Wenn man Aulus so zuhörte, konnte man fast glauben, als ob er irgendetwas furchtbar Flauschiges sehen würde. Nigrina warf sicherheitshalber einen prüfenden Blick auf das Kind, nur um zu sehen, ob die Amme da auch tatsächlich ihren Sohn auf dem Arm hatte und vorzeigte, aber tatsächlich, da war nichts… nichts… Nigrina fiel nichts ein, was auch nur ansatzweise so süß sein konnte, dass es Reaktionen wie die ihres Bruders hervorrief. Jedenfalls bei ihr. „Eh… Aulus?“ versuchte sie seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, denn irgendwie musste sie ihren Sohn ja schützen, sonst dachte der am Ende noch, das wäre normal. Oder, noch schlimmer, wurde genauso. Aber bevor sie weiter reden konnte, wandte der sich ihr zu. „Vernarrt? Jaaa, sicher. Furchtbar vernarrt“, versicherte sie ihm im Brustton der ironischen Überzeugung und fragte sich gleichzeitig zum wiederholten Mal, was manche Leute nur mit Kleinkindern hatten. Das war ein Balg. Ein häufig schreiendes, entweder schlafendes oder hungriges, zwischendurch mal eklige Körperflüssigkeiten von sich absonderndes Balg. Und bis dieses Balg alt genug war, dass man etwas Vernünftiges damit anstellen konnte – wie beispielsweise eine einigermaßen geistreiche Unterhaltung führen –, würde noch viel Wasser den Tiber hinunter fließen.
Als Aulus dann auch noch davon anfing, dass er stolz auf sie sei, begann Nigrina sich dann richtig unwohl zu fühlen. Stolz. Worauf? Sie hatte ja nichts geleistet. Sie hatte ein Kind auf die Welt gebracht, das war alles. Das war etwas, was tagtäglich irgendwelche Frauen machten, und dabei gab es nun herzlich wenig, was eine Frau tatsächlich aktiv tun musste – ebenso wenig konnte sie eine Geburt hinauszögern oder verhindern, weil sie von der Natur getrieben wurde. Es gab also nicht wirklich etwas, worauf man hätte stolz sein können. Mehr noch, da sie, das war Nigrina klar, die Geburt mehr schlecht als recht hinter sich gebracht hatte.
Die Flavia hatte in der Regel kein Problem damit, es anzunehmen, wenn ihr jemand sagte er sei stolz auf sie – auch dann nicht, wenn sie gar nichts geleistet hatte, eigentlich. Nur in diesem Fall zielte es für sie darauf ab, dass eine Geburt anstrengend war. Und sie schwach, so schwach, dass sie das nicht einfach so wegstecken konnte. Und das war und blieb ein wunder Punkt für sie.
Nein, anders als wohl von Aulus intendiert baute Nigrina sein Kommentar nicht wirklich auf, sondern führte eher dazu, dass sie innerlich mauerte. Dennoch reagierte sie, wie sie bei Sextus kurz nach der Geburt reagiert hatte, wenn auch jetzt in voller Kontrolle über sich selbst. „Danke“, lächelte sie nur, und hoffte dass das Thema damit gegessen war. „Mir geht es gut. Die Geburt war normal, hat die Hebamme gesagt“, log sie dann, ohne mit einer Wimper zu zucken. Selbst eine normale Geburt war immer noch anstrengend genug, aber Nigrina wagte nicht zu behaupten, die Geburt sei leicht gewesen. Zu viele hatten in der Villa Aurelia mitbekommen, wie lange sie gedauert hatte, und wie lange Nigrina danach ihre Gemächer kaum verlassen hatte. „Und ich hatte ja Zeit genug, mich zu erholen. Aber wie geht es dir? Du warst krank, habe ich gehört.“
Die nächste Frage dann lockerte die Stimmung merklich auf. Nigrinas Stimmung, hieß das. Sie konnte sich ein ehrlich amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen – denn dass sich ihr Bruder und ihr Mann nicht wirklich grün waren, war ihr mehr als bekannt. Den Vorfall im Theater damals, oder das bei ihrer Sponsalia, hatte sie zwar ganz und gar nicht amüsant gefunden, aber im Moment herrschte angenehme Ruhe, was wohl auch daran lag, dass die beiden Männer sich offenbar aus dem Weg gingen. Und so fand Nigrina die Frage jetzt – von der sie nicht glaubte, dass sie rein aus Sorge um ihr Wohlbefinden gestellt worden war – durchaus erheiternd finden, und als willkommene Gelegenheit sehen, ihren Bruder ein wenig zu ärgern. Sie setzte ein liebliches Lächeln auf. „Oh, ich habe keinen Grund zur Klage, Aulus. Sextus“ trägt mich auf Händen, lag ihr auf den Lippen, aber die Lüge war selbst ihr zu dreist, nicht weil sie Skrupel hätte, ihren Bruder so anzulügen, sondern weil sie fand, dass Sextus nicht verdient hatte, dass sie ihn dermaßen positiv darstellte – auch wenn sie tatsächlich keinen Grund zur Klage hatte, war er doch weit davon entfernt, ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen –, „ist wunderbar. Ich könnte mir keinen besseren Ehemann wünschen.“