Beiträge von Iunia Serrana

    Es war ein seltsames Gefühl, wieder hier in diesem Raum zu stehen. Allzulang schien es Serrana noch nicht her zu sein, dass sie selbst hier gemeinsam mit ihrer Freundin Calvena unter der Anleitung ihres Lehrers Durmius Verus für ihre Priesterinnen-Ausbildung gebüffelt hatte, und jetzt würde sie hinter dem anderen Tisch sitzen und einen eigenen Schüler unterrichten.
    Während sie auf die Ankunft des jungen Flaviers wartete, ging Serrana langsam durch das kleine Officium, strich mit den Fingern andächtig über das Holz der Schreibpulte und zog die eine oder andere Schriftrolle aus dem Regal. Diese Ausbildung war in ihren Augen eine große Herausforderung, und beschehrte Serrana in diesem Moment ein nicht unerhebliches Lampenfieber, aber trotzdem freute sie sich darauf.

    "Oh ja, ja, das wurde sie." bestätigte der Bote eifrig nickend. "Der Rex Nemorensis hat das getan, nachdem er sie bei dem Toten gefunden hat so ...äh...halbnackt. Und da waren noch Männer bei ihr, der eine sah aus wie ein Ägypter. Die haben vielleicht etwas gesehen." Er starrte den Pontifex aufgeregt an, um ja keine Frage zu verpassen oder gar misszuverstehen und schüttelte dann den Kopf.


    "Nein, Herr. Der Priester hatte gerade erst den Weihrauch entzündet und mit der Anrufung begonnen. Und dann hat diese Frau so furchtbar geschrien, dass es alle gehört haben, und da hat er das Opfer abgebrochen und ist zu ihr hingerannt."

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    Artanes


    Nur wenige digiti von der Frevlerin entfernt starrte Artanes auf die Szenen hinab, die sich unmittelbar unter ihnen im Hain abspielten. Erst wenige Minuten war es her, da hatte ihn, wenn überhaupt, nur die Frage bewegt, ob er wohl lange genug überleben würde, um auch das Opfer des folgenden Jahres zu leiten. Und jetzt...jetzt war sich Artanes nicht mehr sicher, ob er das überhaupt noch wollte. Der größte Teil der Rinderherde war inzwischen aus der unmittelbaren Umgebung verschwunden, und für einen kurzen Moment wurde das Donnern der Hufe durch eine unheilvolle bleierne Stille ersetzt. Ein paar Sekunden nur, in denen Artanes einfach sitzen blieb und weiterstarrte, dann begannen die Schreie. Schreie voller Schmerz, Angst und Trauer von allen Seiten, lautes Wehklagen, und dem Priester stellten sich voller Grauen alle Haare auf. "Rühr dich nicht vom Fleck, oder ich breche dir den Hals." fuhr er die verängstigte Frau neben sich an und ließ sich vom Baum gleiten, um sich ein Bild von der Zerstörung zu machen, den der offensichtliche Zorn der Götter hinterlassen zu hatte. Artanes war niemals ein besonders feinsinniger oder mitfühlender Mensch gewesen, aber dieser Anblick war sogar für seine Augen beinahe zu viel. Der Boden des heiligen Hains, der noch bis vor wenigen Augenblicken ein Ort des Friedens gewesen war, war übersät mit toten, zum Teil grässlich zertrampelten und verstümmelten Körpern, denen man kaum noch ansehen konnte, ob sie mal Männern, Frauen oder Kindern gehört hatten. Fast noch schlimmer als die Leichen war der Anblick der Menschen, die es nicht auf die Bäume geschafft hatten und ihren zum Teil entsetzlichen Verletzungen zum Trotz immer noch lebten und sich die Seele aus dem Hals schrien oder verzweifelt nach ihren Angehörigen und Freunden riefen.
    Wie in Trance bewegte sich der Rex Nemorensis zwischen den Bäumen seines Hains hin und her, an deren Ästen immer noch die Bänder mit den hoffnungsvollen Bitten und Gebeten all derer hingen, die jetzt in ihrem Blut auf dem Boden lagen.
    Dann hob er den Blick und sah mit unbewegtem Gesicht hoch zu der fremden Frau, die sich nach wie vor über ihm an die Äste klammerte.
    Ob sie überhaupt eine Ahnung hatte, was da gerade über sie alle gekommen war, und dass es vermutlich ihre Schuld war?

