Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Ein bisschen wunderte es Sextus schon, dass der Quaestor Iulius sich in die Senatsdiskussion einmischte. Da er aber im wesentlichen seinen Standpunkt teilte, machte es ihm an dieser Stelle auch nicht das geringste aus. Im Gegenteil, formulierte der Iulius doch die aurelische Aussage noch einmal mit anderen Worten und neuen Argumenten, auf die man eingehen konnte.


    “Zunächst einmal, um weitere missverständnisse zu vermeiden, meinte ich meinen Vorschlag selbstverständlich als Option und nicht als Zwangsmaßnahme. Es sollen natürlich keineswegs liebgewordene Erbstücke zwangsweise verkauft werden, nur sollte es eine Möglichkeit geben, mit denjenigen Erbteilen unbürokratisch umzugehen, deren Transport oder Inanspruchnahme für die jeweiligen Erben ungünstig sind, oder wie Senator Germanicus es so schön ausdrückte, 'im Lager Platz wegnehmen, ohne dass man etwas davon hat'.


    Prinzipiell kann ich mich den Gedanken des jungen Quaestorius anschließen, wenngleich seine Gedanken ein paar Dinge außer acht gelassen haben, weshalb ich die jeweiligen Wohnorte – oder ehemaligen Wohnorte – der Verstorbenen in meinen Vorschlag habe einfließen lassen.
    Üblicherweise verwalten sich unsere Provinzen selbst, diverse Schürfrechte, Abbaurechte und Zölle werden vor Ort erteilt beziehungsweise erhoben, während nach Rom nur ein Teil der daraus resultierenden Einnahmen abgeführt werden. Das Pasceolis Imperialis wird hier in Rom von der kaiserlichen Kanzlei verwaltet. Daher ist es ziemlich unhandlich und mit einigem Aufwand verbunden, wenn nun ein Erbe aus Antiochia seine erworbenen Lizenzen zum Transport von Seide nach Athen erst in Rom einreichen müsste, um sie wiederverwerten zu können, anstatt in Antiochia selbst sie wieder zurückzugeben zu können. Ebensowenig nützt es dem Pasceolis Imperialis, über eine Menge an Eisen aus Moesia unterrichtet zu werden, die eben dort liegt und nicht in Rom. Allein der Transport zu den römischen Märkten oder die Entsendung eines Gutachters über die Qualität der Ware würde den Preis in eine unwirtschaftliche Höhe treiben.
    Daher bin ich der Überzeugung, dass dies einfacher geht, wenn es lokal geregelt werden kann, und so sowohl dem Staate wie auch den Erben Vorteile daraus entstehen.


    Selbstverständlich aber hat Consular Purgitius recht, dass ein entsprechender Wohnort auch über die passenden Mittel aus den Städtekassen oder Provinzkassen verfügen muss, um einen solchen Handel abzuschließen. Dies hatte ich bei meinen Überlegungen überhastet außen vor gelassen, daher danke ich dem Consular sehr für diesen Einwurf.


    Sofern ich dies verstanden habe, sieht der Consular Purgitius die Quintessenz meines Vorschlages, eben den Verkauf von nicht benötigten Erbmassen an die – nächstgelegene – Staatskasse, als bereits existent und verfügbar an. In jenem Falle muss ich zugeben, dass diese Möglichkeit bislang so unkommuniziert geblieben ist, dass sie zumindest an meiner Person vorübergegangen ist. Allerdings, und da hat Consular Purgitius recht, verbietet auch kein Gesetz bislang den Verkauf von Erbmasse an den Staat, die Heimatstadt oder die Provinz als privates Angebot. Lediglich der öffentliche Handel auf den Märkten ist verboten – und sollte es wohl auch wegen der Unüberprüfbarkeit der Richtigkeit der Auszeichnung einer Ware als geerbt wohl auch bleiben.
    Insofern stellt sich daher mir die Frage, ob es wirklich einer Gesetzesänderung bedarf? Würde es nicht auch reichen, diese wenig bekannte Möglichkeit etwas öffentlicher zu kommunizieren und gegebenenfalls einen Etat für ärmere Provinzen zu beschließen, um dies durchzusetzen?

    So langsam kamen Sextus Zweifel daran, ob sein Gegenüber verstand, was der Inhalt römischer Kulte war und inwieweit diese mit anderen Dingen verflochten waren, reduzierte er jetzt doch wieder den gesamten Staatskult auf einzelne Priesterschaften.
    “Ich bin Haruspex Primus und kann dir daher nur sagen, dass die Reihen der Haruspices wie zu allen Zeiten natürlich Nachwuchs brauchen. Allerdings wird dieser wohl weniger aus den hier sitzenden Reihen stammen, sondern aus den gebildeten Zöglingen etruskischer Abstammung, die an einer entsprechenden Universität die disciplina etrusca studiert haben. Für einen Überblick über die römischen Kulte hilft dir sicher eine Anfrage bei den Quindecemviri Sacris Faciundis für die fremdländischen Kulte weiter, oder aber bei Pontifex pro magistro Senator Flavius Gracchus für Belange des Staatskultes.“
    Dass Senator Germanicus noch nie ein religiöses Amt ausgeübt hatte, verwunderte ihn allerdings kaum. Zwar waren selbst homini novi wie Tullius Cicero wenigstens der Form halber einmal Augur gewesen oder etwas vergleichbares, aber diese noble Tradition schien unter den Plebejern mittlerweile weitestgehend ausgestorben zu sein.
    “Und verzeih mir, wenn ich für die Probleme, die mit einer Standeserhebung einhergehen, was Wirtschaftlichkeit angeht, als geborener Patrizier recht wenig anzufangen weiß.
    Ich hoffe zumindest, dass du nicht allen ernstes das Fegen des Fußbodens eines Tempels gleichsetzen möchtest mit der Erhebung in den ordo senatorius. Niemand, der sich in besonderem Maße in den Dienst des Staates durch Betreuung des Staatskultes stellt, erhält deshalb einen anderen ordo als den, den er schon zuvor besessen hatte.
    Abgesehen vielleicht, wie bereits erwähnt, von den Vestalinnen, da ich mir an dieser Stelle über die rechtlichen Auswirkungen einer Captio nicht gänzlich im Klaren bin. Da ich nicht gedenke, Kaiser zu werden, war diese Fragestellung über die rechtlichen Konsequenzen hierbei für mich bislang nur akademisch, so dass ich mich hier in der Vergangenheit nicht näher damit beschäftigt habe.“


    Sextus konnte nur hoffen, dass seine Mitsenatoren ein wenig mehr Ahnung von römischer Religion hatten oder zumindest den Amtsträgern diverser Priesterämtern insoweit vertrauten, dass sie nicht so einer irrsinnigen Argumentation folgten.
    “Und bereits jetzt wird das Gesetz wider das Führen von Betrieben ja nicht vollständig befolgt. Wer würde es der Priesterschaft der Sybille in Cumae verwehren, den unserer Weissagerin heiligen Weihrauch zu verkaufen? Wer würde es den Tempeln verwehren, Opferkuchen zu backen, oder Votivgaben auch selbst herzustellen? Und wer würde es den Händlern, die sich im Mercurius-Kult vereinigt haben, verwehren, weiterhin ihre Geschäfte zu führen?
    Warum also sollte der Senat nun Einschränkungen beschließen? Damit ein einfacher Peregrinus, der in einem Tempel als Aedituus einmal täglich den Boden wischt, nicht mehr Betriebe nebenzu führen darf wie ein Senator? Vielleicht fehlt mir als Patrizier hier der Blick auf das Wirtschaftliche, doch bin ich durchaus gewillt, die römische Tradition meines Standes und der der Senatorenschaft zu wahren, ohne dabei neidvoll auf diejenigen blicken zu müssen, die von weniger priviligierten Eltern abstammen. Und dennoch bereit sind, ihren Teil zum Gelingen des römischen Staates beizutragen!“

