Beiträge von Flavia Nigrina

    Na so was, ein Sklave für mich? :D


    Bevor ich aber zu- oder absag: warum willst du zu Nigrina?


    Und dann gleich noch zwei Anmerkungen vorab:
    1. Ich schreib nicht immer jeden Tag. Wenn du als einen Herrn möchtest, mit dem du viel (im Sinne von: jeden Tag) schreiben kannst, bin ich da nicht unbedingt die beste Wahl.
    2. Nigrina ist ganz allgemein nicht das, was man einen netten Menschen nennen würde. Gegenüber Sklaven ist sie das noch viel weniger. Das muss dir klar sein, wenn du einen spielen willst, der ihr gehört.

    Geld. Nigrina trank einen Schluck von ihrem Wein. Es wäre natürlich die einfachste Lösung, wenn der Praefectus Urbi sich mit Geld zufrieden geben würde – aber selbst wenn nicht: jeder Mensch hatte irgendetwas, mit dem man ihn dazu bekommen konnte zu tun, was man von ihm wollte. Man musste nur heraus finden, was das war... und gerade bei einem Menschen wie diesem Homo novus sollte das doch nicht allzu schwer sein. Das war das erfreuliche an Machtmenschen: man konnte mit ihnen reden. Und sie hatte da vollstes Vertrauen in ihren Mann. Sextus würde schon etwas finden, was den Praefectus Urbi überzeugen konnte, ihn zum Senator zu machen. Vielleicht nicht unbedingt sofort, bei diesem ersten Gespräch, aber längerfristig auf jeden Fall, da war sie sich sicher.


    Sie überlegte gerade ihm anzubieten, dass die ein oder andere exquisite Sklavin aus flavischer Zucht nicht nur bei dem Gastmahl bedienen, sondern dem Vescularius tatsächlich als Geschenk angeboten werden könnte – auch wenn das wahrhaftig eine Verschwendung war, aber wenn Sextus dafür Senator wurde, war ihr beinahe jeder Einsatz recht –, als Sextus sich nun vom Fenster löste und auf sie zukam. Und noch bevor er sie erreicht hatte, noch bevor er den angebotenen Becher einfach beiseite schob und sie wieder an sich zog, konnte sie ihm ansehen, dass er nicht mehr in der Stimmung für Gespräche war. Die Art, wie er sich bewegte, langsam, aber trotzdem unter Spannung, wie sein Namensgeber auf der Pirsch... und dazu dieser Gesichtsausdruck, der sie seinen Hunger bereits ahnen ließ. Ohne dass sie es wollte, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, reagierte ihr Körper bereits auf diese Anzeichen, und als er dann bei ihr war und sie seine Lippen an ihrem Hals spürte, seinen gewisperten Kommentar hörte, war es im Grunde schon um sie geschehen. Sie war nicht gut auf ihn zu sprechen im Moment. Sie wollte eigentlich sauer auf ihn sein. Nicht dass es etwas bringen würde, aber es störte sie schlicht und ergreifend jedes Mal, wenn er so über sie hinweg ging, und daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er das nahezu immer tat in solchen Situationen. Ja, sie war eingeschnappt. Und was sie ganz sicher nicht wollte war, jetzt mit ihm zu schlafen, Leidenschaft zu teilen, als ob da nichts gewesen sei, und ihren Frust auf diese Weise so effektiv los zu werden, dass sie später vermutlich nicht einmal mehr wirklich würde sagen können, warum genau sie eigentlich sauer auf ihn sein wollte.


    Nur: ein verräterischer Teil von ihr war da ganz anderer Ansicht, wollte das hier, wollte sich auf diese Weise abreagieren, die einfach die beste, weil befriedigendste war, wollte dass er sie nahm... Und ihr Körper, die verräterische Sau, machte sowieso was er wollte. Der reagierte schon längst, während sie innerlich noch mit sich kämpfte. Ihre Haut prickelte, wo seine Finger fordernd darüber strichen, Schauer breiteten sich aus, und ihr Atem beschleunigte sich unwillkürlich. „Mmmh“, machte Nigrina auf seine erste Frage, halb Seufzen, halb Stöhnen, während sie eine Hand hob und in seine Haare grub und ihre andere ebenfalls auf Wanderschaft ging, um nichts weniger besitzergreifend und eindeutig als seine, ihr Körper eine einzige Reaktion auf seine Berührungen... während ihr Kopf noch zwiegespalten war, was aber überhaupt keine Rolle spielte, sondern nur dazu führte, dass sie ihm nicht beipflichtete, nicht in Worten jedenfalls. Bei seinem nächsten Kommentar allerdings war es auch darum geschehen, und sie lachte kehlig auf. „Ja... sollten wir unbedingt...“, murmelte sie noch rau, bevor sie auch den letzten Gedanken daran, sich ihm möglicherweise zu entziehen, aufgab und mit ihren Lippen die seinen suchte. Sie liebte den Sex mit ihm schlicht und ergreifend, liebte es viel zu sehr, als dass sie eingesehen hätte, darauf zu verzichten, nur weil er auch seinen Spaß dabei hatte. Und dass sie gefrustet war, noch dazu wegen ihm, machte das Ganze letztlich ja nur umso reizvoller, weil es noch leidenschaftlicher wurde... aggressiver. Und selbst wenn es anders wäre... Sextus wusste zu genau, was er tat und wie er es tun musste, war verdammt noch mal zu gut, als dass sie wirklich hätte widerstehen können. Oder wollen.

    Immer noch an ihren Mann gelehnt, obwohl ihr die Nähe im Moment etwas zu viel wurde angesichts der Stimmung, in der sie sich gerade befand – obwohl sie diese versuchte sich nicht anmerken zu lassen –, nickte Nigrina ein weiteres Mal leicht, als sie seine Worte hörte. Exquisit, aber nicht zu protzig. Das war eine Ansage, mit der sie arbeiten konnte... der Vescularius stand zwar auf Prunk, aber vermutlich nicht, wenn er diesen in einem anderen Haus als dem seinen vorfand... vorausgesetzt, er übertraf das, was er selbst hatte. Aber diese Gratwanderung traute Nigrina sich zu. Dazu ein paar hübsche Sklavinnen, die bedienten... und natürlich das Essen. „Gut. Ich werd sehen ob ich in Erfahrung bringen kann, was seine Vorlieben sind.“ Beim Essen. Beim Trinken. Und bei Frauen. Wenn sie nichts passendes da hatte, konnte sie sich sicher aus der flavischen Zucht etwas organisieren.


    „Gib mir Bescheid, wenn der Termin feststeht“, meinte sie und löste sich nun von Sextus, um ein paar Schritte zu einem Tischchen zu gehen, das in der Nähe des nächsten Fensters stand. Nur noch dumpf war der Donner zu hören, aber hin und wieder draußen noch ein Wetterleuchten zu sehen, dass ihr Gemach in schwaches Licht tauchte und ihren nackten Körper beinahe weiß aufleuchten ließ. Sie schenkte sich einen Becher voll dunklen, roten Wein ein und sah zu ihrem Mann hinüber. „Weißt du schon, was du ihm anbieten wirst?“ Kurz hob sie die Karaffe und fügte noch eine Frage an: „Möchtest du auch einen Becher?“

    Ein Cassius. Cassius Vecellinus. Nigrina stöberte kurz in ihrem Gedächtnis, wurde aber nicht wirklich fündig. Es war niemand gewesen, der jetzt oder in den vergangenen Jahren in Rom viel zu sagen gehabt hätte, vermutlich einer, der sich bereits zurückgezogen hatte aus dem aktiven politischen Geschäft... und obwohl auch diese Männer noch über einen gewissen Einfluss verfügten, verwendete Nigrina ihre Zeit lieber darauf, sich mit jenen Männern und deren Ehefrauen und Kindern auszukennen, mitsamt familiären und anderweitigen Beiziehungen, die jetzt in Rom etwas zu sagen hatten.
    Sie lächelte also nur und beschloss, Messalina über ihre Ehe und ihren Mann ein wenig auszuhorchen, wenn Sextus nicht dabei war. Es wäre schon interessant zu wissen, woran die Kinderlosigkeit ihrer Schwägerin wohl liegen mochte... aber Messalina wirkte immerhin nicht so, als ob sie darüber sonderlich unglücklich wäre. Was auch daran liegen mochte, dass sie vielleicht eine gute Schauspielerin war, aber falls sie da gerade ehrlich zeigte, wie es ihr mit dem Thema Kinder ging, dann konnte Nigrina sich nicht so ganz vorstellen, dass Messalina wirklich alles versucht hatte, schwanger zu werden.


