Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    “Fortuna hat wohl in der Tat auf mich herabgelächelt, wobei ich keine Pläne in einer Richtung habe, die mich wieder in die Nähe einer Legion führen.“ Oder auf einen Pferderücken. Oder zu karger Verpflegung und ungemütlichen Lagern, dunklen Wäldern, rauen, kalten Nächten, oder gar diesen elenden Bergen. “Daher wird dieses militärische Wissen wohl eher einen akademischen Nutzen haben als einer tatsächlichen praktischen Anwendung zuträglich. Zumindest hoffe ich dies.“


    Die zweite Vorspeise wurde aufgetragen, zusammen mit einem exquisiten Wein, bei dem es fast eine Schande war, ihn zu verdünnen (aber wohl ein grober Fauxpas, es nicht zu tun).Sextus nippte also vornehm an dem Wein und nahm sich dazu ein bisschen von den gebratenen Vögeln, als sein Gegenüber ihn zum ersten Mal an diesem Abend ernsthaft verwirrte.
    Sextus hielt in seiner Bewegung beim Zerpflücken des Vögelchens inne und sah den Flavier kurz verwirrt an.
    “Bevor ich nun unrechtmäßig etwas verteidige oder aber verdamme, muss ich bezüglich deiner Frage doch auf einer Rückfrage beharren: Welchen Verrat genau meinst du? Vielleicht hat meine lange Abwesenheit aus Rom dazu geführt, dass mir so mancherlei Information auf dem Gebiet nicht zugetragen wurde, weshalb ich dich zunächst um genauere Aufklärung bitten muss.“

    Allzu lange musste der Iulier auf die Beantwortung seiner Frage nicht warten. Nach wenigen Minuten kam auch sogleich der Hausherr herein und begrüßte den Ankömmling weder besonders mürrisch, noch überschwenglich freundlich, sondern wie immer distanziert höflich.
    “Salve, Iulius. Verzeih meine direkte Art, aber welches Problem gibt es mit der Erbschaft meiner Cousine, dass dieses persönlich besprochen werden müsste?“ Natürlich ging es um Floras Erbe. Die übrigen verstorbenen seiner Verwandtschaft waren zu entfernt verwandt mit ihm, als dass er hier etwas erben könnte, und aus seiner näheren Verwandtschaft war sonst niemand verstorben. Um den Tod eines Verwandten festzustellen, war in den allermeisten Fällen kein Decemvir nötig, auch in diesem Fall nicht, sondern lediglich, um strittige Erbschaftsfragen zu klären. Was allerdings bei dem Erbe seiner Cousine derart strittig sein sollte, dass man es so direkt besprechen musste, das erschloss sich ihm nicht ganz.
    Mit einer freundlichen Geste forderte Sextus den Decemvir auf, Platz zu nehmen, während er sich selbst in einen der bequem gepolsterten Korbsessen niederließ – Klinen waren wohl zwar insgesamt noch gemütlicher, aber warum sollte man sich für Geschäftsbesprechungen am Vormittag hinlegen?

    Gekränkt? Der Iulius war wegen dieser Sache ernsthaft gekränkt? Oh hehre Eitelkeit, wenn Sextus jedes Mal persönlich gekränkt gewesen wäre, wenn er irgendwo ein 'nein' zu hören bekam, hätte er mit viel Gram durch die Welt zu gehen. Und wäre in der Politik definitiv falsch aufgehoben, da man dort weit öfter ein 'nein' hörte, als auch nur ein 'vielleicht' (was in der Übersetzung auch nein bedeutete). Da wegen irgendwelcher Äußerungen persönlich gekränkt zu sein, wäre der Gesundheit definitiv nicht zuträglich. Abgesehen davon, dass man sich so weit mehr Gedanken um irgendwelche Hintergedanken des Gegenübers beständig machte, die so in den allermeisten Fällen nicht einmal ansatzweise vorhanden waren. Das lenkte von den eigentlichen Sachverhalten ungemein ab.
    Sextus speicherte diese kleine Information über den Iulius, die seinem Klienten so nebenbei herausgerutscht war, ohne sich seinen Gedankengang dazu anmerken zu lassen. Er tat es nur mit einem politiker-lächelndem “Vielleicht“ letztendlich ab.


    Überhaupt war die Planung dieser vermaledeiten munera weit dringlicher. Und zeitraubender. “Ich denke, diese Vorgehensweise ist in der Tat die beste. Ich fürchte, wir müssen den Termin noch etwas verschieben, vorrangig muss auch deine Erhebung in dein Wunschamt zunächst sein. Und gerade als Verwandten von Tiberius Durus würde ich dich gerne auch in die Präsentation der Spiele mit einbinden, was meiner Ansicht nach vorteilhafter ist, wenn du dein Amt bekleidest.“

    Ein Sklave gab eine einfache Tabula für den Decemvirn Iulius Dives an entsprechender Stelle ab und verabschiedete sich sogleich wieder leise und unauffällig, um seinen übrigen Aufgaben des Tages nachzugehen.



    S. Aurelius Lupus Xvir lit iuc Iulius s.d.


    Deiner Bitte nach einem Termin folgend räume ich dir zur Klärung der Erbschaftssache einen Termin am fünften Tag vor den Kalenden des December in den Vormittagsstunden ein. Sofern deine Zeit es zulässt, kannst du mich hier in der Villa Aurelia diesbezüglich aufsuchen.


    Vale


    Inzwischen hatte Sextus durchaus das Gefühl, gut durchgeweicht zu sein, so dass er gegen einen Beckenwechsel sicherlich nichts einzuwenden gehabt hätte. Oder gegen eine kleine Ruhezeit außerhalb des Wassers. Da sein Gesprächspartner allerdings keine Anstalten machte, ebenfalls ein solches Bedürfnis zur Schau zu tragen, im Gegenteil danach aussah, als gefiele es ihm, hier im warmen ein wenig gar zu ziehen, blieb Sextus natürlich an Ort und Stelle und führte das Gespräch locker weiter.


