Beiträge von Aurelia Narcissa

    Der Gang über den Markt avancierte tatsächlich zu so etwas wie einem Familienausflug, als schließlich auch noch Marcusa wie aus dem Nichts neben ihnen erschien. Im ersten Moment glaubte sie sich verhört zu haben, wie er sie beide genannt hatte..."Blümchen"...Hatte man ihnen also doch schon einen Spitznamen verpasst. Woher der kam, war nur allzu klar. Ihre Mutter hatte eine Vorliebe für florale Namen gehabt. Eigentlich empfand sie es als eine nette Geste, ihnen Kosenamen zu verpassen, aber weder passte dieser Name, noch war er sonderlich einfallsreich. Sie neigte leicht den Kopf, um ihn nüchtern zu grüßen: "Salve Marcus!"
    Auch der andere Mann, der zuerst zu ihnen getreten war, schien irgendeine Verbindung zur Familie zu haben, denn Titus schien ihn gut zu kennen.


    Abermals wandte Narcissa ihren Blick zur Sklavin hoch oben auf der Bühne. Sie war wirklich sehr verschreckt und antwortete ganz schüchtern auf die Fragen ihrs Verwandten. Es war schwer ihre Stimme zu vernehmen, denn sie sprach leise und um sie herum herrschte geschäftiger Lärm. Die Worte "Latein", "Germanisch", "sticken", "Hausarbeit" und "gemalt" drangen an ihr Ohr. Für sie selbst hörte sich das nicht schlecht an, allerdings schienen sich die Herren um sie herum noch nicht ganz sicher zu sein, sie überlegten noch, ob sie ein Gebot abgeben sollten.


    Narcissa selbst fühlte sich nach wie vor höchst unwohl an diesem Ort. Zu dem Anblick der zerlumpten Menschen um sie herum, wurde sie nun auch all des Dreckes und der Gerüche gewahr. Verschwitzte, ungewaschene Leiber. Ein dritter Blick glitt auf die Bühne. Das arme Ding gehört hier fort geschafft, gewaschen und in saubere Kleidung gesteckt. Vielleicht sollten sie doch? Sie konnte Lysandra helfen, die Sklavin schien allzu oft mit den zwei quirligen Zwillingen überfordert zu sein.


    "Flora, was...", sagte sie leise in Richtung ihrer Zwilingsschwester, als dieser unangenehme Kerl von Sklavenhändler sein Angebot wiederholte..."Fügsam"...Das schien ihren Verwandten Marcus davon zu überzeugen, dass sie noch dazu lernen konnte, wenn das Grundmaterial wohl auch noch nicht ganz der Zufriedenheit der Herren zu entsprechen schien. Er ließ ein erstes Gebot abgeben...

    „Das Besprechen und Entscheiden kann sehr schwierig und anstrengend sein, vor allem dann, wenn die anderen nicht seiner Meinung sind und ganz anders entscheiden wollen...“, bestätigte die junge Frau „Wie ein Geist, ja...besser hätte ich es auch nicht beschreiben können. du bist ein kluges Mädchen, Marei“, bemerkte Narcissa wohlwollend. „Er muss sich dann ausruhen, um für den nächsten Tag gewappnet zu sein...“


    Für sie, die als eine freie Römerin geboren war und dazu auch noch das Glück gehabt hatte, als aurelische Tochter das Licht der Welt erblickt zu haben, war der Gedanke unfrei zu sein undenkbar. Dabei kannte auch sie die Unfreiheit, auch wenn sie es so niemals vor anderen bezeichnen würde. Sie hatte bestimmten Regeln zu folgen, eine bestimmte Botschaft zu übermitteln und der Weg, ihr Leben, lag ganz klar vor ihr. Eines Tages würde sie zum Wohle der Familie heiraten. Auch sie war abhängig. Im Gegenzug hatte sie ein stabiles Dach über dem Kopf, genug zu Essen und durfte schöne Kleider tragen. Auch wenn Marei es nicht direkt aussprach und sich dessen wohl auch nicht bewusst war, so sprach sie doch in ihrer Kindersprache über jene Institution, deren sie anheim gefallen war. Narcissa verspürte einen leisen Stich. Dabei war es doch das natürlichste der Welt! Es gab jene, die dienten und jene, die über die anderen geboten! Vermutlich mochte sie das Mädchen schon zu sehr – und es schien ihm zumindest nichts auszumachen. Noch nicht. Vermutlich kannte Marei es auch nicht anders, war als Sklavin geboren worden. „Ja, richtig...Sie müssen sich davon ihre Ausrüstung kaufen...“, antwortete sie reichlich halbherzig. Sonst hatte sie doch auch keine Probleme mit der Sklaverei! Lysandra war auch eine Sklavin und ihr hatte sie noch niemals solche Gefühle gegenüber gebracht! Dabei kannte sie sie schon seit ihrer Geburt! „Und Celerina kümmert sich um dich...Das tut sie doch gut, oder?“, fragte sie nach.
    Der jungen Aurelia kam gar nicht in den Sinn etwas anderes in der Beschreibung des Kindes zu sehen, als die geschickte Handhabung eines kleinen Handbesens und einer Schaufel. Natürlich war sie mittlerweile schon ganze 17 Lenzen alt und selbstverständlich hatte sie schon die eine oder andere flüchtige Schwärmerei für einen jungen Mann gehegt und das eine oder andere Gespräch gemeinsam mit ihrer Mutter und Schwester durchstanden, doch ihre Gedanken waren diesbezüglich noch reichlich unbedarft, wenn nicht sogar naiv...
    „Du warst noch niemals außerhalb von Rom?!“ Jetzt war es keine Frage mehr, sondern ein erstaunter Ausruf. „Das ist doch ungeheuerlich! Du musst doch einmal sehen, was da draußen ist!“, sagte sie mit tiefer Überzeugung. „Das nächste Mal, wenn meine Schwester und ich einen Ausritt unternehmen, nehme ich dich mit, einverstanden?“ Eigentlich hatte Marei gar keine Wahl. Aber sollte sie zuvor vielleicht noch Celerina fragen? Immerhin war das Mädchen ja ihr Eigentum. Sie war diesbezüglich noch so in Gedanken, dass sie gar nicht hörte, wie Marei von der Notwendigkeit von Schuhen berichtete. Sie kehrte erst wieder in die Realität zurück, als Marei seelenruhig ihre Zehennägel reinigte. „Na Marei, das macht man aber nicht vor anderen“, wies sie sie zurecht, nicht streng, aber doch bestimmt. „Sondern in seinem Zimmer, dort wo es niemand sieht...“ Ihre eigene Leibsklavin hätte sie jetzt wohl mit kaltem Wasser übergossen, dachte sie mit einer gewissen Amüsiertheit. „Ja, ich wollte eigentlich lesen...“, bestätigte sie. „Möchtest du denn etwas hören?“,