    „Und wenn sich kein Anlass findet, schaffen wir einen“, hakte Nigrina ein, als Sextus davon sprach, Messalina in Roms Gesellschaft einzuführen. Passend dazu kam Messalinas Vorschlag, und die Flavia schmunzelte. „Das ist eine gute Idee. Diese Villa hat schon zu lange kein Fest mehr gesehen, selbst ein kleines nicht. Hättest du Lust, das mit mir zusammen zu organisieren?“

    Nichts. Kein Hinweis darauf, um was es sich inhaltlich drehen könnte, so dass sie noch etwas hätte sagen können. Es kam gar keine Antwort mehr, nicht einmal mehr eine weitere neblige. Nicht einmal darauf, ob es denn nun eine Möglichkeit war, es Iason gleich zu tun, oder ob es in seinem Fall keinen Mittelweg gab. Er sagte auch nichts zu ihrer Antwort auf seine nächste Frage, weder was er davon hielt noch warum er sie überhaupt gestellt hatte.
    Und es ärgerte sie – und ödete sie zugleich an. Mit Sextus war so einfach kein Gespräch möglich, weil es immer so... so einseitig war. Manchmal kam sie sich so vor, als könnte an ihrer Stelle auch irgendein Sklave stehen. Oder auch irgendein Gegenstand. Im Grunde hätte ihr Mann sich auch mit der Wand unterhalten können, so viel wie er auf ihre Kommentare einging. Mit zusammengepressten Lippen, aber widerstandslos ließ sie sich noch näher an ihn ziehen und schloss die Augen, als sie seine Lippen auf ihrer Stirn fühlte. Verharrte so, als er sie nicht wieder losließ, Haut an Haut, ihr Kopf an seiner Brust. Sie wusste es einfach mittlerweile besser, als sich jetzt aufzuführen. Sie konnte sich später abreagieren – oder in diesem Fall wohl: morgen, und ihre Sklaven würden ganz sicher ihre schlechte Laune zu spüren bekommen, die sich durch die mangelnde Möglichkeit, sie gleich auszulassen, bis zum nächsten Tag vermutlich eher noch gesteigert haben würde. Aber jetzt? Nein. Sextus, das wusste sie, würde nur in einer Art reagieren, die sie noch wütender machen würde, und ihr würde es nicht das Geringste bringen. Ein Streit mit ihm verlief für gewöhnlich noch einseitiger als dieses Gespräch... und das war frustrierend auf eine Art, die ihr gar nicht gut tat. Da war es immer noch besser, den Frust jetzt einfach zu schlucken und später vernünftig abzubauen, als ihn nur immer weiter und weiter zu steigern, bis er so groß war, dass sie am liebsten das ganze Zimmer verwüstet hätte. Ja... besser, jetzt zu schlucken und sich so zu geben, als sei nichts, so schwer ihr das auch fiel. Und so utopisch das auch war, denn natürlich gab sie sich nicht so, als sei nichts. Sie versuchte es – aber um ihren Frust zu schlucken, verschloss sie sich zugleich auch. Und das war etwas, was sie selten tat, und nur dann, wenn sie etwas traf oder ärgerte, war sie im Grunde doch ein recht offenherziger Mensch.


    Sie starrte reglos vor sich hin, als er wieder weitersprach. Turms. Mercur also. Sie sagte nichts darauf, aber Sextus mochte ihr Nicken spüren können, die sachte Bewegung ihres Kopfes an seiner Brust, das Reiben ihrer Haare über seine Haut. Erst beim nächsten Satz sah sie wieder nach oben. Den Praefectus Urbi wollte er also einladen... um Senator zu werden. Das hieß Bestechung. Hieß es zugleich auch, dass er sich schon entschieden hatte, für die zweiten seiner beiden ominösen Wahlmöglichkeiten? Der Praefectus Urbi konnte in jedem Fall als wankelmütiger Verbündeter gezählt werden, jedenfalls was einen Patrizier betraf.
    Sie deutete ein leichtes Achselzucken an. „Am Vescularius führt wohl kein Weg vorbei, wenn du bald Senator werden möchtest.“ Was ihr ja nur Recht war. Wenn er dafür einem homo novus Geld oder Geschenke in den Rachen werfen musste, war ihr das egal, so lange es nur etwas brachte. Sie hatte sich nicht so mit Geld und Verschwendung wie er. Der Praefectus Urbi war nun niemand, den sie sonderlich hätte achten können... Plebejer, homo novus, dazu... nun ja... eher unansehnlich und auch nicht sonderlich charmant im Umgang. Das einzig Positive das er ausstrahlte, war die Aura der Macht, die er besaß. Und eben jene machte es nun mal notwendig, ihn sich gewogen zu machen, wenn Sextus Senator werden wollte. Nigrinas Meinung über den Praefectus Urbi war recht eindeutig... aber das hinderte sie nicht daran, die Tatsachen zu sehen. Und sich an ihnen zu orientieren. Selbst gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen war ihr weit wichtiger, als Leuten wie dem Vescularius zu zeigen, was sie von ihm hielt. „Weißt du schon was du dir für das Essen vorstellst?“ Dann konnte sie am nächsten Tag einen Teil ihres Frusts vielleicht in nützliche Energie umwandeln und dieses Essen schon mal organisieren.

    Nigrina ließ sich bereitwillig näher an ihn heranziehen, bis ihre Haut die seine berührte, ihre Brust an seinem Rücken lag und ihre Stirn zwischen seinen Schulterblättern zu ruhen kam. Sie legte auch noch ihren zweiten Arm um ihn, und mit geschlossenen Augen lauschte sie auf seinen Atem und wartete auf eine Antwort… die, als sie dann kam, zwar wunderbar ausführlich, aber im Grunde ziemlich nichtssagend war. Na toll. Zwei Wege. Beide mit möglichem Gewinn, beide gefährlich. Aber er sagte nichts dazu, worum es da eigentlich ging. Sie presste für Augenblicke die Lippen aufeinander, als sie irgendwo in sich ein wenig Ärger aufwallen spürte. Gleichzeitig wusste sie allerdings auch, hatte gelernt mittlerweile in ihrer Ehe, dass es nichts bringen würde, wenn sie sich jetzt aufregte oder ihn mit Fragen zu löchern begann. Wenn Sextus ihr etwas sagen wollte, sagte er es. Wenn nicht, dann nicht – und dann half auch nichts, was sie tat. Und nachdem sie das realisiert hatte, war sie auch in solchen Situationen sehr schnell dazu übergegangen, sich vornehm zurückzuhalten. Wenn keinerlei Reaktion kam, bekam fortwährende Fragerei sehr schnell entweder den Beigeschmack des Quengelns oder des Bettelns. Aber sie war eine Flavia. Sie bettelte nicht. Auch nicht darum, dass ihr Mann ihr irgendwelche Informationen gab. Nur... Verderben. Wenn er seine Worte tatsächlich so meinte und nicht übertrieb, würde das womöglich auch sie beeinflussen, wenn er eine falsche Entscheidung traf. Massiv beeinflussen... und das bereitete ihr dann zugegeben doch ein wenig Bauchschmerzen.
    Dennoch: das erste, was hier zu tun war, war: eigene Rückschlüsse zu ziehen. Worum es ihm hier ging, schien also wichtig zu sein, und das einzige, was Nigrina sich da vorstellen konnte, war seine Karriere – wofür auch Ruhm und Ehre sprach. Nachdem er nun die Quaestur absolviert hatte, stand als nächstes die Erhebung in den Senatorenstand an… allerdings war bekannt, dass der Praefectus Urbi kein Freund von Patriziern war. Irgendwas würde Sextus sich da also überlegen müssen, um den Mann dazu zu bringen, ihn zum Senator zu machen – trotz der Tatsache, dass er Patrizier war, eine Patrizierin geheiratet und einen Patrizier zum Patron hatte… Alles wunderbare Beziehungen, aber nutzlos, wenn es sich um jemanden wie diesen Emporkömmling handelte, der nichts darauf gab, aber leider viel zu viel Macht hatte. Nur: das allein konnte es nicht sein. Mit ein wenig Geduld, den richtigen Fürsprechern und Bestechung dürfte sich das irgendwie regeln lassen… Was also war da noch? „Klingt alles recht neblig“, kommentierte sie trocken in seinem Rücken. Sie wollte wissen, worum es ging. Aber wer wusste schon, vielleicht ließ er sich ja so ein wenig mehr herauslocken, wenn sie auf seine Wortspielereien einging. Streiten wollte sie jetzt in jedem Fall nicht, damit würde sie nur die Atmosphäre zerstören, sie und ihn vielleicht auch sauer machen, und sich wohl der Chance berauben, ein wenig später noch einmal die letzten Stunden neu aufzulegen... aber ganz sicher nicht erreichen, dass er antwortete. „Aber wenn du mich fragst: nimm Skylla. Wenn schon untergehen, dann mit Stil… und einem hübschen Gesicht vor Augen. Wobei es freilich besser wäre, du könntest es Iason gleich tun.“