    “Nein, üblicherweise kehren sie mit ihren jeweiligen Besitzern dann auch wieder zurück in ihre eigenen Schulen. Bisweilen nutzen die Lanistae die Gelegenheit eines solchen Auftrittes, um sich noch für einige kleinere Veranstaltungen buchen zu lassen und das ein oder andere Geschäft abzuschließen. Zumeist nutzen sie auch die größere Auswahl von Sklaven auf den hiesigen Märkten, um sich neue Talente für ihre Schulen einzukaufen.
    Doch soviel vorweggenommen, so deine Frage hierauf letztlich abzielt, durch dieses eher kurzzeitige Engagement ist es natürlich erheblich kostspieliger, dem Volke Roms diese Attraktion zu bieten. Allerdings ist es angesichts der Vorkommnisse der letzten Zeit denke ich eine lohnenswerte Investition in die Zukunft, für ein wenig Zerstreuung zu sorgen. Und dies in einem durchaus größeren Rahmen.“

    Sextus war zwar so manches Mal ein Holzkopf, allerdings war er nicht ein solch gewaltiger Holzkopf, die Feinheiten der Wortwahl des Flaviers im Falle Decimi zu überhören, oder die durchaus vertrauten Ansprachen der einzelnen Personen. Der Inhalt der Worte bestätigte nur Sextus' Intuition, nicht allzu dezidiert auf der Tatsache herumzureiten, dass er selbst nach wie vor eine persönliche Entschuldigung der Decimer für die Art und Weise der Behandlung seiner Cousine erwartete und diese nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen gedachte.
    In dieser Umgebung hier war aber Reden noch nicht einmal Silber sondern bestenfalls Rost, weshalb Sextus es tunlichst zu vermeiden wusste und sich stattdessen auf den Bericht des Flaviers an sich konzentrierte und bisweilen mitfühlend-interessiert sah oder zu der ein oder anderen Anmerkung besonnen nickte. Etwas besseres war hierbei auch nicht wirklich zu tun, da er den Gedankengängen selbst zwar inhaltlich, aber nicht taktisch folgen konnte, und ebensowenig dazu etwas konstruktives und dem Gespräch förderliches sagen konnte. Da war es besser, sich auf die gestellte Gegenfrage vornehmlich zu konzentrieren und erst einmal seinerseits eine längere Antwort zu formulieren, welches vom Großthema Decimi etwas weiter wegführen würde.
    “Nun, gezwungenermaßen. Ähnlich wie du selbst erkannte ich die prekäre Lage durch die Hausdurchsuchungen seitens des Vesculariers, und wiewohl zwar in der Villa Aurelia nichts Verdächtiges zu finden gewesen wäre, insbesondere durch die gänzliche Unwissenheit des gesamten Hausstandes ob der Realität der Ereignisse, wollte ich mich der Willkür des eigens ernannten Kaisers verständlicherweise nicht aussetzen, zumal dieser die Gunst der Stunde ganz offensichtlich ebenso dazu nutzte, sich selbst zu bereichern und mögliche Gegner mit dem Vorwurf des Kaisermordes auszuschalten. Ähnliches sahen auch einige meiner Amtsbrüder im Collegium Haruspicum, so dass ich mit einigen der Männer dort eine groß angelegte Flucht mehrerer Personen geplant und schließlich zur Ausführung gebracht habe. Während einige der anderen nach Etruria geflohen sind, hat es auch mich zu meinem Vetter Ursus geführt, im festen Glauben auf seine hilfreiche Unterstützung, welche ja auch schließlich gewährt wurde.“
    Sextus machte eine kleine Redepause, in welcher er selbst nun das dargereichte Wachtelei schnell verspeiste und es mit einem wohligen Brummen der Zustimmung ob des Geschmackes goutierte.
    “Doch so gern ich wollte, konnte ich dort nicht verweilen, da mein Cousin mich mit der Aufgabe der Benachrichtigung der nördlichen Truppen und der Bindung eines Zusammenschlusses mit eben jenen beauftragte. Mit den Strapazen der Reise will ich an dieser Stelle nicht deine Zeit verschwenden. In Mogontiacum angekommen also stellte ich den Kontakt zu Legatus Aennaeus her, der seinerseits überraschenderweise schon mit Vorbereitungen für einen Krieg begonnen hatte, während in Mantua ja, wie du sicherlich mitbekommen hast, diesbezüglich in diesem Maßstab nicht einmal geplant worden war. Aennaeus schließlich hielt es wohl für humoristisch, mich selbst zum Tribun seiner persönlichen Leibwache zu erklären, obwohl mir außerhalb meiner theoretischen Ausbildung hierzu ebenfalls passende Referenzen fehlten. Ich nehme an, er suchte eine charmante Möglichkeit, mich in seiner Nähe zu behalten, um meinen Vetter Ursus an seine Seite zu binden, ohne die Möglichkeit einer Einrede.
    Später, als sich durch die Krankheit von Claudius Menecrates die Führung der zweiten Legion zum Problem avancierte, machte er mich schließlich zum Tribun der zweiten Legion, um hier eine Führung durch Männer zu gewährleisten, die den Tod des Vescularius ebenso wünschten wie er selbst.“

    Im Grunde genommen war Sextus in diese Rolle hineingerutscht, und er selbst war auch weit davon entfernt, das geschehene als persönliche Heldentat zu verkaufen. Er wusste um seine Stärken, und militärisches Gespür gehörte nicht dazu. “Schließlich jedoch erkrankte Aennaeus höchstselbst, so dass die gesamte Führung der Legion Flaminius Cilo zufiel, der wohl auch das Vorgehen bei der Erstürmung Roms zu verantworten hat. Leider hat dieser nicht den Rat seiner Offiziere eingeholt, bestenfalls jenen des jetzigen Senators Duccius, so dass meine Einflussmöglichkeiten auf seine Entscheidung mit nonexistent wohl am besten zu beschreiben waren. Ich selbst bedauere die Vorkommnisse bei der sogenannten Befreiung zutiefst, insbesondere das Vorgehen bei diversen Hausdurchsuchungen und festnahmen, die in dieser Härte nicht vorgenommen hätten werden müssen. Soweit meine Kontrolle dies zuließ, habe ich versucht, das Vorgehen der zweiten Legion in diesem Rahmen so sanft wie möglich zu gestalten. Auch ohne große militärische Erfahrung wirst du aber zweifelsohne erkennen können, dass diese Möglichkeiten als Tribun äußerst beschränkt sind, wenn der Oberbefehl weniger.... sensibel formuliert worden ist.“ Und in der Tat hatte Sextus alles ihm Mögliche getan, um möglichst wenig Schaden anzurichten. Und wäre es nach ihm gegangen, wäre noch weit weniger geschehen. Die Einkerkerung eines Senator Octavius beispielsweise war seiner Meinung nach ein völlig überzogenes Mittel gewesen. Bei den Decimi sah er da geflissentlich darüber hinweg aus persönlichem Groll, aber Stand und Rang eines Senators hätten bei der Vorgehensweise definitiv berücksichtigt werden müssen.


