bisher immer gut gefahren. Wieso sollte sich dies nun ändern?


    “Calvena, meine Liebe. Du redest von reden, von anvertrauen... ach ihr Götter...“ Die Claudierin klang traurig, eine ungewohnte Gefühlsregung für eine Frau, die, wenn sie nicht schon fröhlich war, sich bemühte, würdevoll zu sein. “Wenn ich es dir erzähle, dann wirst du es ablehnen. Sollten Serrana und Sedulus davon erfahren, werden sie mich dafür hassen. Sollte die Obervestalin und der Kaiser davon erfahren, werden sie mich umbringen. Und... sollte ich es selbst sagen, über meine Lippen bringen, werde ich jeglichen Respekt vor mir selbst verlieren, denn dann ist ausgesprochen, was nicht sein sollte, und was ich auch nicht sagen mag.“ Sie schniefte. “Bitte. Bitte zwing mich nicht dazu. Lassen wir uns gehen, lassen wir uns einen schönen Abend hab... hab... verbr...“ Ihre Schultern und ihr Kopf sackten nach unten. Sie keuchte. In ihren Augen war ein Glitzern zu sehen, wie von Nässe.


    “Es ist alles ein verdammter Mist, wirklich, ein elender Scheißmist! Alles ist eine verfluchte Scheiße, und ich bin eine Scheißvestalin, mich kannst du gleich da die Latrine runterspülen!“ Ihre zittrigen Hände legte sie an ihre Augen und versuchte, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Romana war beileibe nicht nahe am Wasser gebaut, und es mochte erschütternd wirkend, sie so zu sehen. Vor allem, weil sie niemals solche Worte wie gerade eben in den Mund nehmen würde. Alles wirkte falsch an diesem Abend, und Romana hatte auf einmal das dringende Bedürftnis, wegzugehen, einfach zu gehen, zu fliehen, vor Calvena, vor diesem blöden Gedudele im Atrium, vor dieser Villa, vor... vor Sedulus.


    “Ich muss weg...“ Sie stand auf, ergriff ihre Palla und versuchte, Calvena beiseite zu schieben.

    Beide Pontifices waren Senatoren, wie man unschwer an den Streifen erkennen konnten, welche die Tuniken herabstrebte. Der Flavier mochte etwas älter sein wie der Aurelier, Romana konnte es nicht gut einschätzen. Flavius, ihre Schwester Epicharis hatte einst einen Flavius geheiratet. Aristides hieß er. Die beiden hatten schon lange nichts mehr von sich hören lassen... die Menge an Villen, welche die Flavier ohne Zweifel besaßen, mochten sie verschluckt haben.


    Ihr Lächeln wurde untermalt von einem kaum merklichen Kopfneigen, einmal zu Corvinus, einmal zu Gracchus hin, als diese nacheinander sie begrüßten. Die Augenmerke der beiden lasteten auf sie, betrachtend, wertend gar? Während sich der Aurelius distanziert gab, lächelte der Flavius ein wenig, fast, als ob etwas an ihr ihn amüsieren wollte. Es mochte ihre Größe sein.


    Sie nickte eifrig zu ebendiesem hin, als er sie ansprach auf die Prüfung. “Das stimmt, das ist richtig. Und ihr seid jene, die diesen Schritt beaufsichtigen werden“, stellte sie fest. “Ich hoffe, wir können bald beginnen?“ Sie fühlte sich, um der Wahrheit zu entsprechen, etwas... man konnte es zappelig nennen. Sie wurde doch jetzt nicht etwa nervös? Die Pontifices würden ihr jetzt sicherlich gleich die entsprechenden Instruktionen geben, oder mussten sie sich vorher noch bei der Obervestalin melden? Mit Schrecken fiel Romana ein, dass sie zwar hart für die Prüfung gebüffelt hatte, jedoch niemals das Vorgeplänkel durchgegangen war.

    Ja, da hat Lando Recht. Es gibt nicht nur den militärischen Weg, um eine eigene gens zu gründen, auch wenn die meisten das hier so machen... du könntest ja auch z.B. als Klient ins Gefolge vom Legatus Augusti pro Praetore gehen. Oder gleich nach Rom gehen und die einflussreichen Leute dort so lange nerven, bis zu dein Wunsch erhört wird. ;)

    Die Parzen waren rätselhafte Frauen. Nur ihre Existenz alleine erklärte, wieso des Menschen Schicksal manchmal so wunderlich verliefen. Manches schien bestimmt zu sein. Manchs schoen göttergewollt zu sein.


    Vielleicht war es göttergewollt, dass gerade zu dieser Stunde Romana Wachdienst an der Türe hatte. Und zwar schon seit mehreren Stunden – um exakt zu sein, bald würde sie wohl abgelöst werden von einer gnädigen Gestalt in der Form einer älteren Vestalin, der das Wache schieben wohl aber noch mehr auf die Nerven zu gehen schien als Romana. Romana hatte immerhin ihre griechischen Romane.


    Diese Bücher hatten enorm dazu beigetragen, dass sich ihr griechisch so gravierend verbessert hatte. Mittlerweile war es schon so gut wie ihr etruskisch, welches für sie ja gewissermaßen eine zweite Muttersprache gewesen war. Es fiel ihr nunmehr leicht, mit Parthenope gehaltvolle Konversationen zu führen, und durch Bücher zu gehen, sie nicht nur zu überfliegen und Bruchstücke herauszufiltern, sondern sie zu lesen, zu absorbieren, in ihrem ganzen Gehalt. Ja, man konnte sagen, die Beherrschung jener außeritalienischen Sprache hatte durchaus ihren Horizont erweitert. Früher hatte sie die Griechen verachtet, heute aber hatte sie schon eine größere Meinung von ihnen. Auch wenn sie sie niemals als so hochstehend betrachten würde wie ihre italischen Nachbarn.


    Gerade, als sie das Buch – es war eines von Thukydides, also besonders feine Kost – noch ein wenig ausfahren wollte (es war ja eine Schriftrolle), klopfte es. Eilends ließ sie die Litertaur neben sich auf den Boden fallen, stand auf und öffnete die Türe.


