Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Sextus nickte einmal überlegend, als Corvinus den Boten erwähnte. “Du wirst recht haben. Je eher wir das anberaumen, umso wahrscheinlicher ist es auch, das der Consul noch Kapazitäten frei hat. Wenn er erst einmal in seinem Amt ist, wird ein solcher Termin wohl schwieriger zu erhalten sein.“ Außerdem reizte es Sextus nun doch ein wenig, auszulooten, wie seine Möglichkeiten in Rom waren. Nur ein Nichts in der Menge zu sein war nicht seine Vorstellung von angemessenem Leben. Macht zog ihn an, und genau nach dieser würde er also auch streben. Und wenn das bedeutete, der Familie seiner baldigen Verlobten in den Allerwertesten zu kriechen, dann würde er das eben machen.



    Der zweite Teil mit dem Cultus Deorum war da eher vernachlässigbar. Das war nur ein kleineres Sprungbrett, um die öffentliche Meinung zu stärken. Sextus war nicht nur weit entfernt von jeglicher superstitio, manchmal konnte man meinen, seine pietas beschränke sich auf das nötigste. Er sah die Arbeit in einem Kollegium vor allem als Aufstiegschance zu noch mehr Macht. Allerdings blieb auch bei diesem Thema sein Gesichtsausdruck gleichmäßig neutral bis interessiert. Corvinus schien an der ganzen Sache weit mehr gelegen zu sein, weshalb auch immer.
    “Gut, ich werde mich mit Avianus bei nächster Gelegenheit zusammensetzen. Vielleicht ergibt sich ja bei der Cena bereits die Möglichkeit zu einem Gespräch?“ Dann wäre dieser Punkt zumindest schon abgehakt und er brauchte sich keine Gedanken mehr zu machen.
    Den Namen des Tiberiers hingegen merkte sich Sextus dann doch aus Eigeninteresse genauer. Wenn jemand im Cultus genug Macht aufgebaut hatte, um den Kaiser in Absentia zu vertreten, dann war das definitiv ein Name, den er sich merken sollte. Allerdings kommentierte er das nicht, sondern nickte nur einmal ernsthaft und stumm. Was gab es da auch zu bereden?
    “Gut, ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dich für mich umhören könntest. Bei den Kollegien sollte es denke ich ausreichend Möglichkeiten geben, um sich einen Namen zu machen, neben der politischen Laufbahn.“
    Seine Freizeit schien zwar gerade in sich zusammenzuschmelzen, aber man musste eben Prioritäten setzen. Und sollte seine Zukünftige eine Schreckschraube sein, war er wohl um jede Ausrede dankbar, Zeit fernab von ihr zu verbringen.

    Flora schien von seinem Kompliment noch ganz angetan. Sextus meinte sogar eine leichte Röte zu entdecken, die durch die Worte noch unterstrichen wurde. “Geschmeichelt wäre es nur dann, wenn es eigentlich nicht wahr wäre.“ So langsam fing es an, Spaß zu machen. Auch wenn es 'nur' seine Cousine war, die er bezirzte. “Und wie könnte ich einer anderen sowas sagen, wenn es doch auf euch zutrifft?“ Es machte wirklich ein wenig Spaß.
    Schade, dass die Frau seines Vetters so wenig darauf eingegangen war. Das hätte dem Spiel nochmal eine besonders herausfordernde Note verpasst. Aber andererseits sollte er es nicht übertreiben. Immerhin würde er Ursus sicher noch brauchen und sollte sich daher mit ihm gut stellen. Erstmal.


    Nach und nach kamen auch die anderen heraus. Sextus machte etwas Platz. Es sollten alle Gelegenheit haben, sich zu verabschieden. Vor allem aber konnte man die anderen besser beobachten, wenn man nicht mitten im Pulk stand. Als Avianus hinzukam, regte sich sein Interesse noch einmal. Als dieser sein Geschenk übergeben hatte, tippte Sextus den Vetter leicht an. “Avianus? Wenn du nachher auf ein Wort Zeit hast? Ich müsste mit dir in deiner Eigenschaft als Magister der Salier kurz reden.“ Immerhin hatte man ja als Patrizier einige Verpflichtungen. Auch so albernde, wie durch die Straßen zu tanzen. Aber im Vergleich zum Singen wohl das kleinere Übel.


    Der Abschied rückte näher, und auch Ursus bekundete seinen Unglauben bezüglich Sextus' Unschuld. Dieser tat betont betroffen. “Ich fürchte, ich muss mich mehr anstrengen, um euch zu überzeugen“, meinte Sextus mit einem wölfischen Grinsen. Zum Glück hatten seine Verwandten allesamt nichts von seiner dunklen Seite bislang mitbekommen, sonst könnte dieses Unterfangen womöglich ernsthaft unerreichbar sein.
    Er ließ sich von Ursus umarmen und klopfte ihm dabei einmal brüderlich auf die Shculter. Jetzt war der Abschied wohl wirklich soweit. Der Ausspruch, Mantua sei nicht so weit, entlockte Sextus ein leichtes Grinsen. Nein, weit war es nicht. Nur so drei bis vier Tagesreisen mit einem guten Pferd. Aber sonst... Sextus sagte nichts, vermutlich wollte Ursus den Abschied allen, vor allem den Damen, nur möglichst leicht machen, indem er sowas sagte. Frauen waren bei sowas immer recht leichtgläubig, wie bei allen Versprechungen, die man ihnen machte. Wenn er dadurch das Gezeter seiner Holden einschränken wollte, würde Sextus ihn nicht boykottieren und etwas so uncharmantes einwerfen.