    Serrana rieb sich über die Augen und ließ die Finger dann kurz auf den mittlerweile pochenden Schläfen liegen. Sedulus verstand sie nicht, und sie wiederum verstand nicht, warum ihm das so schwer fiel. Bei der Bemerkung über ihre Großmutter glitt ein winziges Lächeln über ihr Gesicht, doch díe Ablenkung wirkte nicht lang genug, um Serrana aus dem Sumpf von Ratlosigkeit, Angst, Ärger und Selbstmitleid zu ziehen, in dem sie gerade steckte.


    "Ist schon gut, es hat keinen Zweck. Du verstehst ohnehin nicht, was ich meine." murmelte sie schließlich, und die Resignation war ihrer Stimme deutlich anzuhören. Serrana sah kurz zu Sedulus auf und starrte dann wieder auf den Boden, während sie mit der einen Hand an ihrem Arm entlang fuhr als wäre ihr kalt. Und so sehr sie sich normalerweise auch danach sehnte, endlich als erwachsene Frau ernstgenommen und respektiert zu werden, so sehr fühlte sie sich in diesem Moment überfordert. In den ersten Wochen nach ihrer Hochzeit hatte nichts die unbeschwerte Phase der reinen Verliebtheit stören können, doch jetzt zog auf einmal eine dunkle Wolke nach der anderen auf: die so schnell erfolgte Schwangerschaft, all die nicht immer einfachen Pflichten und Aufgaben einer Ehefrau, die Ausbildung, die sie so optimistisch übernommen hatte und die ihr einiges abverlangen würde, und jetzt der Tod von Axillas Mann und der erste wirkliche Streit mit ihrem Mann. Serrana hatte nie wirklich gelernt zu streiten, dafür hatte sie sich viel zu lange im Umgang mit ihrer dominante Großmutter in Passivität und Nachgiebigkeit geflüchtet.


    "Vermutlich wird Axilla jeden anderen lieber sehen als mich, trotzdem hast recht. Ich werde mich gleich auf den Weg machen, aber so kann ich nicht gehen." Serranas Hand fuhr automatisch und ein wenig zittrig über ihre zerzauste Frisur. Sie würde sich kämmen müssen und umkleiden. Und sich ein wenig das Gesicht kühlen, damit sie nicht schon völlig verheult bei ihrer Cousine ankam.

    Warum hatte es nur ausgerechnet ihn treffen müssen? schoss es dem Boten durch den Kopf, während er nervös mit den Füßen scharrte. Sein Kumpel Glaucus hätte diesen Job vermutlich wesentlich unbeeindruckender und souveräner gelöst. Aber der hatte ja ein paar Schritte weiter hinten gestanden und war dem Priester nicht direkt ins Auge gefallen...


    "Also.....ähm...da war diese Frau, die ...ähm...hat sich...wohl zuerst mit ihrem Liebhaber.....ähm....vergnügt, also...dort mitten im Hain. Und dann....äh....hat...also....so wie es aussieht...hat sie den dann danach umgebracht. Alles war voller Blut, Herr." Der Bote starrte den Boden der Villa Tiberia an und wünschte sich ganz weit weg.

