(S): Was also hievon wollen wir annehmen daß das Gesetz vornehmlich sei?
(F): Diese Beschlüsse und Verordnungen dünkt mich. Denn was anderes könnte Jemand wohl sagen daß das Gesetz sei?
So daß es scheint dieses Ganze, wonach du fragst, das Gesetz, ist der Beschluß eines Gemeinwesens.
(S): Für eine im Gemeinwesen geltende Meinung, wie es scheint, erklärst du das Gesetz?
(F): Das tue ich.
(S): Und vielleicht erklärst du es vortrefflich. Besser aber werden wir es wohl so einsehn. Nennst du Einige weise?
(F): Das tue ich.
(S): Und die Weisen sind doch durch Weisheit weise?
(F): Ja.
(S): Und wie, die Gerechten durch Gerechtigkeit gerecht?
(F): Allerdings.
(S): Auch die Gesetzlichen durch Gesetz gesetzlich?
(F): Ja.
(S): Die Ungesetzlichen aber durch Ungesetzlichkeit ungesetzlich?
(F): Ja.
(S): Und die Gesetzlichen sind gerecht?
(F): Ja.
(S): Und die Ungesetzlichen ungerecht?
(F): Ungerecht.
(S): Und etwas ganz vortreffliches ist die Gerechtigkeit und das Gesetz?
(F): So ist es.
(S): Ganz schändlich aber die Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit?
(F): Ja.
(S): So daß jene den Staat und alles übrige erhalten, diese aber alles verderben und umstürzen?
(F): Ja.
(S): Als von etwas Schönem muß man also vom Gesetz denken, und als ein Gut es suchen?
(F): Wie anders!
(S): Und nicht wahr ein Beschluß des Staates behaupteten wir sei das Gesetz?
(F): Das behaupteten wir.
(S): Wie nun, sind nicht einige Beschlüsse gute, andere schlechte?
(F): Das sind sie.
(S): Aber doch ein Gesetz gab es nicht, das schlecht wäre?
(F): Nein freilich.
(S): Nicht richtig ist es also so ganz allgemein zu antworten, das Gesetz sei der Beschluß des Staates?
(F): Nein wie mich dünkt.
(S): Denn es würde nicht stimmen daß ein schlechter Beschluß ein Gesetz wäre.
(F): Nicht füglich.
(S): Indessen eine Meinung scheint mir selbst allerdings das Gesetz auch zu sein. Wenn nun nicht die schlechte Meinung, ist dann nicht schon offenbar, daß es die gute sein muß, wenn doch das Gesetz eine Meinung ist?
(F): Ja.
(S): Welches ist aber die gute Meinung? Nicht die wahre?
(F): Ja.
(S): Und die wahre Meinung ist doch eine Entdeckung dessen was ist?
(F): Das ist sie.
(S): Das Gesetz also will sein die Entdeckung dessen was ist.
(F): Wie so aber, Sokrates, wenn das Gesetz die Entdeckung dessen ist was ist, behalten wir nicht immer dieselben Gesetze über dieselben Gegenstände, wenn sie uns das was ist ausgefunden haben?
(S): Nichts desto weniger will doch das Gesetz die Entdeckung dessen sein was ist. Wenn aber die Menschen nicht immer dieselben Gesetze beibehalten, wie uns scheint, können sie wohl das was das Gesetz will nicht immer ausfinden, nämlich das wahre.
Denn komm laß uns sehen, wenn es uns vielleicht hieraus deutlicher werden kann, ob wir immer dieselben Gesetze gebrauchen oder zu anderer Zeit andere, und ob Alle dieselben oder je andere auch andere.
(F): Aber dieses, o Sokrates, ist doch nicht schwer einzusehen, daß nicht nur die nämlichen nicht immer dieselben Gesetze haben, sondern auch Andere immer andere.
Denn gleich unter uns ist kein Gesetz Menschen zu opfern, sondern dies ist unfromm, die Karchedonier hingegen opfern, wie dies bei ihnen fromm ist und gesetzlich, und zwar Einige sogar ihre Söhne dem Kronos, wie vielleicht auch du gehört hast. Und nicht nur, daß unhellenische Menschen andere Gesetze haben als wir,
sondern auch die in Lykaia und die Nachkommen des Athamas,
was für Opfer opfern die obgleich sie Hellenen sind?
So wie auch von uns selbst du vielleicht gehört haben und wissen wirst,
was für Gesetze wir ehedem hatten wegen der Verstorbenen, wie wir ihnen Opfer nachschlachteten vor Heraustragung des Leichnams und Knochenleserinnen herbeiholten.
Ja die noch älteren als jene begruben ihre Toten im Hause, wir hingegen tun nichts hiervon. Und tausenderlei könnte Einer dergleichen sagen, denn gar weit und breit her ist das zu erweisen, daß weder wir mit uns selbst übereinstimmend immer dasselbe festsetzen, noch auch die Menschen überhaupt unter einander.