Beiträge von Iunia Serrana

    Serrana hatte sich bislang bei der Unterhaltung ziemlich zurückgehalten, zum einen gab es ohnehin wenig, dass sie zur Planung der beruflichen Zukunft der beiden Männer hätte beitragen können, und zum anderen fühlte sie sich zunehmend müde. Appetit hatte sich bei ihr immer noch nicht eingestellt, und sie war froh, dass die Männer zu sehr mit ihrer Diskussion beschäftigt waren um sich darüber Gedanken zu machen, dass sie kaum etwas aß. Ein wenig ihren eigenen Gedanken nachhängend, pickte sie in ihren Melonen- und Gurkenstückchen herum und wurde erst wieder aufmerksam, als der Hauptgang in den Oecus getragen wurde und die Duftschwaden nach gebratenem Fleisch sich im Raum ausbreiteten. Es gab also Hase? Den hatte sie früher bei den seltenen Gelegenheiten immer recht gern gegessen, aber obwohl das Fleisch heute nicht anders aussah und roch als sonst, wurde es Serrana plötzlich flau im Magen. Ob sie diesen Gang wohl unauffällig auslassen konnte? Eigentlich musste sie als Gastgeberin auch noch einmal eine Aufforderung zum Essen aussprechen, dabei war ihr im Moment kaum ein Gedanke mehr zu wider. Sie sah zu Sedulus hinüber, der direkt zugegriffen hatte und gerade herzhaft in ein Stück Hase biss. Und dann geschah etwas, dass Serrana niemals beim Anblick ihres Mannes für möglich gehalten hätte: ihr wurde schlagartig schlecht.


    "Entschuldigt mich bitte für einen kurzen Augenblick." bekam sie gerade noch hinaus, bevor sie von ihrer Kline glitt, so schnell wie möglich aus dem Oecus lief und sich in einem der benachbarten Gänge übergab.

    Ein Ehemann, der genauso herrisch und humorlos war wie ihre Großmutter? Serrana schauderte es bereits bei dem Gedanken an solch eine Möglichkeit und auf ihren Armen bildete sich übergangslos ein Gänsehaut.


    "Nein, dann hätte ich dich wirklich nicht haben wollen." sagte sie wahrheitsgemäß. "Aber wenn du so wärst wie Großmutter, dann hättest du sie damals auch nicht aus dem Impluvium gezogen, sondern dich nur darüber aufgeregt, dass sie hineingefallen ist." Bei dem Gedanken an Laevinas unfreiwilligen Sturz, der es immerhin bis in die Acta geschafft hatte, konnte Serrana ein kleines und recht gehässiges Kichern nicht unterdrücken, dann warf sie einen erneuten Blick auf das doch deutlich einladendere Wassser des Balneums, bevor sie sich wieder ihrem Ehemann zuwandte und ihm die Arme um den Hals legte. "Keine Bange, ich komme immer zu dir zurück, ob es dir passt oder nicht. Und ja, meistens bist du nett, zumindest wenn du mich nicht ärgerst. Glaubst du, ich könnte gleich noch mal wieder hier herkommen und ein Bad nehmen?"

    Ob sie sich sicher war? Nein, hundertprozentig war sie das nicht, aber mit jedem Tag der verging, wurden die möglichen Alternativen unwahrscheinlicher. Serrana schüttelte erneut den Kopf, während Romanas Handbewegungen beobachtete und wunderte sich selbst, dass sie in einer solchen Situation so etwas wie Neid auf die schönen Naturlocken der Vestalin empfinden konnte. Ihr eigenes Haar war immer schon glatt gewesen, und es kostete stets Unmengen an Zeit, ein paar Locken in ihre Frisur zu zaubern.