    “Ich denke, die vergangenen Monate waren für uns alle eine schwere Zeit, die uns wieder die Schattenseiten des geflügelten Wortes eines Terenz vor Augen führen: Homo sum, humani nil a me alienum puto. Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd. “Aber ich hege doch die Hoffnung, dass die kommende Zeit zumindest wieder eine lebenswerte Normalität hervorbringt.“

    Vorsichtig und fast ein bisschen zögerlich legte Sextus leicht den Arm um den jungen Kinderkörper und – zu seiner eigenen Überraschung – erwiderte er mit ganz sanftem Druck die Geste der Zuneigung. Es war ein fremdartiges Gefühl, als würde tief in seinem Inneren ein Ton erklingen, an den er sich einst erinnert hatte, der aber schon lange vergessen war und deshalb nun fremd und vertraut zugleich erschien.
    Allerdings währte all dies nur einen sehr kurzen Augenblick, bis Titus sich wieder richtig hinstellte und sich kindlich über Augen und Nase mit dem Arm wischte, um die Tränen zu trocknen. Männer weinten nicht. Sextus sollte genau dies sagen. Aber er unterließ es, obwohl er wusste, dass es die gesellschaftliche Konvention so verlangte. Aber möglicher Tadel wurde durch die erneute, sehr innige Umarmung unterbrochen, und dieses Mal schien es schon vertrauter, den Arm um das Kind zu legen und einfach ein wenig zu halten.
    “Fast sechs also.“ Was bedeutete, dass der Kleine auch noch mindestens acht Jahre lang unter seiner Tutela bleiben würde, sofern sein Vater nicht genesen und zurück nach Rom kehren würde. Was bei diesem Zeitraum eigentlich zu erwarten war. “Hast du dann eigentlich schon einen Lehrer, der dir Lesen und Schreiben beibringt?“ versuchte Sextus ein wenig abzulenken. Vorhin hatte der Junge ja etwas von Lehrern gesagt, und mit sechs oder sieben Jahren fing üblicherweise auch der erste Unterricht an.

    In den letzten Jahren war vieles passiert. Sextus war in eine Verschwörung verwickelt worden, die einem guten Teil seiner Familie das Leben gekostet hatte und seine Ehe in die Brüche hatte gehen lassen. Ein Krieg war ausgebrochen in der Folge davon, in dem Sextus unmittelbarst beteiligt war. Er hatte Wochen auf einem Pferderücken verbracht, war über Berge geklettert, hatte sich Geschosse um die Ohren pfeifen lassen, hatte sterbende Männer gesehen, war im Dreck gelandet, hatte Entbehrungen und Härte ertragen. Aber in dieser ganzen Zeit hatte ihn NICHTS auch nur halb so sehr überrascht wie diese eine, kleine Umarmung von einem Kind!. An ihn! Und er hatte auch, nachdem die Überraschung verflogen war, keine Erklärung, was er getan hatte, um diese zu verdienen.
    Noch immer einigermaßen konsterniert hörte er dem Jungen bei der Aufzählung seiner Soldaten zu. Sextus konnte sich noch nicht einmal die Namen von echten Legionären merken, bei Spielzeuglegionären bestand da aber auch überhaupt gar keine Chance, dass er sich auch nur einen merkte. Dass er dann auch einen geschenkt bekam, der den Namen Titus trug, brachte seine innere Verwirrung letztendlich an ihre Grenze. “Danke“ meinte Sextus sichtlich durcheinander und nahm den kleinen Angreifer vorsichtig entgegen, ihn noch ein wenig in den Händen haltend und ansehend. “Einen Beschützer zu haben ist sicher nicht das Schlechteste.“
    Ganz sicher war sich Sextus wahrlich nicht, was jetzt die bessere Vorgehensweise war. Eigentlich sollte er seinem jungen Vetter wohl sein Spielzeug lassen. Was wollte ein erwachsener Mann mit einem Holzsoldaten, selbst wenn dessen Pilum dazu geeignet war, weiches Schuhsohlenleder zu durchstechen. Und das, wo Sextus noch nicht einmal echte Soladten wirklich leiden mochte. Aber die Geste berührte irgendwas in ihm, und er wollte den Kleinen nicht belehren. Nicht dann, wenn er selbstlos und großzügig war. “Aber wenn sein Contubernium ihn braucht, zögere nicht, Bescheid zu sagen. Immerhin scheint er ihr verlässlichster Angreifer zu sein.“ Wegnehmen wollte Sextus das Spielzeug ja wirklich nicht. Und vielleicht vermisste Titus seinen Namensvetter irgendwann einmal und so hatte er einen einfachen Weg, ihn zurückzuverlangen.