    Ein blonder Sklave mit sehr kurzen Haaren stand draußen und schnarrte sie an. Grußlos, wie es Romana unangenehm auffiel. Sie mochte es nicht, wenn Leute nicht grüßten. Manchen, wie diesen erbarmungswürdigen nervösen Menschen, den Calvena gesendet hatte, konnte sie dies verzeihen, doch so einem Kerle, der arrogant wie 12 Patrizier auf einem Haufen daherkam, nicht.


    Allerdings währte ihre Erbostheit für gerade anderthalb Sekunden, bevor sich auf ihrem Gesicht ein strahlendes Lächeln ausbreitete. Zwei Pontifices! Hier, um sie zu prüfen!


    Wie lange hatte sie schon auf diesen Augenblick gewartet! Sie wusste, dass die Pontifices dieser Tage erwartet wurden, und hätte gefasst reagieren sollen, doch innerlich war sie nun komnplett aufgewühlt. Wenn alles richtig ging, würde sie noch heute Sacerdos Vestalis werden! Dann wäre sie Vollvestalin, käme in den vollen Genuss aller Privilegien der Vestalinnen... es war unfassbar.


    Mit einem wunschlos glücklichen Gesicht wandte sie sich an die Pontifices. „Salvete, Pontifices Flavius et Aurelius! Die Parzen wollten es, dass ich selber hier an der Türe stehe. Ich bin Claudia Romana“, stellte sie sich artig und ordnungsgemäß vor. Prüfung... Prüfung... sie konnte an nichts anderes mehr denken... sie trat hastig aus dem Weg, um dem Aurelier und dem Flavier freien Einlass zu gewähren.

    Romana bekam von dem ohne Zweifel beeindruckenden Spektakel, welches Septima da aufgezogen hatte, nicht so viel mehr mit. Vielmehr war sie eilends auf die Latrine gestürmt, hatte die Türe hinter sich zugemacht, die Palla sich vom Leibe gerissen und aufgehängt, und nun setzte sie sich auf die Kloschüssel.


    Einmal, bei den germanicern, war es ihr auf der Latrine schlecht gegangen. Und jetzt, bei den Aureliern, ging es ihr wieder auf einer Latrine fest, dieses Mal wegen eines komplett anderen Grundes. Sedulus... Verlobung... Sedulus... Verlobung mit Iunia Serrana, ging ihr durch den Kopf, immer wieder, wie in einer Endlosschleife.


    Dass sie nicht die Intention hatte, sich an körperlichen Säften oder was auch immer zu erleichtern, konnte man daran sehen, dass sie ihr Gewand nicht hochzog, sondern einfach nur auf der Latrine vor sich hinhockte. Verlobung... Verlobung... es klang wie ein böser Fluch, den sie sich aufgeladen hatte, mit dem sie sich beladen hatte, mit dem die Götter sie bestraften. Es ging nicht einmal um Sedulus. Nein, Romana könnte jüngere, besser aussehende Männer aus noblerem Blut bekommen, auf jeden Fall Männer mit besseren Manieren. Es war nicht der springende Punkt. Jener war, dass sie es könnte, wenn es ihr nicht verwehrt wäre. Und genau diesen Punkt hatte man ihr jetzt gerade ungeniert um ihr Gesicht gehauen.


    Sie bemerkte, wie ihr eine einzelne, große Träne über ihre linke Wange kullerte. Die Claudia drückte die Augen fest zu und wischte sie sich weg. Dann erhob sie sich, n der Latrine, und breitete die Arme aus.


    „Große Vesta, die du meine Hand über mich haltest, wie du es schon immer getan hast, seitdem du mir erschienen bist. Ich war dir eine treue Dienerin und habe dir oft geopfert. Jetzt bitte ich dich, ich bitte dich um die Gelassenheit, das Schicksal, welches mir die Parzen und du zugedacht haben, anzunehmen, und nicht zu jammern wie ein Waschweib. Wenn du mir diese Gnade gewährst, werde ich dir auch weiterhin treu sein und dir dienen bis ans Ende meiner Tage.“


    Sie hatte keine Ahnung, als sie sich nach rechts drehte, ob Vesta ihr Gebet erhört hatte... aber besser ging es ihr jetzt auf jeden Fall. Sie fühlte sich erleichtert. Es würde kommen, wie es kommen würde, das wusste sie jetzt.


    Sie setzte sich wieder, schnappte sich ihre Palla, und wollte sie sich gerade überwerfen, als sie die Stimme von Calvena hörte. Ach je, die liebe Calvena war offenbar voller Sorge ihr nachgegangen. Romana nahm sich zusammen, machte die Türe auf und versuchte sich an einem Lächeln. „Calvena! Was ist denn? Hast du dir Sorgen um mich gemacht? Das musst du nicht, mir geht es gut, schau!“ Sie versuchte weiterhin tapfer zu lächeln.

    Romana hielt sich weder für dumm noch für begriffsstutzig, und sie war es wohl auch nicht, zumindest hoffte sie dies. So hatte sie schon bemerkt, was Axilla von Vala gesagt hatte, und dass ihre Worte durchaus eine Wärme beinhaltet hatten für diesen Duccier. Die Erklärung der Iunierin erschien ihr schon ein wenig baufällig, dachte sie selber zumindest, aber sie entschloss sich, dies nicht weiter zu kommentieren. Es war nicht ihr Anrecht, dort reinzuschwatzen, auch wenn sie selber es natürlich nicht als so ideal befand, mit einem Herren auszugehen, mit dem eine Frau weder verheiratet noch verlobt war. Doch dies war Mode so geworden in Rom, wie es aussah, und es war nicht an Romana, sich gegen Trends zu stemmen.


    So nickte sie nur, den Duccier Duccier sein lassend. Es würde schon alles seine Ordnung haben. Doch eines konnte sie sich doch nicht verkneifen. „Süßspeise, ach ja. Aber eigentlich war er das gar nicht mit der Süßspeise, er war nur das Opfer. Der wirklich mit der Süßspeise, das war doch dieser Aelier, oder? Der so gemein dreingeschaut hat.“ Romana hätte niemals so geredet, wenn sie gewusst hätte, dass Axilla wirklich etwas an Archias lag. Doch so schien ihre direkte Art geradwegs durch sie durch.


