An der Seite ihres Mannes erschien auch Nigrina beim Tempel. Nicht, dass sie sonderlich Lust gehabt hatte hierauf. Hatte sie ganz und gar nicht, und das aus mehreren Gründen – der wichtigste im Augenblick der, dass sie schwanger war und ihr Bauch mittlerweile merklich anfing, sich zu runden. Noch schob sie keine wirkliche Kugel vor sich her, aber trotzdem, es war inzwischen deutlich zu sehen, und sie merkte es auch. Davon abgesehen war sie ohnehin nicht sonderlich scharf auf Termine wie diesen. Nichts gegen öffentliche Auftritte, nichts dagegen, sich zu zeigen, zu präsentieren, aber da waren ihr irgendwelche gesellschaftlichen Anlässe, bei denen man auch ein wenig Spaß haben konnte, deutlich lieber. Nein, Lust hatte sie keine gehabt. Aber eine Wahl ebenso wenig, denn: eine öffentliche Entsühnung wie diese ließ man nicht sausen. Nicht, wenn man vorhatte, kontinuierlich weiter aufzusteigen in der Gesellschaft Roms. Also hieß es für Sextus und sie: Präsenz zeigen, und hoffen, dass das irgendwem positiv auffiel, oder wenigstens in Erinnerung bleiben würde, so dass es sich irgendwann mal positiv auswirken würde.
Ihre Schwangerschaft war da, so sehr sie selbst mittlerweile auch genervt davon war, ein gutes Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass die Götter trotz aller Schicksalsschläge, die die Aurelier zu erdulden gehabt hatten, ihnen wohl gesonnen waren, ihnen, den Flaviern und dieser Verbindung zwischen den beiden Gentes. Mit dem Opfer selbst hatte sie ohnehin nichts zu tun, hatte keinen Part in der Handlung, so dass es durch ihre Anwesenheit auch nicht gefährdet war. Dennoch war es ein Grund, sich vornehm zurückzuhalten, und vielleicht später eine gute Ausrede, sich früher zu verabschieden...
Aber das hatte noch Zeit. Für den Moment stand sie neben ihrem Mann, eine Hand auf ihrem gewölbten Bauch – nicht aus irgendwelchen sentimentalen Emotionen heraus, sondern weil sie festgestellt hatte, dass die Leute dann noch mal ein bisschen anders reagierten, weil sie das irgendwie... süß fanden, wenn eine werdende Mutter diese beschützende Geste machte –, und wartete darauf, dass sich endlich etwas tat.
Beiträge von Flavia Nigrina
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Nigrina lehnte sich ein wenig zurück und beobachtete die Szenerie, die sich vor ihr entfaltete. Sextus kannte den Mann ganz augenscheinlich nicht, was allerdings auch kein Wunder war in Anbetracht der Tatsache, dass der andere vor 17 Jahren verschwunden war. Nigrina kannte die Lebensgeschichte ihres Mannes nun nicht auswendig, aber auch sie wusste, dass er den größten Teil seiner Kindheit und Jugend in Griechenland verbracht hatte, wohin sich seine Eltern zurückgezogen hatten. Und Sextus war misstrauisch. Nigrina konnte das einerseits verstehen – als der Fremde ihr seinen Namen gesagt hatte, war sie wie von selbst davon ausgegangen, dass es schon jemanden in der Villa geben würde, der ihn erkannte. Wenn dem allerdings nicht so war... Nun. Sextus fragte ihn ohnehin nach Beweisen, und zur Not – bei diesem Gedanken verzogen sich Nigrinas Lippen zu einem nur angedeuteten Lächeln, das ein leicht hämische Note gehabt hätte, wäre es ein richtiges gewesen – konnte man immer noch Lucretia Lucilla herbitten. Es dürfte interessant sein zu beobachten, was Scipio davon halten würde, wenn es ausgerechnet seine ihm augenscheinlich verhasste Stiefmutter war, die ihn identifizieren würde. Oder was für ein Gesicht die Lucretia machen würde, wenn sie begriff, dass sie ihren augenscheinlich verhassten Stiefsohn ein für alle mal hätte los werden und endgültig aus der Familie verstoßen können – wenn sie nur vorher gewusst hätte, worum es ging... Oh ja, das klang nach einem Aufeinandertreffen, das Nigrina nur zu gern arrangieren – und selbstverständlich auch erleben – würde.
Das Gespräch indes nahm seinen Fortgang, während Nigrina an ihrem Getränk nippte und einfach nur zuhörte. Für den Moment spielte sich alles zwischen den Männern ab – auch bei der letzten Fragen Scipios hatte sie nicht den Eindruck, dass diese in irgendeiner Form an sie gerichtet gewesen war, also schwieg sie für den Moment weiterhin und überließ Sextus vorerst das Feld.
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Nigrina tat nicht nur so, sie war durchaus auch tatsächlich ein wenig gespannt, was ihre Halbschwester wohl wollen könnte. Domitillas Herumgestottere führte allerdings nahezu sofort dazu, dass Nigrina ihr am liebsten über den Mund gefahren wäre. Dass sie mit der Sprache herausrücken sollte. Aber sie wusste, dass das ganz sicher nicht gut war. Damit würde sie die Kleine nur verschrecken, und wenn das öfter geschah, wäre die traurige Konsequenz, dass sie auf ihre Bewunderung würde verzichten müssen. Ganz davon abgesehen, dass mittelfristige Planungen – wie die Kleine an irgendwen Wichtigen zu verheiraten und damit eine Verbindung aufzubauen, die Nigrina nützlich sein würde – von ihr nicht mehr mit beeinflusst würden können, wenn sie es sich mit Domitilla verscherzte. Vor allem würde sie dann möglichen Verbindungen Domitillas – die sie später sich einmal haben würde, auch außerhalb ihrer Ehe – nicht profitieren können.
Also hieß es: Zähne zusammenbeißen und sich nichts anmerken zu lassen. Sie beschloss, es als Training zu sehen, um ihr Temperament zu zügeln, saß weiterhin da und sah ihre Schwester gespannt an.Was Domitilla dann aber sagte, verblüffte Nigrina dann doch. Sie wollte wissen, wie man flirtete?
Flavische Augenbrauen wanderten noch ein Stückchen höher, während sich zugleich ein feines Lächeln auf ihren Zügen ausbreitete. „Die Aufmerksamkeit eines Mannes?“ Wozu von Jungen reden. Domitilla war durchaus bereits im heiratsfähigen Alter, aber dann würde es kein Junge werden, den sie ehelichen würde. Zwar war Nigrina klar, dass die Kleine nicht vom Heiraten sprach und vermutlich nicht einmal wirklich – nicht in letzter Konsequenz – daran dachte, aber das hinderte sie ja nicht daran, gleich klar zu formulieren.