    Ja, Sextus warf Senator Germanicus Avarus an dieser Stelle durch die Blume bloßen Neid vor, denn anders machte dessen Argumentation wohl wirklich sehr wenig Sinn. Vermutlich war der Germanicer einer der zehn reichsten Römer in der Stadt, und trotzdem konnte er einfachen, niederen Staatsbediensteten – denn nichts anderes waren die untersten Ränge des Cultus Deorum – noch nicht einmal das Führen eines Handelsgeschäftes gönnen, nur weil er es nicht durfte.
    “Um es ganz klar zu sagen, ich bin für eine ersatzlose Streichung des Passus über die Mitglieder des Cultus Deorum in besagtem Paragraphen, und einer gleichzeitigen ausformulierten Fragestellung an den Kaiser bezüglich seiner Sicht zur Gründung von Betrieben durch die Vestalinnen, die seine Töchter sind. Ich denke, er kann über diese Priesterschaft als ihr Vater befinden, ohne dass es hierzu ein Gesetz des Senates bedarf. Jeder andere Kult hat auch seine eigenen Kultvorschriften, die derlei regeln, ohne dass wir diese in Gesetzesform in Blei gießen müssen.“ Es stand auch schließlich nirgends im Gesetz, dass Priester der Magna Mater sich selbst entmannen mussten und in Frauenkleidern herumzulaufen hatten. Dennoch taten diese Verrückten das, weil ihr Kult das so vorgab. Da konnte wohl der Vestakult auch ohne senatorisches Dekret beschließen, ob Vestalinnen neben ihrer Tätigkeit noch genügend Zeit hatten für eine Bäckerei oder etwas vergleichbares, oder eben nicht.

    Jetzt musste Sextus doch einmal die Stirn krausziehen. Seit wann wurde denn eine politische oder private Handlung von einer religiösen getrennt behandelt? Im Gegensatz zu so manchem fremdländischen Kult kannte die römische Religion ja eben KEINE Trennung zwischen dem weltlichen und dem göttlichen Bereich. Jede Ernte wurde mit einem religiösen Ritual eingeleitet, jede Aussaat. Jede Betriebsgründung wurde an einem Tag gemacht, für den gute Omen bestanden, und an vielen Feiertagen wurde der ein oder andere Betrieb eben wegen Zugehörigkeit zur Obhut eines Gottes geschlossen. Verflixt noch eins, jeder Senator hatte beim Eintreten in die Curia den Göttern Weihrauch zu opfern und sämtliche Sitzungen wurden abgebrochen, wenn es draußen auch nur im geringsten zu gewittern anfing!
    “Und wann genau hattest du, Senator Germanicus Avarus, gleich noch einmal ein religiöses Amt inne?“ stellte Sextus bewusst provokant eine Frage, die sich da geradezu aufdrängte. Nach Einstellung von Germanicus Avarus, wenn man den Gedanken zuließ, dürfte wohl kein Patrizier überhaupt auch nur einen Betrieb führen, da sie ja alle sich in besonderem Maße dem Dienst an den Göttern verschrieben hatten.
    “Seit wann sind denn unsere Welt und die der Götter getrennt? Und welche weltlichen Laster meinst du? Ist es nicht jetzt schon so, dass am Tempel der Venus Lupanare stehen, die unter ihrem Schutze stehen? Empfindest du dieses von der Göttin geschützte Gewerbe nun als lasterhaft an sich? Das Heiligtum der Diana Nemorensis wird von entlaufenen Sklaven geleitet, deren Anführer seinen Vorgänger im Zweikampf getötet hat! Im Namen der Göttin getötet, obwohl unsere Religion Menschenopfer strengstens verbietet, im Gegensatz zu den barbarischen Bräuchen der Germanen. Es ist bei Todesstrafe verboten, Grenzsteine zu versetzen, weil diese dem Schutz des Silvanus unterstehen und ein Versetzen das göttliche Gefüge ins Wanken bringt. Jeder fünfte Legionär in unseren Armeen hat ebenso ein Amt im Mithraskult inne! Die Sterbekassen der Soldaten werden üblicherweise als Zusammenschluss im Silvanus-Kult geführt.
    Ja, die Götter teilen uns ihre Meinung mit durch Vogelflug, Blitzschlag und die Innereien ihrer Opfertiere, die allesamt dieser Welt entstammen. Jeder Römer ist sein eigener Priester beim Opfer, und natürlich muss er dafür die Reinheitsriten beachten. Aber nach deiner Definition dürfte nun niemand mehr auch nur einen Betrieb besitzen, da jeder Römer die Pflicht hat, den Göttern regelmäßig zu opfern.


    Du kannst gerne dagegen stimmen, dass auch Aeditui – deren Aufgabe darin besteht, die weltliche Tempelanlage zu säubern, die Votivgaben zu verräumen und die Opferküche zu organisieren – neben dieser Arbeit noch einer anderen nachgehen. Dies sei dir unbenommen. Aber dann bitte nicht mit einer nachweislich unwahren Behauptung, dies würde gegen die Pax Deorum verstoßen. Und ich denke auch, Pontifices außerhalb von Rom, Priester kleinerer Kulte und andere in Collegia organisierte Diener der ein oder anderen Gottheit bringen da keine Gefahr einer Unmutsäußerung der Götter. Wenn es dich beruhigt, kann ich hierzu auch gerne ausführliche Haruspizien erstellen.“ Immerhin war er Haruspex Primus. Wenn einer etwas darüber wusste, wie die Götter in die Welt hinein wirkten, dann wohl er oder einer seiner untergebenen Haruspices.
    “Die einzige Priesterschaft, die ich in der Tat kritisch sehe, sind die Vestalinnen, da diese weitreichende Aufgaben haben und eben keine zeitlich begrenzte Aufgabe, sondern eine Dienstzeit von dreißig Jahren, und dies Tag und Nacht. Allerdings würde ich hierzu die Entscheidung ihrem rechtlichen Vater, dem Kaiser überlassen. Sollte ich eine Tochter haben, auch eine adoptierte, würde ich mir dieses Entscheidungsrecht über ihre Wirtschaftstätigkeiten auch ausbitten. Dies ist allerdings nur meine bescheidene Meinung.“

    “Das ist ja der Punkt, üblicherweise wird nirgends genau angegeben, welche Person was erbt. Immerhin ist dies auch Privatsache und geht die Öffentlichkeit auch nichts an.“ Wäre ja auch noch schöner, wenn jeder Gaius Bonus genau über sämtliche Vermögenswerte aller römischer Familien Bescheid wüsste, wenn er nur mal in ein Archiv schaut. “Üblicherweise hat nur der mit dem jeweiligen speziellen Erbschaftsfall betraute Decemvir einen Einblick, und auch dies üblicherweise nur in einer Art und Weise, dass Waren und Vermögen vorhanden sind und verteilt werden müssen, allerdings selten auch in der genauen Höhe. Selbst der ihm übergeordnete Prätor stellt nur die Rechtmäßigkeit einer Erbschaft fest, entscheidet aber nicht über den Warenwert – und hat folglich darin auch üblicherweise keinen Einblick. Woher auch?“
    Sextus erinnerte sich noch sehr gut an seine Zeit als Vigintivir, und er hatte in dieser Zeit mitnichten Zugriff auf irgendwelche Vermögenswerte gehabt. Er hatte lediglich den Erben ermittelt und bei mehreren Erben die Erbschaftsanteile festgestellt und gemeldet, was aber seltenst genaue Warenmengen eingeschlossen hatte.