    Die nächste Frage dann ließ sie ihre Augen öffnen. Er fragte sie nach ihren Wünschen? Für den Fratz? Das kam überraschend. Natürlich plante Nigrina, im Leben ihrer Kinder eine andere Position einzunehmen als ihre Mutter in ihrem – und die Chancen standen gut, schon allein aufgrund der Tatsache, dass ihr Mann dankenswerterweise nicht die Angewohnheiten ihres Vaters hatte… dazu kam, dass sie charakterstärker war als die unterschiedlichen Weiber, die ihr Vater sich immer anlachte – selbst wenn es eine von denen mal länger ausgehalten hatte, war doch nie eine dabei, die Aetius oder seinen Kindern wirklich das Wasser hätte reichen können. Ihr Vater mochte das in einer Frau an seiner Seite… aber seinen Töchtern hatte er anderes mitgegeben.
    Dennoch machte sie sich nichts vor. Der Vater war wichtiger, egal welche Rolle die Mutter nun genau einnahm, und sie akzeptierte das ohne es in Frage zu stellen, ohne auch nur darüber nachzudenken. Wie auch, bei dem, was ihr eigener Vater ihr bedeutete, welchen Dreh- und Angelpunkt er ihr gesamtes bisheriges Leben für sie dargestellt hatte – was sich erst seit ihrem Umzug nach Rom und der damit verbundenen räumlichen Trennung angefangen hatte langsam zu verändern? Die Mutter konnte unterstützen, im Hintergrund lenken, insbesondere in den ersten Lebensjahren durchaus auch prägen… und sie hatte vor, in dieser Hinsicht alles auszuschöpfen, was ihr als Mutter möglich war. Aber der Vater hatte den wesentlicheren Einfluss im Leben eines Kindes. Auch wenn die Bälger das häufig erst in späteren Jahren realisierten, wenn sie älter waren.
    Und Sextus sah das genauso wie sie, oder jedenfalls hatte er bislang keinerlei Anzeichen gegeben, er könnte ihr als Mutter eine größere Rolle einräumen als sie annahm. Umso mehr wunderte sie nun, dass er sie fragte, was sie wollte… ob sie sich vorstellen könnte, dass ihr Sohn ebenfalls Haruspex wurde. Die leichte Verblüffung war auch noch in ihren Augen, auf ihren Zügen zu sehen, als er sie nun nach vorne zog und sie ansah. „Ehm“, machte sie zunächst nur, weil sie tatsächlich überlegen musste. Bisher hatte sich ihr diese Frage gar nicht gestellt gehabt – weil das seine Entscheidung war. Was also hielt sie von dieser Idee? Abgesehen von dem, was die Haruspices konnten im Hinblick auf Deutung des göttlichen Willens in den unterschiedlichsten Zeichen – eine Wissenschaft, von der Nigrina kaum mehr Ahnung hatte als die meisten anderen Römer, und dieses bisschen mehr nur deshalb, weil sie mit einem Haruspex verheiratet war und dadurch das ein oder andere mitbekam, die ihr aber zweifellos nützlich erschien, auch wenn die Antworten nicht immer brauchbar oder verständlich sein mochten: die Haruspices waren ein zweischneidiges Schwert. Angesehen und respektiert, mit nicht zu verachtenden Einflussmöglichkeiten, hingen Entscheidungen doch oft an ihrer Weissagung – und gleichzeitig immer ein wenig, nun, anrüchig. Misstrauisch beäugt, von manchen vielleicht gar verachtet, gerade wegen der Macht, die ihnen zueigen war. Sie hatten also nicht den besten Ruf unter Roms religiösen Disziplinen. Allerdings: Nigrina war eine Flavia, und ihre Gens mochte zu den angesehensten überhaupt gehören – aber das hieß nicht, dass sie von allen positiv beurteilt wurden. Und mehr noch: sie war Aetius‘ Tochter – und ihr Vater hatte alles mögliche, nur nicht das, was man gemeinhin unter einem guten Ruf verstand.
    Aber Rom war kein Beliebtheitswettbewerb, in dem derjenige Erfolg hatte und Macht gewann, der sich mit allen am besten verstand. In Rom kam der vorwärts, der das Zeug dazu mitbrachte und seine Vorteile zu nutzen wusste… und nicht wer Wert auf einen guten Ruf legte. Die Leute hatten Respekt vor dem, der sich Respekt verschaffte – und nicht vor dem, der darum bat. Sofern ihr Sohn also diese Lebensweisheit verinnerlichte und danach handelte, war ihr im Grunde recht gleichgültig, ob er nun Haruspex wurde oder etwas anderes, was ihm auf Dauer Macht und Einfluss bescherte. „Ich will, dass er später Karriere macht – und vorher dafür alle Voraussetzungen bekommt, die er braucht“, antwortete sie schließlich. „Die Ausbildung als Haruspex kann ihm dabei nur helfen, denke ich.“ Die war schließlich hart und umfassend genug, dass ihm das auch in der Politik von Nutzen sein würde. „Und ein möglicher Posten im Collegium später genauso.“