    Serrana öffnete auf die Aufforderung ihres Mannes ein paar Mal den Mund und schloss ihn gleich wieder. Was sollte sie ihm auch sagen, dass sich in den Ohren eines unbeteiligten Zuhörers nicht vollkommen schwachsinnig und kindisch anhören würde? Dass sie den Tod, und alles was damit zu tun hatte, am liebsten ganz aus ihren Gedanken und ihrem gesamten Leben streichen würde, weil sie nicht in der Lage war, ihn als natürlichen Bestandteil des Lebens zu akzeptieren? Dass sie nichts von ihm hören wollte, und wenn überhaupt, dann nur aus der Ferne und Menschen betreffend, mit denen sie nichts zu tun hatte? Dass die Tatsache, dass Axillas Mann, der nach allem was sie wusste, gesund gewesen und ein zufriedenes Leben geführt hatte, urplötzlich gestorben war, zeigte, dass ein solches Schicksal im Grunde auch jeden anderen treffen konnte? Und zwar nicht nur Serrana selbst, sondern auch eine ihrer Freundinnen, oder Axilla, oder gar Sedulus?
    Nein, es hatte keinen Zweck, das erklären zu wollen, schon gar nicht in diesem Moment, in dem ihr der Kopf vom Weinen schmerzte und sie kaum vernünftig nachdenken konnte.
    Dann lieber doch das andere Thema, lieber wütend sein als ängstlich und absolut hilflos.


    "Ich hab das nicht seinetwegen gesagt, sondern weil du hier sitzengeblieben bist wie ein Sack Mehl und auch so reagiert hast. Als hätte ich dir erzählt, dass es draussen regnet oder Großmutter einen ihrer Anfälle gekriegt hat." maulte sie nach wie vor beleidigt, doch dann stieg ihr plötzlich eine verlegene Röte ins Gesicht. In diesem Punkt hatte Sedulus leider Recht, Archias war der einzige Gast auf ihrer Hochzeit gewesen, dem sie die Einladung persönlich übergeben hatte, alle anderen waren per Post informiert worden. Und warum? Weil sie, Serrana, neugierig gewesen war und den Mann, der hinter all den seltsamen Geschichten rund um ihre Cousine stand, unbedingt hatte sehen wollen. "Naja, es war halt eine günstige Gelegenheit, mal in den Palast zu kommen und zu sehen, wie die Familie des Kaisers so wohnt." gab sie schließlich widerstrebend und die Wahrheit nur ein wenig verbiegend zu. Sedulus kannte das Drama um Axillas uneheliche Schwangerschaft und ihren Abtreibungsversuch schließlich nicht, und mit Archias' Tod konnte man das auch endgültig zusammen mit ihm zu Grabe tragen.
    In den folgenden Sekunden hatte sich Serrana bereits dermaßen in ihre Hysterie hineingesteigert, dass sie erst gar nicht merkte, wie ihr Arm plötzlich wieder losgelassen wurde. Als es endlich wieder soweit war, blieb auch sie einfach stehen und rieb sich instinktiv das Handgelenk, obwohl Sedulus sie gar nicht allzu fest angefasst hatte.
    "Ich muss zu ihr gehen, Quintus. Zu Axilla, meine ich." sagte sie schließlich und wurde sich zunehmend ihrer verheulten geschwollenen Augen, und ihrer laufenden Nase bewusst, wodurch sie sich nur noch elender fühlte. Sie hob den Blick und hätte angesichts von Sedulus schuldbewussten Gesichtsausdruck gleich wieder zu heulen anfangen können. "Wir verstehen uns zwar nicht,und es wird sicher schrecklich werden, aber hingehen muss ich trotzdem."

    Für Serrana, die während ihrer Kindheit eher kurz gehalten worden war und das Leben an der Seite eines wohlhabenden Senators noch nicht so weit verinnerlicht hatte, dass ihr der damit verbundene Luxus normal erschien, waren 500 Sesterzen durchaus eine Menge Geld. Überrascht, dass man auf die Idee kommen konnte, eine derartige Summe bei einem einzigen Wagenrennen zu verwetten, sah sie überrascht zwischen den anderen Anwesenden hin und her, entschied sich dann aber, sich einen entsprechenden Kommentar zu verkneifen. Ausserdem bestand auf diese Weise die Hoffnung, dass das Thema irgendwann endlich durch sein würde, und Dolabella mit dem in Serranas Augen deutlich interessanteren Spiel beginnen würde. Und in der Zwischenzeit gab es noch eine Menge leckerer Dinge auf dem Tisch, mit denen sie sich ausführlich beschäftigen konnte.