    Auch Romana blickte kurz zu Leander hinüber, allerdings nicht mit dem selben stolzen Blick wie Axilla. Viel eher taxierte sie ihn mit einem Blick, der wohl besagen sollte, dass sie ihn nicht einmal geschenkt nehmen würde. Das war auch schon alles. Weiter sehenswürdig war dieser Grieche wirklich nicht, sodass die Claudierin ihren Kopf zu Axilla wieder hinwendete.


    Nun bekam sie etwas von dem politischen System Alexandrias mit... eigentlich nicht uninteressant. Ein Exegetes war ein Pontifex? „Ach, also war sie eine Hohepriesterin!“, konkludierte Romana befriedigt. „Das ist ja sehr schön! Der Dienst an den Göttern ist die höchste Ehre von allen! Aber die Opfer werden in Alexandria sicher nach dem Ritus Graecus ausgeführt.“ Um ehrlich zu sein, interessierte es sie wirklich. Zwar hielt sie selber die römische Art und Weise, den Göttern zu huldigen, für die beste, und hielt die ausländischen Götter letzendlich auch nur für eine Abart der wahren, der römischen Götter, doch das musste nicht heißen, dass sie es ablehnte, über diese fremden Kulturen mehr zu erfahren. Im Gegenteil, sie hatte ja auch schon diese Duccierin, Clara, und Sedulus mit ihren Fragen zu den Germanen genervt.


    Es war aber nur zu gut für Axilla, dass Romana nicht ihre Gedanken lesen konnte. Sonst hätte das ganze jetzt an dieser Stelle recht tragisch enden können. Romana, als gute Römerin, sah die Götter als Vertragspartner, allerdings nicht der menschlichen Sorte, sondern einer höher stehenderen, hochgeistigeren Variante, eine Art anbetungswürdige Kaufleute waren die Götter wohl. Und sie verhielten sich recht fair gegenüber den Menschen, wenn man bedachte, dass diese ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren.


    Bei Romana hatten sich die Gesichter sowie die dazu gehörigen Namen ins Gedächtnis gebrannt, sodass sie jetzt für den Rest ihres Lebens wissen würde, wem aus dem Weg zu gehen war. Der Dürren und der Dicken. Abscheuliche Menschen – sicher lästerten die auch, wenn man nicht hinguckte, der lieben Götter.


    “Nein, da hast du Recht, das sollten wir wirklich nicht“, stimmte sie Axilla zu. Für sie war damit dieses Thema beendet, und das war auch gut so, war es doch schrecklich unerfreulich.


    “Wieviel Zeit ich habe?“, echote sie sie Frage und blinzelte kurz angestrengt. “Hmm... bis zum Sonnenuntergang, hat mir die Obervestalin gesagt.“ Also noch mehr als genug Zeit. Trotzdem, sie wollte jetzt einmal weiter machen. “Sag, magst du mich vielleicht ein bisschen begleiten auf meiner Inspektionstour?“, fragte sie. “Natürlich nur, wenn du Zeit hast.“ Sie selber würde sich freuen darüber.

    Zitat

    Original von Lucius Iulius Centho


    Romana traute ihren eigenen Augen nicht, als Centho einen Haufen Schriftrollen von irgendwoher herzog. Woher hatte er die jetzt plötzlich hergenommen? Doch sie hatte keine Zeit, über das plötzliche Auftauchen dieser Schriftrollen nachzusinnen, denn sie musste hastig nach vorne greifen, um die Schriftrollen ergreifen zu können. Mit viel Glück und etwas Geschick schaffte sie es, dass ihr die Rollen nicht runterfliegen.


    „Bona Dea, es muss eine wahrhaftige Epidemie geben in Rom, dass so viele Leute sterben...“, wunderte sie sich, nickte Centho nochmals zu und meinte: „Ich bin bald wieder da.“ Mit ihrem rechten Fuß stieß sie sorgsam die Türe zu.


    Und Centho musste warten. Lange warten.


    Irgendwann erschien Romana wieder in der Türe, den Kopf schüttelnd. „Kein einziges Testament.“ Sie selber war recht entsetzt darüber. Testamente zu amchen, war eine gute römische Tradition, dass niemand dies machte, bezeugte, dass ihnen das Wohlergehen der Familie nach ihrem Tod ganz und gar egal war.


    Sie zuckte die Achseln. „Tut mir sehr Leid... das bedeutet jetzt sicher vermehrte Arbeit für dich.“ Dabei viel ihr ein, sie selber hatte noch gar kein Testament gemacht, obwohl ihr dies zustand. Aber ihr Vermögen war gering, und sie hatte keine Ahnung, wie sie es aufteilen sollte. Vielleicht war eben dies das große Problem, welches die Leute dazu veranlasste, keine Testamente mehr zu machen.

    Romana läqchelte, als er ihr versicherte, dass es ihn ebenfalls freute, und zuckte dann die Achseln, als Centho sein knappes Ergebnis bedauerte. „Dabei sein ist alles“, zitierte sie den Wahlspruch der olympischen Spiele –waren nicht nächstes Jahr wieder welche in Olympia?


    Wie dem auch sei, bei Centhos Frage verzog sie die Lippen ein wenig – nicht abschätzig, sondern nachdenkend. „Nun... äh, es ist nicht üblich, dass Decemviri hineinkommen ins Atrium Vestae.“ So weing Männer wie möglich sollten sich auf diesen Gefilden aufhalten, so war das nun einmal. „Am Besten gibst du mir die Liste der Gestorbenen, und ich übergebe sie dann einer älteren Schwester, damit sie die entsprechenden Dokumente suchen kann.“ Sie als Schülerin hatte ja noch keinen Zugang zu den Testamenten, aber dieser Zustand würde nicht mehr lange anhalten! Da war sie sich sicher.


    „Also, gibst du mir die Liste? Ich bin dann gleich wieder zurück!“, versprach sie.