    Die Erklärungen zum ausbleibenden Unterricht waren kindlich wirr und blieben auch zunächst unbeantwortet, als Titus direkt im Anschluss an eben jene Ausflüche gleich eine weitere Bemerkung fallen ließ, die zu Sextus Konstitution nicht unbedingt beitrug, sondern die innere Verwirrung eher vergrößerte. Nicht einmal seinem eigenen Sohn war er so nahe wie jetzt dem seines Vetters, geschweige denn, dass er mit eben jenem ein solches Gespräch je geführt hätte. Überhaupt hatte er den Burschen seit langer Zeit nicht mehr gesehen und begnügte sich mit dem Wissen, dass er in Sicherheit und bester Gesundheit war.Und nun fragte der kleine Titus, ob er dessen Ersatzvater sei.
    “Nun... ich bin hier in Rom erst einmal dein Tutor“, versuchte Sextus eine Erklärung, merkte dann aber selbst, dass dies für den kindlichen Geist vor ihm vermutlich noch weniger als unhilfreich war. “Das... ist so etwas ähnliches wie ein Vater. Aber nur in etwa, dein Papa bleibt natürlich dein Papa.
    Das ist einfach ein geschwollenes Wort dafür, dass die Händler mich fragen, wenn sie nicht ganz sicher sind, ob sie dir etwas verkaufen dürfen. Du kriegst ja dein Taschengeld und darfst damit kaufen, was immer du willst. Auch wenn ich hoffe, dass du nicht alles nur für Honiggebäck ausgibst.“
    Ein kleines Zwinkern zu dem Kleinen. Kein Kind der Welt gab sein Taschengeld nicht für Süßigkeiten aus. “Wenn du nun aber was großes kaufst... ein Pferd oder einen Sklaven, dann kostet das viel Geld. Mehr als ein Junge deines Alters normalerweise Taschengeld bekommt. Und dann fragt der Händler erst einmal mich, ob das in Ordnung ist.“
    Die anderen, rechtlichen Kleinigkeiten ersparte Sextus mal dem Jungen, zumal es für ihn wohl ohnehin nicht so wichtig war, ob Sextus dessen Vermögen theoretisch verwaltete, bis er selbst alt genug war, um das zu tun, oder wer wen beerben durfte und dergleichen. Die einzig greifbare Einschränkung in dessen Leben wäre wohl erst einmal das Einkaufen von irgendwelchen Kleinigkeiten.
    “Wie alt bist du eigentlich, Titus?“ schloss sich die unvermeidbare Frage an, denn immerhin terminierte dies auch die Dauer seiner tutela.

    “Dieses 'noch irgendwas', Consular Vinicius, ist die Zuarbeit zu vom Prätor verhandelten Fällen als seine Gehilfen und auf seine Anweisung und ihr Wirken als Geschworene bei Nicht-Kapitaldelikten, ebenso wie allgemeine Ordnungsaufgaben. Natürlich ist hierfür eine Kenntnis der Sachlage vorteilhaft. Natürlich werden so Fehler vermieden. Und die Tatsache bleibt, dass Tiberius als Person wohl in diesem Amt über Zweifel aufgrund seiner persönlichen Erlebnisse erhaben und damit eine diplomatische Wahl wäre. Und ebenso ist es eine Tatsache, dass es keinen zwingenden Grund gegen ihn gibt. Und erst recht keinen solchen zwingenden Grund für die Zuteilung zu den Quattuorviri viarum curandum. Die Tresviri aere argento sind genauso zu besetzen, beispielsweise, und angesichts der Finanzlage nach dem Krieg sicherlich nicht unwichtiger als saubere Straßen. Und so oder so sind alle zwanzig Stellen zu besetzen.“
    Welchen Grund der Vinicier jetzt hatte, so sehr gegen den Tiberier zu sein, konnte Sextus auch nach mehrfachem Überlegen nicht nachvollziehen. Die kleine Posse des Aeliers war klar auf Antipathie ihm gegenüber zurückzuführen, das war schon in der Befragung des Tiberius klar geworden und hatte peripher auch noch mit der Unterstützung von Aeliern zu Decimern aller Art zu tun. Aber der Vinicius? Sextus hatte eher angenommen, dass die Vinicii zu den Freunden der Tiberii zählten, immerhin war ein Vinicius aus eben diesem Grund auch Teil der Verschwörung von Durus gewesen. Was da nun dieser Vorstoß sollte, verstand Sextus nicht wirklich.


    “Im Übrigen kann ich mich den Worten von Consular Aelius anschließen: Auch ich hielte eine andere Aufteilung für besser, allerdings, um zu einem Ende zu kommen und des lieben Friedens willen, kann ich mich dem Kompromissvorschlag des designierten Consuls Decimus anschließen.“

    Jetzt war doch eine der seltenen Gelegenheiten, wo Sextus beinahe so etwas wie lachen musste. Beinahe. Allerdings zeigte das Lächeln auf seinem Gesicht doch deutlichst amüsierte Züge, als sein Klient ausgerechnet mit diesem Namen um die Ecke kam.
    “Ich weiß nicht, was du über diese kleine Geschichte gehört hast. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass meine Antwort darauf gleich zu einer solchen Reaktion seitens des Iulius führt“, bemerkte Sextus noch immer sichtlich erheitert über die Konstellation.
    Er winkte die Sache mit einer Handbewegung halb ab, denn aus seiner Sicht war das ganze nun etwas gewesen, was an und für sich abgeschlossen war. Aber scheinbar hatte der Tiberius da eine ganz andere Geschichte zu hören bekommen. “Um dich aufzuklären, der Iulius kam eines Tages hier nach Rom und wollte eine Hafengebühr für Ostia erheben und hatte dabei haufenweise Fehler gemacht, die ich ihm erst berichtigen musste, obgleich er eigentlich der Magistrat war. Ein Schiff, das er in Rechnung stellen wollte, hatte nur denselben Namen wie eines meines Großvetters, das schon vor über zehn Jahren gesunken war. Ein weiteres war in der Erbmasse eines Toten, und diese zahlen beim besten Willen keine Steuern mehr. Auch wenn das wohl für jeden Stadthaushalt praktisch wäre, jene post mortem noch mit Gebühren zu malträtieren. Und am Ende war sein Erhebungsdatum noch völlig falsch, da er das falsche Gültigkeitsdatum verwendet hatte. Als ich ihn darüber aufgeklärt habe, hat der gute Iulius seine Zunge verschluckt und ist beleidigt gegangen, ohne etwas zu erwidern.
    Als er dann während der Belagerung vor den Toren Roms aufgetaucht ist und sich dort wichtig machen wollte – oder anders gesagt, Opportunismus gegen seine Gens ergriffen hat - habe ich ihn als Iulius verhaften lassen. Damit er ein paar Tage über Machtpositionen und Familientreue nachdenkt.“
    Sextus zuckte leichthin die Schultern. Er hatte nicht angenommen, dass Cornelius Palma alle Iulii oder überhaupt alle einstigen Gegner hinrichten lassen würde. “Außerdem entsprach dieses Vorgehen dem Befehl von Flaminius, ranghohe oder wichtige Mitglieder mit Vescularius verbündeter Gentes erst einmal festzusetzen. Tribun Proximus wurde wenig später ebenfalls inhaftiert. Nur Senator Iulius war wie vom Erdboden verschluckt.“ Noch ein gleichgültiges Schulterzucken.
    “Von daher muss sich dein Bekannter da keine Sorgen machen. Zwar hat auch er ganz eindeutig den halbperegrinen Hang zu Größenwahn, aber solange er diesen im Griff behält und zukünftig seine Arbeit vernünftig erledigt, hat er von mir nichts zu befürchten.“
    Soviel zur Aufklärung und den Iulii als solchen und Dives im Besonderen.