    "Natürlich hast du das nicht, und darum geht es auch gar nicht." fauchte Serrana und stampfte wütend mit dem Fuß auf. Dass sich Aelius Archias ausgerechnet den Tarpeischen Felsen als Schauplatz für seinen Selbstmord ausgesucht hatte, war ein Detail, das das Ganze in Serranas Augen noch schlimmer machte, aber es war nicht der entscheidende Punkt. Ebenso wenig wie die Person des Verstorbenen, den sie bei ihren wenigen Zusammentreffen zwar sympathisch gefunden, aber dennoch kaum gekannt hatte.
    Nein, es war in erster Linie die Tatsache, dass der Tod ausgerechnet jetzt, wo sie gerade mit Mühe und Not geschafft hatte, ihre diesbezüglichen und allzeit präsenten Ängste zumindest ein wenig in den Griff zu bekommen, wieder Einzug in ihr Leben gehalten hatte, und zwar so, dass sie ihn unmöglich einfach ignorieren konnte. Gleichgültig, wie Archias gewesen sein mochte, gleichgültig, wie oft sie sich mit Axilla auch schon gestritten haben mochte, wieder war ein Mitglied ihrer Familie von heute auf morgen gestorben, und das machte Serrana entsetztliche Angst. Einen Moment lang rang sie mit sich, Sedulus all das irgendwie verständlich zu machen, doch dann starrte sie in von einer Sekunde auf die andere einfach nur noch fassungslos an.


    "Mit ihm etwas gehabt? Ich?" Serrana, die, Heirat hin oder her, nach wie vor mit einer recht gesunden Portion Naivität durch ihr Leben ging und zumindest unterbewusst immer vermutet hatte, dass das bei anderen Leuten genauso war, schüttelte nach einigen Sekunden der Starre vehement den Kopf, und versuchte dann wütend ihren Arm von der Hand ihres Mannes zu befreien, während ihre Stimme noch lauter und immer häufiger von Schluchzern unterbrochen wurde. "Wie kannst du nur so etwas sagen, das ist so gemein und widerlich. Ich hab Aelius Archias nur einmal ohne dich gesehen, und das war, als ich im Palast war, um ihn zu unserer Hochzeit einzuladen. Zu unserer Hochzeit, hörst du?" Serrana heulte erneut auf und stemmte sich verzweifelt Richtung Tür. "Und jetzt lass mich endlich los, ich will raus hier."

    Der Bote, der durch die Geschehnisse im Hain, den nächtlichen Gewaltritt und die Tatsache, dass er sich gerade im Haus eines Consulars und Pontifex aufhielt, ohnehin schon jenseits von Gut und Böse war, fuhr entsetzt zusammen, als plötzlich eine ehrfurchtgebietende Stimme durch das stille Atrium hallte.


    "Oh..äh....salve,...äh Pontifex Tiberius," begann er mit zitternder Stimme und starrte den eben Angekommenen mit einer Mischung aus Angst und Respekt an. Wer hatte auch damit rechnen können, dass ein so kleines Licht wie er diesem Mann einmal gegenüber stehen würde? "Der...Rex Nemorensis schickt mich. Es hat einen furchtbaren Frevel im Hain der Diana während der Opferzeremonie gegeben. Ein Mann wurde vermutlich ermordet, und man spricht auch von ....ähm....schwerer Unzucht, Herr."

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    Artanes



    Die Reaktion des hellhaarigen Sklaven riss auch Artanes endlich aus seiner Erstarrung. Er drehte sich einmal um die eigene Achse, erfasste Panik und Entsetzen der Menschen und auch den Tod, der bereits im Hain Einzug gehalten hatte und brüllte dann: "Auf die Bäume, los!" Zwei völlig hysterische junge Mädchen rannten, statt auf Artanes Befehl zu reagieren, auf ihn selbst zu, da sie sich von ihm vermutlich Rettung versprachen und er hievte sie kurzerhand auf die tiefsten Äste des nächsten Baumes, was ihm dank seiner Körpergöße und -kraft recht leicht fiel. Die vermeintliche Frevlerin hing wie ein nasser Sack in unmittelbarer Nähe an einem dicken Ast, und so packte der Rex Nemorensis auch sie recht ungalant am Hinterteil und schob sie noch ein Stück in die Höhe, damit sie sich nach oben ziehen konnte. Die Rinder waren jetzt so nahe, dass Artanes sie riechen und ihr Schnauben hören konnte, und so folgte er kurzerhand seiner Gefangenen nach oben um sich dann, neben ihr in den dickeren Asten angekommen, soweit wie möglich wieder nach unten zu dem blonden Sklaven hinunterzubeugen und ihm den Arm entgegenzustrecken.