    „Psst, fordere es nicht noch heraus! Du weißt doch, die Götter hören alles...“, wisperte sie in vertrauensvoll-verschwörerischen Ton und einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Zuhause hatten sie sich bereits einen weniger rühmlichen Spitznamen verdient: die Kobolde nannte Lysandra sie. Un sie meinte das nicht immer liebevoll. Die beiden hatten es faustig hinter den Ohren und vor allem jene „ungewollten Ungeschicke“ waren es gewesen, welche die Leibsklavin regelmäßig fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Aber was kümmerte das schon die beiden? Sie waren schließlich auch nicht sonderlich scharf darauf. Es geschah einfach.


    „Na, was glaubst du wie sie ist? Wohlerzogen, höflich, zuvorkommend, zahm, willig, unkritisch, unkompliziert, leicht formbar...Ist es nicht das, was Männer wollen? Jemand der sie vorbehaltlos unterstützt und ansonsten den Mund hält?“, brach es plötzlich allzu ungestüm aus ihr hervor. Doch schon im nächsten Moment schüttelte sie über ihren eigenen Ausbruch, von dem sie nicht wusste woher er eigentlich kam, den Kopf. Was sagte sie da bloß?! Es war so merkwürdig. Titus Vermählung mit Tiberia Septima hatte ihr wieder vor Augen geführt, weshalb sie eigentlich von ihrer Mutter nach Rom geschickt worden waren. Die Männersache. Alles drehte sich stets um Kerle und darum, dass sie sich für sie verbiegen mussten. Das war nicht schicklich und jenes nicht standesgemäß! Pah! Wenn es einen Ausweg gäbe...oder einen jemanden, für den man sich nicht verbiegen musste.
    „Sie ist bestimmt nett. Unser Bruder ist ein guter Mensch – zu mindest glaube ich nicht, dass er uns etwas vorgespielt hat – da ist es unwahrscheinlich, dass er sich eine Kratzbürste als seine Zukünftige ausgesucht hat“, lenkte sie ein und wählte dieses Mal eine ganz unpatrizische Ausdrucksweise. Ihr Groll war immer noch nicht ganz verraucht.
    „Wir werden ihn einfach dazu überreden...Uns gemeinsam kann er ohnehin nicht standhalten“, Sie versuchte sich an einem Lächeln. Einem Impuls folgend umarmte sie Flora herzlich und hielt sie einige Atemzüge lang fest. Mit Hinblick auf ihren voran gegangenen Ausbruch gestand sie nun: „Ich verstehe was du meinst. Aber ich muss dir teilweise Unrecht geben. Dieser Käfig war schon immer da. Schon immer mussten wir uns an besondere Regeln halten und wurden beobachtet. Nur ist dieser Käfig jetzt kleiner geworden und wir merken, wie unsere Flügel an Gitterstäbe stoßen, wenn wir versuchen sie auszubreiten. Du scheinst diese Eindruck im Moment wohl sogar noch mehr zu haben als ich...“ Es tat gut Flora an sich zu spüren.


    Narcissa wartete, lauschte aufmerksam, ließ ihr Zeit sich zu sammeln. Offensichtlich brauchte sie diese auch. Noch sah sie nicht, wo der Haken dabei war. Wusste nicht, was an einem Ausritt mit Sklaven so aufwühlend war. Aber sie würde es sicherlich gleich verstehen. Und egal was es auch war, sie würde Flora nicht verurteilen, selbst wenn sie anderer Meinung sein sollte. „Was ist geschehen?“, hakte sie ermutigend, nicht auffordernd nach. Flora tat sich mit ihrem Bericht sichtlich schwer. Sie sah Narcissa dabei nicht an.