    Septima war eine interessante Frau. Sextus war sich nicht so ganz sicher, ob sie nur freundlich sein wollte oder doch ein wenig flirtete. “Nur Primeln im Vergleich mit einer Rose“, setzte er noch einmal lächelnd nach, als die Frau seines Verwandten meinte, es gäbe ja noch andere Damen. Sicher gab es die, und mit etwas Geschick gab es die auch noch nach seiner eigenen Hochzeit, die wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt hing.
    Und da erschienen auch schon die nächsten. Das kommen und Gehen der Sklaven übersah Sextus vollkommen, sie waren für ihn einfach nicht wichtig genug, sie zu beachten. Allerdings seine beiden Cousinen bemerkte er natürlich, vor allem, da er angesprochen wurde. Er konnte sie nicht auseinanderhalten. Irgendwann hatte er sicher den Bogen raus, aber im Moment hatte er da keine Chance. Das letzte Mal hatte er sie gesehen, da war er vielleicht fünf Jahre alt gewesen. Und in den letzten Tagen ergab sich irgendwie kaum Gelegenheit für ausgiebige Gespräche.
    “Na, wie die Leute nur auf diesen Spitznamen kommen?“, meinte Sextus mit gespieltem Ernst und Schalk in den Augen. Seine Gedanken dazu waren aber weniger freundlich, denn eine so offensichtliche Anspielung fand sein Sinn für Humor nicht unbedingt originell. Das war, als würde man ihn Wolfi nennen. Noch dazu, dass er keinen Sinn für Verniedlichungen hatte und eine Blume etwas anderes war als ein Blümchen. “Aber ich würde euch, meine bezaubernden Cousinen, nie so nennen.“
    Er stellte sich mittig hinter sie beide und umfing sie kurzerhand mit seinen Armen, zog sie sanft ein wenig zurück, so dass er links und rechts je eines ihrer Ohren hatte. So leise, dass Septima es keinesfalls mitbekommen konnte, flüsterte er mit ihnen. “Wenn die Jugend und Blütezeit vorbei ist, fangen Blumen an zu welken.“ Und er gab der Wange rechts von ihm einen brüderlichen Schmatz. “Ihr beide aber werdet für immer meine wunderschönen Cousinen sein, schön wie die Diamanten.“ Und die Wange links von ihm bekam ebenso einen kleinen Schmatz, ehe er seine Cousinen wieder losließ.
    Er schenkte Septima noch ein entschuldigendes Lächeln, da er mit seinen Cousinen ein Geheimnis hatte vor ihr. Er hoffte, er hatte die beiden Mädels richtig eingeschätzt, so dass er sich so einen kleinen Spaß erlauben konnte, und er meinte es ja ausnahmsweise mal nicht böse. Sein Vetter meinte noch, er würde seine Frau vor ihm in Sicherheit bringen, und Sextus musste leicht lachen. “Oh, Ursus, ich bin doch sanft und unschuldig wie ein Lamm.“ Was ein doppelter Witz war, bedeutete sein Cognomen doch nichts anderes als Wolf. Und ja, er war wohl ein Wolf im Schafspelz, denn er hätte Septima sicher nicht von der Bettkante geschubst. Allerdings würde er sie auf eben jene auch nicht ziehen und sich den Ärger seines Vetters einhandeln.


    Prisca erschien und grüßte alle kurz und höflich. “Salve, Prisca“ meinte Sextus, viel ruhiger als bei der Begrüßung der anderen. Bei Flora und Narcissa hatte er den Eindruck, mit ihnen konnte er scherzen, mit Septima und Ursus ein wenig feixen. Prisca aber war ein anderes Kaliber, nach allem, was er von ihr kennengelernt hatte. Sie war kühl und beherrscht, und wäre sie nicht mit ihm verwandt, Lupus wäre ernsthaft in Versuchung, sich zu verlieben. Sie war so herrlich ernst und zurückhaltend, und es kribbelte ihn in den Fingern, diese ganze Beherrschung bei ihr beiseite zu fegen und nachzuschauen, wie sie denn wirklich war. Aber nunja, sie war seine Cousine und keines seiner Spielzeuge.


    Corvinus kam kurz nach ihr heraus und verneinte sofort jegliche angesprochenen Hochzeitspläne. Sah wohl so aus, als sei er der einzig Verurteilte hier. Wenngleich die anderen davon noch nichts wussten, war ja noch nichts offiziell. Und solange es das nicht war, würde Sextus auch schön seinen Mund halten.


    Ursus war es schließlich, der nochmals seine Aufmerksamkeit auf sich zog und meinte, er könne den Bau den neuen Hauses vor dem Pomerium beaufsichtigen. Sextus lächelte und nickte leicht. “Mit so kompetenter Unterstützung“ und dabei bedachte er seine Cousinen wieder mit einem leichten Blick, “bleibt mir vermutlich kaum etwas zu tun. Aber es wird mir eine Freude sein.“ Eine größere Freude wäre es gewesen, noch ein wenig in Faulheit die Freiheit zu genießen, andererseits konnte er sich so schonmal ein wenig beweisen, wenngleich nur vor seinem Vetter.

    Sextus war bereits früh aufgestanden. Heute würden Ursus und seine Frau die Villa verlassen und nach Mantua ziehen. Zumindest war das sein Erkenntnisstand, denn so viel hatte er mit seinen neuen Verwandten bislang noch nicht zu tun gehabt.
    Und so fand er sich vor der Eingangstür zur Villa wieder, als gerade alles in Aufbruchstimmung war. Ein kleines Sklavenmädchen trällerte gerade ein Abschiedslied. Herzallerliebst, schoss es ihm trocken und ironisch durch den Kopf, ehe er sie ignorierte. Überhaupt, sollte die nicht mit den beiden mit? Gehörte doch denen? Im Grunde war es ihm gleich, Sklaven waren für ihn absolut austauschbar.


    Er setzte sein gewinnendstes Lächeln auf und schritt zu Septima und Ursus hinüber. Offenbar war er hier im Hause der Frühaufsteher, von den anderen war noch nichts zu sehen.
    “Ursus, Septima!“ Er ging an der ganzen Sklavenschaft vorbei und blieb direkt vor beiden stehen. “Ich hoffe, Vetter, du hast wenigstens ein schlechtes Gewissen, wenn du Roms schönste Blume einfach so in den Norden entführst.“ Er nahm die Hand von Septima, führte sie hoch und gab ihr angedeutet einen Kuss darauf, ohne sie wirklich zu berühren. “Mein Herz wird jeden Tag weinen“, meinte er lächelnd zu ihr, ehe er sie wieder frei gab. Für ihn war das nur ein Spiel, und er machte auch keinen Hehl daraus. Die Götter mögen bewahren, Ursus könnte diese harmlose Flirterei direkt vor seinen Augen ernst nehmen! Aber Frauen hörten gerne Komplimente und fühlten sich gerne begehrt, und ein wenig bauchpinseln konnte nicht schaden. Vor allem, da sie ja jetzt beide erst einmal etliche Meilen entfernt wohnen würden.