Der Klang ihrer Stimme passte sich Domitillas an und wurde ebenso ein wenig leiser, so dass auch ihre Worte von den anwesenden Sklaven nicht verstanden werden konnten. Das Lächeln auf ihren Zügen veränderte sich ein wenig, wurde zu einem neckenden Schmunzeln. „Oh, da gibt es einige Möglichkeiten. Eine der besten ist, sie am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Ihnen nur Krumen deiner Aufmerksamkeit hinzuwerfen. Auf die Art bringst du sie dazu, dir nachzulaufen. Weil sie dich erobern wollen, und nichts tun Männer lieber, als etwas zu erobern.“ Jetzt zeigte sich kurzzeitig ein Grinsen auf ihrem Gesicht, bevor es sich wieder abschwächte und einem neugierigen Ausdruck Platz machte. „Warum fragst du? Sag nicht du hast jemanden kennen gelernt...“ -
Nigrina musterte ihren Mann, während sie ihm in knappen Worten mitteilte, was sich zu getragen hatte. Sie kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu ahnen, dass er ähnlich wie sie so gar nichts von der Neuigkeit hielt, die er serviert bekommen hatte – und das nicht so sehr, weil, sondern vor allem wie seine Cousine gestorben war. Aber wie üblich beherrschte Sextus sich perfekt. Es war ihm nicht das Geringste anzusehen, was wohl wirklich in ihm vorgehen mochte, und selbst – oder vielleicht sogar gerade – in dieser Situation, in der sie fassungslos war über die Umstände von Narcissas Tod, in der Flora nach wie vor Rotz und Wasser auf ihre Schulter heulte, konnte sie nicht umhin ihn dafür zu bewundern. Sie wollte das auch können. So sehr sie sich im Augenblick auch im Griff haben mochte, insbesondere was Flora betraf, und gebührende Betroffenheit zeigte, und so wenig sie ihre Empörung verbergen wollte, weil das einfach ein Unding war, dass Narcissa geritten war – es blieb die Tatsache, dass ihre Fassade nicht einmal dann perfekt gewesen wäre, wenn sie es gewollt hätte. Sextus hingegen wirkte tadellos.
Als ihr Mann dann etwas sagte, nickte Nigrina nur widerspruchslos. Sturz von einer Leiter. Das klang gut, das klang sehr gut. Das mit dem Reiten konnte man ja kaum herum erzählen. Auch wenn sich die Frage stellte, was Narcissa wohl auf einer Leiter zu suchen gehabt hatte... aber das war deutlich besser als die Wahrheit. Der Bote würde dazu gebracht werden müssen, sich an diese Version zu halten. Die Sklaven hier, jedenfalls die ihren, würden sich an alles halten, was man ihnen sagte, aber es konnte nicht schaden, es ihnen in diesem Fall noch einmal besonders einbläuen zu lassen. Dann war da noch Flora. Aber die war gerade so außer sich, dass sie sich später vielleicht selbst nicht mehr so genau daran würde erinnern können, woran Narcissa genau gestorben war... Vielleicht hatte sie es auch gar nicht mitbekommen, als der Bote ihr das erzählt hatte, war Flora ja schon völlig aufgelöst gewesen. In diesem Fall würde es auch für den überlebenden Zwilling nur die Wahrheit sein – aber das blieb abzuwarten, woran Flora sich später noch würde erinnern können. Aber die Mutter gab es auch noch. Lucretia und ihre Bediensteten.
In ihre Gedanken hinein platzte Flora mit der Forderung, dass der Bote verschwinden sollte, und Nigrina verzog ganz kurz das Gesicht, als die plötzliche Bewegung sie spüren ließ, wie feucht der Stoff an ihrer Schulter geworden war. Erneut war es Sextus, der sie in gewisser Hinsicht rettete, indem er sie ablenkte. „Ja, das ist wohl besser“, antwortete sie ihm ruhig und verstärkte sachte den Druck der Hand, mit der sie nach wie vor über Floras bebende Schultern strich. Sie löste sich noch mehr von ihrer angeheirateten Cousine, erhob sich und versuchte Flora mit angedeutetem Druck verständlich zu machen, dass sie ebenfalls aufstehen solle. „Komm, Flora. Ich bringe dich in dein Cubiculum.“ Scheinbar geduldig stand Nigrina da und wartete auf eine Reaktion, während sie nebenbei weiterhin ihrem Mann lauschte, der nun dem Boten ins Gewissen sprach. Sie würde einen Dreck tun und sich selbst, noch dazu schwanger wie sie war, in irgendeiner Form körperlich anstrengen, um Flora zum Aufstehen und Gehen zu bringen. Sollte die Aurelia nicht innerhalb der nächsten Augenblicke reagieren, würde sie sie vom Parther oder einem anderen Sklaven tragen lassen, aber zunächst wollte sie Flora die Gelegenheit geben, zur Vernunft zu kommen, weit genug jedenfalls um zu begreifen, dass das Bett für sie im Moment wohl tatsächlich der beste Ort war. -
Der Aurelier wirkte nicht übermäßig betroffen vom Tod seiner Halbschwester. Auch die Information, dass Narcissa seine Halbschwester gewesen war, förderte keine sonderlich interessante Reaktion zutage – Scipio ließ nicht einmal wirklich erkennen, ob dieses Wissen tatsächlich neu für ihn war, oder ob er das nicht auch schon irgendwo gehört hatte, welcher Linie Narcissa genau entstammte. So viel Informationen er ihr zuvor geliefert hatte, so sparsam ging er nun damit um, und das ließ sie ein wenig unbefriedigt zurück. Zumal sie nicht einmal genau zu sagen vermochte, ob er so ruhig wirkte, weil er in der Tat wenig betroffen war von Narcissas Tod – und ebenso wenig überrascht von der Tatsache, dass sie seine Schwester gewesen war –, oder weil er sich einfach nur zu gut unter Kontrolle hatte, um sich etwas anmerken zu lassen.
„Wie Recht du hast“, stimmte sie ruhig zu, während sie ihn weiterhin aufmerksam beobachtete.Bevor das Gespräch allerdings weiter gehen konnte, hörte sie Schritte, und ein Blick in die entsprechende Richtung zeigte ihr, dass Sextus gekommen war. Mit einem leichten Lächeln begrüßte sie ihn und wartete ab, bis die beiden Männer ihr erstes Geplänkel ausgetauscht hatten – und sie warf Scipio ein gebührend geschmeicheltes Lächeln zu, als dieser ihr ein Kompliment machte. Dann allerdings, als er nicht weiter sprach, schaltete sie sich ein, an ihren Mann gewandt. „Schön, dass du kommen konntest, Sextus. Darf ich dir vorstellen? Nero Aurelius Scipio, Erstgeborener des Barrius Scipio. Er hat spontan beschlossen, uns einen Besuch abzustatten, nachdem er von Narcissas Tod hörte.“
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Nigrina nickte, ihre Miene betrübt – insgeheim aber dann doch... nun ja... erstaunt. Ein wenig. Perplex traf es vielleicht besser. Narcissa? Bei all den Todesfällen, die die Aurelier getroffen hatten, hatte er ausgerechnet von Narcissa gehört? Die hatte Vestalin werden wollen, aber die Betonung lag hier auf wollen. Sie war es noch nicht gewesen. Sie war einfach ein weiteres Töchterchen aus reichem Hause gewesen, das noch dazu fern von Rom von Pluto geholt worden war. Nicht die Tochter eines Senators, nicht einmal die Tochter eines Mannes, der auf dem besten Weg gewesen wäre Senator zu werden. Nicht die Frau eines Senators, oder eines Mannes, der auf dem besten Weg gewesen wäre... Nur die Schwester eines Mannes, der undsoweiterundsofort. Und so weit Nigrina es mitbekommen hatte, war sie noch dazu recht ruhig gewesen, hatte auch nicht allzu großen Wert darauf gelegt, in ihren Kreisen einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erreichen. Und dennoch hatte Scipio von Narcissas Tod gehört – aber nicht etwa von dem Tod besagten Bruders. Der auf dem besten Weg... und noch dazu Augur gewesen war. Oder, beispielsweise, vom Tod Aurelius' Corvinus, seines Zeichens Senator und Pontifex. Ganz davon abgesehen, dass der sich selbst ins Messer gestürzt hatte. Kurz nachdem seine Frau sich getötet hatte. Kurz nachdem der Skandal von Nemi passiert war. Und DAS war etwas, worüber heute noch halb Rom sprach, in letzter Zeit sogar wieder eher ganz Rom, weil der Senat endlich in die Gänge kam und über Sühnemaßnahmen beriet.