    „Die Freude ist ganz meinerseits“, erwiderte Nigrina mit einem Lächeln. Messalina wirkte recht freundlich... So weit, so gut. Der Anfang schien recht problemlos zu laufen, was nicht notwendigerweise immer so war.
    Dass Messalina ihnen noch viele weitere Söhne wünschte, kommentierte Nigrina nicht. Ihr Mann übernahm das gerade so schön, und sie, nun... ja. Kinder. Söhne. Kinder, insbesondere Söhne waren toll, waren das Vorzeigemerkmal, DAS Aushängeschild jeder Frau. Wenn da nur nicht diese elenden Schwangerschaften wären! Und dann die Geburt, an der sie fast krepiert wäre. Nein, wenn es nach ihr ging konnte das nächste Kind noch ein wenig warten... es wurde zwar nicht leichter, je älter frau wurde, aber noch war sie in einem Alter, in dem das problemlos ging. Was auch immer problemlos bei ihr heißen mochte, wenn sie an Lucius' Geburt dachte.
    Sie ließ sich von einem Sklaven ein leichtes Wein-Wasser-Gemisch geben und nippte daran, während Sextus nun nach Messalinas möglichen Kindern fragte... und die Antwort löste durchaus gemischte Gefühle bei Nigrina aus. Ihr erster, unwillkürlich Impuls war: ja! Immerhin war ihre Schwägerin auch verheiratet gewesen, und das nicht nur wenige Monate lang, was nichts anderes hieß als: in der Sache, in der Frauen am meisten punkten konnten, lag sie vorne. Und Nigrina war durchaus ein Mensch, dem so was wichtig war. Allerdings war sie nicht mehr so kindisch und unreif wie früher... was bedeutete, dass dieser erste Impuls so ziemlich sofort abgelöst wurde von den Überlegungen, was das letztlich hieß. Aus welchen Gründen auch immer Messalina ihrem ersten Mann keine Kinder geboren hatte – es machte es schwieriger für Sextus, sie hier in Rom gewinnbringend wieder zu verheiraten. Ein Kind als Beweis ihrer Fruchtbarkeit wäre ideal gewesen... so würde es bei der simplen Zusicherung bleiben müssen, dass sie fruchtbar war. Und dann war da noch die Tatsache, dass Nigrina wusste, was das für eine Frau hieß. Also, nicht was es möglicherweise hieß für eine Frau, noch keine Kinder zu haben, obwohl sie wahnsinnig gerne welche wollte, das freilich nicht. Aber was es hieß in diesem Reigen, in dem Gesellschaft und Politik miteinander tanzten und Frauen ohnehin so wenig Waffen hatten, die sie einsetzen konnten. Wenn sie sich da jetzt richtig präsentierte, nicht neutral, mitleidig oder gar schadenfroh war, sondern versuchte sie zu unterstützen... Nun, es konnte nie schaden, eine Verbündete, vielleicht sogar Freundin zu haben, auch wenn Nigrina das Wort Freundin nicht in dem Sinn verstand, in dem es andere verstanden. Und es konnte ganz sicher nicht schaden, mit der Schwester ihres Mannes ein gutes Verhältnis zu pflegen. Viel sagen außer irgendeiner allgemeinen Phrase konnte sie im Moment nicht. „Ich bin mir sicher, dass Iuno dir in deiner zweiten Ehe gewogener sein wird.“ Nigrinas Blick, der bei diesen Worten aufmunternd war, bekam etwas leicht verschwörerisches. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, aber sie meinte dass Sextus ihr erzählt hatte, dass der Kerl nicht mehr ganz der Jüngste gewesen war. „Wer war noch mal dein Mann?“

    Antworten suchte er. Nigrina hätte es sich eigentlich denken können – welchen Grund hätte ein Haruspex sonst haben sollen, so ins Gewitter zu starren? Allerdings gehörte Sextus nun nicht unbedingt zu der Sorte, die wegen alles und jedem die Götter zu Rate zogen, ganz im Gegenteil. Auch das sagte ihr also, dass da irgendetwas war, was ihn über das normale Maß hinaus beschäftigte, was an seinen Nerven zerrte. Die Frage war nur was... Sie forschte in ihrem Gedächtnis nach, aber sie konnte sich an nichts erinnern, was einen Hinweis darauf hätte geben können, was los war. Was nichts anderes hieß als: ihr Mann hatte bisher nicht gewollt, dass sie etwas bemerkte. Der Kerl verfügte über eine Selbstbeherrschung, die ihresgleichen suchte, auch wenn er häufig gar nicht so wirkte, sondern sich einfach oberflächlich-charmant gab. Aber so gut kannte sie ihn mittlerweile, dass sie wusste, dass das gar nichts bedeutete, wenn er unschuldig tat. Nicht das geringste. Aber gut, war bei ihr ja nicht anders, nur mit dem kleinen Unterschied, dass sie das nicht so gut konnte wie er – nicht was das eigentliche Schauspiel betraf, aber die Situationen, in denen sie in der Lage war, es abzuliefern.


    Aus welchen Gründen auch immer, ob er es nun nicht konnte oder nicht wollte – im Augenblick ließ Sextus sie sehen, dass ihn etwas beschäftigte. Entscheidungen. Nigrina überlegte einen Moment lang, ob sie einfach mutmaßen sollte, was für Entscheidungen das sein könnten... aber nachdem sie keinerlei Hinweis hatte, was es sein könnte, müsste sie rein ins Blaue hinein raten, und das wollte sie nicht. Zu großes Risiko, dass sie daneben lag und sich lächerlich machte, ganz abgesehen davon, dass sie durch wilde Raterei auch nicht schlauer werden würde – oder Sextus ihr etwas verraten würde. Und natürlich wollte sie nun genau wissen, was los war, immerhin hatte er gerade genug gesagt, um ihre Neugier erst richtig anzufachen. Gleichzeitig war da aber auch eine unterschwellige Sorge... wenn es ihm nur darum gegangen wäre, sie aufzuziehen, hätte er sich anders verhalten, meinte sie. Und er würde nicht hier stehen und Blitze anschauen.
    Ihre Finger bewegten sich sacht weiter auf seiner Haut, und sie atmete tief seinen Geruch sein, bevor sie erwiderte: „Was ist die Frage?“

    Als Nigrina von ihrem Mann erfahren hatte, dass eine seiner Schwester nach Rom kommen würde, hatte sie die Nachricht mit gemischten Gefühlen aufgefasst. Schwestern waren ein zweischneidiges Schwert, wie sie selbst nur zu gut wusste – Leontia war ihr großes Vorbild gewesen, mit Vera hatte sie gar nichts anfangen können. Oh, und da war das Balg ja noch, das ihr Vater nun mit 13 von der Mutter weggeholt hatte, um es standesgemäß als Flavia in die römische Gesellschaft einzuführen... was allerdings ein kurzes Vergnügen gewesen war, nachdem sich auf einer Feier gezeigt hatte, dass die Kleine erst noch ein bisschen Erziehung nötig hatte – insbesondere was den Konsum von Alkohol anging –, bevor man sie gefahrlos – sprich, ohne Risiko dass sie sich und ihre Familie blamierte – auf Leute loslassen konnte. Nigrina, ganz die wohlmeinende, mitfühlende große Schwester – ha, ha – hatte es natürlich als ihre Pflicht gesehen, ihren Vater darüber in Kenntnis zu setzen. Was wie von ihr geplant dazu geführt hatte, dass Aetius postwendend seine Jüngste zu sich nach Ravenna beordert hatte, wo sie in Nigrinas Augen auch hingehörte, immerhin hatte sie selbst auch nicht schon mit 13 nach Rom gedurft. Und sie war Papás Liebling. Nach Leontia, freilich, aber bei Leontia war das in Ordnung, aus drei Gründen: sie war die Älteste, sie war ihr Vorbild, und sie war tot. So einfach war das.


    Wie nun diese Schwester sein würde, blieb abzuwarten, denn auch Sextus hatte ihr nicht allzu viel sagen können, außer dass sie in etwa demselben Alter waren. Nigrina machte sich da allerdings wenig vor. Gleich alt zu sein bedeutete in etwa so viel eine laue Brise an einem warmen Sommertag zu mögen, nämlich gar nichts. Je nachdem wie die war, konnte das von ganz nett über interessant bis hin zu höchst kompliziert alles werden. Insofern allerdings war Nigrina auf der sicheren Seite, als dass sie die Ankunft der Schwägerin in keinster Weise in ihrem Status als unumstrittene Hausherrin gefährdete. Das könnte höchstens die Frau, die Avianus irgendwann mal heiratete, und selbst die nur schwer, war Nigrina doch mittlerweile schon lange genug hier, um sich ihren Platz gesichert zu haben – und Sextus auf dem besten Weg in den Senat, was ihn mehr und mehr auf eine Ebene mit Avianus rückte, was die Hackordnung betraf. So lange Avianus' mögliche Zukünftige also nicht gerade aus einer noch edleren und angeseheneren Gens als der ihren stammte – was faktisch unmöglich war, es gab keine Gens, die noch edler und angesehener war als die Flavia –, oder die Tochter eines Consulars war... würde Nigrina sich ihren Platz hier sicher nicht streitig machen lassen. Septimas Chancen standen da weit besser als die einer neuen Ehefrau hier im Haus, und Nigrina bezweifelte, dass Ursus und Septima hier wieder einziehen würden, nachdem sie sich nun extra eine Villa gekauft und eingerichtet hatten, die außerhalb des Pomeriums lag – selbst wenn Ursus irgendwann als Legat abberufen werden würde.
    So oder so: eine Aurelia war keine Konkurrenz. Schon allein deshalb nicht, weil Töchter – oder in diesem Fall Schwestern – halt dazu da waren, um verheiratet zu werden. Und dann das Zepter im Haushalt einer anderen Familie zu führen und der dortigen weiblichen Verwandtschaft auf die Füße zu treten.