    Flora tauchte wie aus dem Nichts neben ihr auf. Sie hatten sich aus dem Augen verloren, weil sich jeder von seiner eigenen Neugierde treiben ließ. Auf mysteriöse Weise fanden sie jedoch immer wieder zu einander, als leite sie ein unsichtbares Band. Lysandra dagegen hatte wirklich große Mühe die Schwestern beisammen zu halten, denn mal zog es die eine dorthin, mal die andere in die andere Richtung. So bedeutete dieser Bummel für die Leibsklavin purer Stress und sie freute sich schon jetzt auf den Moment, da sie ihre Schäfchen sicher zurück in der Villa Aurelia wusste.
    Flora kam gerade zum rechten Zeitpunkt dazu , denn Titus haderte mit ihren Namen.
    "Wir wollen dir doch nichts böses", meinte sie und unterstrich ihre Worte mit einem Unschuldslächeln. Sie fand es irgendwie niedlich, wie er den falschen Namen mit einer so entschlossenen Überzeugung stets auf die Falsche anwand.
    Zu ihrem Bedauern wandten sie sich rasch von der Rostra ab und schlugen den Weg in Richtung der Sklavenmärkte ein. Zu gerne hätte sie noch ein paar Worte mit jenem Verwandten gewechselt, den sie bisher noch nicht kennen gelernt hatte. Aber vielleicht wäre dafür noch später Zeit. Ein kurzer Schatten huschte über Titus Züge. Offensichtlich hielt er jenen Teil des Marktes für nicht sonderlich geeignet für junge Damen. Dann lenkte er jedoch ein und bot ihnen galant den Arm...
    Narcissa fühlte sich befangen, als sie über den Markt schritten. all diese Menschen! Sie hingen an den Gitterstäben, teilweise nur noch Fetzen am Leib mit dunklen, hohlen Augen, welche die Passanten teilnahmslos anstarrten. Nein, sie starrten vielmehr ins Leere. Natürlich war sie mit Sklaven aufgewachsen, Menschen die dazu da waren, jeden ihrer Wünsche, von den Lippen abzulesen und selbstverständlich hatte sie hin und wieder ihre Dienste in Anspruch genommen. Früher hatte sie sich auch auf solchen Märkten frei bewegt. Aber jetzt, da sie an Titus Arm hier entlang schritt, musste sie an die kleine Marei denken - Ob sie wohl auch hier auf dieser Bühne gestanden hatte? - und fühlte sich klein.
    Das momentane Objekt der Begierde - so konnte man es gut und gerne nennen, betrachtete man die Gesichter des vorwiegend männlichen Publikums - war eine blonde Germanin. Sie war durchaus hübsch, das konnte man sehen, auch wenn sie ihr Gesicht, das gen Boden gerichtet war, kaum sehen konnte. Sie fürchtete sich sichtlich, was aber kein Wunder war, bei all den Männern die sie anstarrten. Da hätte Narcissa auch Angst gehabt und sie war eigentlich nicht so scheu, wie es viele wohl annahmen. Titus schien noch nicht ganz zufrieden mit der Beschreibung des Sklavenhändlers, denn er hakte nach. Ob er wohl an dem Prod - der Sklavin zweifelte? Sie hatte keine Ahnung, wie man den Wert eines Sklaven schätzte. Sie selbst hatte noch nie einen Sklaven gekauft. Narcissa war so sehr auf das Geschehen auf der Bühne fixiert, dass sie gar nicht merkte, wie ein weiterer Mann auf sie zu trat. Es war Flora, die sie auf ihn aufmerksam machte, indem sie ihr leicht und unauffällig in die Seite stieß. Der Mann schien sie ebenfalls noch nicht bemerkt zu haben....

    Die junge Aurelia Narcissa hatte das schöne Wetter des Tages genutzt, um in Begleitung eines Sklaven, ein wenig über das Forum Romanum zu schlendern und die Seele baumeln zu lassen. In den vergangenen Tagen hatte sie die meiste Zeit in der Villa Aurelia verbracht und sie sah sich zu ein wenig Bewegung genötigt. Sie kam an den großen Basiliken vorbei und schritt nordwärts in Richtung der Rostra voran. Gewohnheitsmäßig tummelten sich zahlreiche Bürger auf dem Forum. Doch heute schienen es sogar noch mehr zu sein. Eine ganze Menschentraube hatte sich um die Rostra versammelt. Das erweckte ihr Neugierde. "Domina, ich glaube nicht, dass das eie gute Idee ist...", bemerkte der bullige Leibwächter hinter ihr. Natürlich war es das nicht. Politik war nicht das Geschäft einer jungen Frau, hatte man ihr gesagt. Nun das stimmte, aber sie konnte sich ihrer eigenen Neugierde nicht erwehren - und etwas zu hören konnte schließlich nicht schaden. So zog sie die Pala etwas enger um sich, bedeckte ihr Haar damit und ignorierte den Sklaven, dem das alles sichtlich missfiel. Eindeutig zu viele Menschen. Unauffällig - soweit dies denn ging - mischte sie sich unter die Menge und lauschte den Worten ihres, wie sich nun herausstellte, Verwandten, den sie bisher noch nicht hatte kennen lernen dürfen. Sie war gerade noch rechtzeitig gekommen, er hatte erst angefangen zu sprechen. Die Rede fiel in der Tat recht kurz aus, hatte sie doch auch in Terentum schon der einen oder anderen gelauscht. Andererseits, warum musste man sich immer tot reden? Der Aurelier brachte das wichtigste auf den Punkt, schlicht und ohne Schnörkel. Die Menschen brachen in Applaus aus und sie stimmte verhalten ein. Die Traube löste sich etwas auf. Ihr Blick streifte kurz über die Menge und sie entdeckte Titus Aurelius Ursus, der umringt von seinen Klienten ebenfalls der Rede zuhörte. Im ersten Moment zögerte sie, sich wohl an das Gespräch mit Marcus erinnernd und ging dann doch auf ihn zu."Salve Titus!", grüßte sie ihn höflich

    "...Es wäre enttäuschend, wenn deine Familie deinen Bruder nicht aufnehmen würde, wie es sich gehört. Kinder brauchen ein sicheres zu Hause und auch eine strenge Hand die sie anführt!“, sagte Flora neben ihr und Narcissa schaute sie einen Moment lang mit einem merkwürdigen Blick an. Es war, als wäre Lucilla, ihre Mutter in ihre Schwester gefahren. Wo war Flora hin? Doch ja klar - natürlich...Nach außen hin, zeigte sie das, was sie gelernt hatte zu zeigen. Es war oft so. Die Welt einer jungen Patrizierin war eine geteilte Welt. Die Äußere und die Innere. Das Innere durfte nie nach außen gelangen.
    "Dein Bruder scheint ein regelrechter Wirbelwind zu sein...", Nur noch halbherzig lauschte Narcissa der Unterhaltung, denn die kleine Marei hatte das atrium betreten, gefolgt von einem kleinen Karren. Es war nicht gut, wenn Kinder ständig schwer tragen mussten. Der Karren holperte über den Boden. Ein Lächeln huschte über ihre Züge, als das Mädchen fast gänzlich in der Truhe verschwand. "Brauchst du Hilfe Marei?", fragte sie amüsiert und erhob sich, um ihr zu helfen. Sie bemerkte dabei nicht den strafenden Blick Lysandras. Das schickte sich nun wirklich nicht.