Diesmal allerdings beherrschte Nigrina sich weitestgehend, auch wenn sie nicht verhindern konnte, dass ihre Augenbraue sich schon wieder, diesmal leicht verblüfft, nach oben wölbte. „Narcissa, ja. Sie war etwa in meinem Alter, das ist tragisch.“ Und sie war selbst schuld gewesen, davon war Nigrina überzeugt. Eine Römerin ritt nicht. Narcissas Schicksal war der beste Beweis dafür, dass die Götter Frauen nicht auf Pferden sehen wollten. Dennoch seufzte Nigrina angemessen und verbarg ihre Gedanken sorgfältig. Und schwieg. Noch hatte der Aurelier keine Frage gestellt zu den weiteren Todesfällen, und sie war niemand, der freigiebig einfach Informationen verteilte, nicht solche jedenfalls, die etwas nutzen könnten, und schon gar nicht irgendwelchen Fremden gegenüber. Selbst wenn nicht der endgültige Beweis, dass er tatsächlich Aurelier war, noch ausgestanden hätte – sie kannte ihn nicht.Umso erfreulicher war es, dass er auf ihre Frage antwortete, und das sogar sehr ausführlich. Nigrina lehnte sich leicht zurück und lauschte ihm aufmerksam, und schon bei den ersten Worten musste sie sich bemühen, ruhig zu bleiben. Barrius Aurelius Scipio also. Und es wurde interessanter mit jedem Wort. Die Mutter gestorben, bei der Stiefmutter verhasst, vom Vater enterbt. Kein Wunder, dass er sich fern gehalten hatte. Andererseits... von Kampfgeist zeugte das nicht gerade. „Nun...“ Nigrina wählte ihre Worte mit Bedacht. „... wundert es mich nicht mehr, dass du deiner Familie so lange fern geblieben bist.“ Sie lächelte leicht. „Nein, Lucretia Lucilla weilt nicht in Rom. Schon lange nicht mehr. Sie lebt auf ihrem Landgut. Aurelia Narcissa war übrigens ihre Tochter.“, erwähnte sie, fast schon beiläufig.
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Sim-Off: Domitilla wurde gleich nach ihren Wünschen gefragt
Domitilla war so begeistert, sie zu sehen, wie Nigrina erwartet hatte, so wie Domitilla auch die letzten Male reagiert hatte, und sie genoss es. Natürlich. Wer genoss es nicht, sich in Bewunderung zu sonnen? Allerdings galt es, dafür auch etwas zu tun. Sich entsprechend zu verhalten. Das richtige Maß zu finden aus... Zuneigung und Ablehnung. Oder Zuckerbrot und Peitsche, wenn man so wollte. Leontia hatte das perfektioniert, die hatte sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen, wenn ihr danach war, das aber auf eine Art, dass Nigrina sie gerade deshalb umso mehr bewundert hatte. „Oh, mach dir deshalb nur keine Gedanken. Du kannst jederzeit vorbei kommen, wenn dir danach ist.“ Auch wenn Nigrina es tatsächlich vorziehen würde, wenn ihre kleine Schwester das nächste Mal einen Sklaven vorschicken würde, aber das sagte sie nicht laut. Die Kleine war ja schon von selbst auf den Gedanken gekommen. Allerdings... „Erzieh deine Sklaven doch dahingehend, dass sie von selbst wissen, was zu tun ist, wenn du jemandem spontan einen Besuch abstatten willst. Manche haben dieses Potential“, lächelte sie. Und wofür fütterte man das Pack denn sonst durch und gab ihnen die Gelegenheit, in den angesehensten Villen zu arbeiten und nicht in einem Steinbruch – wenn nicht dafür, dass sie auch mitdachten. Als Domitilla dann ankündigte, eine Frage zu haben, hob Nigrina leicht ihre Augenbrauen – beide, zur Abwechslung – und gab sich angemessen neugierig und gespannt. „Na los, was ist?“
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Nigrinas Geduldsfaden, der generell schon nicht besonders belastbar war und jetzt, im schwangeren Zustand, noch weniger, wurde zusehends dünner und stand bald kurz vor dem Reißen. Eine Patrizierin, die ritt, eine andere, die vor Trauer und Verlust derzeit zu nichts zu gebrauchen war – was Nigrina nicht wirklich nachvollziehen konnte –, ein vollgeheultes Kleid und ein Bote, der erst plapperte und dann seine eigene Stimme verschluckt zu haben schien. Nicht das, was Nigrina sich unter einem gelungenen Tag vorgestellt hätte.
Insofern war es durchaus ein Lichtblick für sie, als Sextus das Atrium betrat. Wenigstens einer, der seine Sinne beisammen hatte. Sie sah zu ihm. „Narcissa ist tödlich verunglückt“, teilte sie ihm ruhig mit. Sie dachte gar nicht darüber nach, ob die Frage womöglich an den Boten gerichtet gewesen sein könnte – das lag außerhalb ihres Vorstellungsvermögens. Der Bote war ein simpler Bediensteter, vielleicht sogar Sklave. Natürlich war er vorerst einmal nicht gemeint, solange zwei Patrizierinnen anwesend waren. Und von denen war ja nur eine in der Lage zu reden. Mit gerunzelter Stirn deutete sie eine Kopfbewegung in Richtung des Kerls an. „Laut ihm ist Narcissa bei einem Ausritt vom Pferd gestürzt.“ Sie warf einen Blick auf Flora, die immer noch an sie gelehnt da kauerte, ihr Gesicht an ihrer Schulter verbarg und von nicht enden wollenden Schluchzern geschüttelt wurde. „Holt einen Medicus“, warf sie in die Runde, an keinen bestimmten Sklaven gerichtet – aber natürlich reagierten sie dennoch. -
Siebzehn Jahre also war der Kerl nicht mehr in Rom gewesen. Und Nigrina schloss aus seinen Worten – und der Tatsache, dass ihr sein Name nicht geläufig war –, dass er in der Zwischenzeit auch herzlich wenig Kontakt mit seiner Familie gehabt hatte. Was er ihr zu ihrem Bedauern nicht von selbst erzählte war, wie er nun mit wem hier genau verwandt war, aber nun, das würde sie noch erfahren. Interessanter war in jedem Fall, was genau ihn nun nach dieser langen Zeit hierher trieb – denn dass nur ein Todesfall dahinter steckte, bezweifelte sie –, wie lang er genau zu bleiben gedachte – und was da vorgefallen war, dass er sich nicht ganz sicher war, hier willkommen zu sein, im Haus seiner eigenen Familie.
