Beiträge von Iullus Quintilius Sermo

    Das Leben zu leben. Träume. Er hätte es nicht gewollt. Lachen, leben. Nicht vergessen, warum wir hier sind. Nicht daran zerbrechen. Melinas Worte waren von einem auf den anderen Moment richtig tiefgründig geworden, erschien es Sermo. Er sah seine Schwester nachdenklich an, sagte jedoch nichts weiter. Sie befolgte seine Anweisung ohne Widerspruch, was ihn freute. Offensichtlich hatte die Zeit bei der Tante durchaus ihre Früchte getragen und Melinas Benehmen und Folgsamkeit hatte sich deutlich gebessert. Iullus, mache dir aber bitte auch Gedanken über deine Zukunft. Das würde er definitiv tun. Hoffentlich jedoch verzweifelte er nicht an seinen Aussichten und Möglichkeiten. Versonnen starrte er seiner Schwester hinterher, während sie den Hortus verließ. Dabei ertappte er sich bei dem Gedanken, dass sie eine durchaus hübsche junge Frau war, die gewiss in vielen Männern Begehren hervorrief. In Gedanken versunken verblieb Sermo dann noch eine ganze Weile im Garten, über die Geschicke seiner Familie nachsinnend und die Parzen des öfteren verfluchend.

    Sermo nickte wissend, als Centho erklärte weshalb er hier war. Doch wunderte ihn, wessen Ableben ihn hierher geführt hatte. "Entschuldige, aber..." setzte er an, doch da erschien Melina und unterbrach ihn. Er begrüßte die Schwester mit einem schmalen Lächeln und nickte. "Melina, das ist Decemvir litibus iucandis Lucius Iulius. Er ist wegen Valentinus hier..." Und mit einem skeptischen und zugleich entschuldigenden Blick wandte er sich wieder dem Iulius zu. "Um ehrlich zu sein, bin ich verwirrt. Dein Vorgänger, Faustus Octavius, war bereits in dieser Angelegenheit mit uns in Kontakt getreten. Gibt es ein Problem mit der Erbschaft?" Er war sich bewusst, dass er noch keinerlei Leistungen aus dem Erbe seines Bruders erhalten hatte. Offenbar hatte dieser Nichtsnutz von einem Octavius auf voller Bandbreite geschlampt und war nicht im Stande gewesen, einen minimalen Betrag aus Valentinus' Vermögen an ihn weiterzugeben. Fragend schaute Sermo Iulius Centho an, der hoffentlich eine vernünftige Erklärung liefern konnte für diese Verwirrung.

    Ach, welch Überraschung! Sollte das wirklich sein Cousin Pulcher sein, den Sermo noch als Burschen im Gedächtnis hatte? Herrje, war der in den letzten Jahren in die Höhe geschossen. Sermos anfängliche Skepsis wandelte sich in fröhliche Verblüffung. "Nein, is' nich' wahr!" lachte er und begrüßte den jungen Verwandten mit einer freundlichen Umarmung. "Ich bin's Sermo. Mensch, du bist ja noch ein ganzes Stück in die Länge geschossen, seit wird uns das letzte Mal gesehen haben. Bona dea, das ist eine gefühlte Ewigkeit her!" Er besah sich seinen Cousin genauer und musste feststellen, dass der Quintilius zu einem ansehnlichen jungen Mann herangewachsen war. Der musste der Frauenschwarm schlechthin sein! "Willkommen zurück in Rom, lieber Cousin," bekräftigte er, bevor er auf das Essen und die Clinen wies und sich setzte. "Seit wann bist du hier? Bitte, lass dich nicht vom Essen abhalten." Er stibitzte sich eine Olive und ließ sie zwischen den Zähnen verschwinden, während er Pulcher neugierig betrachtete. Wieso fühlte er sich auf einmal bloß um Jahre gealtert?

