Beiträge von Iunia Serrana

    Serrana nahm lächelnd ihr Wasser in Empfang und trank einen großen Schluck, runzelte dann jedoch bei Sedulus letzter Bemerkung die Stirn. Er hatte zwar noch niemals einen Hehl daraus gemacht, dass er nicht allzu fromm war und an den Göttern hing, und das akzeptierte sie auch. Aber diese Ausdrucksweise ging ihr dann doch ein wenig quer runter.


    "Der Cultus Deorum ist kein Verein." sagte sie mit einem leicht spitzen Unterton, der sich jedoch schnell wieder verflüchtete, als sie von ihrer zukünftigen Aufgabe sprach. "Wahrscheinlich fange ich schon in den nächsten Tagen an, und es kann sein, dass ich direkt zwei Schüler bekomme. Einen Verwandten von Senator Flavius Gracchus und einen Bekannten von Iulius Centho. Allerdings..." an dieser Stelle legte sie eine Hand leicht auf ihren Bauch,"...werd ich wohl nur den theoretischen Teil der Ausbildung übernehmen können und den Rest an einen anderen Priester abgeben. Schwangere Frauen dürfen bei den Opferungen ja nicht anwesend sein."

    "Nicht, dass ich wüsste. Ich hab zumindest keine Schreie gehört." erwiderte Serrana sein Grinsen und zupfte dann automatisch auch ein bisschen an seiner Tunika herum, bevor sie das Ergebnis prüfend betrachtete und dann zufrieden nickte.


    "Na, dann mal los. Wo bekommen wir denn jetzt etwas zu essen?"

    Axilla war mit einem mal plötzlich alles andere als unaufgeregt, und während sie ihre wild gestikulierende Cousine erschrocken anstarrte, schossen Serrana jetzt doch die Tränen in die Augen. Es war ihr derart in Fleisch und Blut übergegangen, jegliches Urteil "göttlichen" Ursprungs bedingungslos und ohne es zu hinterfragen zu akzeptieren, dass sie kaum fassen konnte, dass es andere Menschen anders damit hielten.


    "Axilla, bitte, ich bin nicht verrückt! Romana hat eine Haruspizin durchgeführt, und sie ist auch dafür ausgebildet worden. Und mit einer Leberbeschau kann man die Zukunft deuten, das ist nun einmal so." Serrana sah zu der längst wieder blitzblanken Stelle, wo vor noch nicht allzu langer Zeit das tote Lamm gelegen hatte und schüttelte sich unwillkürlich. "Und sie hat ja auch gesagt, dass alles gut gehen wird, aber so wie sie reagiert hat, kann das nicht die Wahrheit gewesen sein, das weiß ich einfach." Serrana schniefte und wischte sich beschämt, dass sie sich jetzt doch zu einem Gefühlsausbruch hatte hinreissen lassen, mit einem Zipfel ihrer Palla die Tränen aus dem Gesicht. "Und was sollte man schon dagegen tun können? Bei meiner Mutter hat auch nichts geholfen." Serrana war mit jedem Wort mehr ineinander gesackt, und erst Axillas letzte Worte brachten sie dazu, sich wieder aufzurichten.


    "Du bist mit MIR verwandt, und daran wird man sich schon erinnern, auch wenn ich....nicht mehr da bin." Serrana starrte einen Moment lang erneut auf ihre Hände und ballte diese dann zu Fäusten. "Axilla, du erinnerst dich doch sicher, worüber wir bei deinem Besuch in der Casa Germanica gesprochen haben. Ich habe viel darüber nachgedacht, was du gesagt hast, und ich möchte wirklich, dass mein Kind auch etwas über seine iunischen Wurzeln erfährt, und dass es darauf stolz sein kann. Aber wenn du mir nicht hilfst, dann wird meine Großmutter alles an sich reissen und kaputtmachen, und das ertrage ich einfach nicht." Bei den letzten Worten war jetzt auch Serrana aufgestanden und machte einen zögerlichen Schritt auf die immer noch auf und ab laufende Axilla zu.