„Ja, es ist tragisch. Die Aurelia hatte einige Todesfälle zu verkraften im vergangenen Jahr“, seufzte sie und mimte, ihrer Rolle gemäß, Betroffenheit. Irgendwo war sie ja auch betroffen, sie hatte immerhin in diese Gens hinein geheiratet, von der es nun auf der Straße hieß, dass die Götter ihr zürnten, aus welchen Gründen auch immer. Nigrina glaubte nicht daran, dass die Götter den Aureliern tatsächlich nicht mehr wohl gesonnen waren – aber es wäre dann doch ganz schön, wenn die Angehörigen aufhören könnten, wie die Fliegen zu sterben. Wenigstens für einige Zeit lang, bevor dieser Quatsch mit den wütenden Göttern beim Pöbel den Status eines Gerüchts verließ und tatsächlich für bare Münze genommen wurde. Sie hatte keine Lust darauf, sich jetzt einen anderen Mann suchen zu müssen, wo sie sich hier eingelebt und ihre Stellung gefestigt hatte. Und, nicht zu vergessen, schwanger war mit dem ersten Balg von Sextus. Apropos Sextus. So gern sie wenigstens erst mal weiter mit Scipio allein geredet hätte – man wusste ja nie, was sich so in Erfahrung bringen ließ und ihr womöglich einen Vorteil durch Wissensvorsprung verschaffen könnte –, es war unter den Umständen vielleicht doch besser, wenn sie einen Aurelier dazu holte. Und naturgemäß kam für sie da erst mal nur ihr Mann in Frage, auch wenn der genau genommen unter den Männern im Haus die Nummer zwei war. Was er aber zu ändern gedachte, und sie gedachte ihn dabei zu unterstützen. Sie machte eine vage Geste in Richtung der Sklaven. „Holt meinen Mann.“ Die hatten ja alle mitgekriegt, wer der Kerl war, also würden sie schon wissen, was sie zu Sextus zu sagen haben würden. Noch während einer von ihnen also loshuschte, um Genannten zu holen, kam ein anderer mit den gewünschten Getränken herbei und reichte sie ihnen. Nigrina nippte an ihrem verdünnten Wein und lächelte Scipio an. „Vielleicht ist die Frage naiv von mir... aber du gehörst doch zur Familie. Wie kommt es dass du glaubst, du wärst hier nicht willkommen? “
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Im Tablinum angekommen, ließ Nigrina sich auf einem der bereitstehenden Korbstühle nieder und wartete, bis der Aurelier ihr nachgekommen war. Ohne dass es eines Winks bedurfte, wuselte einer ihrer Sklaven heran und fragte devot nach den Wünschen, nur um, sobald die Herrschaften sie geäußert hatten, wieder davon zu wuseln, um das Gewünschte zu bringen. Nigrina indes wandte sich wieder an den Fremden. „Was führt dich hierher?“
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Nigrina musterte den Fremden ausgiebig von oben bis unten. Seine Aufmachung ließ darauf schließen, dass er kein dahergelaufener Plebejer – oder noch schlimmer, Peregrinus – war, sonst hätte sie sich nicht einmal die Mühe gemacht, stehen zu bleiben und zu fragen. Der Name, mit dem er sich allerdings vorstellte, ließ dann doch eine feine, flavische Augenbraue sich nach oben wölben. Aurelius. Sieh einer an. Sein voller Name sagte ihr nichts, aber das hatte auch nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Sie hatte zwar bereits bei ihrer Ankunft in Rom recht schnell Namen und Gesichter der Wichigen, Mächtigen verinnerlicht, und als die Verlobung mit Sextus dann in trockenen Tüchern war, hatte sie sich auch seiner in Rom befindlichen Familie gewidmet – aber so weit, dass sie den ganzen Stammbaum auswendig gelernt hatte, war ihre Bereitschaft dann doch nicht gegangen.
„Es sei dir verziehen, Aurelius...“ Das für sie so typische feine Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich bin Flavia Nigrina, Gattin des Sextus Aurelius Lupus und Hausherrin der Villa Aurelia. Du warst sehr lange nicht mehr in Rom.“ Kunststück für sie, das zu schlussfolgern. Wäre es noch nicht lang her, würde sie ihn wenigstens dem Namen nach kennen. „Lass uns unser Gespräch ins Tablinum verlagern, ja?“ Ein weiteres, diesmal aufforderndes Lächeln, dann ging sie ihm voran und betrat die Villa. Im Vorbeigehen sagte sie zu ihrem Custos Corporis: „Fünf Peitschenhiebe für den Ianitor. Das wird ihn lehren, wo sein Platz ist.“ Nämlich an der Tür. -
Wie der Zufall es so wollte, wurde in eben jenem Moment eine Sänfte herangetragen, aus der nur wenige Augenblicke später Nigrina entstieg. Sie hatte einen recht angenehmen Tag hinter sich. Ihrer Familie hatte sie mittlerweile mitgeteilt, dass sie schwanger war, Sextus hatte selbiges bei der seinen getan, und sie war nun dazu übergegangen, gezielt das ein oder andere Gerücht zu streuen. Sie hatte es nicht nötig, irgendjemandem offiziell etwas zu sagen. Es würde ohnehin nicht mehr lang dauern, bis man es tatsächlich sehen konnte – und aufmerksame Beobachter mochten jetzt schon erkennen können, dass sie schwanger war. Die Zeit der Übelkeit war vorbei, und sie fühlte sich auch nicht mehr ständig gar so müde wie in den letzten Wochen. Dafür war jene Phase angetroffen, in der die Schwangerschaft dafür sorgte, dass ihr Aussehen noch besser wurde als ohnehin schon. Glänzende Haare, rosige Haut, und sie fühlte sich gut dabei. Besser konnte es gerade nicht sein – und sie zählte darauf, dass dieser Zustand noch eine Zeitlang anhielt, möglichst lange, bevor ihr Körper in die ätzende Phase eintreten würde, in der er sich wölbte und immer mehr Probleme machen würde, die irgendwann in dem gipfeln würden, was man gemeinhin mit dem bösen G-Wort bezeichnete, an das Nigrina nicht denken wollte. Nicht derzeit, wo sie diese kurze beschwerdefreie Phase genießen durfte.
Sie kam also zurück, von einem ausgiebigen Ausflug über die Märkte – es wollte schließlich vorgesorgt werden für die nächsten Monate; nur weil sie schwanger war, hieß das nicht, dass sie deswegen in irgendwelchen Säcken herumlaufen musste –, Sklaven eilten pflichtschuldigst voraus, um ihr die Tür zu öffnen, doch bevor sie so weit kamen, erstarrten sie. Da stand jemand vor der Tür. Jemand, der zwar nicht nach einem Boten, Bittsteller oder ähnlichem aussah, aber trotzdem jemand. Und so gut es der Flavia augenblicklich auch gehen mochte, wofür sämtliche ihrer Sklaven nebst einigen weiteren der aurelischen allen Göttern des Pantheons unglaublich dankbar waren, änderte das doch nichts an ihrer Launenhaftigkeit. „Verzeih, Herr, könntest du bitte-“ Zu spät. Die Flavia war bereits der Sänfte entstiegen und kam auf die Porta zu, die mittlerweile zwar für sie geöffnet war – natürlich war einer ihrer Sklaven dennoch vorgegangen und hatte sich um alles gekümmert –, aber versperrt von einem Mann. Um den sich ein Gutteil ihrer Sklaven scharte. „Was soll der Aufruhr?“
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Und Nigrina ließ ihre kleine Schwester warten. Nicht übermäßig lange – aber sie ließ sie warten. Schon aus Prinzip, sollte ja keiner den Eindruck bekommen, sie säße einfach nur herum und hätte nichts besseres zu tun, als irgendwelche Besucher zu empfangen, die ganz spontan und ohne jeden Termin einfach so vorbei kamen. Auch wenn der Besucher ihre Schwester war, die selbstredend keinen Termin brauchte, um sie zu besuchen. Flavia war Flavia.
Nach einer angemessenen Zeit also tauchte Nigrina im Tablinum auf, in das Domitilla geleitet worden war, ganz die Hausherrin, ihr Äußeres tadellos wie stets, und kam mit einem strahlenden Lächeln auf die Kleine zu. Naja, nicht mehr ganz so Kleine. „Domitilla! Welch Freude, dich zu sehen!“ Sie umarmte ihre Schwester. Derartige Begrüßungen verfehlte bei ihren Geschwistern selten seine Wirkung, darin unterschied sich Domitilla nicht wirklich von Aulus, hatte sie den Eindruck. Und die Kleine stand auf sie. So sehr Nigrina sich darüber aufgeregt hatte, dass ihr Vater es der Kleinen erlaubt hatte in Rom zu bleiben, obwohl sie noch so jung war – sie hatte schnell festgestellt, wie angenehm es war, sie hier zu haben. Das war... das war wie mit Leontia. Nur dass sie, Nigrina, sich nun auf einmal in der Rolle der großen Schwester wieder fand. Derjenigen, die bewundert wurde. Sie hatte nicht lange gebraucht um zu realisieren, welche Vorteile das haben konnte, ganz zu schweigen davon, wie toll das war, wenn man jemanden hatte, der so zu einem aufsah.