    "Ja, von eurer Kandidatur hat uns bereits Manius erzählt", Narcissa nickte. Sie war tatsächlich nicht allzu zufrieden mit Marcus Erläuterungen, der zwar nicht direkt aber doch indirekt deutlich machte, dass er Politik nicht für das geeignetste Interessensgebiet für eine junge Frau hielt. Er war dies bezüglich also eindeutig der falsche Ansprechpartner. Schon in Terentum hatte sie das politische Geschehen und die Entscheidungen der Großen beobachtet - beobachtet, sich nicht eingemischt. Aufgrund ihrer Erziehung wusste sie natürlich, dass es ihr nicht zustand, ihre Meinung zu äußern. Zuhören hatte ihrer Meinung nach aber noch niemandem geschadet - auch nicht einer Frau. Sie bemerkte Marcus´ Unzufriedenheit hinsichtlich der Abwesenheit des Kaisers. "Ist er denn schon lange fort aus Rom?" Es war nur eine sehr oberflächliche, belanglose Frage von der sie glaubte, er würde sie tolerieren. Und weiterin erkundigte sie sich höflich: "Ich hoffe, es läuft so, wie ihr es euch vorgestellt habt?"


    Über sein Eingeständnis schmunzelte sie, nahm seinen Faden auf, "Nach der langen Fahrt wäre das sogar eine sehr gute Idee..." Sie sehnte sich nach etwas Entspannung - und wenn schon nicht ein Bad, dann zumindest ein kleiner Spaziergang. Und natürlich war es auch wichtig, zu wissen was gesellschaftlich vor sich ging. Unwissenheit konnte einen da in sehr unangenehme Situationen bringen.

    Schmunzelnd nahm Narcissa die leise Neckerei ihrer Schwester auf. Auch sie hatte ein gewisses Talent dafür in Situationen zu geraten, in die sie eigentlich nicht hatte hinein geraten wollen. Situationen, in denen sie sich wie ein Fremdling fühlte, der hineinplatzte und für einen Augenblick alle Aufmerksamkeit auf sich zog. "Bisher habe ich mich hier ganz gut gehalten...",entgegnete sie zu ihrer Verteidigung. Sie spürte wie sich Flora ihrer Hand entgegenstreckte. Tatsächlich hatte sie im Vergleich zu ihrer Schwester recht wenig aufregendes erlebt. Man konnte fast schon annehmen, dass das Leben in Rom immer so beschaulich ging. Andererseits, waren sie hier in der Villa auch ein wenig abgeschirmt von der Welt da draußen mit all ihrem pulsierenden Leben und verwirrenden Durcheinander. Hier herrschte eine gewisse Ruhe. Aber auch diese wurde bisweilen erschüttert, wie sich nun mit Floras Bericht herausstellte. "Im Grunde ist es auch nicht wichtig - zumindest nicht für uns", nahm sie den Faden ihrer Schwester auf. Ihre Mutter wäre von so einer vernünftigen Einsicht hellauf begeistert gewesen. Doch die Vernunft war nur augenscheinlich. Die Neugierde brodelte weiterhin ganz dicht unter der Oberfläche vor sich hin...


    "Eine gute Idee! Vielleicht entspannt sich dadurch das Verhältnis der beiden...", Es konnte aber genauso gut das Gegenteil der Fall sein. Ihre Mutter war stur und würde ihrem Sohn gewiss Vorwürfe machen - auch wenn sie diesen vor den beiden Schwestern stets in den Himmel gelobt hatte. Sie kannte Manius noch nicht gut genug, um seine Resistenz gegen solche Triaden einschätzen zu können. Wo steckte ihr Bruder überhaupt? Schon seit einigen Tagen hatte sie nicht einmal einen Stofffetzen von ihm um eine Ecke huschen sehen..." Hast du Manius die letzten Tage gesehen?", fragte sie bei Flora nach. Vielleicht wusste sie ja, wo ihr Bruder steckte. Der Gedanke jedenfalls der sengenden Sommerhitze in der Stadt entkommen zu können und sie gegen kühles Grün eintauschen zu können, klang wie Musik in Narcissas Ohren. An dem kleinen Bächchen, das unweit ihres Landguts durch einen kleinen Hain floss, war es immer besonders schön gewesen. War sie der Großstadt etwa schon müde geworden? Dabei waren sie doch erst vor kurzem angekommen...Sie fühlte sich merkwürdigerweise auch nicht wirklich von der Stadt eingeengt, war immer noch erfüllt von der Neugierde und der Lust auf das Neue. Aber schließlich hatte sie auch noch nicht allzu viel erlebt. Was sie vermisste war jedoch das Grün und sich allein, ohne ständige Bewachung bewegen zu können. "Hast du genug von Rom, Schwesterchen?"


    Flora gab sich alle Mühe neutral zu klingen. Aber es gelang ihr nicht.
    Narcissa las es an ihrer Körpersprache, hörte es in ihrer Stimme. Sie war angespannt wie eine Bogenfeder. Kamen sie nun der Sache näher, die ihre Schwester so aufgewühlt hatte? Wenn es Titus Vermutung gewesen wäre, dann hätte sie eigentlich schon längst wieder beruhigt sein müssen. Doch das war sie nicht. Ganz und gar nicht. Anstatt etwas zu sagen, schwieg sie, aufmerksam, darauf wartend, dass Flora berichten würde. Sie wollte sie nicht drängen.

    "Nein, die kann man nicht anfasssen", antwortete Narcissa grinsend. "Zumindest nicht direkt. Diese "Dinge" werden am Anfang erst einmal besprochen, dann werden Gestze daraus gemacht, oder gewählt..." Das Mädchen ware wirklich überaus neugierig. Die junge Aurelia mochte das. Sie hielt nicht viel von Menschen, die nicht Neues lernen wollten. "Es wird zum Beispiel darüber entschieden, wieviel Sold die Soldaten bekommen, oder wer Consul wird...", versuchte sie den Wissensdurst der jüngeren zu stillen.
    "Das kann ich mir vorstellen. Da unten ist dann wohl auch nicht viel Platz, um sie zu benützen..."Sie wollte sich lieber nicht vorstellen, auf was Marei unter den Betten alles stieß...