    "Naja, ganz sicher bin ich mir nicht." antwortete sie dann und die Röte vertiefte sich noch ein bisschen mehr."Aber ich... ähm..hätte schon vor über einem Monat bluten müssen, und da kommt einfach nichts." Serrana biss sich kurz auf die Lippen und in dem Blick, mit dem sie Romana ansah, glomm noch einmal ein kleines bisschen Hoffnung auf. "Oder meinst du, es könnte doch etwas anderes bedeuten?"


    Serranas Selbstbeherrschung, die meistens ohnehin nur auf tönernen Füßen stand, geriet massiv ins Wanken, als Romana ihr Mitgefühl kundtat, dann wurde ihr wieder einmal bewusst, dass auch die Familiengeschichten der anderen nicht frei von Tragödien waren. "Ein Unfall? Was denn für ein Unfall?" fragte sie denn auch ziemlich betroffen, doch dann öffnete Romana ihre Arme, und die Iunia versank förmlich in einer Umarmung aus weichem, weissen Stoff. Kein Lachen, keine ungläubigen oder missbillgenden Äusserungen oder Fragen, einfach nur Wärme. Serrana rückte instinktiv so eng wie möglich an die viel größere Vestalin heran, wie sie es vor etlichen Jahren vermutlich auch bei ihrer Mutter gemacht hatte, schlang ihrerseits die Arme um sie und genoss mit geschlossenen Augen das Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit, das Romana ihr so unerwartet bot, und das Serrana, zumindest für den Augenblick, gegen alles andere abschirmte.

    "Oja, das ist eine gute Idee." griff Serrana dankbar Septimas Vorschlag auf und nickte eifrig. "Ich danke dir, dass du dir soviel Mühe mit mir machst, das hätte sicher nicht jede für mich getan."

    Serrana hörte Vitales Erklärungen aufmerksam zu und nickte dann. Kaum zu glauben, dass Menschen in einem Land leben konnten, in dem es sogar für Pferde zu heiss war.


    "Ich würde gern mal eine Wüste sehen und Kamele natürlich auch. Aber wer weiß, ob das jemals klappen wird." Ein wenig Fernweh schwang schon in ihrer Stimme mit, aber da Serrana zur Zeit so zufrieden mit ihrem Leben war, hielt diese Stimmung nicht allzu lange an.


    "Hast du denn vor, irgendwann wieder in deine Heimat zurück zu gehen?"

    Ja, wenn man es recht überlegte, war es tatsächlich lange her. Naja, streng genommen waren neun Monate nicht ganz so furchtbar lang, aber Serranas Leben hatte sich in dieser Zeit tatsächlich komplett verändert. Bei ihrer Flucht aus Nola im vergangenen Jahr war sie eine verschüchterte und auch reichlich verängstigte Fünfzehnjährige gewesen, und jetzt stand sie hier als ausgebildete Priesterin und Ehefrau. Dummerweise als schwangere Ehefrau, was dazu führte, dass Serrana immer noch verängstigt war, wenn auch inzwischen aus anderen Gründen. Da bot die unerwartete Gelegenheit, die junge Flavia etwas besser kennenzulernen, doch eine willkommene Ablenkung. Und ganz sicher eine angenehmere Ablenkung als der Dorn in ihrem Fuß, der sich nach wie vor schmerzhaft bemerkbar machte.


    "Oh, es geht mir gut." log sie einigermaßen souverän. "Ich habe vor knapp zwei Monaten geheiratet, und vieles ist noch ziemlich ungewohnt. Aber das ist sicher bei allen Frauen so." Unauffällig musterte sie die junge Patrizierin, deren Haar und Kleidung perfekt hergerichtet waren. Auf diese Dinge achtete Serrana bei anderen Frauen nach wie vor besonders, denn schließlich war sie dank Adulas mehr als unterdurchschnittlichem Talent in Fragen der Schönheitspflege monatelang mit halb aufgelösten Frisuren durch Rom gelaufen. Doch auch das gehörte seit ihrem Umzug in ein Haus mit einer Vielzahl an gut ausgebildeten Sklaven erfreulicherweise jetzt der Vergangenheit an. "Und dir geht es auch gut, hoffe ich."