Und die Krönung des Ganzen: sie lebten nicht in derselben Villa. Was hieß, dass Nigrina sich um gar nichts zu kümmern brauchte. Alles Relevante oblag hier in Rom zwar ohnehin Aulus, aber würden sie beide im selben Haus leben, würde Nigrina natürlich zur Verfügung stehen müssen, wenn irgendetwas war. Sie wäre eine Anlaufstelle für Domitilla bei allen kleineren und größeren Katastrophen des Alltags, die die Kleine ereilen mochten und bei denen sie Unterstützung brauchte. Mal ganz davon abgesehen, dass Nigrina dann sicherlich nicht würde vermeiden können, dass sie gelegentlich aneinander geritten, wenn sie die Nase voll hatte von der Kleinen. Durch die räumliche Trennung hatte sie weitestgehend ihre Ruhe, wenn etwas los war, und konnte die Situationen vermeiden, in denen ihr Geduldsfaden reißen könnte. Was es umso leichter machte, einen guten Eindruck auf die Kleine zu machen, damit sie sie weiter toll fand.
„Entschuldige bitte, dass du warten musstest, aber ich hatte noch zu tun“, lächelte sie, während sie hinsetzte und sich von einem Sklaven einen Becher verdünnten Saft reichen ließ. „Wie geht es dir?“ -
Zitat
Original von Quintus Flavius Flaccus & Aulus Flavius Piso
Ohne groß auf den Sklaven zu achten, nahm Nigrina den Becher entgegen und nippte kurz daran. Der Wein war wirklich vorzüglich, ihr Bruder verstand es, es sich gut gehen zu lassen, das musste sie ihm lassen. Seine Bemerkung allerdings über seine bevorstehende Hochzeit war eher dazu angetan, ihr ein wenig die Laune zu verderben, auch wenn sie sich davon nichts anmerken ließ. Aulus. Prisca! Himmel, die beiden schmachteten sich an, das war schon nicht mehr feierlich, und je klarer wurde, dass niemand mehr Einwände gegen die Hochzeit hatte, je näher diese rückte, desto schlimmer schien es in ihren Augen zu werden. Aber nun gut, die Aurelia war immerhin eine standesgemäße Braut. Nicht so wie diese Plebejerin, von der Aulus ihr mal erzählt hatte, für die er offenbar genauso geschwärmt hatte damals. Doch, Prisca war eindeutig standesgemäß, auch wenn beispielsweise eine Tiberia sowohl für Aulus als auch für die Flavier allgemein wohl besser gewesen wäre, wenn man es von der politischen Perspektive betrachtete.
Ihrem Bruder allerdings schenkte sie ein Lächeln. „Ja, das glaube ich dir. Prisca wird dir sicher eine hervorragende Gemahlin sein.“ Verliebt genug war sie ja, dass sie alles tun würde.„Die purpurnen Streifen stehen dir ganz ausgezeichnet.“ Wie lange es wohl noch dauern würde, bis Sextus Senator geworden war? Nicht mehr allzu lange, hoffte sie, auch wenn es im Grunde nicht allzu sehr eilte. Sie war noch jung, und dass ihr Mann sich auf dem besten Weg dahin befand, war eindeutig. Sie kannte ihn inzwischen gut genug um zu wissen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er ebenfalls seinen Platz in der Curia Iulia bekam.
Auch Flaccus bekam ein weiteres Lächeln von ihr. „Beim Consul. Eine gute Wahl. Du kannst sicher viel lernen.“ Auch wenn der Mann ein Plebejer war, aber da war dann letztlich doch die Position entscheidend. „Hast du vielleicht auch schon eine mögliche Braut für dich im Auge?“ -
Nigrina runzelte die Stirn. Vorhin war der Bote noch geschwätzig gewesen – und jetzt, wo sie mit ihm sprach, antwortete er auf einmal nicht mehr? Und dann auch noch bei so einer Sache?Die Flavia gab sich gar keine Mühe, ihre Fassungslosigkeit zu verbergen. Sie sah auch gar keinen Grund darin. Das war einfach eine Schande, dass eine Patrizierin einfach so in der Gegend umher geritten war, als sei sie ein einfacher Bauer, der von A nach B kommen musste und zu faul war, um zu Fuß laufen – und sich natürlich keine Sänfte samt Träger leisten konnte. Und da rechnete sie die Gefahren noch nicht einmal mit ein, die das Reiten so mit sich brachte! Gut, Narcissa hatte Vestalin werden wollen, da konnte es ihr natürlich herzlich egal sein, ob sie womöglich unfruchtbar wurde durch das ständige Geschaukel. Aber da war ja noch das Risiko eines Unfalls, und was die Aurelia davon hatte, sah man ja nun. Jetzt konnte sie Pluto erklären, warum um alles in der Welt sie sich auf ein Pferd gesetzt hatte.
Dem Kerl ihr gegenüber sah sie allerdings immer noch auffordernd entgegen. „Ich warte“, sagte sie eisig, während zugleich ihre Finger in einer stetigen Bewegung über Floras Schultern strichen, um ihr auf tröstende Art zu vermitteln, dass sie da war.
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Als Flora sich ihr regelrecht an den Hals warf, musste Nigrina sich zum ersten Mal bemühen, ihre Fassade aufrecht zu erhalten. Götter, bitte, die Aurelia verwandelte sich in einen regelrechten Wasserfall, der sich über ihren Hals, ihre Schulter und ihr Kleid – ihr neues Kleid, von dem ihr Mann besser gar nicht erst erfuhr, was es gekostet hatte, selbst wenn er es nicht hatte zahlen müssen! – ergoss, und Nigrina wollte gar nicht daran denken, was in nicht allzu ferner Zukunft aus der Nase ihrer angeheirateten Cousine kommen – und an ihr kleben bleiben! – würde, wenn diese weiter so heulte.
Dennoch, Nigrina riss sich nachgerade tadellos am Riemen. Sie sprang nicht auf, wie sie es am liebsten getan hätte, sie zuckte noch nicht einmal weg, sondern legte stattdessen tröstend einen Arm um die bebenden Schultern Floras. Sie war immerhin schwanger. Sie hatte in den vergangenen Wochen weit mehr und weit abstoßendere Körperflüssigkeiten von sich gegeben, als sie bis dahin für möglich gehalten hätte, und das durch ihren Mund. Und sie hatte eine Geburt vor sich, die noch viel ekelhafter werden würde. Da war das hier doch wohl ein Klacks dagegen.Sie saß also neben der Aurelia und ließ sie erst mal einfach weinen. Aulus war ja ähnlich gefühlsduselig, da hatte sie schon genug Erfahrung um zu wissen, dass es in solchen Fällen das Beste war, einfach abzuwarten. Der Kerl indes, der nach ihrer Zurechtweisung brav ein wenig zurückgegangen war und geschwiegen hatte, wie es sich gehörte für ihn, folgte nun ihrer nebenbei geäußerten Aufforderung und erzählte, was passiert war. Und Nigrinas Kopf fuhr hoch. „Sie ist WAS, bitte?“ entfuhr es ihr. „Geritten? Eine Patrizierin?“ Nigrina konnte sich gerade sich gerade noch so das selber Schuld verkneifen, das ihr auf den Lippen lag. Die empörte Fassungslosigkeit ob dieser Neuigkeit allerdings konnte sie nicht verschleiern. Geritten! Welche Römerin mit Anstand im Leib ritt denn bitteschön? Und dann auch noch offenbar häufig genug, dass sie gut reiten konnte, und dass es nichts besonderes war?!? Nigrinas Urteil über die Zwillinge war ja ohnehin eher zweifelnd gewesen, wie schlicht bei den meisten Menschen, die sie kennen lernte, aber das hier war eine Information, die ihre Meinung gehörig absacken ließ. Reiten. Reiten! Eine Römerin, eine Patrizierin! Ritt wie ein Bauer durch die Gegend! Das musste an dem syrischen Blut liegen, das über die paar Generationen einfach noch nicht hatte ausdünnen können.