    “Bezüglich der munera dauert doch alles erheblich länger, als ich gedacht hatte. Daher wäre für mich das wichtigste noch immer die Rückmeldung der Factiones und ob diese auch gegebenenfalls mit zwei Fahrern starten könnten. Ich hoffe auf ein Feld von wenigstens sechs Gespannen.“

    “Das haben sie nicht, Consular Hungaricus, wenn man allerdings diejenigen streicht, bei denen ein Grund gegen das von ihnen gewählte Amt spricht, ist die Zahl doch weitaus überschaubarer. Es haben sich ja auch nicht alle nur auf dieses eine beworben, sondern verteilt. Letztendlich sehe ich es als mathematisches Problem, bei dem es gilt, zwanzig Größen auf zehn Decemvirstellen zu verteilen, drei tresviri capitalis, drei tresviri aere argento und vier quattuorviri viarum curandum, und dies nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit vordefinierten Präferenzen.“ Was wohl eine Mathematikaufgabe in ferner Zukunft sein würde, mit der man arme Schüler in Stochastik quälen konnte, um ihnen Stochastik und die Unterschiede zwischen Bernoulli- und Laplace-Experimenten und Kombinatorik zu erklären.


    Um dem Consular vernünftig zu antworten, benötigte Sextus da einen kurzen Augenblick, um nicht ärgerlich über diese seiner Ansicht nach allzu offensichtliche Ausrede zu werden. Es war ja schön und gut, dass der Aelier seine Patronatspflichten auch auf andere Decimi, die eigentlich andere Patrone hatten, ausweitete. Warum er sich dann aber darauf versteifte, Sextus die ganze Zeit anzugreifen, und das über diesen Umweg, war es – für ihn – nicht.
    “Und, Consular Aelius, um ebenfalls die Frage von Consular Hungaricus hierzu noch einmal aufzugreifen: Auch für den Tiberius sprechen weitere Gründe, ihn bei seinem Wunschposten zu belassen. Nur hat ihn niemand danach gefragt, da offenbar auch niemand Anlass hatte, ihn danach zu fragen. Also werde ich ein paar dieser Punkte anführen, die zuvor ja schon beantwortet gewesen zu sein scheinen:
    Im Gegensatz zu dir, mir, dem Decimus und den meisten, die wir hier reden, war er in Rom. Er kennt beide Seiten dieses Krieges, sowohl als Verfolgter unter dem Usurpator verbunden mit allen Rechtswidrigkeiten und Ungerechtigkeiten, die aus dessen Willkürherrschaft entstanden. Ebenso aber kennt er das Leid, das Rom im Bürgerkrieg erlebt hat durch den – wenngleich gerechtfertigten und gerechten – Feldzug unseres Kaisers Cornelius. Er kennt die Verbrechen, die hier geschehen sind, besser als die meisten, da aus eigener Erfahrung, und kann daher den Prätor umfassend und mehr als nur durch Hörensagen unterstützen, kann Zusammenhänge sehen und ist darüber hinaus über jeden Zweifel an seiner Person erhaben. Und ja, er ist auch Patrizier und steht damit in der Tradition anderer ehrwürdiger Tresviri capitales wie Aulus Flavius Piso, Quintus Claudius Lepidus oder Marcus Flavius Aristides.
    Das einzige, was ihm wohl vorzuwerfen ist, ist die Wahl seines Patrons“
    , ließ Sextus es selbstironisch klingen.


    “Ich nehme nicht an, dass ich dich in deiner Wahl beeinflussen kann, Consular Aelius, aber vielleicht überdenkst du sie dennoch. Zumal wir den Tresviri capitales ohnehin, wie der Name es schon sagt, drei Männer zuteilen müssen.“

    Schuldbewusst kam Ursus Sohn hinter einer Säule auch hervor und stellte sich vorbildlich der Situation. Er trug ein Kleidungsstück, das Sextus irgendwie an den Vater des Jungen erinnerte, an dem er nervös ein wenig herumzupfte, während er sich erklärte. Und sehr schuldbewusst anfing, aufzuräumen.
    “Keine Angst, ich verrate nichts“, versprach Sextus, noch immer ein wenig fasziniert von dem Anblick. Aus dem Augenwinkel wurde er durch eine leichte Bewegung an den Sklaven erinnert, der ihm folgte, und schickte diesen mit einer stummen Handbewegung weg, um sich in Ruhe mit dem Jungen unterhalten zu können. Auch wenn Sextus es natürlich nie offen zugegeben hätte: Wenn er von einer Sache wusste, dann war es die, in jungen Jahren von der Familie getrennt zu werden. Und auch die Angst, die man da in den ersten Momenten verspürte, weil man Erwartungen zu erfüllen hatte. Er selbst war auserwählt worden, um Haruspex zu werden. So wie Sextus auch seinen eigenen Sohn genau dazu auserwählt hatte und dieser daher noch immer in Tarquinia war, um ebenso wie der Vater das gesammelte Wissen der gesamten Menschheit eingeprügelt zu bekommen. Sextus hatte damals sehr geholfen, in Marcus Cilnius Lanatus einen verständnisvollen Lehrer zu haben, der ihm zwar das Lernen mit aller Strenge dennoch aufgebürdet hatte, dabei aber nicht versäumt hatte, ihm, dem Jungen, einen Halt zu geben und das Gefühl, dass es vielleicht doch nicht so schlimm war, wie es schien.