    "Naja, nur weil man zur selben Gens gehört, hat man ja nicht automatisch den gleichen Charakter..." Serrana stuppste Sedulus lächelnd in die Seite. "Großmutter und du seid euch auch nicht besonders ähnlich, oder siehst du das anders?" Ihre Aufmerksamkeit wurde jetzt wieder von dem Vorzügen des Balneums abgelenkt, und Serrana am Rand des Warmwasserbeckens in die Hocke, um die Hand vorsichtig in das unter ihr so einladend glitzernde Wasser zu tunken. "Es ist ganz wundervoll warm. Ich glaube, hier unten werde ich auch viel Zeit verbringen. Am besten pendle ich immer zwischen der Bibliotheca und dem Balneum hin und her."Serranas Stimme nahm einen sehnsüchtigen Klang an, dann kicherte sie. "Naja, ins Cubiculum komme ich natürlich auch, wenn du nett zu mir bist."

    Da Serrana nach wie vor angestrengt auf ihre Finger starrte und es vermied, Romana direkt anzusehen, entging ihr deren doch mehr als betroffener Gesichtsaudruck. Letzten Endes kam das dem ohnehin schon mehr als angeschlagenen Seelenfrieden der Iunia zu Gute, denn sie hätte jede negative Reaktion automatisch als Bestätigung ihrer eigenen Ängste und Vorahnungen gewertet.


    "Nein, bislang hab ich noch mit niemandem darüber gesprochen, auch nicht mit einem Arzt." Sie schüttelte den Kopf, während eine verlegene Röte langsam ihr Gesicht überzog. "Ich..ähm...hab die ganze Zeit gehofft, dass ich mich irre, und dass, wenn ich lange genug warte...nun ja...aber es ist nicht passiert" Götter, war das schwer, über diese intimen Dinge zu sprechen und noch dazu in Gegenwart einer Vestalin, die weit über all dem schwebte. Ein Grund mehr, Romana dafür dankbar zu sein, dass sie soviel Zeit und Geduld für sie aufbrachte. Serrana warf einen verstohlenen Blick zu Romana hinüber und atmete innerlich auf, denn ihre Freundin wirkte zwar immer noch ein wenig zurückhaltend (was bei einem solchem Thema auch kein Wunder war) aber nicht unwillig oder ablehnend. Was auch gut so war, denn sonst hätte Serrana sich vermutlich nicht überwunden, auch die zweite Frage zu beantworten. "Es ist so, dass....also meine Mutter, die ist bei der Geburt meines Bruders gestorben, und ich war dabei, und es war ganz furchtbar..."Serrana spürte, wie ihre Stimme immer zittriger wurde und atmete erneut ein paar mal ein und aus. "Ich hab deswegen häufig Albträume, und jetzt, wo....also jetzt hab ich Angst, dass es bei mir genauso sein wird." Es kostete sie einiges an Überwindung, doch dann schaffte sie es doch endlich, Romana in die Augen zu sehen, während sie weitersprach. "Romana, ich weiß ja, dass das albern ist, aber ich kann einfach nichts dagegen tun. Ich schäme mich so furchtbar..."

    "Alle zwei Tage? Oh..." Serrana sah ihre Cousine aufrichtig überrascht an. Sie selbst hatte zwar auch schon in der Casa Iunia vorbeigeschaut, aber die Zahl ihrer Besuche konnte man bequem an einer Hand abzählen. Ein schlechtes Gewissen gepaart mit Ärger, weil sie wieder einmal das Gefühl hatte, sich vor Axilla rechtfertigen zu müssen, beschlich sie und einen kurzen Augenblick lang war sie versucht einfach zu lügen. Aber das war natürlich Unsinn, wenn Axilla fast täglich im Haus der Familie nach dem rechten sah, würde sie von den Sklaven schnell genug davon erfahren, und dann würde die Sache noch viel peinlicher.