    Um jetzt aber nicht gar so niederschmetternd auf den Vorschlag zu reagieren, versuchte sich Sextus an einer möglichen Lösung. Auch wenn der Vorschlag des Senators Germanicus sich im ersten Schritt sehr einfach anhörte, bedingte er ja sonst eine völlige Neugestaltung der Erbschaftsvergabe. Und Sextus wollte sich eigentlich nicht in die Privatangelegenheiten der Leute einmischen.
    “Wäre es da nicht vielleicht einfacher, anstatt die Waren auf den öffentlichen Märkten feilzubieten und Vermögenswerte als ererbt erst beweisen zu müssen, sie an die jeweilige Wohnsitzgemeinde des Verstorbenen im Todesfall verkaufen zu können? Eventuell, damit es sich auch für die Städte lohnt, mit einem kleinen Obulus versehen... sagen wir 10 %? So würde ein Erbe überhaupt nur den Barwert erhalten und nicht die Waren und hernach selbst entscheiden können, mit welchen Dingen er seine Lager vollstellt? Im Zweifelsfall ist der so ermittelte Wert auch weit einfacher an mehrere Erben zu verteilen, da Sesterzen sich einfacher verteilen lassen als beispielsweise Rinder.
    Und die Wohnsitzgemeinde ist auch nicht eventuellen Handelsbeschränkungen unterworfen. Denn auch, wenn einer von uns Seide oder Statuen erben würde, dürfte er sie wegen seines Ordo Senatorius ja dennoch nicht verkaufen, da diese Waren nicht landwirtschaftlichen Ursprunges sind. Und diese Tradition ist wohl weit älter und ehrwürdiger, dass wohl keiner von uns ernsthaft daran denkt, mit diesem Grundpfeiler der römischen Sitten zu brechen.


    Von diesem Verkauf an die Gemeinde ausgeschlossen wären selbstverständlich eindeutig vererbbare Familienbesitztümer wie Grundstücksurkunden und Sklaven und dergleichen. Mein Vorschlag beschränkt sich nur auf solche Waren, die von Betrieben hergestellt und dort verkauft werden könnten.“

    Das war eine recht knappe Erklärung. Vor allem eine ohne genauen Vorschlag eines Wortlautes. Sextus wartete einen Moment, ob noch ein bisschen mehr kommen würde, aber Senator Germanicus hielt sich wohl knapp. Also fragte er nach dem, was seiner Meinung nach offen blieb.
    “Wie möchtest du sicherstellen, dass so tatsächlich nur geerbte Waren auf dem Markt landen und nicht sonstwie beschaffte, falsch gekaufte oder geschenkte?
    Ich meine, nehmen wir an ich und mein Vetter planten ein Fest, und jeder beschaffte tausend Laib Brot. Nun stürbe er und ich erbe das Brot, das wie du ja schon gesagt hast, nicht unbegrenzt haltbar ist. Aufgrund der Trauergebräuchlichkeiten müssten ich nun das Fest absagen.
    Woher nun aber weiß der Ädil bei seinem Gang über den Markt, welche Brotlaibe nun von meinem Vetter aus dessen Erbe stammen und welche von mir? Und woher soll er wissen, wieviel von was ich geerbt habe, um zu überprüfen, dass ich nur das verkaufe, was ich geerbt, aber nicht das, was ich fälschlich gekauft habe? Üblicherweise hat der Ädil keine effektive Möglichkeit, das zu überprüfen, da er keine Aufstellung über genaue Erbschaftswerte erhält.


    Und beschränkt sich dein Vorschlag nun nur auf verderbliche Ware? Das war mir bei deiner Ausführung nun nicht ganz klar. Ich sehe die unverderblichen Waren ehrlich gesagt nämlich weit kritischer. Brot, Gemüse und Fleisch kann ich noch opfern oder an Bedürftige verteilen lassen, um so mein Ansehen zu steigern oder den Göttern zu gefallen. Mit hundert Block Marmor oder einer Wagenladung rohem Ton hingegen mache ich niemanden satt und benötige erst jemanden, der das zu einer Statue schleift oder mir Krüge daraus herstellt.“

    Sextus hatte sich eigentlich nie größere Gedanken darum gemacht, dass Angehörige des Cultus Deorum ohne den entsprechenden Stand keine Betriebe führen durften. Es tangierte ihn schlicht nicht, da er als Patrizier ja schon von Geburt an einen entsprechenden Status gehabt hatte und auch stets auf seine Rolle im Götterkult vorbereitet war. Da war der Frage, ob oder ob nicht jemand einen Betrieb führen sollte, gänzlich neu. Also musste er erst darüber auch nachdenken, was er denn davon hielt, während die ersten Argumente Für und Wider schon vorgetragen wurden.
    “Ich bin kein Rechtsgelehrter und möchte mich auch nicht als solchen darstellen, aber: Als Töchter des Kaisers, wenngleich nur in rechtlichem Sinne, müssten die Vestalinnen nicht ohnehin außerhalb dieses Paragraphen stehen? Sofern mich mein Gedächtnis nun nicht völlig verlässt, hat der Kaiser doch immer den Rang eines Consulars, wenn auch stellenweise nur ehrenhalber, und ist immer auch Senator Roms. Folglich müssten seine Töchter doch ohnehin den Ordo Senatorius innehaben, welcher dem Passus mindestens im Stand eines Ritters ja ebenfalls entspricht?“


    Das war nur eine Kleinigkeit, die Sextus gerade auffiel, als Consular Purgitius erwähnte, dass Vestalinnen ja die Töchter des Kaisers waren. Als Angehörige des Ordo Senatorius wären sie somit denselben Beschränkungen unterworfen wie auch jeder Senator hier und könnten folglich das von Senator Germanicus benannte Freudenhaus gar nicht führen. Abgesehen davon, dass Sextus ohnehin nicht erkennen konnte, wann in ihrem ausgefüllten Tagesablauf eine Vestalin denn bitte noch einen Betrieb führen sollte, und wo sie diesen führen sollte. Immerhin führte sie den Großteil ihres Lebens im Tempel der Vesta und hatte de facto anders als ein Aedituus oder ein Pontifex oder sonstiger Angehöriger des Cultus Deorum keine 'Freizeit', die sie in die Wirtschaft stecken konnte. Dennoch ging es gerade ein wenig ums Prinzip, und Sextus wusste einfach nicht, ob seine Argumentation an der Stelle der Wahrheit entsprach oder ob er sich da in irgendeinem Punkt irrte. Immerhin war die Captio einer Vestalin definitiv ein rechtlicher Sonderfall, anders als eine gewöhnliche Adoption. Nur kannte er gerne alle Fakten, ehe er sich eine Meinung bildete.

    Sextus hatte es sich eine geraume Weile überlegt, ob er denn etwas zu dieser Kandidatur sagen sollte oder nicht. Aber nach dieser Rede und diesem nonchalanten Hinweggehen über die eigenen Fehler, die der Duccius doch angeblich offen ausbreitete, wollte er sich nicht nachsagen lassen, er hätte geschwiegen und nichts gesagt. Denn auch, wenn er Claudius Menecrates nicht besonders leiden mochte, musste er dessen Kommentar zustimmen. Ebenso wie er die letzten Tage durchaus amüsiert den Wechsel der Werbung und anti-Werbung an diversen Hauswänden verfolgt hatte.