    Was damit war? Unendlich viel, aber es war kaum ein Gedanke dabei, den Serrana in dieser Situation zulassen konnte, ohne Gefahr zu laufen sofort und hemmungslos loszuheulen. Früher oder später würden sich Angst, Hilflosigkeit, Selbstmitleid und auch Wut ohnehin wieder einen Weg nach aussen bahnen, aber das wollte sie, falls irgendwie möglich, herauszögern, bis sie wieder allein war. Axillas unaufgeregte wenn auch scheinbar irritierte Reaktionen halfen Serrana dabei, einigermaßen ruhig weiterzusprechen, auch wenn ihre Augen bereits verdächtig zu brennen anfingen. Wütend auf sich selbst und ihren offensichtlichen Mangel an Selbstbeherrschung blinzelte sie ein paar mal und sah Axilla dann direkt an, bevor sie sich erneut räusperte und weiter sprach.


    "Nun, ich....ich wollte dich bitten, dass du ab und zu mal nach ihm schaust, wenn.....wenn ich tot bin."

    Als ihr bewusst wurde, dass sie mit recht unverhohlener Neugier auf die Wachstafel in den Händen des Pontifex starrte, hob Serrana mit leichter Verlegenheit hastig den Blick und konzentrierte sich wieder auf das Gesicht ihres Gegenübers. Noch vor wenigen Monaten hätte sie bei einer männlichen Person diesen Ranges vermutlich bestenfalls das Kinn oder ein Ohr fixiert, aber seit ihrer Hochzeit war Serrana in dieser Hinsicht doch deutlich entspannter und selbstbewusster geworden.


    "Ja, das ist eine gute Idee. Wenn er ausserhalb des Tempeldienstes vorbeikommt, müsste ich eigentlich fast immer daheim sein." lächelte sie zurück, runzelte dann jedoch die Stirn, als sie versuchte sich an alle Details zu erinnern, die Dontas ihr über seine Person verraten hatte. "Nein, nicht direkt. Aber er hat erwähnt, dass er von etruskischen Priestern abstammt, und dass er sich sowohl den etruskischen als auch den römischen Göttern verbunden fühlt."

    "Ja, ein wenig Wasser wäre schön, danke sehr." sagte Serrana mit einem kurzen Blick hinüber zu dem Tablett mit den Getränken und setzte sich dann ihrem Mann gegenüber. Wie fing sie denn jetzt am besten an? Schließlich konnten ihre Neuigkeiten die Pläne der Familie für die nächsten Monate ganz schön durcheinander bringen.


    "Nun, zum einen geht es um meine Arbeit im Tempel. Ich hab dir doch erzählt, dass der Pontifex Aurelius mich zu einem Gespräch gebeten hat. " Serrana versuchte möglichst unbeteiligt und neutral weiterzusprechen, aber ganz konnte sie das stolze Leuchten in ihren Augen nicht unterdrücken. "Stell dir vor, er hat mir in Aussicht gestellt, dass ich demnächst selbst angehende Priester ausbilden kann. Ist das nicht unglaublich?"

    Serranas Blick folgte dem ihres Mannes zu den beiden wunderschönen aber auch hauchdünnen Kleidern, die sie gemeinsam am Tag ihrer Verlobung gekauft hatten, und erneut huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Sicher würde sich in absehbarer Zeit eine Gelegenheit ergeben, sie ihm erneut in einer Privatvorstellung vorzuführen, und diesmal würde sie sich vermutlich deutlich weniger verlegen aufführen als damals im Laden der ägyptischen Schneiderin.


    "Du wirst dich wundern, wie schnell ich sein kann." Nachdem sie Sedulus durchaus spürbar in die Seite geknufft hatte, flitze Serrana aus den Baderäumlichkeiten hinauf ins Erdgeschoss und dann noch ein Stockwerk höher zum Cubiculum des frischgebackenen Ehepaares. Nur wenige Minuten später stand sie erneut vor Sedulus und hielt triumphierend eine seiner trockenen Tuniken in die Höhe. "Na, was sagst du? Das war doch wohl schnell genug, oder?"