    "Die Sklaven freuen sich sicher, dass du sich so sehr um sie und das Haus kümmerst." gab sie dann zu. "Ich wünschte, ich hätte ein paar von ihnen mitnehmen können, aber sie gehören schließlich zur Casa Iunia, genauso wie die Laren." Nein, Serrana war nicht mal auf die Idee gekommen, bei ihrem Umzug einige von diesen mitzunehmen. Natürlich hielt sie die Laren in Ehren, wie es sich gehörte, aber da sie im Grunde fast ihre ganze Kindheit und Jugend ohne sie verbracht hatte, hing sie auch nicht mit soviel Herzblut an ihnen wie Axilla. "Ich hab nur Sachen mitgenommen, die mir gehören, und einige Dinge von meinem Vater." Ihre Finger umschlossen kurz den silbernen Sonnenanhänger an ihrem Hals, bevor sie die Hand wieder in den Schoß sinken ließ."Ich hab ein ziemlich schlechtes Gewissen, weil ich die Holztiere, die mein Vater früher für mich geschnitzt hat, nicht mit meinem anderen Spielzeug vor der Hochzeit verbrannt habe, aber ich das konnte ich einfach nicht. Ich hab ohnehin nur noch so wenig von ihm. Hoffentlich bringt das kein Unglück..." Gar kein schöner Gedanke, wenn man ohnehin schon völlig überdreht war und hinter jedem Baum einen unheilbringenden Schatten vermutete. Nach einem kurzen Zögern ließ sie den Kelch ein zweites Mal auffüllen und trank einen weiteren Schluck. Der Wein war schließlich verdünnt, was sollte also pasieren. "Ich war, ehrlich gesagt, erst zwei oder drei mal seit der Hochzeit dort. In den ersten Tagen war ich fast nur mit Quintus...äh...zusammen und danach hatte sich ziemlich viel Arbeit im Tempel angesammelt. Naja, und hier im Haus fällt auch das eine oder andere an, obwohl es hier natürlich noch viel mehr Sklaven gibt als daheim in der Casa Iunia. Adula ist in ihrer freien Zeit häufiger dort, ich hätte gar nicht gedacht, dass sie sich mit irgendwem anfreunden würde. Hast du eigentlich schon einen neuen Leibsklaven?"

    Auch Serrana entging das Getuschel der Sklaven in ihrem Rücken nicht, aber sie war an diesem Morgen viel zu gut gelaunt, um sich darüber Gedanken zu machen, zumal es ganz offensichtlich kein bösartiges Getuschel war.
    Gespannt betrat sie an der Hand ihres Mannes das hauseigene Balneum und sah sich staunend um.
    Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, waren Sedulus Anmerkung zum Trotz auch die Baderäume um ein vielfaches größer als ihr Gegenstück in der Casa Iunia und perfekt instand gehalten.


    "Das ist wundervoll, du badest hier doch sicher jeden Tag, oder?"

