Sextus war zwar so manches Mal ein Holzkopf, allerdings war er nicht ein solch gewaltiger Holzkopf, die Feinheiten der Wortwahl des Flaviers im Falle Decimi zu überhören, oder die durchaus vertrauten Ansprachen der einzelnen Personen. Der Inhalt der Worte bestätigte nur Sextus' Intuition, nicht allzu dezidiert auf der Tatsache herumzureiten, dass er selbst nach wie vor eine persönliche Entschuldigung der Decimer für die Art und Weise der Behandlung seiner Cousine erwartete und diese nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen gedachte.
In dieser Umgebung hier war aber Reden noch nicht einmal Silber sondern bestenfalls Rost, weshalb Sextus es tunlichst zu vermeiden wusste und sich stattdessen auf den Bericht des Flaviers an sich konzentrierte und bisweilen mitfühlend-interessiert sah oder zu der ein oder anderen Anmerkung besonnen nickte. Etwas besseres war hierbei auch nicht wirklich zu tun, da er den Gedankengängen selbst zwar inhaltlich, aber nicht taktisch folgen konnte, und ebensowenig dazu etwas konstruktives und dem Gespräch förderliches sagen konnte. Da war es besser, sich auf die gestellte Gegenfrage vornehmlich zu konzentrieren und erst einmal seinerseits eine längere Antwort zu formulieren, welches vom Großthema Decimi etwas weiter wegführen würde.
“Nun, gezwungenermaßen. Ähnlich wie du selbst erkannte ich die prekäre Lage durch die Hausdurchsuchungen seitens des Vesculariers, und wiewohl zwar in der Villa Aurelia nichts Verdächtiges zu finden gewesen wäre, insbesondere durch die gänzliche Unwissenheit des gesamten Hausstandes ob der Realität der Ereignisse, wollte ich mich der Willkür des eigens ernannten Kaisers verständlicherweise nicht aussetzen, zumal dieser die Gunst der Stunde ganz offensichtlich ebenso dazu nutzte, sich selbst zu bereichern und mögliche Gegner mit dem Vorwurf des Kaisermordes auszuschalten. Ähnliches sahen auch einige meiner Amtsbrüder im Collegium Haruspicum, so dass ich mit einigen der Männer dort eine groß angelegte Flucht mehrerer Personen geplant und schließlich zur Ausführung gebracht habe. Während einige der anderen nach Etruria geflohen sind, hat es auch mich zu meinem Vetter Ursus geführt, im festen Glauben auf seine hilfreiche Unterstützung, welche ja auch schließlich gewährt wurde.“
Sextus machte eine kleine Redepause, in welcher er selbst nun das dargereichte Wachtelei schnell verspeiste und es mit einem wohligen Brummen der Zustimmung ob des Geschmackes goutierte.
“Doch so gern ich wollte, konnte ich dort nicht verweilen, da mein Cousin mich mit der Aufgabe der Benachrichtigung der nördlichen Truppen und der Bindung eines Zusammenschlusses mit eben jenen beauftragte. Mit den Strapazen der Reise will ich an dieser Stelle nicht deine Zeit verschwenden. In Mogontiacum angekommen also stellte ich den Kontakt zu Legatus Aennaeus her, der seinerseits überraschenderweise schon mit Vorbereitungen für einen Krieg begonnen hatte, während in Mantua ja, wie du sicherlich mitbekommen hast, diesbezüglich in diesem Maßstab nicht einmal geplant worden war. Aennaeus schließlich hielt es wohl für humoristisch, mich selbst zum Tribun seiner persönlichen Leibwache zu erklären, obwohl mir außerhalb meiner theoretischen Ausbildung hierzu ebenfalls passende Referenzen fehlten. Ich nehme an, er suchte eine charmante Möglichkeit, mich in seiner Nähe zu behalten, um meinen Vetter Ursus an seine Seite zu binden, ohne die Möglichkeit einer Einrede.
Später, als sich durch die Krankheit von Claudius Menecrates die Führung der zweiten Legion zum Problem avancierte, machte er mich schließlich zum Tribun der zweiten Legion, um hier eine Führung durch Männer zu gewährleisten, die den Tod des Vescularius ebenso wünschten wie er selbst.“
Im Grunde genommen war Sextus in diese Rolle hineingerutscht, und er selbst war auch weit davon entfernt, das geschehene als persönliche Heldentat zu verkaufen. Er wusste um seine Stärken, und militärisches Gespür gehörte nicht dazu. “Schließlich jedoch erkrankte Aennaeus höchstselbst, so dass die gesamte Führung der Legion Flaminius Cilo zufiel, der wohl auch das Vorgehen bei der Erstürmung Roms zu verantworten hat. Leider hat dieser nicht den Rat seiner Offiziere eingeholt, bestenfalls jenen des jetzigen Senators Duccius, so dass meine Einflussmöglichkeiten auf seine Entscheidung mit nonexistent wohl am besten zu beschreiben waren. Ich selbst bedauere die Vorkommnisse bei der sogenannten Befreiung zutiefst, insbesondere das Vorgehen bei diversen Hausdurchsuchungen und festnahmen, die in dieser Härte nicht vorgenommen hätten werden müssen. Soweit meine Kontrolle dies zuließ, habe ich versucht, das Vorgehen der zweiten Legion in diesem Rahmen so sanft wie möglich zu gestalten. Auch ohne große militärische Erfahrung wirst du aber zweifelsohne erkennen können, dass diese Möglichkeiten als Tribun äußerst beschränkt sind, wenn der Oberbefehl weniger.... sensibel formuliert worden ist.“ Und in der Tat hatte Sextus alles ihm Mögliche getan, um möglichst wenig Schaden anzurichten. Und wäre es nach ihm gegangen, wäre noch weit weniger geschehen. Die Einkerkerung eines Senator Octavius beispielsweise war seiner Meinung nach ein völlig überzogenes Mittel gewesen. Bei den Decimi sah er da geflissentlich darüber hinweg aus persönlichem Groll, aber Stand und Rang eines Senators hätten bei der Vorgehensweise definitiv berücksichtigt werden müssen.
“Ich denke, die vergangenen Monate waren für uns alle eine schwere Zeit, die uns wieder die Schattenseiten des geflügelten Wortes eines Terenz vor Augen führen: Homo sum, humani nil a me alienum puto.“ Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd. “Aber ich hege doch die Hoffnung, dass die kommende Zeit zumindest wieder eine lebenswerte Normalität hervorbringt.“