    Nicht, dass Sextus dem Größenwahn verfallen wäre, er könnte so jemand für Titus sein. Nein, um so eine Position effektiv auszufüllen, hätte er weniger er selbst sein müssen, und mehr... irgend jemand anderes. Egal wer. Und das wusste Sextus selbst.
    Dennoch bewegte ihn irgend etwas dazu, so in der Zweisamkeit des Atriums im Moment, in die Knie zu gehen, und seinem Cousin beim zusammenräumen zu helfen. Mit nicht minder großer Verwunderung behielt er einen Moment den Legionär in der Hand, der ihn 'angegriffen' hatte, und versuchte sich daran zu erinnern, was sein letztes Spielzeug gewesen war. Bei seiner Mannwerdungszeremonie bei den Liberalia hatte er selbstverständlich alles Spielzeug geopfert und verbrannt. Und das war nun auch schon zwanzig Jahre her. Ohne zu einem Ergebnis gekommen zu sein, reichte Sextus den Soldaten weiter und bemühte sich, ein Gespräch zu finden und dem Jungen... so genau wusste Sextus eigentlich auch nicht, was zu tun er gerade sich anschickte. Einfach nur nett sein zu wollen kam ihm selbst fremd vor.
    “Warum bist du ganz allein im Atrium?“ fragte er also mit sanftem Unterton und hatte im Grunde gar keinen Plan, den er durchsetzen und erreichen wollte wie sonst immer.

    Zum Glück hatten sie nun anscheinend dieses Riff namens Wagenrennen erfolgreich umschifft und Sextus konnte wieder etwas weniger diplomatisch bedacht einfach erzählen, was er plante und so vielleicht ein wenig Werbung im Vorfeld machen.
    “Mein Vetter Corvinus hat zu seiner Zeit als Ädil schon einmal erfolgreich Kontakt zum Lanista der dortigen Gladiatoren aufgenommen, so dass der Kontakt relativ problemlos wieder aufgenommen werden kann, auch durch Freunde meiner Gens im dortigen Gebiet dort. Vielleicht ist dir die Geschichte meiner Familie nicht bekannt, aber bevor wir in den Patrizierstand erhoben wurden, waren wir erfolgreiche Händler, und hierdurch ergeben sich auch nach nun drei Generationen noch der ein oder andere Kontakt in viele Teile des Reiches, unter anderem eben auch nach Gallia Narborensis.
    Und bei besagten letzten Spielen erfreuten sich diese Gladiatoren großer Beliebtheit. Nachdem ich gehört habe, dass die stadtrömischen Ludi zum Teil dazu genötigt worden waren, ihre Gladiatoren den Plänen des Usurpators zu opfern, wollte ich von Außerhalb einige Gladiatoren engagieren, um so die Qualität auch zu sichern. Jene Gladiatoren sollten durchgängig trainiert sein und auch in vollständiger Mannstärke. Immerhin sollen die Gladiatorenspiele in nichts den Wagenrennen nachstehen. Auch wenn beide so wohl unter schwierigen Voraussetzungen stattfinden werden.“

    Eigentlich hatte Sextus zu der Abstimmung ja gar nichts weiter sagen wollen, aber nach dem, was der Aelier dann vom Stapel ließ, da konnte er dann nicht bis zum Ende der Debatte schweigen. Und nahm sich vor, mit dem Mann nach der Verhandlung einmal ein paar Worte zu wechseln, da dessen Vorgehen auch schon in der Befragung ziemlich eindeutig gegen Sextus gerichtet war – und das vollkommen ohne erkennbaren und nachvollziehbaren Grund! - und dies feigerweise an seinem Klienten auszulassen gedachte.
    “Aber Consular Aelius, das ist doch genau das, was Consular Flavius auch sagt! Und beantwortet nicht im mindesten die Frage des ehrenwerten Flavius.
    Unbestritten sind alle Ämter bei den Vigintivirn an sich ehrenvolle Aufgaben, die ehrenvollen Männern auch gut anstehen. Niemand hat etwas anderes gesagt. Allerdings, und dies ist der Knackpunkt, gibt es keinen Grund, warum man dorthin den Tiberius entgegen dessen Wünschen schicken sollte.
    Warum ich den Decimus auf dem Posten eines Tresvir capitalis als undiplomatisch empfinde, habe ich dargelegt, und darüber kann nun jeder Senator selbst entscheiden, ob er diese Gründe nachvollziehen kann, ihnen gegebenenfalls sogar zustimmen kann, oder eben auch nicht.
    Welchen Grund aber sollte es geben, Tiberius Lepidus seinen Wunsch nicht zu erfüllen? Dass andere Positionen prinzipiell besetzt werden müssen, ist ja klar und auch dies bestreitet niemand, doch, wie Senator Duccius schon richtig ausgeführt hat, gibt es auch hierfür genügend Bewerber.