    "Komm schon!"

    "Was ich von dir will?" Serrana spürte, wie ihr die altbekannte Röte ins Gesicht stieg, doch diesmal hatte die ihre Ursache einmal nicht in Verlegenheit oder Scham. Ihr ursprüngliches Entsetzen kippte jetzt in eine ganz andere Richtung, und falls Serrana jemals in ihrem Leben schon einmal derart wütend gewesen war, dann konnte sie sich zumindest nicht mehr daran erinnern. "Was ich von dir will?" wiederholte sie mit leicht überschnappender und immer lauter werdender Stimme. Sie beugte sie vor und stieß Sedulus seine Schriftrolle gegen die Brust.


    "Ich will, dass du wenigstens ein bisschen Pietät zeigst, wie es sich für einen anständigen Römer gehört. Der Mann meiner Cousine hat sich an einem Ort umgebracht, an dem man Verräter und Verbrecher der übelsten Art hinrichtet, und dir fällt nur dieses bescheuerte Wagenrennen ein! Was bist du nur für ein gefühlloser Klotz, ich fasse es nicht!" Mittlerweile waren ihr die ersten Tränen in die Augen geschossen, und Serrana wischte sie wütend mit dem Handrücken ihrer freien Hand weg, bevor ihr seine letzte Bemerkung endgültig den Rest gab.


    "Ob du deine Lektüre wieder haben kannst? Bitte schön, da hast du sie!" Serrana holte aus und warf die Schriftrolle an Sedulus' Kopf vorbei gegen die nächste Wand. "Von mir aus kannst du dein ganzes verdammtes Cubiculum zurückhaben, ich werde dich sicher nicht so schnell wieder mit einem meiner nichtigen Probleme behelligen, wo du doch gerade so etwas spannendes zu lesen hast." Sie schluchzte kurz vor lauter Wut und Enttäuschung auf und wandte sich dann Richtung Tür, um aus dem Zimmer zu stürmen.


    edit: Wortdoppler ausgebessert

    Hatte er das gerade wirklich gesagt? Unmöglich, sie musste sich verhört haben...So verwirrt Serrana in diesem Moment auch war, einer Sache war sie sich vollkommen sicher gewesen: dass ihr Mann aufstehen, sie in den Arm nehmen und trösten und beruhigen würde, wie er es bei all den nicht gerade seltenen Gelegenheiten getan hatte, in denen sie, Serrana, traurig oder verängstigt gewesen war.
    Aber nein, nichts dergleichen. Sedulus blieb nicht nur in aller Ruhe sitzen und hob kaum den Blick, sondern sagte auch noch so etwas!


    "Das meinst du doch nicht ernst, oder? Das ist doch wieder einer von deinen üblichen Scherzen, oder?" Im Grunde immer noch sicher, dass ihr Mann das Missverständnis jede Sekunde aufklären würde, baute sich Serrana vor dem Sessel auf, in dem Sedulus saß und riss ihm recht unsanft die Schriftrolle aus der Hand. "Sag schon, das sollte ein Witz sein, oder?"

    Völlig kopflos und hin- und hergerissen zwischen Entsetzen und Ungläubigkeit war Serrana auf der Suche nach ihrem Mann durch etliche Räume der Casa gehetzt, bis sie schließlich an das naheliegende dachte und in ihr gemeinsames Cubiculum lief. Und tatsächlich, da war er und zog sich gerade eine neue Tunica an.
    Selten war sie derart froh und erleichtert gewesen, Sedulus zu sehen, und so eilte sie schnell die letzten Schritte auf ihn zu.