    Serrana war sich der Tatsache gar nicht bewusst, dass ihre vermeintlichen Erkärungen auf einen uneingeweihten Zuhörer eher verwirrend als erhellend wirken mussten. In ihren eigenen Augen setzten sich die vielen einzelnen Mosaiksteinchen zu einem vollkommen klaren und ebenso beängstigenden Gesamtbild zusammen, das ihrer Meinung nach auch jeder andere sehen musste, daher sah sie Axilla fast ein wenig überrascht an, als diese noch einmal nachhakte. Wenn sie doch wenigstens deren Fragen ohne wenn und aber beantworten könnte...
    "Ich....also...eigentlich möchte ich schon Kinder haben, aber ich hab so furchtbare Angst vor der Geburt." gab sie schließlich zu, und spürte,wie sich ihre Wangen vor Scham rot verfärbten. Und auch, wenn sie das am liebsten vergessen und Sedulus gegenüber niemals zugeben würde, so hatte Serrana durchaus ein paarmal über die Möglichkeit nachgedacht, ihre Schwangerschaft vorzeitig zu beenden, doch die Erinnerung an ihre sich in einem blutigen Bett vor Krämpfen windende Cousine hatte sie von derartigen Überlegungen recht schnell wieder abgebracht. In der Hoffnung, dass Axilla in diesem Punkt nicht weiter nachbohren würde, ging sie schnell dazu über, deren letzte Frage zu beantworten, zupfte dabei jedoch auch weiterhin an ihren Fingern herum. "Ja,....er weiß es. Ich wollte es ihm eigentlich nicht so schnell erzählen, aber dann ist mir bei einer Cena schließlich doch übel geworden, und da hat er mich direkt danach gefragt. Und er hat sich so gefreut, da konnte ich ihn doch nicht anlügen." Serrana sah kurz von ihren Fingern auf, begegnete Axillas fragendem Blick und biss sich erneut auf die Lippen. Über diiese Dinge zu sprechen, fiel ihr ungeheuer schwer, und dass sie sich mit ihrer Cousine im Grunde nicht besonders verstand, machte das Ganze auch nicht leichter. Unter normalen Umständen hätte Serrana alles in ihrer Macht stehende getan, um Axilla gegenüber so wenig Schwächen wie möglich zuzugeben, aber derartige Eitelkeiten würden sie bei ihrem Anliegen kaum weiterbringen. "Das ist auch der Grund, warum ich dich gebeten habe herzukommen." brachte sie schließlich nach kurzem Räuspern heraus. "Das Kind, meine ich."

    Serranas Blick ging zwischen ihrer Truhe und der Tür zum nahegelegenden Caldarium hin und her, dann erhellte er sich plötzlich. "Ich begreife beim besten Willen nicht, wie die Sklaven auf die Idee kommen konnten, meine Sachen ausgerechnet hier unten abzustellen. Aber das Gute ist, dass ich jetzt eins von diesen Kleidern überziehen und dir eine trockene Tunika aus unserem Cubiculum holen kann." Ohne Sedulus' Antwort abzuwarten schlüpfte Serrana in ein schlichtes Hauskleid, das ganz zuoberst in der Truhe lag und steckte sich dann mit ein paar Haarnadeln das immer noch feuchte Haar am Hinterkopf zusammen. "Ich werd mich auch beeilen, versprochen..."

    Wenn ihr zukünftiger Schüler nicht älter war als Anfang zwanzig, dann konnte man ihn mit gutem Willen beinahe noch als gleichaltrig betrachten. Serrana nickte zufrieden und wog dann eine Weile das für und wider in bezug auf die beiden möglichen Unterrichtsorte ab. Natürlich wäre es bequemer, es daheim zu versuchen, aber irgendwie schien ihr die Regia mit der besonderen Atmossphäre, die in allen Räumlichkeiten irgendwie spürbar war, doch passender zu sein.


    "Nun, ich denke, wir sollten zunächst in einem Arbeitsraum in der Regia beginnen." entschied sie sich schließlich. "Dort hätten wir alles in greifbarer Nähe, und es gibt nicht soviel Ablenkung wie in einem privaten Haushalt." Selbst in der kurzen Zeit ihrer Ehe hatte Serrana bereits festgestellt, dass man sich als "Dame des Hauses" manchmal nur mit Schwierigkeiten dem ständigen Zugriff durch die sonstigen Mitbewohner eines derart großen Hauses entziehen konnte.

