Etwas weniger als eine Woche hatte es gedauert, bis der Grieche die noch verschwommenen Umrisse der Metropole am Horizont erkennen konnte. Da er zu Pferd unterwegs war, ging es etwas schneller als mit einem Reisewagen. Da er sein Pferd allerdings nicht wechselte, dauerte es rund anderthalb Tage länger.
Als der Decurio sich der Stadt auf der befestigten Straße von Norden her näherte, kamen einige Erinnerungen in ihm hoch. Er erinnerte sich nicht nur an die Schlacht von Vicetia, in der sich viele römische Kammeraden als Schachfiguren im Krieg zweier großer Parteien, nämlich Rebellen versus Anhänger des Vescularius, bekämpften und regelrecht abschlachteten. Der Machtanspruch über das Weltreich Rom zwang die Römer, sich gegenseitig zu bekriegen - ein Bürgerkrieg, eine Farce des Lebens.
Dann erinnerte er sich noch an die Belgarung Roms, wo alle mobilisierten Legionen der Rebellen aufeinander trafen, um den Usurpator aus Rom herauszuquetschen, wie einen räudigen Pickel aus der Haut, sodass sie sich regenerieren konnte und ihre Unversehrtheit so schnell wie möglich wieder hergestellt war. Die Turma des Griechen zählte immer noch knapp über zwei Drittel, ein regelrechtes Wunder, wenn man bedachte, dass sie sozusagen vom "Feind" eingekreist waren. Der Witz? Zu den damaligen Feinden gehörten auch die Cohorten der Praetorianer, denen er sich heute anschließen würde. Auf dem Weg von Vicetia nach Rom, hatte sich Vespa wieder etwas aufrappeln können. Mit einem Verband über dem Auge und an der Schulter, welche nun sichtbare Narben zierten, saß er den Umständen entsprechend firm in seinem Sattel. Krankfeiern war keine Option, die Rebellen brauchten jeden Mann, auch wenn die schwierigste Schlacht geschlagen war: Es galt immer noch die Stadtmauern zu überwinden.
Die Straße führte ihn letztendlich, nachdem er den Tiber überquert hatte, am Marsfeld vorbei, wo ebenfalls eine Erinnerung in dem Griechen hochkam. Dort hatte die Parade stattgefunden, bei der sich alle Soldaten - und das einschließlich ihm - einfach nur gewünscht hatten, endlich auszuruhen, um den Weg nach Hause anzutreten. Stattdessen standen sie mit ihren Uniformen stramm in der brüllend heißen Hitze und mussten dabei zusehen, wie die Feldherren und ihre Tribune mit diversen Auszeichnungen vom damaligen Rebellenkaiser Cornelius Palma gekürt wurden. Nicht dass die einige der Soldaten und Offiziere keine Auszeichnungen bekommen hatten, aber in Anbetracht der Umstände, was die Kommandeure geleistet und die Soldaten als Schachfiguren ertragen mussten, war einfach nur unverhältnismäßig. Hoch zu Ross entschieden sie über taktische Züge, denen die Soldaten eifrig sowie widerwillig folgten, sodass sich Menschen gleichen Blutes gegenseitig die Köpfe einschlugen. Auch Vespa war als Decurio mit seinen Männern diesen Anweisungen gefolgt und das absolut bedingungslos und loyal. Diese ganzen Gedanken hatte er sich allerdings nicht gemacht, denn dafür war er viel zu rational. Er hatte seine Befehle, es galt den Vescularier zu stürzen und so wurde es gemacht. Das einzige, was ihm auf dem Marsfeld zu schaffen machte, war wie gesagt die Hitze und der Wunsch, sich endlich von den Strapazen erholen zu können.
Über den Bürgerkrieg dachte er aber nicht mehr nach, denn auch wenn er es nicht wirklich zeigte, freute er sich über das, was ihm hier in Rom bevor stehen würde: Er sollte Praetorianer werden, womit einem Soldaten die höchste Ehre zu Teil wurde.
Der elende Gestank dieser Stadt vermochte seine Zuversicht ob seiner Zukunft nicht trüben. Er war Soldat und keine dieser römischen Weibsbilder, die sich am Arm ihres doch so starken und ansehnlichen Senatorweicheis voll dekoriert mit Schmuck und eingekleidet wie Aphrodite persönlich mit vorgehaltener Hand durch die Stadt kutschieren ließen.
Schließlich kam er an der Porta Salutaris am Collis Quirinalis an, durch die er in das Pomerium gelangen würde. Ihm war bewusst, dass die Castra Praetoria außerhalb des Pomeriums lag, allerdings war die Stadt riesig und er wusste nur, dass die Castra auf der anderen Seite lag. Da ihm allerdings die Himmelsrichtung unklar war, würde er sich durchfragen müssen. So ritt er geradewegs auf die Porta zu. Da er klar als Decurio zu erkennen war, würde es hier keine Probleme mit der Stadtwache geben.