    "Quintus, es ist so schrecklich." rief sie, bevor er überhaupt die Chance hatte sich zu ihr umzudrehen und ergriff seinen Arm. "Adula ist gerade vom Markt zurückgekommen und sie sagt, dass überall erzählt wird, ein Mitglied der kaiserlichen Familie habe sich vom Tarpeischen Felsen gestürzt......nicht der alte Quarto sondern der junge Aelius, und das kann doch nur Axillas Mann sein, oder?" Serrana hob die Hand und fuhr sich durch das ohnehin bereits zerwühlte Haar. "Aber das kann doch nicht sein, oder? Warum sollte der sich umbringen? Die beiden haben doch gerade erst geheiratet, genauso wie wir."

    "Naja, und wenn schon. Es wird ihn trotzdem freuen, dass er mal wieder vor die Tür kommt." sagte Serrana so leichthin, wie sie es nur irgendwie hinbekam. Ihr war von vornherein klar gewesen, dass dieser Ausflug für sie beide eine ziemliche Herausforderung werden würde, aber wenn Sabina und sie nicht einfach nebeneinander her leben sollten, bis das Mädchen erwachsen war und heiratete, dann mussten sie deutlich mehr Zeit miteinander verbringen und die Chance ergreifen sich besser kennenzulernen. Und es gab zumindest eine Erfahrung, die die beiden Mädchen miteinander verband.
    Allzu lange war es auch bei Serrana noch nicht her, dass sie ein Kind gewesen und mit ihrem Spielzeug auf dem Boden gesessen hatte, und so zog sie instinktiv die Knie an den Körper und legte die Arme darum, bevor sie wieder zu sprechen anfing.


    "Weißt du, diesen Esel und all die anderen Tiere in dem Beutel hat mein Vater für mich geschnitzt und bemalt, aber ich glaube, das hab ich dir schon mal erzählt." Ihr Blick wurde ein wenig abwesend und dunkel, während sie mit ihrer Geschichte fortfuhr, ohne auf eine Antwort zu warten. "Ich hab immer schon gern mit ihnen gespielt, aber dann ist plötzlich meine Mutter gestorben, und mein Vater ist fortgegangen und hat mich bei meinen Großeltern gelassen." Die Erinnerung an diesen gleich doppelten Verlust schmerzte auch nach all den Jahren noch überraschend stark, und Serrana blinzelte ein paarmal, bevor sie weitersprechen konnte. "Und von da an hab ich fast nur noch mit den Tieren gespielt, weil sie alle Familien hatten. Die Schweine hatten die Ferkel und die Pferde das Fohlen. Nur der Esel war am Anfang allein, aber dann kam die Kuh, und zusammen waren die beiden auch zufrieden." Nur sie selbst war es lange Zeit nicht gewesen, aber das brauchte sie Sabina nicht zu erzählen, die verstand das vermutlich auch so.

    "Das tut mir sehr leid." sagte Serrana leise, und meinte das auch tatsächlich ernst. Natürlich hatte sie Senecas Eltern nie kennengelernt und nicht einmal gewusst, dass er eine Schwester gehabt hatte, trotzdem war da ein dumpfes Gefühl des Verlustes. Noch ein Teil ihrer Familie, der einfach nicht mehr da war...Sie sah einen Moment lang ein wenig betreten zu Boden, dann gab sie sich wieder einen Ruck. Immerhin hatte sie heute einen neuen Verwandten kennengelernt, und der war erfreulicherweise quicklebendig! Und die Aussicht irgendwann mal nach Hispania zu kommen, war auch sehr vielversprechend.


    "Oja, da hätte ich nichts gegen." lachte sie und knuffte Sedulus dann in die Seite. "Aber soweit ist es ja wohl noch lange nicht, du tust ja geradezu so, als wärst du ein uralter Senator. Und dabei bauen wir doch gerade erst die Gens Germanica aus." Sie zwinkerte ihrem Mann zu und lächelte dann wieder ihren Cousin an. "Wir bekommen nämlich in einigen Monaten unser erstes Kind, musst du wissen."