    Wie stets blendend aussehend, gekleidet in eine edle Tunika, die Haare in einer raffinierten Frisur gerichtet und das für sie so typische, feine Lächeln auf den Lippen, betrat sie nun das Tablinum und kam auf die beiden zu. „Vorerst nur einer“, antwortete sie auf die letzte Frage, die sie gehört hatte, bevor Sextus etwas sagen konnte – mit einem Schmunzeln, das ehrlich wirkte, es aber nicht wirklich war. Ihr reichte der eine, auch wenn sie es nicht war, die sich um ihn kümmern musste, sondern nur im Zuge ihrer mütterlichen Pflichten – was hieß, ihn sich regelmäßig anzusehen und über seine Fortschritte berichten zu lassen – sich mit ihm beschäftigte. Gut, der Fratz – wie sie den Kleinen inzwischen manchmal mehr, manchmal weniger freundlich nannte – war ihr schon irgendwie ans Herz gewachsen, wenn er nicht gerade brüllte oder durch die Gegend pinkelte oder sonst was, aber er machte gute Fortschritte, war gesund und munter und vor allem: untermauerte ihre Stellung. Dennoch war sie nicht allzu scharf auf eine weitere Schwangerschaft in naher Zukunft... aber das würde sie nicht beeinflussen. Ein Sohn war nichts, er konnte zu leicht sterben, als dass Nigrina jetzt schon versuchen würde, eine weitere Schwangerschaft zu vermeiden. „Salve. Ich bin Flavia Nigrina“, begrüßte sie die Frau. „Du musst Messalina sein... schön, dass du nach Rom gekommen bist – dieses Haus braucht dringend weibliche Verstärkung, nachdem Flora geheiratet hat.“

    Lang ausgestreckt, auf dem Rücken, ein Knie leicht aufgestellt und eine Hand flach auf ihrem inzwischen wieder ebenso wunderbar flachen Bauch... so lag Nigrina auf ihrem Bett und lauschte den Regentropfen, die draußen herunter prasselten, und dem Donner, der in unregelmäßigen Abständen grollte. Sie fühlte sich träge, satt... befriedigt, und auch wenn sie inzwischen wieder zu Atem gekommen war: ausgelaugt. Schon allein die Nächte waren ein hervorragendes Argument dafür, einen jungen Kerl zu heiraten und keinen alten Knacker, wie Flora es hatte tun müssen – Macht hin oder her. Sextus würde sich im Lauf seines Lebens noch einiges an Macht angeln, davon war sie mittlerweile felsenfest überzeugt, und kombiniert mit seinen übrigen Vorzügen... reichte ihr das. Und seine Vorzüge waren in der Tat zahlreich, angefangen von den Nächten, die er trotz der anderen Weibsen, die er sich manchmal ins Bett holte, mit schöner Regelmäßigkeit bei ihr verbrachte, bis hin zu seinem Ehrgeiz und seiner kühlen Intelligenz, die ihn bei seiner Karriere beflügelten.


    Und sie vergalt ihm das auch. Kein schlechtes Wort über ihren Mann verließ jemals ihre Lippen, kein einziges. Nach außen war Nigrina das, was sie immer gelehrt worden war – eine tadellose Ehefrau, tadellos insofern jedenfalls, als dass sie Sextus absolut loyal war. Es kam für sie nicht in Frage, gegenüber anderen auch nur ein Wort zu verlieren, das ihn in einem schlechten Licht hätte da stehen lassen. Neben der Produktion von Erben war demonstrative Einigkeit das wirksamste Mittel, eine Ehe positiv für beide wirken zu lassen. Schon allein weil ihr Vater diese Verbindung arrangiert hatte, hatte sie von Anfang an gewollt, dass sie funktionierte... aber Sextus trug da durchaus seinen Teil dazu bei, dass es ihr trotz ihrer Art leicht fiel, sich an die Regeln zu halten.
    Dabei hatte er auch seine Nachteile. Nach wie vor gab es die Momente, in denen sie ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte, weil er sie mit seiner Art manchmal zur Weißglut trieb. Dass er wenig begeistert davon war, wann immer ihr Temperament mit ihr durchging, war eine Sache. Dass er sie dann regelrecht wie ein Kind behandelte, ärgerte sie jedes Mal maßlos, und was sie daran wohl am meisten aufregte war die Tatsache, dass Sextus ihr kein Contra gab. Kein vernünftiges, keines, womit sie etwas hätte anfangen können. Nicht wie Aulus, mit dem sie sich wunderbar streiten konnte. Nein, Sextus ließ sie einfach ins Leere laufen, wenn er sich denn überhaupt die Mühe gab, ihr in solchen Momenten zuzuhören. Es ärgerte sie so sehr, dass sie bald begonnen hatte, auch ihm gegenüber die Beherrschung an den Tag zu legen, die sie in der Öffentlichkeit zeigte. Sie hatte ihre Wutausbrüche schlicht auf später verlegt, wenn sie sicher sein konnte, dass er nichts mehr mitbekommen würde. Was ihr nicht gefallen hatte, und es gefiel ihr auch heute noch nicht immer... in erster Linie, weil sie es nicht mochte, ihm etwas vorzuspielen. Nicht weil sie mit der Tatsache an sich ein Problem hätte, sondern weil sie nicht geglaubt hatte, es in dieser Hinsicht tun zu müssen. Sextus war kein Weichei. Er war niemand, der klein beigab, der sich duckte, der erschrak. Niemand von der Sorte, dem das brave Frauchen vorgespielt werden müsste. Kurz, er war ein Mann von der Sorte, den sie tatsächlich respektieren konnte... und auf gewisse Art und Weise vertraute sie ihm. Den Menschen allerdings, denen sie vertraute, war sie gemeinhin auch ehrlich gegenüber, und das wiederum wusste ihr Mann effektiv zu vereiteln, indem er ihre Temperamentsausbrüche nicht tolerierte.
    Nigrina hatte eine Zeitlang gebraucht, bis sie das wirklich hatte akzeptieren können – dass Sextus sie nicht so nahm, wie sie war, sondern von ihr erwartete, dass sie sich seinen Vorstellungen wenigstens ein Stück weit anpasste... wollte sie nicht links liegen gelassen werden und nur das Frauchen an seiner Seite sein. Aber sie hatte sich angepasst... untergeordnet, mochte mancher es vielleicht auch nennen, auch wenn DAS ein Wort war, das Nigrina ganz sicher an die Decke hätte gehen lassen. So oder so: sie hatte es sich angewöhnt, sich auch in seiner Gegenwart zu beherrschen... und war dabei fast unmerklich ruhiger geworden, reifer. Erwachsener. Auch wenn sie das niemals zugegeben hätte, obwohl sie ja selbst merkte, dass sie bei weitem nicht mehr so häufig wie früher in die Luft ging.