    Das blonde Haar war ganz weich, als sie mit den Fingern darüber strich. Narcissa nutzte die Gelegenheit, um die Kunstfertigkeit der Puppe zu bewundern. Geschickte Hände hatten sie hergestellt. Die Nähte waren fein und säuberlich. Kaum zu glauben, das es ein Mann gewesen war, der sie gemacht hatte! Marei war sichtlich stolz auf die Puppe Nina. Auch Narcissa und Flora hatten zahlreiche Puppen gehabt, als sie klein gewesen waren - erstaunlicherweise hatten sich die Mädchen aber nie dafür begeistern können. Der Pferdestall war da viel interessanter gewesen, oder das Herumrennen draußen im Freien. Puppenweitwerfen war auch stets ein beliebtes Spiel gewesen. Aber herum getragen hatten die Zwillinge sie jedoch nie...
    "Warst du denn noch nie außerhalb von Rom?", fragte Narcissa verwundert. Sie konnte sich das nur schwer vorstellen, war sie doch in all dem Grün fernab der großen Stadt aufgewachsen. Selbst das Landgut, auf welchem sie gelebt hatte, war nicht direkt in Terentum, sondern etwas außerhalb gewesen. Noch heute hatte sie den Duft von frischem Gras und Sonne und Blumen in der Nase...."Marmor ist ganz wertvoller Stein. Es gibt ihn in verschiedenen Farben...Weiß, Schwarz, Rot...Hier in der Villa bestehen die meisten Böden aus Marmor. Und "ländlich" bedeutet ganz wenig Häuser, viele Felder, viele Tiere wie Kühe oder Schafe. "Ländlich" ist es außerhalb der Stadt!"

    Der Bericht ihrer Schwester über ihr nächtliches Abenteuer entlockte ihr bei alleim Ernst der Geschehnisse ein lächeln. "Das bist typisch du, Schwesterlein. Oft zur falschen Zeit, am falschen Ort..." Aufmunternd strich ihr Narcissa über den Kopf.


    Auch sie kannte Marcus noch viel zu wenig, als das es ihr gestattet gewesen wäre, irgendwelche Vermutungen anzustellen. Zudem war er der Herr des Hauses, dem man besser nicht böses unterstellte. Aber wie Flora bereits gesagt hatte, auch er war nur ein Mann. Und Männer konnten zuweilen ganz schön schwach sein. Letztendlich war es dann auch nicht ihr eigener Verdacht, sondern der des Titus Aurelius Ursus, den dieser, wenn auch nicht direkt, unbedacht geäußert hatte. Und die beiden Männer mussten sich nun schon Ewigkeiten kennen! Im Grunde hatte sie die ganze Geschichte ja eigentlich auch nicht zu interessieren - jedoch hatten auch die Zwillinge einen kleinen Teil in sich, der sich brennend für Tratsch und Klatsch interessierte.
    "Es ist durchaus etwas schwer, sich das bei einem so beherrschten Mann wie Marcus vorzustellen, aber wie du sagtest...wir alle haben Fehler", meinte sie etwas gedankenverloren und lächelte dann abermals: "Na, dann sind wir schon zu zweit...Rom macht mich so müde, dass ich jede Nacht schlafe, als wäre ich tot. Ich hoffe, dass sich das bald ändert...Vielleicht ist es der Winter..." Sie zuckte leicht mit den Schultern. Es war nicht wichtig. "Warten wir ab, vielleicht ergibt sich bald genaueres..."


    "Dann hätte der alte Herr auch noch etwas Gesellschaft", sie nickte zustimmend. "Wie weit ist denn das Landgut von hier entfernt?"


    "Mach dir darüber keinen Kopf! Ich kann mich ja schließlich auch selbst beschäftigen...", Letzteres war mehr eine Ausrede. Dahinter stand die Furcht vor jenen Veränderungen, die sie mehr und mehr trennen würden, aber auch die kluge Einsicht, dass es keinen Sinn machte zu versuchen sie aufzuhalten oder sich darüber zu grämen. Deshalb lächelte sie und hoffte, dass Flora ihren Trost annehmen würde. Die Chancen standen nicht schlecht, denn sie hatte in dem Moment, als sie sprach das Gesicht abgewendet und konnte so nicht in die Züge ihrer Schwester blicken. Dafür nahm Narcissa diesen leisen Unterton in ihrer Stimme war, der ihr verriet, das längst noch nicht alles ausgesprochen worden war. Deshalb blieb die Spannung. "Mit wem warst du unterwegs?", fragte sie und wusste nicht, dass sie damit die entscheidende Frage für Floras Verwirrung angesprochen hatte.

    "Was?", entfuhr es Narcissa, wobei nicht klar war, ob sich ihre Überraschung auf jene Geburt bezog, die einfach so an ihr vorbei gegangen war oder auf Titus Vermutung. Ihre Schwester sah nicht auf, kuschelte sich weiterhin an sie heran, als wäre sie ein Anker und sprach immerfort wie ein Wasserfall. Schon immer war sie so etwas wie der ruhende Pol für Flora gewesen. Der Punkt, der auch dann nicht in Schwingung geriet, wenn ihre eigene Welt erzitterte. Und Flora war im Gegenzug ihr Ruhepol. Wenn sie etwas umtrieb, beschäftigte, dann war es Flora, zu der sie ging. Bei allen Veränderungen, die da auf sie zukommen würden, das würde sich bestimmt nie ändern. Dieser Gedanke beruhigte sie dann doch zumindest etwas.
    "Von der Geburt habe ich nichts mitbekommen", antwortete sie, als sich Flora etwas beruhigte und sie zu Wort kommen ließ. Kurz fragte sie sich, ob das vielleicht der Schrei in diesem merkwürdigen Traum gewesen war. "Marcus der Vater?" Diese Ungeheurlichkeit machte sie für einen Moment sprachlos. Es war unglaublich! "Titus vermutet das tatsächlich?" Bei der Mutter konnte es sich nur um Siv handeln, die Freigelassene, die sie in der Bibliothek gemeinsam mit Cimon getroffen hatte. Hatte sie doch endlich ihr Kind bekommen. War sie der Typ Frau, der Marcus gefiel? "Was meinst du zu der Sache? Glaubst du es ist möglich? Ich meine Marcus ist ein durch und durch vernünftiger Mann, dem das Wohl der Familie am Herzen liegt!"Sie war so ganz und gar von dem Thema gefesselt, dass sie Floras zweite Neuigkeit fast überhört hätte. "Ja, das klingt gut...Es wird wohl besser sein, sie aufs Land zu bringen... Ich würde auch gern Mal wieder etwas längere Strecken reiten. Hier in Rom ist man so eingeschränkt..."