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Der Sklave spurte, das war alles, was Nigrina wissen musste. Nachdem das sicher gestellt war, achtete sie nicht mehr weiter auf das übrige Gewusel im Atrium, sondern widmete sich der Aurelia, die wie ein Häuflein Elend da saß. Auf Nigrinas Berührung hin sah sie auf, fing an zu schluchzen – beantwortete allerdings nicht die Frage, was in der Flavia einen leichten Unwillen aufkeimen ließ. Da kam sie schon herbei, um da zu sein, gegebenenfalls sogar zu helfen, wenn es möglich war, und dann bekam sie noch nicht einmal eine Antwort?
Allerdings kam es noch schlimmer, denn der Fremde, der da immer noch mitten im Atrium stand und eine Wolke aus abgestandenem Schweiß verbreitete, die Nigrina in ihrem momentanen geruchsempfindlichen Zustand noch unerträglicher fand als es ohnehin schon der Fall gewesen wäre – dieser Fremde also ergriff einfach das Wort und sprach sie an. „Habe ich mit dir gesprochen?“ Ihre Stimme wurde nicht lauter, war im Gegensatz sogar der augenblicklichen Stimmung angepasst eher leise, aber um nichts weniger lauernd. Zwar wusste der Kerl, was sich gehörte im Bereich der Begrüßung. Aber er hatte ungefragt gesprochen. Wenn sie von ihm hätte wissen wollen, was passiert war, hätte sie ihn gefragt, aber sie hatte mit Flora gesprochen, nicht mit dem Kerl. Und sie wusste schon, warum sie es bevorzugte, mit Sklaven und Bediensteten so wenig wie möglich zu reden, sah man von simplen Anweisungen einmal ab – diese zeigten leider häufig die Tendenz, die Gelegenheit zu nutzen und einen dann mit unnötigen Details zu versorgen, wie in diesem Fall beispielsweise wie dem eigenen Namen. Was Nigrina nicht im Mindesten interessierte. „Du wartest, bis du gefragt wirst“, fuhr sie fort, noch bevor der Kerl die Chance hatte auf ihre – ohnehin rhetorische – Frage zu reagieren. Und dann wedelte sie mit der Hand vor ihrer Nase herum, während sie eben diese rümpfte. „Und um Iunos Willen geh ein paar Schritte zurück.“Trotz ihrer Reaktion auf seine vorlaut geäußerten Worte sah Nigrina natürlich durchaus, dass er auch etwas tatsächlich Informatives von sich gegeben hatte. Sie wandte sich wieder Flora zu und ließ sich nun neben ihr nieder. Narcissa. Der Zwilling. Die potentielle Vestalin. Auf ihrer Sponsalia hatten sie sich gesehen, danach auch noch das ein oder andere Mal, aber dann war das Mädchen abgereist, zu ihrer Mutter, um diese noch einmal zu besuchen, bevor sie den Vestalinnen beitreten sollte. Und die war jetzt tot? Was für eine Schande. Als Vestalin hätte sie einiges an Prestige bringen können.
„Oh, Flora...“ Wieder legte sie ihre Hand sacht auf die Schulter der Aurelia, ließ sie diesmal dort. Auch wenn sie selbst zu dem Typ Mensch gehörte, der mit Berührungen dieser Art nicht viel anfangen konnte, hieß das nicht, dass sie nicht um die Wirkung eben solcher Art von Nähe auf viele andere wusste. Gerade in solchen Situationen. Sie hatte es ja selbst vor nicht allzu langer Zeit erlebt, als Vera gestorben und Aulus am Boden zerstört war. Entsprechend ehrlich mitfühlend klang ihre Stimme. „Ich habe zwei Schwestern verloren, aber einen Zwilling... ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das für dich sein muss.“ Fakt war, sie konnte es sich nicht vorstellen. Sie hatte zu keiner ihrer Schwestern ein sonderlich enges Verhältnis gehabt – wobei Leontia noch diejenige gewesen war, die ihr am nächsten stand, das allerdings mehr, weil sie zu ihr aufgesehen, sie bewundert hatte, nicht weil sie sie tatsächlich so innig geliebt hätte. Nein, Nigrina konnte sich nicht vorstellen, wie Flora sich wohl fühlen mochte. Veras Tod hatte in ihr zwar Betroffenheit ausgelöst, ihr zugleich aber auch ein fast schon absurdes Gefühl von Lebendigkeit verliehen. Sie war nicht von Pluto geholt worden. Leontia. Vera. Zahllose andere, wie jetzt Narcissa. Menschen starben. Kein Wunder, sie waren so furchtbar zerbrechlich, wenn man es genau betrachtete. Sie aber lebte. Und sie hatte festgestellt, dass sie das selten so intensiv spürte wie in jenen Momenten, in denen sie die Nachricht vom Tod eines Menschen erhielt, den sie besser gekannt hatte. Aber das war nichts, was sie mit Flora hätte teilen können. Selbst wenn die Aurelia nicht ähnlich betroffen gewirkt hätte wie Aulus nach Veras Tod, hätte Nigrina wohlweislich ihre Klappe gehalten.
Während ihre Finger sachte Streichbewegungen auf Floras Schulter vollführten und sie beschloss, die Aurelia erst mal weinen zu lassen, sah Nigrina auf und nickte dem fremden Plappermaul kurz zu, zum Zeichen, dass sie diesmal ihn ansprach. „Was genau ist passiert?“ -
Nigrina kam gerade von einem ausgiebigen Einkaufsbummel durch die Stadt zurück – den sie zwar liebend gern mit einem Besuch in den Thermen abgeschlossen hätte, aber noch sollte niemand merken, dass sie schwanger war, daher war ihr das zu riskant, sich nackt zu zeigen –, als sie das Atrium der Villa Aurelia von der Porta kommend betrat. Sie musste nur einen Schritt hinein gehen, um zu sehen, dass etwas nicht stimmte. Die Atmosphäre schien merkwürdig drückend zu sein, die Anwesenden waren wie erstarrt – und da waren Scherben und Wein auf dem Boden! Ohne dass sich irgendwer darum kümmerte, den Dreck wegzumachen! Nigrina runzelte die Stirn und schickte dem Sklaven, der bei der Sauerei stand, einen kalten Blick zu. „Mach das weg“, forderte sie ihn auf, und der Sklave gehorchte. Auch die aurelischen wussten inzwischen, dass mit der Flavia nicht zu spaßen war. Spätestens seit einem der ihren die Zunge herausgeschnitten worden war.
Nigrina indes näherte sich langsam dem kleinen Auflauf, der in der Nähe des Impluviums zu finden war. Ein ihr unbekannter Mann stand da, reichlich unauffällig im Äußeren, vor allem aber recht schmutzig. Dazu ein paar Sklaven. Und dann war da Flora, die am Rand des Impluviums saß und seltsame Geräusche von sich gab, die verdächtig nach Schluchzen klang. Nigrina runzelte die Stirn und schätzte die Situation im Bruchteil eines Moments ab. Hatte sie Lust darauf, sich nun anzuhören was um alles in der Welt da passiert war? Nein, eigentlich nicht, lautete die ehrliche Antwort. Allerdings: sie war Matrona. Mehr noch, sie war die Hausherrin. Verantwortlich für die Familienmitglieder. Und wer wusste schon, was für Neuigkeiten das wirklich waren. Flora jedenfalls schien schwer getroffen zu sein, und das ließ darauf schließen, dass es um irgendetwas Gewichtiges ging, und nicht etwa darum, dass beispielsweise ihr Lieblingskleid kaputt gegangen war.