    “Du sprichst davon, dass du deine Fehler offen vor dem Senat zugibst, doch höre ich da wenig davon. Ich will dabei gar nicht auf deine spezielle Rolle am Ende des Bürgerkrieges eingehen, in der selbst Frauen in der Castra Praetoria unter deiner Obhut standen, als standesgemäß unter Hausarrest – oder andere Gefangene wohl schwer zu leiden hatten unter einer nicht standesgemäßen Unterbringung. Doch das ist lange her, und wir alle wollen den Krieg nur zu gerne vergessen.
    Gehen wir lieber auf die Ämter ein, bei denen du sagst, dass du lediglich nicht deinen eigenen Ansprüchen genügtetest. Doch was ist mit den Ansprüchen des Senats? Meinst du, du hast den allgemeinen Ansprüchen wirklich mit deinen kümmerlichen Spielen als Ädil genügt? Oder mit deiner Prätur, als du für vergleichbare Aufgaben in etwa doppelt so lange gebraucht hast, wie andere Prätoren vor dir? In deinen Res Gestae hast du noch deutlich bescheidener hierüber gesprochen. Und warst es nicht auch gerade du, der den Consular Decimus damals aufs schärftste angegriffen und verurteilt hatte, dass dieser deiner Meinung nach 'nur seine minimale Amtspflicht' getan hatte und eben nicht mehr?


    Du sagst, du hättest dich geändert, was dein Verhalten angeht. Doch glaube ich dir nicht. Was ist, wenn wieder jemand ein Wort des Einspruches erhebt, wenn du deine angedachten Reformen präsentierst? Versuchst du dann wieder, jeder kritischen Stimme den Mund zu verbieten? Verweigerst du dich dann erneut jedwedem demokratischen Prozess der Kompromissbildung? Oder schweigst du dich dann nur aus und bleibst jedwede Antwort schuldig?
    Als Consul würdest du wohl der Nobilitas angehören, doch sehe ich wenig nobles in deiner Person. Und bevor deine neue Einstellung nicht einmal ernsthaft auf dem Prüfstand war, würde ich auch nicht mit Vertrauen in Vorschuss treten.“


    Vielleicht war das ein oder andere sehr hart gesagt, aber Sextus war nicht gewillt, hier gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich hinterher vorwerfen zu lassen, er hätte geschwiegen und würde einfach so vorbehaltlos akzeptieren, dass irgend jemand sich so gänzlich ändern konnte. Wenn Sextus Beweise sah, konnte er da vielleicht darüber nachdenken. Aber nur, weil jemand schöne Reden schwang, glaubte er das nicht.

    “Mistkerl“ schimpfte Sextus, als er den Brief seines Bruders las. Nicht nur, dass er darin ganz klar schrieb, dass er Sextus nach Strich und Faden auszunutzen gedachte, nein: Er nahm ihm auch noch die Möglichkeit, wenigstens ordentlich darüber zu schimpfen, sich zu beschweren und es abzulehnen, ehe er sich nach ein paar Monaten des Bettelns vielleicht doch hätte erweichen lassen.


    Aber was konnte Sextus jetzt schon machen? Gut, sein Bruder würde einen Brief mit geharnischter Direktansprache erhalten. Das verstand sich von selber. Aber wenn seine Nichte nun schon auf dem Weg war, konnte er sie wohl kaum postwendend wieder zurückschicken. Sextus war wütend, aber trotzdem hatte er doch ein Mindestmaß an Anstand in seiner Erziehung mitbekommen. Und nahe Anverwandte des Hauses zu verweisen, war dann doch geringfügig oberhalb der gesellschaftlich akzeptierten Norm. (Was allerdings nicht hieß, dass es ihn freuen musste!)
    Nach einer weiteren kleinen Schimpftirade, rief er eines der Sprechmöbel herbei. “Sag Prisca bescheid, dass wir meine Nichte in wenigen Wochen hier im Haus erwarten. Dann soll der Maiordomus ein Zimmer für sie herrichten lassen, sie wird einige Zeit bleiben. Als drittes soll er jemanden nach Ostia schicken, der sich erkundigt, wann Schiffe aus Athen erwartet werden, und darüber Rückmeldung geben. Und schließlich soll dieser Bote sich dann in Ostia einquartieren und darauf warten, dass eine gewisse Aurelia...“ Sextus durchforstete den Brief nochmal kurz nach dem Namen “Corvina dort ankommt. Je nach Tageszeit hat er einen Wagen für sie zu organisieren, damit sie nach Rom kommen kann, oder sie für einen Tag in Ostia standesgemäß unterzubringen, ehe er sie herbringt.“
    Mit einer unnwirschen Handbewegung schickte er den Sklaven dann los und grübelte noch ein wenig über die Situation.


    Verheiraten! Wenn es weiter nichts wäre! Ja mit wem bei allen guten Göttern denn? Bei Prisca hatte es jetzt schon Jahre gedauert, einen vernünftigen Mann aufzutun. Die Tiberier hatten sich mit ihrer Heiratspolitik völlig ins Aus geschossen als annehmbare Partien, und die Claudier würden sich eher den eigenen Kopf abbeißen, als auch nur darüber zu reden. Und Sextus würde sie davon vermutlich nicht einmal abhalten wollen. Noch eine Ehe mit den Flaviern? Es war ungut, eine Familie zu eng an eine andere – und ausschließlich an diese – zu binden.
    Abgesehen davon gab es ja noch das andere Frauenzimmer, das hier ab und an durch die Villa spukte und vermutlich auch verheiratet werden wollte. Auch wenn Sextus diese noch nie zu Gesicht bekommen hatte und ihre Anwesenheit mittlerweile in das Reich der Gerüchte verschob.
    Sextus atmete einmal tief durch ob dieser 'Vielzahl an Möglichkeiten'. Kurz überlegte er, ob er vielleicht doch noch einmal den verrückten, kleinen Helvetius einladen sollte. Aber nein, so verzweifelt war die Lage sicherlich dann doch noch nicht.

    Hin und wieder nickend hörte sich Sextus die Ausführungen des Iuliers an. Er hatte ganz offensichtlich dazugelernt, unter anderem auch, sich selbst zu verkaufen. Wenngleich Sextus die Bescheidenheit in diesem Fall dann doch fast übertrieben fand. Wenn man bedachte, aus welcher Familie der Iulier stammte und wie er gestartet war, hatte er sich durchaus respektabel gemacht und war bislang ein durchaus höflicher Argumentationspartner. Und wenn Sextus etwas schätzte – was bei sehr wenigen Dingen der Fall war – dann war es Höflichkeit. Und Eloquenz. Am besten in Kombination miteinander.
    “Ich muss dir nur an einer Stelle widersprechen, Iulius: Ich hätte es mitnichten für anmaßend gehalten, hättest du dich als Quaestor Principis beworben. Meiner Meinung nach stellst du dein Licht etwas zu sehr unter den Scheffel.


    Allerdings werde ich sicherlich nun nicht behaupten, dass ein Quaestor Urbanus eine ungeeignete Stelle wäre.“ Immerhin war er selbst dereinst Quaestor Urbanus gewesen. Wenngleich Sextus sich nicht mehr wirklich daran erinnerte, was er eigentlich damals in diesem Amt getan hatte. Er erinnerte sich nur noch dunkel an endlose Stunden, die er mit der Pflege der Chronik verbracht hatte, da seine Amtskollegen damals diese undankbare Aufgabe nur allzu gerne vernachlässigt hatten. Aber es war einfach zu lange her. Er wurde wohl langsam alt...
    “In jedem Fall hast du mich davon überzeugt, dass du als Quaestor – welchen genauen Amtes nun auch immer – sicherlich geeignet wärest.“ Das sollte wohl seine Unterstützung zu der Sache zu genüge ausdrücken, womit Sextus sich hier auch setzen konnte. Bestimmt hatte auch noch der eine oder andere Senator etwas anzufügen.