    Er wandte sich wieder an Ursus, jetzt sachlicher. Charme war für die Damen da.
    “Kann ich euch noch bei irgendwas behilflich sein, oder bleibt mir nur, euch gute Reise zu wünschen?“ Vielleicht gab es ja eine Kleinigkeit, die Ursus noch auf den Nägeln brannte, die er noch nicht längst mit Corvinus oder jemand anderem abgesprochen hatte. Sextus glaubte zwar nicht daran, aber man konnte ja nachhaken.

    Ah, Corvinus Frau war auch eine Flavia? Sextus nahm sich vor, die genauen Verflechtungen der beiden Familien noch eingehender zu studieren. Seine Informationen in Achaia waren mehr als dürftig gewesen. Während sein Vater ihm bei den eigenen Verwandten noch leidlich weiterhelfen konnte, vermochte er nicht die geringsten Aussagen über die Flavier zu treffen. Es war wirklich bedauernswert, auf welch unzureichende Informationslage er sich hierbei stützen musste. Hilflos wie ein Welpe bedurfte er selbst bei einer solch einfachen Aufgabe Hilfe. Doch andererseits würde er eben jene auch sicher nicht ablehnen.
    “Ich denke, mit dir gemeinsam wird ein deutlicheres Zeichen gesetzt, wie ernsthaft mein Bemühen um diese Verbindung ist. Außerdem fällt so der lästige Part des Vertrauen Fassens weg. Wenn es deine Zeit also erlaubt, wäre es mir eine Ehre, wenn du mich dabei unterstützen würdest.“ Warum es sich künstlich schwer machen, wenn der einfache Weg ebenso zum selben Ziel führen würde?


    Den weiteren Ausführungen von Corvinus lauschte Sextus ruhig und aufmerksam. Nur ab und an nippte er an seinem Wein, aber in sporadischem Maße. Offenbar hielt sein Verwandter viel von den Götterkulten, was es wohl umso leichter machen sollte, dort irgendwie Fuß zu fassen. So es denn sich als vorteilhaft erweisen sollte.
    “Palatinische Salier also... das klingt doch ganz gut. Ich denke auch, ich sollte die Welt lieber mit meinem Gesang verschonen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser einer Gottheit gefallen würde.“ Sextus lächelte charmant, aber nicht übertrieben, und überlegte weiter, was Corvinus alles gesagt hatte. Es war ja immerhin eine ganze Menge gewesen, und er hasste es, vorschnell etwas gesagt zu haben, was man dann nicht mehr zurücknehmen konnte, wenn es nötig war.
    “Nun, ich denke, es ist das beste, zunächst einmal das tirocinium fori in trockene Tücher zu bringen und dann zu sehen, wieviel Zeit nebenher überhaupt bleibt. Gibt es derzeit Kollegien oder Götterkulte, die besonders der Unterstützung bedürfen?“ Und dabei möglichst prestigeträchtig waren, was Sextus aber nicht extra betonte. Corvinus war sicher nicht Senator geworden, weil er auf den Kopf gefallen war, sondern würde schon verstehen, was etwas brachte und was nicht. Und im Grunde war es Sextus einerlei, wo er sich verdient machte. Als Priester hätte er zwar durchaus Vorlieben für Gottheiten wie Mars oder Pluto, und wohl eher weniger Iuno oder gar Venus. Doch gab es ein derart großes Betätigungsfeld im Bereich des Cultus, dass er erst einmal hören wollte, was sein verwandter da vorschlug, ehe er sich auf etwas festlegte und sich damit am Ende eine Möglichkeit verbaute.

    Sextus beobachtete Corvinus, ob dieser irgendwelche verräterischen Zeichen von sich gab. Aber er lächelte nicht, er runzelte nicht die Stirn, er schien nur einfach zu überlegen. Nicht unbedingt einfach, ihn abzuschätzen, Sextus würde wohl eine Weile brauchen, um durch seine Maske zu schauen. Aber er hatte es ja nicht eilig. Sofort alles zu wissen wäre ja auch langweilig. Das war in etwa so, als würde sich der Löwe vor einem auf den Boden legen und warten, dass man ihn aufspießte. Er würde schon noch lernen, worauf er achten musste.
    So aber hörte er einfach nur zu, was sein entfernter Verwandter zu dieser Situation denn meinte. Er schien wenig begeistert zu sein von den bisherigen Vorarbeiten seitens Fulvus. Aber das hätte Sextus ihm auch gleich sagen können, dass sein Vater nicht einmal hier den rechten Ehrgeiz entwickelte.
    “Das tirocinium fori ist eine ausgezeichnete Idee. Ich denke, von einem amtierenden Consul kann ich vieles über die derzeitigen politischen Lager lernen.“ Und er würde wohl jeden wichtigeren Politiker kennenlernen, wenngleich nur vom Sehen oder Hörensagen. Auch wenn Sextus der Gedanke nicht unbedingt behagte, irgendwo vorstellig zu werden und um so eine Gelegenheit zu betteln, würde er sie sich nicht entgehen lassen. “Kennst du den Mann bereits?“ So beiläufig wie möglich stellte Sextus seine Frage. Wenn ja, konnte sein neuentdeckter Verwandter das sicherlich effizient übernehmen. Oder er konnte sich zumindest auf ihn berufen, wenn er vorstellig werden würde.