    Mit einem leisen Seufzen drehte sie sich auf die Seite, als diese allumfassende Trägheit langsam aus ihren Gliedern zu schwinden begann... und öffnete dann die Augen. Sextus war vorhin aufgestanden, hatte ihre Räumlichkeiten aber nicht verlassen – und nun war er immer noch nicht wieder zurück ins Bett gekommen. Das war... ungewöhnlich. Normalerweise entschwand er immer recht bald in Morpheus' Reich, wenn sie miteinander geschlafen hatten und sie die Nacht über zusammen blieben. Dass er jetzt immer noch einfach nur da stand, aus dem Fenster sah und das Gewitter beobachtete, das... nun. Es zeigte, dass irgendetwas anders war, dass etwas nicht stimmte. Nigrina trauerte für einen Moment jenem süßen Gefühl der trägen Befriedigung hinterher, das sich zunehmend verflüchtigte, dann erhob sie sich leise und näherte sich ihm sachte. Bei ihm angekommen, schob sie sich nicht in sein Blickfeld hinein, sondern blieb halb neben, halb hinter ihm, legte ihm nur eine Hand sachte auf den Rücken, wo ihre Finger zu streicheln begannen, und lehnte ihren Kopf an seinen Oberarm. „Was ist los?“

    „Das freut mich zu hören“, flötete Nigrina. Sie fand, sie machte das hervorragend – und sie fand es ganz und gar nicht fair, dass ihr Mann danach begann, ihre Selbstbeherrschung zu testen. Natürlich war sie es gewohnt, dass Sextus andere Frauen komplimentierte, aber das hieß nicht, dass ihr das gefallen musste, wenn er das in ihrer Gegenwart tat. Sollte er andere doch hofieren, wenn sie nicht da war, aber wenn sie da war, dann... dann sollte er das tun, was er in genau diesem Augenblick auch tat. Ihr den Vorzug geben. Sie unterdrückte das selbstgefällige Grinsen und lächelte nur leicht geschmeichelt, als sie das von der besten Gemahlin und der Jägerin hörte, und ließ sich neben ihrem Mann auf einer Kline nieder. Antonia tat dasselbe auf der anderen Seite, was Nigrina ein wenig bedauerte, weil die Konstellation über das Eck, mit den Männern zwischen ihnen, eine Unterhaltung quasi unmöglich machte. Und so – obwohl sie sowohl aufmerksam zuhörte, ohne sich das allzu deutlich anmerken zu lassen, und zugleich die anderen Gäste betrachtete – trat sehr schnell ein Szenario ein, das sie nicht ausstehen konnte: sie begann sich zu langweilen.

    Für einen winzigen Moment sah Aulus sie auf eine ganz komische Art an. Als sei ihm irgendeine Laus über die Leber gelaufen. Und für diesen Augenblick befürchtete sie fast, er würde sich gleich übergeben, und sie fragte sich, ob er vielleicht zu früh von seinem Krankenbett wieder aufgestanden war. Aber der Moment verging so rasch wie er gekommen war, und ihr Bruder widmete sich dem begonnenen Krankheitsthema – ganz im Gegensatz zu ihr schien er kein Problem damit zu haben, ausführlich über seine Schwäche zu sprechen. „Halluzinationen? … Hast du das nicht öfter?“ Nigrina grinste ihn für einen Moment offen an. Diesen Kommentar geschwisterlicher Zuneigung hatte sie sich nicht verbeißen können. „Muss schlimm sein... Gewesen sein“, korrigierte sie sich schnell, als sie ihren Versprecher bemerkte – Aulus hatte gerade von Prisca gesprochen und wie sehr er sie doch liebte, und irgendwie hatte sie da etwas durcheinander gebracht bei dem, was sie noch als Kommentar zu seiner Krankheit hatte sagen wollen. „Wenn sie dir eine gute Ehefrau ist, bin ich zufrieden“, lenkte sie mit einem Lächeln ab und strich dann sachte über den Kopf ihres Sohns, der immer noch, von der Amme gehalten, neben ihnen war. „Er hat meine Vorzüge geerbt. Und er wird unschlagbar, erst recht mit Sextus' Vorzügen.“ Das war keine Hoffnung, die da aus ihren Worten sprach, keine Wünsche, keine Träume – das war eine Tatsache. Der Kleine ihren Ansprüchen zu genügen, so einfach war das. Was sie dazu beitragen konnte, dass es so kam, würde sie freilich tun, der Wurm würde alles an Förderung bekommen, was man sich nur wünschen konnte, aber den Rest musste er dann wohl oder übel selbst beisteuern, ob er wollte oder nicht. „Nun, welchen Weg er im Cursus deorum einschlägt, wird man sehen. Aber seine Abstammung zeichnet seinen Weg auch hier vor“, antwortete sie, ohne auf Aulus' Schwärmerei über die Septemviri einzugehen. Wenn ihr Sohn Haruspex wurde, dann waren die Haruspices die besseren. Punkt. Aber da sie das jetzt noch nicht wusste, was der Kleine werden würde, schwieg sie darüber lieber. Und das nächste Thema bot sich sowieso viel besser an um zu frotzeln. Aulus wollte also gar nicht Flamen werden? Ja sicher. Nigrina lächelte ihr typisches, feines Lächeln. „Völlig unmodisch, das ist nichts für einen Mann wie dich“, stimmte sie zu. „Und auch die Einschränkungen... Aber du weißt ja, was die Leute erwarten, gerade von uns Flaviern. Da ist es doch gut, wenn sich die Frage bei dir gar nicht stellt und du dich nicht rechtfertigen musst für diese Entscheidung.“

    Hach. Ihm taten also auch die Füße weh. Nicht dass Nigrina ihm das wirklich glaubte – aber so behandelt zu werden ließ sie sich gern gefallen. Sie schenkte ihm erneut ein Lächeln, bevor sie sich gemeinsam mit Avianus hinsetzte, sie ein wenig schwerfällig, und einem ihrer Sklaven zuwinkte, dass er etwas zu trinken bringen sollte für sie. „Im Tempel der Venus also...“ Na kein Wunder dass der Kerl sich da verknallt hatte. Zum Tempel der Venus gingen doch nur die Leute, die wollten, dass ihnen so etwas passierte. Leidenschaft, das war es offenbar, was Avianus fehlte, und nun ja, sollte er sich mit der Helvetia ruhig abreagieren. Ein Landei war sie also... nun ja, dann waren die Chancen wohl besser, dass keine Probleme gab, wenn er sie dann abschob. „Wie lang kennst du sie schon?“

    Nigrina war immer noch ein wenig... nun, unbegeistert über die Szenerie, die ihr Bruder in aller Öffentlichkeit abgeliefert hatte. Aber immerhin war das nicht sie gewesen, der er in der Frisur herum gefingert hatte, und gegen den Rest konnte sie sowieso herzlich wenig unternehmen. Außer sich darüber aufregen. Aber das hier war eine Feier, die erste, die sie nach der Geburt besuchte, und da wollte sie sich amüsieren.
    Sie schob die Gedanken an ihren Bruder und sein holdes Weib also weg, um sich dem Essen widmen zu können, aber noch bevor sie noch die Gelegenheit hatten, sich Plätze zu suchen, kam ein weiterer ihrer Verwandten an. Und obwohl es sich hierbei um ihren Cousin Gracchus handelte, dem Nigrina – über Jahre hinweg eingeimpft durch ihren Vater, der nicht noch eine Tochter an diesen Mann verlieren wollte – eine gute Portion an Misstrauen entgegen brachte, freute sie sich doch tatsächlich, ihn hier zu sehen. Abgesehen davon dass der Mann sich mittlerweile einiges an Prestige und Einfluss verschafft hatte – nur die Götter wussten wie, wie ihr Vater manchmal zu wettern pflegte –, Gracchus wusste sich wenigstens zu benehmen. Nun, bei Leontia hatte er das nicht, aber er hatte vermutlich auch nicht damit gerechnet gehabt erwischt zu werden. Wenn sie recht darüber nachdachte, war ihr ja eigentlich egal, was da zwischen ihrer Schwester und ihrem Cousin gelaufen war – solange keiner irgendwas in der Öffentlichkeit anstellte, was dann ein schlechtes Licht auf die Familie und ganz konkret sie werfen könnte, hätten die beiden ihretwegen auch gerne ein halbes Dutzend grüner Kälber zeugen können.