    Ein gallischer Name. Aahja. "Sermo is' römisch, ja," bestätigte er, nicht ohne Caelyn für die Frage einen Blick zuzuwerfen, der sagen wollte: Na klar ist das römisch, was denn sonst?
    Und ihr Bruder hieß Louan. Interessant...oder auch nicht. Vermutlich würde er den Namen gleich wieder vergessen haben, denn so benebelt war sein Geist bereits. Zumal Sermos Gedächtnis nicht sonderlich gut war, wenn es um Namen, Geburtsdaten, Prüfungsdaten oder ähnliches ging. Ein Glück übrigens, dass die Kleine nicht sofort wieder zu flennen anfing, so dass ihr Begleiter erleichtert ausatmete. Gleich als nächstes stellte die schnucke Blondine natürlich die befürchtete Gegenfrage nach Sermo Bruder. Valentinus. Der tote Valentinus. Sermo schluckte hart und presste knapp hervor: "Hieß Valentinus. Toller Mann."
    Da erschien auch schon die rettende Schänke in seinem Sichtfeld, die er auch gleich ansteuerte. "Guck da, endlich..." brummte er dann und zog die Frau an seinem Arm eilig zur Tür hinein.


    Das erste was ihnen entgegenschlug war eine muffige Mischung aus Schweißgestank, Weinatem, undefinierbarem Kräuterdunst und stickiger Luft. Perfekt. Und warm war es auch noch! Die Taverne hatte eine relativ niedrige Decke und war durch einige funzelige Öllampen beleuchtet. Auf den Wänden tanzten Schatten zum Takt ruhiger Musik, die von gedämpften Gesprächen übertönt wurde. Eine Kellnerin kam auf das frisch eingetretene Pärchen zu und bat sie mit piepsiger Stimme zu einem freien Platz. Die Holzbänke am Tisch boten gerade genug Platz für anderthalb Personen, was Sermo jedoch nicht sonderlich störte. Er war ohnehin recht schmal gebaut, so dass neben ihm locker noch jemand Platz gehabt hätte. Aber er erwartete ohnehin, dass seine Blondine sich ihm gegenüber setzte, was auch für das Gespräch...Gelalle förderlicher wäre.
    Sermo musterte kurz die Bedienung und stellte fest, dass ihre Visage ihn eindeutig an eine Ratte erinnerte. "'N Krug von euerm besten Wein," erklärte er, schaute Caelyn an und ergänzte noch: "Zwei Becher, is klar?"
    Die Schankmagd grunzte etwas zustimmendens und verschwand, woraufhin Sermo sich wieder der Blondine zuwandte. "So, da sind wir....Caelyn..." Dass sie ihm eine Frage gestellt hatte, hatte er schon wieder verdrängt. Statt dessen suchte er bereits fieberhaft nach einem interessanten Gesprächsthema.

    Die Tage waren anstrengend für Sermo. Erst Valentinus' Tod, die Trauerzeit. Dazu noch seine Schwester Melina, die nach Aufmerksamkeit schrie und gesellschaftlichen Umgang lernen musste. Besonders nervenaufreibend war die Pendelei zwischen Ostia und Rom, die er nun seit zwei Wochen durchzog. An beiden Orten hatte er Geschäfte zu erledigen oder Kontakte zu pflegen. In Ostia hatte er zwar mittlerweile eine Wohnung gefunden, doch dort zu Ruhe gekommen war er natürlich nicht. Hier musste sich um die neue Arbeit in der Stadtverwaltung gekümmert werden, dort wollten alte Freunde besucht werden, anderswo an wichtigen Ereignissen teilgenommen werden, wo sein Patron ihn erwartete. Ja, Sermo hatte es nicht leicht zur Zeit.
    Und so stapfte er nach einem ermüdenden Tag zur Tür herein und schlurfte wie er es gewohnt war einfach durchs Haus, um sein wohl verdientes Abendessen einzusacken. Und plötzlich saß da jemand im Triclinium. Einfach so! Jemand, der da nicht sein sollte! Wo kam der nur her? Und wer war der überhaupt? Verwirrt schüttelte Sermo den Kopf und trat neugierig ein. "Salve..." grüßte er, nicht ganz imstande den fragenden Gesichtsausdruck zu verbergen.

