„Es war gar nicht so einfach, die passenden Tänzer zu finden.“ antwortete Serrana ihrer Freundin mit einem Seitenblick auf die wartenden Männer. „Stell dir vor, der Darsteller des Odysseus ist einer der bekanntesten Tänzer von ganz Rom, er soll ursprünglich aus Hispania stammen." Aufgrund der Entfernung konnte die junge Iunia nicht wirklich etwas von der Unterhaltung zwischen Senator Sedulus und Tiberia Septima verstehen, aber irgendwie wirkte sie ein wenig zu erhitzt für eine freundliche Cena-Plauderei. Serrana warf einen etwas besorgten Blick in Richtung der Ehrenplätze und entschied dann, dass der Augenblick günstig für den Beginn der Tanzdarbietung war. Auf ihr Zeichen hin räusperte sich der Sklave mit dem grauen Bart, der bereits einige Verse rezitiert hatte und erhob seine wohlklingende Stimme, um die Unterhaltungen der anwesenden Gäste zu übertönen.
„Sehr verehrte Gäste, ich bitte nun um Aufmerksamkeit für die Freier der Penelope.“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, da trugen mehrere Sklaven eine schöne, auf einem Sessel sitzende Frau ins Triclinium und stellten sie zwischen den Klinen und den Musikern ab: der nur sehr sparsam bekleidete Körper der Penelope wurde hauptsächlich von einem großen Tuch bedeckt, an dem sie zu arbeiten schien, und das das Leichentuch für ihren Schwiegervater Laertes darstellen sollte.
Während nun auch die Musiker mit einer neuen Melodie begannen, kamen langsam auch die jungen Tänzer in die Nähe der Klinen und der Gäste. Zu Beginn blieben so noch zusammen, dann jedoch löste sich schließlich einer nach dem anderen von der restlichen Gruppe, um im Takt der Musik der nach wie vor webenden Penelope und natürlich auch den übrigen Zuschauern seine tänzerischen Fähigkeiten zu zeigen, und auf diese Weise ihre Gunst zu gewinnen.
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Hätte Penelope sich tatsächlich für einen ihrer Freier interessiert, dann wäre ihr die Wahl vermutlich schwer gefallen. Einige der Tänzer waren dunkelhäutig, andere hell, einer fiel durch sein langes weizenblondes Haar auf, ein anderer durch bemerkenswert schöne Augen. Penelopes vorwitzigster Freier, Antinoos, wurde von einem jungen Griechen dargestellt, der nicht nur hervorragend tanzen konnte, sondern dabei auch noch aussah wie der fleischgewordene Apoll. Zumindest war er davon überzeugt, denn so manche Dame der römischen Gesellschaft hatte ihn nach seiner Darbietung noch unauffällig in ihr Cubiculum führen lassen und ihm diesen Namen ins willige Ohr gehaucht. Und da Antinoos nun mal wesentlich überzeugender tanzen konnte, wenn er sich dabei auf eine bestimmte Dame konzentrierte, machte er sich direkt auf die Suche nach einer geeigneten Zielperson. Unauffällig glitt sein Blick über die anwesenden Damen und blieb dann schließlich an einer jungen Frau hängen, die ein rotes Kleid trug und sich mit ihrem Nachbarn ganz offensichtlich die Ehrenplätze teilte. Bei den Göttern, was für eine imposante Gestalt,- so groß und dennoch hübsch… die fleischgewordene Athene….Antinoos zwinkerte seiner Auserwählten unauffällig zu, wenn er sich noch ein wenig Mühe mit seinem Auftritt gab, würde sie ihn vielleicht erhören…
Nach und nach hatten sich fast alle anwesenden Tänzer dem Publikum und der immer noch unbeirrt ihr Tuch betrachtenden Penelope präsentiert, doch dann trat noch ein weiterer Mann, der bislang im dunklen Teil des Säulenganges gewartet hatte, auf den freien Platz zwischen den Klinen, ließ den Bettlermantel, mit dem er Gesicht und Oberkörper bedeckt hatte, langsam zu Boden fallen und begann mit seinem Tanz. Schon nach wenigen Schritten wurde klar, dass es sich hier um einen wahren Meister seines Fachs handelte, denn jede seiner Bewegungen bildete eine perfekte Einheit mit der Musik und zog automatisch die Blicke aller Anwesenden auf sich. Sogar Penelope zeigte zum ersten Mal seit Beginn der Darbietung wirkliches Interesse und folgte mit ihren Blicken dem Tänzer, in dem sie jedoch erst nach und nach ihren lang verschollenen Gatten Odysseus wieder erkannte.
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Auch ihren Freiern war mittlerweile aufgefallen, dass mit Odysseus ein ernstzunehmender Konkurrent in ihre Mitte getreten war und so traten sie teilweise gemeinsam, teilweise einzeln zum Kampf gegen ihn an. Die Musik wurde allmählich schneller, der Rhythmus härter und ein wenig bedrohlich, doch nach und nach setzte sich Odysseus gegen jeden einzelnen seiner Herausforderer in diesem tänzerischen Wettstreit durch.
Sein härtester Konkurrent um die Gunst der Frau und damit auch des Publikums war zweifellos der schöne Antinoos, aber auch dieser musste sich irgendwann geschlagen geben und „starb“ schließlich vor der Kline des weiblichen Ehrengastes, allerdings nicht ohne diesem noch einen letzten schmelzenden Blick zuzuwerfen…
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Nach der Niederlage des letzten Gegners änderte sich die Musik wieder, wurde langsamer und auch deutlich sinnlicher. Odysseus näherte sich der wie erstarrt wirkenden Penelope, zog sie langsam von ihrem erhöhten Sitz und begann nun mit ihr zu tanzen. Zu Beginn wirkte das Paar noch ein wenig vorsichtig, doch nach und nach und passend zur wieder schneller werdenden Musik kamen Mann und Frau einander immer näher, und sanken schließlich während eines letzten Trommelschlages einander umarmend zu Boden. Odysseus war endlich in die Arme seiner Penelope zurückgekehrt…