„Nach allem, was Mutter in ihren Schwärmereien über ihn offenbart hat, sollte er uns seinen Unmut zumindest nicht zeigen, wenn er ihn denn hegen sollte...“, entgegnete Narcissa nach einer Weile schließlich. „Das würde seinen Ruf vollkommen zerstören. Du weißt doch, ein wahrer Römer ist selbst angesichts der größten Widrigkeiten nicht launisch – und er scheint ja ein wahrer Römer zu sein“, Ein amüsiertes Lächeln huschte ihr bei dem Gedanken über die Lippen. Wieder rumpelte die Kutsche einige Atemzüge lang über die Straße dahin, in denen Narcissa ihren Gedanken nachhing. Vor ihrem inneren Auge erwuchs ein Mann von beachtlicher Größe, in eine elegante Toga gekleidet, braune kurze Haare über wachen ebenfalls braunen Augen. Ein junger Mann. Das konnte zum Problem werden. Junge Männer liebten ihre Freiheit und fühlten sich nur allzu schnell eingeengt von Familienanhang. Vor allem von „kleinen“ Schwestern. Nicht, dass sie sich sonderlich „klein“ fühlte, immerhin war sie aus jenem Alter, in dem man sich noch einen Spaß darauß machte den kompletten Mehlvorrat der Familie in der gesamten Villa zu verteilen oder den Hunden einen neuen Haarschnitt zu verpassen, schon längst heraus gewachsen. Und dennoch, siebzehn war ein heikles Alter, das wusste sie selbst nur zu gut, vor allem um...Anstatt den Gedanken für sich zu beenden, machte sie ihm laut Luft: „Ich hoffe nur nicht, dass er sich überfordert fühlt und meint, uns mit einer Heirat sogleich aus dem Weg schaffen zu müssen...“...Nach Heirat stand ihr bei aller Abenteuerlust und Neugierde auf Neues am aller wenigsten der Sinn. Der Cultus Deorum bot vielleicht eine Möglichkeit diese Gefahr zu umgehen – vielleicht.
Mit einem Mal weiteten sich ihre Augen und überrascht rief sie aus: „Sind wir etwa da?!“ Die Kutsche war langsamer geworden und die Insassen wurden nicht mehr so stark durchgeschüttelt. Als sie die Gardine ein Stück zur Seite schob und sich etwas hinauslehnte, sah sie vor sich tatsächlich eine gewaltige Stadtmauer aufragen, in die ein Tor eingelassen war. „Ha! Rom!“, rief sie entzückt und erleichtert sogleich. Die beschwerliche Kutschreise näherte sich ihrem Ende. Langsam rollte ihr Gefährt auf das Tor zu, das immer weiter in die Höhe wuchs. Endlich kam die Stadtwache in Sicht, ein junger Mann in der blanken Uniform der militum. Die beiden Pferde gaben ein leises Schnauben von sich, als der Kutscher sie neben dem Soldatem zum Stillstand brachte und ihm die Papiere zeigte.
"In Ordnung", hörte Narcissa eine bubenhafte Stimme sagen. Der Soldat konnte unmöglich sehr viel älter als sie selbst sein. Er winkte den Kutscher durch und das Gefährt setzte sich langsam wieder in Bewegung. Gemächlich rollte es an der Stadtwache vorbei, der grimmig zurück starrte, als er der neugierigen Musterung des Mädchens gewahr wurde, das durch das kleine Kutschfenster die große Welt da draußen faszniert beobachtete. Nicht sehr weit hinter dem Porta Aurelia Nova kamen sie abermals an einem Gasthaus zum Stehen. Hier sollten sie warten, bis ein Bote die Nachricht über die Ankunft des patrizischen Zwillingspaars zur Villa Aurelia gebracht hatte und mit einer Sänfte für die drei Neuankömmlinge zurück kommen würde. Immerhin waren Kutschen und Waagen tagsüber in der Stadt untersagt. Das Gasthaus war ein freistehendes, zweistöckiges Gebäude etwas außerhalb der Stadt mit einem Nebengebäude für die Wechselpferde an der Via Tecta, unweit der Navalia. Es sah vertrauenswürdig und seriös aus, andernfalls hätten die drei Damen wohl auch keinen Fuß hineingesetzt. Lysandra ging voran und orderte beim Wirt eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken, während die beiden Mädchen, sich nicht der Blicke bewusst, die sie unweigerlich auf sich zogen, an einen Tisch in einer Ecke setzten. Rasch besah sich Narcissa ihrer Umgebung. Die Taverne war bis auf zwei Männer an einem fernen Tisch, einem weiteren direkt am Tresen, dem Wirt und einer Bedienung sowie einer Frau, die in der Nähe des Eingangs an einem Tisch saß und ständig zur Tür hinübersah, als erwarte sie jeden Moment einen Bekannten, vollkommen leer. Das Möbiliar war eindfach gehalten, mit Dekoration hatte man gegeizt. Und dennoch, dieses Gasthaus übte einen geiwssen Charme aus, sodass man sich überhaupt nicht fehl am Platz vorkommen konnte. "Also ich weiß ja nicht, wie es idr geht, Flora", begann Narcissa mit gesenkter Stimme und sah ihre Schwester verschwörerisch an, "aber ich für meinen Teil könnte etwas Bewegung gebrauchen. Lass uns nicht erst auf diese Sänfte warten, sondern allein zur Villa Aurelia laufen. So könnten wir uns die Stadt schon Mal ein bisschen näher anschauen...Was meinst du?"