    Narcissa fühlte sich wie ein Fremdling, der nicht eingetreten, sondern eingebrochen war. Die vorangegangene Stimmung in der Bibliothek löste sich prompt auf und wich einer gewissen Formalität, Reserviertheit. Die schwangere Frau machte Anstalten sich schwerfällig aus dem Weidekorb zu hieven, in dem sie saß. "Nein, nein - bleib nur sitzen", sagte sie eine Spur zu hastig und unterstrich ihre Worte mit einer abwehrenden Geste ihrer Hände. "Ich habe nicht vor lange zu bleiben..." Die Situation hatte sie doch tatsächlich aus der Ruhe gebracht und dazu kam eine gewisse Ver- und Bewunderung, als der dunkelhäutige Sklave sie auf Anhieb mit dem richtigen Namen ansprach. Eigentlich sollte letzteres eine Selbstverständlichkeit sein, wurde aber, wenn man ein Zwilling war zu einer Rarität. Verlegen strich sie sich eine ihrer Locken hinter das Ohr. "Du kennst meine Schwester?", wandte sie sich überrascht an den Nubier. Zumindest musste sie sich jetzt nicht mehr vorstellen. Seine Vertrautheit mit ihrem Namen ließ eigentlich nur diesen einen Schluss zu, nämlich dass er ihrer Schwester schon begegnet war. Es verwunderte sie aber dennoch, dass er fähig war, sie beide auseinander zu halten. Normalerweise gelang das nur Menschen, die den Schwestern sehr Nahe standen, das weckte ihr Interesse. Hatte nicht auch die kleine Marei seinen Namen er erwähnt? Aber nicht nur der dunkelhäutige Sklave lockte ihre Neugierde hervor. Bisher hatte sie, mal von Marei abgesehen, keine Kinder in der Villa Aurelia angetroffen - ganz zu schweigen von einer schwangeren Sklavin. "Setze dich ruhig wieder. Ich wollte nur nach neuen Schriften suchen...", bemerkte sie und wollte sich schon dem Buchregal zuwenden, als sie inne hielt und sich freundlich erkundigte: "Wann ist es denn so weit?", Sie hatte keine Ahnung, ob diese Frage nun als frech und unerhört aufgenommen oder willkommen war.

    Verwundert wechselte sie einen kurzen Blick mit ihrem Ebenbild. Dieser Paullus Germanicus Aculeo war wirklich seltsam! war er am Markt noch die Ruhe selbst gewesen, vernahm die junge Patrizierin nun eine gewisse Nervosität im Klang seiner Stimme. Mochte das an der Anwesenheit der vielen Sklaven liegen? Sie selbst hatte sich ja unlängst daran gewöhnt. Schon ihr ganzes Leben lang hatten diese unsichtbaren Helfer sie begleitet. Andere mochte das vielleicht befremden. Aber die beiden Schränke, welche sie auf dem Markt begleitet hatten, waren doch hundertfach furchteinflösender gewesen! So selbst glaubte kaum an ihre eigene Theorie.
    "Das ist in der Tat nicht sehr weit", pflichtete sie ihrer Schwester bei, deren leise Gedanken sie sogleich erriet. Auch sie selbst fand die Aussicht auf einen Ausflug verlockend. Die Herren würden bestimmt nichts dagegen haben. Von Cimon ahnte Narcissa dafür noch nichts. Auf wenn sie ihre Schwester, die ihr auf irgendeine Art und Weise verändert schien, mit Besorgnis beobachtete. Sie war aus dem Gleichgewicht. "Bringen dich Geschäfte zurück nach Rom?" Auch wenn die Strecke durchaus gut zu bewältigen war, konnte sie sich nicht vorstellen, dass jemand sie zum Spaß auf sich nahm - schließlich hießen ja nicht alle Menschen Aurelia Flora und Aurelia Narcissa und waren pferdeverrückt.
    "Mach dir keine Gedanken! Wir haben uns noch ein wenig den Markt angesehen - aber das hat dir gewiss schon meine Schwester berichtet..." Die unliebsame Begegnung mit dem Claudier ließ sie gelinde fallen.

    Narcissa reagierte zunächst nicht, als sich jene Tür öffnete, die sie mit dem Zimmer ihrer Schwester verband, zu sehr nahmen sie die Worte gefangen, die da Zeiel für Zeile vor ihren Augen vorbei huschten. Erst seit kurzer Zeit war sie aus der Stadt zurück, wo sie versucht hatte in den Buchhandlungen etwas Zerstreung zu finden, nachdem sie Flora am Morgen nicht gefunden hatte, um mit ihr ihren merkwürdigen Traum teilen zu können. Schon seit einiger Zeit hatte sie ihre Schwester nun schon nicht mehr gesehen, denn sie war oft unterwegs. Es beunruhigte sie etwas, denn es war bisher selten vorgekommen, dass die beiden sich so oft trennten. Natürlich wusste sie, dass da ganz normal war, dass das früher oder später so kommen würde, dass sie ihre eigenen Leben leben würden - und dennoch, mochte sie nicht daran denken. Nachdem sie also ein paar neue Bücher gefunden hatte, war sie rasch nach Hause zurückgekehrt, um sich in ihrem Zimmer neugierig auf die Literatur zu stürzen.
    Erst als sich ihre Schwester an sie schmiegte und sie bei ihrem Kosenamen nannte, blickte sie auf, als hätte sie soeben noch geschlafen, war jedoch im nächsten Moment sogleich alarmiert vom Klang ihrer Schwesters Stimme. Nur selten rief Flora sie bei diesem Kosenamen. Ein Blick genügte und sie wusste, dass ihren Zwilling etwas bedrückte. "Da bist du ja...", sagte sie und kam nicht umhin sie zu umarmen. "Was ist los mit dir?", erkundigte sie sich sanft und blickte ihr wieder ins Gesicht.