    Es hätte ihr schon vorher auffallen müssen. Die Art, wie er Serrana anschaute. Wie sie immer beisammen waren. Bei der Verlobungsfeier bei den Iuliern, genau, da hatte er sie geküsst, auf eine Art und Weise, die sie für rein freundschaftlich erachtet hatte – doch da war mehr dahinter. Wie auch jetzt, als er ihr sichtbar zuzwinkerte, wie sie es aus ihren Augenwinkeln bemerkte. In ihrem gesicht wurde sie eine Spur weißer, als es normal war. Irgendwie drangen Serranas Worte an ihr Bewusstsein, welches kurz davor war, sich auszuknipsen. Wir werden heiraten, ist das nicht wundervoll? Ihr Herz schlug schneller, es war nicht das freudige Herzklopfen, welches man hatte, wenn man die große Liebe sah, sondern eines, welches einherging mit Panik, mit Schrecken, mit Klammheit. Ihr feldherrenmäßig-provokanter Gesichtsausdruck schwand von der einen auf die andere Sekunde, und machte dem verständnislosen, armseligen, ja furchtsamen Gesichtsausdruck eines Kindes, dem man ungerechtfertigt eine Ohrfeige gegeben hatte, Platz. Den so fühlte sie sich, als ob man ihr mit diesen Worten mitten ins Gesicht geschlagen hätte.


    Calvena, sie hatte auch davon gewusst. Alle hatten sie es gewusst, nur sie nicht, warum? Warum? Septima entschuldigte sich für irgendetwas, in Romanas Ohren klingelte es aber nur noch gedämpft herum, sodass sie nicht verstand, wovon die Tiberia quatschte. Irgendwas wegen Gefühlen... Hohn in den Ohren der geprellten Claudia.


    Sie blickte wieder auf Serrana, die sie ja etwas gefragt hatte – nur was, das wusste sie nicht mehr. Irgendwas. „Ich...“ Schamvoll, unsicher klang ihre Stimme. Noch nie hatte sich Romana, obwohl im Umkreis ihrer besten Freundinnen so alleine, so verlassen gefühlt. Was sie fühlte, konnte, durfte sie niemandem erzählen... sie musste es in sich behalten, zulassen, dass es ihr herz und ihre Seele vergiftete. „Ich muss schnell... kurz... Verzeih... zeihung...“ Sie erhob sich mit einer leicht zittrigen Bewegung aus der Kline. „Ja... ähm... gleich wieder da...“, nuschelte sie eher, als dass sie es sagte, und eilte sich, wegzukommen. Ein seltsames Verhalten für Romana war dies, vor allem in den Augen aller, die sie als die ruhige, über allem stehende, prinzipientreue Claudierin kannten. Denn nun war sie – wenn auch nur für einige schreckliche Minuten – nur das Mädchen Romana, deren Schwarm einfach so von ihr weggenommen worden war.


    Schnell weg. Nichts wie weg von dieser Misere, von diesen Leuten, von ihrer Freundin Serrana, die den Mann, in den sie sich verknallt hatte, heiraten würde – und das Recht darauf hatte, im Gegensatz zu Romana. Auf die Latrinen zu; nur weg von hier, um wieder irgendwie die Contenance zu finden.

    Huch, was war denn das? Calvena, ohne Zweifel. Sie hatte auf einmal Romanas Arm mit dem Ihren umschlungen. „Äh, ja, freut mich auch sehr, Calvena“, schaffte sie herauszubekommen, bevor sie sich mit der Tatsache abfinden konnte, dass so, ineinander eingehackt, die beiden selber ausschauen mussten wie ein Ehepaar. Na gut... dann würde wohl Romana jetzt erst einmal der Galan von Calvena sein. Oder so etwas in der Art. Calvena gab auch eine plausible Erklärung, die darauf hin steuerte, und Romana nichte. Das ergab Sinn. Na gut, dann wollte sie einmal nicht so stoffelig sein, das war doch sonst nicht ihr Stil, dachte sie und lächelte. „Gut... sicher! Sag, wo hast du deinen Quintilier gelassen?“, fragte sie nach, war es doch dieser Tage rar, Calvena ohne ihren Centurio herumzugehen sehen.
    Und so, Arm in Arm mit Calvena, kam die zur Rosenkavalierin emporgestufte Vestalin ins Gespräch mit Sedulus. „Ja, schon seltsam. Vielleicht... Schicksal?“ Sie versuchte sich an einem Augenaufschlag und einem Kichern, ein Verhalten, welches man von der spröden Patrizierin eigentlich gar nicht kannte.
    „Das freut mich wirklich sehr! Mir ist es auch gut ergangen, alles läuft gut. Bald werde ich keine Vestalinnenschülerin mehr sein, sondern Sacerdos Vestalis, vestalische Priesterin, werden, also Vollvestalin, ich freue mich schon sehr drauf! Calvena hat dir sicher schon davon erzählt, sie war vor kurzem, mit Sabina, bei mir!“ Eigentlich plapperte sie eher drauf los, als dass sie sachlich und bestimmt, wie sonst, war.
    Sie wurde aber in ihrer Konversation unterbrochen, als Septima zur Damenrunde lud. Romana seufzte. „Also gut, mein lieber Sedulus. Wir sehen uns sicher später wieder“, lächelte sie und fasste ihn kurz an seinen rechten Arm bevor sie von ihm abließ und sich fröhlich ihren Freundinnen zuwandte. Musik kam auf, was nur noch zu ihrer guten Laune beitrug, als sie sich auf eine der Klinen niederließ.
    Doch eben diese Laune zerbarst in hunderttausend winzige Splitter, als Septima auf einmal, ganz unverfänglich, zu Serrana sagte, dass sie es noch gar nicht gewusst hatte, dass sie verliebt war in Sedulus. In Sedulus! Romanas Augen weiteten sich, ihre Hand, die sie schon nach dem einladend vor ihr stehenden Mulsum ausgestreckt hatte, zuckte in einer krampfhaften Bewegung zurück. Sie fuhr etwas aus der Kline auf, so sehr, wie man es konnte, wenn man lag, und stierte entgeistert Septima und Serrana an. „Was heißt da, verliebt?“, fragte sie, vielleicht ein wenig barsch. „Und nein, Septima... nichts habe ich gewusst.“ Ihr Blick richtete sich auf Serrana. Diesen Blick musste sie von Claudius Macrinius Restitutor, ihrem ruhmreichen Großvater, geerbt haben – gewiss hatte er so auf die republikanischen Aufständischen, die den göttlichen Trajan ermordet hatten, am Schlachtfeld, als er sie, mit der getreuen Prätorianergarde im Rücken, konfrontierte, geschaut. Ein unguter Blick war es, der Serrana unzweideutig aufforderte, zu sagen, was um alles ind er Welt vor sich ging.