    Und deine Ausführungen beantworteten auch noch immer nicht die Frage von Consular Flavius, warum du, wenn dir dieses Anliegen schon so am Herzen liegt, nicht denjenigen vorschlägst, der das größte Vertrauen des Senates erhalten hat? Immerhin hast du dem Kandidaten sehr ausführlich ebenso dein Vertrauen schon in der Befragung ausgesprochen, welches du nun auch dem Tiberius zugesprochen hast.“

    Die Nachrichten, die schließlich doch noch aus Mantua gekommen waren, waren alles andere als erbaulich. Natürlich war Sextus erleichtert, ja sogar erfreut gewesen, dass seine Cousinen zurückgekehrt waren und darüber hinaus sein Vetter ganz offensichtlich auch seiner Empfehlung gefolgt war, seinen Sohn doch in Rom aufwachsen zu lassen, damit dieser von der Bildung und den Möglichkeiten der Ewigen Stadt profitierte und auf seine Stellung als Patrizier und Politiker vorbereitet werden konnte. Allerdings waren es eben nicht nur positive Nachrichten gewesen. Und die, dass seine Cousine Flora bei der Geburt ihres Kindes verstorben war, hatte Sextus zwar gefasst wie immer entgegen genommen, er konnte ein gewissen Bedauern über diesen Umstand aber nicht gänzlich vor sich selbst verleugnen. Und dies nicht nur geschuldet der Tatsache der so unterbrochenen Verbindung zu den Tiberiern oder sonstiger politischen Möglichkeiten.


    Die abendliche Ankunft seiner Verwandten war kurz ausgefallen, was wohl der langen Reise und den damit verbundenen Anstrengungen geschuldet war. So hatte Sextus nur grobe Informationen erhalten können, wie Floras Tod bei der Geburt und der Verbleib des Kindes bei den Tiberii, aber nichts weiteres. Da Sextus auch annahm, dass Tiberius Ahala direkt zur Villa seiner Gens gereist war, hatte er es unterlassen, seinen Klienten hierüber zu informieren, da ein Bote ja erst nach dem eigentlich Erwarteten eingetroffen wäre.
    Auch mussten längere Gespräche unterbleiben, warum es für seine Cousinen Prisca und Lentidia scheinbar unmöglich war, einen einfachen Boten mit einer Antwort auf den weg zu schicken! Er hatte sich Sorgen gemacht, als er so gar keine Nachricht erhalten hatte. Aber vermutlich hatte die holde Weiblichkeit hierfür auch keinen Sinn. Hätten sie eben jenen, hätten sie ja auch einen Boten entsendet.


    Nach also einem unbefriedigenden Abend und einer unbefriedigenden Nacht war der nächste Tag mit der üblichen Salutatio gekommen. Nach dem Abschluss derselben und dem verscheuchen des letzten Bittstellers, einer kleinen Zwischenmahlzeit und der Rehabilitation seiner Nerven machte er sich also auf zu seiner Runde der täglichen Amtsgeschäfte außerhalb des Hauses, wozu er natürlich das Atrium durchqueren musste. Einer der Sklaven, die als sein Schreiber fungierten, folgte ihm und schrieb auf einem Wachstäfelchen mit, was Sextus als Nachbearbeitung der Salutatio noch vermerkt haben wollte. “... und erkundige dich wegen diesem Bäcker bei den Thermae Agrippinae... und erinnere Opimius Flaccus an den Gefallen, den er mir leisten sollte. Dann benötigt Senator Rabuleius ein Geschenk. Etwas geschmackvolles, aber nicht zu teuer. Darüber hinaus...“
    In dem Moment fühlte er etwas unter seinem Fuß, als er auftreten wollte, was sich recht schmerzhaft durch die weiche Sohle der sandalae, die er im Haus zu tragen pflegte, bohrte. Daher ging der weitere Satz in einem schmerzlichen “WOOUUUW“ unter, gefolgt von einem recht akrobatisch wirkendem Hüpfen auf dem nicht betroffenen Fuß (was in einer Toga nicht so einfach war, ohne umzufallen!). Ursächlich für diese ungeplante Tanzeinlage war, nachdem nach anschließender Betrachtung des Schadens eine kleine Holzfigur, deren Pilum in recht ungünstigem Winkel aufgeragt war und dazu wohl noch relativ spitz, hatte die Spitze doch ein schickes, kleines Loch in das dünne, weichgelaufene Leder gebohrt. Die frage war nur: Was machte dieses Holzding hier im Atrium? Und was machte die restliche, auf dem Fußboden verstreute Mini-Armme, die sich nach einem kurzen Blick offenbarte?
    “Titus?“ fragte Sextus nach dem offensichtlichsten Verursacher in den Raum hinein, ohne den Jungen gesehen zu haben. Aber von allein war Kinderspielzeug wohl eher weniger ins Atrium geflogen.

    Pragmatismus konnte Sextus verstehen, sogar gutheißen. Pragmatische Menschen waren verlässlichere politische Partner, da diese Politik auch verstanden und Äußerungen auf diesem Feld nicht persönlich zu nehmen pflegten. Was sie natürlich zu schwierigeren Verhandlungsgegnern machte, da nur Menschen, die sich persönlich angegriffen fühlten, zu dummen Äußerungen und Gefühlsausbrüchen neigten.
    Und so nickte er zu den Ausführungen des Tiberiers. Dass dieser den Decimer nutzte und in seiner Position nicht so gefestigt war, hier möglichen Nutzen auszuschließen, die diese Verbindung ihm bringen würde. Wäre diese kleine, unverzeihliche Episode des Wortbruches, Verrates und der Entführung nicht gewesen, hätte er noch nicht einmal irgendein Problem mit auch nur einem der Decimer. Bis die Sache aber aus der Welt war – was aus Sextus Sicht idealerweise den Tod des Protagonisten dieser Posse bedeutete – wünschte er sich auch bei seinen Klienten keine allzu engen Bindungen, vor allem an das engere Umfeld des Mannes, der ihn durch seine Taten beleidigt hatte. Nachdem der Tiberier ihm nun aber eben jenes versichert hatte und auch gute Argumente für seine eigene Vorsicht genannt hatte, hatte er kein Grund, das weiter zu vertiefen.