    Als Corvinus aber Sextus' Vater ansprach, zögerte er einen kunstvollen Moment mit seiner Antwort. Mit dieser Frage war früher oder später zu rechnen gewesen, von daher war sie nicht überraschend. Aber Corvinus sollte ruhig denken, er habe seinen entfernten Cousin damit unvorbereitet erwischt.
    “Nun, du kennst meinen Vater und sein Geschick für die Politik. Folglich wird es dich wenig überraschen, dass seine Pläne nicht unbedingt präzise sind. Er sähe es gerne, wenn ich recht bald in den Cursus Honorum einsteige und mich nach oben durcharbeite, wie genau überlässt er aber weitestgehend mir... und deiner Erfahrung.“
    Sextus lehnte sich kurz zurück und nahm einen Schluck Wein, um seine Worte erst einmal stehen zu lassen. Sollte Corvinus ruhig denken, ihm sei das unangenehm, so würde er ihm vielleicht noch eher helfen. Mitleid war zwar etwas, das Sextus verachtete und im Grunde nicht wollte, aber er war nicht so dumm, es nicht auszunutzen.
    “Ich hatte mir gedacht, dass ich erst einmal Erfahrungen sammle, wie du es vorgeschlagen hast. Bei einem Consul ist das sicherlich ein perfekter Platz, und stärkt sicherlich die Bindung zu den Flaviern.“ Wenngleich das bedeutete, dass er seine Anvertraute wohl öfter sehen und in jedem Fall den Deppen geben musste, der sein Glück kaum fassen konnte. Ganz gleich, wie die Frau denn nun war oder aussah. Aber das bekam er hin.
    “Und dann in die Ämterlaufbahn einsteige. Gerade eben waren ja erst Wahlen, also wird es zu den nächsten ohnehin noch etwas dauern. Und bis dahin werde ich meine Zeit nutzen und einige Kurse an der schola ablegen. Oder, wenn du es für vorteilhaft erachtest, mich um die Götter etwas mehr bemühen.“ Ein Dienst im Cultus Deorum war meist ein politisches Sprungbrett.
    Sextus beobachtete Corvinus' Reaktion auf seine Worte, versuchte Tendenzen in seiner Mimik auszumachen, auf die er mehr eingehen konnte, auch für spätere Gespräche.
    “Und wo wir gerade beim Thema sind: Ich muss noch einer der römischen Sodalitäten beitreten. Hältst du eine von ihnen für präferabel?“

    “Das Versäumnis liegt auf meiner Seite, ich hätte mich einfach besser informieren müssen.“ Sextus winkte ab. Natürlich hätte es die Höflichkeit geboten, dass sein Verwandter sich ihm vorstellte, da sie beide einander offensichtlich nicht kannten. Dennoch würde Sextus da nie irgendwelche Schuldeingeständnisse gelten lassen. Immerhin war er hier der Neuling, und er hatte noch vor, Corvinus Hilfe in jeglicher Hinsicht in Anspruch zu nehmen, wenn es einmal soweit war. Daher war es wichtig, den ersten Eindruck möglichst zu seinen Gunsten zu entscheiden.


    Auch Sextus setzte sich auf seine Kline, anstatt sich zu legen. Er konnte zwar nicht viel Erfahrung auf politischem Parkett vorweisen, allerdings hatte er doch das eine oder andere gelernt. Und das erste war, dass man, was Haltung und Mimik anging, den potentiellen Geschäftspartner am einfachsten widerspiegelte.
    “Mein Gepäck habe ich direkt mitgebracht. Es fehlt zwar einiges, aber das lässt sich vor Ort erwerben. Ich denke, die Sklaven werden bereits alles einräumen. Und es ist mir nochmals ein Verlangen, mich für die Aufnahme hier in diesem Haus zu bedanken. Ich hoffe, mich bei Zeiten angemessen dafür revanchieren zu können.“


    Die Frage, wie er instruiert worden sei, fand Sextus peripher etwas amüsant. Ein Schelm, wer bei dieser Art der Fragestellung nun an Bienchen und Blümchen dachte, denn da war Sextus wie es sich gehörte natürlich 'instruiert' worden. Schon vor Jahren.
    So aber zuckte nur kurz ein amüsierter Zug um seine Mundwinkel, den man auch als verhaltenes Lächeln interpretieren konnte, ehe er sich geschäftsmännisch zurücklehnte und zu sprechen anhob.
    “Bezüglich der Heirat, meinst du? Nun, ich weiß, sie ist eine Flavia. Die endgültigen Verhandlungen müssen wohl erst noch geführt werden bezüglich Mitgift und dergleichen, aber ihr Vater steht dem ganzen wohl sehr positiv gegenüber, was die Verhandlungen einfach gestalten sollte. Soweit ich weiß, sollen die Verhandlungen hier in Rom stattfinden, mit den hier ansässigen Flaviern.“
    Kurz nippte Sextus an seinem Wein. Dass er eigentlich keine Präferenz verspürte, diese Verbindung zum jetzigen Zeitpunkt einzugehen, war nebensächlich. Es ging nur um Politik und darum, die Familien möglichst gewinnbringend aneinander zu binden.

    Sextus folgte dem Sklaven ins Atrium. Weit war der Weg ja nicht, das hatten Atrien so an sich. Dennoch war Sextus von der Ausgestaltung eben jenes Weges durchaus angetan. Hier hatte sich jemand Mühe gegeben, bei Gästen gleich den richtigen Eindruck zu hinterlassen. Um nicht zu sagen, einen patrizischen Eindruck. Alles war perfekt platziert. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Ein kleines Lächeln schlich sich in Sextus' Mundwinkel. Hier würde er vielleicht doch das ein oder andere neu lernen können.
    Im Atrium angekommen wurde nach seinen Wünschen gefragt. Noch immer brummte sein Schädel ganz leicht von dem Besäufnis des vergangenen Abends. Aber man sollte ja mit dem weitermachen, womit man aufgehört hatte, um einen Kater loszuwerden.
    “Wein, Hälfte Wasser“ meinte er also nur knapp und wollte gerade Platz nehmen, als jemand zur Tür herein schritt.