    Langsam ging die Türe, dessen Flügel mit Eisenbeschlagen war, was zwar die Türe schwerer machte, jedoch ein Maß an Stabilität garantierte, auf. Und wieder war es die Claudierin, die zum Türdienst eingeteilt war.
    „Salve, Centho!“ Sie war ja schon einige Zeit vestalin, und von daher wusste sie, dass dann und wann Vigintiviri kamen, um Testamente von Verstorbenen abzuholen. Nach irgendeinem unerklärlichen Prinzip wurden ihnen dabei Namen zugeordnet, und mussten bei den Vestalinnen dann um dazugehörige Testamente nachfragen. Eine alte Tradition, die sich bewährt hat.
    Ihr gefiel seine Toga irgendwie, sie brachte Farbe ins Leben, war aber nicht geschmacklos. Ja, der Mann hatte durchaus Stil. „Genau, du bist ja jetzt Decemvir!“, freute sie sich für ihren Bekannten. „Gratulation zum Wahlergebnis, ich habe gewusst, du wirst es schaffen.“ Sie lächelte. „Und jetzt? Auf der Suche nach Testamenten?“ Sie nahm es stark an, ebenso wie sie annahm, dass Centho eine Tafel mit den Namen der Verstorbenen mit sich führte.

    Gerade eben wollte sich Romana zum Festmahl begeben, um sich dort den Magen vollzuschlagen, da hörte sie etwas links von ihr. Sie drehte ihren Kopf zu den Stimmen hin, und sah dort Serrana und Sedulus. Wieso waren die bloß zusammen, dachte sich Romana, der man ja nichts gesagt hatte über die Verlobung der beiden, und schmunzelte hinüber. „Salve, Serrana! Ja, die Obervestalin scheint mich zu mögen, glaube ich fast.“ Pomponia war nicht so gestreng, wie man es von einer Obervestalin annehmen könnte, sie war eher wie eine Art Tante für die jüngeren Vestalinnen. Und sie hatte auch nichts dagegen, wenn man nicht innerhalb der Wände des Atrium Vestae verkümmern wollte – vor allem, wenn man ansonsten eh einen untadeligen Dienst versah.


    Anschließend wandte sie sich an Sedulus. „Salve, Sedulus, was für eine unglaubliche Überraschung, dich hier zu sehen!“ Sie lächelte ihn an ob des kleinen Witzes. Komisch, die Anwesenheit des Senators machte sie irgendwie verlegen, sie wusste nicht, wieso und wie. Vielleicht war das nur der Respekt, den man als brave Patrizierin einem Senator gegenüber bringen sollte. „Wie ist es euch beiden denn ergangen?“, fragte sie den charmanten Germanicer und ihre ihr lieb gewordene iunische Freundin.

    Eigentlich war es eine Verschwendung, dass Romana Wagenrennen nicht mochte. Gladiatorenspiele mochten ja sinnvoll gewesen sein, als die alten Osker sie eingesetzt hatten zur Ehrung der Götter, doch jetzt, abgestumpft auf ein reines Belustigungsspektakel, hieß es auch nichts mehr.


    Axilla versuchte offensichtlich Romanas Sorgen zu zerstreuen. „Duccius Vala, hmm.“ Ihr sagte der Name nichts. Doch plötzlich ging ihr ein Funken auf. "War das nicht der mit dem Nachtisch?” Im Nachhinein doch eine lustige Geschichte, dachte sie sich und konnte ein leises Schmunzeln nicht verkneifen. „Ist es dein Ehemann oder Verlobter?“, fragte sie nach, schließlich war ja Axilla mit dem Mann herumgestanden. Sie unterdrückte zwanghaft die Frage, worum es da gegangen war – es war eigentlich nicht ihr Problem. So, wie sich Gerüchte in Rom auszubreiten pflegten, erfuhr sie es eh schnell. Oder aber sie könnte sich strategisch an diesen Sachverhalt herantasten. Hmm, die Qual der Wahl.


    „Leander, ist das dein Sklave?“ Sie musterte den Kerl. Sicher war der als Schosshündchen gut, aber als Bewacher? Sogar Romana würde den locker übers Knie legen können, ganz zu schweigen von den dubiosen Gestalten, die am Hafen herumschleichten – quasi ohne Unterlass. Da war ja die zarte Parthenope noch eine effektivere Abschreckung. „Nein, nackt über den Avantin zu wandern ist nicht einmal bei Tag eine gute Idee.“ Sie grinste. Wenn es Axilla psycholgisch half...


    Mitfühlend nickte sie, als die Rede auf Urgulania kam. „Sie war... Archibrütanin?“ Immer diese griechischen Worte. Von ihren Unterhaltungen mit Parthenope hatte sie leider auch einen leichten epriotischen Akzent angenommen, der sich nicht so leicht abschütteln ließ. Dass der Gott ihr Opfer aber ignorieren würde, konnte sie sich nicht vorstellen. „Er wird deine Wünsche erfüllen, denn Götter sind genauso vertrauenswürdig, wie sie groß sind.“ Sie lugte mit ihren Augäpfeln kurz nach oben hinauf. „Ja, sie sind in ihrem Wesen ganz anders als die Menschen...“ Ein wenig zynisch mochten diese Worte wirken. Aber hoffentlich, dachte sie, flössten sie Axilla die Zuversicht ein, die ihr wohl ein bisschen zu fehlen schien.