    Oh, ja, sehr beeindruckend und originell. Die Beleidigung hab ich ja noch nie gehört... dachte Sextus nur äußerst trocken und rollte die Augen entnervt himmelwärts. Offensichtlich hatte der Tiberius sich vorgenommen, auf den Verlust des Patrons mit kindlicher Bockigkeit zu reagieren, was sich durch die gesamte Antwort durchzog. Zumindest den Teil, den er wohl zu beantworten gedachte, die ebenfalls gestellte Frage nach dem WARUM hatte er ja geflissentlich ignoriert.
    “Ich danke dir für diese eloquente und inhaltlich detailreiche Antwort“ bemerkte Sextus also nur trocken. Auch wenn er sich fragte, wie seine oder auch Purgitius Macers Antwort jemals als Angebot hätte aufgefasst werden können. “Auch wenn ich bemerken muss, dass mein Gewissen hierbei ein wenig mehr logische Argumente bräuchte, um jemanden bei einem derartigen Rückschritt zu unterstützen...“ Sextus setzte sich einfach wieder. Auf dieses Niveau der Argumentation hatte er wenig Lust. Was ein Kandidat sagte, wie er sich präsentierte und wie er für seine eigene Sache eintrat, war immerhin dessen Sache. Sextus konnte da nicht den Erzieher für jeden spielen.

    Ruhig hörte sich Sextus die Rede des Iuliers an. Eine gute, kleine Rede, die seine Leistungen herausstrich, ohne überladen zu sein oder in langatmiges Blabla zu verfallen. Nur einmal verzog Sextus kurz den Mund, als der Iulier an seine Zeit in Ostia erinnerte. Da hatten sie beide ihre eigene Auffassung der Dinge, und Sextus war auch nicht gewillt, davon abzurücken, dass der Iulius damals schlampig gearbeitet hatte, als er von Toten Steuern verlangt hatte.
    Allerdings war das mittlerweile mehrere Jahre her, und seitdem hatte der Mann vor ihm eindeutig dazugelernt. Vor allen Dingen hatte er Sextus keinen erneuten Anlass gegeben, wütend oder nachtragend zu sein. Da war der Aurelier durchaus gewillt, eine gewisse Verjährungsfrist auf den damaligen Vorfall anzurechnen und deshalb jetzt nicht spitzfindig zu werden.


    Seine frage beschränkte sich daher auf den Stellenwunsch von Iulius Dives, da dieser bislang noch nicht ausgeführt hatte, warum er eigentlich ausgerechnet diese Quaestur anstrebte.
    “Das klingt wie eine beachtliche Menge an Erfahrungen, die du dir angeeignet hast, und sicherlich genug, um sich als Quaestor zu bewerben“, begann Sextus also neutral. “Aber warum möchtest du nach so viel Praxis und handfesten Taten nun ausgerechnet die Senatsarchive mit deiner Anwesenheit beglücken? Für so einen tatkräftigen jungen Mann muss es doch herausfordernde Ziele geben als staubige Schriftrollen zu alten Beschlüssen?“

    Auch nach dieser Erklärung verstand Sextus die Intention des Tiberiers nicht. Wenn er die Quintessenz des Wunsches zusammentrug, blieb für ihn nicht mehr übrig, als ein 'ich wollte schon immer einmal Testvir Capitalis sein'. Gut, manche Menschen wollten Vigil werden, oder Gerber, oder Fleischer. Tiberius Lepidus wollte wohl gerne nochmal Vigintivir sein. Aber verstehen musste Sextus weder die einen Wünsche, noch den hier und jetzt.
    “Wenn du praktische Erfahrung anstrebst und dich um Recht und Ordnung verdient machen möchtest, warum kam für dich da beispielsweise kein Tribunat bei den Cohortes Urbanae infrage? Dort hättest du mit denselben Verbrechern zu tun wie als Tresvir, könntest nicht nur den Praetores, sondern auch dem Praefectus Urbi helfen und würdest überdies wichtige Erfahrungen in der Verwaltung einer militärischen Einheit erlangen. Ich weiß, du bist Patrizier, und für unsereins ist ein Tribunat nicht Pflicht, Aber bei den Cohortes Urbanae müsstest du weder die Stadt verlassen und so deine religiösen Ambitionen aufgeben, noch würde es für neutrale Beobachter wie ein Rückschritt aussehen. Hast du dir über diese Möglichkeit Gedanken gemacht?“ wollte Sextus wissen.
    Viele dachten bei einem Militärtribunat ja ausschließlich an ritterliche Tribunen, die Truppen führten und Befehle über den Kasernenhof brüllten. Aber ein senatorischer Tribun war ja eigentlich eher eine Verwaltungskraft und der Assistent des eigentlichen Truppenführers. Mit militärischem Exerzieren hatte das eigentlich weniger zu tun, auch wenn man im späteren Leben dann gut mit 'militärischer Erfahrung' angeben konnte.

    “Ah“, machte Sextus nur verstehend, ohne sich zu einer Wertung der Nachricht hinreißen zu lassen. Nachdem seine Cousine nun Flavius Gracchus heiraten würde, würde er dieses Geschäft sicherlich nicht durch irgendwelche kleinlichen Argumentationen kaputtmachen, indem er sich in sonstige flavische Heiratspolitik einmischte. Wenngleich diese Nachricht ihm selbstredend nicht so ganz passte. An dieser Stelle wäre ihm eine weitere Lüge seines ehemaligen Klienten durchaus zupass gekommen. Doch jetzt und hier war weder Zeit, noch Ort, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.


    Überhaupt erschien ihm mit einem Mal die Stimmung am Tisch gekippt zu sein, wobei Sextus sich keinen Reim darauf machen konnte. Immerhin gab es doch wohl keine wünschenswertere Antwort als 'ja' auf einen förmlichen Heiratsantrag. Dennoch schien Flavius Gracchus etwas abgelenkter, als er für gewöhnlich war. Der Junge sagte sowieso nichts und kniffelte seine Umgebung nur kritisch an. Und als Sextus seiner Cousine gerade einen Wink geben wollte, dass diese doch ein lockeres Gesprächsthema ihrer Wahl anschneiden sollte, um die Stimmung aufzuhellen – wer war für fröhliches Blabla mehr prädestiniert als eine Frau? - guckte auch sie zurück, als wäre sie drauf und dran, einen Mord zu planen. Sextus schaute eher verwirrt und fragend zurück.
    Er wusste nicht wirklich viel über Frauen, ja wollte nichteinmal unbedingt mehr über sie wissen, aber den Blick, den kannte er. Er war sich nur keiner Entgleisung bewusst, die den Blick hervorrufen hätte können. Immerhin war er ja nicht durchs Triclinum getanzt und hatte auch brav abgewartet, was Prisca zu sagen hatte. Seit wann waren Frauen wütend, wenn man ihnen zustimmte und Recht gab? Er würde sie wohl auf dem Heimweg fragen müssen, welche Laus ihr über die Leber getrampelt war.
    Jetzt aber galt es erst einmal, die Stimmung zu retten. Nachdem so ein freudiges Fest wie eine Hochzeit offenbar bei allen Beteiligten als Stimmungskiller wirkte, war die Alternativauswahl aber nicht unbedingt einfach. Das Wetter? Zu belanglos – und trostlos. Die letzten größeren Spiele? Waren Munera von Tiberius Durus, wohl auch kein Tischthema (zumindest nicht an diesem Tisch). Politik? Nur, wenn er wollte, dass Prisca nie wieder mit ihm sprach.
    “Hat deine Familie schon Pläne für die Saturnalien?“ fragte Sextus also beiläufig. Wenn das jetzt nicht geeignet war, die Stimmung aufzuhellen, wusste er auch nicht weiter. Goldenes Zeitalter, keine Sorgen, Geschenke für Freunde und Verwandte... wenn das nicht zu besserer Stimmung beitrug, dann gab Sextus auf.