    Die Frage seines Klienten war da ohnehin etwas ablenkend, und irgendwie auch amüsant, dass er gerade die Iulii ansprach. “Den anderen Gentes kann man bestenfalls Opportunismus vorwerfen und das Eingehen einer Wette mit für sie ungünstigem Ausgang. Gegen Opportunismus an sich ist nichts einzuwenden, solange er gewissen Maßstäben der Treue folgt. Ich hege keinen Groll gegen die Octavii, Pompeii, und auch die Iulii nicht.“ In denen hatte auch keiner gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen. Und – was für Sextus in der Tat wichtiger war – seine Cousine entführt.
    “Und da du letztere explizit ansprichst: In einem Wort zusammengefasst halte ich sie für bedeutungslos. Mitunter sticht einer von ihnen mal etwas heraus, erliegt dann aber üblicherweise in der ein oder anderen Form einem Größenwahn und einem Rausch der vermeintlichen Macht. Man mag es ihnen verzeihen, immerhin liegen ihre Wurzeln im peregrinen Bereich, oder auch dem von diversen Liberti. Nicht zu verwechseln mit ihren patrizischen Namensvettern, denen auch die einstige Augusta entstammte.
    Üblicherweise genügt es, ihnen mitunter die Bedeutung von wirklicher Macht, begründet aus Name und Familie, vor Augen zu führen, dass sie sich an ihre Stellung erinnern. Daher sehe ich auf politischer Ebene keinen Grund für Bündnisse. Allerdings sehe ich auch keine zwingenden Gründe, sie momentan vor den Kopf zu stoßen. Oder dich von deiner Bekanntschaft abzubringen.“
    Sextus winkte das Thema somit verbal ab. Aus seiner Sicht gab es nur einfach keinen Grund, sich mehr als nötig mit den Iulii zu beschäftigen. Oder über sie näher Gedanken zu machen.

    Vermutlich gab es schon den ein oder anderen, der nur auf seine Wortmeldung wartete. Daher wartete Sextus seinerseits nur eine Weile, ob sich jemand anderes zu dieser Sachlage denn melden wollte, als diese zur Sprache kam. Nachdem sich aber nach den obligatorischen 12,743 Sekunden niemand gemeldet hatte, wie ein Blick die Bank entlang ihm offenbarte, übernahm eben er die Rolle desjenigen, der als erstes zum Sprechen anhob.


    “Werte Senatoren! Bereits bei der Anhörung der Kandidaten äußerte ich meine Bedenken dazu, dem jungen Decimus Aquila das Amt eines Tresvir capitalis zu geben. Der junge Mann hat sicherlich durch seine Redekunst und seine bisherigen Leistungen verdient, dass der Senat ihn zum Vigintivir gewählt hat. Dies sei unbestritten. Und dies will ich dem jungen Decimus auch gar nicht nehmen.
    Im Gegenteil, ich honoriere seine aufrechten Ansichten und den Ansatz, dass er die Verfehlungen seiner Verwandten durch eigenes, gutes Beispiel, vergessen machen möchte. Jedoch denke ich, dass für seinen Wunsch eben jene Taten erst vergessen sein sollten. Ich halte es für äußerst präkär und... undiplomatisch, jetzt erneut einen Decimus, so aufrecht seine Absichten auch sein möchten, in dem Bereich einzusetzen, der für die Durchführung von Todesurteilen zuständig ist. Dies würde nur mehr Wunden aufreißen und Erinnerungen wecken und eben genau nicht dazu beitragen, dass die vergangenen Frevel in diesem Bereich aus dem Gedächtnis gelöscht werden.


    Der Bürgerkrieg hat für viele Todesopfer gesorgt, auf beiden Seiten. Unabhängig von Stand, Herkunft oder politischer Ansicht hat beinahe jeder einen Angehörigen in den letzten, blutigen Jahren verloren. Decimus Aquila möchte gerne dafür sorgen, dass das Andenken seiner Familie wieder positiv in Erscheinung tritt.
    Daher schlage ich vor, ihn den Decemviri litibus iucandis zuzuweisen, wo er aktiv dabei helfen kann, das Leid vergangener Zeit zu lindern und den Hinterbliebenen zu ihrem Erbe zu verhelfen. Hier kann er durch Fleiß und Einsatz sich das Vertrauen in seine Familie zurückverdienen, ohne dass er seine Hände mit Blut beflecken muss und so ungewünschte Assoziationen hervorruft.“


    Antrag eingebracht, Patronatspflicht erfüllt, Sextus konnte sich also wieder setzen.

    Die Anrede fiel doch ernüchternd förmlicher aus, als erhofft, aber Sextus hoffte, diese sprachliche Distanz des Gesprächsbeginns im Laufe des Abends doch deutlich abbauen zu können. So aber grüßte er nur freundlich zurück, während er der Aufforderung seines Gastgebers Folge leistete. “Senator Flavius, ich danke dir für diese kurzfristige Einladung.“
    Gerne nahm er auf dem Ehrenplatz eben jenen ein, wenngleich dies bei der Größe ihrer Runde wohl ohnehin mehr eine symbolische Geste seitens der Flavier war, die Sextus aber durchaus auch zu schätzen wusste. “Und die Größe unserer Runde konveniert mir durchaus. Allfällig ist unser Gesprächsthema doch von eher privater und weniger öffentlicher Natur, so dass durch die Überschaubarkeit der Gästeanzahl ein offener Gesprächsverlauf eher möglich ist“, versuchte Sextus, sich an Sprachstil und Wortwahl seines Gegenübers anzupassen. Immerhin, so hieß es, schuf dies vertrauen, wenn man seinen Gesprächspartner möglichst exakt spiegelte.


    Er legte sich also geschickt auf seine linke Seite, den Oberkörper auf eben jenen Arm abgestützt, und wandte sich dem Flavius zu. Die Größe des Raumes an sich war für sie zwei Beide in der Tat etwas erdrückend groß, aber mit etwas leichter Einstiegskonversation sicherlich zu füllen, so dass sich davon unabhängig hoffentlich etwas Nähe ergeben würde, wenn auch nur auf sprachlicher Ebene.
    “Ich hoffe, du und die Deinen haben die Nachwirkungen des Krieges wohlbehalten überstanden? Ich kam nicht ganz dazu, mich nach eurem Wohlbefinden zu erkundigen. Mein letzter Stand war, dass du und dein Sohn Obdach bei meinem Vetter in Mantua gefunden hattet, jedoch keine weiterführenden Informationen“, erkundigte er sich also erst etwas allgemeiner, nicht ohne einen kleinen, unschuldigen Verweis auf die Enge der Freundschaft zwischen ihren beiden Gentes anzubringen.