    "Ich muss sofort den Pontifex Tiberius sprechen, im Hain der Diana hat ein Frevel stattgefunden!" stieß der Bote aufgeregt hervor und starrte den Ianitor mit weitaufgerissenen Augen an. Auf was wartete der denn nur?

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    Artanes


    Seit er damals in den Hain geflohen und den früheren Rex Nemorensis erschlagen hatte, war Artanes immer sicher gewesen, wie sein Schicksal sich letztendlich erfüllen würde. Irgendwann würde ein Anderer kommen, um seinerseits den Platz neben der heiligen Eiche einzunehmen, und er selbst würde als Fressen für die Tiere des Waldes enden. Dieses Szenario war fest in seinem Hirn verankert und machte ihm auch keinerlei Angst, aber das, was gerade geschah, irritierte ihn zutiefst.


    Einen Augenblick lang starrte er die fremde Frau und die beiden Sklaven einfach nur an, dann riss er sich wieder am Riemen. Entweder war die Frau eine Mörderin, oder aber der wahre Täter lief noch frei im Hain herum. Auf ein Zeichen von ihm eilten einige von Artanes Helfern in die die von dem radebrechenden Ägypter angezeigte Richtung im Hain, während der prüfende Blick des Priesters über die halbnackte und blutverschmierte Fremde glitt. "Du bist also in diesem Zustand durch den Wald gelaufen und hast dabei eine Leiche gefunden? Wer soll denn das glauben?" Artanes schüttelte den Kopf. "Sei es wie es sei. Das hier ist ein Fall für das Collegium Pontificorum, du da!" herrschte er einen weiteren seiner Helfer an, der erschreckt zusammen zuckte. "Reite sofort nach Rom und informiere den Pontifex Tiberius, er muss sofort von dieser Sache erfahren. Ich nehme dich fest, Weib, alles weitere liegt in der Macht des Cultus Deorum." Während Artanes noch sprach, drang auch das immer lauter werdende Donnern der Hufe auch an sein Ohr und Entsetzen machte sich in ihm breit. Wenn es das war, was er befürchtete, dann schwebten all die Gläubigen, die heute voller Vertrauen und Hoffnung in seinen Hain gekommen waren, jetzt in tödlicher Gefahr, und er hatte keine Ahnung, wie er ihnen helfen konnte. Offenbar war er mit diesem Gedanken nicht allein, denn rings um ihn her wurden einzelne Schreie laut, und Panik breitete sich unter den Anwesenden aus. Die Frau nach wie vor fest am Arm gepackt, blieb Artanes an Ort und Stelle stehen, und sein Blick ging zwischen ihr, den zunehmend aufgeregten Menschen und der Richtung, aus der das das Donnern kam, hin und her.

    Als Serrana aus der Casa Germanica hinaustrat, entdeckte sie die kleine Gestalt ihrer Stieftochter und musste ein wenig schlucken. Seltsam, dass sie immer so nervös war, wenn sie mit Sabina allein war, schließlich war die doch ein sechsjähriges Mädchen und sie selbst eine erwachsene Frau. Naja, strenggenommen war sie nur zehn Jahre älter als Sedulus' Tochter, aber konnte doch keine Ausrede sein. Vorsichtig, um Sabina nicht zu erschrecken, näherte Serrana sich ein wenig mehr und ihr Blick fiel auf den kleinen hölzernen Esel in der Hand des Mädchens. Aus irgendeinem Grund freute es Serrana ungemein, dass Sabina sich mit ihrem alten Spielzeug beschäftigte, und ihre Aufregung legte sich ein bisschen, als sie die letzten Schritte zurücklegte und sich dann neben der Kleinen auf der Stufe niederließ.


    "Es freut mich, dass du so gut auf den Esel aufpasst." sagte sie dann mit einem Blick auf das kleine Holtzier. "In den letzten Jahren hat sich leider niemand mehr um ihn und die anderen gekümmert."