    Nun rächte sich, dass Sextus den Großteil seiner Verwandtschaft nie gesehen hatte. Warum musste sein Vater auch ein Leben wie ein Einsiedler führen? Wobei es auch gute Seiten hatte, ein großer Fisch in einem kleinen Teich zu sein. Dennoch, er hatte keine Ahnung, wer da vor ihm stand. Orestes war es nicht, den hätte Sextus erkannt. Es war zwar eine Weile her, dass er seinen Vetter gesehen hatte, aber gewisse Ähnlichkeiten erkannte man doch wieder. Außerdem war der Mann hier zu alt, als dass er sein Vetter hätte sein können. Blieb also nur ein ganzer Zweig an Familienmitgliedern, die Sextus allesamt nicht kannte oder das letzte Mal gesehen hatte, als er etwa 5 Jahre alt war. Nicht einmal eine Toga trug der Ankömmling, als dass er daran hätte ausmachen können, ob es sich um einen der Senatoren oder einen unbekannten weiteren Aurelier handelte.
    Dennoch ergriff er mit einem gekonnten Politikerlächeln den Unterarm des Mannes, der ihn begrüßte, und drückte einmal kurz und bekräftigend zur Begrüßung. Ein ordentlicher Handschlag unter Männern musste sein, man war ja kein Weib.
    “Salve, und danke.“ Seine Unkenntnis über den Namen seines Gegenübers überspielte Sextus einfach, indem er ihn gar nicht beim Namen nannte. Wer schwieg, blieb Philosoph. Nur ein Dummkopf riss sein Maul auf, wenn er keine Ahnung hatte. Außer, man hatte ein sehr sicheres Auftreten und konnte damit komplette Ahnungslosigkeit überspielen.
    Natürlich bemerkte Sextus den musternden Blick, aber wer war er, sich darüber zu mokieren? Er suchte sein Gegenüber ja auch nach Zeichen ab, die auf den Namen seines Gegenübers schließen ließen. Im Moment schwankte er zwischen Ursus und Corvinus. Leider hatte Fulvus versäumt, seinen Sohn mit ausreichend Informationen auszustatten, wie etwa Fragen des Aussehens. Er nahm von dem Sklaven seinen Wein entgegen und nippte einmal daran, bevor er zu einer weiteren Antwort ausholte.
    “Und die Überfahrt war recht ruhig. Im Frühjahr ist das Mare Internum ja noch etwas unberechenbarer als ohnehin schon, aber wir hatten wohl Glück. Und mach dir keine Gedanken wegen Ostia. Wenngleich mein Vater uns wohl alle mit seinen Plänen etwas überrascht hat, hat er doch für ausreichende Mittel gesorgt, so dass ich hier in einem Stück ankomme. Dennoch danke für die Intention.“
    Ein erneutes Nippen an seinem Wein unterbrach seine Worte. Vielleicht wäre es angebracht gewesen, nun einfach zu schweigen und dem Hausherren die Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben. Allerdings fand Sextus, das würde einen zu schüchternen Eindruck hinterlassen, und außerdem würde das Gespräch dadurch deutlich stocken.
    “Verzeih mir meine Unkenntnis, aber mein Vater hält sich gerne sehr vage, gerade in Bezug auf die Familie in Rom. Du bist Corvinus, nehme ich an?“
    Es war eine 50/50-Chance, richtig zu liegen, und soweit Sextus wusste, war Corvinus der Hausherr. Daher war es am logischsten, wenn dieser ihn begrüßte. Allerdings war es ein Schuss ins Blaue, verpackt in so viel selbstsicheren Charme wie möglich.

    Die gefühlte Ewigkeit, bis die Tür aufging, hätte sich nach Sextus' Gutdünken gerne noch einige Äonen hinziehen dürfen. Am besten wäre es gewesen, gar niemand würde öffnen. Auch wenn die Chancen dafür gen Null approximierten. Nur dauerte es nur wenige Augenblicke, bis die Türe aufging und ein dunkelhäutiger Sklave nach ihren Wünschen fragte.
    “Der werte dominus Aurelius Lupus ist wie angekündigt angekommen und erbittet Einlass und...“
    “Red nicht so einen Mist“ , unterbrach Sextus unwirsch seinen Sklaven und trat selber vor. Wenn er das hier schon angehen musste, dann wenigstens selber und nicht mit so einer blumigen Ansprache vorneweg. Er war doch kein Grieche, den man pompös ausstaffieren musste. “Ich bin Aurelius Lupus. Aurelius Corvinus sollte mich schon erwarten. Ist er da? Oder ein anderer Aurelier, der das bestätigen könnte?“ Immerhin war Corvinus seines Wissens nach Senator, ebenso wie Ursus. Nur sein Vetter Orestes ließ sich da wohl noch Zeit und beschränke sich lieber auf die Ämter, die im Cultus Deorum lockten. Und irgendeiner davon musste doch zugegen sein.

    Morituri te salutant.
    Etwas in dieser Art ging Sextus durch den Kopf, als er vor der Porta der Villa Aurelia stand. Die ganze Fahrt über hatte er nur dumpf vor sich hingebrütet. Sein Kater hatte ihn fast umgebracht, und er versuchte, das zu ignorieren. Von Ostia bis Roma hatte er Zeit gehabt, auszunüchtern. Nicht viel Zeit, aber genug. Seine Verwandten würden nichts merken.
    Er war seinem Schicksal geweiht. Ausgeliefert! Es nützte nichts, nur hier zu stehen und zu hoffen, sein Vater würde es sich anders überlegen. Oder aber sich auszumalen, was passieren würde, wenn er sich wie ein Ekel benahm. Ob seine Verwandten ihn dann heimschicken würden? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Nur hätte er es sich dann mit ihnen verscherzt. Und er müsste auf die wunderbaren Möglichkeiten verzichten, die Rom ihm offerierte. Abgesehen von irgendwelchen Hochzeiten, die ihm ungelegen kamen. Es gab ja auch durchaus positive Aspekte dieser Zwangslage.


    “Jetzt klopf schon an“, gab er einem der Sklaven einen Wink. Dieser ging gehorsam vor und hämmerte einmal kräftig gegen die verschlossene Tür. Sextus blickte noch einmal in den geradezu höhnisch schönen Himmel über ihm. Ein letztes Mal noch die Freiheit genießen, bevor ihm von seiner Familie eine Kette um den Hals gelegt wurde. Dann atmete er durch und konzentrierte sich nur noch auf einen möglichst perfekten ersten Eindruck.