    Manius Flavius Gracchus machte seiner Cousine, Aurelia Prisca, tatsächlich einen Antrag! Sextus sprang jauchzend auf, fing an zu singen und tanzte einer Bacchantin nicht unähnlich lachend durch das Triclinum. Um das Bild zu vervollständigen, bediente er sich noch einiger der dekorativen Blumen des Raumes, um Blütenblätter in unregelmäßigen Abständen über alle Anwesenden zu verstreuen.



    Naja. Fast.


    Er hätte es am liebsten getan, als der Inhalt der Worte des Flaviers in sein Gehirn vordrangen. Aber er gehörte nicht zum ausgelassenen Gemüt, und so schnell sprang er auch nicht von seiner Kline. Jedoch fing er an, auf eine Weise zu lächeln, die seinem sonstigen Naturell generell zu widersprechen schien, und in der Tat war dies eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen Sextus sich selbst gegenüber offen eingestehen konnte, dass er wahrlich höchst erfreut, ja beinahe ausgelassen war.
    Es fehlte nur wenig, und er hätte aus einem Impuls heraus laut JA! gebrüllt, nur um sich anschließend vor sicher zu erwartenden Schlägen seiner Cousine wegzuducken und auf eventuell geworfene Gegenstände zu achten. Der Blick von Prisca sprach durchaus davon, dass sie selbiges wohl ohne zu zögern getan hätte, wenn er sich nicht jetzt wie ein Schuljunge grinsend ansonsten zurückgehalten hätte. So wartete er, innerlich äußerst angespannt, bis Prisca den Antrag angenommen und zu ihm übergeleitet hatte.
    Den Göttern sei dank ist sie klüger, als sie meistens vorgibt, zu sein!


    “Auch wenn gefühlsmäßige Äußerungen bei einer Gelegenheit wie einer Eheschließung eher fehl am Platze sind, muss ich sagen, dass es mir eine außerordentliche Freude ist, dieser Verbindung von Herzen zuzustimmen.
    Ich muss gestehen, dass ich ähnliche Gedanken selbst schon gehabt habe, indes nicht die nötigen Worte fand, dich, Flavius Gracchus, respektvoll darauf anzusprechen. Daher kann ich gänzlich vorbehaltlos und freudig erklären, dass auch ich diese Verbindung sehr im Sinne unserer beider Familien sehe. Ich denke, angesichts dieser grundsätzlichen Übereinstimmung, sollten sich auch sonstige Fragen des Ehevertrages dann schnell und unkompliziert klären lassen, wie beispielsweise die angemessene Höhe einer Dos und sonstige Modalitäten. Angesichts deines Amtes im Collegium gehe ich davon aus, dass auch du eine confarreatische Eheschließung präferierst?“

    Sextus war durchaus gewillt, hier und heute gleich einen Deckel auf die Angelegenheit zu machen. Nicht, dass sich Gracchus das Ganze am Ende noch anders überlegte! Nein, er hatte sich selbst in die Schlinge begeben, und Sextus hatte nicht vor, diesen Knoten noch einmal zu lösen. Vor allem, da diese Kleinigkeiten ohnehin nur Lappalien waren im Vergleich zu dem großen, gemeinsamen Entschluss einer neuerlichen Verbindung der Familien.


    Sextus gab einem der Sklaven einen Wink, ihm noch einmal Wein nachzuschenken. Diesmal mit weniger Wasser. Das hier war eine echte Gelegenheit, um zu feiern, und er war ebenso in der Stimmung hierzu. Er nahm einen Schluck, ehe ihm dann doch ein kleiner Gedanke in den Sinn kam, der ihn dann doch ein wenig in seiner Laune trübte. Und das Thema jetzt war zu naheliegend, um die Gelegenheit zu verpassen, direkt hiernach zu fragen.
    “Aber da wir gerade beim Thema Hochzeiten sind, habe ich doch noch eine themenverwandte frage an dich, die selbstverständlich völlig unabhängig von meiner Zustimmung zu der Eheschließung zwischen dir und Prisca ist.
    Mein ehemaliger Klient Tiberius Lepidus erzählte mir vor einiger Zeit, dass er deine Cousine, die Schwester von Nigrina, demnächst heiraten würde? Du verstehst sicherlich, dass es mich zum einen interessiert, mit wem mein Sohn demnächst blutsverwand und verschwägert sein soll, und zum anderen beeinflusst so eine geplante Hochzeit natürlich dann auch die Planung der Hochzeit zwischen dir und Prisca, damit es hier keine Überschneidungen gibt. Man muss eventuellen Gästen ja die Zeit geben, sich von einer Feier zu erholen, ehe sie zur nächsten schreiten.“

    Und wieder einmal kam ein aurelischer Sklave zur Villa Tiberia geflitzt, um ein kleines Briefchen abzugeben.



    Sen. Aurelius L. Tib. Lep. s.d.


    Mit großer Verwunderung habe ich deine letzten Zeilen an mich gelesen. Sollten diese übertriebenen Lobpreisungen an mich eine Art von Ironie darstellen, kann ich sie weder begründen, noch nachvollziehen.
    Sollte der Brief den Zweck haben, dass ich meinen zuletzt mitgeteilten Entschluss, dich aus meinem Patronat zu entlassen, rückgängig machen soll, so muss ich dich enttäuschen.
    Daher bin ich mir nicht sicher, inwieweit ein Besuch der Salutatio hier wirklich statthaft ist. Von meiner Seite aus ist die Sache geklärt und bedarf keiner weiteren Erklärungen.


    Vale

    In gewisser Weise waren ja auch die etruskischen Haruspices ein 'fremdländischer Kult', wenngleich auch einer, der schon lange Jahrhunderte seinen Platz in der römischen Gesellschaft gefunden hatte. Und gegen alle fremdländischen Kulte hatte Sextus auch nichts einzuwenden. Einige fremde Gottheiten, wie die ägyptische Isis, erfreuten sich einer großen Beliebtheit und waren durchaus mit der römischen Gesellschaft kompatibel. Zu restriktiv wollte Sextus da gar nicht sein. Ihn störte eher die Dummheit seiner Mitmenschen, und gegen die konnte er nur schwer etwas unternehmen. Allen den Kopf abzuschlagen, war auch keine Lösung.
    “Nun, es ist die Frage, ob man für jede Frage eine solch detaillierte Antwort benötigt, wie ein Haruspex sie geben kann, oder ob da ein simples 'ja' oder 'nein', wie bei den üblichen Wurforakeln, nicht prinzipiell ausreichen würde.
    Indes hat das Collegium Haruspicum auch schon daran gedacht, wieder einmal die schlimmsten Übeltäter der Stadt mithilfe der Urbaner zu verweisen. In Roms Geschichte ist dies ja schon einige Male gemacht worden. Lediglich der Erfolg dieser Maßnahme hat leider keine allzu lange Dauer.“
    Sextus seufzte einmal leicht. Das Thema war wirklich unerquicklich, vor allem, da es keine Lösung für das Problem zu geben schien. Nichts zu tun war ebenso unhilfreich, wie etwas zu unternehmen.
    “Vielleicht wäre es auch eine gute Idee, die Quindecemviri mit einzubeziehen. Im weitesten Sinne fallen die babylonischen Handleser ja ebenso in ihren Zuständigkeitsbereich.“

    Sextus nickte verstehend zu den Ausführungen, dass Gracchus seine jüngeren Kinder nach außerhalb von Rom verbracht hatte. “Ich verstehe, was du meinst. Lucius weilt ja ebenfalls aus ähnlichen Gründen in Tarquinia bei meinem einstigen Mentor.“ Manche Menschen reagierten mit Unverständnis, wenn ein Vater seine Kinder nicht in unmittelbarer Nähe haben wollte, um sie zu herzen oder was auch immer man deren Meinung nach tun sollte. Sextus teilte eine eben solche Einstellung ganz und gar nicht und war durchaus einer solch rationalen Entscheidung mehr als zugetan, das eigene Kind dorthin zu verbringen, wo es eine gute Erziehung genießen konnte und in sicherer Obhut war. Ganz abgesehen davon, dass wohl jeglicher Ort von Rom eine weitaus bessere Luftqualität zu bieten hatte.
    So war der Kommentar in seiner Fülle zwar für Sextus nur eine ausgesprochene Selbstverständlichkeit, dennoch wollte er ein mögliches Befangenheitsgefühl bei Flavius Gracchus von vornherein ausschließen.