Nigrina ging also zu ihrer verschwägerten Cousine und berührte sie leicht an der Schulter. „Was ist passiert, Flora?“ -
Der Parther verschwand, kaum dass sie geendet hatte, und Nigrina lehnte sich erneut in ihrem Sessel zurück. Das Wissen, wer der Verräter war, und dass er seine Strafe erhalten würde – die noch dazu sicher stellte, dass er tatsächlich nie mehr plappern würde – befriedigten sie. Weit mehr als es das Zerschmettern von irgendwelchen Bechern gekonnt hätte. Gegenstände waren danach einfach kaputt. Irgendwer räumte die Scherben zusammen und warf sie weg. Sklaven allerdings, nun, Sklaven zogen ihre Lehren daraus. Nigrina musste noch nicht einmal dabei sein, musste es noch nicht einmal sehen – obwohl sie das hin und wieder durchaus gerne tat –, es reichte zu wissen, dass der Sklave bestraft wurde. Und dass er noch einige Zeit lang daran denken und bereuen würde, was er getan hatte, in diesem Fall: sein Leben lang. Und auch wenn Nigrina diesen Sklaven und die Bestrafung, die sie ihm zugedacht hatte, vermutlich allzu bald schon wieder vergessen haben würde: in diesem Augenblick war es ihr mehr als bewusst, und in diesem Augenblick verschaffte ihr das Zufriedenheit. Weit mehr, als ein zerschmetterter Becher es gekonnt hätte.
Und es kam noch besser, denn ihr Mann beantwortete ihre Frage – ausführlich. Und das wollte etwas heißen bei ihm. Für gewöhnlich musste sie zu irgendwelchen Tricks greifen oder ihm irgendeine Gegenleistung bieten, um ihm seine Gedanken irgendwie heraus zu locken, aber diesmal... Sie verkniff sich das Lächeln, das abermals auf ihre Lippen schleichen wollte, und wahrte eine gleichmütige Miene, was ihr nun, mit dem entspannenden Wissen der Bestrafung des Sklaven, deutlich leichter fiel. „Dann behalten wir das noch für uns“, entschied sie. Sie hatte keine Ahnung, ob ihre Gründe für ihn lächerlich anmuteten oder nicht – seine Reaktion zuvor hatte keinerlei Rückschlüsse zugelassen –, aber im Grunde war das gleichgültig. Ihr war es nun mal wichtig, dass ihr keiner dumm kommen konnte. Und wenn sie dabei quasi nebenbei noch diese ersten, ungemütlichen Monate mit sich allein abhandeln konnte, ohne ständig von irgendwem mitleidig gefragt zu werden, wie es ihr ging, wenn sie noch dazu die Zeit verkürzen konnte, in der ihr irgendwer mit irgendwelchen lästigen Glückwünschen ankam und von ihr verlangte, die strahlende werdende Mutter zu spielen, während sie in Wahrheit einfach nur genervt oder schlecht gelaunt war – umso besser.
Sextus' letzte Worte allerdings ließen sie zu ihm aufsehen. War das doch noch ein verkappter Vorwurf, den sie da hörte?
„Es weiß noch niemand. Auch niemand meiner Verwandten.“ Nicht einmal ihr Vater wusste davon. Nigrina hatte ruhig geklungen, beinahe erklärend – dann gab sie sich einen Ruck und sprach weiter, und ihre nächsten Worte wurden sogar fast entschuldigend. Was ein immenses Zugeständnis für ihre Verhältnisse war. „Ich wollte ganz sicher nicht riskieren, dass du von jemand anderem darauf angesprochen wirst, und dann dumm da stehst, weil du von nichts wusstest.“ Nein, das hatte sie ganz sicher nicht gewollt. Ihr Mann sollte in der Öffentlichkeit, bei Freunden und Förderern, natürlich nicht unwissend oder gar dumm wirken, ganz im Gegenteil. Ihr Einfluss, ihre Macht, waren zu eng an seine Karriere gekoppelt, als dass sie das in Kauf genommen hätte. Sie war es nur so gewöhnt, dass den Sklaven, die sie umgaben, zu trauen war, dass sie nicht daran gedacht hatte, einer könnte womöglich schwatzen. Aber die aurelischen waren nun mal nicht die flavischen. Schon gar nicht solche, die frisch vom Markt kamen.„Ich würde noch ein paar Wochen warten“, kam sie dann auf das vorige Thema zurück. „Viel länger wird es wohl nicht mehr dauern, bis zumindest wir etwas werden sehen können, fürchte ich. Und wenn es so weit ist...“ Sie zuckte die Achseln. „Dann werde ich es zumindest meiner Familie mitteilen. Wann und wem du sagst, dass du Nachwuchs erwartest, ist selbstverständlich dir überlassen, aber ich würde vorschlagen, dass du es dann ebenfalls den Personen mitteilst, bei denen dir wichtig erscheint, dass sie es nicht durch irgendwelchen Tratsch erfahren. Deine Familie, dein Patron, wer auch immer. Der Rest wird es danach in der Gerüchteküche erfahren. Ich muss nur bei den Richtigen etwas fallen lassen, dann macht das von selbst die Runde.“
Solange die Nachrichten, über sie verbreitet wurden, von ihr selbst lanciert waren, hatte sie nicht das Geringste dagegen. Das allerdings war wichtig: dass sie so gut als möglich kontrollierte, was über sie erzählt wurde. Natürlich ging das nicht in vollem Umfang, aber wenn man nun das Beispiel Schwangerschaft nahm: sie wollte und sie würde es sein, die dieses Gerücht in Umlauf brachte. Und zwar zu exakt dem Zeitpunkt, den sie für richtig hielt. Und das würde dann sein, wenn es eben nicht mehr lange dauern würde, bis man ihr auch mit Kleidung etwas würde ansehen können. Sicherlich hätte sie die Neuigkeit auch schon längst verbreiten können, dann hätte sie nicht das Risiko, dass irgendwer anders plauderte. Und eine Schwangerschaft – in einer Ehe – war eigentlich eine überaus positive Nachricht, vor allem die erste. Das Problem war eben nur, dass eine Schwangerschaft ein zweischneidiges Schwert war, weil eine misslungene sich extrem negativ auswirken konnte. Und zwar für die Frau, weil sie es war, die die Schuld trug, ganz gleich ob sie etwas dafür konnte oder nicht. -
Das war einer der großen Vorteile an ihrem Mann: Nigrina musste nicht befürchten, dass er ihr mit Mitleid kam. Vorhaltungen, das ja, aber nicht Mitleid. Und sie war damit auch zufrieden. Gut, ein wenig Verständnis, wenn sie sich beispielsweise so furchtbar darüber aufregte, dass ihr Vater ihrer Schwester geschlagene vier Jahre früher als ihr erlaubt hatte, in Rom zu bleiben, das wäre vielleicht ganz nett, aber Mitleid in einer Sache, die wirklich ernst war oder werden könnte, konnte sie nicht ertragen. Nicht umsonst war sie nach Veras Tod diejenige gewesen, die Aulus gestützt hatte, und nicht umgekehrt. Sie war die Starke, die, die von solchen Geschehnissen nur peripher berührt, aber nicht wirklich beeinflusst oder gar beeinträchtigt wurde. Es war nicht nur so, dass sie sich in dieser Rolle schlicht gefiel – das stimmte schon auch, aber das war zu oberflächlich. Egal was geschah, Nigrina wollte nicht schwach wirken. Um keinen Preis. Wenn es nur um etwas ging, wovon die Leute dachten es müsse sie treffen, sie davon aber eher unberührt blieb – oder es, wie Veras Tod, zwar gemischte Gefühle in ihr hervorrief, sie sich aber nicht schwach fühlte –, nervte es sie meistens nur. Vor allem dann, wenn andere Leute es mitbekamen und daraus womöglich die falschen Schlüsse zogen. Wenn es sich aber um etwas drehte, was sie tatsächlich schwach sein ließ, und sei es nur für Augenblicke – und einen ungewollten Abgang zählte sie hier dazu, allein schon wegen der körperlichen Beeinträchtigung, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie dann Sextus' Erben verloren und die Chance, ihre Stellung als seine Frau noch deutlich mehr zu festigen, vertan haben würde –, dann war so etwas wie Mitleid für Nigrina unerträglich. Doch, es war beruhigend, dass sie das von ihrem Mann zumindest nicht befürchten musste.