    Sermo nickte zufrieden. Der Mann schien sich auszukennen und wirkte tüchtig. "Hervorragend," stellte er fest. "Dann sei doch so gut und merke dir schon einmal meinen Namen vor: Iullus Quintilius Sermo heiße ich." Mit einem offenen Lächeln streckte er dem Scriba die Hand hin. "Wenn alles gut läuft, freue ich mich bald auf eine gute Zusammenarbeit." Er zwinkerte ihm verschwörerisch zu und nahm einen Schluck vom Wein. "In vier Wochen also. Gut. Gestatte mir einige Fragen. Ich bin erst seit kurzem in Ostia. Kannst du mir Orte empfehlen, die ich einmal besuchen sollte? Irgendwelche begabten Künstler? Steht bald ein Fest an, oder gibt es sehenswerte Gebäude?*"



    Sim-Off:

    *Denk dir einfach was aus. ;)
    Als Hilfe findest du übrigens hier auch einen Stadtplan

    Ich vermisse in den Tabulariumseinträgen der italienischen Städte Mantua, Misenum und Ostia die Eintragungen der Gehälter für die verschiedenen zu besetzenden Ämter. Werden die nicht automatisch ausgezahlt wie zb. in Mogontiacum? Oder kann man die erst aushandeln? Oder kann der jeweilige Ordo Decurionum die Gehälter gar selbst per Gesetz bestimmen? Ooooder...ist das schlichtweg vergessen worden einzutragen? :)

    Dankend nahm er den Platz an und entschied sich für verdünnten Wein. "Nur ein Drittel Wein bitte," präzisierte er die Bitte und nahm dann eine bequeme Pose auf seinem Stuhl ein, bevor er begann. "Gut. Ich möchte bei den nächsten städtischen Wahlen für das Amt des Magistratus kandidieren. Wann finden die nächsten Wahlen statt? Steht schon ein Termin?" Er freute sich über das Interesse des Schreibers. Dem Mann schien seine Arbeit Spaß zu machen. So gefiel ihm das.

    Oh oh. Da schien Sermo aber etwas losgetreten zu haben. Der Octavius schien sich auch nur noch schwerlich beherrschen zu können, weshalb Sermo es vorzog diesen weder zu unterbrechen, noch allzu scharfe Kommentare abzugeben. Als Macer die vermeintlich wahren Informationen über Valentinus' Schwäche oder Krankheit oder was auch immer vor seinem Gegenüber ausbreitete, atmete Sermo nur tief durch und überlegte einen Moment angestrengt. Konnte er diesem Typen glauben? Konnte er einfach so hinnehmen, dass sein Bruder ein Schwächling gewesen sein sollte und den Worten dieses Octavius Glauben schenken, der augenscheinlich praktisch keinen blassen Schimmer hatte?
    Doch Sermo kam nicht zu einer Antwort. Der Octavius platzte mit einer weiteren Spitze heraus und traf dabei einen ganz empfindlichen Nerv bei dem Quintilier. WAAAAAAS??????? brüllte ein Untier in seinem Inneren und begann in Sermos Magen zu rasen. Was erlaubt der sich? dachte er noch, als er sich bereits ruckartig erhob. Eine Ader pulsierte auf der Stirn und die Wut stieg ihm ins Gesicht. Am liebsten wollte er auf der Stelle explodieren!
    "Was erlaubst du dir, so zu reden?" spie er förmlich dem unverschämten Kerl entgegen."Du beleidigst meinen Bruder und du beleidigst meine Familie! Was glaubst du wer du bist? Nur weil man dich zum Vigintivir gemacht hat, meinst du tun und lassen zu können was du willst?" Unfassbar. Völlig unfassbar. Wie konnte man so anmaßend sein? Mit einem Mal besann Sermo sich. Nicht blinde Wut war hier hilfreich. Nein, eiskalte Drohung sollte seinen Weg markieren. So machte er einen Ausfallschritt und stand augenblicklich vis-a-vis zum Hassobjekt seiner Wahl. Mit festem Griff packte er den Kerl an der Tunika und zischte ihm die nächsten Worte entgegen wie eine Schlange, die den richtigen Moment für den Todesstoß abwartete.
    "Hör mir genau zu, du schmieriges missratenes Subjekt. Niemand beleidigt die Quintilier ungestraft, erst recht nicht so eine dreckige Küchenschabe wie du!" Er ließ den Hampelmann los, so dass dieser unweigerlich zurück auf die Cline plumpsen musste. Mit ausgestrecktem Zeigefinger fauchte er noch ein letztes "Merk dir meine Worte!" Dann machte Sermo auf dem Absatz kehrt und rauschte aus dem Atrium heraus am Ianitor vorbei, öffnete selbst die Tür und marschierte schnurstracks hinaus auf die Straße, wütend vor sich hin grummelnd und wüste Verwünschungen ausstoßend.