    Sie nickte. „Sicherlich, nenne mich Romana.“ Alles andere wäre zu skurill gewesen irgendwie. Romana ließ sich gerne mit ihrem Cognomen nennen. Zuerst einmal war sie sehr stolz, nach der größten und besten Stadt der Welt benannt zu sein. Der Name passte, da er ihre Staatsbürgerschaft ausdrückte – und eine Patriotin war Romana durchaus. Außerdem war es im Atrium Vestae Usus, sich beim Familiennamen zu nennen, und so stellte das einen recht reizvollen Kontrast dar.


    Romana bemerkte nicht, dass Axilla ihre Worte nicht so gut auffasste, sie höre aber eindeutig, was die Iunierin danach sagte. „Ich weiß es nicht.“ Bei Calvena wusste sie, dass diese ihren Vater nicht gekannt hatte – obwohl er sie scheinends doch als seine Tochter akzeptiert hatte, da sie eine Germanica war. Außerdem war sie so sanftmütig und hie und da fast schon verkrampft konziliant und beschwichtigend, dass solch eine Aussage von ihr zu erwarten gewesen war. Romana nahm es ihr nicht übel. Die anderen waren wohl gut abgeschottet gewesen. „Ich denke, man wollte niemanden von ihnen mit diesen Dingen belasten. Und... jetzt so ganz ehrlich, unter uns... ich glaube, die Aelia war viel zu dumm, um einen Sachverhalt von dieser Tragweite einzusehen, und die Decima viel zu stur, um von ihrem Punkt abzuweichen.“ Nicht, dass Romana die beiden gut kannte, aber dieses Bild hatten die beiden gegeben.

    Die Claudierin kicherte eher dieses Mal, als dass sie lachte. „Wenn du es denkst, will ich dir glauben“, antwortete sie diplomatisch. Laufen. Sie hatte es gerne getan, damals, als sie noch in Etrurien gelebt hatte. Dort hatte niemand etwas dagegen gefunden. Hier aber, in Rom, und mit ihr als Vestalin, gab es komplett andere Regeln einzuhalten. Ein paar mochten stumpfsinnig erscheinen, doch es waren Regeln, die die Alten nicht ohne Grund aufgestellt hatten.


    Wenn Romana ganz ehrlich zu sich war – hie und da vermisste sie körperliche Zärtlichkeiten durchaus. Sie hatte immer gedacht, sie wäre absolut asexuell, doch irgendwann war ein Punkt erreicht, an dem sie sich dachte, wie es wäre, wenn sie sich nicht für Vesta, sondern zum Beispiel Minerva oder Iuppiter verschrieben hätte. Dann würde sie wohl ein anderes Leben führen. Einen Mann heiraten, Kinder kriegen. Sie hatte sogar schon einmal davon geträumt, 2 Male sogar. Seit gut einem Monat hatte sie diese Träume nicht mehr gehabt, doch sie spürte es, sie würden zurückkommen. Warum, wusste sie nicht. Vielleicht steckte tief in ihr drinnen doch eine hungrige Nymph... nein, der Gedanke war zu absurd. Sie schüttelte die Gedanken ab, und dachte wieder so, wie sie es gewohnt war – nüchtern, realistisch und pragmatisch.


    Es war da doch viel angenehmer, über die Rechte der Vestalinnn zu diskutieren. „Nicht in jedem, aber in staatlichen. Und im Circus Maximus, und im flavischen Amphitheater. Aber, ehrlich gesagt, es macht mich nicht so an, und die anderen eigentlich auch nicht... wenn eine Wagenrennensüchtige und Gladiatorenspielfanatikerin Vestalin wird, glaube ich, hat jene allerdings das ganz große Los gezogen.“ Sie blickte amüsiert drein ob der Vorstellung.


    Sie blinzelte aber ein wenig, als Axilla ihr über ihre Abenteuer erzählte – ein untrügliches Zeichen, dass sie erstaunt war. „Dann hast du wahrlich die Götter auf deiner Seite gehabt. Ich habe vom Tiberhafen schon Schlimmes gehört.“ In ihren Worten schwang die unausgesprochene Frage mit, was Axilla denn dort zu suchen gehabt hatte. „Na, keine Angst? Ich glaube, da gehört schon mehr dazu. Glück, und ein etwaiger Leibwächter. Wenn ich voll qualifiziert bin, bekomme ich einen Liktor, der schaufelt mir dann den Weg frei.“ Hoffentlich war das wenigstens ein ansehnlicher Typ, dachte sie sich insgeheim.


    Sie dachte kurz nach. „Urgulania... Iunia Urgulania... ja, ich glaube schon. Sie war deine Cousine?“ Romana blickte auf einmal recht betroffen drein. „Das tut mir sehr Leid!“ Sie wusste noch, wie sehr sie selber geweint hatte, als sie vom Tod ihrer Schwester Narcissa erfahren hatte. Ja, sie, die resolute, standhafte Romana, hatte geweint wie ein kleines Mädchen über den Tod ihrer älteren Schwester. Natürlich nur, als keiner hinsah. Jawohl, es tat weh, enge Angehörige zu verlieren.


    „Dass du für ihre Seele geopfert hast, war gut“, konstatierte Romana aus der Position einer Priesterin heraus, „doch solche Bitten sind keine, mit denen man unbedacht umgehen sollte. Wenn Dis Pater dich erhört hat, wird er sicher und ohne Fehl deine Worte erhören. Nur...“ Was? Jetzt hätte sie fast begonnen, zu reden wie eine Christin, eine Angehörige der Brut, die sie mit glühender Leidenschaft hasste. Vergebung, das blieb jedem selbst überlassen! Niemand hatte das Recht, es anderen einzureden. „Nein, er wird dich erhören, und Gerechtigkeit wird geschehen“, schloss sie.


    Ihr kleines Lob wurde fast überschwänglich aufgenommen, sodass Romana erst einmal baff lächeln musste. Diese Lächeln schwand, als Axilla es sich heraus nahm, ihre Freundinnen als doofe Puten zu bezeichnen. Doch, wenn man es so sah – die einzigen, die das wirklich getan hatten, waren diese besserwisserische Decima und die strunzdumme Aelierin gewesen, und diese zählte sie nicht zu ihrem Freundeskreis. „Die zwei Wortführerinnen, die Decima und die Aelia, sind nicht meine Freundinnen und werden es wohl nie werden“, blockte Romana defensiv ab. Und begann dann, durch Axillas Wortschwall hindurch zu nicken, ostentiv nicht anzuecken. Sie selber schwang hie und da solche Reden, erfüllt von Zorn – da würde sie es auch nicht ausstehen, unterbrochen zu werden.