    "Ich hatte vor kurzem Besuch von einem jungen Peregrinus namens Dontas."
    begann sie, nachdem Corvinus ihr deutlich signalisiert hatte, dass sie ihr Anliegen vortragen konnte. "Er kam auf Empfehlung von Iulius Centho und hat großes Interesse daran, dem Cultus Deorum beizutreten. Seine Hingabe an die Götter scheint echt zu sein, soweit ich das nach dem kurzen Gespräch mit ihm beurteilen kann. Denkst du, es gibt eine Möglichkeit für ihn?"

    Serrana hörte Dontas aufmerksam zu und nickte schließlich. "Ja, das kann ich verstehen. Es gibt sicher eine Möglichkeit, wie du dich in den Dienst des Cultus Deorum stellen kannst. Wenn du möchtest, dann werde ich mit dem Pontifex Aurelius Corvinus über deinen Wunsch sprechen. Er hat mich heute ohnehin zu einem Gespräch in die Villa Aurelia gebeten, und wird sicher nichts dagegen haben, wenn ich ihn darauf anspreche."

    Als sie die vertraute Stimme hinter der Tür hörte, lächelte Serrana und betrat das Büro ihres Mannes. Er saß an seinem Schreibtisch vor einem Stapel Papiere, wirkte wegen der Unterbrechung aber nicht verärgert.


    "Quintus, ich weiß, du hast viel zu tun. Aber hättest du einen Augenblick Zeit für mich, es gibt ein paar Dinge, die wir besprechen müsssen."

    "Nicht genug bekommen? Oh.." Serrana sah Sedulus aufrichtig überrascht an. Da ihr entsprechende Vergleichsmöglichkeiten fehlten, hatte sie absolut keine Vorstellung davon, wie oft ein ganz normales Ehepaar zusammenkam, und an diesem Morgen war sie bislang nur den Signalen ihres Körpers und ihres von Liebeswölkchen verschleierten Verstandes gefolgt. Danach musste sie unbedingt Septima fragen, am besten machte sie sich eine Liste, um bei ihrem nächsten "Damengespräch" nichts zu vergessen. Sedulus' Frage konnte sie allerdings auch so problemlos beantworten. "Oja, das hast du, ich kann mich nicht beschweren." kicherte sie erneut und folgte ihm dann neugierig in eine Nische des Raums, in der sie tatsächlich ihre bereits vermisste Truhe wiedererkannte. Überrascht ging sie neben der Truhe in die Hocke und öffnete den hölzernen Deckel. "Auf den ersten Blick scheint alles da zu sein. Schau, hier sind meine Kleider, der Schmuck, meine Schriftrollen..."

    Es war offensichtlich, dass Axilla von ihren Worten irritiert war, aber noch hörte ihre Cousine ihr zu, und das musste fürs erste genug sein. Wie hätte sie es auch verstehen sollen, hörten sich Serranas bisherige Erklärungen doch nach dem Idealverlauf einer frisch geschlossenen Ehe an.