    Als Sextus das Haus der Frau wieder verließ, hatte er zwei Dinge wieder gelernt.
    Zum einen: Konsequenz hieß, auch Holzwege bis zum Ende zu gehen. Die Frau hatte ihn schon gelangweilt, ehe sie das Haus erreicht hatten, denn sie hatte ihm ihre halbe Lebensgeschichte erzählt, noch ehe sie zwei Straßen weit waren. Er hatte nicht zugehört und sie einfach reden lassen. Die meisten Frauen merkten nur dann einen Unterschied, wenn sie einen was fragten und der Kerl dann nicht die passende Antwort gab. Aber in seinem Fall war seine Antwort immer gleich ausgefallen: “Das ist mir egal, Weib.“
    Aber gleichgültig, wie sehr sie ihn eigentlich langweilte, er war jetzt schon mit ihr mitgegangen, da hatte er dann auch die Dienstleistung, die sie ihm angeboten hatte, in Anspruch genommen.
    Was dann zu der zweiten Weisheit führte: Man sollte nicht einkaufen gehen, wenn man Hunger hatte. Dann kaufte man nämlich Dinge, die man eigentlich gar nicht wollte, einfach, weil sie da waren, und wenn man dann alles verstaut hatte, merkte man erst, was man eigentlich getan hatte und wie unsinnig das war. So auch bei ihm hier. Er hatte ihr weh getan, einfach, um ihr weh zu tun. Absichtlich. Nicht, weil es ihm gefiel, wenn Frauen litten (wenngleich ihm dieser Umstand gerade bei bezahlter Dienstleistung herzlich egal war). Er war einfach wütend und frustriert gewesen, und der einfachste Weg, das an jemand anderem auszulassen, war die Frau gewesen.


    Hinterher lag sie also heulend auf ihrem Bett, und er sammelte seine Sachen ein und legte ihr einen Denarius auf den einzigen Stuhl im Raum. Nicht etwa aus schlechtem Gewissen, die Silbermünze war einfach die erste gewesen, die er aus seinem Beutel gefischt hatte. Und gleichsam würde das dafür sorgen, dass die Frau die Klappe hielt, immerhin war sie nun doppelt so gut entlohnt worden, wie sie ursprünglich gefordert hatte.


    Seine Toga saß nun nicht mehr ganz so elegant, und auch sein Haar war etwas wirrer. Aber es war Nacht, und er war ja auch in einer recht eindeutigen Gegend, da dachte sich niemand etwas dabei. Am wenigsten Sextus selbst.
    Er war noch immer frustriert und bei weitem nicht befriedigt. Ihm gefiel die Aussicht auf Rom absolut nicht. Er wollte wieder in sein gemachtes Nest zurück, wo er einfach nur in den Tag hineinleben und das Geld seines Vaters verprassen konnte. Ja, sicher, manchmal war es langweilig. Es gab keine wirklichen Perspektiven, nichts, was seinen Ehrgeiz wirklich ansprach. Aber musste man ihn deshalb gleich nach Rom schicken? Und verheiraten? Besonders letzteres störte ihn ungemein. Rücksicht nehmen auf ein Weib, das am Ende häßlich wie die Nacht war und außer dem Namen nichts zu bieten hatte. Und wahrscheinlich noch von dieser neuromantischen Welle vollkommen verblendet war, und erwartete, dass er ihr herzzerreißende Liebesschwüre leisten würde. Am besten noch mit Blumen in der Hand ein Gedicht trällernd. Allein bei dieser Vorstellung wurde ihm übel.
    Unwillig kickte er einen Stein weg und setzte seinen Weg fort. Er wusste, in welches Gasthaus seine Dienerschaft einkehren wollte, und es zu finden war nicht besonders schwer. Und wenngleich er vermutlich nur dank einer nicht näher definierten Menge Wein schlafen würde, so würden sie am nächsten Tag früh nach Rom aufbrechen. Und er sollte wenigstens ausgeruht und freudig aussehen, um gleich den richtigen Eindruck bei seinen Verwandten zu hinterlassen.

