http://imageshack.us/a/img9/6633/hic3105.jpg M. Gorgonius Augurinus ...
war Advocatus mit jeder Faser seiner Seele. Streng, manchmal fast unnahbar, glaubte er fest an die Gerechtigkeit. Nicht die gewonnenen Kriege seien es, die dem römischen Reich seine Majestät verliehen hätten, nein, diese Majestät sei ihm aus seinem Recht, dem Römischen Recht erwachsen. IUSTITIA EST CONSTANS ET PERPETUA VOLUNTAS IUS SUUM CUIQUE TRIBUENDI *) war sein Wahlspruch (diese Worte wird Ulpianus zwar erst ein paar Jahrhunderte später gesagt haben, aber es zeigt, wie groß der Weitblick des Augurinus war).
Er trat vor.
"Werte Iudices,mein Name ist Manius Gorgonius Augurinus. Mir ist die Aufgabe zugewachsen, den Angeklagten in diesem Fall Rechtsbeistand zu leisten. Obwohl ich jede Rechtsverletzung, wie auch diesen Fall von Diebstahl als eine Beschmutzung des Römischen Rechts betrachte, habe ich die Pflicht, dem Sieg der Gerechtigkeit auch für diese Beklagten zum Durchbruch zu verhelfen".
Mit spitzen Fingern klaubte er sich eine Kopie der Anklageschrift vom Tisch.
"Ich werde, eure Erlaubnis voraussetzend, werte Iudices, die Abfolge der Anklagepunkte in dem Schriftstück des verehrten Petronius Crispus streng einhalten".
"Da ist zunächst der Punkt 'Diebstahl und Bildung krimineller Banden' nach den §§ 86(2) respektive 104(2) CI gegen die Peregrini Philonicus, Silus, Paulinus und Scipio. Die Mittäterschaft von Philonicus und Silo bei der Ausführung des Diebstahls ist durch das Geständnis von Germar erwiesen. Mitnichten aber die von Paulinus und Scipio. Wie wir aus dem Verhörprotokoll vom M. Magonidas wissen, hat Philonicus dem Germar diese Namen verschwiegen".
"Paulinus und Scipio wurden vielmehr zusammen mit Philonicus und Silo von einem Kontrollposten unter Führung des Optio Cn. Munatius Verax an der Grenze zur Gallia Lugdunensis beim Transport des Diebesgutes festgenommen. Ich habe diese Angaben durch eigene Erkundigungen einholen müssen, da mir bisher kein offizieller Bericht über die Festnahme und die eventuell nachfolgenden Verhöre vorliegt. Ich verweise hierzu auf § 17(5) CI. Wenn in den Akten des Gerichts ebenfalls kein solcher Bericht vorhanden ist, muss davon ausgegangen werden, dass die Mittäterschaft von Paulinus und Silanus bei dem Diebstahl als unbewiesen anzusehen ist".
"Ich komme jetzt zu dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Gruppe nach § 104(2) CI". Augurinus lächelte in sich hinein. "Diese Zuordnung ist zweifellos ein viel zu großer Stiefel für den hier zu behandelnden Fall. Ich würde wirklich nur dann auf den § 104 plädieren, wenn nachgewiesen wäre, dass die Beklagten eine Vereinigung gegründet hätten, die die dauerhafte Begehung von Verbrechen zum Vorsatz hätte und auch schon mehrere Verbrechen begangen hätte. Die Beweislage ist hier nicht nur dünn, sondern fehlt sogar gänzlich, sodass große Zweifel bestehen bleiben. Richtig ist im diesem Fall, dass § 86(2) angewandt werden muss. Das Kriterium für § 86(2) ist ja, dass der Diebstahl von einer Bande ausgeführt wurde und nicht von einem einzelnen. Ich appelliere an das Iudicium, sich hier den Grundsatz 'in dubio pro mitius' **) vor Augen zu halten, um auf dem sicheren Boden der Gerechtigkeit zu bleiben".
Augurinus blickte kurz auf die Anklageschrift, verzog die Mundwinkel und legte den Papyrus wieder auf den Tisch. "Ich komme nun zu Germar, Sohn des Ratbod. Ihm wird der Diebstahl, die Bildung einer kriminellen Gruppe und Bestechung vorgeworfen. Zweifelsfrei hat er den Diebstahl nicht selber ausgeführt. Ich kann ihn aber nicht aus seiner Verantwortung entlassen, denn § 86(2) greift auch hier. Mein Sinn für Gerechtigkeit veranlasst mich, noch auf die §§ 48 und 49 CI hinzuweisen, ein Punkt, der in der Anklage versäumt wurde".