    „Ich weiß, dass ich mich über die Schwangerschaft freuen müsste, schließlich ist es ja meine Pflicht, Kinder zu bekommen, aber ich kann es einfach nicht. Seit meine Mutter damals bei der Geburt meines Bruders gestorben ist, hab ich entsetzliche Angst davor, dass es bei mir genauso sein wird.“ Serrana griff nach einem bereitstehenden Becher mit Wasser und trank hastig ein paar Schlucke, bevor sie weiter sprach. „Als Kind hatte ich schon Albträume deswegen, aber dann waren sie jahrelang verschwunden, bis…bis zu der Nacht, als der Medicus bei dir war, du weißt schon…“ Serrana hatte nicht die geringste Ahnung, wie Axilla auf all diese Offenbarungen reagieren würde, aber diese hatte ein Recht auf die ungeschminkte und nicht geschönte Wahrheit, und so hangelte sich Serrana weiter von Wort zu Wort, in der Hoffnung sich diesmal etwas verständlicher zu machen. „Ich hab sogar überlegt, mir heimlich etwas zu besorgen, das eine Schwangerschaft verhindert, aber wegen der ganzen Vorbereitungen für die Hochzeit hab ich es dann vergessen. Irgendwie hab ich gedacht, dass so schnell ohnhein nichts passieren wird, und dann war es plötzlich schon zu spät. Als du mir dann im Garten erzählt hast, dass dir immer übel gewesen ist, da hab ich noch mal gehofft, dass ich mich irre, weil es bei mir nicht so war, aber na ja….“ Je näher sie sich an den Kern ihres eigentlichen Anliegens herantastete, desto spürbarer wurde das mittlerweile schon fast allgegenwärtige Gefühl der Angst, und der Wunsch, das Gespräch einfach abzubrechen und in den Garten zu flüchten wurde fast übermächtig. „Und weil niemand da war, mit dem ich hätte sprechen können, bin ich dann zu Claudia Romana, der Vestalin, gegangen. Sie ist eine sehr gute Freundin von Calvena, und ich mag sie auch sehr gern. Ich hab ihr alles erzählt, und sie hat mir vorgeschlagen, eine Leberschau an einem Lamm durchzuführen, um rauszufinden, ob alles gut gehen wird bei der Geburt, damit ich mir keine Sorgen mehr machen muss“. Serrana konnte selbst deutlich hören, wie ihre Stimme immer zittriger und kieksiger wurde und sprach immer schneller, um den schlimmsten Teil jetzt auch noch hinter sich zu bringen. „Das hat sie dann auch gemacht, hier auf dem Boden im Atrium, weißt du…Und dann hat sie irgendwann gesagt, dass alles in Ordnung ist, und dass es mir und meinem Kind gut gehen wird, aber….aber sie…sie war so seltsam….ganz anders als sonst…sie hat mich gar nicht mehr richtig angeschaut, und dann ist sie ganz schnell gegangen. Oh, Axilla, ich glaube, sie hat meinen Tod gesehen.“

    Im Grunde war es Serrana ganz recht, dass Axilla direkt auf den Grund dieses Treffens zu sprechen kam. Ihr graute es zwar bereits davor, all die Dinge beim Namen zu nennen, die sie jetzt schon seit Tagen und auch Nächten bei allem verfolgten, was sie unternahm und tat. Aber durch harmloses Geplänkel im Vorfeld war ihr nicht geholfen, das zögerte den Moment der Wahrheit nur weiter hinaus. "Wollen wir uns vielleicht hinsetzen?" fragte sie mit einem Blick auf die in der Nähe befindliche Sitzgruppe, ging dann, ohne Axillas Antwort abzuwarten, hinüber und nahm auf einem der Sessel Platz. Während sie darauf wartete, dass ihre Cousine es ihr gleich tat, zupfte Serrana nervös an ihren Fingern herum und ging zum hundertsten Mal, seit sie den Brief geschrieben hatte, im Geiste die Worte durch, mit denen sie Axilla alles erklären wollte. "Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, wie ich anfangen soll." gab sie zu und biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor sie ihren Blick wieder hob und Axilla direkt ansah. "Ich bin schwanger, Axilla. Eine ganze Weile schon, vermutlich ist es direkt nach der Hochzeit passiert." Ihr entfuhr ein kurzes bitteres Lachen, dann konnte sie wieder normal weitersprechen. "Und ich möchte mich für mein Benehmen bei deinem Besuch in der Casa Germanica entschuldigen. Damals hatte ich den ersten Verdacht, und ich...ich konnte irgendwie nicht mehr klar denken. Erst später ist mir aufgefallen, wie gedankenlos es von mir war, dich auf dieses Thema anzusprechen. Du musst mich ja für furchtbar grausam gehalten haben." Serrana biss sich erneut auf die Lippe und sah Axilla abwartend an. Jetzt, wo sie einmal angefangen hatte, fiel es ihr doch leichter als befürchtet, die lange überfällige Entschuldigung auszusprechen. Hoffentlich würde es bei den Dingen, die noch gesagt werden mussten, auch so sein.