    Aber ohnehin wechselte das Thema recht schnell weg von der Familie und – wohl zum Leidwesen Priscas – hin zu politischeren Dingen. In diesem Fall erst einmal zum religiösen Bereich, was wohl wenig verwunderlich war, wenn der Pontifex pro magistro und der Haruspex Primus an einem Tisch lagen.
    “Die Schwierigkeiten sind wohl nicht größer oder kleiner, als in den letzten zweihundert Jahren.“ Es war ja kein Geheimnis, dass schon lange Zeit immer größere Anstrengungen unternommen wurden, um mehr Haruspices ausbilden zu können. Diverse Kaiser hatten dazu diverseste Maßnahmen ergriffen, ebenso wie das Collegium an sich.
    “Im Gegensatz zu den römischen Ämtern erfordert das Dasein als Haruspex ja eine sehr langwierige, vorangegangene Ausbildung. Das soll nun nicht abwertend klingen, aber wenn das Collegium Augurum ein Mitglied benötigt, kann dies jeder junge Bursche aus einer senatorischen Familie ausüben, auch nur zeitweilig. Vielleicht muss er sich mit seinen älteren Kollegen noch einmal unterweisen lassen, was ein schlechtes und was ein gutes Zeichen ist, und selbstverständlich muss er die Formeln auswendig lernen – oder passende Schriftrollen mit sich führen – für Tempelweihungen oder um einen Himmelsbereich für die Zeichen zu definieren. Aber dies ist innerhalb eines sehr überschaubaren Zeitraumes zu bewerkstelligen.
    Um Haruspex zu werden hingegen, muss man etruskisches Blut in sich tragen, und insbesondere noch die alte Sprache beherrschen. Und etruskische Adelige sind noch rarer gesät als römische, und dies sind wie du ja selbst weißt, auch nicht allzu viele. Darüber hinaus dauert die Ausbildung gut zehn Jahre, umfasst sie nicht wie bei den Auguren nur das Erlernen von theologischen Unterschiedsmerkmalen, so dass man generell mit 'gute Zeichen' oder 'schlechte Zeichen' antworten kann.
    Nein, vielmehr umfasst die Ausbildung eine umfassende Wissensgewinnung in Astronomie, Geologie, Zoologie, Botanik, Ornithologie, ja selbst Hydraulik. Selbstverständlich weiß auch ein Haruspex nicht alles über jene Fachgebiete, aber weitaus mehr als ein einfach gebildeter Bürger. Und dies alles ist zu erlernen, noch ehe man auch nur die Grundzüge der verschiedenen libri kennen lernt. Und selbige sind ja wiederum auch sehr Umfangreich mit der disciplina etrusca, den Blitzdeutungen und den in den libri rituales beschriebenen Ritualen über den rechten Ort und die rechte Zeit, aus der das ganze Wissen über die diversen saecula der Weltgeschichte entstammt.“

    Sextus befeuchtete nach diesen Ausführungen erst einmal seine Kehle. Allerdings fand er es nötig, das Problem genauer zu beschreiben, da selbst eigentliche Religionskenner ihn schon fälschlicherweise als einfachen, römischen Auguren abtun – oder mit diesen auf eine Stufe stellen – wollten. Die meisten hatten schlicht keinerlei Ahnung über die Unterschiede zwischen diesem Amt etruskischer Religion und den römischen Kulten.
    “Die Entscheidung, vor der also Eltern potentieller Haruspices stehen, ist wohl am ehesten vergleichbar mit den Eltern einer möglichen Vestalin: Man muss ein Kind im Alter von nicht einmal zehn Jahren auf eine lange Ausbildung schicken, auf die man selbst keinerlei Einfluss hat, und muss in gewissem Maße die eigene Gewalt an die Universität, an der sie ausgebildet werden, inklusive aller dazugehörigen Maßnahmen, abgeben. Häufig bedeutet dies auch eine Trennung von der Familie. Und in jedem Fall ist es äußerst schwierig, gleichzeitig dem jungen Spross noch das nötige Wissen für ein politisches Amt mitzugeben oder ihn auf ein solches vorzubereiten, da der Jüngling sich hauptsächlich auf seine Studien konzentrieren muss.
    Zu Zeiten des Zwölfstädtebundes war es nur den edelsten Familien überhaupt vorbehalten, einem Kind diese Ausbildung zukommen zu lassen. Doch inzwischen sind die Aufnahmebedingungen weitaus lockerer. Andernfalls wäre ich, der ich ja selbst nur von der mütterlichen Linie her etruskisches Blut nachweisen kann, auch heute nicht, wo ich bin.


    Und dazu kommt wohl auch das dir bekannte Problem der fremdländischen Kulte und ihrer Sterndeuter und Handleser, die unter der einfachen Bevölkerung leichtgläubige Opfer suchen und damit unser aller Ruf immer weiter schädigen. Woher soll auch der einfache Bürger den Unterschied zwischen einem ausgebildeten Leser des göttlichen Willens und einem Scharlatan erkennen, wenn letztere sich sogar noch ähnlich zu kleiden versuchen?“

    Offensichtlich wollte Gracchus diese Chance zur Erklärung nicht nutzen und Sextus konnte weiter spekulieren, was der genaue Anlass war. Zumindest konnte er aus dem Fehlen einer Erklärung schon schließen, dass es eine solche für die Abwesenheit der Verwandten der Flavier gab. Wären besagte Mitbewohner einfach nur indisponiert gewesen, hätte Gracchus selbiges sicher einfach angefügt, wenn er allerdings jetzt ein Geheimnis daraus machte, würde das wohl einen Grund haben.
    Allerdings war es ja auch vorerst nicht von Belang. Sextus war sich durchaus sicher, dass er im Laufe des Abends noch darauf kommen würde. Und selbst wenn nicht, so kam ihm dieser Termin einfach zu gelegen, um selbst bei Gracchus bezüglich der ein oder anderen Sache unverbindlich nachzuhorchen, die ihm derzeit im Kopf herumging.