    Nachdem Quintilius Sermo eine Wohnung gefunden hatte, war er zur Curia aufgebrochen. Dort hatte nicht lange gebraucht, um den Weg zur Schreibstube des Scribas zu finden. In der Eingangshalle hatte er eine genaue Wegbeschreibung erhalten und klopfte nun vernehmlich an die Tür des Officiums. Gekleidet war er in eine schlichte Tunika, darüber die Toga und der schmale Purpurstreifen, der ihn als Mitglied des Ordo Equester auszeichnete. Die Sekunden verstrichen, während er auf Antwort eines hoffentlich anwesenden Schreibers hoffte.

    Sermo war auf Wohnungssuche. Er hatte sich eine Woche zuvor bereits die Stadt genauer angesehen, hatte die Archive nach brauchbaren Unterlagen durchforstet und sich einige Gedanken gemacht über die Pläne, die er hier möglicherweise umsetzen konnte. Nicht, dass er Großes vorhatte. Aber irgendwo musste man ja anfangen, wenn man einmal hoch hinaus wollte. Und das fing meist auf unterster Stufe an. Der Quintilier wollte in Ostia kandidieren für das Amt des Magistratus. Doch vorher brauchte er eine Schlafstatt, welche er in greifbarer Nähe erahnte, als er ein hölzernes Schild an einer Hauswand entdeckte, auf dem in großen Lettern folgende Aufschrift prangte: Zimmer frei!
    Sermo postierte sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite und musterte das Gebäude neugierig. Es war von ordentlicher Größe, wirkte gut gepflegt und instandgehalten und die Lage war grandios. Ohne weiter zu zögern marschierte er über die Straße in den Hauseingang hinein, wo er beinahe mit einer molligen Frau zusammengestoßen wäre. "Huch, verzeih. Wo finde ich bitte den Hauseigner?" fragte er und ließ sich zu einer Wohnung im Erdgeschoss verweisen, die dem Verwalter des Hauses gehörte. Er klopfte vernehmlich und musste nicht lange warten, bis ihm geöffnet wurde.
    "Ja bitte?" Ein kleiner Mann mit hoher Stirn und gräulichen Haaren öffnete ihm und schaute neugierig drein. Aus dem hinteren Teil der Wohnung hörte man eine Frauenstimme eine fröhliche Melodie summen, von Geschirrklappern begleitet. Sermo richtete seinen Blick auf den kleinen Vilicus und zeigte ein schmales Lächeln. "Salve. Bist du der Verwalter dieses Hauses?"
    "Jawohl, der bin ich. Servius Gabinianus, Vilicus des Potitus Gabinius," erklärte der Kleine stolz. "Mit wem hab ich es denn zu tun und worum geht es?"
    "Iullus Quinilius Sermo, freut mich." Er schüttelte seinem Gegenüber die Hand und fuhr mit fragender Miene fort. "Der Aushang draußen. Ich bin interessiert an einer Wohnung."