    "Ich danke dir für dein Vertrauen." sagte Serrana mit einem Lächeln, das bei dem Ausdruck " in ein paar Jahren" für den Bruchteil einer Sekunde einfror. 'Mögen die Götter geben, dass du du damit Recht hast, Pontifex.' dachte sie mit kurz aufflammender Bitterkeit, bevor sie sich wieder soweit im Griff hatte, dass sie sich auf die Bedeutung seiner weiteren Worte konzentrieren konnte. Ein Verwandter von Flavius Gracchus also... Natürlich war ihr der Name des bekannten Pontifex und Senators ein Begriff, aber der hatte sicher besseres zu tun, als bei ihrem Unterricht zu hospitieren. Und da sie mittlerweile Patrizierinnen wie Tiberia Septima, Aurelia Prisca und Claudia Romana zu ihren Freundinnen zählte, hatte Serrana in Bezug auf deren Stand als solchen auch keine Berührungsängste mehr.


    "Darf ich fragen, wie alt dieser Flavius Flaccus in etwa ist?" hakte sie nach. Nicht, dass das Alter von besonderer Bedeutung für das Lernen an sich gewesen wäre, aber schließlich war sie selbst noch sehr jung, und wer wusste schon, ob ein deutlich älterer Schüler sie auch wirklich ernst nehmen würde. Bei dieser Überlegung fiel Serrana noch ein weiteres Anliegen ein, dass sie bei dem heutigen Gespräch mit dem Pontifex Aurelius zur Sprache bringen wollte.


    "Es gibt da übrigens noch eine weitere Angelegenheit, über die ich gern mit dir sprechen würde, wenn du erlaubst." begann sie und beschloss erst einmal die Reaktion ihres Gesprächspartners abzuwarten, bevor sie mit der Tür ins Haus fiel.

    Ob Axilla noch kommen würde? Vermutlich eher nicht, der Tag neigte sich schließlich schon fast dem Ende zu. Natürlich hatte sie den Brief auch sehr kurzfristig geschrieben, kein Wunder also, wenn ihre Cousine keine Zeit hatte oder vielleicht gar nicht in Rom war. Oder, was genauso im Bereich des möglichen lag, schlichtweg keine Lust hatte, mit ihr, Serrana, zu sprechen, denn schließlich waren die letzten Gespräche im besten Falle zäh und im schlimmsten mehr als unerfreulich gewesen. Unter normalen Umständen hätte sie selbst sich vermutlich auch davor gedrückt, aber die Entwicklungden der letzten Tage und Wochen hatten ihr deutlich gezeigt, dass es weitaus Schlimmeres gab als Streitereien zwischen Cousinen.
    Gerade hatte sie eine letzte Runde durch den Garten gedreht und sich entschieden, vorerst wieder nach Hause zurückzukehren, da hörte sie bei ihrer Rückkehr ins Atrium doch noch eine bekannte Stimme, die nach ihr fragte. "Ich bin hier, Axillla." sagte sie schnell mit einem kaum wahrnehmbaren Seitenblick auf das Impluvium und legte die letzten Meter bis zu ihrer Cousine zurück. "Danke, dass du hergekommen bist. Geht es dir gut?"

    Wenn sie sich nicht irrte, dann befand sich ihr Mann gerade in seinem Officium und arbeitete. Serrana zögerte einen winzigen Augenblick, dann klopfte sie an die Tür. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, mit Sedulus später am Abend im gemeinsamen Cubiculum zu sprechen, aber das konnte sie immer noch machen, falls er jetzt keine Zeit für sie hatte.

    [Blockierte Grafik: http://img503.imageshack.us/img503/1383/adula.jpg]
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    Adula



    In den frühen Morgenstunden gab Adula am Domus Aeliana einen Brief für die Cousine ihrer Herrin ab.