    Nur wenige Minuten nach ihrer Gromutter betrat auch Serrana den Tempel der Vesta und blieb kurz im Eingangsbereich stehen.
    Um sich auf dem Weg, der ohne Sandalen ohnehin schon unangenehm genug war, wenigstens Laevinas ständige Vorträge und Ermahnungen zu ersparen, war Serrana der alten Dame in sicherem Abstand gefolgt und hatte peinlich genau darauf geachtet, nicht von dieser entdeckt zu werden. Das hatte auch ganz gut geklappt, doch da dem Boden vor ihren Füßen auf diese Weise zu wenig Aufmerksamkeit beschert worden war, hatte sie sich kurz vor ihrer Ankunft im Tempel einen Dorn in den Fuß getreten.
    Bemüht, sich von dem Schmerz nichts anmerken zu lassen, warf Serrana erst einmal einen Blick in die Runde und ihr Gesicht erhellte sich, als sie in der Ferne Romana sah. Die Claudia hatte während des Besuchs der Iunia im Vestibulum des Atrium Vestae vor einigen Tagen etwas reservierten Eindruck auf diese gemacht, ihr aber trotzdem durch ihr geduldiges Zuhören und ihre Worte ungemein geholfen. Am liebsten hätte Serrana die junge Vestalin direkt begrüßt, entdeckte dann jedoch ihre Großmutter in unmittelbarer Nähe und beschloss, noch einen Augenblick zu warten. Während sie sich ein wenig rastlos im Tempel umsah, fiel ihr Blick plötzlich auf eine attraktive dunkelhaarige Frau, die ihr irgendwie bekannt vorkam. Irgendwo hatte sie die doch schon einmal gesehen...
    Serrana schaute ein zweites Mal hinüber, und dann fiel es ihr, gemeinsam mit der Erinnerung an warmes Badewasser und zuviel Wein wieder ein. Das war doch die junge Frau, die sich wegen Minos, dem kretischen Stier so ereifert hatte....Am heutigen Tag wirkte sie allerdings überhaupt nicht aggressiv, und so fasste sich Serrana nach kurzem Zögern ein Herz und ging zu der Dame hinüber.


    "Salve. Flavia Celerina, nicht wahr? Ich bin Iunia Serrana, wir haben uns im letzten Spätsommer in den Thermen kennengelernt."

    Höh? Serrana kannte natürlich besagte Liste nicht, aber unterbewusst hatte sie schon mit einer Reaktion irgendwo zwischen verständnisvoll, erschrocken und zweifelnd gerechnet. 'Höh' traf diese Erwartung nicht ganz und zwang die Iunia zudem, die Sache unmissverständlich auf den Punkt zu bringen, etwas, was der immer ein wenig ausweichenden und zaudernden Serrana so gar nicht lag. Vielleicht hatte sie in ihrem Innersten gehofft, die von Vesta geleitete Romana würde ihr das Problem ungefragt an der Nasenspitze ansehen und sie im Handumdrehen mit dem passenden Segen von ihren Nöten erlösen, aber ganz so einfach gestaltete es sich dann leider doch nicht.


    "Ich bin nicht krank, das ist es nicht..." sagte sie schnell, da diese Vermutung für einen Aussenstehenden vermutlich am naheliegendsten war. "Ich...ähm...es ist schwer, dass zu erklären, weil ich bislang noch mit niemandem darüber gesprochen habe..." Angestrengt zupfte sie an ihren Fingern herum und wich dabei, so gut es ging, Romanas Blick aus. "Also....ähm...ich bin schwanger, glaub ich zumindest..." Eigentlich wollte sie ja noch weiterreden, aber der Umstand, dass sie gerade zum ersten Mal nicht nur laut ausgesprochen, sondern auch sich selbst eingestanden hatte, was sie bereits seit etlichen Tagen mit zunehmender Sicherheit vermutete, führte dazu, dass Serrana jetzt erstmal ein paar mal tief ein- und ausatmen musste.

    "Schwächeanfälle?" rutschte es jetzt auch Serrana heraus, die nach dem Einwurf des Decimers noch ein wenig erschrockener zwischen diesem und Senator Vinicius hin und hersah. "Dann richte deiner Gemahlin doch bitte meine besten Genesungswünsche und natürlich auch Grüße aus. Vielleicht sollte ich sie mal besuchen, wenn es ihr wieder besser geht." Nicht, dass sie Aelia Paulina nach kurzen Zusammentreffen in der Therme besonders ins Herz geschlossen hätte, dafür war das Gespräch viel zu oberflächlich gewesen. Aber in so einem Fall war ein kurzer Besuch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, vor dem sich Serrana nicht guten Gewissens würde drücken können.
    "Ich wusste gar nicht, dass du so krank gewesen bist." sagte sie dann an Verus gewandt. "Ich hoffe, deine Gesundheit ist jetzt wieder völlig hergestellt."