    Erst starrte der Vilicus den Besucher an, als wüsste er nichts von einem Aushang oder freien Wohnungen. Dann jedoch kehrte die Erkenntnis zurück und er nickte eifrig. "Ja! Ja, ja, ja, richtig. Eine schöne Wohnung ist das, wirklich. Zwei Zimmer, möbliert, wunderbar. Schau, ich zeig sie dir." Eilig führte er Sermo ins zweite Obergeschoss und blieb schnaufend vor einer Tür stehen, um sich kurz nach seinem Zimmerinteressenten umzusehen. "Bittesehr," keuchte er und schloss auf. Sermo trat ein und fand genau was er suchte.
    Die Wohnung bestand schlichtweg aus zwei Zimmern, durch eine Tür getrennt. Licht aus dem Atrium fiel spärlich durch die schmalen Fenster herein, in dessen Strahlen Staub in der Luft tanzte. Das Mobilar gefiel Sermo ebenfalls sofort. Spartanisch, praktisch, gut, würde er es nennen. Ein Bett, ein Tischchen, ein Hocker und eine Schüssel für die Notdurft waren in jedem Zimmer vorhanden. Zudem gab es für jedes Zimmer eine Kleidertruhe und als Belag für die knarzenden Dielen eine dünne Reetmatte.
    "Perfekt," bemerkte er knapp und zeigte bis auf ein schmales Lächeln keine weiteren Regungen. Das schien den Kleinen zu irritieren.
    "Äh...wirst du allein hier wohnen? Vermutlich nicht..?"
    "Meine Schwester wird mit mir einziehen," erklärte Sermo auf die Frage hin und wandte seinen Blick dann gänzlich von der Wohnung ab, um sich voll und ganz auf den Verwalter zu konzentrieren. "Wie viel?"
    "Uh..." Hinter Gabinianus' Stirn schien es zu arbeiten. "Dreißig Sesterzen."
    Bestürzt riss Sermo die Augen auf. "So viel? Du willst mich arm machen! Höchstens zehn." Feilschen. Er liebte es. Und so ging der Schlagabtausch voran.
    "Ich muss auch was zum leben haben! Fünfundzwanzig."
    "Fünfzehn wäre noch so gerade eben möglich..."
    "Na gut, zwanzig! Aber weiter geh' ich nicht runter!"
    Letztendlich schlug Sermo ein. "Gut, zwanzig Sesterzen also. Sehr erfreulich." Er lächelte nun breit. Gabinianus war ebenfalls erfreut und schüttelte seine Hand eifrig. "Gut, sehr schön, wundervoll! Wann willst du einziehen? Sofort? Passt, perfekt, toll!"
    Der Quintilier nickte nur geduldig und überging den Redeschwall. "Sofort. Meine Schwester wird ebenfalls bald einziehen." Sie schlossen die Wohnung ab, Sermo wurden zwei Schlüssel ausgehändigt und dann verabschiedete er sich auch schon, bevor er noch auf einen schlechten Wein eingeladen werden konnte. "Also, wenn du mich nun entschuldigst? Ich habe noch in der Stadt zu tun. Du hörst von mir, Gabinianus. Vale!" Und schon war er wieder weg, auf dem Weg zur Curia.