„Eine Menge“, tat sie kund, als Sextus verkündete, er wisse nicht wie viele Kinder abgingen. Nigrina wusste auch keine genaue Zahl, aber sie wusste immerhin, dass das nicht allzu selten passierte.
Sie musterte ihren Mann, während der weitersprach. Die Aufregung, die Wut von zuvor war weitestgehend verpufft – das geschah ihr häufig. So schnell sie hoch feuerte, so schnell beruhigte sich ihr Temperament auch wieder. Die Ruhe, die Sextus die ganze Zeit ausstrahlte, half dabei noch zusätzlich. Dass ihr Plan nicht ganz so aufgegangen war, wie sie wollte, war immer noch ärgerlich, aber das hatte sie nun unter Kontrolle – passiert war passiert, ändern konnte sie daran auch nichts mehr, und Sextus gab ihr herzlich wenig Grund zum Aufregen gerade. Und so waren es im Moment einzig die Scherben auf dem Boden, die davon zeugten, dass in diesem Raum gerade eben noch ein Wutanfall stattgefunden hatte.
Was nicht hieß, dass sie die Frage vergessen hätte, die sie Sextus gestellt hatte. Oder dass sie nach wie vor wissen wollte, woher er das erfahren hatte – denn dass er von selbst darauf gekommen war, hielt sie für eher unwahrscheinlich. Wie erwähnt: er war ein Mann. Und nicht sonderlich aufmerksam, was Frauendinge betraf. Zum Glück, das hatte einige Vorteile. Sie runzelte die Stirn und neigte sich ein wenig nach vorn, als ihr Mann zunächst nur darauf anspielte, wie er es erfahren hatte. Sie wiederholte ihre Frage nicht, sondern sah ihn nur auffordernd an, und in der Tat rückte er nun mit der Sprache heraus.
Ein Sklave also. Ein Sklave. Natürlich, das war klar gewesen – von wem sonst hätte er es haben sollen? Aber einer von denen, die sie mitgebracht hatte, konnte es keiner gewesen sein. Es wäre falsch gewesen zu behaupten, dass sie für ihre Sklaven die Hand ins Feuer legen würde, denn das würde sie ganz sicher nicht tun, für niemanden, schon gar nicht für irgendwelchen Besitz, aber: die flavischen Sklaven waren loyal. Ausnahmslos. Nigrina ließ nur die in ihre engste Umgebung, von denen sie überzeugt war, dass sie ihr absolut treu ergeben waren. Und das wegen simpler Erziehung. Die Sklaven, die ihr Vater ihr mitgegeben hatte, waren allesamt aus der handverlesenen flavischen Zucht, sah man einmal von dem Parther ab, den ihr ihr Bruder geschenkt hatte. Sklaven wie diese waren unbezahlbar.
Sextus' nächste Worten machten allerdings klar, dass es keiner von ihren Sklaven gewesen war. Noch nicht einmal einer der aurelischen, jedenfalls keiner von denen, die schon länger hier waren, sondern ein neuer. Rothaarig. Nigrinas Stirnrunzeln vertiefte sich, als sie sich flüchtig die verschiedenen Objekte ins Gedächtnis rief, die hier herumliefen – rote Haare waren durchaus dabei gewesen, aber sie konnte kein Gesicht damit verknüpfen. Vermutlich war es einer von den Sklaven, die niedere Arbeit hier verrichteten. Das Zimmer putzen oder ähnliches, das machten immerhin nicht ihre hochwertigen Sklaven, das überließ sie schön den aurelischen – und da konnte es schon sein, dass unbefugte Ohren etwas mitbekommen hatten, was sie nicht sollten. Oder irgendwo in der Villa, immerhin hielt Nigrina sich nun nicht den ganzen Vormittag nur in ihren Gemächern auf, damit ja keiner etwas hätte mitbekommen können, wenn ihr schlecht war.Letztlich war das auch gleichgültig. Der Sklave hatte ihren Plan durchkreuzt, hatte sie an ihren Mann verraten – hatte ihm etwas gesagt, was IHR Vorrecht gewesen wäre zu erzählen. Nicht dass sie irgendwelchen emotionalen Gründen irgendeinen Wert darauf gelegt hätte, aber hier ging es ums Prinzip. Der Sklave hatte ihr etwas weggenommen, gestohlen, wenn man es ganz genau betrachtete. Und das gehörte bestraft. Die Wut in ihr nahm wieder zu, aber wie bereits zuvor war es in diesem Fall eine andere Art von Wut. Eine kalte, und eine deutlich – in ihren Augen jedenfalls – rechtschaffenere. Eine weniger kindische, wenn man so wollte. Und definitiv eine gefährlichere. Ihre Augen glitzerten kalt, dennoch lächelte sie Sextus fein an. Und aufrichtig, denn es war ihr ernst mit den folgenden Worten. Er immerhin hatte ihr gegeben, was sie von ihm wollte. Sie wusste nun – mehr oder weniger – wer es gewesen war, alles andere stand nun fest. „Das ist wirklich liebenswürdig von dir, dass du das mir überlässt.“
Einen Augenblick sah sie ihn noch an. Dann veränderte sich ihr Lächeln, glich sich mehr und mehr dem Ausdruck ihrer Augen an. „Parther.“ Sie sah nicht zu ihrem potentiellen zukünftigen Custos Corporis hin, der sich mit einigen anderen flavischen Sklaven noch im Raum aufhielt, als sie ihn mit eisiger Stimme rief. Ihr Blick ruhte weiterhin auf Sextus, während sie sich zugleich wieder ein wenig zurücklehnte. Der Parther schien die richtige Wahl für diese Aufgabe. Sie hatte ohnehin nach einer Möglichkeit gesucht, seine Loyalität auf die Probe zu stellen, ihn sich bewähren zu lassen. Das immerhin konnte sie jetzt schon über ihn sagen, dass er Potential hatte – jedenfalls hatte er sich bisher vor allem damit hervor getan, dass er nachgerade vorbildlich mit dem Hintergrund verschmolz, wann immer sie befahl, dass er in ihrer Nähe sein sollte. Er redete nicht, wenn er nicht gefragt war, und er fiel nicht auf, wenn er nicht auffallen sollte. „Du machst diesen Sklaven ausfindig und schneidest ihm die geschwätzige Zunge heraus.“Nigrina wartete noch nicht einmal, bis der Parther verschwunden war – sie wandte ihrem Mann wieder ihre volle Aufmerksamkeit zu und musterte ihn ein wenig abschätzend. „Wenn es nach mir geht, würde ich es gern noch ein wenig geheim halten. Warum habe ich schon gesagt.“ Aber da er es nun wusste, ging es nicht mehr nach ihr. Nicht mehr nur, jedenfalls. Zwar hatte Sextus ihr zugesichert, nichts zu sagen, wenn sie das wollte, aber nun wo er es wusste, wollte sie doch ganz gern seine Meinung hören. „Aber was meinst du? Ist es besser noch nicht zu verkünden, dass wir Nachwuchs bekommen? Oder wäre es im Gegenteil besser für dich und deine Karriere, wenn die Leute jetzt schon Bescheid wissen?“