    "Ja, vielleicht hast du Recht." Obwohl Serrana sicher war, dass ihre Wahrnehmung in Dis Paters Tempel nichts mit dem dort verbrannten Räucherwerk zu tun gehabt hatte, da sie die meisten in den Tempeln üblicherweise verwendeten Hölzer, Harze oder eben auch Kräuter und deren Wirkung kannte, nickte sie kurz und zuckte mit den Schultern. Axilla würde ihr ohnehin nicht glauben, warum auch, schließlich hatte sie ja nichts greifbares, dass sie zum Beweis hätte präsentieren können. Und diskutieren wollte sie über dieses Thema nicht, dafür war es ihr viel zu wichtig, ihren eigenen Glauben unangetastet zu erhalten und unliebsamen Zweifeln nicht in irgendeiner Form Tür und Tor zu öffnen. Auf den Herrn der Unterwelt hätte sie ja durchaus verzichten können, aber ohne Dis Pater keine Venus, und vor allem keine Minerva, und den Gedanken wollte Serrana beim besten Willen nicht zu Ende führen.


    Eine Weile lang zeichnete sie mit dem Finger das Muster auf dem mittleweile erneut geleerten Weinkelch nach, bevor sie schließlich wieder den Kopf hob und Axilla ansah. "Bist du eigentlich seit der Hochzeit nochmal in der Casa Iunia gewesen? Irgendwie ist es ein komisches Gefühl, dass dort nur noch die Sklaven wohnen, jetzt wo Merula wieder in Ägypten ist. Und wer weiß schon, ob Silanus jemals zurückkommt." Natürlich war es im letzten Sommer seltsam gewesen, in ein nur von Dienstboten bewohntes Haus zu ziehen, aber es jetzt erneut ohne dort lebende Familienangehörige zu wissen, störte Serrana seltsamerweise weit mehr.

    Was für ein wundervoller Raum! Hätte sie selbst sich in diesem Moment nicht so ungemein elend und alles andere als erhaben gefühlt, dann hätte Serrana es vermutlich wesentlich mehr genossen, ihren Fuß in das Vestibulum der ehrwürdigen Vestalinnen setzen zu dürfen. So ging ihr Blick nur kurz über die großen Fenster und blieb für ein paar Sekunden auf dem prachtvollen Bodenmosaik hängen, während Serrana selbst sich auf den Rand der angebotenen Kline setzte. Und als wäre sie nicht schon nervös genug, begann jetzt auch noch die alte Vestalin herumzuzetern. Die Iunia verstand zwar kein einziges Wort von der Unterhaltung der beiden Sacerdotes, aber der schnarrende Tonfall der Älteren war ja eindeutig genug. Serrana folgte dem kurzen Gespräch mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen und zuckte leicht zusammen, als Romana sich dann wieder ihr zuwandte. Kurz sah sie die Claudia an und starrte dann auf ihre Hände, die sie reichlich verkrampft in ihren Schoß gelegt hatte. Wo sollte sie denn jetzt nur anfangen? Ganz am Anfang? Nein, schließlich wollte sie Romana für deren Geduld nicht auch noch mit endlosen Familiengeschichten langweilen. Serrana überlegte einen kurzen Moment fieberhaft hin und her, suchte verzweifelt nach einer geeigneten Einleitung um schließlich genau das auszusprechen, das jetzt schon seit etlichen Tagen ihr gesamtes Denken und Fühlen beherrschte.


    "Ich...ich...ähm...ich hab Angst, dass ich bald sterben werde.

    Serrana blieb an Ort und Stelle stehen und wartete, bis Sedulus bei ihr angekommen war. Dann legte sie leicht den Kopf in den Nacken und lächelte ihn vergnügt an.


    "Eine kleine? Wie klein? So klein wie die Bibliotheca in der Casa Iunia? Oder noch kleiner? Passen wir vielleicht gar nicht beide rein?"