    Nach nur wenigen Schritten fand Sextus eine einladend wirkende Gasse. Einige der Lupae standen hier herum, in ihren langen, meist grellbunten Togen, geschminkt wie die Vögel. Dicke, rote Lippen, blauer Lidschatten bis hoch zur Stirn, so verrieten sie eindeutig ihren Stand. Da brauchte es gar nicht erst die herben Sprüche und anzüglichen Einladungen.
    “Hierher, Süßer. Komm, ich bin sauber. Komm mit mir mit.““Nein, vergiss die alte Schachtel, komm zu mir. Schau, wie fest meine Brüste sind. Komm her. Komm.“ “Nein, Hübscher, komm zu mir. Ich seh doch, wie stark du bist. Willst du mir das nicht zeigen?“ “Ach, was weißt du schon von Stärke? Mich hat mal ein Stier ... Und, bist du stärker als ein Stier? Hm?“
    Sextus lachte, als er an den Mädels vorbeischritt. Ja, das hier war schon eher nach seinem Geschmack als dieses enge, stinkende Schiff mit den feinen Dämchen, die so eifersüchtig bewacht wurden. Er besah sich in Ruhe die Ware, die hier vor den verschiedenen Lupanaren feilgeboten wurde, zog die eine oder andere prüfend an sich heran, ließ sie seine Bereitschaft fühlen. Aber keine gefiel ihm so recht. Nicht, dass das unbedingt eine Voraussetzung war. Man musste das Mädel ja nicht zwangsläufig anschauen. Aber wenn man schonmal die Auswahl hatte...dann doch bitte eine ohne Mundgeruch, die nicht nach fünfzig anderen Kerlen am heutigen Tag stank.
    Er ging weiter, bemerkte mit noch viel herzlicherem Lachen, wie die Blicke der Mädels immer zuerst zu seinen Schuhen gingen, ehe sie sich so richtig ins Zeug warfen. Offenbar gab es hier nicht so viel Besuch vom Patriziat. Umso besser für ihn. Er besah sich grad eine fesche, junge Blonde, als er ein zögerliches Stimmchen hinter sich ausmachte.
    “Nehmt mich, dominus! Bitte, ich bin besser als die da.“
    Beinahe hätte er das Stimmchen überhört, aber er drehte sich um und sah eine Frau, die ihre beste Zeit schon hinter sich hatte. Götter, die war älter als er! Was wollte er mit so einer alten Schachtel? “Und was will ich mit so einer alten Schachtel?“
    Die Frau schaute verunsichert hoch. Gott, nichtmal so wirklich hübsch war das Weib. Naja, häßlich auch nicht grade, aber die war geschminkt, als hätte ihr niemand gezeigt, wie eine Lupa das zu machen hatte. Viel zu wenig, von allem. Nichtmal vernünftig Bleiweiß im Gesicht. Und die Kleidung erst! Die sah eher aus wie eine Ehefrau auf der Suche nach ihrem Mann, damit der nicht das ganze Geld hier ließ und genug zum Essen blieb.
    “Ich hab Erfahrung, dominus. Und ich bin wirklich sauber. Und...“
    Venus, die hatte ja echt keine Ahnung, was sie zu tun hatte. Die stand einfach nur da, während sich in Sextus' Rücken die Blonde an ihm räkelte und nur durch einen sehr festen Griff um ihr Handgelenk davon abgehalten wurde, weiter nach seiner Börse zu suchen, um sie ihm abzunehmen.
    “Und wieviel soll mich der saubere Spaß kosten?“ Sextus musste beinahe laut loslachen, als er sah, wie das Weib so hoffnungsvoll zu ihm hochschaute und offenbar die Chancen hochrechnete.
    “Zwei Sesterzen, dominus, und...“
    “Zwei Sesterzen? Weib, du bist nichtmal zwei Quadrans wert! Wenn du mich ausrauben willst, mach es vernünftig, Lupa!“ Zwei Sesterzen, die Huren hatten Vorstellungen... Er wandte sich da lieber der jungen Blonden zu, deren Hand mittlerweile in seinen Schritt gewandert war.
    “Ich meinte zwei Asse. Dominus? Bitte, ich...“ Jammerte das Weib jetzt etwa auch noch? Er nahm seine Zunge aus dem Hals der Blonden und sah sich dieses jämmerliche Weib nochmal an. Götter, die war echt noch nicht lange in ihrem Beruf. Keine Hure bettelte ihre Freier an. Außer das waren diese speziellen Weiber, die darauf dressiert waren, zu wimmern und zu jammern. Die meisten Huren wandten sich einfach an den nächsten und gut. Vielleicht noch ein paar Beschimpfungen an den 'Nequissimus, der eh nicht Manns genug war', aber das war's auch.
    Sextus sah sie sich nochmal an und schürzte die Lippen. “Und wo?“ fragte er nach und schubbste die Blonde etwas unwirsch beiseite, als das Weib sich erdreistete, seinen Hals mit ihrer Zunge zu berühren. “Wenn du was ablecken willst, nimm nicht meinen Hals!“ fauchte er sie an und sah dann wieder zu der Frau.
    Die überlegte einen Moment. Einen zu lange für Sextus, der die Nase voll von ihr hatte und weiter ging. Wenn die nur hier an der Häuserwand ein paar Asse verdienen wollte, sollte sie sich nicht an ihn halten. Bisschen Luxus musste schließlich sein.
    “Bei mir daheim? Ich... es ist nicht weit, und es ist sauber. Nicht ein Bordell wie hier.“
    Entnervt drehte sich Sextus um, ging auf die Frau zu. Diese wich vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken an der Wand stand. Er drängte sich gegen sie, fasst sie hart an die Brust und kam ihr ganz nahe. Nun, sie roch sauber, das stimmte. Und hatte heute entweder noch keinen Kunden gehabt oder aber sich danach gut gewaschen. “Wenn wir nicht da sind, bevor ich die Lust an dir verliere, verprügel ich dich und lass dich liegen. Verstanden?“
    Er sah die Angst in den Augen der Frau, dann das ergebene Nicken. “Es ist nicht weit. Nur ein paar Straßen. Nicht weit, wirklich.“
    Vermutlich würde irgendein verblödeter Tölpel versuchen, ihn dort aufzuschlitzen. Aber das war auch sicher lustig, war eine Weile her, dass Sextus jemanden getötet hatte. Und sollte es schieflaufen, würde er schon die flavische Schnepfe nicht mehr heiraten müssen.
    “Gut, geh vor.“ Er ließ die Frau los und wies in eine Richtung.
    “Es... geht da lang“, ging sie natürlich in die andere Richtung los. Sextus hatte jetzt schon nicht übel Lust, sie zu prügeln und liegen zu lassen. Die Blonde wiederum hinter ihm benahm sich wie eine richtige Hure. “Ach, du Schlappschwanz! Steck dein Dingelchen doch in die da, wirst schon sehen, was du davon hast! Ich kann bessere haben! Und größere! Mistkerl!“
    Sextus hörte nicht einmal hin und folgte dem Weib nur, eine Hand aber am Messer an seiner Seite. Er kannte dieses Verhalten von den Freudenmädchen aus Achaia, da waren die hier auch nicht anders.
    “Mein Name ist übrigens Beroe.“
    “Weib, das ist mir scheißegal.“

    Von Athen nach Rom dauerte es über eine Woche. Eine Woche lang eingepfercht mit einem Haufen stinkender Mitreisender, die einem nette Konversation aufzwangen, deren belangloses Leben aber höchstens peripher von Interesse war. Oder anders gesagt, Sextus hatte keine Lust, sich mit den Nichtigkeiten des Lebens eines Händlers und seiner einundelfzig Plagen auseinanderzusetzen, oder zum zweiundzwölfzigsten Mal über das Wetter zu philosophieren.
    Ihn kotzte das alles an. Die Reise, die Aussicht, die Zukunft. Das juckte doch keine Sau, wie das Wetter war, oder wie es voran ging. Er fand es nur ätzend, hier um die halbe Welt zu segeln, um irgendeine Schnepfe zu heiraten und in Rom dann in die Politik einzusteigen. Was hatte sich sein alter Herr nur dabei gedacht? Er war nicht einmal der verdammte Erstgeborene, warum also sollte grade er aus dem gemachten Nest in der Provinz hinaus in die Politik geschmissen werden? Er fragte sich wirklich, wie sein Vater auf diese hirnverbrannte Idee gekommen war.
    Und dementsprechend war auch seine Laune, als er von Board ging, während sein Hab und Gut noch abgeladen wurde. Ein paar jämmerliche Sklaven hatte sein Vater ihm mitgegeben für seinen Komfort. Nicht mehr. Er reiste fast wie der einfachste Bauer durch die Gegend. Und das beste war ja noch: Sein Vater wollte die gesamte Baggage wieder zurückhaben! Die sollten ihm nicht dienen, die sollten ihn nur an einem Stück abliefern und dann wieder zurück. Als er einen Blick auf seine fleißigen Helfer warf, wie die seine Kisten von Deck schafften, sank seine Stimmung gleich noch ein wenig weiter.