    Macer redete beruhigend auf Sermo ein, woraufhin dieser bemerkte, dass er nahe dran war einen Fehler zu begehen. Er musste sich besser unter Kontrolle halten! Selbst bei so traurigem Anlass durften seine Emotionen nicht handlungsbestimmend sein, sondern musste Sermos Verstand den Ton angeben. Er räusperte sich verlegen und versuchte eine bequeme Haltung anzunehmen, bevor er besonnen antwortete. "Nun...ich verstehe. Du trägst selbstverständlich keine Schuld an der geringen Informationslage über das Geschehn in Aegyptus. Ich..." Er musste sich erneut räuspern, um seine Stimme unter Kontrolle zu bekommen. "Ich halte es dennoch für gewagt, ihm zu unterstellen, er wäre nicht gut genug für die Legion gewesen. Womöglich war es nur ein Unfall gewesen? Oder er wurde auf der Straße überfallen, als er Freigang hatte?" Sermo hob die Augenbrauen und warf dem Octavius einen tadelnden Blick zu. "Ich möchte wahrlich nicht unhöflich sein, aber du solltest keine Vermutungen anstellen über Umstände, die dir nicht bekannt sind, wenn sie die Angehörigen eines Verstorbenen verletzen könnten. In ihrem Stolz zum Beispiel. Oder in der Familienehre." Erwartungsvoll sah Sermo den Mann an, der als Decemvir litibus iucandis dieses Schreiben so ungeschickt formuliert hatte. Ob er deshalb wohl auch von anderen Angehörigen aufgesucht worden war?

    Melinas Freudenstrahlen wärmte Sermo in dieser schweren Stunde wohlig. Er erwiderte ihren Dank mit einer abwinkenden Geste und einem schmalen Lächeln. "Ostia?" wiederholte er den Kern ihrer nächsten Frage. "Es ist sehr viel kleiner als Rom, selbstverständlich. Vierzigtausend Menschen leben dort. Aber es ist ein schöner Küstenort. Der eigentliche Hafen ist ein paar Minuten von der Stadt entfernt gelegen, so dass der Großteil der Verladearbeiten gar nicht in Ostia selbst wahrgenommen wird. Dennoch, die Bevölkerung ist ebenso vielfältig wie die von Rom. Menschen aus allen Teilen der Welt kommen mit dem Schiff dorthin oder wollen von dort aus nach irgendwo fort. Waren vom gesamten Erdkreis werden in Ostia verladen und Neuigkeiten, die über's Meer kommen, werden dort auch zuerst bekannt, bevor sie nach Rom durchdringen." Sein kleiner Abriss über Ostia wurde unterbrochen durch Melinas Geplapper über Frauengeschichten und Heirat. Sermo bedachte seine Schwester mit einem missbilligenden Stirnrunzeln. Valentinus war gerade erst für tot erklärt worden und nun schwatzte Melina bereits über so fröhliche Dinge wie Heirat? Das konnte nicht ihr Ernst sein! "Melina, kein Wort mehr!" wies er sie zurecht. "Valentinus ist tot, hast du das bereits vergessen? Halte sein Gedenken gefälligst angemessen in Ehren, bevor du über Familienplanung zu philosophieren beginnst!" Er erhob sich und wies auf die Tür zum Inneren der Casa. "Genug für heute. Ich muss Vorbereitungen treffen; und du solltest dir auch vernünftige Gedanken über deine Zeit in Ostia machen." Und mit befehlsgewohnter Stimme trieb Sermo seine Schwester mit einem einzigen Wort an, das keinen weiteren Widerspruch duldete: "Ab!"

    Mit hartem Blick nahm er die Antwort des Octaviers auf. Das hatte in dem Beileidsschreiben aber ganz anders geklungen. So zog Sermo den mitgebrachten Brief hervor und hielt ihn seinem Gegenüber hin, den Finger auf jenen zweifelhaften Satz gerichtet. "Dann sag mir bitte, Octavius: Wieso schreibst du, dass mein Bruder den 'harten Anforderungen im Militär nicht trotzen' konnte?" Er hatte die Zähne zusammengebissen und knirschte die Worte nur so hervor, denn er fühlte sich in seinem und seines Bruders Stolz angegriffen. "Wenn du doch nichts Genaues über seinen Tod weißt, wie kannst du solche Behauptungen aufstellen?" Mit skeptisch gerunzelter Stirn wollte Sermo den Octavius mit seinem stechenden Blick durchbohren, das Schriftstück noch immer drohend erhoben.