    In jedem Fall also gaben Gracchus und Antonia ein tadelloses Bild ab. Hervorragend. Nigrina lächelte fein. „Salve Gracchus, Antonia. Salve Minimus“, fügte sie noch die Begrüßung des Rotzbengels an, der dabei stand – und war dabei so lieblich wie eh und je nach außen hin. „Oh, ich danke dir für deine Glückwünsche und deine Nachfrage. Lucius könnte es nicht besser gehen, er gedeiht prächtig.“ Behauptete sie einfach mal so. Nicht dass sie eine Ahnung hatte, aber die Amme sagte das, und die musste es ja wissen. „Auch euch meine herzlichsten Glückwunsch zu eurem zweiten Kind. Wie geht es eurer Tochter?“

    Sim-Off:

    Kein Thema :)


    Nigrina wusste nicht so recht, ob sie heulen oder lachen sollte, als Aulus die Ironie in ihren Worten nicht einmal ansatzweise bemerkte. Vermutlich sollte sie erleichtert sein, denn so wie sie ihren Bruder kannte, würde der kaum Verständnis dafür haben, dass ihre mütterlichen Gefühle... nun, nur geringfügig ausgeprägt waren. Natürlich mochte sie den Kleinen irgendwie. Natürlich würde sie ihn beschützen, oder besser: beschützen lassen. Er war ihr Sohn, und sie hatte ihn monatelang in ihrem Bauch gehabt, hatte ihn dort gespürt, hatte ihn dann auf die Welt gebracht. Und er war ein weiterer Baustein, sowohl für die Haltbarkeit ihrer Ehe als auch für ihr ganz persönliches Ansehen – wenn er denn am Leben blieb, und das sah momentan ganz gut aus. Natürlich bedeutete er ihr was. Nur: im Augenblick konnte man mit ihm halt noch nicht viel anfangen. Er war ganz putzig, wenn er gerade schlief oder zumindest ruhig war, und Nigrina hatte die Amme auch sehr schnell dazu gebracht penibel darauf zu achten, dass sie den Jungen nur dann zu seiner Mutter brachte, wenn dem so war – aber dennoch ließ sich freilich nicht vermeiden, dass Nigrina auch die schlechten Seiten abbekam, und das war... nichts für sie. Ganz und gar nichts. Dann lieber die Amme machen lassen und einfach abwarten, bis man mit dem Jungen was anfangen konnte.


    Sie nippte an ihrem Getränk und schenkte Aulus ein Lächeln, nur um dann einem angemessen ernsten Gesichtsausdruck zu weichen, als er begann von seiner Krankheit zu sprechen. Hervorragend. Da hatte sie nun ein Thema getroffen, wie es augenscheinlich nicht besser hätte sein können – Aulus ließ von ihrem Sohn ab und fragte auch nicht weiter nach der Geburt oder wie es ihr ging, sondern begann von seinem eigenen Leiden zu sprechen. Kleine Korrektur: von dem Kleinen ließ er trotzdem nicht ab, wie Nigrina mit einem leichten Zucken ihrer Augenbraue feststellte. Aber es war wohl besser, darauf gar nicht einzugehen, jedenfalls so lang es sich in diesen Grenzen hielt. Nigrina kannte ihren Bruder – wenn sie da jetzt etwas sagte, machte er mit Fleiß weiter. Und dann sah sie nur zwei Lösungen: entweder sie motzte so lange herum, bis sie beide wütend waren und Nigrina verschwand, oder sie piekste den Kleinen unauffällig, bis er anfing zu schreien – dann konnte sie die Amme mit ihm wegschicken, und Aulus und sie konnten sich in Ruhe weiter unterhalten.
    „Nein, vorstellen kann ich mir das nicht“, log sie erneut, und schob jeden Gedanken an die Zeit nach der Geburt weg, „das muss wirklich furchtbar gewesen sein. Aber wie gut, dass Prisca dir so geholfen hat.“ Nigrina lächelte, obwohl sie es nicht verstand. Wenn Sextus krank werden würde, würde sie einen Dreck tun und sich um ihn kümmern. Sollten das doch Sklaven übernehmen, dafür waren sie ja schließlich da, und davon abgesehen wollte sie ja auch niemanden – niemanden, der zählte – um sich haben, wenn es ihr schlecht ging.


    Das Thema war an und für sich ein einfaches, weil sie nicht mehr machen musste als zu nicken und sich entsprechend mitfühlend zu geben, was zwar nicht in ihrer Natur lag, aber machbar war, da sie Aulus ja nicht so oft sah. Dennoch war ihr der Themenwechsel nur allzu recht. Auch wenn es nun mal wieder um etwas ging, was sie nicht so ganz nachvollziehen konnte. Wie konnte man dem Wurm jetzt schon irgendetwas ansehen? „Nun, wie ein Patrizier sich zu verhalten hat, das werde ich ihm in jedem Fall beibringen. Und natürlich werden wir das“, antwortete sie gleich noch auf die Frage nach der senatorischen Laufbahn. Was sollte der Kleine auch sonst machen? Bei der Stichelei gegen Sextus allerdings sah sie Aulus scharf an. Als ob die Haruspices die einzigen wären, die bei offiziellen Anlässen eine Amtstracht zu tragen hatten. „Nun, es bietet sich natürlich an, dass Lucius seinem Vater folgt.“ Sie lächelte süß. Die Stichelei konnte sie freilich nicht ohne Retourkutsche lassen. „Wie gut, dass die Position eines Flamen ohnehin nichts für dich ist. So kannst du auf derlei Kopfbedeckungen verzichten.“

    Ihre Frage brachte Avianus erst mal dazu, zu stocken. Und auch das führte dazu, dass Nigrina noch ein wenig misstrauischer wurde als sie es ohnehin schon bei der Erwähnung des bösen L-Worts geworden war. Was für einen Grund hätte der Aurelier haben können, nun zu zögern? Entweder es war tatsächlich eine neue Geliebte, und ihm war jetzt erst bewusst geworden, dass es sich vielleicht nicht schickte mit ihr darüber zu reden – oder aber er war tatsächlich verliebt, und das Ding war – unpassend.


    Und dann rückte er doch mit der Sprache heraus. Und Nigrinas Gesichtsausdruck gefror. „Helvetia.“ Helvetia. Helvetia?!? Da konnte aber doch wohl bitte nicht von Liebe die Rede sein! Ins Bett holen konnte er sich wen er wollte, aber Liebe, Liebe, das klang so endgültig, so... so... unwürdig! Wenn schon Liebe eine Rolle spielen musste – was sie faktisch nicht tat, nicht in ihrer Welt, nicht in diesen politischen und gesellschaftlichen Höhen, in denen sie sich bewegten –, aber wenn, dann doch bitte eine Patrizierin. Aulus hatte ja den Göttern sei Dank auch von seiner Schwärmerei für diese Plebejerin abgelassen und sich dann für Prisca begeistern können, was so ziemlich alles darüber sagte, was es bedeutete, wenn ein Mann von Liebe sprach – nämlich nicht mehr als die Angebetete ins Bett zu bekommen, und dann war es auch schon wieder vorbei mit der Liebe. Nicht dass Nigrina etwas dagegen hatte, Spaß im Bett zu haben. Das hatte sie ganz und gar nicht. Aber eine Ehe sollte auf etwas Fundierterem aufbauen als darauf, wenn sie nicht nur halten, sondern darüber hinaus auch für beide erfolgreich sein sollte.