    Noch zögernd stand Aurelia Narcissa vor dem Laden, dessen Adresse man ihr empfohlen hatte. „Meinst du, wir sind hier richtig?“, fragte die junge Patrizierin den stämmigen Sklaven hinter sich, den man ihr zu ihrem Schutz mitgeschickt hatte, ohne von der Tür wegzuschauen. Ihr persönlich wäre es viel lieber gewesen allein zu gehen, auch wenn sie die letzten Tage eigentlich gelehrt hatten, dass es in dem Gewimmel, das auf den Märkten herrschte, mehr als ratsam war, einen Leibwächter dabei zu haben. Dennoch fühlte sie sich von dem Mann, der sie und ihre Umgebung ständig im Auge behielt, mehr als einengend, obschon dieser diskret Abstand hielt. „Es ist die richtige Adresse, domina“, entgegnete er mit einer Stimme, als hätte man seine Stimmbänder verkürzt, sodass sie kratzige Töne von sich gaben.
    „Hmm“, machte Narcissa. Die Tür sah in der Tat nicht danach aus, al wäre hier vor ein paar Tagen eine neue Bücherhandlung eröffnet worden. Aber genau nach einer solchen suchte sie im Moment.
    Der Morgen war verstörend gewesen und sie suchte nach Ablenkung, nach neuen Worten. Nach einem merkwürdigen Traum in dem eine schreiende Frau und ein Schatten vorgekommen war, der sich des nachts in das Zimmer ihrer Schwester geschlichen und ihr geheimnisvolle Worte zugewispert hatte, deren Sinn ihr aber vorenthalten worden waren, war sie in den frühen Morgenstunden in das Zimmer Floras geschlichen, um sich an ihre Schwester zu kuscheln, ihre beruhigende Wärme zu spüren und ihren Traum mit ihr zu teilen. Seitdem sie in Rom angekommen waren, suchte sie öfter als sonst die Nähe Floras. Doch diese war nicht aufzufinden gewesen. Geknickt hatte sie daher im hortus zwischen Marcus´ Pflanzen allein ein kurzes Frühstück zu sich genommen, dort, wo die junge Sonne ihr ins Gesicht scheinen konnte und hatte dann für sich beschlossen die ansässigen Bücherhandlungen zu inspizieren. Für gewöhnlich pflegte sie ihre Schriften aus mindestens zwei Stammhandlungen zu beziehen. Dabei hatte sie zwei ins Auge gefasst, den des Marcus Iulius Proximus und jenen, vor dem sie nun stand.
    „Na, versuchen wir es einfach mal...“, sagte sie mehr zu sich, als zu dem Sklaven und schritt voran.
    Ein kleines Glöckchen bimmelte leise, als sie den Laden betrat und der Geruch von Neuem stieg ihr in die Nase. Der Raum war nicht klein, aber auch nicht übermäßig groß. Er schien genau die richtige Größe zu haben, um ein großes Angebot an Büchern aufzunehmen, ohne dass man sich verlor. Die Wände waren frisch renoviert und Regale aufgebaut worden, diese waren aber bisher kaum gefüllt, befand sich der Großteil der Schmuckstücke doch noch sorgfältig in Kisten im hinteren Teil des Ladens verpackt. Eine Frau stand mit einem Mann zusammen in dem Durcheinander und erteilte ihm Anweisungen. Offensichtlich war sie mit seinem Arbeitstempo nicht ganz zufrieden. Narcissa wollte die beiden nicht stören, empfand es aber auch unhöflich einfach nichts zu sagen, auch schon deshalb, weil sie sich nicht sicher war, ob der Laden tatsächlich schon für Kunden zugänglich war. „Salvete!“, grüßte sie in Richtung der beiden, um auf sich aufmerksam zu machen. Wenn sie als Kunde nicht erwünscht war, so würden sie ihr das schon sagen...

    "Wir sind doch ganz unschuldig.", bemerkte Narcissa mit einem verschmitzten Lächeln in Richtung Ursus. Natürlich waren sie nicht so unschuldig, wie sie taten, aber selbstverständlich wussten sie sich zu benehmen und hatten ein natürliches Gespür dafür entwickelt, wann es einen Scherz zu beenden und sich zurückzunehmen galt.
    Auch sie war wie ihre Schwester nicht sonderlich von seiner Idee angetan, ihre Namen auf die Stirn zu schreiben und noch weniger von dem Thema Ehemann, weshalb sie forthin dazu schwieg und stattdessen lieber Tiberia Septima antwortete: "Wir waren eigentlich schon seit unserem ersten Lebensjahr nicht mehr hier in Rom. Kurz nach unserer Geburt brachte unsere Mutter uns nach Terentum, wo wir auch aufwuchsen. Manchmal bekamen wir Besuch von Verwandten aus Rom oder Briefe, aber das war eigentlich unser einziger Kontakt zu der Stadt. So ist für uns hier auch alles so neu...", erklärte sie.
    Beiläufig nahm sie sich von der Obstplatte ein paar Apfelschnizen, weil sie nun doch allmählich Hunger bekam. Dieser höllische Sud musste dazu beigetragen haben.
    "Du hast wohl recht...Dann muss dieses Gebräu ein wahres Wundermittel sein", erwiderte Narcissa zerknirscht an Marcus gewandt. "Am besten man bringt sich nicht in die Lage, es benutzen zu müssen"...Dabei hatten sie gar nicht sooo viel Wein getrunken - oder war ihr das nur so vorgekommen? Ein leichter Schmerz pochte nach wie vor in ihren Schläfen.