    Serrana sah ihren Mann überrascht an. Dass die Germanicer um einiges wohlhabender waren als die Iunier, konnte ja ein Blinder merken, wenn er nur ein paar Sekunden draussen vor der Casa stand oder sich einige der Räume ansah. Aber dass Avarus derart viel Land besaß... Zum Gegner haben wollte sie ihn auf jeden Fall nicht, ihr hatten schon seine Sticheleien auf Calliphanas und Centhos Verlobungsfeier gereicht.
    Das Schicksal des Senators Furianus belastete sie da schon weit weniger. "Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber der Consul wird sicher nicht erwartet haben, dass der Senat geschlossen begeistert hinter diesem seltsamen Vorschlag stehen wird."


    Ein letztes Stirnrunzeln, dann legte Serrana dieses Thema fürs erste ad acta, denn Sedulus' Vorschlag hörte sich doch um einiges reizvoller an als eine wie auch immer geartete Landreform. "Ihr habt hier eigene eigene Therme? Natürlich möchte ich die sehen, worauf warten wir noch?" Vergnügt rutschte Serrana vom Tisch und lief bereits einige Schritte Richtung Tür, bevor sie sich wieder zu Sedulus umdrehte und ihm die Hand entgegenstreckte.

    "Oh, wie schade, dass du Calvena verpasst hast. Sie hätte sich bestimmt unglaublich gefreut, dich noch einmal zu sehen." versichterte Serrana und konnte nur mit Mühe die Tränen unterdrücken, die ihr bei der Erinnerung an die Abschiedsszene vor der Casa Quintilia wieder einmal in die Augen stiegen. Verdammt, warum war sie in den letzten Tagen nur so furchtbar nah am Wasser gebaut? Und dabei war sie noch nicht einmal bei dem wirklich unangenehmen Thema angekommen... In den wenigen Sekunden, die verstrichen, bis Romana sie ins Haus bat, hatte Serrana sich schon fast mit dem Gedanken angefreundet, das Atrium Vestae nach einer höflichen Verabschiedung so schnell wie möglich wieder zu verlassen, doch dann machte ihr die Claudia doch noch einen Strich durch die Rechnung.


    "Ja, das würde ich sehr gern, wenn es dir keine Umstände macht." schoss es aus ihr heraus, denn Romanas Tonfall war inzwischen deutlich freundlicher geworden, und in Serrana glimmte wieder neue Hoffnung auf, während sie, immer noch mehr als nervös, ihre Hände knetete. Vermutlich gab sie ein ungeheuer armseliges Bild ab, aber wenn sich das nicht die nächsten Wochen und Monate so fortsetzen sollte, dann musste sie jetzt da durch.

    Während Sedulus weiter erzählte, verschränkte Serrana unwillkürlich die Arme vor dem Körper als müsse sie sich gegen irgendetwas schützen. Jahrelang hatte sie sich ein aufregenderes Leben gewünscht als das beschauliche Dasein in der Campania, aber irgendwie war es doch etwas anderes, von derartigen Dingen in alten Schriftrollen zu lesen, als sie selbst zu erleben oder, wie in diesem Fall, auch nur zu befürchten.


    "Wäre deine Familie von einer solchen Maßnahme, wie sie Senator Furianus vor hat, denn stark betroffen? Die Gens Iunia besitzt nicht allzuviel Land, ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass Silanus etwas davon erzählt hätte. Auf jeden Fall hört sich das alles nicht besonders gut an, vielleicht sollten wir mit der Reise noch ein wenig warten."


    Irgendwie war dieses Thema viel zu düster für einen solch schönen Morgen, ob sie beide wohl auch wieder auf angenehmere Gedanken kommen würden? Zeit für Kummer und Sorgen blieb schließlich noch genug.


    "Ich möchte jetzt lieber wieder an etwas schönes denken." sagte sie schließlich und stuppste Sedulus leicht in die Seite. "Zeig mir doch mal irgendwas, das uns beide wieder ein wenig aufheitert."