    Eingedenk dessen, was Männer also für gewöhnlich unter Liebe verstanden, beschloss Nigrina, für den Moment noch nicht auszuflippen. Allerdings konnte sie Avianus auch schlecht fragen, ob diese Helvetia es ihm schon besorgt hatte oder noch nicht. Genauso wenig konnte sie ihn fragen, ob das diese eine Helvetia war, die vor ein paar Jahren mal für einen Eklat gesorgt hatte, weil sie munter durch die Betten sprang, und über die es nach wie vor noch die ein oder andere Tuschelei gab. Aber nun, es gab auch andere Dinge zu fragen. Sie setzte wieder ihr Lächeln auf. „Erzähl mir mehr von ihr. Wie hast du sie kennen gelernt? Oh, und macht es dir etwas aus, wenn wir uns setzen?“ Mit einer Hand strich sie leicht über ihren Bauch, und ihr Lächeln verstärkte sich kurz, ganz wie man es von einer werdenden Mutter erwarten würde. „Mittlerweile ist das doch etwas anstrengend.“

    Beiläufig beobachtete Nigrina immer wieder mal die anderen Gäste, während ihre offizielle Aufmerksamkeit dem Ritual galt, das – wie üblich – nichts besonderes war, und – wie üblich – natürlich gut lief. Dann allerdings lenkte sie etwas ab. Tiberia Faustina, das kleine Luder... kam die doch tatsächlich mit einem Plebejer zu dieser Feier – und steckte ihm auch noch feuchtfröhlich die Zunge in den Hals. Nun, dass die Tiberier nicht den Anstand hatten, den andere patrizische Geschlechter – namentlich die maiores – pflegten, war keine Überraschung. War ja auch nicht der erste Plebejer, der in diese Gens einheiraten würde. Aber dass die Tiberia sich dafür hergab, war dann doch... etwas... verblüffend. Nigrina kannte sie zwar nicht persönlich, aber nach allem was sie über diverse Klatschkanäle erfahren hatte, war sie eigentlich eine von denen, die sich etwas auf ihren Stand einbildete. Aber nun. Nigrina hatte auch erfahren, dass die Mutter der Tiberia eine Iulia gewesen war. Kein Wunder, dass die Tochter sich dann auch unter Wert verkaufte, wenn der Vater schon so gehandelt hatte.
    Als Sextus sich dann an sie wandte, konnte sie ein Schmunzeln nicht ganz unterdrücken. „Dein Wunsch sei mir Befehl.“ Zur Abwechslung mal. „Wenn du dich mal so aufführst, mach ich das liebend gerne.“


    Und es kam noch besser. Kurze Zeit später: Auftritt Aulus. Wie hätte es auch anders sein können, als dass ausgerechnet ihr Bruder sich daneben benahm? Gut, Prisca hatte da den größeren Anteil daran, so wie sie sich an ihn heran schmiss. Allerdings bekam sie gleich die Quittung, denn ihr herzallerliebster Bruder, der zwar immer furchtbar ästhetisch herum tat, aber nicht den geringsten Sinn dafür hatte, wenn es galt etwas Schönes zu würdigen und vor allem zu bewahren – sie erinnerte sich noch mit Grausen daran, wie er ihr mal zuerst Honig und dann Wasser ins Gesicht geschmiert hatte, mitten in der Öffentlichkeit –, tatschte in der Frisur der Aurelia herum und machte sie doch tatsächlich kaputt, genug jedenfalls, dass eine Strähne am Hinterkopf abstand. „Gift? Gift ist noch zu harmlos. Wenn du mir DAS DA jemals antun solltest, leg ich selbst Hand an, und dann wird Gift höchstens ein Bestandteil von dem Repertoire sein, dass du dann erleben kannst“, zischte sie zurück, und diesmal war die leichte Amüsiertheit von zuvor verschwunden und Genervtheit gewichen. Warum musste ihr Bruder immer wieder solche Sachen bringen? Wo alle Welt es sehen konnte? Was hatten seine Finger bei einer offiziellen Feier in den Haaren seiner Frau zu suchen? Selbst wenn sie Läuse hatte, wäre das hier nicht der richtige Ort um sie davon zu befreien! „Mal ehrlich, können die sich kein Zimmer nehmen? Oder bis heut Abend warten?“ Sie warf ihrem Mann einen düsteren Blick zu, während sie nun gemeinsam zum Essen gingen. „Wenn die Tiberia sich selbst demontieren will, ist das ihre Sache, aber kann sich mein Bruder nicht einmal benehmen?“

    Natürlich erschien auch Nigrina mit ihrem holden Gatten zu dieser Hochzeitsfeier. Sextus' Cousine und sein Patron, es war selbstverständlich, dass er kam, und es war ohnehin selbstverständlich, dass sie zu einer solchen Feier kam. Sehen und gesehen werden, das immerhin war es, was zählte, und gerade nachdem Nigrina in der letzten Phase der Schwangerschaft und den ersten Wochen nach der Geburt es zwangsläufig für besser gehalten hatte, sich zurückzuziehen, war es umso schöner, sich jetzt wieder zeigen zu können. Und wie sie sich zeigen konnte – dank eines ausgeklügelten Plans, der einiges ihrer Zeit in Anspruch genommen hatte, und strengster Disziplin war sie zumindest angekleidet wieder vorzeigbar, auch wenn sie freilich ein Kleid trug, das ihr zusätzlich noch schmeichelte.
    Sextus also an ihrer Seite, der dort hervorragend hin passte, wie sie fand, gerade bei solchen Gelegenheiten – immerhin gab er eine beeindruckende Figur ab, das konnte niemand leugnen, selbst wenn sie nicht neben ihm war –; und dazu der Winzling daheim bei seiner Amme, der sich dort heute gerne die Seele aus dem Leib schreien konnte, wenn er wollte, denn solange sie hier war, bestand nicht einmal ansatzweise die Gefahr, dass sie das auch nur für Momente ertragen müsste; und sie selbst, verheiratet, ein Sohn, und wieder in einer Form, für die sie sich nicht zu schämen brauchte: ja, das war eine Bilanz, die ihr gefiel.


    Und so betraten Sextus und Nigrina die Villa des Legaten, begrüßten hier einige Verwandte, nickten dort einigen Bekannten zu, und warteten den Beginn der Zeremonie ab.

    Als Nigrina das Atrium betrat, sah sie einen Mann in der Nähe einer der Statuen stehen. Und einer der Statuen auf eine Weise zugewandt, die beinahe implizierte, dass er... sich damit unterhielt? Die Flavia runzelte flüchtig die Stirn, aber im Grunde konnte es ihr egal sein, wenn der Kerl ein Trottel war. Und der Bote verschwendete auch keine Zeit, sich ihr zuzuwenden, was Nigrina beinahe schon gewillt war positiv zu bemerken. Tragisch nur, wie wenig Herzschläge er brauchte, um es zu versauen. Auf seinem Gesicht war ein rascher Wechsel an Emotionen sichtbar, auch wenn Nigrina nicht sonderlich darauf achtete, welche genau er nun zeigte, und er sagte etwas. Irgendetwas über ein Missverständnis.


    Zur Statue.


    Die Flavia begann sich vorzukommen, als nähme dieser Bote sie nicht ganz ernst. Sie kam auf ihn zu, während der Kerl weiterbabbelte, und je näher sie kam, desto mehr konnte sie seine Worte zur Gänze verstehen. „Bitte WAS?“ entfuhr es ihr, während sie sich fragte, ob sie das gerade WIRKLICH richtig verstanden hatte. Schnepfe. Trockenobst. Ihre Augenbrauen zogen sich unheilverkündend zusammen, während sie sich mit funkelnden Augen vor dem Boten aufbaute – oder jedenfalls konnte dieser Eindruck entstehen aufgrund ihres Verhaltens und ihrer Ausstrahlung. Faktisch musste sie, klein wie sie war, sogar aufsehen zu dem Kerl, aber das war nun nichts, wovon Nigrina sich sonderlich stören ließ, schon allein weil ihr das bei vielen Menschen so ging.


    Der Bote sprach, nein, stammelte weiter. Auf eine Art, die Nigrinas ohnehin nicht sonderlich strapazierfähigen Geduldsfaden noch weiter in Richtung des Reißens brachte.
    Letztlich war es vor allem die Neugier, die sie veranlasste sich zusammenzureißen, das und das Wissen, von wem der Bote stammte. Obwohl sie irgendwann einen Dreck darauf geben würde, ob das ein Verbündeter ihres Mannes war, wenn er weiter den Trottel gab – egal ob er es nur war, oder ob er nur versuchte sie damit auf den Arm zu nehmen. „Und was für eine vertrauliche Botschaft könnte das sein, mit der dein Herr ausgerechnet dich zu mir geschickt hat?“ ätzte sie.