    Ad
    Iunia Axilla
    Domus Aeliana
    Palatium Augusti
    Roma



    Liebe Axilla,


    falls es dir zeitlich irgendwie möglich ist, so möchte ich dich bitten, heute im Laufe des Tages in der Casa Iunia vorbeizukommen. Bitte entschuldige, dass ich dich damit so kurzfristig überfalle, aber ich muss wirklich dringend mit dir sprechen. Sobald wir unter vier Augen sind, werde ich dir alles erklären.


    mögen die Götter dich behüten,


    Serrana

    Aus dem Atrium kommend, setzte sich Serrana, nachdem sie sorgfältig die Tür des Zimmers hinter sich geschlossen hatte, auf die Kante des Bettes, in dem sie so viele Nächte verbracht hatte. Der kleine Raum wirkte seltsam kahl und verlassen ohne all die persönlichen Dinge, die sich seit ihrer Ankunft in Rom dort angesammelt hatten und die sich schon längst in der Casa Germanica befanden. Serrana starrte die leere Wand vor sich an und fragte sich, ob es ihr besser gehen würde, wenn sie Romanas Vorschlag nicht zugestimmt hätte. Die erhoffte Erleichterung und Beruhigung war trotz der durchweg positiven Worte aus dem Mund der Vestalin nicht eingetreten, stattdessen hatte die unterschwellige Angst in ihrem Inneren eine neue Qualität erreicht und schien allmählich mit bösartiger Kälte in jede einzelne Zelle ihres Körpers zu kriechen. Irgendwann entfuhr Serrana ein trockenes Schluchzen und dann bahnte sich in der Abgeschiedenheit des kleinen Raumes das schon seit längerer Zeit immer wieder neu aufgestaute Entsetzen seine Weg nach draußen und sie begann unkontrolliert zu weinen, während sie sich, die Arme um den Leib geschlungen, auf der Bettkante hin- und herwiegte. Die iunischen Sklaven waren nur wenige Räume entfernt damit beschäftigt, die blutigen Spuren der Leberschau aus dem Atrium zu tilgen, und trotzdem hatte sich Serrana noch nie in ihrem Leben derart allein und absolut hilflos gefühlt. Nachdem der Wall endgültig durchbrochen war, zogen immer neue und sich gegenseitig bedingende Schreckensszenarien an ihrem inneren Auge vorbei: die gerade erst begonnene glückliche Beziehung zu ihrem Mann, die so schnell wieder schon wieder vorbei sein, die engsten Freundinnen, die sie vielleicht nie wieder sehen würde, und all die vielen Dinge, die sie für ihr späteres Leben immer als selbstverständlich vorausgesetzt hatte und die sie jetzt vielleicht niemals würde erleben können. Und dann war da auch noch das Kind, dessen Existenz heute zum ersten Mal offiziell bestätigt worden war…In Serranas Angst und Hilflosigkeit mischte sich jetzt auch in zunehmenden Maße die Wut über die Ungerechtigkeit des Schicksals, das ihr für kurze Zeit all die schönen und reizvollen Möglichkeiten für die Zukunft entgegengehalten hatte, nur um sie ihr jetzt bereits wieder zu entziehen. Sie schluchzte weiter, trommelte mit den zu Fäusten geballen Händen auf das Bett neben sich und auf die eigenen Oberschenkel und stieß immer wieder unzusammenhängende Fragen und Verwünschungen hervor, auf die ihr ohnehin niemand eine Antwort würde geben können. Irgendwann brachte ihr Körper keine weiteren Tränen mehr hervor, und das Dröhnen in ihrem Kopf wurde so stark, dass es alle weiteren Gedanken übertönte. Serrana rollte sich auf dem Bett wie ein Kind zusammen, schlang die Arme um ihre Knie, und es dauerte noch sehr lange, bis sie wieder in der Lage war, sich zu erheben und Adula nach einer Schüssel Wasser zu schicken, damit sich die Sklaven bei dem Anblick ihrer völlig zugeschwollenen Augen nicht zu Tode erschreckten. Wirklich klar denken konnte sie immer noch nicht, aber immerhin reichte die Energie bereits wieder für die ersten, wenn auch noch unausgereiften Entscheidungen. Serrana atmete ein paar mal tief ein und aus und verließ dann mit noch recht wackligen Knien das Zimmer. Ein Schritt nach dem anderen, ohne nach rechts und links zu schauen, so würde sie die Dinge von jetzt an angehen.