Sermo war verwirrt. Wie war er hierher gekommen? Da stand er nun auf einem Kiesweg inmitten von blühenden Weiden und Feldern, auf denen das Getreide erntereif stand. Eine leichte Brise umwehte seine Nase und ein paar Spatzen tummelten sich zwischen den Ästen einer Weide. Ergänzt wurde dieses perfekte Bild von wohligen Sonnenstrahlen auf der Haut des Quintiliers. Wie war er hierher gekommen? Krampfhaft versuchte er sich zu erinnern.
Da war eine Barke gewesen. Eine Flussbarke, die gemütlich ausgestattet war mit allerlei Kissen, Sonnenschirmen und Leckereien. Eine junge Frau hatte neben Sermo gesessen, ihn abschätzend gemustert. Sie wechselten kein Wort, sondern saßen einfach nur da. Die Barke glitt langsam flussabwärts und noch immer sprachen sie nicht. Mit einem Mal erkannte Sermo die Frau als die Decima, die er einst ehelichen wollte, doch bevor er etwas sagen konnte, verschwamm der Eindruck und alles wurde dunkel.
Eine Welt aus Hitze und Schmerz umhüllte den Quintilius, der seltsam neben sich zu stehen schien. Da war ein Raum mit einem Bett. Es war ein Krankenlager, wie Sermo erschrocken erkannte. Sein Krankenbett! Aber wie konnte das sein? Er wollte rufen, wollte einen Medicus holen, wollte irgendwen nach den Gründen fragen. Unmöglich, sein Mund brachte keinen Ton hervor.
Caelyn schrie. Sermo sah, wie eine alte runzelige Frau sich über sie beugte, ihr zuredete, ihre Stirn abtupfte. Caelyn hatte einen runden Bauch. War sie den Sklavenjägern entkommen? Plötzlich bäumte sich die junge Keltin auf und kreischte wild, als wolle sie allen Hass in die Welt hinausschreien. Sermo wollte erschrocken zurückweichen, aber sein Körper bewegte sich nicht. Sein Körper? War er denn überhaupt bei ihr im Raum? Sermos Blick richtete sich starr auf Caelyns Gesicht, er konnte ihn nicht mehr abwenden. Hitze. Schmerz. Er fühlte sich elend. Caelyn schrie. Dann schrien zwei Stimmen, eine ganz dünn und quäkend. Doch Sermo konnte seinen Blick nicht von Caelyns Gesicht abwenden. Aus ihren Augen sprach der Tod.
"Iullus!" rief eine helle Frauenstimme. Die Blätter der Weide raschelten im Wind, das Getreide wiegte sich auf den Feldern hin und her. Melina kam federnden Schrittes über den Kiesweg zu ihm her gelaufen. Sie lachte ihr glockenhelles Lachen.
"Liebe Schwester", stellte Sermo fest, ein glückliches Lächeln auf den Lippen.
"Iullus, endlich bist du hier. Bona dea, du hast dir aber auch Zeit gelassen. Dass du immer so trödeln musst!"
Die Schelte verwirrte ihn.
"Zeit gelassen? Aber, wo sind wir denn?"
Melina nahm ihn bei der Hand. Ihre Haut fühlte sich ganz weich an und warm.
"Ach Iullus, du verstehst aber auch gar nichts. Komm, alle warten schon auf dich!"
Und sie zog ihn mit sich, tanzte vor ihm her und führte ihn über den Weg durch die Felder an Hainen und Gehöften vorbei, über eine Brücke an einem Bach und immer weiter entlang des Weges.
"Wohin gehen wir? Na los, sag schon", forderte Sermo ungeduldig. Immer musste Melina Scherze mit ihm treiben, Unsinn machen. Sie war so ungezogen. Gut, dass er sie bald verheiraten wollte.
"Dahin, wohin jeder einmal geht", lachte die kleine Schwester und zeigte auf einen Hügel, über den sich rechts von ihnen eine Wiese breitete. Sie gingen hinauf, wo bereits ihre Brüder warteten.
"Iullus!" riefen Titus und Marcus strahlend vor Freude. Die Brüder umarmten sich herzlich. Als sie wieder voneinander abließen, trat kurz ein Moment peinlicher Stille ein. Dann blickte Titus über die weite Ebene, die dort vor ihnen lag.
"Iullus, wir haben lange auf dich gewartet. Gut, dass du endlich da bist. Jetzt können wir wieder als Familie zusammen sein."
Der älteste der Geschwister verstand nicht recht.
"Ich verstehe nicht, Bruder. Worauf habt ihr gewartet?"
Titus sah ihn erst erstaunt an. Dann wandelte sich seine Verwunderung zu Bedauern.
"Ach Iullus. Schau dich doch an. Weißt du es denn noch nicht?"
Der große Bruder sah an sich herunter. Er war abgemagert, ausgezehrt. Das Fieber! Als er aufblickte, hatte der Himmel sich schwarz gefärbt, seine Geschwister waren zu fernen Schatten entrückt worden. Eine einzelne Stimme rief von weit her. "Dominus!" hallte es über die Ebene. "Dominus!"
Doch der Herr hörte seinen Sklaven nicht...
"Und?" fragte Cleon den Medicus, der seinen Herrn nun seit Wochen in seinem Leid begleitete. Der Quintilius kämpfte mit der Mala aria, seit er aus den Sümpfen heimgekehrt war. Und es ging ihm von Tag zu Tag schlechter, befürchtete Cleon. Seine Sorge wurde bestätigt, als der Medicus bedauernd den Kopf schüttelte.
"Nein. Nichts zu machen."
"Wie bitte?" ächzte Cleon entsetzt.
Der Medicus bedachte ihn mit einem mitfühlenden Blick.
"Tut mir leid, Junge. Dein Dominus wird..."
"Nein!" flehte der Sklave entsetzt.
"...sterben."
Cleon hörte nicht mehr, wie sich der Medicus verabschiedete, als er am Bett seines Herrn niederkniete und verzweifelt zu beten begann.