    Neugierig lauschte sie dann der Unterhaltung zwischen dem frisch vermählten Ehepaar und Marcus. Sie mochte es die Gesichter der Menschen zu beobachten, die etwas geschenkt bekamen. Das war für sie eigentlich immer das interessanteste an Geschenken und nicht die Sache selbst. Titus und Septima schienen erstaunt, reagierten aber beide überaus diplomatisch.

    Das anfänglich Amusement schlug allmählich in eine gewisse Genervtheit um, und folgte dabei Floras Gefühlsumschwung. Die Zwillinge kamen eben doch aus dem gleichen Haus, hatten die gleiche Erziehung genossen. Natürlich mochten sie Komplimente, aber diese jungen Männer waren einfach nur taktlos und unverschämt - was fiel ihnen ein so mit einer aurelischen Tochter zu sprechen?! Sie folgte Flora daher empört. "Langeweile, vielleicht...oder Geltungssucht...Jedenfalls scheint er mir der Claudier nicht würdig zu sein...", wisperte sie ihr zu. Selbst noch jetzt war die junge Männerschar noch hinter ihnen zu hören. Und hoffentlich würden sie nicht auf die Idee kommen, ihnen zu folgen.

    "Na wir werden es heute Mittag noch einmal testen", bemerkte Narcissa mit einem verschmitzen lächeln.


    "Wir beide haben uns schon ein wenig kennen gelernt", meinte sie mit einem freundlichen Blick auf das kleine Mädchen. Im Garten waren sie bereits einmal aufeinander getroffen und schon dort hatte sie die aufgewckte Marei liebgewonnen. "Ja, vielleicht sollten wir tatsächlich mit ihr reden...." Zu Flora gewandt fragte sie: "Was meinst du? Sollen wir sehen, ob Celerina schon wach ist? Ich würde sie zu gern kennen lernen."

    Sie musste lächeln, als Marei dem Wort "politisch" noch ein "o" andichtete. "Na das sind die Dinge, die..." sie stockte. Wie um alles in der Welt sollte sie einem kleinen Mädchen das erklären. Es wäre natürlich ein einfaches gewesen, ihre Neugierde mit der einfachen Begründung "Dafür bist du noch zu klein" abzublocken. Aber so einfach wollte sie es sich nicht machen. "Es sind Entscheidungen, die Männer im Hinblick auf unseren Staat und...die Regeln für unsere Gemeinschaft treffen...", Zugegebenermaßen war sie nicht sonderlich zufrieden mit ihrer Antwort. "Verstehst du?"


    Sie nickte zu Mareis Ausführungen bezügich Corvinus. Natürlich war sie neugierig, was den Hausherren betraf, letztendlich würde sie aber auch ihn wie ihre anderen Verwandten mit der Zeit kennen lernen.


    "Geisternester? Na da hast du Recht. Ich habe gehört manche sollen ganz garstig sein." Eigentlich war sie nicht abgläubisch. Natürlich glaubte sie als guterzogene Patriziertochter an die Götter, Geisterglaube war ihr jedoch fremd. "Was wäre denn so wichtig, dass du dich todesmutig in ihr Reich traust?"
    "Nina", Narcissa nickte anerkennend und beugte sich vor, um der Puppe das blonde Haar zu streicheln. "Das ist ein wirklich sehr schöner Name. Und Cimon hat sich sehr Mühe gegeben mit deiner Puppe!..."


    Ein leises Lachen entfleuchte ihrer Kehle. "Das ist eine sehr gute Frage! Ja, Rom ist ein wichtiger Ort", Fast schon verschwörerisch fügte sie hinzu: "Weißt du, es ist der Mittelpunkt dieser Welt! Die Ewige Stadt, gebaut aus Marmor." Sie beobachtete Mareis Gesicht, ehe sie fortfuhr: "Dort wo wir herkommen ist alles anders. Es ist viel ruhiger, ländlicher", Narcissa hiet einen Moment inne: "Es wurde Zeit, dass wir auch einmal das andere Leben kennen lernen, das Stadtleben. Und wir wollten auch einmal wieder unseren Bruder besuchen!" Natürlich war das nur die halbe Wahrheit, denn Lucilla hatte die beiden auch nach Rom geschickt, um die Schwestern zu verheiraten.

    Narcissa sah auf, als sie den Servus ihren Namen rufen hörte, dass es in dem Stallgebäude widerhallte. Einige der Tiere warfen unruhig die Köpfe zurück und begannen in ihren Verschlägen auf der Stelle zu tänzeln. Auch ihre eigene Stute war nicht allzu sehr von dem Lärm begeistert. Beruhigend strich sie dem Tier über die Nüstern und flüsterte ihm einige leise Worte zu. So gab sie dem Sklaven genug Zeit, um näher heran zu kommen. "Domina Narcissa...Paullus Germanicus Aculeo erwartet dich und deine Schwester im Atrium..." Etwas überrascht hob sie die Augenbrauen. Der Paullus Germanicus, der sie beide auf dem Marktplatz hatte stehen lassen? Was wollte der denn hier..."Ich komme", meinte sie, drückte ihrem geliebten Pferd noch einen sanften Kuss auf die Stirn und machte sich dann auf den Weg.


    Als sie das Atrium betrat, war ihre Schwester und der Germanicus betreits da. Aber nicht nur sie beide. Verwundert nahm Narcissa eine ganze Reihe von Sklaven wahr, die sich so unauffällig in dem Raum aufhielten, dass es schon wieder auffällig war. Einen kurzen Atemzug lang verhielt sie zögernd ihren Schritt und ging dann vollends auf die beiden zu. "Salve Paullus Germanicus Aculeo..." und in Richtung Flora grüßend: "Schwesterherz" Sie nahm einen seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Schwester war, den sie bisher noch nie bei ihr gesehen hatte. Etwas schien sie zu bedrücken. Ihre Blicke kreuzten sich einen Moment, ehe sie sich anmutig neben Flora nieder ließ. "Was führt dich hierher? Wolltest du nicht in Ostia sein?"