    Iulius Centho war da? Na, da bemühte Sermo sich doch ohne Umschweife herunter ins Atrium. "Salve Decemvir Iulius," begrüßte er den Mann, während er diesem die Hand reichte. Für Getränke war bereits gesorgt, Diomedes machte seine Arbeit gut. "Meine Schwester wird sofort hinzukommen," erklärte er entschuldigend und fragte dann mit neugieriger Miene: "Es ist mir eine Freude, dich einmal in der Casa Quintilia begrüßen zu dürfen, Iulius. Was führt dich her?"

    ~ INSULA POTITI GABINII FUNDULI ~
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    EIN MIETSHAUS IN GUTEM ZUSTAND. EIGENTUM DES KAUFMANNS GABINIUS. BEIM FORUM OSTIAE GELEGEN

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    Von Rom her gelangt man über die Via Ostiensis an die Küste des Mare Internum. Die breite und gut instandgehaltene Pflasterstraße verläuft geradewegs durch Ostia hindurch und schneidet das Forum Ostiae, um sich wenig später in zwei Abzweigungen zu spalten, die an den Fischer- und Händlerkais des Küstenorts enden. An dieser Hauptstraße befinden sich viele größere Mietshäuser, unter anderem auch das des Potitus Gabinius Fundulus. Diese gute gepflegte Mietskaserne in Atriumform steht an der Kreuzung westwärts der Curia Ostiae, so dass man von dort aus nur wenige dutzend Schritt Fußweg zu sämtlichen wichtigen Gebäuden des Stadtkerns hat.

    "Der aktuellen Situation in der Stadt nach zu urteilen erweist sich diese Mauer offenbar doch als recht nützlich," überlegte er vorsichtig. Wer wusste schon was die Iunia vor einiger Zeit bei den aufkommenden Unruhen alles erlebt hatte. Da wollte er lieber nicht alte Wunden aufkratzen. Deshalb sprach er auch gleich weiter und lenkte von diesem leidigen Thema ab. "Es gibt ein eigenes Judenviertel dort? Ist es sehr groß? Die scheinen Alexandria ja richtig schön zu finden, wenn sie sich so zahlreich dort niederlassen." Weitere Gedanken, die er mehr zu sich selbst sagte, jedoch auch seine Gegenüber hören ließ. Wieso auch nicht? Über Juden konnte man als Römer immer auf einen gemeinsamen Nenner kommen, sofern man keinen Christianer aufgegabelt hatte. Merkwürdiges Gesocks, wie Sermo fand.


    Seine Miene hellte sich auf, als er die indirekte Zusage zur Stadtführung hörte. "Sehr schön, dann freue ich mich bald dein persönlichen Stadtführer sein zu dürfen," zwinkerte er ihr zu und legte noch einen drauf: "Na, es gibt schlimmere Orte während der Winterzeit. Außerdem wird es ja bald wärmer, der Frühling ist schon auf dem Vormarsch." Und mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen erklärte er noch: "Geheime Perlen Roms kann ich dir auch einige Zeigen, wenn du möchtest." Er hatte sich scherzhaft vertrauensvoll etwas zu ihr heruntergebeugt und seine Stimme gesenkt, doch dann richtete er sich wieder zu voller Größe auf und nahm einen Schluck Wein. "Ahhh," seufzte er genießerisch, bevor er mit einem breiten Grinsen die aufgetischten Speisen zu überblicken begann. "Herrlich," kommentierte er ziemlich einsilbig. Die einzige Begeisterung zeigten seine frohlockend zuckenden Mundwinkel und seine strahlenden Augen.