"Meine Ausführungen zu § 104 gelten auch für Germar, sodass ich sie nicht zu wiederholen brauche. An dem weiteren Vorwurf der Bestechung nach § 108(2) ist nichts zu deuteln. Aber ich bitte das werte Iudicium darum, folgendes in Betracht zu ziehen: Wie die Anklage es formuliert hat, den Tätern wurde 'gegen ein lächerlich kleines Bestechungsgeld' das Tor zu ihrer Beute geöffnet. Dieses Tor zur Beute war eine simple Holztür. Es ist und bleibt mir ein Rätsel, wie die jetzt klagende Civitas mit der Absicherung ihres Geldes so bodenlos leichtsinnig umgehen konnte. Es war ja geradezu eine Einladung an die Beklagten, auf die Beute zuzugreifen. Wohlgemerkt, ich spreche nur von Leichtsinn, nicht von Fahrlässigkeit, denn dies müsste ja dann juristische Weiterungen nach sich ziehen".
Nur eine Augenbraue ging in die Höhe, als Augurinus zu den Stadtvätern hinüberschaute. Als er zu nächsten Punkt kam, seufzte er.
"Der einzige römische Bürger unter den Beklagten ist Servius Vipstanus Saloninus. Ihm wirft die Anklage Missbrauch der Amtsgewalt und Bestechlichkeit nach den §§ 113 und 115 CI vor. Ich habe einige Zweifel daran, ob hier wirklich ein Missbrauch der Amtsgewalt vorliegt. Sicher kann man jedes auch noch so kleine Vergehen eines Amtsträgers mit einem gewissen Maß an Spitzfindigkeit leicht dem Tatbestand von § 113 zuordnen. Ich erlaube mir, jetzt mit demselben Maß an Spitzfindigkeit festzustellen: ein Missbrauch der Amtsgewalt liegt nur dann vor, wenn ein Amtsträger sich gegenüber Dritten Rechte anmaßt, die er de facto nicht hat. Der § 115 ist folglich hier der einzig Zutreffende und reicht für eine angemessene Strafe auch vollkommen aus. Im Übrigen verweise ich auf meine vorigen Ausführungen zum Thema Leichtsinn".
Wieder blickte Augurinus zu den Stadtvätern hinüber.
"Die Anklage hat den Bürger Saloninus nicht des Diebstahls und der Bildung krimineller Gruppen bezichtigt. Sie betrachtet ihn, wie jeder andere vernünftige Mensch das auch tun würde, folgerichtig als nicht zugehörig zu dem Ganovenquintett. Er wurde nur als Türöffner benutzt. So weit, so gut, wenn die Anklage dann nicht in einer bemerkenswerten Rückwärtsvolte für alle Angeklagten die Todesstrafe fordern würde. Für alle?"
Jetzt hob Augurinus beide Augenbrauen.
"Ich stelle fest, dass damit das werte Iudicium unzulässigerweise zu einem ungerechten Urteil aufgefordert wird. Man kann die Angeklagten nicht über einen Kamm scheren. Also: SUUM CUIQUE!"
"Die Todesstrafe? Ich finde in der Anklageschrift keine tragfähige Begründung für eine solche Forderung und das Iudicium wird wohl auch keine finden. Oder vielleicht doch? Ja, sicher, die Anklage hat ja auf den schlimmen § 104 (2) plädiert! Mit der abenteuerlichen Begründung, dass die Angeklagten des Kaisers Geld gestohlen hätten. Ja, aber warum hat die Anklage bei einem solch gigantischen Vorwurf dann vergessen, auf § 104(3) CI zu plädieren? Der würde doch mühelos ein Todesurteil ermöglichen. Sie haben aber nicht und so ist dies auch nicht Gegenstand dieser Verhandlung."
"Wertes Iudicium, zum Schluss bitte darum, bei der Urteilsfindung auf dem sicheren Boden der Gerechtigkeit zu bleiben".
Er setzte sich.
Sim-Off:*) Gerechtigkeit heißt, jedem sein Recht geben, immer und beharrlich
**) im Zweifel für das Mildere