    „Da hast du absolut Recht, Iunia... es macht es dir etwas aus, wenn ich dich Axilla nenne?“, fragte sie nach, so viele Manieren waren gerade noch drinnen, auch wenn sich Romana manchmal auch so aufführte wie ein etrurischer Bauerntrampel – zumindest kam es ihr so vor. „Diese Frauen wissen nichts von dem, was vor sich geht.“ Sie seufzte. „Sie sollen sich einmal vor einen Veteranen stellen und ihm sagen, es war sinnlos, dass er seinen linken Arm und all seine Contuberniumkameraden verloren hat. Sie sollen sich einmal vor den Kaiser stellen und ihm sagen, die Feldzüge, die er plant, seien sinnlos. Sie sollen einmal einfach nur zu den Cohortes Urbanae rüberspringen und sich das Leben der Soldaten ansehen. Dann würden sie wohl nicht mehr so große Töne schwingen.“ Langsam schüttelte sie den Kopf. „Es ist einfach so, sie haben niemals den Vorteil gehabt, aus erster Hand von einer Schlacht zu erfahren von ihren Vätern. Wir hatten dies. Und gerade deshalb würden wir es uns nie erlauben, den Streitmächten keinen Respekt gegenüber zu bringen.“ Sie lächelte leicht schief.


    „Nun ja... bitte... das war doch verständlich. Ich glaube, ich hätte mich nicht getraut, wenn ich nicht gewusst hätte, da ist noch eine, die meine Ansichten unterstützt.“ Sie nickte suggestiv. „Ist ja traurig genug, wie wenige anständige Frauen es noch gibt, die für die römischen Prinzipien, Tugenden und Traditionen einstehen!“, bedauerte sie, nicht ahnend, dass das der Iunierin möglicherweise ziemlich gegen den Strich gehen könnte. Für Romana aber waren die Hochhaltung des Heeres einer der vielen Punkte, die die urrömischen Prinzipien, nach welchen sie zu leben hoffte, ausmachte.

    Sie wartete natürlich auf Septimas Antwort, bevor sie sich zu Ursus drehen würde. „Ja, hat sie nicht“, gab Romana ihr Recht. „Aber ich bin ihr gegenüber zu tiefstem Dank verpflichtet, dass sie es mir doch noch erlaubt hat.“ Niemand sollte jemals hören, dass sie etwas Nachteiliges über Pomponia sagte. Die Alte war eh immer so nachsichtig zu ihr gewesen. „Gut, dass ich das Essen nicht versäumt habe!“, lächelte Romana, die das Essen an sich sehr schätzte.


    Ursus schien sich enorm über ihre Glückwünsche zu freuen. „Das stimmt, ich war auch bei den Germanicern. Und, jetzt da du es sagst – ich erinnere mich!“ Genau, der Mann mit den Trauerroben. Es erschien Romana keine gute Idee, deswegen nachzufragen, also ließ sie es sein. „Nein, ich muss mich bedanken, dass ich hier sein darf.“ Sie nickte freundlich, als schon die nächsten Gratulaten kamen.


    Und genau in diesem Augenblick sah sie ihre Base Catilina. „Catilina!“, rief sie erstaunt aus. „Du hier! Ich habe dich schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen!“ Sie kannte ihre Base noch aus ihrer Kindheit, und hätte sie fast nicht mehr erkannt, wenn sie nicht genau geschaut hätte. Es gab so viel zu bereden, und Catilina hatte nicht ein einziges Mal bei ihnen vorbeigeschaut. Sie war direktgehend etwas sauer darauf. Aber das musste nicht jetzt ausdikutiert werden.


    Sie bemerkte Calvena. „Salve, Calvena! Ja, ich habe gestern Abend nicht frei bekommen.” Sie zuckte die Schultern, so war das eben. Wenn sie erst einmal voll qualifiziert wäre, dann wäre das wieder eine andere Sache. Dann würde sie ganz und gar unabhängig sein.


    Gerade wollte sie ein Schwätzchen beginnen, da geschah hinten etwas. Da... das gab es doch nicht, Bona Dea! Ein irgendwie ganz gemein aussehender Knilch, ein Aelier, wie ihr zugetragen werden würde, schüttete einem Langhaarigen, einem Duccier, wie man sagte, Topfen über das Haupt. Was sollte das bedeuten? Was würde jetzt geschehen, eine handfeste Keilerei?


    Nein, nichts dergleichen. Was hier bloß geschehen war? Gänzlich unprovoziert war das wohl nicht gekommen. Der Beschmürbte wehrte sich auch nicht – Schuldgefühle?


    Sie schaute zwanghaft weg, als sie bemerkte, dass Axilla, die weiter drüben stand, wohl in der Geschichte involviert war. Zu ihr gesellte sich... das musste Aurelius Corvinus sein, genau, sie hatte ihn ja schon gesehen, wenn auch nur von der Ferne.


    Der Beschmierte kehrte wieder zurück und laberte das Hochzeitspaar voll. Dann erklang auch schon der Aufruf zum Festmahl. Ah, das klang gut. Da würde sie mitziehen.

    Romana lachte ebenfalls, als Axilla über das Laufen redete. Axilla hatte etwas wundervoll Spritziges und Energetisches an sich – ein wenig wie Septima, aber ungehemmt von patrizischer Zurückhaltung. Ein bisschen war Axilla wie ein Kind, dachte sie sich, im Körper einer erwachsenen Frau. „Ich denke, ich könnte schon mit dir, wenigstens halbwegs, mithalten“, lächelte die Claudierin. „Nur wird es die Obervestalin ungern sehen, wenn ich plötzlich zu sporteln beginne.“ Romana sah sich selber als eine durchaus fitte Frau, aber so etwas gehörte leider nicht zum Bild einer frommen Vestalin. Würdevolles Schreiten war angesagt. Was ihr hie und da schon auf den Wecker ging, aber tja.