    Er brauchte jetzt ein wenig Ablenkung. Sie waren erst mit der Abendflut in den Hafen eingelaufen, und Sextus hatte noch weniger Lust, nachts zu reisen, als er hatte, überhaupt herzukommen. Folglich würden sie ohnehin hier irgendwo erstmal übernachten, ehe alles bereitet war, um nach Rom weiter zu marschieren. Warum also den Aufenthalt hier nicht ein wenig angenehmer gestalten? Und er hatte schon sehr genaue Vorstellung, wie das aussehen sollte.
    Der Nachteil an einer Seereise war nämlich, dass man nicht nur Tage oder Wochen eingesperrt war. Der Nachteil war, dass es an Board keine vernünftigen Weiber gab. Und die, die es gab, durfte man nicht anfassen. Und wenn man sie anfasste, und sie es nicht wollten, war das Geschrei groß. Und wenn sie wollten, dass man sie anfasste, schafften sie es nicht, dabei so still zu sein, dass es nicht aufflog. Und wenn es aufflog, war das Geschrei groß. Also war Sextus zu außergewöhnlicher Enthaltsamkeit gezwungen gewesen, und das trotz zunehmend schlechter Laune. Und auf diesem beschissenen Kahn konnte man sich noch nicht einmal ausgiebig besaufen.
    Umstände, die geändert werden wollten. Und zwar sofort. Doch zum Glück war Ostia wie jede Hafenstadt: Die Bordelle waren nicht weit vom Hafen entfernt, um ankommende Kundschaft auch flott bedienen zu können. Es galt nur noch, das richtige zu finden.



    Ad
    Marcus Aurelius Corvinus
    Villa Aurelia
    Roma



    Salve Marcus!


    Vermutlich fragst du dich, warum dieser Brief aus dem fernen Achaia dich gerade jetzt antrifft und ich dir nicht schon eher und öfter geschrieben habe. Und du hast recht, viel zu lange habe ich mich aus allem rausgehalten, was in Rom passierte, wenngleich es meine Familie sehr wohl betraf, wie auch den guten Namen, den ich tragen darf. Viel zu lange habe ich meine Kinder hier fernab der Politik erzogen, sie vor der Welt bald versteckt, möchte man meinen. Und viel zu lange habe ich nicht nachgefragt, wie es um euch steht, wie es euch geht und was es neues gibt.
    Und ja, ich schäme mich, dass ich mich jetzt, obwohl mir das alles so bewusst ist, mit einer Bitte an dich wenden muss. Es fällt mir sicher nicht leicht, und du musst einem alten Narren verzeihen, der es nicht besser weiß, als jetzt nach der Hilfe zu fragen, die er euch viel eher hätte anbieten sollen, und noch mehr. Ich schäme mich jetzt, dass ich das Leben hier in der Provinz mehr genossen habe, als es recht und billig war.
    Dennoch bitte ich dich, dass meine Fehler nicht weiter reichen als mein eigenes Leben. Der Grund, aus dem ich dir schreibe, ist folgender: Wie du wohl weißt, ist mein Sohn Sextus nun in einem guten Alter für eine Hochzeit. Vielleicht etwas jung noch mit seinen 25, aber er soll erwachsen werden und die Flausen, die ihn umtreiben, sein lassen. Oh, er ist ein tüchtiger Bursche, wenn man ihn etwas anleitet, und er hat einen wachen Verstand. Manchmal eine etwas scharfe Zunge, aber das muss nicht schlecht sein. Und er hat den Ehrgeiz, der mir fehlte.
    Ich hätte ihn schon längst nach Rom schicken sollen, damit er dort lernen und auch handeln kann. Vielleicht war es mein Stolz, der es mich bislang nicht hat tun lassen. Und wie das Schicksal so spielt hat es sich ergeben, dass ein alter Bekannter von uns mir geschrieben hat. Gnaeus Flavius Aetius, vielleicht erinnerst du dich an ihn oder seinen Namen. Der Schwager deiner Tante Aggripina. Nun, er hat eine Tochter, die ebenfalls in einem schönen Alter ist.
    Ich denke ja, dass deine Tante an diesen ganzen Entwicklungen nicht unschuldig ist, aber ich möchte mich auch nicht beschweren. Allerdings hat Flavius sehr deutlich werden lassen, dass er eine Verbindung unserer Gentes in Rom sehr zugetan wäre.


    Daher bitte ich dich um folgendes. Ich werde meinen Sohn nach Rom schicken, wo er – dein Einverständnis vorausgesetzt – seine Tugenden gewinnbringender einsetzen soll als hier in der Provinz. Wie gesagt, er braucht manchmal etwas Anleitung, und auch den ein oder anderen Tritt, aber er hat eine rasche Auffassungsgabe. Und Ehrgeiz.
    Ich möchte dich bitten, dafür Sorge zu tragen, dass diese Ehe zustande kommt. Wenn es deine Zeit erlaubt, kannst du ihm bei den Verhandlungen helfen. Soweit ich weiß, überträgt Flavius seine Rechte an seiner Tochter für diese Sache auch einem Unterhändler in seiner Familie, so dass der Vertrag ausgemacht werden kann.
    Und ich bitte dich, etwas auf meinen Sextus acht zu geben und ihn anzuleiten, so er Hilfe braucht.


    Vale, Marcus



    gez. Numerius Aurelius Fulvus