    Gerne nahm Sextus den Wein an – in stark verdünnter Form. In letzter Zeit machte er ihn müder als sonst, und heute wollte er in jedem Fall möglichst lange wach und aufmerksam sein.
    “Lucius geht es, soweit ich weiß, sehr gut. Er ist ein gesunder, für sein Alter recht starker Bursche geworden.“ Sextus verließ sich da ganz auf die Berichte, die er aus Tarquinia erhielt, wo sein Sohn nach wie vor weilte. “Mittlerweile hat auch seine Ausbildung begonnen. Leider beklagen seine Lehrer einen gewissen... Schlendrian, was mathematische Fragestellungen angeht, so dass seine Ergebnisse häufiger vom gewünschten hier abweichen. Ich nehme an, das wird sich noch verwachsen. Dafür zeigt er ein sehr gutes Gedächtnis in den Bereichen der Botanik und Zoologie.“ Was wohl damit zusammenhängen mochte, dass Lucius, wie seine Lehrer es ausdrückten, lieber in die Landschaft starrte, als in seine Schriftrollen. Allerdings war, wie Sextus aus eigener Erfahrung wusste, die Ausbildung zum Haruspex sehr allumfassend, schwer verständlich und für junge Geister mitunter sterbenslangweilig.
    Sextus zuckte leicht die Schultern. Er packte sein Essbesteck aus seiner Serviette (selbiges hatte er selbstverständlich mitgenommen. Welch grauenhafte Vorstellung wäre es, mit anderen das persönliche Essbesteck zu teilen?) und pikte einen der Champignons auf. “Seiner Jugend sei verziehen, dass er die Bedeutung der etwas trockeneren Themenstellungen euklidischer und archimedischer Mathematik noch nicht mit Begeisterung erfassen kann. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass sich dieses noch ändert.“


    Der Pilz war sehr gut. Die Oliven ignorierte Sextus, mochte er sie in jedweder Form nur bedingt, und ebenso die Gurken. Der anstehende Winter würde es noch häufig genug machen, in Essig eingelegtes Gemüse zu verspeisen, da wollte er jetzt im Spätherbst nicht damit beginnen. Also nahm er sich ebenfalls eine der Artischocken mit Tapenada und ein wenig Brot.
    “Nachdem es deinem Ältesten ganz augenfällig gut geht, was macht dein Jüngster?“
    Kurz nur streifte sein Blick noch einmal Gracchus Minor. Selbiger schien aber eher in die Beobachtung von Prisca vertieft zu sein. Sextus konnte es ihm nicht verdenken. Von allen hier anwesenden Personen hatte seine Cousine ganz zweifelsfrei das attraktiveste Äußere, und wäre Sextus in jenem Alter, er hätte es nicht anders gemacht.

    Die Begrüßung seiner Cousine fiel – ganz natürlicherweise – weit wortreicher, um nicht zu sagen blumiger aus. Wobei Sextus durchaus zuzugeben bereit war, dass sie eine schöne Frau war, vor allem, wenn sie sich in Schale geworfen hatte.
    Ein Gedanke huschte kurz durch Sextus' Geisteswelt, der durchaus interessante Folgerungen zuließ. Eine solche Begrüßung war sicherlich nicht das schlechteste Zeichen bei einem verwitweten Mann, allerdings auch nicht mit allzu großen Hoffnungen zu versehen ob der übertriebenen Höflichkeit unter Höhergestellten. Dennoch war ein Teil von Sextus Aufmerksamkeit durchaus geweckt, und auch die Antwort Priscas stimmte ihn da durchaus verheißungsvoll für den kommenden Abend. Allerdings hatte Sextus nun doch nicht vor, Zeichen für die Zukunft aus seinem Abendessen zu lesen, oder den Begrüßungsworten zu eben jenem.


    Da Prisca schon die übliche Floskel des 'Du bist aber groß geworden!' an den Jungen weitergegeben hatte, sah Sextus sich nicht in der Pflicht, selbiges noch einmal zu wiederholen. Zweifellos war eine solche Schmeichelei von einem weiblichen Wesen auch weit wirkungsvoller, und letztendlich erinnerte sich Sextus auch nicht mehr an die letzte Begegnung, so dass er ein Wachstum oder eine Veränderung glaubhaft hätte bestätigen können. So beließ er es bei einem freundlichen, leichten Lächeln und einem Nicken und begab sich zu dem ihm zugewiesenen Platz auf den Klinen.
    “So speisen wir heute im kleinen Kreis?“ nahm Sextus sogleich das Gespräch wieder auf und gab damit Gracchus auch die Möglichkeit, seine Einladung gegebenenfalls noch ein wenig näher zu erläutern. Wenn sie tatsächlich nur zu viert speisen würden, lag die Annahme noch näher, dass es vielmehr um die Möglichkeit zu einem privaten Gespräch über ein noch unbekanntes Thema gehen würde, als um die generelle Aufrechterhaltung des Kontaktes. Immerhin lebten laut Sextus begrenztem Wissen noch die kleine Schwester seiner Ex-Frau – deren Fernbleiben noch mit Höflichkeit ihm gegenüber zu erklären gewesen wäre – und der junge Flavius, der im letzten Jahr als Vigintivir nicht unbedingt geglänzt hatte, im Hause.

    Und schon wieder diese kleine Stichelei mit der 'baldigen Hochzeit'. Als ob es Sextus auch nur im geringsten juckte, was ein dahergelaufener Plebejer über seine Cousine dachte! Er hatte nie behauptet, dass Prisca bald heiraten würde, und er sah auch nicht die Notwendigkeit, warum sie das tun müsste. In ihrem jetzigen Alter konnte sie noch gut sechs Kindern das Leben schenken – Mehrlingsgeburten nicht mitgerechnet - und selbst, wenn sie kein einziges bekommen sollte, war sie immer noch eine Frau aus bestem Hause mit politischen Verbindungen und gewaltigem Reichtum. Wenn 'Kinder kriegen' der einzige Grund für eine Eheschließung wäre, würde sich wohl auch der Kerl vor ihm eine Vierzehnjährige suchen, die noch ein Dutzend Nachkommen werfen konnte. Wieso also glaubte der Helvetier, dass diese Stichelei auch nur den Hauch eines Nährbodens finden könnte? Sextus fand sie allenfalls ermüdend und lästig.


    Sextus ließ den Helvetier einfach abdampfen und ruhig in dem Glauben, das letzte Wort in der Sache gehabt zu haben. Es gab wahrlich wichtigere Dingen, mit denen er seine Zeit 'verschwenden' konnte. Gewiss würde er es nicht mit einem Dementi oder gar einer Rechtfertigung für seine Cousine tun, und auch nicht mit einer Diskussion, ob man Schlachten schon bei der geringsten Gegenwehr gleich als verloren ansehen sollte. Bei den Göttern, da hatte ja selbst der Waschlappen Piso seinerzeit mehr Kampfgeist bewiesen, als sein Vetter Corvinus seinen Heiratsplänen mit Prisca erst einmal einen Riegel vorgeschoben hatte.
    Sextus wartete also, bis er auch das Schließen der Porta hinter dem Gast vernahm, und schüttelte dann einfach nur den Kopf. Er überlegte, ob er Prisca überhaupt irgend etwas davon sagen sollte. Vielleicht später, wenn sie ihm wegen irgend einer Kleinigkeit in den Ohren lag, um ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es würde ihr sicher nicht gefallen, wenn Sextus ihr vorwarf, dass sie nicht genug auf ihre Stellung achtete, dass schon dahergelaufene Plebejer meinten, sie 'einfach so' zur Frau kriegen zu können, weil die Gens Aurelia sie offensichtlich loswerden musste. Ja... sowas würde ihr ganz sicher den Wind aus den Segeln nehmen.
    Aber für den Moment war der ganze Vorfall schlicht zu unbedeutend, um sich über irgend etwas davon weiter Gedanken zu machen. Sextus leerte seinen Becher und gab ihn an den Sklaven zurück. Den vollen Weinkelch reichte er ebenfalls an diesen. Da war es Sextus egal, ob er damit die Blumen goss oder es selbst trank. Solange das Ding nicht herumstand und am Ende noch irgendwo Flecken hitnerließ.