Wie sie so über das Köpfchen des Neugeborenen streichelte, schien die Germanin für einen Augenblick vollkommen der Gegenwart zu entgleiten. Sie war vollkommen gefangen von dem kleinen Wunder, das in dem Körbchen lag und vor sich hin schlummerte. Die Szenerie hatte etwas sehr anrührendes. Lächelnd neigte Narcissa den Kopf zur Seite und beobachtete Mutter und Kind.
„Ja, das ist richtig“, antwortete sie auf Sivs Frage und schien sich darüber zu freuen, dass man sie nicht mit ihrer Schwester verwechselte. Auf merkwürdige Weise schien es den Sklaven – im Falle der Germanin, den Freigelassenen – der Familie viel einfacher zu fallen, als ihren Verwandten. Verwandte, Familie...wer wohl die Familie dieses kleinen Menschenkindes war? „Ein hübsches Kind“, meinte sie ehrlich. „Ihr beide müsst sehr stolz sein...“ Auch wenn sie wusste, dass es nicht immer so sein musste, dass sich vor allem Sklaven oder Freigelassenen oft in äußerst prekären Situationen befanden, das naive, kindliche in ihr, war fest der Meinung, dass der Vater dieses Kindes, seinen Sohn anerkannt hatte, dass alles „gut“ war. Warum auch nicht, ihr Partner war bestimmt einer der anderen Sklaven gewesen. Sie zog einen Schemel heran, zögerte einen Moment und setzte sich dann doch dazu.
„War es denn eine einfache Geburt?“ Sie legte das Kinn auf ihre Handfläche. Über ihrer erwachenden Neugierde, hatte sie ihren Hunger, der sie eigentlich erst hierher geführt hatte, vollkommen vergessen. Für sie kam ein Neugeborenes einem Wunder gleich. Schon wenn sich Zuhause in Terentum die Niederkunft einer der Stuten ankündigte, hatte sie die Nächte regelmäßig in den Ställen, zwischen warmen, duftenden Heu und wachsamer Spannung, verbracht. Bei den Menschen, die auf dem Landgut lebten, hatte es kaum Geburten gegeben. Lucilla, die Mutter der Zwillinge, war selbst zu alt, um noch Leben zu schenken und unter ihren Sklaven und Bediensteten hatte es die ältere Dame nie gern gesehen. Das störte nur. So hatten sich die Zwillinge ihre Spielkameraden auch eher in der Nachbarschaft gesucht.