    „Angst...“, echote Romana die Worte der Iunierin und fuhr sich mit dem rechten Zeigefinger über ihre Lippen. „Nein, eigentlich nicht. Ich weiß doch, wie es funktioniert“, vertraute sie Axilla ganz ungeniert an. Eine Claudierin, der etwas Angst machte, musste erst noch geboren werden, dachte sie sich. „Vesta wird mir sicherlich zur Seite stehen.“ Sie war sich darin sicher.


    Eine der Ziegen kam zu Axilla und begann, auf ihr herumzuknuspern. Die Iunia scheuchte sie weg, und Romana lachte wieder. „So ein Frechsdachs!“ Die Ziege hüpfte feig davon, als Axilla sie zu streicheln suchte.


    „Alle Ziegen in ganz Rom? Nein, nein. Nur an diesem Platz.“ Sie grinste und schüttelte den Kopf, langsam, um ihr sorgsam frisiertes Haar nicht durcheinander zu bringen. Einst, als Amata Minor, war sie als Schoderfigur herumgelaufen, dass es nicht ärger gegangen war. Jetzt aber legte sie viel mehr Wert auf ihr Aussehen. „Das hier ist nicht nur der beste Viehmarkt Roms, sondern auch der einzige, wo man sich als Frau bewegen kann, ohne mit einem Messer im Rücken und ausgeraubt auf einer Bahre wieder herauszukommen.“ Oder geschändet, aber das erwähnte sie nicht – als Vestalin war diese Vorstellung fast noch grauenhafter als der Tod.


    Mit sehr großer Zufriedenheit nahm sie zur Kenntnis, dass Axilla offenbar regelmäßig opferte. Und offenbar hatte sie gerade ein größeres Opfer vollzogen – an keinem Geringeren als den Herrn der Unterwelt. „Ein Opfer an Dis? Ein Ochse war da eine gute Wahl... wieso hast du denn Dis geopfert? Hast du ihn darum gebeten, dass er dich sein lässt?“, scherzte sie.


    „Ach ja, Axilla, was ich sagen wollte – dein Auftritt in den Thermen, der war wirklich... stark. Das meine ich ernst – das erfordert Courage.“ Sie lächelte. „Eine, die für unsere Jungs eintritt, die ihr Leben im Kampf gegen die Barbaren lassen, sowas sieht man nicht oft.“ Sie war damals schwer beeindruckt gewesen, und war es noch immer. Auch wenn sie insgeheim dachte, die Worte der Iunia waren wenig diplomatisch gewesen – aber ihre eigenen doch auch, also musste sie sich gar nicht aufregen.

    Axilla sah ein wenig eingeschüchtert aus. Oder kam es Romana nur so vor? Normalerweise war die Claudierin sehr stolz auf ihre Größe. Doch manchmal hatte sie direkt das Gefühl, sie würde anderen Leuten, vor allem kleinen Frauen, damit Angst einjagen. Als ob sie eine Hünin aus alten Zeiten wäre, nicht nur eine junge Frau, bei der man die etruskischen Wurzeln deutlich sehen konnte. Schließlich war sie – zumindest hatte man ihr das gesagt – eine Nachfahrin von König Lars Porsenna, der nicht umsonst der Große genannt wurde in der Geschichtsschreibung. Und es war nicht sehr angenehm für Romana, Leuten Angst einzujagen. Es beschämte sie ein wenig. Aber wer würde auf die aberwitzige Idee kommen, eine Vestalin würde jemandem etwas Böses wollen? Romana auf jeden Fall würde das nicht.
    „Ja, das würde man wirklich meinen!“ Sie lachte hell und freundlich. (Das war übrigens der Moment, in dem Parthenope, die neben Romana stand, wieder ihr Hirn abschaltete und ihren Träumen in Gedanken Flügel verlieh.) Axilla schien jetzt auch schon ihre Furcht, oder was auch immer sie vor Romana empfunden haben mochte, überwunden zu haben.


    Axilla wirkt etwas verwundert wegen der Opfertiere, und verneinte dann. Wieder lachte die junge - im strengsten Sinne des Wortes angehende - Vestalin. „Ach, sicher. Man kann nicht immer von sich selber auf andere schließen.“ Die meisten anderen waren wohl nicht so regelrecht fanatisch in ihrer Religionsausübung wie überfromme Romana. Die Claudierin verstand das nicht, damit wurde doch ständig die Pax Deorum gestört! Aber sie wollte mal Axilla Laxheit in der Religion nicht unterstellen, nur weil sie einmal keine Tiere opfern, sondern nur auf ihnen reiten wollte.


    Romana war eine große Freundin der domestizierten Tier- und Pflanzenwelt – im Gegensatz zur wilden Natur, die sie als barbarisch abtat. So nickte sie wohlwollend. „Pferde, schön!“ Dann grinste sie unwillkürlich. „Hier wirst du aber keine finden. Die Pferdeställe sind ganz woanders.“ Wo, wusste sie selber nicht genau.
    Die Iunierin erriet, weswegen sie hier war – einfach. Man hätte es sogar erraten können, wenn Romana es nicht quasi schon gesagt hätte. Aus einem anderen Gründ würde man eine Ordensschwester der Vesta niemals an solch einer Stelle sehen. Sie nickte langsam. „Sehr hübsch sogar. Ich glaube, es ist eine spezielle Züchtung aus Venetien. Und ja, ich suche Opfertiere. Mein Opfer, welches mich als Vollvestalin qualifizieren wird – es ist ziemlich bald – muss ich mir selber aussuchen, und das ist sozusagen Trockentraining. Die Ziegen würden natürlich bei einem anderen Opfer verwendet werden.“ Sie blickte noch einmal auf die in edlem Weiß gehaltenen Tiere. „Ich hätte sie sofort genommen, aber ich habe Anweisungen von der Obervestalin, alle, wirklich alle Viehstände abzugrasen. Gut, dass ich dazu mehr Zeit bekommen habe, als es jemals dauern könnte.“ Sie schmunzelte.